Armstrongs Erben - Christoph Seidler - E-Book

Armstrongs Erben E-Book

Christoph Seidler

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Beschreibung

Seit mehr als 50 Jahren war kein Mensch mehr auf dem Mond. Doch ab 2025 beginnt die Rückkehr zu unserem Nachbarn im All – erst mit einem Vorbeiflug, dann mit Landungen. Ziel ist eine dauerhafte Präsenz. Für das Artemis-Programm haben die USA sich mit internationalen Partnern zusammengetan. Doch China schmiedet für sein ambitioniertes Mondprogramm ebenfalls Koalitionen, etwa mit Russland. Die Welt wird Zeuge eines neuen Wettlaufs im Weltraum. Dieses Buch hilft zu verstehen, was diesmal anders ist als bei den ersten Mondflügen, wer die Regeln bestimmt und was das mit uns auf der Erde zu tun hat.

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Veröffentlichungsjahr: 2025

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Inhalt

Inhaltsübersicht

Cover & Impressum

Widmung

Geleitwort

1 Der erste Wettlauf

Eine heiße Phase des Kalten Krieges

Ein Abo auf den zweiten Platz

Helfer mit brauner Vergangenheit

Amerikas Antwort: Auf zum Mond!

Lunare Grüße aus Moskau

Apollo – Ein attraktiver Name

»Whitey on the Moon«

Das Apollo-Programm und eine Rede, die nie gehalten werden musste

Und was war mit dem astronautischen Mondprogramm der Sowjets?

Gab es überhaupt einen Wettlauf?

In die Erdumlaufbahn statt zum Mond

Wertvolle Mondfracht unter Verschluss

2 Ein neuer Wettlauf

Von Robotern und Menschen

Warum die USA und China auf internationale Partner setzen

Dominanz unter Partnern: Technologie für die USA

Die weiteren Mondpläne der USA

China: Schritt um Schritt auf dem Weg zum Mond

Amerikas Angst vor China

Wie China zur Großmacht im Weltraum wurde

Was wollen die alle überhaupt auf dem Mond?

Rohstoff Wasser

Rohstoff Helium-3

Den nächsten Schritt gehen

3 Wie man zum Mond kommt

Unsere Rakete

Die Vergangenheit: die Saturn V

Die Gegenwart: das SLS

Die Zukunft: das Starship

Chinas Langer Marsch

Unser Raumschiff

Unsere Landefähre

Das Modell von Elon Musk

Das Modell von Jeff Bezos

Das Modell aus China

Unsere Crew

Diversität

Tipps fürs Zusammenleben

Unser Startplatz

Unser Landeplatz

4 Was man für das Leben auf dem Mond braucht

Unsere Unterkunft

Schutz vor Gefahren

Die Habitat-Pläne der NASA

Eine eigene Zeitzone

Unsere Energiequelle

Ein Mini-AKW

Solarzellen

Stromtrassen

Etwas zu essen und trinken

Unser Raumanzug

Unser Auto

Unser Lande- und Startplatz auf dem Mond

5 Welche Regeln auf dem Mond gelten und wer sie macht

Der wichtigste Vertrag des Weltraumrechts

Müll auf dem Mond

Problem Privatwirtschaft

Weitere internationale Regeln – und ein Rohrkrepierer

Vorstöße durch einzelne Staaten

Die Artemis Accords

Was ist mit mordenden Mondfahrern?

Schwierige Weiterentwicklung des Rechts

6 Was das alles mit der Erde zu tun hat

Raumfahrt ist ein politisches Geschäft

China und Russland – eine besondere Partnerschaft

Warum es fast keine Kooperation zwischen Amerikanern und Chinesen gibt

Astropolitische Allianzen

Ungewohnte Bündnisse

7 Schlussgedanken

Was der Flug mit unserem Körper gemacht hat

Wie sich unser Blick auf die Welt verändert hat

Warum noch mehr Menschen zum Mond fliegen, auch wenn es wichtigere Probleme gibt

Wie wir Menschen den Mond für immer prägen werden

Warum es uns am Ende doch wieder nach Hause zieht

Bildteil

Bildnachweis

Anmerkungen

Buchnavigation

Inhaltsübersicht

Cover

Textanfang

Impressum

Widmung

Meiner Familie.Bis zum Mond und zurück.

Geleitwort

von ESA-Astronaut Matthias Maurer

Liebe Leserinnen, liebe Leser,

ohne den Mond hätte ich diesen Text vermutlich nicht geschrieben. Und Sie könnten dieses Buch über das, was wir Menschen dort in den kommenden Jahren vorhaben, auch gar nicht lesen. Denn es gäbe wohl weder Sie noch mich. Durch seine Anziehungskraft sorgt unser kosmischer Begleiter nicht nur Tag für Tag und Nacht für Nacht für Ebbe und Flut in den Weltmeeren, er stabilisiert und verlangsamt auch die Drehung der Erde um sich selbst. Und das wiederum sorgt dafür, dass unsere Tage nun entspannte 24 statt nur einige wenige hektische Stunden aufweisen, und auch dafür, dass unsere Erdachse stabil bleibt und unser Klima folglich nicht permanent zwischen Eiszeit und tropischer Hitze hin und her wechselt.

Fachleute gehen davon aus, dass sich komplexe Lebensformen auf der Erde – also auch Sie und ich, wie gesagt – sonst gar nicht hätten entwickeln können. Was für ein faszinierender Gedanke!

Ebenso bemerkenswert finde ich, dass Mond und Erde einen gemeinsamen Ursprung haben. Forschende vermuten, dass in den Kindertagen unseres Sonnensystems ein sogenannter Protoplanet etwa von der Größe des Mars, sie nennen ihn Theia, mit der Erde zusammengestoßen ist. Dabei soll die noch dünne Erdkruste aufgebrochen sein. Gigantische Mengen flüssigen Gesteins wurden ins All geschleudert. Aus ihnen – und aus den Resten von Theia – soll sich dann binnen kurzer Zeit der Mond geformt haben.

Tatsächlich wissen wir das aber nicht so genau. Und allein das ist ein Grund dafür, dass wir endlich zum Mond zurückkehren müssen! Seit seiner Entstehung trägt er wie ein Geschichtsbuch fundamentale Informationen zur Entstehung und Entwicklung unseres Sonnensystems in sich. Wir müssen die entsprechenden Seiten nur aufschlagen und lesen. Die neuen Erkenntnisse werden uns sicher auch bei der Frage helfen, ob wir allein sind oder wohin ins All wir näher schauen sollten, um einen erdähnlichen Planeten zu finden.

Dann geht es auch um die Frage, wie eigentlich das Leben auf die Erde gekommen ist. Denn wenn Asteroiden und Kometen einst wie eine Art kosmischer Lieferdienst aus der Tiefe des Alls das Leben gebracht haben, könnten sich die Spuren dieser Einschläge bis heute auf dem Mond erhalten haben. Und zwar im Wassereis, das sich über Milliarden von Jahren in den schattigen Stellen der Krater an den Mondpolen erhalten hat.

Hier auf der Erde werden wir solche Spuren nicht mehr finden, weil sich das Antlitz unseres Planeten beständig erneuert, weil Gestein durch Wind und Wasser erodiert, weil Erdplatten auseinanderdriften und zusammenstoßen, weil Pflanzen wachsen und geologische Strukturen verschwinden lassen. Auf dem Mond dagegen könnten sich die historischen Lebensspuren womöglich noch aufspüren lassen. Es wäre eine gigantische Entdeckung, die unseren Blick auf unsere Entstehung und unseren Platz im Kosmos revolutionieren würde!

Jeder Mensch braucht Träume, die inspirieren, Hoffnung und Antrieb geben. Ich für meinen Teil träume von einem Flug zum Mond. Wie sehr, das ist mir beim bisher größten Abenteuer meines Lebens bewusst geworden. Von November 2021 bis Mai 2022 durfte ich für rund ein halbes Jahr auf der Internationalen Raumstation (ISS) leben und arbeiten. In der freien Zeit bei meiner Mission »Cosmic Kiss« habe ich so viele Stunden wie möglich im Cupola-Modul verbracht. So heißt der in Europa gebaute Aussichtspunkt der Station mit seinen insgesamt sieben Fenstern.

Spektakulär, gigantisch – es fehlen einem die passenden Worte, wenn man den Ausblick beschreiben will. Der Blick aus der Cupola hat mich immer wieder aufs Neue zum Träumen, aber auch zum Nachdenken angeregt. Mir ist aufgefallen, wie groß der Anteil der Ozeane an der Oberfläche eigentlich ist und wie unscheinbar und dünn unsere wertvolle Atmosphäre. Doch auch den Mond sieht man dort oben klarer als hier unten auf der Erde.

Das hat nichts damit zu tun, dass wir ihm im Orbit so viel näher wären. Der Abstand ist nur 0,1 Prozent geringer als von der Erdoberfläche. Die Raumstation fliegt in gut 400 Kilometer Höhe, bis zum Mond sind es immer noch durchschnittlich 385 000 Kilometer. Weil aber die Atmosphäre den Blick nicht beeinträchtigt, kann man die Oberfläche mit ihren unzähligen Kratern deutlicher erkennen.

Ich weiß nicht, wie oft ich da in der Cupola schwebte, meist nach unserem obligatorischen Sporttraining, und auf das immer wechselnde Antlitz der Erde und den majestätischen Mond blickte. Meinen Freund, so habe ich ihn genannt.

Mein Astronautenkollege Buzz Aldrin, der zweite Mensch auf dem Mond, hat seinen ersten Eindruck auf der Oberfläche mit zwei Worten beschrieben: »magnificent desolation«, prächtige Einöde. So sieht der hell strahlende Begleiter unserer Erde in der allumfassenden Schwärze des Alls tatsächlich aus. Wie gern würde ich einmal über seine Oberfläche laufen und dann am Himmel die Erde aufgehen sehen, als blau-weiß marmorierte Kugel am Horizont!

Die Europäische Weltraumorganisation (ESA) ist ein essenzieller Partner im Artemis-Mondprogramm. Wir liefern das European Service Module (ESM), das die Crews mit Wasser und Atemluft versorgt, die Temperatur der Astronautenkapsel regelt, mit seinen Solarpaneelen die Energie bereitstellt, sie speichert und mit seinem Triebwerk den Flug zum Mond überhaupt erst möglich macht. Gebaut wird das ESM übrigens in Bremen – und zwar viel günstiger, als die Amerikaner das hinbekommen hätten.

Der wahre Wert des europäischen Beitrags ist aber die Stabilisierung des amerikanischen Mondprogramms. Nationale Programme erfahren oft starke Veränderungen durch frisch gewählte Präsidenten, wie sich in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder zeigte. Eine internationale Kooperation hingegen überdauert die Jahrzehnte stabiler, wie man wunderschön am Programm der ISS erkennen kann. Eine solche Kontinuität ist für die Erkundung des Weltraums unabdingbar.

Für die Beistellung des ESM bekommt die ESA die Möglichkeit, bei mindestens drei Artemis-Missionen mit dabei zu sein. Sie sollen die Gateway-Station zum Ziel haben, die wir gemeinsam mit den USA, Japan und Kanada im Mondorbit aufbauen. Einer dieser Flüge könnte uns eventuell hinab zur Mondoberfläche führen. Ich bin auch zuversichtlich, dass weitere Fluggelegenheiten dazukommen. Grundlage dafür könnte ein vollautomatisches Frachtraumschiff sein, das wir hier in Europa entwickeln wollen: Der Argonaut-Lander als eine Art Schwerlasttransporter kann bis zu 1,7 Tonnen Nutzlast an jeden Punkt der Mondoberfläche bringen und damit zum Beispiel Artemis-Missionen versorgen.

Für die drei bisher existierenden europäischen Artemis-Tickets stehen gegenwärtig sechs aktive ESA-Astronauten mit ISS-Erfahrung zur Verfügung. Zu dieser hoffnungsvollen Gruppe gehöre auch ich und gestehe, auch schon darüber nachgedacht zu haben, welche bedeutungsschweren Worte ich beim Schritt auf den Mond wohl sagen würde. Das gehört einfach dazu, denn Neil Armstrong hat die Messlatte schon ordentlich hochgelegt, finde ich.

Für Sie sollte aber weniger wichtig sein, wer fliegt, sondern dass wir als Europa mitfliegen!

Wir Europäerinnen und Europäer werden die zukünftigen Flüge zum Mond nicht mehr auf dem Sofa verfolgen, wie einst die Apollo-Missionen – sondern im Druckanzug auf dem Sitz des Raumschiffes. Wir müssen in der ersten Reihe dabei sein, wenn wir uns endlich mit den vielen offenen Fragen befassen werden, die der Mond für uns bereithält. Dieses neue Zeitalter der Exploration darf nicht ohne uns stattfinden.

Auch wir sollten uns John F. Kennedys legendären Anspruch zu eigen machen und danach streben, »als Leader mit dabei zu sein, die Erkundung des Alls und die für die Raumfahrt künftig geltenden Regeln aktiv und führend zu gestalten«. Denn Raumfahrt ist nach wie vor schwer und erfordert große Anstrengungen, deren Erfolg aber Europa guttun, uns einen und stärken wird. Gerade nach den gesellschaftlichen Krisenzeiten von Corona und Krieg braucht ein verunsichertes Europa ein solches großes gemeinsames Ziel, das uns anspornt und motiviert, das Beste aus uns hervorzubringen, und das uns erlaubt, der zunehmenden gesellschaftlichen Ignoranz und Unwissenheit, beständig genährt von Verschwörungstheoretikern und nationalistischen Bewegungen, eine positive und wissensbasierte Zukunftsperspektive entgegenzustellen.

Was aber nun wollen wir auf dem Mond? Wie gesagt, wollen wir etwas über uns lernen, über die Geschichte unserer Erde und womöglich darüber, wie das Leben zu uns kam. Wir wollen im Detail verstehen, wie der Mond entstand, wie er im Inneren aussieht. Die gut 380 Kilogramm Gesteinsproben, die die Apollo-Astronauten zwischen 1969 und 1972 gesammelt haben, stammen nur von einigen wenigen, ausgewählten Punkten auf der Oberfläche.

Wir haben gewissermaßen nur ein paar Seiten des geologischen Lehrbuchs, das der Mond uns bereitstellt, in aller Schnelle quergelesen. Jetzt wollen wir die anderen Kapitel studieren, wollen an anderen Stellen landen. Unser Hauptziel ist jetzt die von tiefen Kratern durchzogene Südpolregion. Denn in den schattigen Bereichen genau dieser Krater haben sich, wie wir durch Sonden und deren Beobachtungen wissen, große Mengen an Eis erhalten. Das ist wissenschaftlich extrem interessant – vor allem aber auch für die weitere Erkundung des Sonnensystems.

Ich finde außerdem die Idee attraktiv, auf der erdabgewandten Seite des Mondes ein Radioteleskop zu errichten. Damit könnten wir Hinweise aus der absoluten Frühzeit des Universums aufzeichnen, noch bevor überhaupt die ersten Sterne zündeten. Es wäre ein Blick noch viel weiter zurück als jetzt mit dem schon extrem faszinierenden James-Webb-Teleskop. Der Platz wäre deswegen so besonders geeignet, weil er einerseits außerhalb unserer Atmosphäre und des Erdmagnetfeldes liegt, welche die Signale sonst schlucken würden. Andererseits würde der Mond alle störenden Signale effektiv abschirmen, die wir von der Erde aus beständig hinaus ins All abstrahlen.

Denn das ist der zweite Hauptgrund, warum wir zurück zum Mond wollen und müssen: Hier können wir all die Technologien testen, die wir für weitere Flüge hinaus ins Sonnensystem in Zukunft brauchen werden, zum Mars zum Beispiel. Geht etwas schief, können wir vom Mond aus in wenigen Tagen wieder zu Hause sein. Er bietet die perfekte Umgebung für die Technologieentwicklung. Eine Art Sandkasten, im wahrsten Sinne des Wortes, zum Testen.

Apropos Sandkasten: Am Europäischen Astronautenzentrum in Köln haben wir genau den gebaut – und zwar in einer XXL-Version: Als Gemeinschaftsprojekt der ESA und des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) ist hier die Luna-Anlage entstanden. Ich durfte das Projekt als astronautischer Experte begleiten. Herzstück der Trainingsanlage ist ein 700 Quadratmeter großes Testfeld voll mit 900 Tonnen simuliertem Mondstaub. Hier wollen wir Astronautinnen und Astronauten trainieren, aber auch Roboter testen. Und wir wollen erforschen, wie beide zusammenarbeiten können. Denn nur als Team werden Menschen und Maschinen die Erforschung des Sonnensystems in Zukunft voranbringen.

Der ewig präsente Staub, die teils schwierigen Beleuchtungsverhältnisse in der Südpolregion des Mondes, ja mithilfe eines Seilsystems sogar die deutlich geringere Gravitation auf der Oberfläche – in der Luna-Anlage können wir all das realitätsnah nachbilden. Und wichtig ist uns: Der Komplex ist offen für Partner aus der ganzen Welt!

Um nachhaltig auf dem Mond leben und arbeiten zu können, und erst recht, um in Zukunft einmal weiter hinaus ins All vorzustoßen, werden wir nicht alle benötigten Ressourcen von der Erde aus mitbringen können. Das bedeutet, dass wir mit all dem arbeiten müssen, was uns vor Ort zur Verfügung steht. Und das ist auf dem Mond viel mehr, als man denkt, wenn man zum ersten Mal auf die graue Ödnis, die prächtige Einöde schaut.

Das Wassereis aus den Kratern kann uns, wenn wir es denn erreichen, Wasser und Sauerstoff für unsere Lebenserhaltungssysteme liefern. Es kann aber auch als Teil des Raketentreibstoffs genutzt werden, den wir idealerweise lokal produzieren – für den Rückweg zur Erde oder den möglichen Weiterflug zum Mars. Aus dem Mondgestein werden wir Sauerstoff herstellen und den Staub mit Lasern zu Baumaterial formen können, aus dem dann Teile unserer Mondbehausungen, Straßen oder Landeplätze entstehen. All diese Dinge müssen und werden wir ausprobieren. Denn dieses Mal werden wir kommen, um zu bleiben.

Mein Freund und Kollege Alexander Gerst hat das mit der Entdeckung der Antarktis vor mehr als 110 Jahren verglichen: Zuerst kamen einzelne Expeditionen, die Flaggen aufstellten. Dann wurde der Südkontinent systematisch erforscht, bis man dann später dauerhafte Stationen einrichtete. Die Flaggen auf dem Mond stehen schon, von den Apollo-Missionen. Nun wird es Zeit für eine wiederholte und dann dauerhafte Präsenz.

Auch in China gibt es ein großes Interesse am Mond, meine chinesischen Kolleginnen und Kollegen befassen sich mit denselben Fragen wie wir. Auch sie werden landen, auch sie planen den Bau eines dauerhaften Außenpostens. Auch sie werden internationale Partner mitnehmen. Ich finde das gut! Vom Interesse am Mond können wir alle profitieren. Wichtig ist, dass wir vertrauensvoll und friedlich zusammenarbeiten. Wir haben oft schon gesehen, dass die Kooperation im All wichtige politische Brücken auch für das Zusammenleben auf der Erde gebaut hat. Möge das auch hier so sein!

In diesem Buch finden Sie alles, was Sie zu unserer Rückkehr auf den Mond wissen müssen. Sie erfahren, wie das damals eigentlich genau lief, beim Apollo-Programm der Amerikaner, und was jetzt anders ist. Dass internationale Partner wie wir Europäer eine viel wichtigere Rolle spielen, wissen Sie ja jetzt schon. Aber auch um den Beitrag von Privatfirmen wie SpaceX oder Blue Origin wird es gehen, ohne den es zumindest für uns hier im Westen keine Mondlandung geben wird. Manche sagen sogar, dass das gegenwärtige Weltraumwettrennen eigentlich weniger zwischen den USA und China stattfindet, sondern vielmehr ein Rennen der amerikanischen Industrie ist.

Auf den folgenden Seiten lernen Sie auch, was man eigentlich braucht, um zum Mond zu kommen, dort zu landen und zu leben: Rakete, Raumschiff, Landefähre, Habitat. Und Sie erfahren, wer in Zukunft die Regeln für die Nutzung des Mondes vorgibt. Vielleicht habe ich ja die Chance, das alles einmal ganz aus der Nähe zu erleben. Dann berichte ich Ihnen gern davon.

Aber nun wünsche ich Ihnen erst einmal viel Spaß beim Lesen dieses Buches!

Ihr

Matthias Maurer

1 Der erste Wettlauf

Die Nächte waren warm, die Tage heiß, noch immer. Heiß und sonnenklar. Auch wenn die wärmste Zeit des Sommers inzwischen vier Wochen zurücklag, schickte sich auch der 12. September 1962 an, die Menschen in Houston ein weiteres Mal zu backen wie Brot in einem Ofen. Auf jenseits der 30 Grad Celsius würde das Thermometer im Tagesverlauf klettern. Und doch hatten sich an diesem Mittwochmorgen rund 300 000 Menschen in den Straßen der größten Stadt des US-Bundesstaates Texas versammelt, um einem hohen Gast zuzujubeln: Präsident John F. Kennedy war von der einst von einem wohlhabenden Baumwollgroßkaufmann gegründeten William Marsh Rice University zum Gastprofessor ehrenhalber ernannt worden. Nun war er angereist, um sich bei der Hochschule mit einer Rede zur Zukunft der Raumfahrt zu revanchieren.

Weitere 35 000 bis 45 000 Menschen waren deswegen ins riesige Rice-Footballstadion gekommen. Viele, weil sie wollten – und manche, weil sie mussten: Erstsemester der Universität am Ende ihrer Einführungsphase, zum Beispiel, und Schüler öffentlicher Schulen, die mit Bussen ins Stadion gebracht worden waren. In den Sitzreihen tupfte man sich die verschwitzte Stirn mit Tüchern ab, fächelte sich mit Hüten und Mützen ein wenig frische Luft zu.

Gleich zu Beginn versprach Kennedy eine kurze Rede. Am Ende würden es 17 Minuten werden – und eine der wohl wichtigsten Ansprachen des Präsidenten, bis heute unvergessen. Wir wollen uns Kennedys Rede und das, was auf sie folgte, in diesem Kapitel genauer ansehen. Denn schon damals, vor mehr als einem halben Jahrhundert, hat es einen Wettlauf zum Mond gegeben, und zwar zwischen den USA und der Sowjetunion. So schien es jedenfalls. Wer verstehen will, was heute auf dem Mond passiert, muss diese Geschichte kennen. Nur so lässt sich verstehen, was damals anders war als heute – und was die Rückkehr zu unserem kosmischen Nachbarn eigentlich so kompliziert macht. Und warum sie so bedeutungsvoll für die Zukunft der Raumfahrt, aber auch für die politischen Verhältnisse hier auf der Erde ist.

Und nun machen Sie es sich bequem, wir kehren gemeinsam in die spätsommerliche Hitze von Houston im Jahr 1962 zurück …

Eine heiße Phase des Kalten Krieges

Kurz vor dem Auftritt hatte Kennedy noch einmal selbst Hand an das Manuskript seines verdienten Redenschreibers Ted Sorensen gelegt. Beide arbeiteten schon seit Jahren zusammen, hatten gemeinsam an der berühmten Antrittsrede Kennedys aus dem Januar 1961 gefeilt: »Fragen Sie nicht, was Ihr Land für Sie tun kann – fragen Sie, was Sie für Ihr Land tun können.« Auch für den Auftritt in Houston hatte Sorensen seinem Chef ein paar Sätze für die Ewigkeit aufgeschrieben. Es ging um einen ungeheuerlichen Vorschlag, den der charismatische Präsident ein gutes Jahr zuvor vor dem Kongress in Washington formuliert hatte: vor dem Ende des Jahrzehnts einen Menschen zur Oberfläche des Mondes und sicher wieder zurück zur Erde zu bringen.

Doch die amerikanische Öffentlichkeit zeigte sich wenig beeindruckt von solch kosmischen Visionen. In einer Meinungsumfrage des Gallup-Instituts sprachen sich nicht weniger als 58 Prozent der Befragten gegen die Mondpläne aus. Auch Kennedys republikanischer Vorgänger Dwight D. Eisenhower, der 1958 die National Aeronautics and Space Administration (NASA), die zivile US-Luft- und Raumfahrtbehörde, hatte gründen lassen, grollte: Es sei »einfach verrückt«, Milliardensummen in einen Flug zum Mond zu investieren. Vielerorts befürchtete man zudem, das zivile Raumfahrtprogramm binde zu viele Fachleute, die sich mitten im Kalten Krieg womöglich lieber mit militärischen Fragen befassen sollten.

Der Umstand, dass Raketen in der Tat nicht nur Satelliten oder Menschen transportieren können, sondern auch Atomsprengköpfe, war Kennedy bei seiner Rede in Houston unangenehm präsent. Beide Supermächte verfügten zu dieser Zeit nur über eine vergleichsweise kleine Zahl von Interkontinentalraketen, die Amerikaner hatten die Atlas, die Titan I und die Minuteman im Arsenal, die Sowjetunion die R-7 und die R-16. Mit diesen Waffen war es möglich, den jeweiligen Gegner vom eigenen Territorium aus nuklear zu bedrohen.

Doch noch viel gefährlicher als solche Raketen, die auf ihrem Weg ins Ziel um die halbe Welt fliegen müssten, war ein anderes Szenario: Geschosse mit kürzerer Reichweite, von der Gegenseite in einem befreundeten Land direkt außerhalb des Zielgebiets stationiert, könnten nach einem Flug von wenigen Minuten dort einschlagen. Sich vor solchen Massenvernichtungswaffen in Sicherheit zu bringen wäre wegen fehlender Vorwarnzeit nicht möglich gewesen. Gerade für die Amerikaner, deren Heimatterritorium von den bisherigen Kriegsschauplätzen des 20. Jahrhunderts stets weit entfernt gewesen war, stellte das eine neue, höchst unangenehme Realität dar.

Wenige Wochen vor Kennedys Mondrede hatte ein U-2-Aufklärungsflugzeug Ende August 1962 sowjetische Luftabwehrstellungen auf Kuba fotografiert. Und für John A. McCone, den Direktor des US-Auslandsgeheimdienstes CIA, machte die Stationierung solcher Waffen auf der kommunistisch geführten Karibikinsel nur in einem Szenario Sinn, wie er in einem Memo an den Präsidenten schrieb: Offenbar ging es darum, die Stationierung ballistischer Mittelstreckenraketen abzusichern, die Atombomben in große Teile des US-Territoriums bringen könnten.[1] Die Sowjets schienen damit auf die Verlegung amerikanischer Jupiter-Atomraketen nach Italien und in die Türkei zu antworten.

Und tatsächlich hatte der sowjetische Staats- und Parteichef Nikita Chruschtschow die Waffen aus genau diesem Grund nach Kuba bringen lassen. Es ging darum, Druck auf die USA auszuüben. Sein Land hatte rund zwei Jahre zuvor diplomatische Beziehungen zur kubanischen Revolutionsregierung von Fidel Castro aufgenommen.[2] Am Rande der UNO-Vollversammlung in New York hatten sich die beiden Männer im September 1960 im Hotel »Theresa« im Stadtteil Harlem erstmals persönlich getroffen, kurz nachdem der radikale US-Bürgerrechtler Malcolm X schon einmal bei Castro vorbeigeschaut hatte.[3] Es war ziemlich genau zu der Zeit, als die USA alle offiziellen Verbindungen nach Havanna abbrachen.[4]

Die Karibikinsel war ins sozialistische Lager gewechselt oder, wie Chruschtschow es ausdrückte, zum »Leuchtturm des Sozialismus in Lateinamerika« geworden.[5] Öffentlich bekannt war die Stationierung der sowjetischen Raketen, die vier Wochen später als »Kubakrise« die gesamte Welt in Atem halten würde, zum Zeitpunkt von Kennedys Rede in Houston allerdings noch nicht. Doch dem Präsidenten muss die Gefahr der sowjetischen »Operation Anadyr« durchaus klar gewesen sein, als er sich an die schwitzenden Menschen im Rice-Stadion wandte.

Aber Kennedy sprach nicht über Geopolitik, sondern über Entdeckerdrang. Er appellierte an den amerikanischen Pioniergeist, mit dem jetzt auch der Weltraum erobert werden solle. Die Zeit dafür sei reif, der Flug zum Mond dulde keinen Aufschub.

In den Tagen vor seiner Rede in Houston hatte Kennedy bereits die anderen Zentren des amerikanischen Raumfahrtprogramms besucht: Huntsville in Alabama, wo die Raketen entwickelt wurden, und Cape Canaveral in Florida, von wo sie starteten. Der weitläufige Weltraumbahnhof direkt am Atlantik würde nur eine Woche nach seiner Ermordung nach ihm benannt werden, am 29. November 1963, und trägt diesen Namen bis heute: Kennedy Space Center.[6] In Houston selbst sah sich der Präsident mit den Astronauten Scott Carpenter und John Glenn unter anderem ein Modell der Apollo-Raumkapsel an, mit der Amerikas Astronauten – irgendwann einmal, das hieß möglichst bald – zum Mond fliegen sollten. Aber wieso überhaupt dorthin? Das beantwortete der Präsident in seiner Rede praktischerweise gleich selbst – mit einer Reihe rhetorischer Fragen: »Aber warum, sagen manche, der Mond? Warum sollten wir dies als unser Ziel wählen? Und sie fragen sich vielleicht: Warum den höchsten Berg besteigen? Warum vor 35 Jahren über den Atlantik fliegen? Warum spielt Rice gegen Texas?«

Die Bemerkung über die beiden rivalisierenden Footballteams war es, die Kennedy vor der Rede noch handschriftlich ins Manuskript eingefügt hatte. Und eine weitere Abweichung vom ursprünglichen Text erlaubte sich der Präsident: Wenn die Astronauten vom Mond zurückkehrend durch die Erdatmosphäre sausten, so beschrieb er es den schwitzenden Zuhörern, würde ihre Kapsel halb so heiß werden wie die Sonne – »fast so heiß, wie es hier heute ist«.

Die Football-Referenz und der Verweis auf die texanische Hitze zogen die Zuhörer auf Kennedys Seite. Zum Mond fliegen, weil es eben getan werden muss, nicht irgendwann später, sondern jetzt – das war die Botschaft des Präsidenten. Wenn es einen Punkt gab, an dem das angebliche Weltraum-Wettrennen zwischen Amerikanern und Sowjets, das Space Race, begann – und eigentlich müssen alle Rennen ja an irgendeinem Punkt beginnen –, dann war es dieser 12. August 1962 in Houston.

»Wir haben gelobt, dass wir den Weltraum nicht mit Massenvernichtungswaffen, sondern mit Instrumenten des Wissens und der Erkenntnis gefüllt sehen wollen«, so der Präsident. »Doch die Gelübde dieser Nation können nur erfüllt werden, wenn wir mit dieser Nation die Ersten sind, und deshalb haben wir die Absicht, die Ersten zu sein.«

Ein Abo auf den zweiten Platz

Die Ersten sein – das klang gut. Aber, wenn wir ehrlich sind, nicht wirklich glaubwürdig. Kennedy wusste, dass er zu einer tief verunsicherten Öffentlichkeit sprach. Den Amerikanern war das Gefühl abhandengekommen, die Ersten zu sein. Schuld daran war eine lärmende Feuersäule, die an einem frühen Oktobermorgen fast fünf Jahre zuvor die Stille der weiten Steppe Kasachstans zerrissen hatte: Auf dem »Forschungs- und Versuchsgelände Nummer 5«, kurz NIIP-5, beim kleinen Örtchen Tjuratam hatten die Sowjets eine modifizierte R-7-Interkontinentalrakete gestartet. Später sollte der Startplatz, den die Amerikaner durch Flüge ihrer U-2-Höhenaufklärer gut kannten, unter dem Namen Baikonur weltbekannt werden.

In ihrer Spitze trug die Rakete eine gut 80 Kilogramm schwere Kugel aus Aluminiumblech. Sie war blank poliert und mit vier Antennen ausgestattet. Dieser Sputnik – das ist das russische Wort für »Begleiter« – würde die Erde als erster künstlicher Himmelskörper umkreisen, auf einer Bahn, die ihn mal bis auf 200 Kilometer an unseren Planeten heranführte, mal fast 1000 Kilometer von ihm weg.

Die Aufgabe des Fluggeräts war simpel: von der Überlegenheit des sowjetischen Gesellschaftssystems zu künden. Und das tat der Sputnik nach dem Start auch, mit regelmäßigen, piepsenden Funksignalen auf den Frequenzen 20,005 und 40,002 Megahertz. Der Spiegel schrieb damals: »Während Amerikas Mondwächter noch vergeblich in den Himmel starrten, um Sputnik zu orten, hatten Radio-Amateure in allen Teilen der Welt bereits die Piep-Signale des Satelliten-Senders auf dem 15-Meter-Band empfangen können.«[7]

Für die Amerikaner war der unangekündigte Satellitenstart geradezu traumatisierend. Das hatte weniger damit zu tun, dass ihr damaliger Präsident Eisenhower der Welt zuvor großspurig verkündet hatte, sein Land wolle im Rahmen des Internationalen Geophysikalischen Jahres 1957/58 künstliche Erdbegleiter zur Vermessung diverser wissenschaftlicher Phänomene starten – und nun einsehen musste, dass er dabei von Moskaus Ingenieuren geschlagen worden war.[8]

Vielmehr sorgte eine ausgesprochen unangenehme Erkenntnis für den sogenannten Sputnik-Schock: Die Sowjets verfügten inzwischen nicht nur über eine größere Menge an Atomwaffen – bis zum Start des piepsenden Satelliten hatte es allein rund 50 Tests gegeben –, sie konnten diese auch aus der Ferne auf amerikanisches Territorium schießen. Denn wer einen Satelliten um die Erde zu befördern vermag, der schafft dies auch mit einer Bombe. Das US-Magazin Time hob Nikita Chruschtschow als »Mann des Jahres« 1957 aufs Cover: auf dem Kopf, als Krone, den Kreml – und in den Händen den Sputnik.[9]

»Der Kalte Krieg war eine sehr reale Angelegenheit, und die Sorge vor einem nuklearen Schlagabtausch war sehr groß, und plötzlich hatte dieses Land, das unser Feind war, die Initiative ergriffen und einen Satelliten ins All geschossen, und das hatte enorme Auswirkungen«, so der spätere Apollo-8-Astronaut Frank Borman.[10]

»Es wird immer deutlicher, dass der Hauptzweck des Sputniks, des von den Sowjets gestarteten künstlichen Mondes, eher politischer als wissenschaftlicher Natur ist«, schwante es auch den Kommentatoren der New York Times. Zwar sei es »beruhigend«, dass Eisenhower erklärt habe, weder »der sowjetische Mond noch die sowjetische Raketenmaschinerie« bedrohe die nationale Sicherheit – es sei aber »zweifelhaft«, ob das Land mit dieser Einschätzung zufriedenzustellen sei.

Doch damit nicht genug. Die Demütigung der Amerikaner im All ging nach dem Sputnik einfach weiter. Am 12. April 1961, Kennedy war inzwischen ins Weiße Haus eingezogen, gelang es den Sowjets auch, den ersten Menschen in den Weltraum zu befördern – wieder von derselben Startrampe ihres riesigen Weltraumbahnhofs im Süden von Kasachstan. Der Bauernsohn Juri Gagarin, ein gelernter Gießereitechniker und Militärpilot, hob an Bord der Wostok 1, dabei handelte es sich im Prinzip um einen umgebauten Spionagesatelliten,[11] zu einer Erdumrundung ab.

Viel zu tun hatte der Raumflugpionier in seinem orangefarbenen SK1-Raumanzug während des 90-minütigen Fluges nicht. Ingenieure hatten die manuelle Steuerung der Kapsel sogar deaktiviert, weil sie fürchteten, dass ein weltraumkranker Gagarin am Steuerknüppel die Mission gefährden könnte. Wollte der Kosmonaut die Kontrolle trotzdem übernehmen, musste er eine sechsstellige Zahl eingeben, von der er nur drei Ziffern kannte – die anderen befanden sich in einem Umschlag, der nur beim Abreißen der Funkverbindung geöffnet werden durfte. Also kostete Gagarin stattdessen ein wenig von der mitgeführten Tubennahrung, schaute aus dem Fenster – und lobte die Anmut unseres Planeten: »Ich sehe die Erde! Ich sehe die Wolken, es ist bewundernswert, was für eine Schönheit!«

Was die Welt nicht wusste: Zwei der fünf Testflüge des neuen Raumschiffs waren zuvor vollständig oder zumindest teilweise schiefgegangen. Auch von den Problemen bei der Landung von Wostok 1 hörte die Öffentlichkeit nichts: Weil sich eine Gerätesektion nicht wie vorgesehen beim Wiedereintritt in die Atmosphäre abtrennen ließ, drehte sich die Kapsel gefährlich schnell um die eigene Achse. [12] Und noch ein weiterer Umstand wurde verschwiegen – nämlich dass Gagarin am Ende des Fluges gar nicht in seiner Wostok-Kapsel landete, sondern aus Sicherheitsgründen in sieben Kilometer Höhe mit dem Schleudersitz ausstieg und an einem Fallschirm zur Erde schwebte.[13]

Was die Öffentlichkeit stattdessen – in den Worten von Radio Moskau – hörte: »Das erste Raumschiff der Welt, Wostok, ist heute von der Sowjetunion aus mit einem Menschen an Bord in einen Orbit über der Erde gestartet worden. Der Kosmonautenpilot des Raumschiffs Wostok ist ein Bürger der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken, Fliegermajor Juri Alexejewitsch Gagarin.«

Es war ein Propagandasieg auf ganzer Linie. Und Kennedy? Der verschlief den historischen Moment. Im wahrsten Sinne des Wortes. Schon seit Tagen hatten die US-Geheimdienste von dem bevorstehenden Start in der Steppe geraunt. Dann fing ein Lauschposten der National Security Agency eine Übertragung von Bildern aus dem Weltraum ab, die eigentlich nur für die sowjetische Bodenstation gedacht war. Die Aufnahmen zeigten Gagarin während seines Fluges in der Kapsel. Doch da lag Kennedy gerade im Bett – und hatte zuvor Anweisung geben, dass er unter keinen Umständen geweckt werden wolle.[14] Am nächsten Morgen musste er sich daher eine Antwort auf die erneute Demütigung überlegen.

Was besonders peinlich war: Kennedy war nicht der Einzige, der Gagarins Flug verschnarcht hatte. Als legendär gilt die Reaktion des NASA-Pressesprechers John »Shorty« Powers, als ihn ein Journalist der Nachrichtenagentur United Press International auf der Langley Air Force Base im Bundesstaat Virginia mit der Bitte um ein Statement anrief. Es war halb fünf Uhr morgens, also bellte Powers ins Telefon: »Wenn du etwas von uns willst, du Trottel, ist die Antwort, dass wir alle schlafen.«[15] Die aus dem »Gespräch« resultierenden Überschriften kann man sich vorstellen: »Sowjets bringen Mann ins All. Sprecher sagt, die USA schlafen.«[16]

Bei ihren eigenen Bemühungen hatten die Amerikaner nicht viel vorzuweisen. In ihrem noch unter der Präsidentschaft Eisenhowers gestarteten Mercury-Raumfahrtprogramm werkelten sie immerhin schon an winzigen Astronautenkapseln aus Aluminium und Fiberglas, die so eng waren, dass man scherzte, sie würden weniger bestiegen, sondern vielmehr angezogen. Auch eine Gruppe von sieben Raumfahrern, die Mercury Seven, war aus 110 Kandidaten ausgewählt worden. Und dass Militär-Testpilot Alan Shepard der erste von ihnen war, der die Chance zum Flug bekommen würde, stand intern ebenfalls schon fest. Doch öffentlich gemacht hatte man diese Entscheidung noch nicht. Es ging ohnehin nur um eine suborbitale Mission, einen bogenförmigen Flug. Eine Umkreisung der Erde war nicht vorgesehen.

Helfer mit brauner Vergangenheit

Ein geradezu desaströses Bild gaben die amerikanischen Raketen bei den Testflügen ab. Für das Mercury-Programm waren zwei verschiedene Raketen der Typen Atlas und Redstone vorgesehen. Letztere basierte auf der Technik der deutschen A4 (Aggregat 4), auch bekannt als V2 (Vergeltungswaffe 2). Mitentwickelt hatten sie deutsche Raketentechniker um Walter Dornberger und Wernher von Braun, Männer mit finsterer Biografie: Dornberger hatte ab 1936 als Leiter der Raketenabteilung des längst von den Nationalsozialisten dominierten Heereswaffenamtes fungiert und war ab 1943, inzwischen zum Generalmajor befördert, Kommandeur der Heeresversuchsanstalt Peenemünde auf der Ostseeinsel Usedom geworden. Von Braun wiederum war dort ab 1937 technischer Direktor gewesen.

In Peenemünde ließen die Nazis Raketen testen und teilweise auch bauen. Bei einem Start von dort aus erreichte eine A4 im Oktober 1942 als erstes von Menschen konstruiertes Objekt die Grenze zum All. Deswegen gilt Peenemünde als Tor zum Weltraum – vor allem aber war es ein Ort des Krieges und des Grauens:[17] Bei der Produktion der Waffen, die nach britischen Luftangriffen in einen riesigen unterirdischen Komplex im Harz verlegt wurde, starben viele Tausend KZ-Häftlinge.[18] Die Großrakete der Nazis gilt als einzige Waffe der Welt, bei deren Herstellung mehr Menschen zu Tode kamen als durch ihren Einsatz.[19]SS-Sturmbannführer[20] von Braun musste gewusst haben, dass die Raketen von Häftlingen gebaut wurden. Später behauptete er jedoch, nie Misshandlungen oder auch nur einen Toten gesehen zu haben.

Kurz vor Kriegsende flohen von Braun und seine Leute gezielt in amerikanische Gefangenschaft. »Mein Land hat zwei Weltkriege verloren. Diesmal möchte ich auf der Seite der Sieger sein«, soll sein Credo gewesen sein.[21] Von Braun half der US-Armee, sich Zugriff auf zahllose Entwicklungsdokumente und auch bereits fertig gebaute Raketen zu verschaffen. Im Rahmen der »Operation Overcast« und später der »Operation Paperclip« rekrutierten die Amerikaner die deutschen Experten und brachten sie in die USA. Und auch die Sowjets sicherten sich den Zugriff auf deutsche Raketenexperten, allerdings eher auf die aus der zweiten Reihe.

Doch was war mit den blutigen Verstrickungen der deutschen Fachleute? In der Sowjetunion wurde darüber öffentlich nie geredet. Und in den USA war man offenkundig auch froh, möglichst viel Fachpersonal für die Entwicklung der eigenen Raketen zur Verfügung zu haben. Auf moralische Fragen verzichtete man, zumindest lange Zeit. Bestenfalls Satiriker spotteten darüber, so wie Tom Lehrer,[22] der auch Songschreiber und Mathematiker war, in einem Lied: »Wenn die Raketen erst oben sind, wen kümmert es, wo sie herunterkommen. ›Dafür bin ich nicht zuständig‹, sagt Wernher von Braun.«

In den USA testete das Militär gleich nach dem Krieg mithilfe der Deutschen einige mitgebrachte A4-Raketen in White Sands, im Bundesstaat New Mexico. Anschließend arbeiteten von Braun und seine Leute im Redstone Arsenal in Huntsville (Bundesstaat Alabama) an Redstone- und Jupiter-Mittelstreckenraketen, also wieder an Waffen, die sich dieses Mal sogar atomar bestücken ließen. Die Fluggeräte wurden aber auch für das US-Raumfahrtprogramm verwendet.

Zu dessen Gesicht wurde von Braun dank seines Organisations- und Kommunikationstalents binnen kurzer Zeit. Unter anderem produzierte er ab 1955 eine Fernsehserie mit Walt Disney. Es war das Jahr, in dem der ehemalige Nationalsozialist auch offiziell Amerikaner wurde. Den US-Einwanderungsbestimmungen folgend, war er dafür noch einmal ganz offiziell in die Vereinigten Staaten eingereist – per Straßenbahn aus Mexiko.[23]

Amerikas Antwort: Auf zum Mond!

Von Brauns Fernsehauftritte begeisterten Millionen Menschen für das All. Er veröffentlichte populärwissenschaftliche Artikel und Bücher, im Februar 1958 war er gar als visionärer »Missileman« auf dem Titel des Time-Magazins zu sehen.[24] In der Realität waren die Ergebnisse des Raketenprogramms aber zunächst ein Desaster: Der erste Test einer Atlas-Rakete am 29. Juli 1960 endete mit deren Sprengung nach weniger als einer Minute Flugzeit. Sie war dabei, in 13 Kilometern Höhe auseinanderzubrechen, und musste deswegen unschädlich gemacht werden. Noch nicht einmal so weit brachte es die für das Programm vorgesehene Variante der Redstone-Rakete: Bei ihrem ersten Start vier Monate später erreichte sie nur eine Höhe von zehn Zentimetern über dem Startplatz, bevor sie darauf zurücksackte. Zehn Zentimeter.

Was auch zur Wahrheit gehört: Die Sowjets hatten ebenfalls ihre Katastrophen, nur erfuhr die Welt davon normalerweise nichts – ein Umstand, den auch Kennedy bei seiner Rede in Houston anklingen ließ. Moskau hatte eine clevere Kommunikationsstrategie: Keine Mission wurde vorab angekündigt, präsentiert wurden anschließend nur Erfolge. Fehlschläge verschwieg man der Welt so konsequent wie möglich.

So starb im März 1961 ein Kosmonauten-Anwärter durch einen Brand in der Druckkabine des Moskauer Instituts für Luft- und Raumfahrtmedizin. In der Atmosphäre aus reinem Sauerstoff hatte Walentin Bondarenko keine Chance gegen die Flammen – ein Szenario, das die Amerikaner 1967 ebenfalls erleben sollten, als die drei Apollo-Astronauten Edward White, Virgil »Gus« Grissom und Roger Chaffee bei einem vergleichbaren Trainingsunfall in Florida ums Leben kamen. Vom tödlichen Zwischenfall in den USA erfuhr die Welt, das Unglück von Moskau wurde ein Vierteljahrhundert lang[25] totgeschwiegen.

Ein noch viel dramatischerer Zwischenfall auf sowjetischer Seite ereignete sich am 24. Oktober 1960, die sogenannte Nedelin-Katastrophe. Dabei explodierte in Baikonur eine militärische R-16-Interkontinentalrakete wegen Schlampereien bei den Startvorbereitungen, mindestens 126 Menschen kamen ums Leben. Unter den Opfern war auch der Chef der sowjetischen strategischen Raketentruppen, Mitrofan Nedelin. Um Sicherheitsbedenken seiner Untergebenen zu zerstreuen, hatte er sich zuvor auf einen Stuhl nur acht Meter neben die Rakete gesetzt. Es heißt, von Nedelin seien nur eine Schulterklappe seiner Uniform und ein geschmolzener Orden »Held der Sowjetunion« übrig geblieben. Offiziell starb der Marschall bei einem Flugzeugabsturz.[26]

Aber kehren wir zurück zu den Amerikanern. Ein paar Tiere hatten sie vor Gagarins Flug immerhin schon ins All geschossen, so etwa die Rhesusaffen Miss Able, Miss Baker, Sam und Miss Sam. Am 31. Januar 1961 startete schließlich auch ein Schimpanse zu einem wenige Minuten kurzen Suborbitalflug. Vor dem Start hieß er nur »Nummer 65«. Später wurde er als »Ham« bekannt,[27] nach dem abgekürzten Namen des Holloman Aerospace Medical Center, wo er auf seinen Flug vorbereitet worden war. Für seinen Einsatz wurde das Tier mit einem Apfel und einer Banane belohnt.

All diese Missionen dienten der systematischen Vorbereitung eines bemannten Fluges, aber sie produzierten eher Schlagzeilen für die »Vermischtes«-Seiten der Zeitungen, nicht für die Titelblätter. Die Sowjets hatten Gagarin, einen telegenen Helden, der im Namen des Kommunismus die Welt einmal komplett umrundet und zu ihren Bewohnern aus dem All gesprochen hatte. Und die Amerikaner? Die hatten einen Schimpansen mit sechs Minuten Weltraumerfahrung, der sich nach seinem NASA-Engagement im Zoo von Washington erholen durfte.[28]

Als Gagarin die Welt umrundete, war Kennedy erst wenige Monate im Amt – und kurz davor, sich mit der missglückten Invasion in der Schweinebucht auf Kuba international zu desavouieren, deren Planung zwar bereits vor seiner Amtszeit begonnen hatte, von ihm aber nicht gestoppt worden war. Also sann der Präsident auf Erfolge im All, wohl nicht aus intrinsischer Raumfahrtbegeisterung, sondern eher aus politischem Opportunismus.

Kennedy verfasste ein Memo an seinen Stellvertreter Lyndon B. Johnson, der auch dem National Aeronautics and Space Council vorsaß. Es ging darum, mit Experten mehrere Vorschläge durchzuspielen: den Start einer Raumstation in den Erdorbit, eine bemannte Mondumrundung, wie sie das Apollo-Projekt der NASA zu diesem Zeitpunkt vorsah, oder eine Landung auf dem Mond. Und dann war da noch diese eine Frage: ob man »24 Stunden am Tag« an bestehenden Raumfahrtprogrammen arbeite – und »wenn nicht, warum nicht?«[29]

Die USA auf dem zweiten Platz zu sehen behagte dem US-Präsidenten sichtlich nicht. Was aber dagegen tun? Aus Sicht des NASA-Chefs James E. Webb gab es unter Kennedys drei Optionen nur eine wirklich Erfolg versprechende. Nur bei ihr riskierte man nicht, ein weiteres Mal von den Sowjets abgehängt zu werden: die Mondlandung. Das war allerdings auch mit Abstand die teuerste Variante.

In einem Brief an den Vizepräsidenten machte sich auch von Braun für die Mondlandung stark: Es gebe »exzellente Chancen«, die Sowjets dabei zu schlagen. Man verfüge zwar nicht über die dafür nötige Rakete – die Gegenseite aber eben auch nicht. Mit mindestens einer Milliarde Dollar im kommenden Haushaltsjahr – und vielleicht doppelt so viel in dem darauf – könne man sich aber an die Arbeit machen.

NASA-Chef Webb und Verteidigungsminister Robert McNamara entwarfen im Mai 1961 in einem Memo an Kennedy die Grundzüge des Mondprogramms.[30] Darin hieß es, auch die Sowjets arbeiteten an der Mondlandung und hätten womöglich ein Jahr Vorsprung. Heute weiß man, dass das nicht ansatzweise stimmte. Ob Webb und McNamara das auch wussten? Wenn ja, ließen sie sich das nicht anmerken. Sie erklärten, selbst wenn Moskaus Männer als Erste den Mond erreichten, »und manche glauben, dass sie das tun werden«, dann sei es für die Amerikaner immer noch besser, als Zweite dort anzukommen, als gar nicht dabei zu sein.

Von den Sowjets deklassiert zu werden, diese Rolle kannte man in Washington zur Genüge. Gerade hatte Alan Shepard seinen lang vorbereiteten Flug absolviert, doch war er als erster Amerikaner eben nur der zweite Mensch im All. Zumal seine Kapsel Freedom 7 am 5. Mai 1961 nur einen 15 Minuten kurzen suborbitalen Hüpfer gemacht hatte. Um die Erdumlaufbahn zu erreichen, waren die Triebwerke der Redstone-Rakete zu schwach.

Und in solch einer Situation wollte Kennedy nun zum Mond? In der Tat. Bei einer Rede vor den beiden Kammern des Kongresses am 25. Mai 1961 präsentierte er seinen Plan erstmals: »Ich glaube, dass sich diese Nation dem Ziel verschreiben sollte, noch in diesem Jahrzehnt einen Menschen auf dem Mond zu landen und ihn sicher zur Erde zurückzubringen.« Kein einziges Weltraumprojekt dieser Dekade, so der Präsident, würde »die Menschheit mehr beeindrucken oder für die langfristige Erforschung des Weltraums wichtiger sein; und keines wird so schwierig oder teuer zu verwirklichen sein«.[31]

Doch dieser Ansprache fehlte noch die Poesie von Kennedys späterer Rice-Rede. »Es war keine schöne, blumige Rhetorik. Es war eine politische Standardrede«, so Douglas Brinkley, ein Professor der Rice University, der ein Buch über Kennedy und den Wettlauf im All geschrieben hat. »Es gab keine Magie.«[32]

Sein Plan sei ein Kraftakt für das ganze Land, erklärte Kennedy vor dem Kongress. Nicht ein Mann sei es, der da zum Mond fliegen solle, es werde »eine ganze Nation« sein – »denn wir alle müssen daran arbeiten, ihn dorthin zu bringen«. Schon acht Jahre später würde es tatsächlich so weit sein. Bis dahin würde Amerika etwa 25 Milliarden Dollar – mehr als 200 Milliarden Dollar nach heutigem Wert – ausgegeben haben.

Wie hatte es Kennedy im wichtigsten Passus seiner Rede in Houston treffend formuliert: »Wir entscheiden uns, in diesem Jahrzehnt zum Mond zu fliegen und die anderen Dinge zu tun, nicht weil sie einfach sind, sondern weil sie schwierig sind.« Was der Präsident mit »den anderen Dingen« meinte? Wir wissen es leider nicht.

Lunare Grüße aus Moskau

Kennedys Rhetorik hin oder her: Es waren vor allem die Sowjets, die sich Jahr um Jahr um die »anderen Dinge« im All gekümmert hatten. Mit dem Sputnik (1957), den Flügen von Gagarin (1961) und von Walentina Tereschkowa als erster Frau (1963), mit dem ersten Teamflug einer Dreiercrew (1964) und dem ersten Weltraumausstieg von Alexei Leonow (1965) glückte dem Land eine Kosmospremiere nach der anderen. Ein ums andere Mal mussten sich die Amerikaner geschlagen geben.

Mit unbemannten Sonden kamen die Sowjets ihnen auch am Mond zuvor: Schon im Januar 1959 starteten sie vom Kosmodrom Baikonur ihre Sonde Luna 1. Das kugelförmige Fluggerät aus einer Aluminium-Magnesium-Legierung sollte eigentlich auf dem Erdtrabanten einschlagen, verfehlte ihn allerdings wegen eines verspäteten Steuerkommandos um etwa 6000 Kilometer.[33] Dennoch handelte es sich um den ersten Flugkörper, der das Schwerefeld der Erde verließ.

Und dann der Vorbeiflug am Mond! »Es war zweifellos die größte Errungenschaft des Raumfahrtzeitalters, und ihre psychologischen Auswirkungen auf die Welt waren tiefgreifend«, schrieb die New York Times.[34] Die Sowjets hatten das eigentliche Ziel der Sonde, die harte Landung auf dem Mond, nicht verraten. So konnten sie im Anschluss verbreiten, dass der Vorbeiflug genau der Plan für diese Mission gewesen sei.[35] Sogar eine Luna-1-Briefmarke gaben sie stolz heraus.[36] Schon für den Flug hatte man sich in Moskau ein beeindruckendes Schauspiel ausgedacht: Die dritte Stufe der verwendeten Rakete hatte ein Kilogramm Natrium an Bord. Dieses wurde auf dem Weg zum Mond, in 113 000 Kilometern[37] Abstand zur Erde ausgestoßen. Die Partikel sorgten, vom Sonnenwind angeregt, für eine orangefarbene Leuchterscheinung, die von der Erde aus im Bereich des Indischen Ozeans als »künstlicher Komet«[38] beobachtet werden konnte. Bis heute zieht Luna 1 übrigens eine Bahn um die Sonne, die zwischen Erde und Mars liegt. Objekte in solchen Umlaufbahnen haben das Potenzial, Millionen von Jahren dort zu verbleiben.[39]

Die Warnung der New York Times war eindringlich: »Wenn das sozialistische System in der Lage ist, das kapitalistische System in den erstaunlichen Feinheiten der Entwicklung von Weltraumraketen zu übertreffen, dann kann man aus Sicht der Verantwortlichen sicher davon ausgehen, dass es den kapitalistischen Westen in allen anderen Bereichen der irdischen Existenz einholen und schließlich übertreffen wird.«[40]

Wenige Monate nach dieser Mission hatten Moskaus Experten sogar einen noch größeren Erfolg vorzuweisen: Am 13. September 1959 schlug die Sonde Luna 2 als erstes menschengemachtes Objekt hart auf der Mondoberfläche auf. Mit rund 12 000 Kilometern pro Stunde krachte sie in einen Bereich des Mare Imbrium, der später Sinus Lunicus, lateinisch für Luna-Bucht, genannt wurde. Vor der Landung stieß sie Metallstücke mit sowjetischen Insignien aus.

Während Luna 1 und 2 noch keine Kameras an Bord hatten, lieferte die nächste Mission der Sowjets dann nicht nur das erste Foto aus der Nähe des Mondes. Es handelte sich sogar um die erste Aufnahme von seiner erdabgewandten Seite überhaupt. Dass diese nicht von uns aus zu sehen ist, hat damit zu tun, dass der Mond die Erde in einer sogenannten gebundenen Rotation umkreist: Er zeigt uns immer dieselbe Seite. Wer wissen will, wie es auf der anderen aussieht, muss also hinfliegen.

Fotos dieser bis dahin ungesehenen Landschaft schoss nun Luna 3. An Bord der Sonde wurde der belichtete Film entwickelt, getrocknet, gescannt – und dann per Funk zur Erde geschickt. Obwohl die Bilder qualitativ eher bescheiden waren, ergab sich doch eine bemerkenswerte Erkenntnis: Die erdabgewandte Seite sieht ganz anders aus als die, die wir Menschen am Nachthimmel bewundern können. So gibt es deutlich mehr Krater und eine insgesamt hellere Oberfläche, weil mehr Hochländer und weniger dunkle Tiefebenen, die sogenannten Maria, das Bild prägen. Das heißt auch: Die Rückseite des Mondes ist definitiv nicht seine dunkle Seite, ganz im Gegenteil. Egal, was Pink Floyd auf ihrem millionenfach verkauften Album von 1973 über die »Dark Side of the Moon« behaupteten.

Interessant ist ein angebliches Detail zum Film, der für die historischen Fotos von Luna 3 verwendet wurde. Sollte es tatsächlich stimmen, zeigt es exemplarisch, wie irrwitzig die Beziehung der beiden Supermächte im Kalten Krieg war: Der von den Sowjets verwendete Film soll nämlich aus US-Produktion stammen. Es heißt, Moskau sei durch den Abschuss von hoch fliegenden amerikanischen Spionageballons an das Material gekommen und habe dieses eingehend untersucht. Der Film habe in Bezug auf die Temperaturtoleranz und Strahlungsfestigkeit deutlich besser abgeschnitten als die sowjetischen Fabrikate und sei deswegen für die Mondaufnahmen verwendet worden.[41]

Nach Luna 3 folgten im sowjetischen – und zeitgleich übrigens auch im unbemannten amerikanischen – Mondprogramm eine Reihe von mehr oder weniger klaren Fehlschlägen. Im Kreml war Nikita Chruschtschow im Oktober 1964 von Leonid Breschnew als sowjetischer Staats- und Parteichef abgelöst worden. Dessen Begeisterung für die Raumfahrt galt als überschaubar. Angeblich ließ er durchblicken, dass der nächste Versuch einer weichen Landung eines Forschungsroboters auf dem Mond glücken müsse – oder dem Programm werde das Geld gestrichen.

Und tatsächlich gelang Luna 9 das Kunststück am 3. Februar 1966: Im zwölften Anlauf waren die Sowjets mit einer Sonde weich auf dem Mond gelandet. Ein weiteres Mal hatten sie die Amerikaner im Weltall geschlagen.[42] Genau genommen war es auch das letzte Mal.

Niemand wusste, wie die Landestelle der Sonde aussehen würde, ob Krater oder Gesteinsbrocken für ein Scheitern in letzter Minute sorgten – oder ob das Fluggerät bei der Ankunft gar wie in einer Art Treibsand in metertiefem Staub versinken würde. Doch Luna 9 absolvierte nicht nur einen ordnungsgemäßen Flug von der Erde zum Mond, ihre Bremsraketen arbeiteten auch nach Plan. Die letzte Wucht des Anflugs, etwa 20 Kilometer pro Stunde,[43] wurde mit einem Airbag abgefedert. Es zeigte sich, dass die Staubschicht nur dünn war. Damit war erwiesen, dass auf dem Mond auch schwerere Raumschiffe landen und später auch wieder abheben konnten. Auch mit Menschen an Bord.

Luna 9 lieferte nicht nur die erste Messung des Sonnenwindes von der Mondoberfläche, sie schickte auch Schwarz-Weiß-Fotos ihrer Landestelle im Oceanus Procellarum, dem Meer der Stürme. Wer die Aufnahmen sah, hatte das Gefühl, auf dem Mond zu stehen, in dieser von kleinen Kratern durchzogenen weiß-grauen Ödnis unter schwarzem Himmel, in einer vollständig toten Welt.

Interessant war, dass nicht die Sowjets die Bilder als Erste veröffentlichten.[44] Am britischen Jodrell Bank Observatory südlich von Manchester hatte man den Flug von Luna 9 – wie auch den von früheren sowjetischen Sonden – aufmerksam verfolgt. Dabei stellten die Fachleute fest, dass die Signale von der Mondoberfläche dem Radiofax-Standard entsprachen, einem internationalen Protokoll zur Übertragung von Zeitungsfotos. Aus der Redaktion des Daily Express wurde eilig ein Empfangsgerät zum Teleskop geschafft, mit dem die Bilder decodiert wurden. So gelangten die Aufnahmen vor der offiziellen sowjetischen Bekanntgabe in die Öffentlichkeit. Moskau war nicht amüsiert.[45]

Für den Westen schienen die Bilder von Luna 9 aber immerhin zu beweisen, zu welchen Leistungen die Russen auch auf dem Mond fähig waren. Der Direktor des Jodrell-Bank-Teleskops, Bernard Lovell, nannte die Landung einen »historischen Moment« und »die letzte Errungenschaft«, die für eine bemannte Landung auf dem Mond nötig sei.[46]

Wobei auch die Amerikaner bei ihrem unbemannten Mondprogramm Schritt für Schritt vorankamen, trotz vieler Fehlschläge. Ihre Sonde Pioneer 4 flog im Januar 1959, also nur zwei Monate nach der sowjetischen Luna 1, erstmals am Mond vorbei. Die Sonde Ranger 4 erreichte im April 1962 als erstes US-Fluggerät seine Rückseite, allerdings war sie bereits kurz nach dem Start ausgefallen, wohl wegen eines defekten Timers im Hauptcomputer.[47] Besser liefen die Missionen Ranger 7 (1964) sowie Ranger 8 und 9 (beide 1965). All diese Sonden schickten vor ihrem Aufschlag auf dem Mond Tausende Fotos der immer näher kommenden Oberfläche. Zum Teil wurden die Aufnahmen live im US-Fernsehen gezeigt.[48]

Die NASA hatte geliefert: Ihre Bilder des Mondes waren viel detailreicher als alles, was bis dahin von der Erde aus zu sehen gewesen war. Interessanterweise stellte sich heraus, etwas flapsig gesprochen, dass der Mond aus großer Entfernung ziemlich genau so aussah wie aus großer Nähe: Da die Oberfläche von so vielen Kratern aller Größenklassen übersät ist, ähnelten Fotos aus der Distanz denen kurz vor dem Einschlag auf verblüffende Weise.[49]

Weiche Landungen auf dem Mond gelangen dann in den Jahren zwischen 1966 und 1968 gleich fünf Sonden[50] des nun folgenden Surveyor-Programms der Amerikaner. Spannend war, dass dafür auch unterwegs Manöver zur Kurskorrektur durchgeführt wurden, eine weitere wichtige Fähigkeit für astronautische Flüge. Natürlich lag man streng genommen noch immer hinter den Sowjets. So setzte Surveyor 1 Anfang Juni 1966 rund sechs Wochen nach der sowjetischen Luna 9 im Oceanus Procellarum auf. Und doch waren die meisten Missionen ein Erfolg: Die Sonden sendeten wochen-, teils monatelang Tausende Fotos von der Mondoberfläche. Staub- und Gesteinsmaterial wurde mit Schaufeln und einem Bohrer analysiert.

Die Amerikaner bestätigten die Ergebnisse der sowjetischen Luna 9: Auch schwerere Landefähren sollten mit der Mondoberfläche keine Probleme haben. »Mit ihrem Schürfgerät erkundeten die automatischen Spione, dass die Fußspur eines Astronauten sich im Mondboden nicht tiefer einprägen wird als irdischem Sandstrand«, hieß es dazu im Spiegel.[51] Der Bericht zitiert auch Sheldon Shallon, den Chefkonstrukteur der Surveyor-Sonden. »Als Symbol für das, was man nur erträumen, aber nicht erreichen kann«, so der Mitarbeiter der Weltraumfirma Hughes Aircraft Company, habe der Mond »nun ausgedient«. Eine Mondlandung bis zum Ende des Jahrzehnts, wie Kennedy sie vorgegeben hatte, lag in der Tat in greifbarer Nähe.

Interessantes Detail: Shallon hatte ohne Rücksprache mit seinen Vorgesetzten oder der NASA eine kleine US-Flagge an Bord der Sonde geschmuggelt.[52] Für 23 Cent hatte er sie in einem Drogeriemarkt in Los Angeles gekauft und anschließend, penibel gesäubert, im Inneren eines hohlen Verstrebungsrohrs versteckt. So gelangten die Stars and Stripes mit Surveyor 1 erstmals auf den Mond.

Bei den Verantwortlichen im US-Raumfahrtprogramm kam das allerdings nicht gut an. Zu dieser Zeit standen bei den Vereinten Nationen die Verhandlungen für den Weltraumvertrag kurz vor dem Abschluss. In Artikel 2 dieses ab Januar 1967 zur Unterschrift aufgelegten Vertrages heißt es: »Der Weltraum einschließlich des Mondes und anderer Himmelskörper unterliegt keiner nationalen Aneignung durch Beanspruchung der Hoheitsgewalt, durch Benutzung oder Okkupation oder durch andere Mittel.«[53] Insofern war jeder Eindruck problematisch, die Vereinigten Staaten würden in irgendeiner Form Anspruch auf den Mond erheben. Auch vor den bemannten Apollo-Landungen wurde in der US-Administration noch darüber debattiert, unter welcher Flagge sie stattfinden sollten. Am Ende entschied man sich für die US-Fahne, machte aber klar, dass es sich um eine Geste nationalen Stolzes handelte – und nicht um territoriale Aneignung.[54]

Insgesamt wurden bei den Apollo-Missionen dann sechs US-Fahnen auf der Mondoberfläche hinterlassen. Weil die NASA irdische Standardmodelle zum Stückpreis von 5,50 Dollar aus einem Regierungskatalog wählte, bestanden diese aus normalem Stoff. Fachleute gehen daher davon aus, dass sie durch die Effekte kosmischer Strahlung längs zu einem mehr oder weniger reinen Weiß ausgeblichen sind.[55] Nachgesehen hat bisher niemand. Die Bilder selbst aktueller Mondsonden sind bei Weitem nicht scharf genug, um diese Frage zu klären. Und Teleskope auf der Erde können Objekte auf der Mondoberfläche gleich gar nicht sehen.[56] Es dürfte aber nicht unwahrscheinlich sein, dass die im Gestänge von Surveyor 1 versteckte Miniflagge als einzige der US-Fahnen heutzutage überhaupt noch erkennbar wäre, wenn man sie aus ihrer Umhüllung befreien könnte.

Apollo – Ein attraktiver Name

Mit dem unbemannten Surveyor-Programm bereitete die NASA ihre kommenden astronautischen Apollo-Missionen vor. Ein Teil der Landeplätze war so ausgewählt worden, dass geplante Ziele für die Astronauten schon einmal aus der Nähe überprüft werden konnten. Denn parallel zum Sondenprogramm liefen die Vorbereitungen für die bemannten Apollo-Flüge.

Dass das Mondprogramm der NASA nach Apollo, dem griechischen Gott der Sonne, Heilkunst, Weissagung, Dichtkunst, Musik und Bogenschützen, benannt werden sollte, war eine Idee des Raumfahrtmanagers Abe Silverstein. Der Ingenieur war schon seit 1929 beim NASA-Vorläufer NACA (National Advisory Committee for Aeronautics) angestellt gewesen und hatte sich dort um die für die Verbesserung von Kampfflugzeugen nötigen Windkanäle gekümmert. Nach dem Krieg wurde Silverstein zu einer einflussreichen Figur des US-Raumfahrtprogramms. Im Jahr 1959 leitete er ein Regierungskomitee, das der neu gegründeten Raumfahrtbehörde Empfehlungen für zukünftige Raketen zukommen lassen sollte. Deren Name stand bereits fest: Saturn – das hatte im Jahr zuvor Wernher von Braun durchgesetzt.[57] Das Silverstein-Committee machte zahlreiche Vorschläge, aus denen durch Weiterentwicklungen unter anderem die gigantische Saturn-V-Mondrakete entstand, mit der wir uns in Kapitel 3 im Detail beschäftigen werden.

Silverstein hatte bereits dem Mercury-Programm zu seinem Namen verholfen, bei dem Amerika seine ersten astronautischen Erfahrungen im All gemacht hatte. Nun schlug er also »Apollo« für das Mondprogramm vor. Wie er ausgerechnet darauf gekommen sei, wurde Silverstein später einmal gefragt. Seine Antwort: Es gebe keinen besonderen Grund. »Es war einfach ein attraktiver Name.«[58]

Damals, im Sommer 1960, gab es Kennedys ambitioniertes Programm für die Mondlandung noch gar nicht. Stattdessen stellte man sich bei der Raumfahrtbehörde Vorbeiflüge am Erdtrabanten vor – schon das war zu diesem Zeitpunkt ein sehr fernes Ziel. Doch nach Gagarins erfolgreichem Flug wurden die Prioritäten bei den Amerikanern wie erwähnt neu justiert.

Kennedy konnte allerdings nicht mehr erleben, wie seine Vision der Mondlandung Wirklichkeit wurde. Bekanntermaßen starb der 35. Präsident der Vereinigten Staaten am 22. November 1963 in Dallas. Drei Schüsse, so jedenfalls die gängigste Version der Ereignisse, hatte der Attentäter Lee Harvey Oswald aus dem sechsten Stock des Texas School Book Depository an der Dealey Plaza abgefeuert. Zwei davon trafen Kennedy tödlich.

Beim Fernsehsender CBS unterbrach man Minuten nach den Schüssen die Ausstrahlung der Seifenoper As the World Turns.[59] Hauptnachrichtensprecher Walter Cronkite verlas die Meldungen von United Press International. Zunächst war dabei nur seine Stimme zu hören, weil die Studiotechnik noch Zeit zum Aufwärmen brauchte. Schließlich war der Anchorman dann auch zu sehen, in weißem Hemd und schwarzem Schlips. Er setzte seine Brille ab und kämpfte mit den Tränen.

Der Rest ist Geschichte.

Nach Kennedys Tod rückte der bisherige Vizepräsident Lyndon B. Johnson, ein Texaner, zur neuen Nummer eins im Staate auf. Noch auf dem Flughafen Dallas Love Field wurde er an Bord der Air Force One als neuer Staatschef vereidigt. Für das offizielle Foto in der stickigen und überfüllten Flugzeugkabine wurde Witwe Jackie Kennedy so postiert, dass sie sich leicht nach rechts von der Kamera abwandte – damit die Flecken vom Blut ihres getöteten Mannes auf ihrem pinken Chanel-Kostüm[60] nicht zu sehen waren. Dann hob die Boeing VC-137C in Richtung der Andrews Air Force Base vor den Toren Washingtons ab, von wo aus Kennedys Leichnam zur Obduktion ins Bethesda Naval Hospital gebracht wurde.

Johnson kannte das Mondprogramm gut. Während der Eisenhower-Präsidentschaft war er im Jahr 1958 als Mehrheitsführer der Demokraten im Senat einer der entscheidenden Akteure bei der Gründung der zivilen Raumfahrtbehörde gewesen. Nach dem Sputnik-Schock hatte er eine insgesamt sechs Wochen lange Anhörung zur Frage organisiert, wie die Sowjets Amerika beim Wettlauf ins All hatten demütigen können.[61] Das Ergebnis war der überparteilich ausgehandelte »National Aeronautics and Space Act«, der die Einrichtung der NASA festschrieb.[62]

Im Anschluss an den Wahlsieg der Demokraten wurde Johnson 1961 mit der Leitung des National Aeronautics and Space Council betraut[63] und machte sich in der Regierung für zusätzliche Finanzmittel für die Mondflüge stark.[64] Und auch nach Kennedys Tod behielt Johnson das Ziel der schnellen Mondlandung bei. Das war nicht selbstverständlich, verlangten doch zahlreiche nationale Programme nach Geld, um wieder Frieden in die von Rassenkonflikten tief gespaltene US-Gesellschaft zu bringen. Außerdem waren Milliarden aus dem Staatshaushalt für den Krieg in Vietnam nötig.