Erhalten Sie Zugang zu diesem und mehr als 300000 Büchern ab EUR 5,99 monatlich.
Raphael Müller, der schwerbehinderte "postmoderne Chillosoph", hat eine laute Stimme, kann aber nicht sprechen. Er kann nur brüllend und schreiend auf sich aufmerksam machen. Manchmal durchzucken ihn epileptische Anfälle, und ohne den Rollstuhl geht gar nichts. Aber der junge Mann kann sich dank gestütztem Schreiben ausdrücken, und wie! Nachdem er mit seinem Buch "Ich fliege mit zerrissenen Flügeln" einen Bestseller gelandet hat, präsentiert er nun sein neustes Oeuvre. Es ist schlicht wunderbar geworden. Das Buch "Osteraugen" bietet etwa 16 Kurzgeschichten zu verschiedenen Menschen, Tieren und Gegenständen, die in direktem Zusammenhang zur biblischen Ostergeschichte stehen. Raphael denkt und fühlt sich ein in: Die Engel. Den Esel. Den Olivenbaum. Den Holzbalken. Den Bediensteten des Hohenpriesters. Thomas. Petrus. Maria. Einen römischen Soldaten. Simon, den Lastenträger. Einen Gärtner. Ezra, den Studenten. Kaiphas. Und Pilatus. Wie er das tut, ist absolut ungewöhnlich, ist außerordentlich, ist ganz einfach sensationell - und das mit einer Empathie und einer Zuspitzung, die ihresgleichen suchen.
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Seitenzahl: 86
Veröffentlichungsjahr: 2017
Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:
Raphael Müller Osteraugen
Der Autor
Raphael Müller (Jg. 1999) ist, so nennt er sich selbst, ein «postmoderner Chillosoph». Darüber hinaus ist er Autist, Epileptiker, Rollstuhlfahrer, Sprachvirtuose, Buchstabentänzer, Schubladenverweigerer, Wortakrobat, Jesus-Liebhaber und – sehr wichtig – ganz, ganz weich auf der Herzhaut! Er hat eine laute Stimme, kann aber nicht sprechen. Er kann nur brüllend und schreiend auf sich aufmerksam machen. Manchmal durchzucken ihn epileptische Anfälle, und ohne den Rollstuhl geht gar nichts. Aber der junge Mann kann sich dank gestütztem Schreiben ausdrücken – und wie! Nachdem er mit seiner Autobiografie «Ich fliege mit zerrissenen Flügeln» einen Bestseller gelandet hat, veröffentlichte er drei Bände mit märchenhaften Geschichten rund um die Zwerge «Asa und Gasa» und präsentiert nun sein neustes Oeuvre: ergreifende Kurzgeschichten, in denen bisher stumm gebliebene (mögliche) biblische Zeugen ihre ganz eigene Perspektive der Ereignisse erzählen.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über www.dnb.de abrufbar.
© 2017 by Fontis – Brunnen Basel
Umschlag: Olaf Johannson, Spoon Design, Langgöns Foto Umschlag: Amanda Carden, Shutterstock.com Fotos im Innenteil: (Foto 1 und 6:) Mike Flippo, Shutterstock.com / (Foto 2:) Lindasj22, Shutterstock.com / (Foto 3:) Thoom, Shutterstock.com / (Foto 4:) Glenda, Shutterstock.com / (Foto 5:) Amanda Carden, Shutterstock.com E-Book-Vorstufe: InnoSet AG, Justin Messmer, Basel E-Book-Herstellung: Textwerkstatt Jäger, Marburg
ISBN (EPUB) 978-3-03848-460-8 ISBN (MOBI) 978-3-03848-461-5
www.fontis-verlag.com
Hamors großer Traum
Der Sturm
Gethsemane
Der Kuss
Malchus
Das Urteil
Karfreitag
Via Dolorosa
Der Lastenträger
Das Kreuz (I)
Das Kreuz (II)
Der Splitter
Das Schwert
Der Vorhang
Der ungeliebte Auftrag
Engels-Job
Ostersonntag
Der Gärtner
Auferstehung
Der treue Freund
Der Spaziergang
Der Zweifler
Der Fels
Der Plan (wie ich ihn mir vorstelle)
Ja, Jesus lebt
Hamor tollte wie wild über die Koppel, es ging ihm so richtig gut an diesem Frühlingsmorgen. Seine Mutter sah ihm zu und schüttelte den Kopf – allerdings mehr belustigt als tadelnd. Dann kam der Bauer und gebot seiner überschäumenden Lebensfreude etwas Einhalt, indem er ihm einen Halfter anlegte und ihn neben seiner Mutter am Hoftor festband.
«Schade!», maulte Hamor, der gar nicht gern stillstand.
Seine Mutter schmunzelte. «Wird Zeit, dass du erwachsen wirst!»
«Was, wenn ich das gar nicht will?»
«Dann wirst du es trotzdem. Das ist nur eine Frage der Zeit.»
«Aber …», Hamor suchte nach Worten. Er wollte nicht sein Leben lang Lasten schleppen wie seine Verwandten. Die fragten nicht mal, was sie transportieren mussten. Der junge Esel träumte von einer sinnvollen Aufgabe. Von etwas Großem. Wichtigem. Einer Aufgabe, die der Mühe wert war.
Die Chancen standen schlecht, so viel war klar. Aber wenn es – selten genug – für Menschen Wunder gab, vielleicht gab es ja auch welche für Esel?
Seine Mutter betrachtete ihn amüsiert. Schließlich stupste sie ihn sachte an. «Träumst du?»
«Äh, ja. Ich denke über meine Zukunft nach», gestand Hamor vorsichtig.
«Und?»
Das hatte Hamor befürchtet: Jetzt würde es seine Mutter genau wissen wollen. Bestimmt lachte sie ihn aus.
Weit gefehlt. Tara war nicht umsonst seine Mutter, sie war aus dem gleichen Holz geschnitzt und erinnerte sich noch gut an ihre Träume. Aber das konnte Hamor ja nicht wissen. Er wand sich.
Noch bevor er Rede und Antwort stehen musste, kamen zwei fremde Männer die staubige Straße entlang auf das Dorf zu und fesselten seine Aufmerksamkeit.
Hamor hatte die beiden noch nie im Dorf gesehen. Braungebrannt waren sie, mit langen Haaren und Bärten. Der Saum ihrer schlichten Gewänder war eingerissen und staubig. Scheinbar waren sie viel unterwegs. Hamor hielt Ausschau nach ihrem Gepäck, doch es schien keines zu geben. Das machte ihn stutzig.
Erst recht irritierte ihn, dass die Fremden nicht ins Dorf liefen, sondern geradewegs auf ihn zu.
«Da! Das muss er sein!»
Ungefragt wurden sie losgebunden. Nicht, dass ihn das gestört hätte. Seine Mutter runzelte die Stirn und brüllte, um den Bauern auf sie aufmerksam zu machen, doch der war gerade nicht da.
Die Nachbarn erkundigten sich stattdessen, was das werden sollte.
«Der Herr braucht sie. Wir bringen sie bald zurück.»
Da überließ man sie ihrem Schicksal.
Welcher Herr?, fragte Hamor sich, während er abgeführt wurde. Und wofür braucht er mich?
Gut, dass seine Mutter dabei war!
«Jetzt bekommst du dein Abenteuer», raunte sie ihm zu.
Es dauerte nicht lange, da gewann seine Neugier die Oberhand. So ein Spaziergang war definitiv besser, als festgebunden zu sein.
Er wurde nicht lange auf die Folter gespannt, denn schon im Nachbardorf wurden sie freudig empfangen. Es hatte sich eine Menschentraube um einen Rabbi gebildet. Aha. Dann war das wohl «der Herr».
Hamor überlegte, was der von ihm wollen könnte. Er sah sich um. Auch der Rabbi schien kein Gepäck zu haben. Zumindest sah er keines. Was sollte denn dann transportiert werden?
Plötzlich dämmerte es ihm: Der Rabbi war selbst das Gepäck. Er wollte auf ihm reiten!
Panik ergriff den jungen Esel. Er wusste ja gar nicht, wie das ging. Sollte er sich wehren?
Seine Mutter warf ihm einen warnenden Blick zu. «Führe dich anständig auf, mein Junge! Das ist eine Ehre!»
Sie schien mehr zu wissen als er.
«Schon gut!», nuschelte er und scharrte vor Verlegenheit mit den Hufen.
Der Rabbi drehte sich zu ihm um und lächelte. «Da seid ihr ja!» Er ging auf die beiden Esel zu, tätschelte Hamor kurz am Hals und meinte: «Das schaffen wir schon.»
Da schmolzen seine Bedenken dahin.
Die Männer, die ihn geholt hatten, zogen ihre Mäntel aus und legten sie ihm auf den Rücken. Unter Jubelrufen setzte sich der Rabbi darauf. Ganz vorsichtig. Hamor lief trotzdem ein paar Schritte rückwärts, testete erstmal seinen Rücken und stellte erleichtert fest, dass sein Reiter deutlich leichter war, als er befürchtet hatte. Er konnte sich immer noch gut bewegen, wie er tänzelnd feststellte. Vor Freude machte er einen kleinen ungelenken Bocksprung.
Das erschrocken tadelnde «Hamor!» seiner Mutter bremste ihn jedoch auf der Stelle.
Sein Reiter lachte nur. Er schien Hamor zu kennen und hatte mit den Testbewegungen gerechnet.
Inzwischen breiteten viele der umstehenden Leute ihre Kleider auf dem Boden aus, andere legten Zweige dazu. Hamor wunderte sich, dass er auf einem Teppich laufen durfte. Das fühlte sich seltsam weich an unter den Hufen.
Die Menge des Publikums wuchs von Minute zu Minute – und mit ihnen der Geräuschpegel. Sie alle schienen in Feierstimmung, sangen und jubelten den ganzen Weg über bis Jerusalem. Hamor hörte staunend, wie sie Gott für die Wunder dankten, die Jesus getan hatte.
Als sie bei seinem Dorf vorbeikamen, entdeckte er den Bauern in der Menge. Hamor fragte sich, ob der Bauer den Esel-Entführern böse war. Aber nein, wie es aussah, platzte er beinahe vor Stolz.
Dann erreichten sie den Ölberg und mit ihm den Höhepunkt des Spektakels. «Gelobt sei der König, der im Auftrag des Herrn kommt!», sangen sie, und Hamor lief prompt noch aufrechter. «Gott hat Frieden mit uns geschlossen. Lob und Ehre dem Allerhöchsten!»
Hamor erkannte, dass er gerade das Wunder erleben durfte, das er sich so gewünscht hatte. Wow!, dachte er und beschloss, sein Bestes zu geben. Er genoss jede Sekunde.
Es dauerte nicht lang, da beschwerten sich Pharisäer über die begeisterten Menschen, die Jesus als König bezeichneten. «Lehrer, verbiete das deinen Jüngern!»
Spielverderber!, dachte Hamor, der inzwischen Gefallen fand an dem Trubel.
«Glaubt mir: Wenn sie schweigen, dann werden die Steine schreien», war die trockene Antwort seines gut gelaunten Reiters.
«Und ich auch!», i-ahte Hamor, froh, dass sich niemand einschüchtern ließ.
Ein Wirbelsturm fegte durch den Vorhof des Tempels und sorgte für Turbulenzen. Tische wurden umgestürzt, Käfige geöffnet und Geldmünzen konkurrierten kullernd mit den fliehenden Tieren.
Das Turteltauben-Männchen Jonas war mit seiner Gemahlin auf den nächstliegenden Dachbalken geflüchtet. Von oben betrachteten sie nun das chaotische Szenario und stellten fest, dass die Großwetterlage unschuldig war an den Vorgängen.
«Schau mal!», Noun vermochte nicht stillzuhalten. Zu viel Adrenalin pochte in ihren Adern, so dass die Flügelspitzen nervös flatterten.
Jonas wusste sofort, was seine Gemahlin meinte. «Das ist der Rabbi von neulich.»
«Ja, Jesus, aber der war doch letzthin so friedlich. Was hat ihn denn nun gebissen?»
Angestrengt lauschten sie den Worten. Das war nicht leicht. Der Rabbi schrie etwas, doch in dem allgemeinen Getöse kamen nur Gesprächsfetzen bei ihnen an.
«… Gebet … Ihr habt eine Räuberhöhle …»
«Hey!»
«Was soll das?»
«Was fällt dir ein?»
«Bist du verrückt?»
Mit einer improvisierten Peitsche trieb Jesus die Schafe und Ochsen aus dem Tempel. In Panik stoben die Tiere durch die Menge, ohne nach rechts und links zu schauen. Je weiter sie liefen, desto mehr witterten sie die Freiheit und schöpften Hoffnung. Von oben ließ sich das gut erkennen, es war der Punkt, an dem kleine Sprünge das Laufbild unterbrachen und sich eine spielerische Komponente in die Jagd einschlich. Schließlich lieferten sich Lämmer und Ochsen ein munteres Rennen. Die Tauben waren außen vor, sie hatten sich flugs in alle vier Himmelsrichtungen verteilt.
«Wieso wehren die sich eigentlich nicht?» Jonas wunderte sich. Er hielt Ausschau nach ihrem Gefängniswärter und entdeckte ihn schließlich zusammengekauert unter einem der Tische.
Die Viehhändler und Geldwechsler wussten freilich nicht so recht, wie ihnen geschah. Sollten sie nun zuerst das Geld aufsammeln? Die Tiere einfangen? Oder in Deckung gehen? Sie wechselten verstohlene Blicke. Ratlosigkeit zeichnete sich auf ihren Gesichtern ab und ohnmächtige Wut.
Was sollte das denn überhaupt? Sie waren doch schon immer hier. Nein, nicht immer. Aber seit mehreren Generationen. Die Pharisäer hatten auch nichts dagegen. Und die waren es doch, die ständig an anderen herumnörgelten.
Die Händler fühlten sich zu Unrecht bestraft von diesem wild gewordenen Rabbi. Wer war er überhaupt? Ein Galiläer? Aha. Das war mal wieder typisch für diese Hitzköpfe!
Immer mehr Schaulustige umringten den Vorhof und reckten die Köpfe. Dann und wann sprangen sie zur Seite, um galoppierenden Schafen oder Ochsen den Weg freizugeben, statt sie aufzuhalten. Das half den Viehhändlern nicht wirklich. Sie konnten weder die Tiere halten noch diesen Rabbi bremsen. Irgendwie hatten sie diesem heiligen Zorn nichts entgegenzusetzen. Es war schlicht zum Verzweifeln!
Weiter hinten standen ein paar Pharisäer und beargwöhnten diesen unerfreulichen Vorfall in ihrem Hoheitsgebiet. Sie kochten förmlich vor Wut. Doch auch sie unternahmen momentan nichts.
«Oh, oh!», kommentierte Jonas. «Das riecht nach Ärger! Wenn nicht jetzt, dann bekommt er es ein andermal zu spüren!»