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Ein toller zweiter Wurf des Bestsellerautors von 'Ich fliege mit zerrissenen Flügeln'. Tim lernt beim Versteckspielen die Zwergenzwillinge Asa und Gasa kennen. Er schließt Freundschaft mit den Keksfabrikanten. Gemeinsam erleben sie spannende Abenteuer in ungewöhnlichen Ländern.
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Seitenzahl: 194
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Raphael Müller Asa und Gasa
Raphael Müller ist postmoderner Chillosoph, Autist, Epileptiker, Rollstuhlfahrer, Sprachvirtuose, Buchstabentänzer, Schubladenverweigerer, Wortakrobat und Jesus-Liebhaber. Jetzt veröffentlicht der 15-Jährige nach seinem autobiografischen Buch «Ich fliege mit zerrissenen Flügeln» (4. Auflage, Bestsellerstatus) eine Fantasy-Reihe für Jugendliche und junggebliebene Erwachsene, die sich auf feine, überzeugende Art mit seinen eigenen großen Lebensthemen «Behinderung, Freundschaften und Inklusion» auseinandersetzt.
Tim lernt beim Versteckspielen die Zwergenzwillinge Asa und Gasa kennen. Er schließt Freundschaft mit den Keksfabrikanten. Gemeinsam erleben sie spannende Abenteuer in ungewöhnlichen Ländern. Der Handel mit den Zauberkeksen läuft gut. Im Land der Zahlen stoßen sie allerdings an ihre Grenzen, weil sie nicht wissen, wie sie die Sprüche in den Keksen in Mathematik übersetzen sollen. Da lernen sie den Autisten Daniel und dessen Schulbegleitung Tina kennen und staunen über eine völlig andere Art der Wahrnehmung.
Dies ist der zweite Band in einer Serie humorvoller Abenteuergeschichten. Sie beinhalten weit mehr als pure Fantasie, da sie Einblick gewähren in die autistische Wahrnehmung eines Jugendlichen und Mut machen für ungewöhnliche Freundschaften. Es sind Parabeln auf das gelungene Miteinander und die Inklusion unterschiedlichster Charaktere in der Gesellschaft. Geschrieben von einem jungen Wortakrobaten, der es wissen muss: Der Autor von «Ich fliege mit zerrissenen Flügeln», selber Autist und Rollstuhlfahrer, erklärt jungen und junggebliebenen Lesern seine Welt. Ein Lesespaß für die ganze Familie!
Wo das Land der vertrauten Wege für Asa und Gasa endet, da eröffnet ihnen die Begegnung mit ihrem neuen Kameraden Tim und mit dessen Schulfreund, dem Autisten Daniel, ganz neue Abenteuer. Daniel ist anders – anders begabt und ein echter Türöffner in eine Welt voller Worte, Zahlen und Überraschungen.
Für Hannah: Ihre Freude und Neugier haben mich angespornt, immer weiter zu schreiben. Sie ist die beste Schwester auf der ganzen Welt.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über www.dnb.de abrufbar.
© 2015 by Fontis – Brunnen Basel
Umschlag: Spoon Design, Olaf Johannson, Langgöns Foto Umschlag: Ellerslie / Shutterstock.com Innenillustrationen: Susanne Bauermann, München E-Book-Vorstufe: InnoSet AG, Justin Messmer, Basel E-Book-Herstellung: Textwerkstatt Jäger, Marburg
ISBN (EPUB) 978-3-03848-764-7 ISBN (MOBI) 978-3-03848-765-4
Beim Versteckspielen entdeckt der elfjährige Tim die Zwergenzwillinge Asa und Gasa in einem alten Schrank auf dem Dachboden seiner Oma. Sie sind Handlungsreisende in Sachen Zauberkekse und benutzen den Schrank als Herberge. Tim und die Zwillinge freunden sich schnell an. Die Zwerge verkaufen ihre Kekse in fantastischen Ländern wie zum Beispiel in Elliptica, wo alles elliptisch ist, in Geometrica, wo Gebäude mit den unglaublichsten geometrischen Formen stehen, oder in Algebra, wo die Zahlen leben. Weil diese Zahlen die Weisheitssprüche auf den Zetteln in den Keksen nicht verstehen, zieht Tim den Autisten Daniel hinzu, der – in einem Rollstuhl – dieselbe Schule besucht wie er. Daniel ist hochbegabt, was Zahlen und Poesie betrifft, und liefert den Zwergen Sprüche in Form von mathematischen Formeln. Tim verbringt von da an auch viel Zeit mit Daniel und lernt die Welt des Autisten immer besser kennen. Schließlich begegnen auch die Zwerge seinem neuen Freund Daniel, und alle miteinander werden zu Asas Hochzeit ins Zwergenland Pimpfia eingeladen, was für die ganze Schar der Gefährten ein großartiges Abenteuer ist.
Vorwort von Raphaels Mutter:
Wenn der Körper störrisch ist
1. Wahrnehmungen
2. Qualmender Kopf
3. Im siebten Himmel
4. Wer anderen eine Grube gräbt
5. Erholung! Aber wie?
6. Die Qual der Wahl
7. Komplizen
8. Die Liste
9. Krisenstimmung
10. Reisevorbereitungen
11. Die Suche
12. Das Gartenhaus
13. Wir machen uns auf den Weg
14. Eine illustre Gesellschaft im Drachenwaldexpress
15. Ein ungeplanter Stopp
16. Unangenehme Gespräche
17. Die Fahrt geht weiter
18. Auf dem Campingplatz
19. Ankunft im Drachenwald
20. Das Herz schlägt lauter
21. Nächtliches Spektakel
22. Wanderung durch den Drachenwald
23. Planänderung
24. Affentheater
25. In den Fängen der Bestie
26. Die Mülllawine
27. Herr Baxa traut seinen Augen nicht!
28. Die Wachmannschaft
29. Rätselraten
30. Drachenkunde
31. Endstation
32. Übers Geröllfeld
33. Endlich!
34. Jede Menge Fragen
35. Der Plan
36. Der Nachtflug
37. Mein Beobachtungsposten
38. Vergebliche Suche
39. Hinter der Türe
40. Eine interessante Beobachtung
41. Seltsam!
42. Was sind das für Stimmen?
43. Versteckspiel
44. Auge in Auge mit dem Drachen
45. Zeit zum Aufbruch
46. Wir fliegen!
47. Die Heimreise
48. Oma bremst uns aus!
49. Am Ziel
50. Des Rätsels Lösung
Glossar
«Asa und Gasa» ist das erste Werk unseres Sohnes. Er hat es im Alter von acht Jahren geschrieben, indem er es Buchstabe für Buchstabe auf einem Netbook getippt hat. Eine mühsame und auch zeitraubende Angelegenheit, weil Raphael damals wie heute dafür die Hilfe anderer benötigt.
Ein Schlaganfall kurz vor seiner Geburt hat so einiges in seinem Leben und in unseren Erwartungen durcheinandergewirbelt und für allerhand Nebenwirkungen gesorgt. Laufen funktioniert nicht – und Sprechen leider auch nicht. Raphael sitzt im Rollstuhl und benötigt Hilfe für jeden Handgriff. Seit nun fünfzehn Jahren füllen Therapien unterschiedlichster Art seine freie Zeit.
Gestützte Kommunikation (FC) nennt man seine Art, sich zu verständigen. Er spürt seinen Körper oft nicht richtig, da hilft es ihm, wenn jemand seinen Arm oder seine Hand stützt und ihn ermutigt. Dann nimmt er seinen Körper besser wahr und kann auf einer Computertastatur tippen. An manchen Tagen schafft er mit Mühe einen einzelnen Satz, an besseren ein ganzes Kapitel oder mehr – vorausgesetzt, es findet sich jemand, der Zeit hat, ihn zu stützen.
Inzwischen erproben wir ein Eyetracking-System durch dessen Hilfe ein Computer mit den Augen gesteuert wird, damit Raphael unabhängiger werden kann. Aber das dauert, denn er ist zu schnell für das Gerät und muss nun mühsam lernen, länger auf die betreffenden Felder zu schauen, damit der Infrarotstrahl dies auch erkennt.
Auch das Morsen haben wir versucht, aber das Bedienen einer Computermaus mit den Händen gelingt Raphael nicht eigenständig.
Es ist eben nicht leicht, wenn der Körper so störrisch ist, dass er sich den Befehlen widersetzt, weil sein Muskeltonus an manchen Tagen zu spastisch ist und an anderen viel zu schwach. Das Denken funktioniert dafür umso besser. Raphael ist der schlaueste Kopf in unserer Familie. Er gleicht schlicht einem Computer, dessen Bildschirm defekt ist; so dass er nicht so leicht zeigen kann, was alles in ihm steckt, und das ist eine ganze Menge. Erfreulicherweise konzentriert Raphael sich trotz allem auf die positiven Seiten des Lebens und die Schönheit darin und macht damit allen anderen Mut.
Raphaels Schullaufbahn hat in einer Förderschule begonnen, doch dort wurde es ihm rasch zu langweilig. Mit acht Jahren durfte er als Gast an zwei Deutschstunden und einer Englischstunde im Gymnasium teilnehmen. Diese wenigen Stunden waren der Höhepunkt seiner Woche. Raphael kann ja nicht Fußball oder Trompete spielen, aber das Lernen macht ihm Spaß. Alles, was die Langeweile durchbricht, nimmt er mit Freuden an, und so ist Schule nicht ein notwendiges Übel, wie es manch anderer Schüler empfinden mag, sondern eine willkommene Abwechslung und Ablenkung.
In der ersten Deutschschulaufgabe, die Raphael mitschrieb, war eine Reizwortgeschichte gefragt. Aus drei vorgegebenen Wörtern sollte eine Fantasiegeschichte werden. Raphael war so begeistert, dass er nicht nur ein Thema bearbeitete, sondern alle drei Themen, was seiner Lehrerin ein Schmunzeln entlockte. Ein Thema lautete: «Zwerg – Kleiderschrank – Taschentuch». Ein weiteres: «Lederhose – UFO – Gänseblümchen». An das dritte kann ich mich nicht erinnern.
Kapitel 1 des ersten Bandes von «Asa und Gasa» entspricht dieser Deutschschulaufgabe von damals, im Frühjahr 2008. Ein paar Tage später schrieb Raphael einfach an der Geschichte weiter, sie bot die perfekte Rahmenhandlung für eine Reihe lustiger Abenteuergeschichten. Ein neues Hobby – dachten wir. Kapitel für Kapitel tippte Raphael mit seiner damaligen Schulbegleitung oder mit mir.
Erst als Raphael einen Jungen wie sich (rollstuhlfahrend, autistisch, stumm …) in die Geschichte einfügte, begannen wir zu ahnen, dass diese Geschichte für ihn mehr bedeutete als puren Zeitvertreib. In Tim hat er den Jungen beschrieben, der er selbst gerne wäre: normal, gesund und abenteuerlustig. Mit Daniel lernen wir ihn ein Stück weit kennen mit all seinen speziellen Bedürfnissen und den Besonderheiten seiner autistischen Wahrnehmung, die er besonders mit den Fantasieländern Algebra und Alphabet beschreibt. Denn Zahlen und Buchstaben sind für Raphael nicht schwarze Zeichen auf weißem Papier, sondern unterschiedlich in Form, Farbe und Größe und besonders in ihrem Charakter.
Raphael wollte seinen Klassenkameraden und auch den Schülereltern und Lehrern seine Situation verdeutlichen und sein Bedürfnis nach Inklusion verständlich machen. Dieser Fantasieroman beschreibt Inklusion so, wie er sie sich wünscht und wie sie sein sollte, nämlich möglichst «unverkrampft und unverkopft».
Dies ist also Raphaels Dank für die tolle Aufnahme in die Klassengemeinschaft. Er möchte damit «Mut machen für ungewöhnliche Freundschaften» und gleichzeitig Hemmschwellen weiter abbauen. Die Verpackung in heitere Fantasieabenteuer soll den Zugang erleichtern und Freude vermitteln.
Oberflächlich gesehen wird man mit Humor und Abenteuer konfrontiert. Bei näherer Betrachtung stößt man auf die Themen der Inklusion, der Behinderung und auch auf die Fragen nach dem Glauben und dem Sinn des Lebens. Denn auch dies gehört zu einer Person wie Daniel oder Raphael, dass sie zwangsläufig früher beginnen, dem Leben und dem Schicksal einen Sinn abzuringen.
So gesehen wäre es schön, wenn nicht nur die Kinder dieses Buch lesen, sondern die Familien gemeinsam. Es könnten sich fruchtbare Gespräche entwickeln über das Zusammenleben unterschiedlicher Charaktere in unserer Gesellschaft. Denn mal ehrlich: Jeder ist anders, und alle Menschen haben ihre Bedürfnisse und Talente, die sich gegenseitig ergänzen können und sollen. Wenn alle gleich wären und immer der Norm entsprächen, wäre die Welt blass und farblos.
Angestachelt von seiner drei Jahre jüngeren Schwester Hannah, tippte Raphael in jeder freien Minute an seinem Werk, nach den Hausaufgaben, zwischen seinen Therapien und an den Wochenenden. Hannah stand jeden Tag parat und wollte wissen, wie die Geschichte weitergeht und ob er nicht ein bisschen schneller schreiben könne. Bei seinem Geburtstag Ende September ließ Raphael dann die ersten Ausdrucke an seine Gäste verteilen und erhielt ein freudig überraschtes Feedback. Derart motiviert, übersetzte er die ersten Kapitel ins Englische und Türkische.
Kurz darauf begann Raphael auch schon mit Teil 2. Doch die Hausaufgaben nahmen zu, und die Schulbegleitung wechselte. Diese Neuerung bedeutete: Er musste wieder von vorne beginnen, eine Beziehung zur Schulbegleitung aufzubauen und Vertrauen zu fassen. Solch ein Wechsel in der Begleitperson widerfuhr Raphael in der Folge mehrmals.
Dies gleicht immer einem Reset auf dem Computer: alles auf Neu und bangen, ob das Schreiben auch mit der neuen Begleitung funktioniert. Auf diese Weise hat Raphael gelernt, mit mehreren Personen zu schreiben, was nicht jedem Autisten gelingt. Aber es hat ihn und unsere Familie eine Menge Nerven und Zeit gekostet.
«Asa und Gasa» mussten jedenfalls seitdem mit ihren Abenteuern auf die Ferien warten. Das liegt auch daran, dass Raphael von Jahr zu Jahr mehr Zeit am Gymnasium verbrachte, und entsprechend viele Hausaufgaben zu bearbeiten hatte.
Dank der Offenheit von Rektor Haunschild und des Lehrerkollegiums am Deutschherren-Gymnasium in Aichach und dem Wohlwollen der Klassenkameraden und deren Eltern durfte Raphael inklusiven Unterricht am Gymnasium genießen und davon profitieren. Es half ihm, aus seiner autistischen Welt auszubrechen.
Insgesamt aber ist das deutsche Schulsystem, und speziell das bayerische, noch nicht auf einen Schüler wie Raphael vorbereitet. In manchen Bundesländern wird die Gestützte Kommunikation anerkannt, in Bayern leider noch nicht. Zudem verhindert Raphaels labiler Gesundheitszustand die Teilnahme an den Abiturprüfungen.
Raphael ist noch lange nicht volljährig, daher holen ihn nun zudem die übersprungenen Jahre in Form der Berufsschulpflicht wieder ein. Dies bedeutet ein weiteres Mal rauchende Köpfe auf der Suche nach einem gangbaren, ihn weiter fordernden und fördernden Weg. Es dauert eben, bis der «Nationale Aktionsplan der Bundesregierung zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention» in die Tat umgesetzt, mit Leben erfüllt und Inklusion für alle selbstverständlich sein wird.
2010 nahm Raphael an einem Literaturwettbewerb teil. Bei diesem «Daniil Pashkoff Prize» waren englische Texte und Gedichte von Nichtmuttersprachlern gefragt. Raphael schickte ein englisches Gedicht und die ersten fünf englischen Kapitel seiner Zwergengeschichten ein. Einen Preis gewann er nicht, aber der Text wurde als «honorable mention» in die Anthologie mit aufgenommen und gedruckt.
2011 wollte Raphael es noch einmal genau wissen und reichte «Asa und Gasa» beim Literaturwettbewerb von Neobooks ein. Neobooks ist die Internetplattform des Droemer-Knaur-Verlags, dort findet regelmäßig ein Wettbewerb statt. Die Autoren bewerten gegenseitig ihre Werke. Die Beiträge, die am Stichtag auf der Top-10-Liste stehen, landen direkt auf dem Tisch des Lektorats, so auch «Asa und Gasa» dank der sechzig positiven Bewertungen.
Raphael erhielt als Anerkennungspreis einen Büchergutschein über 100 Euro, da der Verlag meinte, Kinder- und Jugendbücher machen sich nicht so gut als E-Books. Wir teilen diese Ansicht nicht, da sich unsere Zeit wandelt und spätestens im Urlaub jeder froh ist um die Gepäckerleichterung. An ein gedrucktes Buch reichen E-Books natürlich nicht heran.
Raphael ließ sich jedenfalls nicht beirren und tippte von mir gestützt munter weiter, meist im Urlaub auf der Strandliege sitzend, im Restaurant oder im Hotelzimmer, wann immer Papa und Schwester Hannah uns großzügig ein Zeitfenster einräumten. Bevorzugt nach den Mahlzeiten, denn ein knurrender Magen scheint hinderlich zu sein. Teil 2 war inzwischen fertig, Teil 3 begonnen. Neben Hannah haben mittlerweile Freunde und Bekannte aller Altersstufen die Manuskripte gelesen und Raphael begeistertes Feedback gegeben.
Im Juni 2013 lernte ich auf der Abendveranstaltung einer beruflichen Fortbildung eine Kollegin kennen und kam mit ihr ins Gespräch. Im Verlauf des Abends zeigte ich ihr ein Gedicht von Raphael. Sie war spontan begeistert und meinte, das müsse unbedingt gedruckt werden. Eine Bekannte von ihr hatte ein Buch geschrieben, die wollte sie kontaktieren. Kurz darauf erhielt ich eine SMS mit den Kontaktdaten des Lektors. Es sei aber ein christlicher Verlag, hieß es fast entschuldigend. Umso besser!
Nachdem zwei E-Mail-Versuche als «Mail Delivery Failed» zurückkamen, griff ich zum Telefonhörer und hatte Christian Meyer vom Fontis-Verlag in Basel in der Leitung (damals noch Brunnen Verlag Basel). Im ersten Moment war ich erstaunt über den Schweizer Akzent, ich hatte wohl nur Brunnen Verlag gelesen, das sagte mir etwas. Das Wort «Basel» war mir glatt entgangen.
Christian Meyer korrigierte rasch den Fehler in der E-Mail-Adresse. Ja, ich dürfe ihm gerne Texte von Raphael schicken, allerdings würde es schon eine Weile dauern, bis er mir ein Feedback geben könne. Außerdem sollten wir wissen, dass nur etwa jedes 300. Manuskript eine Chance erhalte, gedruckt zu werden.
«Schon gut! Wir wären schon dankbar, wenn sie mal ein Profi liest und uns ein Feedback gibt», so meine Antwort. Es dauerte wirklich von Juni bis Mitte November. Dann schrieb Herr Meyer, die Texte würden ihnen tatsächlich gut gefallen, aber sie würden in dieser Form einfach nicht ins Verlagsprogramm passen.
Wie denn auch? Die Sammlung bestand aus einer bunten Mischung von Zeitungsartikeln, Gedichten, Kurzgeschichten und «Asa und Gasa». Eine Autobiografie fänden sie – wenn schon – erst mal interessanter, schrieb der Lektor. Das musste Raphael nicht zweimal lesen. Am Tag darauf begann er sein Manuskript von «Ich fliege mit zerrissenen Flügeln» zu schreiben und beschäftigte sich in den darauffolgenden zehn Wochen – abgesehen von Schule und Therapien – mit nichts anderem.
Mitte Januar bekam es eine Bekannte zu lesen. Ihr Feedback half ihm, fehlende Erklärungen zu ergänzen, Gedankensprünge zu minimieren und die Reihenfolge der Kapitel zu optimieren. Ende Februar 2014 reichten wir es dem Verlag ein. Diesmal kam die Antwort erfreulich schnell. Nach zwei Wochen stand fest: Das Buch wird veröffentlicht!
Im September 2014 erschien also, pünktlich zu seinem 15. Geburtstag, beim Fontis-Verlag Raphaels Autobiografie «Ich fliege mit zerrissenen Flügeln» und überraschte uns mit ihrem großen Erfolg. Inzwischen erhält Raphael jede Menge Leserbriefe. So sieht unser Post-Alltag mittlerweile aus: Die lästigen Werbebriefe und ungeliebten Rechnungen werden an uns Eltern adressiert, die schönen, handgeschriebenen Dankesbriefe und Geschenkpakete sind fast ausnahmslos an Raphael adressiert.
Es ist erstaunlich, wie viele Menschen aller Altersgruppen sich durch dieses Buch angesprochen und ermutigt fühlen. Die Erkenntnis, dass der Schein vermutlich häufiger trügt, als man meint, und dass in vermeintlich behinderten Menschen wie Raphael häufig mehr steckt, als man zunächst vermutet, dürfen wir nun mit den Lesern teilen.
Vielleicht ist gerade dies Raphaels Bestimmung: uns hierin die Augen zu öffnen und damit anderen Betroffenen den Weg zu ebnen. Jedenfalls wird Raphael nun von seiner Umwelt anders wahrgenommen und anders ernst genommen. Nicht wenige Briefschreiber bezeugen, dass sie nun Behinderte und Autisten in ihrem Umfeld mit anderen Augen sehen und ihnen mehr zutrauen als bisher.
Interviews und Lesungen bereichern unseren Erfahrungsschatz mittlerweile ebenso wie Radio- und Fernsehbeiträge. Auch der Besuch auf der Frankfurter Buchmesse hat uns schwer beeindruckt. Obwohl: Es bestand Reizüberflutungsgefahr angesichts der vierzehn Messehallen voller Bücher …
Der angenehme Nebeneffekt bei all dem Trubel sind die vielen interessanten Menschen, die Raphael seit Erscheinen seines Buches kennen lernen durfte, und die Brieffreundschaften, die daraus entstanden sind.
Inzwischen ist die 4. Auflage gedruckt und ein Hörbuch von «Ich fliege mit zerrissenen Flügeln» erstellt. «Asa und Gasa» (Band 1 und Band 2) darf frisch gedruckt Leser mit auf seine abenteuerlichen Reisen nehmen. Die Schweizer Autorin Kathi Kaldewey hat Raphael zudem gebeten, Gedichte und Kurzgeschichten zu ihrem Ratgeber «Hilfe, es wird Weihnachten» beizusteuern (Herbst 2015, mediaKern).
All dies spornt Raphael an, weiterzuschreiben, um möglichst vielen Menschen Mut zu machen. Und auch, weil ihm das Schreiben einfach so viel Freude bereitet.
Mit diesen «Asa und Gasa»-Büchern erfüllt sich also Raphaels Herzenswunsch. Wer meint, dass seine Fantasie mit Band 2 erschöpft ist, der irrt gewaltig. Es existiert bereits ein dritter (und teilweise sogar ein vierter) Teil. Ursprünglich wollte der Fontis-Verlag die ersten drei Bände in ein Buch packen. Dafür sollte Raphael die Texte kräftig kürzen, was ihm nicht besonders gut liegt. Er leidet mit jeder gestrichenen Wortsilbe fast körperlich mit. Neue Abenteuer zu erfinden, ja, das gelingt ihm weit besser. So war er überglücklich, als der Verlag entschieden hat, die Bände doch einzeln herauszubringen.
Mittlerweile ist er also mit Band 4 beschäftigt, und wer weiß, was ihm die nächsten Jahre noch so alles einfällt …
Immer wieder aufs Neue freue ich mich über Raphaels blühende Fantasie und die Weisheit in seinen Texten. Es macht mir große Freude, «Asa und Gasa» zu lesen, auch zum wiederholten Male! Daher möchte ich Sie, liebe Leserin, lieber Leser, nicht weiter aufhalten und wünsche allen eine höchst vergnügliche Zeit mit Tim und Daniel im Land der Zwerge!
Ulrike Müller, Raphaels Mutter
Ich musste einige Tage warten, bis mein neuer Freund, der Autist Daniel, endlich wieder in unsere Schule kam. Ich konnte ihn schon von weitem erkennen, denn Rollstühle sind selten auf unserem Pausenhof.
Tina, seine Schulbegleitung, winkte mir zu.
«Hallo Tim»
«Hallo, ihr beiden!», rief ich. «Wo wart ihr denn bloß?»
«Krank!», meinte Tina trocken. «Mich hat Montezumas Rache heimgesucht, Durchfall ohne Ende, und was Daniel hatte, wissen wir nicht so genau. Er war einfach fertig und hat tagelang geschlafen. Aber jetzt geht es wieder!»
Daniel grinste zur Bestätigung. Dann sah er mich prüfend an und fing an, mit seinen Händen zu spielen, wie er es immer macht, wenn er etwas zu sagen hat und über die Formulierung nachdenkt.
Ich kannte Daniel inzwischen gut genug, um zu ahnen, dass er mich durchschaut hatte. Während Tina den AlphaSmart, Daniels Schreibgerät, hervorkramte, blickte ich beschämt zu Boden. Tina stützte Daniels Hand, so dass er tippen konnte: «Was zweifelst du?»
«Nun, ich war mir nicht mehr sicher, ob ich in Bezug auf unsere vergangenen Abenteuer im Zwergenland nicht nur geträumt habe», gab ich zu.
«Mag sein, aber dann haben Tina und ich den gleichen Traum geträumt!»
Daniel legte den Kopf schief, lachte mich an und tippte weiter: «Wir erfassen alle nur Ausschnitte der Realität, und diese Teilbereiche müssen nicht notwendigerweise deckungsgleich sein. Das, was unsere Sinnesorgane an Reizen aufnehmen und verschlüsselt an unser Gehirn weiterleiten, wird dort entschlüsselt und interpretiert. Es hängt also stark von unserer Intelligenz, unserer Bildung und unseren Emotionen ab, welche Teilbereiche der Realität wir wahrnehmen und wie wir sie wahrnehmen. Das ist für jeden anders. Wer hat nun recht? Sind nun die Realitäten des einen realer als die der anderen? Hat nicht jeder ein Recht auf seine Wahrnehmung, solange sie stimmig ist und die anderen respektiert? Vielleicht können wir ja voneinander lernen? Das Absolute zu erkennen, ist Gott vorbehalten.»
«Hmm», brummte ich, «darüber muss ich erst mal nachdenken! Sehen wir uns morgen?»
Das war ja mal wieder typisch Daniel: Ich quälte mich tagelang, und er fand binnen Minuten eine Antwort auf all meine Fragen.
Und nicht nur das: Er gab mir auch noch zu denken. Einen Moment überlegte ich, ob ich neidisch sein sollte. Daniel tat sich ja mit dem Lernen und Verstehen so viel leichter. Aber dann dachte ich an den Rollstuhl und befand, dass er schon arg zu leiden hatte und Freundschaft dringender brauchte als Neid und Missgunst!
Wenn ich genauer darüber nachdachte, dann hatte ich Daniel noch nie wütend oder frustriert wegen seiner Behinderung klagen gehört.
Ich fragte mich, ob ich Einschränkungen und Verzicht auch so tapfer ertragen könnte, war mir da aber nicht so sicher. Außerdem wurde mir bewusst, dass Daniel seine Talente ja gar nicht egoistisch für sich selbst einsetzte, sondern versuchte zu helfen, wo immer möglich – und falls man ihm die Chance dazu gab!
So einen Freund hat nicht jeder!, schoss es mir durch den Kopf.
Inzwischen hatte ich mein Klassenzimmer erreicht, und der Unterricht zwang mich, meine Überlegungen zu unterbrechen. Doch gleich nach Schulschluss holten mich meine Grübeleien wieder ein, und Sven, der den gleichen Heimweg hatte, beschwerte sich: «Sag mal, was ist denn mit dir heute los?!»
«Wieso?», fragte ich ganz verdattert.
«Na, weil ich dich jetzt schon dreimal gefragt habe, ob du mit ins Fußballtraining gehst.»
«Ja klar!», meinte ich betreten.
Auch meine Mutter fand, dass ich an diesem Tag unglaublich abwesend war, und wie ich meine Hausaufgaben zustande brachte, kann ich nicht mehr sagen. Ständig musste ich über Daniels Worte nachdenken: War es wirklich möglich, dass manche Menschen etwas sehen konnten, dessen Existenz die anderen anzweifelten? Kann Wahrnehmung so verschieden sein? Was ist denn nun Realität und was real?
So in etwa muss sich Meister Eder mit seinem Pumuckl gefühlt haben!
Da geht es mir ja vergleichsweise gut!, schoss es mir durch den qualmenden Kopf. Ich habe Verbündete, und Zwerge machen nicht halb so viel Quatsch wie Kobolde!
Seit langer Zeit hatte ich keinen Besuch mehr in Omas Schrank. Ich guckte viele Male hinein, doch die Zwergenzwillige tauchten nicht mehr auf. Aber das hatte seine guten Gründe:
Asa war noch immer auf Hochzeitsreise mit seiner bildhübschen Pati, und Gasa kümmerte sich inzwischen um die Zauberkeksfabrik. Es würde also noch eine Weile dauern, bis ich die beiden wiedersehen würde. Das fand ich gar nicht gut!
Im Gegenteil: Ungewisse Zustände wirken sich negativ auf meinen Gemütszustand aus und hemmen meine Produktivität erheblich! Eigentlich hätte ich die Zeit nutzen und schon etwas vorauslernen können, damit ich dann mehr Zeit für meine Freunde hätte, wenn nicht meine Gedanken ständig auf Wanderschaft gegangen wären.
Was soll ich sagen? Ich schaffte noch weniger als sonst!
Zwei Wochen später kamen Asa und Pati endlich von ihrer Hochzeitsreise zurück. Daniel hatte meine grässlichen Selbstzweifel mildern können, trotzdem war ich mürbe vom Grübeln und Warten.