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Um Weihnachten 1948 befasste sich Thomas Mann mit diesem Artikel, etwas »widerwillig«, wie er im Tagebuch vermerkte, dafür immerhin »mit Hilfe älteren Stoffs«. Er antwortet auf einen Brief des Literaturwissenschaftlers Jisaburu Hirata, den dieser im April desselben Jahres in Kindai bungaku veröffentlicht hatte. Darin äußert er Verständnis für Manns Entscheidung, nach dem Krieg nicht nach Deutschland zurückzukehren (vgl. ›Brief nach Deutschland‹, 1945) und scheint sich über die Haltung gegenüber seinem eigenen Heimatland in gewisser Weise mit Mann zu identifizieren. Zudem drückt er die Hoffnung aus, dieser möge einige ermutigende Worte an die mehrheitlich jungen Leser der Zeitung für moderne Literatur (dt. für Kindai bungaku) richten. Der Artikel erschien zuerst in japanischer Sprache in Asahi Shimbun (Tokio) vom 17. Februar 1949 und wurde 1960 unter dem Titel ›Thomas Manns Briefe an Japaner‹ im Dôgakusha Verlag erneut veröffentlicht, dort jedoch ohne Hinweis auf Jisaburu Hirata.
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Seitenzahl: 15
Thomas Mann
Artikel für Tokyo
Essay/s
Fischer e-books
In der Textfassung derGroßen kommentierten Frankfurter Ausgabe(GKFA)Mit Daten zu Leben und Werk
Mr. Jisaburo Hirata
357 3-chome Mabachi
Suginami-Ku
Tokyo, Japan
Lieber Herr Hirata,
mit Recht vermuteten Sie, daß der schöne, bewegte und bewegende Brief, den Sie an mich gerichtet und im Aprilheft der Zeitschrift »Kindaibungaku« veröffentlicht haben, mir noch nicht vor Augen gekommen war und daß ich noch nichts davon gehört hatte. Nun ist er mir bekannt geworden durch die deutsche Übersetzung, die Sie die Güte hatten, für mich davon herzustellen, und ich kann Ihnen sagen, daß selten eine Lektüre mich so gerührt und erschüttert hat, wie diese, wie die Worte des Schmerzes, der Anklage, der Reue, die Sie für die Schuld und das Unglück Ihres Landes gefunden haben, und die untermischt sind mit leisen, bittenden Versuchen der Entschuldigung, der Erklärung und der Fürsprache.
Ihre Gefühle sind mir nur zu wohl vertraut. Ich habe ähnlich gesprochen zur Zeit von Deutschlands tiefem Fall, und meine Worte sind von den Deutschen der Emigration sowohl wie von denen im Lande selbst vielfach mit Widerwillen aufgenommen worden. Es fehlt nämlich viel, daß in dem Volk meiner Herkunft die Schuld- und Reue-Gefühle lebendig wären, die aus Ihren Worten sprechen. Trotz und Selbstgerechtigkeit überwiegen nebst der Neigung, die begangenen Missetaten als verleumderisch übertrieben hinzustellen, ja, die Rückkehr in den Geisteszustand, aus dem diese Untaten kamen, ist, nur drei Jahre nach dem furchtbarsten Ausgang des national-so{600}