Asche im Venn - Olaf Müller - E-Book

Asche im Venn E-Book

Olaf Müller

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Beschreibung

In Aachen wird ein Anwalt erschlagen, in der Eifel ein Zeitungsfotograf ermordet. Zeitgleich kollabiert das politische System im Dreiländereck: Rücktritte in Maastricht, Selbstmorde in Lüttich, Panik in Aachens Oberschicht. Wer erpresst die feinen Leute mit schmutzigen Geheimnissen? Wer bedroht Kommissar Fett und Kollegin Conti? Können die Kollegen aus Lüttich und Maastricht helfen? Die Asche im Hohen Venn verbirgt ein Geheimnis. Und Fett verliert die Kontrolle. Fast.

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Olaf Müller

Asche im Venn

Kriminalroman

Zum Buch

Asche zu Asche In Aachen wird ein Anwalt der Reichen und der Schönen erschlagen. In der Eifel bei Nideggen gerät ein bekannter Zeitungsfotograf in einen tödlichen Hinterhalt. Zeitgleich erschüttern Skandale und Krisen das politische System im Dreiländereck: Rücktritt der Provinzregierung in Maastricht, Selbstmorde in Lüttich, Panik in der Aachener Oberschicht. Was weiß der niederländische Kunstsammler? Welches Geheimnis verbirgt Immo-Heinz, der Immobilienmakler aus Rollersbroich? Wer erpresst die feinen Leute, die Reichen, die Schönen, die Angeber, die Politiker? Wer bedroht Kommissar Fett und Kollegin Conti? Können Inspektorin Chantal Kalumba aus Lüttich und Brigadier Petro van den Burg aus Maastricht helfen? Fett verliert fast die Kontrolle, als die Mafia ins Spiel kommt – und Anwälte, die ein fürchterliches Geheimnis hüten, während sie der Asche ins Hohe Venn folgen.

Olaf Müller wurde 1959 in Düren geboren. Er ist gelernter Buchhändler und studierte Germanistik sowie Komparatistik an der RWTH in Aachen. Seit 2007 leitet er den Kulturbetrieb der Stadt Aachen. Sprachreisen führten ihn oft nach Frankreich, Italien, Spanien sowie Polen und Austauschprojekte in Aachens Partnerstädte Arlington (USA), Kostroma (Russland) und Reims (Frankreich). Als junger Segelflieger erlebte er die Eifel aus der Luft, als erfahrener Wanderer heute vom Boden. „Asche im Venn“ ist nach „ Rommels Gold“, „Herr über Leben und Tod bist du“, „Tote Biber schlafen nicht“, „Allerseelenschlacht“, „Rurschatten“ und „Die Macht am Rhein“ (gemeinsam mit Maren Friedlaender) sein siebter Kriminalroman im Gmeiner-Verlag.

Impressum

Personen und Handlung sind frei erfunden.

Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen

sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

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Alle Rechte vorbehalten

Lektorat: Claudia Senghaas, Kirchardt

Herstellung/E-Book: Mirjam Hecht

Umschlaggestaltung: U.O.R.G. Lutz Eberle, Stuttgart

unter Verwendung eines Fotos von: © Herbert Aust / pixabay

ISBN 978-3-8392-7562-7

Zitat

»Vergangenheit ist nie tot; sie ist noch nicht einmal vergangen.«

William Faulkner, Requiem für eine Nonne

1 Keine Erdbeermarmelade

Der erste heiße Tag im Mai 2021. Es sollte, was die Temperatur betrifft, vorerst der letzte bleiben. Fett saß auf seinem kleinen Balkon mit Blick auf die Türme des Aachener Rathauses. Sonntagmorgen, die Sonne brannte durch einen milchigen Schleier. Er fühlte bereits um 10 Uhr große Müdigkeit und beginnende Kopfschmerzen. Die Anstrengungen der letzten Wochen und Monate saßen in seinen Knochen, dazu das Hin und Her der Corona-Politik. Mal musste er mit Maske recherchieren, dann wieder ohne Maske. Er war noch nicht geimpft und verspürte wenig Lust auf den Pieks im Oberarm. Die Sprechstundenhilfe des Hausarztes hatte ihn barsch abprallen lassen. Er sei noch lange nicht dran. Dagegen berichteten Kollegen, dass sie und ihre jüngeren Ehefrauen bereits geimpft worden seien, zumeist mit dem Mittel, dessen zweite Dosis nach vier Wochen verabreicht werden konnte. All das ging Fett durch den Brummschädel. Zudem wurde er mit dem Alter wetterfühliger; das behauptete er. Seit 5 Uhr war er wach. Er hatte sich lange rasiert, denn beim Rasieren kamen die kreativen Gedanken. Manchmal wollte er sich einen ganzen Tag lang rasieren, um immer weiter zu denken. Doch er fürchtete um seine Gesichtshaut und den hervorspringenden Adamsapfel. Ein kurzer Gang in Richtung Lousberg. Er spürte wieder sein linkes Knie. Gelaufen war er lange nicht mehr. Mit der dritten Tasse Kaffee saß er auf dem Minibalkon der Etagenwohnung am Templergraben in Aachen. In der Küche hing der Geruch von gebratenem Bacon und Spiegeleiern. Sonntags gönnte er sich ein Westernfrühstück. Trotz der beginnenden Kopfschmerzen verspürte er Lust auf eine Zigarette. Je mehr die Raucher verbannt wurden, umso mehr Lust bekam er auf Camelohne Filter oder Sweet Afton, Lucky Strike oder Gitanes. Immer mehr Verbote, immer mehr Handlungsanweisungen oder Ächtungen derjenigen, die anders lebten. Er schob die Gedanken beiseite, denn in seiner Wohnung lag nirgends eine Packung Glimmstängel.

Von Düren nach Aachen; was für eine Karriere, was für ein großer Sprung in die Welt! Er griff zum Kaffee, vertrieb Gedanken über sein Leben, seinen Lebensweg, verpasste Chancen, schloss die Augen und hielt sein Gesicht in die Morgensonne, die über Dom und Rathaus ihre Strahlen zu ihm schickte.

Der April war ungewöhnlich kalt gewesen. Von Erderwärmung keine Spur. Der Mai war nicht besser. Regen, Kälte, grauer Himmel. Dieser Sonntag war eine Ausnahme. Trotzdem hatte Fett auf nichts Lust. Worauf auch? Kein Kino, kein Theater, Museen wieder geschlossen, keine Gaststätte in der Eifel geöffnet. Als ob sogar die Mörder pausieren würden. Zusammen mit Kollegin Conti hatte er alte Fälle bearbeitet, Fortbildungen besucht, einen Bogen um den Polizeipräsidenten gemacht, der mediensüchtig jede Woche eine Pressekonferenz abhielt. Das Kommissariat Einbruch hatte Konjunktur. Kollege Arno Wassong, der singende Kommissar, von den Kollegen Knödel-Arno genannt, weil seine Texte kaum zu verstehen waren, stöhnte in der Kantine über die vielen Fälle und die Professionalität der Banden und Einzeltäter. Zudem flogen fast täglich Geldautomaten in die Luft.

Fett nahm seine Tasse, blickte in Richtung Rathaus und dachte an Conti, die ihm nicht geglaubt hatte, dass eine Vorschrift für gendergerechte Sprache ihre Kommunikation ins Absurde führen würde. Nun war sie da, die Vorschrift. Und Klein-Krämer, so nannte er Polizeipräsident Krämer, wollte sie mit Feuereifer umsetzen und Haltung zeigen. Neidvoll las Fett, dass der französische Bildungsminister die Verwendung gendergerechter Sprache verboten hatte. »Vive la France!«, dachte er im Sommer 2021, in dem der 200. Todestag von Napoleon Bonaparte begangen wurde.

Das Streuselbrötchen von Nobis hatte er in Ober- und Unterseite geteilt, mit Margarine bestrichen und der obligatorischen Erdbeermarmelade garniert. Das war sein Dessert zum Gabelfrühstück. Das letzte Glas Erdbeermarmelade! Er hatte den Nachschub am Samstag beim Einkauf vergessen. Erdbeermarmelade! Er konnte nicht ohne Erdbeermarmelade auskommen. All seine Freundinnen hatten von Fetts Crêpes geschwärmt, die er mit Erdbeermarmelade bestrichen hatte. Kochen war nicht seine Stärke. Nur Crêpes, Champignonsoße an Spaghetti oder umgekehrt, das gelang ihm meistens; als Nachtisch Mousse au Chocolat, als Vorspeise Parmaschinken mit Melone. Für 14 Uhr hatte er Daniela Conti eingeladen. Um 12 Uhr erklang die Musik von ›House of Cards‹, der Klingelton seines Handys. Arno Wassong war am Apparat, Kommissariat Einbruch.

2 Gott gibt

»Kollege Fett, wir wurden heute Morgen zu einem Einbruch in die Nizzaallee gerufen. Vornehmes Haus, Hanglage mit Blick auf die Innenstadt.« Arno Wassong klang kurzatmig, wahrscheinlich war er mehrfach durch die Zimmer gelaufen.

»Schön für Sie. Ich möchte gerade meine Herdplatten aktivieren.« Fett blinzelte in die Sonne und ahnte, was kommen würde.

»Lassen Sie die kalt. Wir haben einen Toten. Johannes Dieudonne.«

»Dieudonne? Dieu heißt Gott. Donne heißt gib. Den hat Gott nun zu sich genommen? Also eher Dieuprend: Gott nimmt. Da könnten Sie ein Lied draus machen, Kollege.«

»Verschonen Sie mich mit Ihren Sprachspielen, Kompositionstipps und dem lieben Gott. Johannes Dieudonne war Anwalt der Reichen und Schönen von Aachen. Die können ein Lied von ihm singen.« Er atmete etwas ruhiger. War gut für seine Stimme. »Nun, der liegt hier übel zugerichtet in seinem verwüsteten Arbeitszimmer. Stumpfe Gewalt, sagt der Doc.«

»Haben Sie Kollegin Conti informiert?« Fett wollte in Ruhe ein zweites Streuselbrötchen verzehren.

»Ihr Job, Fett. Wollte Sie schnell benachrichtigen, bevor Sie irgendwo eine Currywurst bestellen.« Arno Wassong kannte wie alle Kollegen die Lieblingsspeise von Fett.

»Danke, für die Eingruppierung bei den Feinschmeckern. Heute stand das Restaurant La Becasse auf dem Speiseplan. Auch Französisch, wie Dieudonne. Salut, mein Lieber.« Dann rief er Daniela Conti an.

Beide trafen zeitgleich ein. Sie kam mit ihrem Fiat 595, Fett mit seinem Klapprad. Vom Templergraben zur Nizzaallee brauchte er wenige Minuten. Alle Beamten am Tatort trugen die verdammten Schutzmasken, die jedes Gespräch schwierig gestalteten.

»Das Essen bei mir ist nur verschoben, nehmen Sie das zu Protokoll, Kollegin. Schnelle Schuhe heute. Aber Sie haben ja jeden Tag schnelle Schuhe.« Er blickte auf ihre Sneaker in italienischen Nationalfarben, dunkelblaue Jeans, Rollkragenpulli und schwarze Lederjacke. Conti lächelte so, dass er es nicht sehen konnte.

»Lassen Sie das meine Sorge sein. Sich vor dem Essen drücken durch ein Tötungsdelikt, das ist ein starkes Stück, Herr Fett. Den Crémant verwahre ich nicht bis zum Sankt Nimmerleinstag.« An dem Termin hatten sie wochenlang gebastelt. Beide waren enttäuscht, Fett ein bisschen froh, denn mit Brummschädel hätte er heute keinen guten Gastgeber abgegeben und die Soße zweifellos versalzen.

Arno Wassong holte sie mit raumgreifenden Schritten am Eingang des unscheinbaren Hauses in Hanglage ab. Nichts deutete auf großen Reichtum hin, wenn man von der Lage in der Nizzaallee absah. Ein dezentes Klingelschild: Rechtsanwalt Johannes Dieudonne. Keine Kamera über der Klingel. Die Kriminaltechnik packte bereits Koffer und Taschen mit den Instrumenten und Fundstücken ein.

»Johannes Dieudonne, 73 Jahre alt, Rechtsanwalt, alleinstehend. Seine Putzfrau hat die offene Tür bemerkt und an Einbruch gedacht. Darum sind wir hier.« Arno Wassong war müde. Am Vorabend war er als Alleinunterhalter beim 80. Geburtstag von Tante Käthe aufgetreten. Die Alten hatten Sitzfleisch und verlangten eine Zugabe nach der anderen, bis er sich schließlich mit »Griechischem Wein« verabschiedete.

»Warum kommt die Putzfrau am Sonntag, wie heißt sie?« Die Aspirintabletten wirkten, Fett konzentrierte sich.

»Yvonne Reinartz, sie hatte gestern ihre Jacke hier vergessen. Sie macht immer samstags von 15 Uhr bis 18 Uhr sauber. Putzt hier seit fünf Jahren. Die Tür stand offen, niemand reagierte auf ihr Klingeln, darum zuerst die Streife, dann wir und jetzt ihr.«

Kollegin Unsleber, Leiterin der Kriminaltechnik, betrat den Raum, in dem das Gespräch stattfand.

»Mahlzeit. Der Tote liegt in seinem Arbeitszimmer. Alles durchwühlt, Safe ohne Gewalteinwirkung geöffnet. Der Doc sagt, das Opfer habe sich kaum gewehrt. Augen verbunden, Mund zugeklebt. Tür zum Garten stand offen. Ich vermute, Täter ist über den Lousberg geflüchtet, als die Putzfrau unten klingelte und nach Dieudonne rief.«

»Todesursache?« Fett unterbrach sie ungern.

»Ich sagte doch, der Tote hat sich nicht gewehrt, der Safe wurde nicht mit Gewalt geöffnet. Mit stumpfem Gegenstand auf den Hinterkopf, also der Tote, das heißt der lebende Tote. Ach, was erzähl ich. Sie bringen mich durcheinander! Näheres nach der Obduktion, sagt Doktor Schunkert.«

»Wo ist Frau Reinartz?« Conti fragte Wassong, der gerade ansetzte, ein Gähnen zu unterdrücken.

»Sitzt in der Küche.« Wassong zeigte mit dem Kopf in die Richtung.

»Na, Frau Conti, dann wollen wir.« Fett ging vor.

3 Sie kam zu spät

Auf dem Stuhl saß eine Frau, Mitte 60, braune Augen, gewellte blonde Haare, dunkelblaue Jeans, Laufschuhe und leichte Daunenjacke. Die Mundwinkel zogen nach unten, ob aus Trauer, Lebensunlust oder charakterlicher Disposition, woher sollte Fett das wissen. Nervös wirkte sie nicht, eher etwas müde und irritiert von all den Beamten, die in der Wohnung umherschwirrten. Sie erinnerte Fett an eine Person des öffentlichen Lebens, wie man so sagt. Er verdrängte den Gedanken.

Fett stellte Conti und sich vor.

»Was hatten Sie vergessen, Frau Reinartz?« Er zog einen Stuhl heran, setzte sich auf die Kante und versuchte, freundlich zu wirken. Conti stellte sich hinter ihn und beobachtete Frau Reinartz.

»Hab’ ich den Kollegen schon gesagt. Meine Jacke.« Sie fühlte sich sichtlich unwohl.

»Die Daunenjacke, die Sie jetzt tragen?«

»Ja, das gute Stück. In der Hektik am Samstag vergessen. War noch nie passiert. Als ich sie holen wollte, da stand die Haustür offen.«

»Warum sind Sie nicht reingegangen? Waren Sie sonntags öfters hier?«

»Sonntags putz ich nicht, nur samstags. Die Tür war immer zu. Nie stand die auf. Ich hab’ geklingelt und gerufen, niemand antwortete.«

»Da geht man hinein, schaut nach. Sie kennen sich aus.«

»So bin ich nicht, Herr Kommissar. Das war anders, beängstigend. Ich war nicht drin, habe nur gerufen, niemand antwortete, da habe ich die Polizei angerufen.«

»Wer außer Dieudonne hätte antworten können?«

»Weiß ich nicht. Sie bringen mich durcheinander mit Ihren Fragen.«

»Wurden Sie gut bezahlt?«

»Ja, Dieudonne zahlte gut. 200 Euro jeden Samstag.«

»Bar?«

»Ja. Und vor Weihnachten noch mal 200.«

»Zusammen 2.600 Euro im Jahr für samstags drei Stunden putzen. Guter Schnitt.«

»Hab’ ich mich beklagt?« Sie wirkte gereizt.

»Er war nicht verheiratet?«

»Keine Frau, keine Kinder. Der Dieudonne war nicht gerade eine Schönheit, wenn Sie wissen, was ich meine.« Sie schaute zu Daniela Conti und suchte mit ihren Augen Bestätigung.

»Wie meinen Sie das?« Conti stellte sich unwissend.

»Mein Typ war das nicht. Die Haare fast gelb, er ließ sich einmal im Monat goldene Strähnen machen, immer diese buschigen Augenbrauen, die Anzüge meistens so mit einem Stich ins Gelbe und Braune.«

»Hatte Herr Dieudonne Verwandte?«

»Nein, das ist es ja. Er stand allein. Also keine, niemanden, der war ganz allein auf der Welt.«

»Verheiratet, Geliebte, Kinder oder bevorzugte er Männer? Frau Reinartz, lassen Sie sich nicht alles aus der Nase ziehen. Sie müssen mehr über ihn gewusst haben.« Fett versuchte es auf die harte Tour. Sie blickte auf ihre Hände, knetete die Finger, rang mit sich.

»Er hat mich so gut bezahlt, weil ich schweigen kann, Herr Kommissar.«

»Ich entbinde Sie davon. Er hätte bestimmt Gerechtigkeit gewollt. Schließlich war er Anwalt.«

»Lieber nicht, Herr Kommissar.«

»Lieber nicht, Herr Kommissar? Frau Conti, die Perle von Herrn Dieudonne, der soeben erschlagen wurde, möchte den Sonntag auf dem Präsidium verbringen. Nehmen Sie sie mit, Frau Conti. Sie wird so schnell keine Putzstelle mehr finden.« Fett wurde ungehalten und ärgerte sich über die gut bezahlte Putzfrau, die bockig vor ihm saß.

Es arbeitete in Frau Reinartz. Wurde ihr mulmig? Sie spürte, dass die Staatsmacht nach ihr griff. Dass sie, das Kind einfacher Eltern aus dem Aachener Ostviertel, dem nicht gewachsen war. Dieudonne, dieser alte Drecksack, der sie gut bezahlt hatte. Nun war er tot. Warum schweigen? Schweigen über Dieudonne, seine Neigungen, diese merkwürdigen Besuche, diesen Altmännergeruch, diese schrecklichen Anzüge, diese Kügelchen von Papiertaschentüchern in allen Ecken. Ständig hatte Dieudonne auf Papiertaschentüchern gekaut und sie in Ecken gespuckt. Überall fand sie samstags diesen Dreck. Eine Macke, eine seiner fürchterlichen Macken. Diese Reisen nach Thailand, wo er irgendein Waisenhaus unterstützte. Waisenhaus, sie konnte sich denken, wen er da förderte. Sie wollte es aber nicht wissen. Schmutz, Dreck, Abschaum. Das Schweigegeld hatte sie genommen. Er zahlte bar, der Umschlag lag immer auf dem Küchentisch.

»Ich erzähle Ihnen, was ich weiß. Aber von Feinden, Mördern oder so kann ich nichts sagen.« Sie zog die Augenbrauen nach oben, die eben noch weichen Gesichtszüge wurden hart.

»Berichten Sie, Frau Reinartz. Nur zu. Wir hören. Dann ersparen wir uns einen Sonntag im Präsidium.« Und Frau Reinartz erzählte, was sie in den letzten Jahren mitbekommen hatte. Das half nicht weiter. Sie wusste nicht genug.

4 Der Fuchsmajor und die Kneipe

»Wir müssen die Nachbarn abklappern. Sie auf dieser Straßenseite, ich auf der anderen. Das können wir nicht unseren Kollegen in Uniform überlassen.« Fett zeigte auf die Gründerzeitvilla gegenüber. »Da fang ich an.«

»Okay, ich hör mich rechts von Dieudonne um.« Conti lief die Treppe hinunter.

Fett klingelte am Tor des Stadtpalais mit gepflegtem Vorgarten, Vorfahrt, einer Garage und einem Mast, an dem die Flagge einer studentischen Verbindung flatterte. Der Rasen war akkurat gemäht, kein Rost auf dem Zaun, die Flagge nicht ausgefranst, vor der Garage ein schwarzer Audi A4.

»Ach du Scheiße, eine Burschenschaft«, dachte Fett und besann sich, um nicht sofort mit seinen gepflegten Vorurteilen ins Haus zu stolpern.

»Ja?«

»Fett, Kripo Aachen, ich habe ein paar Fragen.«

Der Türöffner summte, und Fett schritt über den säuberlich angelegten Weg zum Hauseingang. Ihm öffnete ein smarter Student, Anfang 20, farbentragend, mit dem Spruch: »Willkommen beim Corps Aquis – Mens Agitat Molem, kurz AMAM. Mein Name ist Siegfried Hohenstein. Ich bin der Fuchsmajor der Verbindung. Treten Sie ein, Herr Kommissar. Was kann ich für Sie tun? Ich warne Sie, ich promoviere in Maschinenbau. Psychologie oder Kriminologie sind nicht meine Stärken. Tatort eher.«

Fett folgte dem schlanken Fuchsmajor in den Vortragssaal der Burschenschaft, wo um diese Uhrzeit zahlreiche Füchse alte beleibte Herren bedienten. Wie selbstverständlich setzte Siegfried von Hohenstein voraus, dass Fett mit dem Begriff »Fuchsmajor« etwas anfangen konnte. Fett konnte. Hohenstein war für die Betreuung der neuen Corps-Studenten verantwortlich, für die »Füchse«. Fett hatte vor Jahrzehnten einen Mord in einer schlagenden Verbindung bearbeitet. Er kannte den Tonfall, die Verbindlichkeit und das Trinkverhalten der »Füchse« und der »Alten Herren«, die ein für alle Beteiligten segensreiches Netzwerk bildeten.

»Danke für den Empfang und viel Erfolg bei Maschinenbau. Tatort trifft es.« Fett schaute sich um. Alles blitzblank, in der ein oder anderen Ecke eine leere Kölschstange, wahrscheinlich vom Vorabend.

»Wie können wir Ihnen weiterhelfen?«

»Ist Ihnen, Ihren Füchsen oder den Alten Herren heute Morgen zwischen 6 und 10 Uhr etwas am Haus gegenüber aufgefallen?«

»Bei mir hat sich niemand gemeldet, Herr Kommissar. Wir hatten gestern Kommers gemeinsam mit unseren Alten Herren zum Thema ›Zukunft braucht Herkunft‹. Da ist reichlich Bier geflossen. Silentium war erst gegen 3 Uhr in der Früh. In der Zeit, von der Sie sprechen, da garantiere ich Schnarchpause.«

»Schlagen Sie oder sind Sie eine gemischte Verbindung?«

»Ich sehe keinen Zusammenhang zu Ihren Ermittlungen. Wir sind nichtschlagend, aber auch nicht gemischt.« Hohenstein stand Fett Rede und Antwort, er hatte ihm keinen Platz angeboten.

»Dann waren nur Männer gestern Abend hier?«

»Ja, so war es. Und ich war der Erste heute Morgen in der Küche. Nach so einer Nacht braucht es viel Rührei mit Speck. Sie verstehen?« Hohenstein lächelte und deutete an, dass so manches Fass geleert worden sei.

»Sie und Ihre ›Füchse‹ wohnen hier. Kennen Sie den Nachbarn von gegenüber?«

»Muss passen, Herr Kommissar. Wir sind, im positiven Sinne, selbstbezogen. Unsere privaten Zimmer liegen hinten, vorne die Gesellschaftsräume. Ich glaube, niemand kann Ihnen helfen.«

Fett schaute sich um. Einige Füchse schlichen sichtlich angeschlagen durch den Flur, grüßten ihn und den Fuchsmajor. Die großräumige Villa war bestens in Schuss.

»Bitte sprechen Sie trotzdem bei der nächsten Kneipe oder dem nächsten Kommers die Tötung Ihres Nachbarn von gegenüber an. Er wurde heute Morgen erschlagen aufgefunden. Sie, als zukünftige Elite unseres Landes, sollten sich der Verantwortung bei einem Tötungsdelikt bewusst sein.«

»Selbstverständlich, Herr Kommissar. Sie können sich auf mich verlassen. Ich werde heute unserer Charge vorschlagen, eine außerordentliche Kneipe mit der gesamten Corona und ohne Kantus im Haus einzuberufen. Nur geringer Alkohol, versteht sich. Ich melde mich, wenn einer von uns helfen kann.« Schneidig antwortete Hohenstein, er stand fast stramm.

»Von mir aus können Sie am Ende wieder ein Fass leeren, bitte vorher nicht. Und falls ich noch Fragen habe, wäre es schön, wenn wir uns irgendwo setzen könnten, ansonsten lade ich Sie ins Präsidium ein.« Fett verabschiedete sich kurz. Der Sprachgebrauch und die eigene Welt gegenüber vom Haus des Ermordeten irritierten ihn. Ihm fiel auf, dass der junge Hohenstein keine Fragen gestellt, überhaupt empathielos auf die Erwähnung des Tötungsdeliktes reagiert hatte.

5 Ed van Uien hat nichts gesehen

»Conti, Kriminalpolizei, nur ein paar Fragen.« Sie hatte bei dem Kunstsammler Ed van Uien geklingelt. So stand es auf dem bronzenen Klingelschild, worüber sich Conti wunderte, denn Kunstsammler bedeutet Einladung zum Einbruch. Sie sah einen Schatten hinter der milchigen Scheibe der massiven Glaseingangstür.

Eine schüchterne Endsechzigerin, so filigran, dass ein Windstoß sie in den Wintergarten befördert hätte, öffnete die Tür, schaute irritiert, die langen grauen Haare mit Mittelscheitel erinnerten an die Hexen in Macbeth, der Mund stand verdächtig lange offen, sie trug etwas aus Leinen, das sackhaft an ihr herabfiel. Zweifellos aus einer edlen Boutique, dachte Conti. Ein starker Parfümduft wehte aus der Haustür, die ersten Bienen in den Blüten des Vorgartens nahmen Reißaus.

»Ed!« Sie rief lang gezogen, mehr klagend als freudvoll. »Eeeeed!« Ihr Mund verzog sich, das Gesicht glich einer Grimasse.

»Jammer! Wat is nu schon wieder los.« In einer englischen Breitcordhose, weißem Markenhemd von Hilfiger, grauem Haarschopf, dichtem Bart auf den Wangen kam eine voluminöse Erscheinung, der Mensch, der Ed van Uien sein musste, aus der Tiefe eines dunklen Flurs zur Tür. Der 70-Jährige wirkte wie ein alter Seebär, Indiensegler oder Walfischfänger, ein Kapitän Ahab aus den Niederlanden, ein Ahab mit erloschenen Augen, kein Feuer, keine Neugier, vielleicht hatten sie zu viel gesehen. Hände wie Pratzen eines Bären, karierte Pantoffel an den großen Füßen und eine Brille an einem Schnürsenkel um den Hals hängend, tapste er auf Conti zu.

»Conti, Kriminalpolizei Aachen.« Sie zeigte ihren Dienstausweis. »Darf ich reinkommen?« Sie war von dem riesigen Schatten vor ihrer Nase überrascht, vor allem nach dem Luftgeschöpf, das die Tür geöffnet hatte.

»Binnen! Binnen! Nu lass die Kommissarin nach binnen, Inge!« Also Inge, dachte Conti. Inge im Leinensack, na dann.

»Frau van Uien, nehme ich an?«

»Ja, bitte sehr, Inge van Uien. Mein Mann kommt aus Maastricht …« Weiter kam sie nicht. Sie schlug die Augen zur Decke, sie war Unterbrechungen gewöhnt.

»Simpelveld, jammer, Simpelveld! Ik kom uit Simpelveld, hab in Maastricht gearbeitet bei die TEFAF, die Kunstmesse. Immer vergisst du, dass ich aus Simpelveld komme. Inge, Inge! Immer hab’ ich 24/7 gearbeitet, 24 Stunden, 7 Tage. Immer, immer. Maastricht gearbeitet. Simpelveld geboren.« Er brummte wie ein hungriger Bär, murmelte was in seinen Bart, schüttelte verärgert den Kapitänskopf.

Spannung lag in der Luft, an den Wänden hingen abstrakte Gemälde. Conti folgte Inge und Ed van Uien in ein geräumiges Wohnzimmer mit breiter Fensterfront zum Lousberg. Großer Esstisch aus Tropenholz, Skulpturen aus Afrika, ein Emil Nolde an der Wand, Teeservice aus China, Freischwinger à la Mies van der Rohe, exklusive Kunstmagazine und Schälchen mit Erdnüssen auf dem Beistelltischchen, im Regal Whisky, Cognac, Genever, Grappa.

»Ming«, knurrte Ed van Uien, zeigte auf das Porzellan. »Alles Ming.«

»Oh!« Conti staunte über die hauchdünnen Teeschalen.

»Tee?«

Ed van Uien schien vornehmlich aus Einwortsätzen zu bestehen und Antworten nicht zu erwarten. Bei jedem Wort zuckte die langhaarige Inge zusammen, ihre Augen flackerten unruhig. Gereiztheit lag in der Luft, konstatierte Conti und rechnete mit dem Erscheinen eines ungarischen Hirtenhundes von einem handverlesenen Züchter aus dem Großraum Plattensee. Jedenfalls roch es nach Hund.

»Inge, Hund!« Der Bär brummte, grunzte.

Na bitte, dachte Conti. Inge huschte aus dem Zimmer, und Ed van Uien wies Conti einen Stuhl an dem schweren Holztisch zu, schlurfte in der Breitcordhose und mit seinen Schluppen in die Küche. Durch eine Wandöffnung sah die Kommissarin ihn dort hantieren. Zwei Teetassen und eine Flasche mit irgendwas jonglierend, kehrte Ed van Uien zurück.

»Ming«, hauchte Conti.

»Goed, ihr kennt euch aus«, brummte er mit fünf Wörtern, und Conti bemerkte den Kommunikationsfortschritt. Ed van Uien stellte alles auf den Tisch. Conti schaute auf einen Haufen Schaumstoffobjekte in einer Ecke des Wohnzimmers, die an Verpackungsmaterial erinnerten.

»Eine spannende Arbeit.« Conti zeigte auf die Installation.

»Ja, ja. Sehr spannend. Sehr, sehr. Hab’ ich günstig bekommen. Es heißt ›Save the planet number 3‹. Das ist von die, warten Sie, wie heißt er noch? Oder war das die von die tschechische Performerin? Inge!« Er rief so laut, dass die Mingtassen wackelten.

»Ed?« Inge stöhnte mehr, als sie fragte.

»Von wem ist die da noch in die Ecke, die mit die Kunststoff?«

»Ed, das ist das Geschenk von der Galerie Myers aus Amsterdam.«

»Ja, ja. Myers. Das ist von die Myers, Frau Kommissar. Ja, ja.« Zufrieden plumpste der Seebär auf den Freischwinger, der sich verdächtig tief durchbog. Der Künstlername blieb verschollen; Galerie Myers halt.

»Ed sammelt alles, müssen Sie wissen. Ed sagt immer, die Kunst, ja die Kunst, das ist die Religion des 21. Jahrhunderts.« Inge lächelte, weil sie glaubte, etwas Kluges gesagt zu haben.

»Das Heilige, Inge! Das Heilige! Immer verwechselt du das. Immer, jammer, jammer. Kunst, Frau Kommissarin, Kunst, das ist nämlich die Wahrheit, Frau Kommissarin, das ist das Heilige, das ist der Ersatz für die Jesus an die Kreuz. Dat hebben wir in Maastricht gewisst. Omdat wir die beste Messe in die Welt waren. Die beste Messe. Alles voll, alles. Die ganze Flugplatz von Maastricht voll. Und die Autos. Alles: Bentley, Maibach, Jaguar, Ferrari, Maserati, Lotus. Alles, alles.« Ed sackte in sich zusammen, wie ein Sitzball mit Einschussloch.

»Sie sammeln lange, nehme ich an?« Conti weckte ihn.

»Ja, ja. Künste, bildende Künsten. Das ist wichtig. Das ist wertvoll. Ja, ik sammel lange. Doch. Ik heb direkt gezien, dat kann. Dat ist ein Geschäft. Die Leute wollen das hebben. He, Jongens, komm gucken. Ik heb een Monet, ik heb een Picasso, ik heb een Dali. Ja, dat klopt. Niet so eine dicke Auto oder Jacht oder so. Künste, dat is in die Milieu van Belang, dat is wichtig. Da kriegst du Respekt von die andere Jongens mit die dicke Portemonnaie. Und die Frauens, die sind jeck nach die Bilder. Die wollen immer mehr hebben. Die kommen mit die oude Jongens nach die TEFAF. Die Frauens, die kopen die Künsten, want die Frauens, die haben so entsetzlich Langeweile, ennui, die langweilen sich. Dann kopen die Bilder, alles, Skulpturen. Die kopen und die zeigen das einander. Dann kannst du wieder Champagner trinken und so. Ja, ja. Eine gute Geschäft mit die Kunst, die oude Kunst. Ook die moderne Kunst. Dann kann die Künstler kommen in die Haus von die Käufer. Champagner, Kaviar und eine richtige Künstler. Dat hebt nicht jeder vor sein Party. Also die Künsten, da moet je investieren. Kaufen, kaufen. Sammeln, sammeln. Dann biste van Belang, dann biste in die Welt wichtig. Egal, wat je sammelt. Nur bekannt, dat moet. Immer lecker Wein trinken dabei. Immer lecker eten. Eten ook. – Inge, boterham met kaas!« Er wollte ein Butterbrot mit altem Gouda. Ed spürte Hunger, er hatte viel referiert.

»Der ökologische Fußabdruck bei der TEFAF steht dann wohl auf Dunkelrot. So viele Flugzeuge, all die Reisen, die Kunsttransporte, die Kuriere, die klimatisierten Hallen. Passt das alles zusammen? Überall wird der Klimanotstand ausgerufen«, bemerkte Conti kritisch.

»Klima, Klima. Jammer. Immer Klima. Das ist typisch deutsch. Wie Inge? Immer Scheißklima. Künsten, es geht um Künsten. Da kann je niet immer Klima zeggen. Dat moet, dat moet. Künsten und Klima. Ne, ne. Die Menschen wollen die Künsten. Künsten sind dat Klima. Künsten, das ist heilig. Da kan je niet kommen mit schlechte Luft oder so. Künsten, die sind die Ampel, die sind die Seismograf. Dann moet eben eine Klimabox kommen uit New York oder so.«

»Wer kann sich das leisten? Bestimmt die sehr reichen Menschen. Die, die investieren, die sich unterscheiden wollen.«

»War immer so! Immer! Die Fürsten, die Adel, die Medici. Immer. Stets. Ja, ja. Klima. Ne, ne. Dat is niet van Belang voor die Künsten. Nicht wichtig für die Kunst. Klimaanlage, die ist wichtig. Schön kühl. Dat moet. Schön kühl für die oude Meister.« Ed schlurfte zur Toilette, ohne sich zu entschuldigen. Wenn er über die heilige Kunst sprach, da verließ ihn alles, sogar der Anstand.

6 Alte Kunst und alter Käse

Ed van Uien dachte bei der Rückkehr an oude Gouda, an alten Gouda, an ein boterham, ein Butterbrot. Irgendwie war durch die Kommissarin nicht nur sein Vormittag durcheinandergeraten, sondern auch sein Denkvermögen. Inge hatte nie so mit ihm über den Klimakäse gesprochen. Auch nicht die Direktoren der Museen, die nach Maastricht pilgerten wie die Gläubigen nach Mekka. Sie küssten ihm die Füße, tranken den Schampus, die kleinen Direktoren von den kleinen Museen mit ihren Einstecktüchlein und Schuppen auf dem Sakko. Sie lachten über Witze, die keine waren, schwafelten dummes Zeug über Kunst, schleppten mit Botox veredelte Pseudosammlerinnen zu den Galeristen, zwinkerten mit kleinen Äuglein und erhielten Provision von Verkäufen, deren Echtheitszertifikate seit dem Kunstfälscher Beltracchi rauf und runter geprüft wurden. Zu viele waren auf die Nase gefallen, von lachenden Galeristen und vermeintlichen Experten um viel Geld erleichtert worden. Ed betreute einige reiche Privatsammler, ehemalige Manager, pensionierte Botschafter, er gab Hinweise, checkte Werte und handelte mit den Galeristen einen Preis aus, bevor er seine Sammler antriggerte, sie heißmachte, sie zum Kauf drängte. Alle waren zufrieden. Er plumpste auf den Freischwinger und setzte zu einer weiteren Ausführung an:

»Wenn du nicht nach TEFAF kommst, dann gibt es dich nicht! Das zeggen die Direktoren von die Museen. Du musst kommen nach TEFAF und nach Art Basel. Sonst gibt es dich nicht. Verstehen Sie, Frau Kommissarin? Das ist van Belang. Das ist wichtig. Dabei sein. Ganz, ganz wichtig. Sonst gibt es dich nicht in die Welt von die Künsten. Scheiß auf Klima. Künsten, die überleben. Dat ist heel wichtig. VIP und very VIP. Dat kan. Ook von die arabische Welt.«

»Interessant, Herr van Uien, oder spannend, wie man ständig in der Kunstwelt sagt. Kommen wir zurück zum Anlass meines Besuchs. Haben Sie heute Morgen zwischen 6 und 10 Uhr nebenan etwas bemerkt? Oder Ihre Frau?« Conti gewann den Eindruck, dass Ed und Inge in einer abgeschotteten Welt von Ming bis Warhol lebten. Und diese Abschottung tat ihnen nicht gut.

»Nebenan? Links oder rechts, Frau Conto?« Ed warf den Kopf von links nach rechts.

»Conti«, verbesserte die Kommissarin »Rechts.«

»Rechts, Inge!«

»Ja, Edilein, ich komme.« Sie bestrich noch das Weißbrot und suchte den alten Gouda im unteren Schubfach des Designerkühlschranks.

Edilein, das wird ja immer toller, dachte Conti.

»Inge. Nebenan. Heute Morgen!«

»Ja, ja. Da wohnt der Herr Dieudonne und links nebenan Professor Kaschurke, der macht was mit Strom.« Sie fand nur jungen Gouda.

»Nicht Kaschurke«, knurrte Ed.

»Dieu wie?«

»Dieudonne, Herr van Uien.«

»Nix. Gar nix. Oder, Inge?«

»Nein Edilein, nichts. Wir haben gefrühstückt um 9 Uhr. Edilein frühstückt immer um 9 Uhr boterham met kaas. Danach zählt er alle Gemälde im Haus. Dann schläft er ein wenig. Bis Sie gekommen sind, Frau Kommissarin.« Der Hund bellte im Garten unaufhörlich.

»Kusch, Inge! Quatsch. Frau Conto will weten, will wissen, ob wir was gesehen haben bei die Dieu da. Und mach die van Gogh kusch. Immer bellt van Gogh.«

»Sie haben beide nichts bemerkt?«