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Seit Jahrtausenden sitzt Atlan, der unsterbliche Arkonide, der später zum besten Freund Perry Rhodans wird, auf der Erde fest. Sein Ziel ist, die Menschheit soweit zu fördern, bis sie ein Raumschiff für ihn bauen kann, mit dem er zu seinem Volk zurückkehren will. Gleichzeitig trachtet der Arkonide danach, die Landung von Außerirdischen für seine eigenen Zwecke zu nutzen. Das gilt für die Zeit der Völkerwanderung in Europa ebenso wie für den Beginn des Mittelalter mit all seinen Umwälzungen ...
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Nr. 8
Ritter von Arkon
Professor Cyr Aescunnar, der Chronist des Arkoniden Atlan, würde wahrscheinlich schreiben: Das achte Kapitel der ANNALEN DER MENSCHHEIT, geschildert von Kristallprinz Atlan, dem Einsamen der Zeit, umfasst den Zeitraum zwischen etwa 70 und 453/54 n.Chr. Die Kapitelüberschriften könnten etwa lauten: Zusammengestellt aus Atlans Abenteuern in den PERRY RHODAN-Taschenbüchern Hüter des Planeten, Atlan-Zeitabenteuer im Taschenbuch 266, geschrieben 1984; Stern der Astarte, Taschenbuch 271 von 1985; Fürsten des Chaos, Taschenbuch 276, geschrieben 1985; das »Burgunderkapitel« aus Novellen der Sterne und Kämpfe, Taschenbuch 282 von 1986; Feldzug der Mörder, Atlan-Zeitabenteuer im Taschenbuch 86, geschrieben 1971.
Der interessierte Leser und Liebhaber der Atlan-Zeitabenteuer weiß, dass der uralte Arkonide sich zu zwei zeitlich getrennten Anlässen an seine Erlebnisse unter den Barbaren von Larsaf III – unseren fernen Vorfahren auf Terra – erinnerte: Rund einige Dutzend Male führten plötzliche Erlebnisse, eindrucksstarke Bilder oder andere äußere Zwänge zur provozierten Erinnerung und deren Schilderung, und die NEI-Phase nach dem Desaster auf dem untergehenden Planeten KARTHAGO II, wo Atlan so schwer verletzt wurde, dass er monatelang an der Schwelle des Todes stand und seine Erinnerungen in chronologischer Reihenfolge schildern musste, um – unbewusst – durch die Katharsis seinen Verstand und die Wirkung des Extrasinns zu retten. Während dieser mehr oder weniger pausenlosen Preisgabe von Geschehnissen in ferner Vergangenheit berichtet der Arkonide im Heilschlaf auch ein zweites Mal, meist genauer, über jene Erlebnisse, die seinerzeit bereits dokumentiert worden waren; seine letzte Erinnerung wird wohl jene sein, in der er mit Perry Rhodan zusammentrifft.
Die achttausend Jahre bis zur Zeitenwende – von der Atlan nichts ahnen kann – sind vorbei. Im Gegensatz zu uns, Chronist und Leser, weiß der Gefangene der Zeit nicht, was ihn noch erwartet: ob er fremden Raumfahrern nachjagen oder den seltsamen, gefährlichen Befehlen von ES gehorchen muss. Warum trägt er den Zellaktivator wieder auf der Brust und nicht unter der Haut? Ein, zwei Dinge weiß Atlan nun genau: Er hat ein kleines Raumschiff, mit dem er die anderen Planeten des Larsaf-Sonnensystems anfliegen kann, und er hat einen Hypersender, der ihn in die Lage versetzt, mit dem »Venuskommandanten« zu sprechen und ihn anzuweisen, die Arkonflotte herbeizurufen. Dieser Besitz bürdet ihm eine zusätzliche Verantwortung auf, und er wird sich ständig fragen, ob er die Evolution von Zivilisation und Kultur den Barbaren überlässt oder den Planeten abermals kolonisieren soll; im ersten Jahrtausend nach der Zeitenwende, in Kulturen, die viele seiner Erfindungen und Denkanstöße aufgegriffen und so zu Teilen der Entwicklung gemacht haben. Spätestens Attilas Hunnen aber haben ihm gezeigt, dass es offensichtlich zu wenig Land für zu viele Menschen gibt. Er weiß, dass die Zeit des Faustkeils als einziger Waffe vorbei ist. Auch seine Erfindungen werden dazu beitragen, dass sich mehr Barbaren mit weiter fortgeschrittenen Methoden vom Leben zum Tod bringen können.
Trotz dieser Aussichten schläft Kristallprinz Atlan tief und ruhig: Wie ihm die unbeschwerten Tage in Burgund gezeigt hatten, gibt es in der Welt der Barbaren auch unproblematische Zeiten. Tage und Nächte der Minne, Saitenklang und edler Wein, lange Gespräche mit klugen Freunden und die Ausrüstung des Schutzzylinders, die ihm jederzeit Besuche auf einsamen südlichen Inseln ermöglicht, wo er die Wärme der Sonne Arkons wiederzufinden glaubt. Trotz aller statistisch wahrscheinlichen Rückschläge, Gefahren und Aufregungen, die der erstaunliche Roboter Rico zu dokumentieren versucht, bleibt Larsaf III, also Terra, ein herrlicher, reicher Planet. Atlan, Paladin der Menschheit, Hüter des Planeten, wird seine Barbaren nicht im Stich lassen und weiterhin versuchen, sich dabei wohl zu fühlen. Der Dank des Chronisten, der leider mit Rico nicht in Verbindung steht, geht wie stets an Rainer Castor, den unbestechlich Nachrechnenden, und an Lektor Klaus N. Frick, der die ANNALEN DER MENSCHHEIT mit den Augen des Sukhr-Falken kontrolliert und Schaden von ihnen abwendet.
Der Schrecken galoppierte durch die kalte Nacht. Hinter dem Hügel erschien zuckende Helligkeit. Schreie und Hufschlag vieler galoppierender Pferde wurden lauter. Knallende Peitschen, schleifend rasselnde Bronzefelgen auf Sand und Stein, keuchende Pferde und die vielfältigen Geräusche von Sattelzeug, Rüstungen und Waffen vereinigten sich zu einem malmenden langgezogenen Laut, der die Ohren marterte und jeden, der zusah und zuhörte, vor Entsetzen erstarren ließ. Die Reiter auf schwitzenden Pferden, deren Fell und Atem dampften, trugen große Fackeln. Funkensprühende Flammen knatterten waagrecht, der weiße, graudurchwölkte Rauch hüllte die Reiter, die drei Wagen und die Nachhut ein; es war, als kröche ein Drache auf tausend Krallenfüßen schnell über den Hügel und weiter durch die Nacht.
»Wir reiten auf der Straße zur Unsterblichkeit!«, schrie ein Reiter. Sein Nebenmann, der im Sattel des gedrungenen Pferdes stand, über und über von weißen Flocken bedeckt, rief, schrill lachend:
»Der Himmel wird einstürzen, die Erde wird beben!«
»Macht Platz für Kaiser Ch’in Shih Huang-ti!«
Die Straße unter dem mondlosen, sternklirrenden Winterhimmel war leer; niemand wagte sich aus den Hütten. Auf den Gräsern und den blattlosen Bäumen und Maulbeerbüschen lag Raureif. Im zuckenden Licht der Fackeln funkelten die Gewächse Augenblicke lang auf, wie Knochen oder die Gerippe von Wesen aus jener Welt, die Shih Huang-ti suchte.
Die Große Mauer war errichtet, die sechs Königreiche geeinigt, alle Schriften verbrannt, die Mutter des Einzigen Kaisers wegen bestialischer Ausschweifungen in die Verbannung geschickt. Nicht einmal die Männer der Palastgarde durften über den Tod sprechen, auch wenn sie ihn dutzendfach austeilten auf ihren Ritten auf der Suche nach dem Trank der Unsterblichkeit.
Weit voraus, zwischen kahlen Hügeln, leuchtete ein einsames Licht auf dem Turm der Grenzfestung. Der rasselnde, feurige, rauchende Schreckdrache bewegte sich auf der Straße weiter, an Feldern und Weiden vorbei, entlang der Kanäle, in deren Wasser sich die Sterne spiegelten, und über zierliche Brücken.
Ein Rabenvogel hüpfte flügelschlagend aus dem Schwarm hinaus und zog einen Darm mit sich. Der schwarze, aufgedunsene Kadaver, auf den Dutzende schwarzer Aasfresser krächzend einhackten, lag neben der Mauer der südlichen Grenze. An den Ecken des Turms knatterten im eiskalten Wind die Fahnen des Reiches; aus allen Richtungen kamen Späher, Spione und Heerführer zusammen. Der Blick glitt über leeres Land, aus dessen Siedlungen dünne Rauchsäulen fast senkrecht in die Winterluft stiegen. Ein Fuchs schnürte durch vergilbtes Gras und verschwand am Fuß des Hügels zwischen den Bäumen. Auf der Kuppe der höchsten Erhebung in weitem Umkreis standen zwei Reiter. Sie waren mit Pelzen vermummt, auch die Pferde trugen abgesteppte Decken.
»Allen Dingen, sagt der Kaiser, hat er den richtigen Namen gegeben.« Der Ältere sprach, sein Atem gefror vor seinen Lippen. »Sein Thronfolger wird Zweiter Kaiser, dessen Sohn Dritter Kaiser, und so fort. Der Erste Kaiser wird die große Schlacht schlagen.«
»Und er wird wahrscheinlich auch sterben, denn noch niemand hat ihm die Unsterblichkeit gebracht.«
»Es ist müssig, darüber nachzusinnen.« Seltsam, dachte der Jüngere und starrte den kreisenden Vogel an. Das Pferd scharrte mit kalten Hufen im eisigen Boden. Seltsam: Mitten im Winter kreist ein Reiher tief über dem Hügel; längst sollten diese Vögel in wärmeren Gegenden ihr Futter suchen. »Der Thronfolger ist ein schwacher Mann.«
Auf der riesigen Ebene an der Grenze würde die Schlacht geschlagen werden. Viele Menschen im Reich würden nur dem Sieger gehorchen, denn Ch’in Shih Huang-ti hatte die Gelehrten in Kerker geworfen oder töten lassen, den einstmals Mächtigen die Macht und den Besitz genommen, und nur wenige glaubten daran, dass er der erste Unsterbliche einer unsterblichen Dynastie war.
»An der Grenze ist es kälter und karger als an jedem anderen Platz im Reich«, sagte der Ältere mürrisch. »Und ich sage dir: Die Schlacht, der ganze Krieg … sie sind so überflüssig wie die dreizehnte Konkubine des Kaisers.«
Seit die Große Mauer stand, seit die Anzahl der Räume im Hauptstadt-Palast dreihundertfünfundsechzig betrug, überdies eine kleine Kammer zur Beobachtung der Sterne hinzugefügt worden war, glaubte der Kaiser, dass der Tod von draußen kam, wie ein Meuchelmörder aus den Außenlanden. An mehr als zwei Dutzend Orten weit jenseits der Reichsgrenzen suchten Späher und Spione nach dem Kraut, dem Trunk, der Arznei oder dem Elixier der Unsterblichkeit. Der jüngere Krieger, Anführer der Bogenschützen, schlug die Eiskristalle vom Pelzsaum der Kapuze und sagte:
»Der Kaiser ist rastlos. Schon morgen reiten wir zurück.«
Vom Dach des Grenzbauwerks blies eine Bronzefanfare. Der Schall fuhr über das reglose Land dahin; Raureif rieselte wie Schnee von Ästen und Bambusröhricht.
»Hörst du? Wir werden gerufen.« Der Ältere ruckte am Zügel. Aus den Nüstern des Pferdes fauchten Dampfwolken. »Zurück zum Palast. Morgen, wenn das Ostgestirn am Himmel ist.«
»Dann sollten wir einmal über die Ebene reiten«, sagte der Jüngere. »Wenn wir dabei nicht erfrieren. Aber wir sind es, die den Kampf werden führen müssen.«
Er hob den Arm, senkte ihn langsam und deutete nach vorn. Die Reiter stoben in stockendem Galopp den Hügel hinunter; der Reiher glitt aus dem Flugkreis hinaus und folgte ihnen in geringer Entfernung.
Ich sah aus den Augen des Reihers und hörte mit seinen Ohren. Ich kannte die Sprache, verstand die Worte, aber mein Verstand – scheinbar hartgefroren wie der Boden an der Grenze des Ch’inreiches – weigerte sich noch, sie richtig zu deuten. Immerhin begriff ich in der trostlosen Phase unmittelbar nach dem Erwachen, warum ich mich an den Ersten Kaiser erinnerte: Es war eine eckige weiße Fläche vor mir. Ein leerer Monitor oder ein Blatt Papier. Papier, eine Erfindung der Han-Dynastie, eine Handvoll Jahre vor den Jahren des Großen Ersten Kaisers, löste teilweise meine Folien, die Shafadu-Blätter der Rômet und das feinlederne Pergament ab; Arconrik oder Rico oder welchen Namen er gerade zu tragen beliebte, hatte einige Truhen voll Papier aus dem Reich im Osten eingehandelt. Ich dachte an die unzähligen Tonfiguren der vergrabenen Heere des Shih Huang-ti, an die Nachbildung seiner Welt, die von Gold und Edelsteinen strotzte und das Innere einer großen, künstlichen Höhle ausfüllte, wo bronzene Schiffchen auf einem Meer aus Quecksilber segelten; wieder senkte sich jene Müdigkeit über mich, die in Schlaf mündete, der weitere grausige Träume gebar.
Die Sonne sank wie eine in Blut getauchte Bronzescheibe inmitten rätselvoller Wolkengebirge von der Farbe sommerlicher Maulbeerbaumblätter. Als sich Sumah-Chien, der greise Heerführer, in seinem durchschwitzten Sattel umdrehte, sah er, dass die Straße genau in die Mitte des roten Halbkreises mündete, so als käme sie aus dem Tor des Blutes. Blutstropfen waren auch auf der Sandstraße, die ebenso breit war wie jede Straße im Reich, voller Pferdekot, zerbrochener Pfeile, den Lachen stinkenden Urins und den schleimigen Spuren aus der großen Fischtonne.
Die Große Schlacht war geschlagen. Kaum ein Pferd und keiner der Männer mit zerhauenen Rüstungen und schartigen Bronzewaffen war nicht von Schürfungen, Schnitten und Wunden gezeichnet; trotzdem liefen die Tiere im Trab auf die riesige Gartenanlage des Großen Palastes zu. Alle Schatten wiesen nach Osten und vermischten sich, unsäglich lang und dunkelgrau, mit den Waagrechten des Horizonts.
»Die Erde hat gebebt.« Der Alte lenkte sein erschöpftes Pferd an den Straßenrand und rückwärts zwischen ratternde Bambusstangen. »Unter Millionen Hufen und dem Aufprall zehntausender Körper, die fielen, wie tote Männer fallen. Nun wird der Himmel einstürzen.«
Der Himmel zeigte ein wolkenloses, vornächtliches Dunkelblau. Die malvenfarbenen Wolken färbten sich schwarz, die Schatten lösten sich auf. Su-mah-Chien wartete, bis sich der erste der beiden Wagen genähert hatte, kitzelte seinen Hengst mit den Sporen und lenkte ihn neben die reichgeschnitzte Bordwand. Der Wagen stank nach faulendem Fisch, Salzwasser, heißem Achsenfett und der gedunsenen Leiche; auch die Pferde rochen wie Gerbergruben.
»Was immer sie uns fragen – sagt die Wahrheit!«, rief der Heerführer. Sein Lachen klang, als käme es aus einem offenen Grab. »In weniger als einer Stunde liegen wir in den Bädern und in den Schößen der Weiber.«
Er warf einen langen Blick auf den Vogel der Jahre. Ohne einen Schwingenschlag schwebte der Reiher über dem traurigen Zug, der nicht mehr als siebzig, fünfundsiebzig Krieger zählte. Er hatte auch während der langen, erbarmungslosen Schlacht über der Ebene gehangen, als sei er Teil des wütenden Himmels. Das letzte rote Licht schien die Bäume, Kanäle, Brücken, Tore, Wände und Türme des Palasts in ein Blutbad zu tauchen.
Der Alte wechselte mit den Gespannführern einen Blick tiefer Trostlosigkeit. Er deutete mit dem Daumen über die Schulter, zum zweiten Wagen, auf dem junge und alte Gespielinnen, Kurtisanen, Badesklavinnen und Sohlenkitzlerinnen saßen. Drei von ihnen waren schwanger; sie saßen wie erstarrt da und zerkratzten sich unter den kostbaren, staubbedeckten Gewändern die Brüste und Oberschenkel. Es war wortlose, nicht sichtbare Trauer befohlen worden, denn hätten sie entlang des langen Weges schrilles Trauergeheul ausgestoßen, würde jedermann wissen, dass der Kaiser tot war.
»Es wird heut’ nacht und morgen ein großes Kehlendurchschneiden von Beischläferinnen geben«, sagte der Alte etwas leiser. »Die Angst des Thronfolgers, dass sich die schäbigen Reste der sechs Reiche erheben, ist so groß wie der Himmel. Sag’s den anderen: Sie sollen die Weiber nehmen und verstecken. Wir sind die letzten Getreuen des Kaisers.«
Er hielt sich an der Bordwand des Kastenwagens fest. Das große Holzfass war mit Stricken verschnürt, so dass es nicht kippen konnte. Der nackte, von tiefen Wunden gezeichnete Leichnam Ch’in Shih Huang-tis war zwischen den Flussfischen verborgen, unter dem schartigen Holzdeckel. Man hatte Gerüchte ausgestreut: Der Kaiser war mit seinen Truppen geritten, um die Verlierer der Schlacht zu züchtigen und Beute zu nehmen. Die Übergabe der Macht an den Thronfolger musste im scheinbar tiefen Frieden erfolgen. Inzwischen, nach sieben Tagen und Nächten zwischen der Grenze und dem Palast, stanken Leichnam und Fische wie eine erhitzte Kloake.
Die Zeit der Wahrsager, Priester exotischer Göttlichkeiten und Propheten des Verrückten würde ebenso enden – nein: sie war schon vorbei, aber jene wussten es noch nicht! –; enden wie das Leben jener Frauen, deren Leibesfrucht den Thronfolger auf dem Weg zum Thron störte. Hundertzwanzigmal tausend reiche Familien hatte der Kaiser nach Hsien-yang umgesiedelt, in jene Stadt, deren Tore der Zug eben durchritt und durchfuhr. Der Alte hielt sein Pferd an und richtete den Blick zu den Sternen.
»Zwei oder drei Jahre gebe ich dem Thronfolger«, sagte er leise und zwinkerte dem Vogel zu. »Mit ein wenig Glück bin ich dann nicht mehr unter den unglücklich Lebenden. Der Himmel ist herabgefallen, und ich habe alles gesehen, alles erlebt, habe an der Seite der weißhaarigen Langnase gekämpft, getrunken und gehurt – ich weiß, dass es die Unsterblichkeit nicht gibt.«
Der Zug trabte, knarrte und rasselte an ihm vorbei.
Töne, Bilder, Klänge und Farben … die Darbietung endete. Die Bildschirme zeigten abstrakte, beruhigende Darstellungen. Ich erkannte Rico, der gegen ein Pult gelehnt stand und in einer Pergamentrolle las. Ich verstand auch, was er sagte:
»In omnibus requiem quaesivi, et nusquam inveni nisi in angulo cum libro.«
Überall hatte er also Ruhe gesucht, dieser erstaunliche Robot, er hatte sie nirgendwo gefunden, nur in dieser Ecke mit einem Buch. Ich konnte ihm sogar glauben. Als ich Schritte hörte, konnte ich in dem geschwächten Zustand nur die Augen bewegen und sah Narnia, die sich meinem Lager und der Batterie der strahlenden, blinkenden und summenden Geräte näherte. Ihr Lächeln – ich erkannte es sofort. Rico hat sie lange vor dir geweckt. Eine aparte Änderung der Routine!
Also war auch der Extrasinn erwacht. Narnia hielt mir einen Becher an die Lippen. Während ich trank und edlen, alten Wein schmeckte, flüsterte sie:
»Ich werde dir niemals verzeihen, Atlan! Du warst ohne mich dort. Alle diese Bilder! Wir müssen beide bald wieder in die Oase! Sie erinnern sich noch immer an uns.« Dann sagte sie streng: »Aber zuerst musst du deinen Körper unter Kontrolle bekommen. Ich habe es schon hinter mir.«
Ich war fast unfähig zu sprechen und krächzte etwas, das wie »bald, ich gebe mir Mühe« klingen sollte. Rico rollte das Pergament zusammen und erklärte mit sachlichen Worten einen erstaunlichen Tatbestand.
»Vielleicht wird der Anblick des ersten Raumschiffsmodells deinen Zustand einige Sekunden schneller ändern. Diese Bilder und andere, die nicht weniger interessant sind.«
Offensichtlich, dachte ich todmüde, ehe ich wieder einschlief, hatte nicht ein Alarmruf von ES mich und meine Geliebte geweckt. Mein Kopf sank zur Seite, und als ich wieder aufwachte, fühlte ich mich weitaus kräftiger.
Die Prozedur, die wie immer viel zu lange dauerte, hatte mich fest in ihrem Griff. Um meinen Verstand zu beschäftigen, spielten die Speicher der Computer die Szenen der Vergangenheit ab. Das bedeutete, sie zeigten mir die Ereignisse, an die ich mich erinnern durfte. Sie waren von ES nicht blockiert worden.
Zuerst vermisste ich meinen Zellaktivator. Rico beruhigte mich und zeigte ein Bild. Das lebensverlängernde Gerät befand sich unter meiner Haut, tief im Muskelfleisch der Brust versteckt.
Auf mehreren Bildschirmen erschienen die Aufnahmen der Spionsonden. Texte, Zahlen, Grafiken und Originalton vervollkommneten sie. Hin und wieder griff Rico ein und gab Erklärungen ab.
Er hatte auch eine ziemlich genaue Zeitlinie entwickelt. Sie basierte auf dem Jahr 1, das ab urbe condita – Gründung der Stadt Rom – gerechnet wurde und vor 821 Jahren stattgefunden hatte.
Einzelne geschichtliche Daten, die für uns wichtig sein mochten, wurden geschildert. Im Jahr 767 starb der »göttliche« Caesar Augustus. 780 taufte ein hagerer, bärtiger Mann namens Johannes einen anderen, der sich Jesus nannte. Am dreiundneunzigsten Tag des Jahres 786 gab es im südöstlichen Teil des Mittelmeers eine partielle Mondfinsternis. Blutrot schimmerte der vom Erdschatten verdunkelte Teil des Mondes, da ein Sturm Sand in die Atmosphäre geblasen hatte. Es war früher Abend, etwa die sechste Stunde nach Mittag – in dieser Stunde starb jener Jesus aus Nazareth am Kreuz, von Römern hingerichtet.
790 wurde Caligula ermordet, Claudius folgte ihm auf dem Caesarenthron, ihn löste 807 Nero ab. Elf Jahre später hatte ich Nero in einem völlig sinnlosen Einsatz gedemütigt, der mich nach Rom gebracht hatte. Von diesen Jahren hatte ich nichts vergessen. Die römischen Arenen, sagte ich mir stoisch, kannte ich besser als Männer wie Seneca. Julius Caesar, immerhin, hatte zusammen mit seinem Berater einen Jahreskalender entwickelt, der fast so genau war wie unserer.
Wir schrieben das Jahr 823 ab urbe condita. Nero war tot. Titus Flavius Vespasianus, Caesar Vespasian, regierte das Imperium milde. Wir konnten darauf hoffen, unsere Vorhaben in Ruhe durchzuführen.
Vor weniger als dreiunddreißig Jahren hatten wir, ohne Narnia, die Oase besucht.
Wahrscheinlich gab es noch einige Greise, die sich an Arconrik, Ekrala und mich erinnerten, an Lalaga und Ktesios. Dessen war ich sicher.
Der Logiksektor flüsterte: Und den wahnwitzigen Falkner Khach’t gibt es auch noch.
Stunde um Stunde verging, während unaufhörlich Informationen aus allen Teilen der Welt, mehr oder weniger wahllos, aber stets hochinteressant, auf mich eindrangen.
Arconrik/Rico spielte die Aufnahmen einer uralten Marmorsäule in das Programm ein. Sie stammte aus Alexandria und trug die Inschrift in Altgriechisch ATLAN POLIN DOMISSAS APILTHEN.
»Atlan gründete die Stadt und ging weg«, sagte Rico. »Das ließ dein merkwürdiger Un-Freund Alexander von Makedonien einmeißeln.« Meine Erinnerungen an Alexandria und die Bibliothek der Stadt waren nichts anderes als kurze, blitzartige Stücke eines Mosaiks, über das ES die Verfügung hatte.
»Warum bin ich geweckt worden? Von wem?«, fragte ich, als mir meine Stimmbänder wieder gehorchten.
»Es ist dein Ziel, ein Raumschiff zu konstruieren und damit zum Robotgehirn des zweiten Planeten zu fliegen. Wir brachten vor etwa drei Jahrzehnten Einzelteile und Werkzeuge samt Plänen zur Oase. Jetzt können wir weiterarbeiten.«
»ES, der allgegenwärtige Wächter, meldete sich nicht?«
»Nein. Ich muss analysieren, dass er unsere Vorhaben mit Wohlgefallen betrachtet. Allerdings wird er eingreifen, wenn es ihm nicht passt.«
Ich wurde kräftiger, meine Haut bräunte sich, ich ging umher und konnte feste Nahrung zu mir nehmen. Narnia und ihr Freund Arconrik hatten die Zeit gut genutzt und sich genügend Bänder und Informationen angesehen. Die junge Frau hatte aus vielen Städten rund ums Mare internum die schönsten Vorbilder neuer Kleidung aufgenommen, und Ricos Maschinen waren, unsere Vorräte verwendend, angelaufen. Jedesmal, wenn Narnia in mein Blickfeld kam, trug sie ein anderes, aufregendes Gewand. Ihr Haar war von Rico gepflegt und in verschiedene Frisuren gelegt worden; ich staunte immer mehr darüber, wie groß die Lernfähigkeit Ricos war und wie gern und spielend leicht er alle seine Fähigkeiten anwendete.
Professor Cyr Aescunnar starrte, den Kopf in beide Hände gestützt, auf den Monitor, der ihm den Arkoniden zeigte, ausgestreckt im Antigravnetz des gläsernen Überlebensbeckens. Atlans Kopf und Schultern waren von der golden schimmernden SERT-Haube bedeckt, in der Nährflüssigkeit wirbelten Sauerstoffbläschen und färbten sie milchig; der Prätendent des Neuen Einsteinschen Imperiums schien sich jenseits der letzten Krise zu befinden, auf dem langen, schwierigen Weg der Genesung. Buchstaben und Worte seiner Erzählung bildeten sich auf der Printplatte, Cyr lauschte jedem Atemzug, jeder Wortbedeutung nach; er trug altmodische Kopfhörer, die ihn akustisch von der Außenwelt abschlossen. Sämtliche Aufzeichnungsgeräte waren aktiviert, die Anzeigen der Überwachungsgeräte in Atlans Intensivstation sagten den behandelnden Ärzten und ihm, dass Atlans Leben in einer stabilen Phase ablief; er lag im Tiefschlaf und sprach klar und deutlich.
»Aber warum ausgerechnet wieder über den Ersten Göttlich Erhabenen, jenen abergläubischen, grausamen und größenwahnsinnigen Herrscher mitsamt seinen siebeneinhalbtausend tönernen Wächtersoldaten?«
Ein Blatt Papier, wie Atlan berichtet hatte, genügte dem Chefhistoriker der Chmorl-Universität auf Gäa nicht als Erklärung.
»Es muss das Stichwort Unsterblichkeit gewesen sein«, murmelte Cyr. »Der verrückte Kaiser suchte sie, und Atlan hatte sie.«
Bisher hatte der Kristallprinz, der Einsame der Zeit, von seinem Aufenthalt auf Terra in chronologischer Reihenfolge berichtet; die Erinnerungssplitter an spätere oder frühere Erlebnisse oder Eindrücke waren für den Ara-Mediziner Dr. Ghoum-Ardebil und sein vielstrapaziertes Team stets Alarmzeichen gewesen: zwischen den Operationen und der Rehabilitationsphase hatten sie stündlich mit Rückfällen rechnen müssen. Cyr Aescunnar zuckte mit den Achseln und sagte:
»Unsterblichkeit, potentielle oder eingebildete, ist nur wenigen Ausgewählten zuteil geworden. Als Geschenk.« Aescunnar, Herausgeber der ANNALEN DER MENSCHHEIT, hob den Kopf und betrachtete die holografischen Bilder der langwierigen Ausgrabungen; alle jene Faustkämpfer, Bogenschützen, Lanzenträger, Gespannführer, Zugpferde und Reitpferde der tönernen Armee; das unterirdische Abbild der Welt, so wie sie Shih Huang-ti begriffen hatte, war bis zum Verschwinden des Planeten Terra unangetastet und unausgegraben geblieben. »Der Gedanke daran, dass irgendwo das Geschenk der Unsterblichkeit wartet, kann einen Menschen wahnsinnig machen – und einen Arkoniden erschrecken.«
Fünftausend Schiffe, wusste Aescunnar, hatte um das Jahr 200 vor Christi Geburt der chinesische Reichseiniger und Kaiser auf der Suche nach der »Insel der Unsterblichkeit« ausgeschickt. Die Flotten waren und blieben verschwunden; nicht einmal der Robot Rico wusste, wo sie geblieben waren.
»Also doch: Beim Aufwachen erinnert sich Atlan an das janusköpfige Geschenk des Zellaktivators und an seine Unsterblichkeit.« Noch wusste Aescunnar nicht, wie viele Jahre Atlan nach dem Arenakampf unter den Augen Caesar Neros tiefstgeschlafen hatte. Weniger als ein Jahr hatte er sich mit dem griechischen Freund Ktesios und der schönen Sklavin Lalaga von den Wunden der Gladiatoren erholen müssen; der Zellaktivator war dicht unterhalb der Knochenplatte unter die Haut operiert worden.
Cyr hob den Blick: Nun lag das goldschimmernde Ei an der dünnen Kette wieder auf Atlans Brust.
Atlan berichtete weiter, mit ruhiger Stimme und vorbildlicher Betonung:
Mein zweiter Gang mit zitternden Knien brachte mich in einen Nebenraum. Hier hing das erste Modell des Raumschiffs.
Mein rechter Arm lag auf Narnias Schulter. Sie stützte mich, und ihre weiche Haut roch nach Spezereien, die aus den Provinzen Roms kamen oder aus fremden Ländern.
»Und damit willst du zu den Sternen fliegen?«, fragte meine junge Freundin ein wenig unsicher. Ich schüttelte den Kopf und bereute es sofort, weil mein Schädel schmerzend zu dröhnen begann.
»Nein. Nicht zu den Sternen. Zur nächsten Welt, in die Richtung der Sonne. Aber bis zu diesem Tag ist es noch sehr lange hin.«
»Du allein?«
»Auch das weiß ich nicht. Ich weiß nicht einmal, ob dieses Ding hier jemals fliegt.«
Das Modell bestand aus unzähligen Einzelteilen. Die Form entsprach einem schlanken Zylinder, der große, nach hinten gepfeilte Tragflächen aufwies. Es gab wenige runde Bullaugen. Einfache, wegklappbare Stützelemente verbargen sich halb im Rumpf. Selbst am Modell erkannte ich, dass sämtliche Teile in klassischer Handwerkerarbeit hergestellt werden sollten. In unseren Flottensilos lagerte Arkonstahl in solch großen Mengen, dass wir daraus nicht nur ein Raumschiff bauen konnten. Ferner erkannte ich Elemente, die wir auch in unseren Gleitern verwendeten. Das Modell bewies, dass wir in der Lage waren, eine einfache, möglicherweise aber durchaus brauchbare Konstruktion herzustellen. Rico näherte sich uns leise und sagte:
»Von den technischen Einrichtungen gibt es erste Pläne und eine Bedarfsliste, die teilweise schon von unseren Maschinen erfüllt werden konnte. Es ist noch sehr viel zu tun, Gebieter … ich wollte sagen: Atlan.«
»Gewisse Programmierungspunkte sind nur schwer zu löschen«, murmelte ich. »Bereiten wir uns besser auf den nächsten Schritt vor. Unsere Startbasis ist ohne Zweifel die Oase.«
Es war noch keine Zeit gewesen, Bilder der Oase anzusehen. Rico hatte gesagt, dass das Archiv voll sei und zwei Spionsonden ständig in unterschiedlichen Bahnen um und über dem abgelegenen Fleck in der südöstlichen Landschaft Afrikas kreisten.
»Der einzige geeignete Platz. Wir werden lange arbeiten, viele Rückschläge haben und müssen unbeobachtet bleiben.«
Rico und Narnia brachten mich zurück in die Räume, in denen die Reanimationsmaschinerie auf mich wartete. Ich konnte noch immer nicht über alle meine Kräfte verfügen.
»Was ist an diesem Raumschiff so dringend, so wichtig? Was willst du auf der anderen Welt, die keiner kennt? Und warum bringst du dich zusätzlich zu allem anderen in diese Gefahr?«
Ich saß, in einen bodenlangen und warmen Bademantel gehüllt, in dem federnden Kontursessel. Rico kannte die Antwort, wenn auch auf seine vollcomputerisierte Weise. Ich lächelte müde, nahm einen Schluck von dem abscheulich schmeckenden Brei aus Konzentraten und Aufbaustoffen und versuchte, eine Antwort zu finden, die auch ein für allemal mir genügte.
»Auf dem zweiten Planeten, der anderen Welt, Narnia, steht ein mächtiger Sender. Er ist abgeschaltet. Wenn ich ihn erreiche, rufe ich meine Heimatwelt Arkon. Von dort kommen Schiffe, die größer sind als dieser Stahlzylinder. Sie werden die Barbarei sehr schnell beenden, ebenso wie die Gladiatorenkämpfe, die Krankheiten und diese verfluchte Sklaverei – und vieles andere. Dafür aber haben die Barbaren von Larsafs dritter Welt keine Chance mehr, sich selbst bis zu einem Höchstmaß zu entwickeln und ihren eigenen Weg zu den Sternen zu finden.«
Ich machte eine Pause und blickte in Narnias fragende, große Augen. Goldpünktchen flimmerten in der Iris. Etwas leiser fuhr ich fort:
»Ich habe mir geschworen, vor unendlich vielen Jahrhunderten, den Barbaren zu helfen. Ich habe dies tausendmal getan, von der Pfeilspitze bis zur Landkarte, vom gebrannten Ziegel bis zur Windmühle und zahllosen anderen Erfindungen. Ich habe mehrere Angriffe fremder Eindringlinge allein zurückgeschlagen. Dieser unsichtbare Herrscher, ES, hilft mir dabei. Das heißt, dass ich meinem Vorsatz untreu werde. Aber je mehr ich von der Unfähigkeit der Barbaren sehe, mit einem Mindestmaß an Vernunft ihr Leben zu führen, desto leichter fällt mir der Entschluss. Wie auch immer, wir fangen an, das Raumschiff zu bauen. Und vorher kümmern wir uns um die Urenkel unserer Freunde. Auf zur Oase, Arconrik.«
»Über das alles«, meinte Narnia versonnen, »ist das letzte Wort noch nicht gesprochen. Wir vertrauen auf deine Kunst, Atlan.«
»Kunst«, entgegnete ich voller skeptischer Ironie, »kommt von Können. Käme Kunst von meiner augenblicklichen Fähigkeit des Denkens, hieße sie voller Berechtigung Dunst.«
Von Tag zu Tag ging es mir besser. Wir überprüften unsere Ausrüstung. Rico schickte drei große Container voller Packen, Fässer, Kisten und versiegelter Ballen 9635 römische pedes hoch zur Oberfläche.
Endlich konnte ich mich richtig bewegen und hatte alle meine Kräfte zurück. Immer wieder ließen wir die Bilder von der Oase auf die Schirme projizieren. Wir erkannten die wenigsten Bewohner. Die Oase war größer geworden, es wohnten mehr Menschen dort, sie alle waren weitestgehend gesund und reich, und nach wie vor standen zwischen den dicken Baumstämmen die seltsamen, an ägyptische Statuen und Götterbildnisse erinnernden Werke, die unsere Gesichter trugen. Arconriks »Museum der Technik und Erfindungen« war fast unverändert, was bewies, dass unsere Bedeutung in der Oase nicht vergessen worden war. Vor zwei Jahren hatten sie Ekrala begraben. Zwei Dinge waren wichtig:
Die Handwerker, die wir zum Bau einzelner Teile des Schiffes brauchten, waren nicht gut genug, und nicht gut genug ausgerüstet. Und der wahnwitzige Falkner Khach’t lebte noch immer abseits der Oase und sah alles (?) durch die Augen seiner Raubvögel.
Im Jahr als Jerusalem zerstört wurde und der jüdische Aufstand zusammenbrach, betraten wir in vorzüglicher Tarnung und mit einer riesigen Menge Ausrüstung die Oberfläche von Larsaf III.
Wieder einmal mussten wir von vorn beginnen.
In der ersten Nacht brachte Arconrik mit dem großen Schiff, das mittlerweile mehr einem schwebenden Wrack ähnelte, unsere Ausrüstung in zwei Flügen in die Nähe der Oase. Natürlich schwebte ein Falke über den Dünen und dem weißen Kies des Flussbetts.
»Es würde mich wirklich interessieren«, fragte Narnia unruhig, »was ihr zwei Hüter der Welt wirklich vorhabt. Wieder versuchen, einen Caesaren zu stürzen? Oder abermals in der Arena zu kämpfen?«
»Ich schwöre es dir«, antwortete ich und spannte ein Zugseil des zeltartigen Sonnensegels, »dass wir keine solchen Gedanken haben. Wir wollen versuchen, in der Oase genügend Handwerker auszubilden und ihnen die Werkzeuge zu geben, mit denen sie uns helfen können. Und natürlich werden wir einiges für die Bewohner der Oase tun müssen.«
»Pferde, Sklaven, neue Erfindungen?«
»Das alles und noch mehr. Wir waren lange Zeit nicht dort. Wir sind zu einer Legende geworden. Es ist an uns, ihre Freundschaft neu zu gewinnen.«
Der Gleiter lag schräg auf den Steinen des trockenen Flussbetts. Im Schatten eines der wenigen Bäume hatten wir unser provisorisches Lager aufgeschlagen. Es war nicht mehr als ein Zelt, dessen Seitenwände jetzt, um den kühlen Wind auszunutzen, hochgezogen waren. Rund um die würfelförmige Konstruktion waren Teile der Ausrüstung gestapelt. Ein kleines Feuer aus Treibholz brannte unter einem Wasserkessel. Arconrik hatte im Augenblick die schwerste Aufgabe; ihn erwarteten wir in wenigen Tagen zurück.
»Ihr fangt also an, ein Raumschiff zu bauen.«
Ich nickte. »Und wir wissen nicht, ob wir es jemals schaffen. Aber wir versuchen es. Niemand sollte uns stören.«
»Ich glaube es erst«, lächelte Narnia skeptisch, »wenn ich auch den Schluss erlebt habe.«
Es wird ein interessantes Experiment sein, meldete sich der Logiksektor, den Arkoniden ausnahmsweise nicht als Weltumsegler oder als Berater von Königen und Caesaren zu erleben.
Auch für mich war es ein Experiment. Meinem Vorsatz, den Barbaren zu helfen, würde ich auf jeden Fall treu bleiben können, wenn auch in einem kleineren und wirkungsvolleren Rahmen. Narnia und ich hatten den Robotgeparden aktiviert. Er umkreiste wachsam unser Lager und schützte uns. Wir verbrachten den Tag damit, im kühlen Wasser des Flusses zu baden, uns zu sonnen und zu schlafen, die köstliche frische Luft zu atmen und uns auf der Oberfläche unserer Heimat wohl zu fühlen. Am Nachmittag summte es in dem breiten Schmuckarmband an meinem linken Handgelenk: Arconrik meldete sich.
Ich eilte zum Zelt und klappte drei der Seitenwände herunter. Ich öffnete eine Truhe, aktivierte den Bildschirm und erkannte nach wenigen Worten von Arconriks Schilderung den nachmittäglichen Sklavenmarkt von Alexandria.
Rico projizierte ein Bild von sich selbst. Er war wie ein reicher Römer gekleidet, von vier jungen, breitschultrigen Numidiern begleitet. Er trug einen unsagbar blasierten Gesichtsausdruck zur Schau. An seinen Fingern funkelten sieben Ringe, von denen einer protziger war als der benachbarte. Leise sagte er:
»Atlan Demetrion! Ich habe einen günstigen Tag herausgefunden. Heute gibt es den größten Sklavenmarkt des Jahres. Du wirst sehen können, dass die Käufer nicht zahlreich sind, das Angebot indessen ziemlich groß. Ich sondere nach unseren Bedürfnissen aus.«
Wir hatten genügend Münzen hergestellt. Sie waren von echten goldenen Münzen nicht zu unterscheiden, und, obwohl wir damit die Sklavenhändler vorsätzlich betrogen, würden sie es schwerlich jemals merken.
»Ich verlasse mich auf dich«, sagte ich. »Sonst irgendwelche Neuigkeiten?«
»Ich habe auch schon die Pferde eingekauft. Man bringt sie zum Treffpunkt.«
»Gut. Lasse es nicht zu lange dauern.«
»Ich will heute nacht noch aufbrechen. Alles ist bedacht. Du siehst und hörst, was ich sehe und höre.«
Wieder einmal konnten wir das hässliche Spektakel beobachten, wie Menschen, die in die Gewalt anderer Menschen geraten waren, meistbietend versteigert wurden.
Die Stadt begann zu pulsieren, als sich die ersten Schatten verlängerten. Die Händler öffneten ihre Stände. Wasser aus den sprudelnden Brunnen wurde auf das Pflaster geschüttet, verdunstete und kühlte den Platz. Ein kühler Seewind ließ die Kronen der Palmen und der Tamarisken rascheln. Die Sonnensegel über der Rampe flatterten. Gruppen von Müßiggängern bildeten sich und zerstreuten sich wieder. Die Gelehrten aus der Bibliothek diskutierten mit überlegenem Lächeln ihre jüngsten Erkenntnisse und dachten nicht einmal daran, sie dem Volk weiterzugeben. Auf der Rampe wurden Pulte aufgestellt. Männer mit Stricken und Peitschen stolzierten mit wichtigtuerischer Miene über die Steinplatten. Auf den Balkonen und in den Fenstern zeigten sich die ersten Zuschauer.
Unter dem Bogen, der den südlichen Rand des Platzes abgrenzte, entstanden Gemurmel und Bewegungen.
Ein Römer in schneeweißer, goldgeränderter Toga, sechseinhalb römische Fuß groß, ein dickes Goldband um die Stirn, schritt auf stiefelartigen, geschlossenen Sandalen heran. Vor ihm, in weiße Tuniken gekleidet, gingen zwei numidische Sklaven, die an vergoldeten Griffen eine kleine Truhe zwischen sich schleppten. Das Gefäß, in dessen Schloss ein Schlüssel steckte, war schwer.
Hinter dem Römer, an dessen Unterarmen in kostbaren Lederfutteralen zwei Dolche mit juwelenbesetzten Griffen steckten, die Spitzen zum Ellenbogen, gingen im gleichen Schrittmaß zwei weitere Sklaven. Sie trugen dünne Stricke und Peitschen.
Die Haut des Römers war eine Spur dunkler als sonnengebräunt. In seinem schmalen, von männlichen Falten durchfurchten Gesicht blitzten sonderbar grüne Augen. Er bewegte sich mit der unbewussten Selbstsicherheit eines Mannes von großer Macht, ebensolchem Reichtum und kühler Klugheit. Die Männer wichen vor ihm einige Schritte zurück, manche Frauen warfen ihm begehrliche Blicke zu.
Fünf Schritte vor der Rampe, die zwischen schlanken Säulen verlief und fünf Fuß hoch war, blieb er stehen und wandte sich an einen der Männer, die unverkennbar Knechte der Sklavenhändler waren.
»Ich bin Arconrik Carra«, sagte er mit der Stimme eines Senators. »Und ich reise. Ich brauche eine gewisse Anzahl Sklaven. Es ist müssig, mir mindere Qualität überhaupt erst anbieten zu wollen.«
Der Knecht geriet ins Schwitzen unter dem kalten Blick des Mannes. Er verneigte sich und brachte heraus: »Es sind junge Knaben hier, Herr, und junge Mädchen von erlesener Schönheit …«
»Wann werde ich sie sehen können?«
Seine dunkelhäutigen Sklaven brachten Klappstühle, säuberten rund um seine Füße den Boden, sprengten Rosenwasser auf die Steine und bildeten ein schützendes Viereck um ihn, als er sich setzte und seine langen Beine übereinander schlug.
»Von mir aus könntet ihr anfangen«, sagte der Römer. »Übrigens: Ich zahle in gutem Gold. Für gute Ware. Sag dies deinen Herren oder wer immer an mir zu verdienen beabsichtigt.«
Niemand kannte ihn. Die abenteuerlichsten Vermutungen wurden leise geäußert. Bald wusste man, dass er vor den Stadttoren in dem Westflügel einer Karawanserei wohnte und vor wenigen Tagen mit der Raffinesse eines achtzigjährigen Rosstäuschers neununddreißig Pferde ausgesucht, zwanzig von ihnen geritten und alle in Gold bezahlt hatte.
Man wollte auch etwas von einem Sattel und merkwürdigen Ringen erfahren haben, in die er seine Füße gesteckt hatte. Es kamen nicht oft solche reichen Konsuln nach Alexandria, und schon gar nicht beschäftigten sie sich in dieser Form mit dem Ankauf einer derart schnelllebigen Ware wie Sklavinnen und Sklaven.
Sieben Händler verkauften an diesem Nachmittag Sklaven, von Halbwüchsigen bis hinauf zu Fünfzigjährigen, die weitaus billiger zu haben waren. Sie stürzten aus den Quartieren hinter den Türen und Vorhängen auf die Bühne, sprangen die Treppe hinunter und redeten auf Arconrik Carra ein. Er machte eine Bewegung, als wolle er einen Schwarm lästiger Fliegen verscheuchen, und sagte hart:
»Ich bin nicht hier, um Diskurse zu gewinnen. Ich will kaufen, und das ohne unziemlichen Aufenthalt. Denkt daran – jede Ware verdirbt. Wenn niemand etwas dagegen hat, sollten wir diese Auktion hinter uns bringen.«
Sie versicherten, sich zu beeilen, und als sie zurückhasteten, stritten sie sich schon darüber, wer anfangen durfte. Ausnahmslos wirkten sie wie die Geier auf einem Aas. Schließlich stellte sich einer ans Pult, las seine Wachstäfelchen und schrie dann:
»Zuerst die Knaben. Geschaffen, zu dienen, der Lust oder als Weinschenk, die Haut wie kühler Balsam, langes Haar, um sich die Finger abzutrocknen, gesund und unverdorben …«
Carra griff in sein Gewand, holte eine weiße Tafel aus dünnem Holz hervor und einen Stift. Er malte blitzschnell Zeichen auf die Tafel. Jene, die sich auf Zehenspitzen stellten und über seine Schulter mitzulesen versuchten, erkannten nicht einen Buchstaben. Er schnippte mit der rechten Hand und deutete auf die Rampe. Die beiden Numidier mit Peitschen und Seilen sprangen hinauf und begutachteten die Angebotenen. Mit dem einen oder anderen sprachen sie leise, untersuchten die Körper, ließen sich die Zähne zeigen, prüften Muskeln und den Bau der nackten Körper, bemerkten die Spuren von Entbehrungen und Peitschen.
An diesem Nachmittag wurden zweihundertneun Sklaven angeboten.
Hin und wieder steigerte einer aus der Menge mit, die sich am Fuß der Bühne gebildet hatte. Händler verkauften Wein und kaltes Wasser, allerlei Zuckerwerk und geröstete Nüsse. Der Geruch nach Schweiß und Angst mischte sich mit der würzigen Seeluft. Gespräche flammten auf und verstummten wieder. Irgendwo schrie jemand. Ab und zu ein Stöhnen, wenn die Peitsche der Knechte einen widerborstigen Sklaven traf.
Junge Mädchen und junge Burschen von ausgesuchter Schönheit wurden gezeigt. Ununterbrochen nannten die Händler Preise, die Arconrik schweigend niederschrieb.
Junge Männer, die hastig mit den Gehilfen des reichen Römers sprachen und einen verstörten, hoffenden Ausdruck in den Augen hatten, als man sie wieder wegführte. Frauen, denen man ansah, dass sie ein arbeitsreiches Leben gewohnt waren. Mütter mit Kindern jeden Alters. Faltige Greise und Greisinnen. Riesige, muskelstrotzende Numidier. Menschen von hellerer Hautfarbe und mit glattem Haar. Sie waren schicksalsergeben, trotzig, wütend, niedergeschlagen, starr vor Resignation, blickten listig, weinten und schluchzten, stießen wilde Flüche aus und bekamen die Peitsche.
Arconrik betrieb sein Geschäft mit leidenschaftsloser Kälte. Seine Sklaven glichen ihm. Man flüsterte, dass er sie, bevor er die Pferde gekauft hatte, von einer Sklavenkarawane übernommen hatte. Er schien mehr als reich zu sein.
Reichtum, auf diese Art zur Schau getragen, verblüffte sogar die Alexandriner, die vieles kannten und gewohnt waren. Hin und wieder machte Arconrik einen Strich, ein anderes Zeichen, eine seltsam schlangenförmige Figur auf seiner Tafel.
Es wurde später und dunkler. Ein Teil der Menge verlief sich. Endlich, als noch eine Handvoll ausgemergelter Numidier aus den Gewölben getrieben wurde, stieg Carra auf das Podium und winkte die Händler herbei.
»Von dir, Neffe der Habgier«, sagte er unter dem Gelächter der Umstehenden und deutete auf denjenigen, der zuerst seine Angebote gemacht hatte, »kaufe ich folgende Sklaven. Die Nummern … die Namen … und über den Preis verhandeln wir mit leisen Stimmen.«
Er nannte, ohne mehr als einen flüchtigen Blick auf seine Aufzeichnungen geworfen zu haben, Nummern und Namen und kurze, treffende Charakterisierungen. Acht Sklaven wurden herausgeführt. Einen schickte Carra wieder zurück und warnte den Händler, ihn betrügen zu wollen.
Einem aufmerksamen Beobachter wäre es nicht entgangen, dass die Gekauften entweder besondere handwerkliche Fähigkeiten hatten, jung und vielversprechend wirkten, dass sie so wirkten, als hätten sie Bauernhöfe bewirtschaftet oder Metall bearbeitet. Es waren Menschen, die mit den Helfern des Römers geredet und ihnen gesagt hatten, was sie konnten.
Sie wurden aneinandergefesselt und stellten sich im Hintergrund der Bühne auf, hungrig, in Lumpen gehüllt und eine winzige Spur neue Hoffnung im Blick. Arconrik handelte nur kurz, rief etwas, und ein Sklave brachte eine abgezählte Menge Goldstücke; Sklaven und Gold wechselten den Besitzer.
Sechsmal wiederholte sich noch dieser Vorgang. Achtundvierzig Mädchen, Jungen, Frauen und Männer wurden gekauft. Die Kinder von drei Frauen erhielt der Käufer als Dreingabe. Die Mütter begannen vor fassungslosem Glück laut zu weinen. Wieder winkte Arconrik den Händlern. Sein Sklave brachte eine Weinamphore und Becher. Die Gruppe versammelte sich auf der Bühne.
»Und für mich selbst«, sagte Arconrik bedächtig, »habe ich deine Sklavin, Bruder des Schakals, ausgesucht. Sie heißt Usha Tizia. Ich zahle drei Goldstücke.«
Auf den günstigen Abschluss wurde Wein getrunken. Die Knechte, durchwegs rohe Gestalten mit Gesichtern, die zugleich mit dem Beruf der Besitzer abgestumpft waren, brachten eine erstaunliche Gestalt ins letzte Licht des späten Nachmittags.
Eine hellhäutige Numidierin, schlank und fast so groß wie der Römer, mit wohlgeformten Brüsten und hüftlangem, kaum gekräuseltem Haar. Ihre Augen waren bemerkenswert groß und wieselflink. Sie war höchstens siebzehn Jahre alt; ihr Rücken trug die Spuren der Peitschenschnüre. Sie strahlte etwas Besonderes aus. Niemand war sich darüber klar, was es wirklich war. Zum ersten Mal lächelte der Römer, wandte sich an die Sklavin und sagte:
»Die anderen habe ich für meinen Herrn gekauft. Dich kaufte ich für mich. Niemand sonst wollte dich haben. Ich bin sicher, dass morgen schon für dich ein neues Leben beginnt.«
Jeder, der diese Szene beobachtete, dachte sich etwas anderes. Der Römer und Usha Tizia überragten jeden Anwesenden um mehr als einen Kopf. Die Numidierin senkte den Kopf und hob die Schultern. Unter langen Wimpern schoss sie einen prüfenden Blick auf Carra ab, der gänzlich ungerührt blieb, seinen Preis zahlte und den Becher leerte. »Bringt sie schnell dorthin, wo wir wohnen«, sagte er leise zu seinen Sklaven. »Ich bin in Eile.«
Einige Atemzüge später wurden neunundvierzig Sklaven, in vier Gruppen aneinandergefesselt, durch die halbe Stadt getrieben und in die Richtung der Karawanserei. Die Goldkassette wog nicht mehr ganz so schwer. Jenseits des Torbogens bestieg Arconrik Carra sein Pferd, einen riesigen, breitgebauten Rappen mit weißer Stirnblesse und weißen Vorderbeinen.
Obwohl die Gerüchte noch lange anhielten, sah man ihn in Alexandria mehr als ein Jahrhundert lang nicht mehr.
»Natürlich habe ich mir, um deiner Frage zuvorzukommen, schönste Narnia, bei allem etwas gedacht«, sagte Arconrik, während die Bilder dunkel zu werden begannen. Wir hörten jetzt nur noch seine Stimme. »Ich hoffe, dass ich morgen bei euch bin.«
»Du hast dir eine Freundin gekauft«, stellte ich, tief verblüfft, mit unsicherer Stimme fest.
»Dies war meine Absicht. Ich werde sie heute nacht ins Schiff bringen und halbwegs vorbereiten. Die Hauptarbeit hast du morgen. Ich melde mich rechtzeitig.«
»Verstanden«, sagte ich. »Lasse die Funkverbindung stehen und gib ab und zu einen kurzen Bericht.«
»Es ehrt mich, Atlan Demetrion.«
Er musste sich etwas gedacht haben! Ein Robotergehirn, sagte ich mir, tut nichts Unlogisches. Der Gedanke, dass ein Roboter von Arkon eine Freundin oder gar Geliebte aus der Barbarenwelt nahm, war so absurd, dass er schon wieder originell war. Ich beschloss, zu warten. In dieser Nacht würde Arconrik seinen vier Helfern und Sklaven Essen und Wein geben. Der Wein enthielt ein starkes Schlafmittel. Mit dem »Schiff«, das wir wieder aus dem Sandversteck befreit hatten, brachte er sie hierher. Dann verlud er die Pferde und machte mehrere zusätzliche Flüge. In einem Viertelmond etwa konnten wir die Oase erreichen.
»Fast ein halbes Hundert erfolgversprechender Menschen«, sagte ich. »Die Bewohner der Oase werden auf eine harte Probe gestellt.«
»Wie jeder«, bemerkte Narnia, »der das Glück hat, es mit dir zu tun zu bekommen.«
Ich zog sie an mich, lachte. »Der Fluch der Klugheit ist es, dass mit ihr zugleich die Kritikwilligkeit wächst, Liebste. Was hast du als Abendessen gedacht?«
»Du kennst die Vorräte. Entzünde einige Lichter und sag mir deine Wünsche.«
»Sofort.«
Es wurde eine Szene voll von surrealistischer Eindringlichkeit. Um uns herum war Sandwüste; völlig einsam, nur durchfurcht von der Spur des Robotgeparden Xandar. Über uns der schwarze Himmel voller riesiger Sterne. Zwei Bogenschuss weit rauschte der Fluss. Das Feuer loderte, große Flammen aus Gaspatronen beleuchteten die Leinenwände des Zeltes und gaukelten mit den Schattenspielen. Wir aßen Braten, gewürzt mit Salz und Kräutern, Früchte und Brotfladen, Käse und Butter, und dazu tranken wir schweres, dunkles Bier. Für jeden sichtbar – aber da gab es niemanden! – bewegten wir uns in der kleinen Zone aus Helligkeit, ohne Furcht und in der Erwartung einer schwierigen, aber guten Zeit. Es war seltsam: Allein der Gedanke, hier in Ruhe arbeiten zu können, ohne dass ich mich in die Auseinandersetzungen der Barbaren untereinander mischen wollte, erfüllte mich mit großer, fast introvertierter Vorfreude.
Wir aßen, tranken, blickten in die Sterne, und ich zeigte Narnia über dem Horizont den Stern, der ein Planet war, auf dem das Gerät stand, mit dem ich die Flotte Arkons herbeirufen würde … eines Tages. Das Feuer brannte nieder, ich löschte die Flammen, bis nur noch eine übrig war. In der Wüste waren die Nächte sehr kühl. Wir verkrochen uns unter die Decken und liebten uns. Wir schliefen, jeder in den Armen des anderen.
Der Schrei eines Falken weckte uns vor Mittag.
Ich stand auf, trank kalten Tee und ging hinunter zum Wasser. Vom Kamm einer Düne, goldgesprenkelt und wachsam, blickte mich der Gepard an. Xandars Programmierung war darauf abgestimmt, uns schon durch seine Haltung zu signalisieren, ob es Gefahren gab. Ich winkte ihm; alles war ruhig. Die Ankunft von Arconrik stand kurz bevor. Zweimal hatten seine Meldungen mich geweckt. In kurzer Zeit würden wir uns um insgesamt dreiundfünfzig Sklaven zu kümmern haben.
In meinen Überlegungen reifte ein Plan heran, der auch den Falkner einbezog. Dieser Mann, mit größter Sicherheit ein Androide von Wanderer, also ein Spion von ES, musste mir helfen. Natürlich würde er es tun. Ich wusste nur noch nicht genau, auf welche der vielen möglichen Weisen ich ihn benachrichtigen sollte.
Gerade, als ich mich abgetrocknet und angezogen hatte, meldete sich zum letzten Mal der Roboter Arconrik.
»Wir kommen, Atlan. Es gibt Arbeit.«
»Verstanden.«
Über die Dünen schob sich der Bug des Schiffes. Dann schwebte es über die sandige Ebene und warf einen schwarzen Schatten. Der Mast war zersplittert, die Rah und das Tauwerk fehlten, und Arconrik stand im Heck und steuerte. Vor ihm saßen zwei seiner Diener, und zu meiner Überraschung erkannte ich Usha Tizia, die sich an der rissigen Reling festhielt. Der wuchtige Gleiter ging tiefer, bis der mürbe Kiel fast auf dem Sand schrammte. Arconrik lenkte das Schiff, an dessen Planken nur noch die großen Augen und die Lettern deutlich zu erkennen waren, bis in den Schatten. Langsam ging ich darauf zu und wartete, bis sich der Rumpf tief in den lockeren Sand gesenkt hatte. Die Numidierin war übermüdet, verwirrt und desorientiert. Arconrik winkte seinen Helfern. Sie klappten eine breite Planke herunter.
»Ihr habt einen langen Flug hinter euch«, sagte ich. »Der Tee ist gleich fertig.«
Einer der wenigen Vorteile des Römischen Imperiums war, dass die Umgangssprache innerhalb der Grenzen gleich war. Örtliche Sprachen und Dialekte wurden von den Eroberern erstaunlicherweise zugelassen. Die zwei Diener und Usha verstanden mich also gut.
Arconrik half der jungen Frau herunter. Ich legte meine Hand auf ihre Schulter und hörte in meinem Rücken die Schritte Narnias.
»Das sind Demetrion Atlan«, erklärte Arconrik, »und seine Freundin Narnia. Sie war vor langer Zeit eine Sklavin wie du. Ich habe dich gekauft, weil ich so viel Arbeit habe, dass ich jemanden brauche, der mir nicht von der Seite weicht und mir hilft. Bis du alles kannst, was ich verlange, wird es seine Zeit brauchen.«
Mit einem prüfenden Lächeln sagte Narnia: »Ich werde dir dabei helfen, Kind. Keine Angst. Alles, was du erlebt hast und noch erleben wirst, ist erklärbar.«
»Ich … es ist zuviel. Ich verstehe nichts. Der Römer dort, er hat mir gesagt … wo bin ich?«
»Weit weg von Alexandria. Komm!«, sagte Narnia. Arconrik und die beiden Numidier schleppten die schlafenden Sklaven aus dem Schiff und legten sie im Schatten des Baumes auf Decken. Ich schaute zuerst, sprachlos vor Überraschung, Narnia und Usha nach, dann wandte ich mich an Arconrik. Ich schaltete das Multifunktionsgerät ab und sagte:
»Usha Tizia soll deine Helferin werden? Wissenschaftliche Beraterin? Ich glaube, die lange Ruhe in der Kuppel schadet deinen Positronen!«
Rund um das kubische Zelt begann es auszusehen wie nach dem Überfall auf eine Handelskarawane. Arconrik schüttelte den Kopf. Er trug eine junge Mutter über die Planke herunter. Die Frau hielt ihr schlafendes Kind an sich gepresst.
»Es ist so, wie ich sagte. Vergiss nicht, dass wir eine Arbeit vor uns haben, die wir nicht in vollem Umfang abschätzen können. Ich kann zwar vierundzwanzig Stunden lang arbeiten, aber nicht länger. Sie soll mir alle Kleinigkeiten abnehmen. Du weißt ebensogut wie ich, dass der Tag in der Oase aus mehr besteht als aus Konzentration auf unsere eigene Arbeit. Sie wird es schaffen, denn sie hat die besten Lehrer, die es auf Larsaf Drei gibt.«
Jetzt schüttelte ich den Kopf. Er hatte recht. Noch eine Aufgabe. Dass die Barbaren, wenn sie begabt waren und wirklich wollten, erstaunlich lernfähig waren, wusste ich ebensogut wie er. Ich nickte und fragte weiter:
»Wann, rechnest du, sind wir in der Oase?«
»In fünf Tagen. Ich hole die Pferde. Du hast Khach’t Nachricht geschickt?«
»Noch nicht. Aber er sieht alles.«
Ich deutete nach oben. Jetzt kreisten zwei Falken über unserem chaotischen Lager. Arconrik brachte seine beiden schlafenden Sklaven aus dem Schiff, weckte sie unsanft auf und erklärte ihnen in kurzen Sätzen, wo und wer wir waren. Sie hatten schon länger Zeit gehabt, sich an ihn zu gewöhnen. Während ich das Pergament beschrieb, warf ich immer wieder wachsame Blicke auf Narnia und Usha, auf Arconrik und seine vier Helfer. Sie rüsteten sich mit Waffen aus, die wir mitgebracht hatten – originale Waffen aus unseren letzten Abenteuern. Kurze Zeit später kletterten die fünf an Bord und verschwanden samt ihrer Ausrüstung.
Ich tippte auf ein Schmuckfeld des Armbands. Einige Atemzüge später lief der Gepard zwischen den Sklaven, die sich vereinzelt zu bewegen begannen, hindurch und blieb vor dem Zelt stehen. Ich rollte das Pergament zusammen und winkte ihm. Ich zeigte ihm auf der Karte den Weg bis zu Khach’ts seltsamem Quartier, weit an der Oase vorbei durch die Wüste.
»Eingeprägt?«
Xandar stieß einen fauchenden Raubtierschrei aus. Dann senkte er den Kopf. Ich schob die Rolle, mit einem Metallband verschlossen, zwischen seine nadelscharfen Zähne und schlug auf die Kruppe des Tieres. Das herrlich gezeichnete Fell war noch weich und ohne Geruch.
»Lauf hin. Und komm zurück, wenn er die Rolle an sich genommen hat. Sein Bild hast du gespeichert?«
Wieder ein antwortendes Fauchen, dann rannte der Gepard in seinem federnden, weitgreifenden Trab los und ließ hinter sich eine aufstiebende Sandwolke zurück. Ich streckte meine Beine aus und sah zu, wie Narnia versuchte, mit halblautem Gespräch, heißem, gesüßtem Tee und gutem Essen die zukünftige Assistentin Arconriks zu beruhigen und ihr die Scheu vor den vielen neuen und verwirrenden Eindrücken zu nehmen.
Mir blieb die Aufgabe, die anderen Sklaven zu beruhigen. Sie waren zweimal aus ihrem gewohnten Leben gerissen worden. Einmal durch die plötzliche Versklavung, zum zweiten durch einen unbegreiflichen Ortswechsel und noch mehr durch eine Reihe unerklärlicher Vorfälle. Ich ging hinüber zu Narnia und Usha und sah, dass Usha bereits Narnias Stiefel aus fast weißem Leder trug, dass die Striemen der Peitsche auf Ushas Rücken von Narnia perfekt versorgt waren und das Mädchen entspannt wirkte.
»Tizia«, fragte ich, »wie viele Tage warst du mit den anderen zusammen bei den Sklavenhändlern eingesperrt?«
»Viele Tage.« Sie zählte an den Fingern. »Zweimal zwölf und einen, Herr.«
»Sage nicht ›Herr‹ zu ihm. Das mag er nicht«, wies Narnia sie im Tonfall einer besorgten Schwester zurecht. »Er heißt Atlan oder Demetrion.«
»Du willst die kluge und tüchtige Gefährtin meines Freundes Arconrik werden«, sagte ich. »Jetzt musst du mir helfen. Die anderen Sklaven wachen auf. Wir müssen sie beruhigen.«
Sie nickte eifrig, und ihre Verwirrtheit löste sich halbwegs, als ihr Narnia die Hand auf den Arm legte.
»Gib ihnen zu trinken, Herr … Atlan. Und Essen. Sag ihnen, was mir deine Freundin erklärt hat.«
»Ich sagte, dass sie frei sind, dass sie in die Oase kommen und alles andere, was du ihnen auch sagen wirst.«
»Dann hilf mir«, bat ich Usha. »Narnia! Wir brauchen Tee und Essen.«
»Ich habe schon daran gedacht.«
Es folgten einige Stunden, die mich beschäftigten, aber auch verwirrten. Wir warteten, bis sie alle wach waren. Dann schnitten wir als erstes ihre Fesseln durch. Ich sprach mit ihnen; Usha berichtete, wie sie eine unglaubliche Reise hinter sich gebracht hatten. Narnia verteilte heißen Tee, gesüßt mit Honig, verstärkt durch Alkohol. Ich klappte einen Tisch auseinander, öffnete die Taschen mit der medizinischen Ausrüstung und behandelte zahllose Wunden und Peitschenspuren. In diesem Stadium war es leicht, das Vertrauen von knapp einem halben Hundert Menschen zu gewinnen. Usha zeigte, dass Arconrik einen erstaunlich sicheren Blick bewiesen hatte. Sie vergaß sofort ihre eigene Lage und half uns mit großer Schnelligkeit und ebenso sicher.
Schritt vor Schritt: Es dauerte Tage, bis alle Pferde da waren, die Lasten aufgeladen, die Mädchen und Frauen und Männer ihre Scheu verloren und ich genügend Informationen hatte. Dann brachen wir auf. Etwa die Hälfte ritt, die andere belud wieder das Schiff, das diesmal den Weg über das Wasser des Flusses wählte, und fünf Tage später trafen wir mit dem Gleiter auf Khach’t.
Er saß grinsend auf einem Rappen, auf dem linken Unterarm erwartungsgemäß einen Falken mit lederner Haube.
»Willkommen, Demetrion! Alles ist vorbereitet. Es wurde Zeit«, rief er. »Viele Menschen bringst du mit – und ebenso viele Probleme, denke ich.«
Er heftete seinen Blick zuerst auf Narnia, dann auf Usha, schließlich auf mich. Seit rund zweieinhalb Jahrhunderten wachte er über die Oase. Hinter ihm tauchten aus den niedrigen Dünen, vor den dürren Gräsern am Rand der Oase, etwa fünfzehn bewaffnete junge Männer auf Pferden auf.
»Es freut mich, dich gesund und angeblich blind zu treffen«, sagte ich und hielt den Gleiter dicht vor ihm an. »Du hast uns beobachtet. Lange Erklärungen erübrigen sich also. Kann ich auf deine Hilfe rechnen?«
Er stieg ab, noch immer scheinbar alterslos, klein und zäh, voll abgründigen Humors und undurchschaubar. Wir umarmten uns und lachten. Ich war wirklich froh, ihn zu sehen. Mit wenigen Worten klärte ich ihn auf, und er sagte:
»Seid unbesorgt. In der Oase seid ihr die unangefochtenen Herrscher. Die Erinnerung an euch wird weitergegeben von Geschlecht zu Geschlecht.«
»Dann werden sie tun, was wir verlangen?«
»Nicht alles, denn die Sitten sind ein wenig verwildert. Ich habe sie vorbereitet.«
Ich begrüßte die jungen Männer. Sie waren freundlich, aber voller Misstrauen. Sie versicherten mir, dass sie alles getan hätten, um uns einen würdigen Empfang zu bereiten. Aber unausgesprochen blieb ihre Frage. Sie lautete: Wer seid ihr, dass ihr Hunderte von Jahren lang, durch die vielen Tage und Monde hindurch, immer wieder hierherkommt? Unsterbliche? Dämonen? Götter?
Eines Tages würden wir die Frage beantworten müssen. Mein Extrasinn flüsterte:
Sie sind kritisch geworden, Arkonide! Sie stellen Fragen. Diese Fähigkeit ist von euch damals, mit Beilarx zusammen, entwickelt worden!
Ein Grund mehr, sagte ich mir, stolz auf unser Wirken zu sein. Wenigstens in einem kleinen, überschaubaren Bereich bewiesen die Barbaren, dass es auch ohne Krieg und Machtgier möglich war, eine menschliche Gemeinschaft aufzubauen.
Die Reiter, Arconrik mit dem Schiff und wir mit dem Gleiter kamen fast gleichzeitig in der Oase an.
Bis tief in die Nacht hatten wir zu tun, um die Ausrüstung ins Haus zu bringen, den Menschen der Oase zu erklären, was diejenigen tun würden, die wir mit uns gebracht hatten, dass wir lange bleiben würden und dass sie ihr Fest auf den nächsten Abend verschieben sollten. Für die Neuen gab es genügend Platz. Sie wurden herzlich aufgenommen, während man uns mit Scheu begegnete.
Die riesige Wassermühle arbeitete noch immer; sie würde überholt werden müssen. Auch die Windmühlen drehten sich. Speicher und Scheunen waren gefüllt, die Schulen hatten ihre Kinder für diesen Tag weggeschickt. Mit jedem weiteren Schritt sahen wir, dass es der richtige Augenblick gewesen war, wieder eine neue, überraschende Entwicklung zu beginnen. Spät am Abend trafen wir uns in dem überfüllten, ungemütlichen Haus, in einem Raum von Arconriks Museum.
Öllampen, ein lodernder Kamin, hölzerne Sessel, mit Fellen ausgeschlagen, ein kleiner Imbiss und die alten, wertvollen Pokale voll Wein. Ein Kreis müder Gestalten, lang ausgestreckt, gähnend und die Becher in den Händen.
»Nicht einmal in meinen Träumen erlebte ich, was die letzten Tage mir zeigten«, sagte Usha Tizia überraschend klar. Arconrik hob kurz den Arm und entgegnete:
»Wir beginnen in vielen Tagen, ein Ding zu bauen, das unendlich wichtig für alle Menschen dieser Welt ist. Morgen wirst du lernen, Zahlen und Buchstaben zu schreiben und zu lesen.«
»Morgen Abend ist niemand mehr nüchtern genug, um eine klafterhohe Zahl zu erkennen«, murmelte Khach’t. »Mir glauben sie auch nicht, dass ich nicht einer meiner eigenen Söhne bin.«
Ich musste lachen.
»Freunde! Wir haben viel Zeit. Nichts und niemand drängt uns. Mein erster Eindruck von den Menschen der Oase ist, dass sie erstens eine Blutauffrischung in mehrfacher Hinsicht brauchen, zweitens den Kontakt mit Kultur und Zivilisation. Trotz der Handelsstraße, die dort entlangführt.«
Wir hatten viele Stunden der Beobachtungen hinter uns, die exakten Höhenbilder mit einem Kartennetz darüber, die Chronologie von Arconriks Beobachtungen und unsere eigenen, von den Computern nachgerechneten Theorien über Werden und Vergehen solcher Siedlungen. Narnia unterbrach lächelnd:
»Auch darüber sollten wir heute nicht mehr sprechen. Ein Wort über Usha, Freund Arconrik.«
»Ich höre voller Aufmerksamkeit.«
»Sie ist jung. Sie hat ein schlimmes Schicksal hinter sich. Als du nicht bei uns warst, bewies sie, dass sie klug, liebenswert und unendlich tüchtig ist. Ich glaube, sie wird meine Freundin werden.«
Arconrik lächelte selbstbewusst. Usha wand sich vor Verlegenheit. Ihr Gesicht glühte vor Stolz. Siebzehn Sommer, so erinnerte sie sich nun, zählte ihr Leben. Dies in einem Land und einer Kultur, in der Vierzigjährige bereits verbrauchte Greise waren. Rico sagte ruhig einen Satz, der mich schon wieder verwirrte.
»Es liegt ein gutes, aber hartes Leben und Lernen vor ihr. Ich werde alles tun, um sicherzustellen, dass sie wieder bei uns ist, wenn wir uns gebärden wie Unsterbliche.«
Narnia und ich sahen uns schweigend in die Augen. Wir erkannten, was der Spruch bedeutete. Arconrik blieb gelassen. Usha verstand den Sinn seiner Antwort nicht, aber sie begriff, dass gewaltige Dinge vor ihr lagen. Sie schaute niedergeschlagen in die Flammen der Öllampen. In zwei Jahren würde sie eine schöne junge Frau geworden sein. Khach’t zerbrach die gespannte Stille, als er sagte:
»Ich freue mich auf die nächste Zeit. Es wird sicher lustig mit euch zusammen. Schon heute lade ich euch zum nächsten Musikabend auf den Steintraversen ein.«
»Überredet!«, sagte ich. Raban der Jüngere, der gewählte Vorsteher der Gemeinschaft aus mehr als eineinhalbtausend Menschen, hob den Arm und fragte:
»Jene freigelassenen Sklaven, Demetrion Atlan, was sollen wir mit ihnen tun?«
»Nehmt sie so bei euch auf, wie eure Väter andere Freigelassene in ihr Herz schlossen. Es sind Handwerker darunter – eure Schmiede, Holzschneider, Bronzegießer und Steinmetze werden Gehilfen bekommen. Das alles wird langsam vor sich gehen. Morgen? Erst einmal ein Fest, bei dem sich alle kennenlernen. Ich habe mit Freude gesehen, wie eure jungen Reiter den Mädchen glühende Blicke nachgeworfen haben.«
»Wer immer die Sklaven befreit hat, er hat scharfe Augen und Sinn für Schönheit!«, lobte Raban. Arconrik hob den Pokal und erklärte in einem Ton, der keinen Widerspruch zuließ:
»Natürlich war ich es, Gevatter der Bewässerungsgräben!«
Wir wurden schläfrig und zogen uns in verschiedene Zimmer zurück. Am nächsten Morgen stellten wir fest, dass Arconrik unermüdlich gearbeitet, dass er drei Räume fast vollständig eingerichtet und ausgestattet und die Fächer und Schränke gefüllt hatte. Quer über der Schwelle des Zimmers, in dem Narnia und ich schliefen, lag Xandar mit ausgestreckten Läufen, den Kopf wachsam hochgereckt.
ERINNERUNGSSPLITTER: Das »Schiff« war an Land gezogen worden. Es war völlig leer. Handwerker beschäftigten sich damit, es wieder zu reinigen, zu reparieren und aufzurüsten. Jede Stunde brachte neue Probleme: Raum um Raum wurde eingerichtet. Teppiche, Möbel, Vorhänge und große Tische. In den Fächern stapelten wir, unentwegt schleppend und lachend, die Teile der Ausrüstung. Metallbarren und die schartigen Schwerter unserer römischen Abenteuer brachten wir zu den Metallschmelzen. Einige Kranke kamen zu mir und wurden, so gut ich es mit den Mitteln arkonidischer Heilkunst verstand, behandelt. Wir sprachen eine Mischung aus Latein und Altkarthagisch-Punisch.
Narnia und ich suchten uns Pferde aus. Zwei junge Freigelassene kümmerten sich, wenn sie nicht in der Schule lernen mussten, um Zaumzeug, Sättel und die Pferde, die im Stall standen und zunächst einmal mit Spezialfutter versorgt wurden.