Asphalt. Ein Fest - Klaus Brandenburg - E-Book

Asphalt. Ein Fest E-Book

Klaus Brandenburg

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Beschreibung

Mit Füßen treten wir ihn. Dabei ist Asphalt ein so wunderbarer Werkstoff. Lange bekannt; der alte Nebukadnezar hat ihn geschätzt. 1850 verbreitet er sich auch in Frankreich. Durch die Fédération du Progrès de France. Wo er Förderer und Bremser hatte, wie es sie in jedem Verein wohl gibt. Und eine schöne Vorsitzende. Mit einem jungen Assistenten...

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Inhaltsverzeichnis

Ein Skandal

Der Festakt

Pausengespräche

Café de Paris

Vereinswirren

Wie Maulwürfe

In der Vorstadt

Im Ministerium

Diner privé

Hin und her

Die Einweihung

Urlaub

Ein Skandal

Monsieur Legrand griff nach dem feinen Bronzeglöckchen und schüttelte es leicht. Die Damen und Herren in dem Festsaal verstummten und schauten auf das Podium. „Mesdames et Messieurs, ich eröffnet unsere außergewöhnliche Tagung, um unseren hochver…“

Er wurde jäh unterbrochen. „Das dürfen Sie nicht!“

Monsieur Legrand blickte verwirrt ins Auditorium, dann neben sich. An dem festlich mit Blumengirlanden geschmückten Tisch saßen weitere Mitglieder des Vorstandes. Und sie alle blickten weg vom Redner am Pult, hin zum Assistenten von Madame de Maizière. Das musste ein Versehen sein. Monsieur Legrand wendete sich wieder dem erlesen Publikum zu. „Wir haben uns hier versammelt, um heute …“

Wieder die Unterbrechung! Legrand wusste nun, dass er sich nicht verhört hatte und dass diese Unbotmäßigkeit von dem jungen Mann kam. „Unterbrechen Sie mich gefälligst nicht!“ fauchte er in dessen Richtung, wendete sich wiederum seinem Publikum zu. Aber der junge Mann ließ sich nicht zur Ordnung rufen. Er sprach einfach in die Begrüßungsworte des stellvertretenden Vorsitzenden hinein. „Die Eröffnung der Versammlung, sei es eine ordentliche oder eine außerordentliche, obliegt der Vorsitzenden. Sie dürfen diese Versammlung nicht eröffnen.“

Monsieur Legrand war fassungslos. Wie konnte dieser Kommis, dieser Schnösel ihm ins Wort fallen?! Mit entrüsteter Stimme: „Wie Sie sehen, ist Madame de Maizière nicht anwesend. Folglich obliegt es mir, die Versammlung zu eröffnen.“ Und etwas leiser, jetzt schon zornbebend: „Wenn Sie mich noch einmal zu unterbrechen wagen, lassen ich Sie durch die Saaldiener hinausexpedieren.“ Sprach’s und wendete sich entschlossen erneut dem Publikum zu.

Aber dieser Assistent, dieser Zugehbursche, dieser unverschämte Bengel redete schon wieder, hinein in das Luftholen des stellvertretenden Vorsitzenden. „Nur bei Abwesenheit der Vorsitzenden ist einer ihrer Stellvertreter befugt, Handlungen im Interesse des Vereins vorzunehmen. Aus diesem…“

Jetzt explodierte Monsieur Legrand. Er schrie in die Richtung dieses Revoluzzers: „Madame de Maizière ist nicht anwesend. Ich, ich eröffne die Versammlung!“

Das Publikum war hingerissen. Es war zu einem Festakt eingeladen worden, war auf erbauliche Worte eingestellt, hoffte auf ein ansehnliches Buffet und wollte sehen und gesehen werden. Aber dass der geplante Festakt mit einem Skandal begann, erfreute das Publikum insgeheim. Natürlich war der Bursche impertinent, aber er sah hinreißend aus und ließ sich nicht einschüchtern, was immer auch die Folgen seines Widerspruchs sein werden. Und tatsächlich sprach dieser junge Mann, widersprach erneut: „Es ist sechs Minuten nach sechszehn Uhr. Es ist bei uns üblich, das akademische Viertel abzuwarten.“ Und dann erläuterte er, völlig überflüssigerweise: „Dieses Verfahren hat sich herausgebildet, da es immer wieder vorgekommen ist, dass Mitglieder der Fédération aus den verschiedensten Gründen nicht pünktlich zum Beginn unserer Veranstaltungen und Treffen anwesend sein konnten. Und um jedem, aber eben auch einen zu spät Eintreffenden am Vereinsleben teilhaben zu lassen, wurde beschlossen, das akademische Viertel abzuwarten. Diese Praxis…“

„Sie müssen mich nicht über die Praxis der FPF belehren, Sie nicht! Ich selbst habe diesen Vorschlag seinerzeit eingebracht und er fand das Wohlwollen aller Beteiligten. Heute aber ist es angezeigt,“ und damit wendete er sich seinem Publikum zu, „pünktlich zu beginnen. Meine Damen und Herren, auf unserer Einladung stand sechszehn Uhr und nichts von c.t. Es versteht sich folglich, dass wir Sie nicht warten lassen können, bis unsere Vereinsvorsitzende, aus welchem Grund auch immer Sie heute hier nicht anwesend sein kann, eintrifft, ja, vielleicht gar nicht eintreffen kann. Wir alle schätzen Mme. de Maizière, aber…“ mit einem Schmunzeln, „die Welt dreht sich und dreht sich. Der Fortschritt nimmt keine Rücksicht. Und wir haben heute einen besonderen Grund, den Fortschritt…“

Und wieder der Einspruch des Opponenten. Jetzt riss dem stellvertretenden Vorsitzenden der Geduldsfaden, jetzt konnte auch nicht mehr auf die festliche Stimmung Rücksicht genommen werden. „Schweigen Sie! Sie impertinenter Lümmel!“ Und in die Richtung der Saaltüren: „Diener! Schmeißen Sie diesen, diesen…“ Er suchte nach Worten. Er konnte doch nicht an diesem Festtage, während der Anwesenheit so viele wichtiger Personen reden, wie er am liebsten geredet hätte. So wendete er sich dem Assistenten zu, streckte seinen Arm in Richtung der Türen und donnerte: „Hinaus mit Ihnen! Hinaus!!“

In diesem Moment flogen die Türen auf, aufgestoßen von zwei energischen Frauenhänden. Mme. de Maizière schritt in den Saal, schritt zum Podium, erklomm die drei Stufen und setzte sich auf den einzigen freien Stuhl, den Stuhl neben dem Rednerpult.

Im Saal trat Stille ein. Die Revolte auf dem Podium hatte Bewegungen im Publikum ausgelöst, es war eine entzündliche Stimmung entstanden, aber nun trat Stille ein. Die Herren am Tisch dort oben blickten auf ihre Vorsitzende. Der stellvertretende Vorsitzende wusste nicht: Soll er den Platz am Redner-pult sofort räumen, soll er aufklären? Aber sein Blut wallte noch. „Ihr Assistent hat in ganz erschreckender Weise unseren Festakt gestört.“ Und dann mit fester Stimme wiederholte er sein Verdikt: „Ich habe ihn des Saales verwiesen.“

Mme. de Maizière blickte zu ihrem Assistenten und nickte unmerklich. Der räumte seinen Platz am Rande des Podiums und ging den langen Gang bis zum Ende des Saals, ging zwar an der Fensterreihe entlang, aber allen schien es, er würde die Mittelpromenade herabschreiten. Die Blicke aller im Saal folgten ihm. Er sah nicht nur hinreißend aus, er lief auch wie ein Gott. Aber dann mussten sich alle Blicke dem Podium zukehren. Mme. de Maizière war aufgestanden und alle Blicke wendeten sich ihr zu. Aus diesem Grund nahm niemand mehr wahr, ob der Assistent wirklich den Saal verlassen hatte oder in einer der hintersten Reihen einen neuen Platz fand.

Jetzt begann der Festakt.

Der Festakt

Das also war der dramatische Auftakt. Und man konnte gewiss sein, dass in der Pause das Gespräch auf den Skandal kommen würde. Nun aber würde sicher alles wie bei allen Festakten ablaufen. Die Vorsitzende der Fédération du Progrès de France war ans Rednerpult getreten.

Im Auditorium war Mme. de Maizière den wenigsten persönlich bekannt. Man hatte von ihr gehört, man war erstaunt gewesen, zu hören, dass sie zur Vorsitzenden des kleinen Vereins mit dem großen Namen gewählt worden war. Ja, wenn es ein philanthropischer Verein gewesen wäre oder ein Verein, der sich den schönen Künsten widmete. Aber ein Verein, der sich den Neuerungen in Wissenschaften und Industrie verschrieben hatte! Man bedenke, der Industrie!

Man hörte und las ja immer wieder von Fortschritten. Hatte mit Erstaunen die Berichte von der Ersten Weltausstellung in London vor 10 Jahren verfolgt. Hatte mit Beifall die Gründung der Credit Mobilier im Jahr 1852 gewürdigt und noch des zuvor gegründeten Comptoir d‘Escompte, der ersten französischen Großbank. Ab nun war man nicht mehr auf den Londoner Finanzplatz angewiesen. Man hörte von einer Rohrpostanlage, die die Verteilung der Briefe auf ein ungeahntes Tempo er-

höhte; leider zuerst in London installiert. Hatte sich 1855 stolz gereckt bei der Durchführung der Pariser Weltausstellung, insbesondere war man stolz auf den riesigen Industriepalast, man glaubte, nicht richtig gelesen zu haben: mehr als 200 Meter lang. Und was man darin an technischen Novitäten hatte bewundern dürfen. Und man war doch in Frankreich. Es ging eben nicht nur um Technik. Erstmals zeigte eine Weltausstellung auch Kunstwerke; im Palais des Beaux-Arts waren Bilder und Skulpturen zu besichtigen gewesen. Heute, hier in dieser Veranstaltung aber ging es um Straßen, genauer, um den neuen Straßenbelag. Profaner konnte es eigentlich gar nicht sein. Und wie konnte eine Frau, noch dazu eine Frau mit einem so ehrwürdigen Namen, sich mit Straßenstaub und Teer befassen?

Wie also konnte eine Frau an diese Position gelangen? War es einfach gewesen, dass man vor Jahren eine honorige Persönlichkeit gesucht hatte und es eher einem Zufall geschuldet war, dass Monsieur Philippe de Maizière pro forma den Vorsitz übernommen hatte? Und der Name de Maizière hatte in Frankreich einen außerordentlichen Klang. Ein de Maizière hatte am französischen Hofe unter Charles V. eine bevorzugte Stellung eingenommen. Ein de Maizière hatte in der Armee des Gaspard de Coligny gleichfalls eine bemerkenswerte Stellung besessen, leider auf der falschen Seite, bei den Protestanten. In jenen Kämpfen von Katholiken und Protestanten gegeneinander, zum Glück waren 300 Jahre inzwischen vergangen, in jenen Kämpfen hatte ein de Maizière einem Offizier der Guisen ein paar Pistolen abgeknöpft, die man noch immer mit Stolz vorzeigen konnte. Mit solchen Pistolen konnte man, anders als mit Lanze und Degen, auf Entfernung den Feind über den Haufen schießen. Das war Fortschritt! Damit konnte man seine Felder und Wälder, seine Dörfer im Ardenner Land, die man an die Katholiken verloren hatte, wiederholen. Also, der Name de Maizière hat Klang in Frankreich!

Und wenige Monate, nachdem Philippe de Maizière den formalen Vorsitz über die >> Förderation des Fortschritts Frankreichs << übernommen hatte, war er verstorben. Die Trauer war echt gewesen in dem kleinen Verein, hatte man sich doch Einfluss versprochen. Aber, so überlegte man, warum den Namen nicht fortwirken lassen? So sprach man die Witwe an: „Madame de Maizière, seien Sie versichert, dass unser Schmerz Ihrem Verlust gleichsteht, nun, wenn natürlich nicht gleichsteht, aber denn doch ihm nahekommt. Wir würden uns nicht erkühnen, bei Ihnen vorzusprechen, solange Sie in Trauer sind. Aber ein vielleicht auch Ihnen hilfreicher Gedanke ist es, der uns zu dem Vorschlag kommen lässt, Sie um Ihre Hilfe zu ersuchen:

Ihr großartiger Gatte hatte den Vorsitz in der >> Fédération du Progrès de France << übernommen. Wäre es abwegig, wenn wir Ihnen diesen Vorsitz antragen würden?“

Und Mme. de Maizière hatte zugestimmt. Sie wollte nicht Trübsal blasen und in Schwarz herumgehen. Mit einem honorigen Verein konnte