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Eine tote Spanierin und ein ermordeter Bischof geben den Aachener Kommissaren Rätsel auf. Wurde der Bischof Opfer einer Intrige? Wer ist die Spanierin mit den vielen Identitäten? Sie hatte Beziehungen zu einem Abgeordneten, einem Offizier vom Fliegerhorst Nörvenich und stammte aus Fuerteventura. Plötzlich schalten sich in beide Fälle Geheimdienste ein. Da erkennen die Kommissare Fett und Conti die riesige Bedrohung für die Region: Heiligtumsfahrt und Reitturnier absagen? Oder gilt die Drohung dem Fliegerhorst Nörvenich?
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Seitenzahl: 183
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Olaf Müller
Adiós, Aachen
Kriminalroman
Das Ende der Gewalt? Ines Villoslada liegt tot im Westwall bei Aachen. Weihbischof Gänsmann wird im Beichtstuhl von Sankt Foillan erdrosselt. Wer ist die Spanierin mit den vielen Identitäten? Wurde der Bischof Opfer einer kirchlichen Intrige? Seine Haushälterin weiß mehr, schweigt aber. Kommissar Fett und Kollegin Conti ermitteln in beiden Fällen. Spuren führen zu einem Europaabgeordneten, einem Offizier vom Fliegerhorst Nörvenich, nach Morro Jable auf Fuerteventura, Barcelona, in den Aachener Pony-Club und zum Opus Dei. Plötzlich interessieren sich der spanische Geheimdienst, die CIA und der Militärische Abschirmdienst für beide Fälle. Aus Lüttich warnt Chantal Kalumba die Aachener Kollegen: Heiligtumsfahrt und Reitturnier könnten Ziel eines Anschlags sein – oder der Fliegerhorst Nörvenich. Heiße Tage in Aachen.
Olaf Müller wurde 1959 in Düren geboren. Er ist gelernter Buchhändler und studierte Germanistik sowie Komparatistik an der RWTH in Aachen. Seit 2007 leitet er den Kulturbetrieb der Stadt Aachen. Sprachreisen führten ihn oft nach Frankreich, Italien, Spanien sowie Polen und Austauschprojekte in Aachens Partnerstädte Arlington (USA), Kostroma (Russland) und Reims (Frankreich). Als junger Segelflieger erlebte er die Eifel aus der Luft, als Wanderer heute vom Boden. „Adiós, Aachen“ ist sein neunter Kriminalroman im Gmeiner-Verlag.
Personen und Handlung sind frei erfunden.
Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen
sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.
Die automatisierte Analyse des Werkes, um daraus Informationen insbesondere über Muster, Trends und Korrelationen gemäß § 44b UrhG (»Text und Data Mining«) zu gewinnen, ist untersagt.
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Alle Rechte vorbehalten
Lektorat: Claudia Senghaas, Kirchardt
Herstellung/E-Book: Mirjam Hecht
Umschlaggestaltung: U.O.R.G. Lutz Eberle, Stuttgart
unter Verwendung eines Fotos von: © engel.ac / stock.adobe.com
ISBN 978-3-7349-3002-7
»Die Natur will unwiderstehlich, dass das Recht zuletzt die Obergewalt erhalte.«
Aus: Immanuel Kant (1724–1804) Zum ewigen Frieden (1795)
Erst kam der Tod zu Ines Villoslada, dann zu Weihbischof Gänsmann.
»Und der Bischof saß tot im Beichtstuhl?«
»Ja.« Still heulte Renate Wamich, gebeugt, weit über 70, Haushälterin des Weihbischofs in dessen Wohnung an der Ritter-Chorus-Straße in Aachen. Ihr Dutt wackelte. Einige Haarnadeln drohten mit Akupunktur des Fußbodens.
»Ich denk noch, wo bleibt er denn? Die Rinderkraftbrühe war doch heiß. Die mochte er so sehr. Mit Eierstich. – Also er hing mehr in seinem Stuhl. Ach, was sage ich. Er lag verkrümmt. Die Augen habe ich ihm geschlossen. Dann bin ich raus zur Dominformation, die Polizei anrufen. Und die Suppe stand auf dem Herd!«
Wieder wackelte der Dutt. Fett dachte an seine Oma in Langerwehe, bei der er in jedem Kindheitssommer mehrere Wochen verbracht hatte. Der Dutt war ihm stets ein Rätsel geblieben, eher der Zweckmäßigkeit bei Garten- und Küchenarbeit untergeordnet. So ein Dutt, der kann ein richtiger Liebestöter sein, ging es ihm durch den Kopf. All die Nadeln, dieses Vogelnest, das hat eine Signalwirkung. Ob Bischofshaushälterinnen den tragen müssen? Dutt-Verordnung des Kardinals? Oder sogar des Heiligen Vaters? Und die jungen Männer mit Dutt? Woher kam der Käse? Fett schweifte ab.
Mit Eierstich. Er konzentrierte sich. Wichtiges Detail. Kollegin Conti stöberte in der Bibliothek des toten Weihbischofs, die zugleich dessen Arbeitszimmer war. Sie hatten bereits gestern Frau Wamich befragen wollen, doch der Schock über den toten Weihbischof, die Gefahr durch die köchelnde Rinderkraftbrühe; es war zu viel für die gute Seele. Doktor Schunkert bat energisch um Schonung von Frau Wamich. Unbedingt schonen, Klosterfrau Melissengeist wirken lassen, so der Doc. Da kannst du nichts machen, sagte sich Fett. Wenn ein Klerikaler stirbt, den du gefühlt seit Christi Geburt gepflegt hast, ist das fast wie beim Jüngsten Gericht. Da muss man Frau Wamich schützen. Obwohl gerade die Haushälterinnen, die kriegen doch alles mit, na, sagen wir fast alles. Oder gab es mehr? Haushälterin und Bischof? Habe ich etwa Vorurteile, fragte er sich. Aber ein Vorurteil, das kann man wieder löschen. Heißt ja auch Urteil vor dem Urteil: Vor-Urteil. Fett blickte auf den Dutt. Er verwarf den Gedanken.
»Und nach dem Eierstich? Erzählen Sie den Ablauf nochmals.« Fett blickte wie ein achtsamer Lektor der Frühmesse. Druck im Kopf. Das verflixte Januarwetter.
»Ich hab den Topf vom Herd genommen. Seine Exzellenz liebte heiße Rinderkraftbrühe. Der Sauerbraten war auch warm. Ich bin über den Katschhof zu Sankt Foillan gegangen, habe mich bekreuzigt. Niemand war dort, alle rennen in den Dom und lassen Sankt Foillan links liegen. Exzellenz wollte immer in Sankt Foillan sitzen und die Beichte abnehmen. Normalerweise samstags, diesmal am Mittwoch, weil der Beichtvater vom Opus Dei verhindert war. Wissen Sie, wenn wir samstags Massenbeichte haben, ist es unruhig. Und alle wissen: Exzellenz in Sankt Foillan. Die finden ihren Weg zu ihm. Also die fanden. Herrgott, was für ein Unglück!«
»Massenbeichte?« Fett dachte an die Massentaufen oder was immer das war im braunen Ganges in Indien – Massenbeichte in Aachen. Welche Sünden? Welche Sünder? Massenbeichte! Da müssten eigentlich PKW der Oberklasse anrauschen. Bestimmt haben die ihren eigenen Pfarrer, den Ablasspfarrer. Der sammelt für Afrika oder Asien oder Südamerika, kommt sonntags vorbei zum Schlemmermahl. Es gibt reiche Familien, die haben quasi einen Pfarrer integriert, Pflegefamilie oder so ähnlich. Sonntags und abends in der Woche, da lässt er sich den Roten schmecken und guckt den heranwachsenden Mädchen lange nach – oder den Burschen. Und die Hausfrau, die hat den als Ersatz für den Therapeuten. Händchenhalter, weil der Ehemann immer auf Dienstreise ist. Geschäftsabschlüsse, Aufsichtsrat, Messen in Singapur, Miami. Es hilft halt, wenn der schwarze Mann, also schwarze Soutane, ab und an nach dem Rechten sieht: Trost, Seelenspeise. Fett verlor sich in seinen Vorurteilen, die, das muss hier gesagt sein, durchaus auf Beobachtungen zurückgingen.
Welche Sünder, Kruzifix? Frau Wamich holte Fett zurück.
»Also früher. Heute beichten nur Ömchen. Aber er wollte nicht im Dom sitzen, sondern bei den Leuten in Sankt Foillan, sagte er. Bei den normalen Leuten.«
»Sankt Foillan«, wiederholte Fett. Frau Wamich nickte. »Wann meldete er sich für die Vertretung am Mittwoch?«
»Schon vor drei oder vier Wochen. Er hat getauscht. Einen Samstag gegen den Mittwoch. Der Beichtvater vom Opus Dei war verhindert, verreist, was weiß ich.«
»Er saß in Sankt Foillan? Und die Massenbeichten samstags waren immer nur für Ömchen?« Fett stützte sich auf den imposanten Bischofsschreibtischstuhl. Mindestens frühes Mittelalter. Raubkunst aus dem Dreißigjährigen Krieg? Von Landsknechten nach Aachen verschleppt? Seine Gedanken flogen in alle Richtungen. Müdigkeit, keine Luft in dem Zimmer, die dicken Teppiche, braune Regale, zentnerschwere Vorhänge, jetzt ein Espresso, das wäre es!
»Ja. Immer Ömchen. Dort saß er. Manchmal, wenn er vor dem Beichttag einen langen Abend hatte, ist er im Beichtstuhl eingeschlafen.«
»Hoffentlich nicht beim Sündenregister der Beichtenden«, entfuhr es Conti.
Fett schüttelte den Kopf, zeigte kurz auf seine untere Lippe. Conti hatte wieder Zahnpasta oder Nivea oder irgendeine Frauencreme nicht richtig entfernt oder einmassiert. Prompt fuhr sich Conti, die Augen verdrehend, über den Mund.
Frau Wamich mochte die Kommissarin von Anfang an nicht. Zu jung, zu knackig, zu frech. Kommt die mit Lederjacke in die Wohnung des Bischofs! Frauen bei der Polizei! Frau Wamich dachte an den Weihbischof. Jetzt muss ich mal weinen, sagte sie sich und presste eine Träne oder zwei auf ihre Wangen. Der arme Weihbischof. Erdrosselt im Beichtstuhl. Und sie findet ihn vor dem Abendessen. Und die Suppe mit Eierstich: kalt. Was wird aus mir? Ein neuer Bischof? Ach, die jungen Bischöfe. Nein, nein, nein. Bestimmt einer aus Polen oder Afrika. Das schaffe ich nicht mehr. Die verstehen keine Mundart. Da muss ich jedes Wort langsam aussprechen. Außerdem wollen die ihre eigenen Gerichte. Den Sauerbraten kann ich vergessen. Bestimmt sind es Vegetarier. Herr Jesu, steh mir bei!
Nun muss man etwas Verständnis aufbringen für eine Haushälterin und Köchin wie Renate Wamich. Mit Hauswirtschaftslehre aufgewachsen, keine Paradiesäpfel genascht, immer den Herren und dem Herrn zu Diensten. Die Vorstellung, mit gebackener Banane oder schlesischen Klößen hantieren zu müssen, mit Kokosmilch und Krakauern, schreckte sie. Und erst der Wodka. Was haben die Kolleginnen nicht alles über polnische Priester erzählt. Am schlimmsten seien die, die täglich Radio Maria hörten. Die Wellen der Verzweiflung schlugen über Renate Wamich zusammen. Dann fand sie zurück zu der Frage von Kommissar Fett.
»Ich klopfe leise am Beichtstuhl an. Exzellenz muckst sich nicht. Wieder eingeschlafen, denke ich. Also öffne ich vorsichtig die Tür. Da liegt er, sitzt er oder hängt. Wie dem auch sei. Er ist tot. Das sehe ich.« Weitere Tränen suchen den Weg über ihre Wangen. Sie schlägt die Augen zur Decke oder zum Himmel oder zu beidem, schließt sie, bekreuzigt sich und presst ein Taschentuch an ihre Lippen.
»Ist Ihnen denn in den letzten Tagen und Wochen etwas aufgefallen?« Eine kleine Modulation in seiner Aussprache, eher Yogalehrer oder Reiki-Meister, das half in solchen Momenten. Fett kannte sich aus: quasi Beichte.
»Aufgefallen? Nein, nichts. Oder. Er war der Missbrauchsbeauftragte des Bistums. Das lag ihm auf dem Magen.« Sie blickte zum Gekreuzigten über der Tür und bekreuzigte sich. Ihr war etwas aufgefallen. Sie fand die blauen Pillen vor einem halben Jahr in der Schreibtischschublade. Bischof Gänsmann glaubte, sie hätte keinen Nachschlüssel. Irrtum. Sie musste ihn überwachen. Glauben half nicht immer. Wissen war angesagt. Er war in Versuchung. Weihbischöfe waren immer in Versuchung. Sie sah es doch, sie schnupperte an den hellblauen und rosa Briefumschlägen ohne Absender. Die Versuchung, die Versuchung! Sie hatte es im Seminar für die Bischofshaushälterinnen gelernt. Die Kirche wusste Bescheid. Seit Jahrhunderten war sie da, seit Christi Geburt: die Versuchung, die fleischliche Lust! Manchmal kamen Päckchen mit selbst gemachter Marmelade, handgestrickte Mützen, Socken. All diese Versuchungen hatte sie im Seminar für Haushälterinnen gelernt, damals in Blankenheim. Der Abgesandte der Bischofskonferenz, ein schneidiger Jesuit, hatte es ihnen eingetrichtert. Die Versuchung! Die Versuchung! Auch ihr seid versucht! Und all die Kerzen zur Weihnachtszeit. Was sollten all die Kerzen? Die Frauen schickten dem Bischof Kerzen. War schon merkwürdig. All die dicken Dinger. Die blauen Pillen. Da war etwas! Und als sie einen Tag früher vom Besuch ihrer Schwester aus Biberach zurückkehrte, sie hatten sich wieder verkracht, sah sie diese Frau aus dem Haus treten. Schweigen, nein, ich werde schweigen. Renate Wamich schwieg. Das Bild hatte sich eingeprägt.
»Der Missbrauchsbeauftragte?« Fett wurde hellhörig.
»Ja. Alles geheim. Das bedrückte ihn. Fragen Sie Monsignore Kleineidam, wenn Sie mehr darüber wissen möchten. Sie waren befreundet.«
»Machen wir.«
Contis Pumps versanken derweil im dicken Teppich des Arbeitszimmers von Gänsmann wie im Brackwasser vom Hohen Venn. Die Luft stand. Alle Fenster geschlossen. Dichte Gardinen verhinderten jede Luftbewegung und den Blick in die Weite. Überall Kreuze, Bibeln, Devotionalien, Nachschlagewerke, darunter der Hexenhammer, Lutherbibeln, Pater Anselmus und die Romane von Dan Brown. Zwei schwere Ledersessel mit abgegriffenen Lehnen. Ein Eichenholzschreibtisch, der aus dem Mittelalter zu stammen schien. Schränke, Beistelltische, eine Minibar mit bestem Cognac, Portwein, Kirschwasser, dazu etliche Weinflaschen der Marke Kröver Nacktarsch. Ob es der Lieblingsmesswein war? Ein Foto: Gänsmann küsst den Fischerring von Papst Johannes Paul II. Kein Bild von Benedikt, nur Papst Franziskus. Wonach roch es? Eine Mischung aus Weihrauch, alten Möbeln, Mottenpulver, Papier, Ledereinbänden, Talaren, altem Mann. Auf dem Tisch zu ihrer Überraschung Die Torheit der Regierenden von Barbara Tuchman, daneben das Gesangbuch des Bistums Aachen.
»Wie war das Verhältnis zum Diözesanbischof, Frau Wamich?«
»Gut, gut. Weihbischof Gänsmann war ein treuer Helfer des Bischofs. Exzellenz lebte lange hier, bevor der neue Diözesanbischof kam. Nun wäre er 68 Jahre alt geworden in diesem Jahr, der Weihbischof. Mein Gott, mein Gott!«
»Keine Konflikte? Was sagte er zu dem Kollegen, der wegen Unterschlagung verurteilt wurde?«
»Nichts, nichts. Dazu sagte er nichts. Vielleicht sprach er mit dem Generalvikar darüber oder dem Dompropst. Nicht mit mir. Ich bin nur die Haushälterin.«
Conti zeigte auf Die Torheit der Regierenden. Fett nickte.
»Warum liegt das Buch auf seinem Schreibtisch? Ein Sachbuch über die Verblendung von Regierungen?« Fett blätterte in dem Buch und stieß auf ein Kapitel über die Torheit der Päpste.
Frau Wamich konnte weder mit dem Titel noch mit der Autorin etwas anfangen. »Ich weiß es nicht. Er ging oft in Buchhandlungen. Die Bibliothek war seine Sache, Haushalt und Küche meine.«
»Wir müssen die Räume von der Kriminaltechnik untersuchen lassen. Verstehen Sie sicher.«
»Natürlich«, beeilte sich Renate Wamich. Die blauen Pillen waren bereits im Bischofsklo gelandet, einschlägige Briefe ebenfalls, Socken, Mützen, Schals lagen im Altkleidercontainer. Niemand sollte das Bild des Weihbischofs beflecken, niemand. Schließlich hätte man auch ihr Vorwürfe machen können, weil sie von der Sünde wusste. Sie dachte an den schneidigen Jesuiten in Blankenheim, an Weihbischof Heinrich Gänsmann, der zuletzt sogar ins Sportstudio gegangen war, um seine Sauerbratenpfunde loszuwerden. Renate Wamich aus Heistern, die ihr Leben ausschließlich der Kirche, dem Glauben, dem Weihbischof gewidmet hatte, hielt den Schlüsselbund fest in der Hand.
»Danke.« Conti sah sie nachdenklich an.
»Ach, noch eine Frage.« Fett blickte auf die Fotos des Weihbischofs. »Er war erstaunlich fit für sein Alter. Ein Johannes-Heesters-Typ. Oder Bedford-Strom-mäßig. Haben eher Frauen bei ihm gebeichtet?«
»Ich saß doch nicht dabei!« Eine leichte Empörung garnierte die Aussage von Renate Wamich. Ihre Wangen röteten sich.
»Wir kennen das vom Papst.« Fett kramte sein Wissen aus der Friseurlektüre hervor. Stand in der BUNTEN. »Manche Frauen rennen den Exzellenzen des Glaubens hinterher, vom Gardekaplan in Rom bis zum Bischof vor Ort. Regelrecht hörig oder besessen sind sie von der Nähe zu den Würdenträgern. Sie würden alles für sie tun.«
»Die vielleicht. Ich nicht!« Renate Wamich dachte an die Kollegin in Blankenheim, die bereits am zweiten Tag des Seminars suspendiert wurde. Sie hatte nachts an die Tür des Seminarleiters geklopft und über Herzprobleme geklagt. Doch der Jesuit war unerbittlich. Das Herz sei bei ihr wohl etwas tiefer im Körper verortet. Schwups, schon war sie weg und kochte fortan in der Armenküche von Erkelenz.
»Ich meine nicht Sie. Sie leben, wie soll ich sagen, in der Gnade der ewigen Unschuld. So leben nicht alle Frauen. Manche fühlen sich zu den Hirten im Weinberg des Herrn besonders hingezogen. So entsteht ein sehr inniges Verhältnis. Nachwuchs nicht ausgeschlossen. Ist vorgekommen.« Fett legte nach.
»Der Weihbischof war unbefleckt, rein. Da können Sie lange suchen!«
Ah, dachte Fett. Es gibt solche und solche. Wie im richtigen Leben.
»Wer war denn befleckt?« Conti stellte die Frage, und das war ein Fehler. Renate Wamich blinzelte sie giftig an.
»Ich schweige. Schweigen ist Gold. Der Bischof ist noch nicht kalt und Sie kommen und wollen Schmutzgeschichten. Sind Sie überhaupt gläubig?«
Conti hüstelte. Fett blickte zu Jesus am Eichenkreuz. Er übernahm die Antwort.
»Ich war Messdiener, Frau Wamich. Für die Karriere zum Lektor hat es nicht gereicht, aber für die Erkenntnis, dass nicht alles dem lieben Gott gefällt, was hinter den Mauern der Institution Kirche und in den Residenzen der Eminenzen und Exzellenzen passiert.«
»Dann ist ja gut«, entfuhr es schnippisch der Haushälterin. »Was Sie mit Ihren Vorurteilen machen, ist Ihre Angelegenheit. Ich muss den Papierkram erledigen.«
»Wir ebenfalls. Auf bald.« Fett und Conti verließen das Arbeitszimmer mit dem moormäßigen Teppich und nickten kurz Jesus am Kreuz zu.
»Die hat die Wohnung gesäubert«, sagte Conti in die Stille des Dienstwagens. »Könnte es sein, dass Haushälterinnen Spitzel des Kardinals oder der Bischofskonferenz sind?«
»Gut möglich. Vielleicht sogar im Auftrag des Nuntius, des päpstlichen Botschafters in Deutschland.«
Conti blickte ihn überrascht an.
»Perfekte Überwachung.«
Auf dem Dach des Bischofshauses saßen drei Krähen. Eine sprang auf den Kamin, eine andere setzte zum Sturzflug auf einen Mülleimer am Generalvikariat an und hackte in Dönerresten. Fett dachte an die Krähen, die er vor zwei Wochen am Westwall verscheucht hatte. Totenvögel, immer dort, wo die Toten sind.
Er startete den Dienstwagen. Sie fuhren zurück ins neue Präsidium, wo Doktor Schunkert lächelnd ins Büro schneite.
»Der ist nicht mit den Händen erdrosselt worden.« Doktor Schunkert triumphierte. »Hab ich gleich gedacht.«
»Geht es etwas spannender?« Fett wurde ungehalten.
»Er hat eine Schlinge um den Hals gelegt bekommen. Dann wurde sie hinter seinem Kopf zugedreht.«
»Wie?«
»Ich mach es vor.« Schunkert hatte eine Schnur mitgebracht, legte sie Fett um den Hals, gab Conti die Enden und knüpfte einen Knoten um ein Lineal. Schunkert drehte das Lineal, und die Schnur zog sich immer mehr zu.
»Das reicht, Doc.« Fett entfernte das Mordinstrument. »Wie eine Hinrichtung der Mafia. Wir müssen das Leben des Weihbischofs durchleuchten. Hat er krumme Geschäfte gemacht, gab es Geliebte oder Liebhaber, hat er exorziert, Missbrauchsgeschichten? Ich will wissen, wer er war. Was hat er in den letzten Wochen gemacht? Zu blöde, dass niemand in der Kirche war, als der Mord passierte. Alle standen auf dem Münsterplatz und hörten dem ukrainischen Chor zu. Gänsmann war völlig allein. Bis auf den oder die Mörder.«
»Und Kameras gibt es nur am Elisenbrunnen, nicht am Münsterplatz.« Conti atmete tief ein. Ein ernster und schwieriger Fall. Sie tippte die Informationen in den Computer. Dann war Schluss.
Fetts Peugeot 404 sprang wieder nicht an. Conti lud ihn auf den Beifahrersitz ihres Fiat 595, der mit dem Skorpion auf der Kühlerhaube, und ratzfatz stand Fett am Templergraben, bevor er irgendeinen Plan für den Abend entwickeln konnte. Der Netto in der Milchstraße war noch geöffnet. Donnerstagabend. Der tote Weihbischof, vor zwei Wochen die tote Frau. Und heute? Hering in Tomatensoße?
Conti wollte Fett loswerden. Sie hatte Mädelsabend mit Elke Unsleber von der Kriminaltechnik, mit Cocktail und all dem Gedöns. Hatte Fett fast vergessen: Donnerstagabend – Mädelsabend. Er dankte, wartete, bis sie gedreht hatte, denn der Templergraben war weiterhin ein verkehrstechnisches Reallabor. Auf zum Netto.
Einkaufen entwickelte Fett zu einer Art Meditation. Er schob den Wagen durch die Gänge, griff zielsicher ins Basissortiment und registrierte den Jahresverlauf entlang der Non-Food-Artikel: Gartenschläuche, Rindenmulch – jahrelang hatte er »Rindermulch« verstanden und sich ein wenig geekelt – Holzkohle, Ostereier, Printen, Heimwerkerbedarf. Der Heimwerkerbedarf pendelte sich auf hohem Niveau ein. Schließlich waren die Baumärkte mittlerweile die Kathedralen des deutschen Mannes, zunehmend auch der Männer, die noch nicht so lange hier lebten. Beim Blick auf einen Akkuschrauber dachte Fett darüber nach, ob nicht die Kirche gut beraten wäre, Gottesdienste in Baumärkten anzubieten mit Segnung des Makita-Sortiments und der Weber-Grillstationen. Einen einfachen Grill aus Kinderzeiten konnte man lange suchen. Im Baumarkt standen Hochleistungs-Grillstationen, passend zum Elektro-SUV vor der Haustür und dem mit Solar beheizten Pool im Garten. Vermutlich, so Fett, würden mehr Menschen im Heimwerkermarkt verweilen und vor dem Weber-Grill knien als am Samstagabend in der Pfarre Heilig Kreuz. Alle könnten auf Liegestühlen ausruhen, Ventilatoren und Luftbefeuchter kümmerten sich um das Klima, die Pflanzenabteilung stellte Topfblumen bereit, kurz: optimal. Stattdessen standen die Arbeiter im Weinberg des himmlischen Herrn an der Autobahn und segneten Motorräder.
Fett drückte die Aus-Taste des Radios mit solcher Wucht, dass der Apparat fast durch die Wand gedonnert wäre. Wieder eine Backfischmoderatorin mit unerträglich guter Laune. Dieser penetrante Frohsinn der jungen Frauen im Radio und in der Glotze! Welche Lachpillen schluckten die vor Arbeitsbeginn? Wer konnte um 5 Uhr morgens diese Laune haben? Was koksten die, was warfen die ein? War Cannabis schon seit Jahren legalisiert? Hatte er was verpasst? Wann wurde endlich das Schlechte-Laune-Radio erfunden? Die ständige Verjüngung der Moderatoren brachte keine Verbesserung. Blöde Fragen, dümmliches Lachen, ewige Duzerei. Vielleicht musste ein Graue-Panther-Radio erfunden werden. Wie hieß die Tante? Trude Unruh. Auch tot. Fett schaltete die Kaffeemaschine ein: »Schale leeren!« – Fing ja gut an. Er leerte die Schale nicht, kochte Wasser, kippte zwei Teelöffel Nescafé in die rote Tasse, ein Schuss Milch und heißes Wasser drüber. Dunkelheit über Aachen.
Fett schaufelte nach dem ersten Kaffee am Freitagmorgen Wasser in sein Gesicht. Mehrfach hielt er seine Hände – wie früher in der Kirche zur Gabe der Hostie – unter den Wasserstrahl. Kaltes Wasser an einem kalten Morgen im Januar 2023. Erkannte er sich im Spiegel? Er schnitt seinem Gegenüber eine Grimasse: alter weißer Mann. Zweites Frühstück: Kaffee und Streuselbrötchen von der Nobis-Filiale gegenüber. Erdbeermarmelade war ausreichend vorhanden. Draußen war es nass, feucht. Wieder kein Frost, kein Schnee.
Was für ein merkwürdiger Fall, dieser erste Fall des Jahres. Die Tote lag zwei Wochen vor dem Mord am Weihbischof direkt nach Silvester verkrümmt zwischen den Betonhöckern des Westwalls bei Schmithof. Dornen, Gräser, Sträucher, Stacheldraht und mittendrin die bekleidete Tote. Sie wies keine Kampfspuren auf. Die Untersuchung der Kleidung brachte kein Ergebnis. Der Fundort war nicht der Tatort. Ein Schuss in den Hinterkopf mit einer Pistole Kaliber 9 Millimeter, Fabrikat unbekannt, jedenfalls keine Glock, Walther, Browning, Heckler & Koch oder SIG Sauer. Alles Hinweise auf eine Exekution. Keine Sexualstraftat, niemand vermisste sie. Warum waren ihre schwarzen Haare abgeschnitten? Grobe Schnitte in glänzendes, schwarzes Haar. Laut Doktor Schunkert war sie über 60 und am Abend vorher ermordet worden. Bauer Schultheis fand sie nur deshalb, weil ein Schaf ausgebüxt war und sich zwischen den Sträuchern und Betonhöckern verheddert hatte. Warum lag sie zwischen den Betonhöckern, bereits übel zugerichtet von Rotwild und Krähen? Die Veröffentlichung des Fotos brachte den Durchbruch: Ines Villoslada, Jahrgang 1956, Spanierin. Früher arbeitete sie bei der Aachener Spedition Ibero-Aixport. Erich Bender, Prokurist, hatte sie Ende letzter Woche auf die Spur gebracht. Er konnte sich sehr gut an sie erinnern. »Eine wahre Schönheit. Sie sprach fast akzentfrei Deutsch. Perfekt bei der Arbeit. Nur unnahbar.« Das Seufzen bei den letzten Wörtern verstanden Fett und Conti. Die Personalakte war unauffällig. Mitte der 80er-Jahre kam sie nach Aachen, sprach bereits gut Deutsch, fing als Aushilfe in der Abteilung Südeuropa an, besuchte das Abendgymnasium, Abitur. Schließlich leitete sie die Abteilung für Spanien. Niemand kannte sie näher. Sie sei freundlich gewesen, manche sprachen von verschlossen, unnahbar. Belegschaftsfeste habe sie in der Regel gemieden. Im Laufe der Zeit sei sie von allen akzeptiert worden. Ein Leben ohne Ecken, Kanten, Vorlieben, Hobbys.