Atlan 1: An der Wiege der Menschheit (Blauband) - Hans Kneifel - E-Book

Atlan 1: An der Wiege der Menschheit (Blauband) E-Book

Hans Kneifel

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Beschreibung

Rund 8000 Jahre vor Beginn unserer Zeitrechnung ging der kleine Kontinent Atlantis zugrunde - und mit ihm der Großteil seiner Bewohner: eine Kolonie der menschenähnlichen Arkoniden. Nur einer überlebte: der unsterbliche Arkonide Atlan, der zehntausend Jahre später zum besten Freund Perry Rhodans werden und mit der Menschheit den Weg zu den Sternen antreten sollte ... Gestrandet auf einer barbarischen Welt, abgeschnitten von der vertrauten Zivilisation allein unter Steinzeitwilden - Atlan wird zum Wächter der Erde und erlebt den Beginn der Menschheitsgeschichte ...

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Nr. 1

An der Wiege der Menschheit

Prolog

Der Tag, der wahrscheinlich mit Atlans Tod enden würde, war erst acht Stunden alt, als Cyr Aescunnar seinen Arbeitsraum betrat. Bildschirme und Holografie-Projektoren zeigten lautlose Szenen aus der Intensivstation im Zentrum des Planetaren Krankenhauses. Aescunnar schaltete Beleuchtung, Klimaanlage und eine Reihe Aufzeichnungsgeräte ein. Er sah, dass sich nachts einige Tonspeicher gefüllt hatten: Atlan, der grässlich zugerichtet war, als man ihn vom gescheiterten Einsatz auf Karthago II zum Planeten Gäa zurückgebracht hatte, vermochte bereits wieder zu sprechen.

Aescunnar suchte eine Brille aus, die bewusst antik gestaltet war und blickte über den Scanner-Vocoder hinweg. Ein Regal füllte die gesamte Längswand aus. Indirekte Leuchtfelder zeigten Tausende alter Bücher, Lesespulen, Musicubys und Buchchips mit grellfarbigen Markierungen. Auf dem anachronistischen Holzlesepult, Erbstück seiner Familie, lag aufgeschlagen eine der wenigen literarischen Kostbarkeiten aus dem Besitz des Geschichtswissenschaftlers: eine gedruckte, bebilderte Chronik.

»Die Katharsis nimmt ihren Lauf. Atlan spricht.« Cyrs graue Augen funkelten hinter den Gläsern. Auf einem Leseschirm gliederten sich Buchstaben zu Worten und Sätzen. »Er redet sich alles von der Seele, was bisher gesperrt, verdrängt oder scheinbar vergessen war.«

Atlan war am 25. August 3561 nach einem rasenden Flug der KHAMSIN von jener Welt, auf der vulkanische Katastrophen und Beben wüteten und alles Leben auslöschten, ins Dunkelwolken-Versteck der Provcon-Faust zurückgeflogen worden. Zur Mannschaft, die das Inferno überlebt hatte, zählten Cyr Aescunnar, Atlans Freundin Scarron Eymundson, der Ara Ghoum-Ardebil und der Pilot Sarough Viss.

Aus dem Überwachungsraum des Medo-Center wurde über Bildfunkbrücken und störungssichere Lichtleiterkabel seit sechsunddreißig Stunden jede Einzelheit in Aescunnars Büro übertragen. Er warf einen langen Blick auf den ausgestreckten Körper im gläsernen Sarg des Spezialbades. Auf Atlans Körper waren Schnitte, Abschürfungen, Blutergüsse ebenso deutlich wie das Biomolplast-Kunstgewebe zu sehen. Atlans schulterlanges Haar war zu zwei Dritteln verschmort gewesen; jetzt war der Schädel kahlgeschoren. Ein Summton ließ den Historiker zusammenzucken. Er schaltete den Interkom ein und erkannte Aktivatorträger Julian Tifflor.

»Ich sehe, Sie sind schon an der Arbeit, Cyr. Wahrscheinlich wieder an den ANNALEN DER MENSCHHEIT?«

»Ich gehöre zum Überwachungsteam Atlans.« Aescunnar nickte dem schlanken Mann zu. Tifflors überraschend jugendliches Gesicht zeigte tiefe Betroffenheit. »Es sieht böse aus, Sir.«

»Ich weiß. Jede winzige Einzelheit im gesamten Trakt der Intensivstation wird von MEDO-CONTROL minutiös überwacht. Doktor Ghoum-Ardebil bekam einen Schlafraum in der Station. Wir haben ständige Tag- und Nachtwachen befohlen.«

»Tut mir leid, Sir – wir denken, dass es weder die Nährflüssigkeit im temperierten Spezialbad noch der Zellaktivator schaffen. Jeder rechnet mit dem Schlimmsten.«

»Vielleicht kann ich eine Kleinigkeit helfen. Ghoum-Ardebil sagte mir, dass Atlan zu sprechen angefangen hat; wirre Worte, die niemand richtig deuten kann. Ich kenne das. In besonders schwierigen Situationen fällt Atlan in eine Art Déjà-vu-Trance und erzählt lange Geschichten, in denen er sich an jede noch so winzige Einzelheit erinnert. Ich habe angeordnet, dass eine hypermodulierte SERT-Haube zu Atlans Medotank gebracht und über seinem Kopf angebracht wird. Könnte sein, dass seine Stimmbänder versagen oder er zu sprechen aufhört.«

Aescunnar drehte den Kopf, nahm die Brille ab und putzte sie gedankenlos. Er sah im Holografiefeld die steril gekleideten Mechaniker am Kopfende des Glastanks. Sie installierten die SERT-Haube und die Überwachungspositronik.

»Ich rechne damit, dass Atlans Verstand sich in einer Katharsis zu reinigen versucht. Er spricht bereits zusammenhängend. Diese verbale Abreaktion, das befreiende Verströmen großer innerer Belastung, kann seinen Überlebenswillen stärken.«

»Sie werden tun, was Sie können, Aescunnar.« Tifflor hob grüßend die Hand. Der Historiker zuckte mit den Schultern.

»Ich bin notgedrungen passiv, Sir.«

»Wenn Sie dafür sorgen, dass Atlans Erzählungen der Nachwelt zugänglich gemacht werden können, tun Sie mehr als viele andere. Danke, Cyr.«

Aescunnar grüßte zurück, setzte die Brille auf und sah das Flackern winziger Kontrolllichter. Atlans Gesicht hatte zwischen den Verbänden wenig Menschenähnliches mehr. Seine Worte waren und blieben zunächst verständlich und klar.

Mehrere Datenleitungen der SERT-Anlage wurden in Cyrs Arbeitsraum geschaltet. Der Historiker wartete, bis sich die Speicherchips zu füllen begannen.

Er kippte den Sessel und zog das uralte Buch zur arkonidischen Geschichte vom Lesepult; eine bibliophile Kostbarkeit, aus dem Arkonidischen Anno 2114 n.Chr. in Interkosmo übersetzt, deren Inhalt in einigen Passagen historische Fragen offen ließ. Cyr las schweigend die einleitende Synopsis.

Wof Marl Starco und Riarne Riv-Lenk:

AUFSTIEG UND NIEDERGANG DES ARKONIDISCHEN IMPERIUMS

Vor ca. fünfzig Jahrtausenden: Nach dem erbitterten Krieg der galaxisbeherrschenden Lemurer gegen die Haluter flüchtete ein Großteil der Lemurer mit Hilfe von Sonnentransmittern nach Andromeda. Aus den zurückbleibenden Lemurern gingen Sternenvölker wie Terraner oder Akonen hervor: im achtzehnten Jahrtausend vor der Zeitenwende erreichten akonische Auswanderer den Kugelsternhaufen M13, 34.000 Lichtjahre vom Solsystem entfernt, in dessen Zentrum siebenundzwanzig Planeten um eine weiße Riesensonne rotierten. Der dritte Planet, Arkon, wurde zur Urheimat der Arkoniden; später erhielt der Kugelsternhaufen den Namen »Thantur-Lok«, also »Thantors Ziel«.

Aus der Vorgeschichte Arkons, weit vor der Gründung des Großen Arkonidischen Imperiums, sind nur Legenden bekannt: etwa die Sage von Caicon und Raimanja, dem »weltenerschaffenden Liebespaar«. Raimanja gebar auf der Welt Perpandron einen Sohn, den sie Akon-Akon nannten, das »wache Wesen«. Sein Embryo wurde von akonischen Genetikern manipuliert. Akon-Akon sollte den Sieg der Akonen im Großen Bruderkrieg sichern helfen; mit hypnosuggestiver Macht sollte er, nach Arkon eingeschleust, den Arkoniden seinen Willenaufzwingen. Während des Unternehmens änderten sich die galaktischen Machtverhältnisse. Die Arkoniden durchquerten weite Strecken der Galaxis, besiedelten viele Planeten und festigten die Macht des Imperiums. Die Akonen zogen sich zurück, schützten – und isolierten – sich durch eine Energieblase im sog. Blauen System.

Das arkonidische Imperium erreichte im neunten Jahrtausend v.Chr. eine Blütezeit. Arkons zwei Nachbarplaneten nahmen Positionen auf der Bahn Arkons, des dritten Planeten, ein. Arkon I, die Kristallwelt, der Wohnplanet, Arkon II, Handels- und Industriewelt und Arkon III, die Kriegswelt, waren von einem Festungsring schwerstbewaffneter Raumforts geschützt. Die Jahrhunderte waren gekennzeichnet durch permanente Intrigen des feudalistischen Herrschaftssystems, den Krieg gegen die methanatmenden Maahks und bizarre Kabalen des Hofstaates um den Imperator.

Der Sohn des Imperators Gonozal VII. und der Imperatrix Yagthara, Kristallprinz Mascaren Gonozal, wurde am 35. Dryhan 10.479 (= 8045 v.Chr. terranischer Rechnung) als designierter Nachfolger des Imperators geboren. Erst später erhielt er auf Wunsch seiner Mutter den Namen Atlan. Fünf Jahre danach, nach der Ermordung des Vaters Gonozal durch dessen Bruder Orbanaschol III., rettete Fartuloon, der sog. Bauchaufschneider des Imperators, den jungen Prinzen, sorgte dafür, dass er offiziell »Atlan« genannt wurde und löschte den Namen Mascaren aus den Speichern des Robotgehirns der Kristallwelt. Fartuloons intensive Erziehung des jungen Prinzen gipfelte im dritten Grad der ARK SUMMIA auf der Prüfungswelt Largamenia. (Atlans Tarnname: Macolon). Atlan wird von den Schergen Orbanaschols ebenso gnadenlos wie erfolglos gehetzt und verfolgt gleichzeitig seinerseits die Mörder mit erbitterter Hartnäckigkeit. Weitere Eckdaten aus Atlans Leben:

• 10.498: Der freie Prospektor Neeol Darmington entdeckt für die Arkoniden das Planetensystem Sol und die Erde. Darmington verschwindet auf der Sklavenwelt Mervgon; die Koordinaten gehen verloren.

• 10.500 (8020 v.Chr. terr. Rechnung): 17. Jahrestag der Inthronisation Orbanaschols III., Sturz des Diktators. Fartuloon verschwindet aus Atlans Leben. Nach O.s Tod und dem Regierungsantritt des neuen Imperators, Upoc von Gonozal, zweiter Halbbruder Gonozals VII., nimmt Upoc I. in Memoriam oder Suplance den Herrschernamen Gonozal III. an (Upoc, ein genialer Musiker und Komponist, komponierte u.a. die Große Arkon-Fuge, den Cantus STERNENHYMNE sowie die Sternennebel-Sinfonie mit dem berühmten Celesta-Solo für Positronik und Äolsharfe). Atlan tritt in die Raumflotte ein. Sonnenträger Tarts wird zu Atlans Ratgeber, Ausbilder und Freund.

• Gleichzeitig Ausbildung an der elitären und leistungsorientierten Galaktonautischen Akademie von Iprasa.

• Abschluss in folgenden Disziplinen: Wissenschaftler-Techniker I. Klasse, Fachgebiete: Kosmo-Kolonisation und Xenopsychologie, Hochenergie-Ingenieur usw.

• Beförderung zum Has’athor (= Admiral), einfacher Sonnenträger; A.s Kommandoübernahme des 132. Imperiums-Einsatzgeschwaders »Kristallprinz«.

• ca. 8002 v.Chr. terr.R.: Atlan erhält im Alter von 36,4 Arkon, beziehungsweise ca. 43 Terra-Jahren von ES den Zellschwingungsaktivator und das Funktionsprinzip der Konverterkanone, deren Masseneinsatz letztlich für Arkon den Krieg entscheidet. Beförderung A.s zum Flottenadmiral. Die irdische Atlantis-Kolonie erfährt weiteren Ausbau.

Cyr Aescunnar wechselte gedankenverloren die Brillen und schlug die schwere, stockfleckige Seite um. Er erinnerte sich an einige Berichte von Atlan; die Vergangenheit dieses Arkoniden spannte sich über den unfassbar langen Zeitraum von mehr als elfeinhalb Jahrtausenden! Dass Atlans vielgerühmtes Gedächtnis und die Fähigkeit, Erlebnisse in holografischer Genauigkeit speichern und wiedergeben zu können, einen Teil von Atlans einzigartiger Persönlichkeit ausmachte, wusste kaum jemand besser als der Historiker. Er zog ein Tuch aus der Brusttasche, hauchte die Brillengläser an und betrachtete die Bilder auf den Monitoren. Erkaufte sich Atlan durch lange, schmerzliche Schilderungen eine echte Überlebenschance?

Frühe irdische Geschichte, voller Rätsel, weißer Flecken, Wirrnisse und ungelöster Fragen, konnte aus der Sicht eines Außenstehenden, eines Lebewesens mit anderen Moralvorstellungen, aufgewachsen und erzogen in der Vergangenheit ferner Welten, ungeahnte und wissenschaftlich unangreifbare Qualität erhalten.

Im hermetisch abgeschlossenen Zentralraum der Intensivstation hatte sich nichts verändert. Der Arkonide lag ausgestreckt da, wurde intravenös ernährt, und die goldfarbene, von Kabeln und Datenleitungen starrende SERT-Haube, die jedes Flüstern und jede Verstandesäußerung verstärkte, hatte sich über seinen Kopf gesenkt. Atlan sprach leise und mit langen Pausen zwischen den Sätzen, er schien von der SERT-Haube nichts zu ahnen.

Der Wiedergabeschirm zeigte ein unkoordiniertes Muster aus Worten und Zeilen. Aescunnar setzte die Brille auf und las auf den nächsten Seiten weiter.

Den braunhäutigen Völkern östlich und westlich der Inselsiedlung Atlantis waren von den arkonidischen Kolonisatoren viele Fertigkeiten vermittelt worden. Die Invasion der Druuf führte zur Veränderung der planetaren Achse und indirekt zum Untergang Atlantis’, ein Ereignis, das in der späteren terranischen Mythologie und Sagenwelt bis hin zu reichlich obskuren Wiedergeburts-Theorien für Legendenstoff sorgte. Der Arkonstahl-Zylinder samt Kuppel (ca. 120 Meter Durchmesser, ca. 60 Meter Höhe, ca. 2 Dutzend Decks, darunter Fels-Hohlzylinder, zur Aufnahme des Arkonstahlturmes als Kuppelsockel, ca. 100 Meter hoch, mit Thermalstahl ausgefügt und mit dem Turm verbunden) des kolonialen Zentral-Notquartiers war in Basalt- und Gabbrofelsen eingeschweißt. Er war für längeres Überleben von ca. 10.000 Individuen konzipiert, versank mitsamt der Insel und kam in einer Tiefe von ca. 2850 Metern zur Ruhe. Zahlreiche arkonidische Flottensilos auf allen Erdteilen wurden verschüttet und unter Geröll begraben. Nur auf der höchsten Erhebung der vulkanischen Insel São Miguel befanden sich, unsichtbar für normale Sterbliche, einige Hochleistungsantennen.

Etwa im Jahr 8000 vor der Zeitenwende beginnt Atlan nach dem grausigen Schock der Erkenntnis, einziger arkonidischer Überlebender der planetaren Katastrophe zu sein, die erste Phase jenes biomedizinischen Kälte-Tiefschlafes. Er dauerte mit einer noch unbekannten Anzahl von Unterbrechungen bis ins Jahr 2040 n.Chr. Atlan wusste,dass das Große Imperium mit allen seinen Problemen, also auch dem tobenden Methankrieg, weiter existierte; er hoffte, dass die Arkon-Flotte nach Überlebenden suchen würde.

Die arkontypische Menge stationärer positronischer Roboteinrichtungen, die ununterbrochene Überwachung des unterseeischen, mit überperfekter militärischer Logistik ausgestatteten Überlebenssystems und ein mobiler Höchstleistungsroboter, RICO, wachten über den Tiefschlaf des Kristallprinzen. Nach seiner eigenen Auskunft dauerte die erste Schlafphase einhundertzwölf siderische Larsaf-III-Jahre zu 365,2564 Tagen. Atlan berichtet, dass er die Oberfläche von Larsaf III in einer Geistesverfassung betrat, die aus Erwartung, Resignation, Zorn und Neugierde zusammengesetzt war. Zudem fühlte er sich für die Bewohner dieser Welt verantwortlich, die (indes ursächlich durch das Desaster der »natürlichen Überlappungsfronten« zum Roten Universum der Druuf) aber letztlich und unzweifelhaft durch Arkons Kolonisation von massenhaftem Tod, gigantischen Verwüstungen und grauenhaftem Untergang in einer Mega-Sintflut heimgesucht worden waren.

1.

Ich sah mich langsam um.

Die Senke, in der ich mich befand, schien ungefährlich zu sein, obgleich sie von den Schreien der kleinen Waldtiere erfüllt bis zum Bersten war. Hier machte der Fluss eine scharfe Krümmung, und die Basaltrücken links und rechts des Durchlasses versprachen, dass sich das Gelände nicht mehr wesentlich verändern würde. Ich hatte hier, im Gleithang, der versanden würde, eine rechteckige Grube ausgeschachtet. Auf dem Grund dieser Grube lag Cunor mit zerschmettertem Schädel; mein letzter arkonidischer Begleiter war von einem Barbaren mit einem Faustkeil getötet worden.

Große Regentropfen hämmerten auf mich und den Hügel herunter.

Vor den schwarzen Basaltfelsen bewegten sich Nebelfetzen. Irgendwo krachte Donner, und hinter dem strömenden Regen spaltete ein Blitz den Himmel. Es war grauenhaft. Ich war der einzige Mensch, genauer gesagt das einzige Wesen mit Intelligenz und Verstand innerhalb eines Sonnensystems. Alle anderen waren tot, vernichtet, ertränkt oder von den Relativfronten des Druuf-Desasters in ein anderes Universum gerissen worden.

Ich holte aus und zerschmetterte das Grabgerät an dem Felsen, den ich über die Grabstätte Cunors gerollt hatte. Die absolute Einsamkeit fing an – heute.

Gefangen auf einem Planeten, der sich in der jüngsten Steinzeit seiner Geschichte befand. Die Pro-Humanoiden, die ihn bevölkerten, in lächerlich geringer Anzahl, waren von erschreckender Primitivität. Ich war abgeschnitten von allem. Von Arkon, von der Kultur, von einem Riesenreich, das 34.000 Lichtjahre vom Larsaf-System entfernt war.

Langsam und hoffnungslos ging ich durch den strömenden Regen davon. Donner fegte durch das Flusstal und ließ meine Trommelfelle erzittern. Das Rauschen, mit dem der Regen herunterschlug, wurde lauter und lauter und schwoll zu einem Hurrikan von Geräuschen an. Mein Kopf schmerzte so stark, dass ich nicht feststellen konnte, an welchen Punkten die schärfsten Schmerzkonzentrationen bestanden.

Dann … etwas fauchte auf wie hochkomprimierte Luft. Ich spürte trotz des Donners, der stechendhellen Blitze und des Regens keine Feuchtigkeit auf meiner Haut; so gut hatte ich meine Empfindungen in der Gewalt. Was hatte da gefaucht? Ein Tier? Ich versuchte, die Helligkeit zu durchdringen und meine Waffe zu ziehen – ich konnte mich nicht bewegen. Rote Schleier begannen vor meinen Augen zu tanzen. Plötzlich merkte ich, dass ich schrie, laut und merkwürdig hoch.

Ruhe. Ich wollte mich umdrehen, die Augen schließen und zwischen den Armen verbergen, nichts hören und nur schlafen. Langsam beruhigte sich der Aufruhr meiner geschundenen Nerven. Mein Blick wurde klar: Vor mir leuchtete der Bildschirm in scharfer Klarheit der Bildwiedergabe. Ich war nicht wirklich in der aufgewühlten Natur.

Der Sturm ließ nach. Die Wolken wurden hochgerissen, der Regen hörte auf. Die Sonne begann auf das Kiesbett des Flusses zu brennen, eine Fläche, schneeweiß, ausgefüllt mit Sandbänken und feinem Kies. An den Ufern waren angeschwemmte Wälle größerer Steine. Zwischen den Sandbänken floss hellgrünes Wasser; es kam von einem der zahllosen Gletscher, die sich unmerklich langsam zurückzogen. Die Hochwasserströmung des Flusses hatte einen weißen Baumstamm mit den Resten einiger Astfortsätze angeschwemmt und in den Boden gerammt. Dahinter lag das Skelett eines urzeitlichen Tieres. Mitten auf der sichelförmigen Kiesfläche lag ein riesiger Schädel; weiß, abgesplittert und mit meterweit ausspannendem Gehörn. Irgendwo hier war das Grab Cunors. Das Bild wurde unscharf, und ich begann zu atmen.

Eine moderne Digitalpositronikuhr mit einer Jahresskala erschien auf dem Bildschirm, groß und völlig unerwartet. Ich begann zu begreifen. Eine Stimme sagte in feierlichem Ton:

»Die Zeit ist um, Gebieter!«

Ich erschrak. Woher kam die Stimme? Wer nannte mich »Gebieter«? Ich war auf diesem erbarmungswürdigen Planeten verborgen, wartete auf ein Schiff von Arkon, das mich abholen würde. Die Klarheit meiner Gedanken nahm zu. Ich war eben aus einem langen Schlaf erwacht. Einem Schlaf, der einhundertzwölf Jahre nach der Zeit dieses Planeten des Larsaf-Systems gedauert hatte. Die siderische Umlaufzeit des dritten Planeten betrug 365,26 Tage.

Einhundertzwölf Jahre war ich medizinisch tot auf einem weichen Konturlager ausgestreckt gewesen. Ich wusste, dass ich in der unterseeischen Druckkuppel war, in die ich mich nach dem Untergang unserer Kolonie gerettet hatte. Warum war ich geweckt worden? Ich beschloss, die Dinge auf mich zukommen zu lassen.

»Wer spricht?«, fragte ich. Meine Zunge artikulierte nur mühsam; der gesamte Körper schien gefroren zu sein.

»Hier spricht Rico, dein persönlicher Roboter«, sagte eine gutmodulierte Stimme neben mir. Ich war froh, dass ich sprechen konnte und einen Partner hatte, selbst wenn es nur ein Robot war. Rico gehörte zu den Maschinen, die man zur Überwachung und Wartung der Schutzkuppel konstruiert hatte. Er konnte mit großem, erweiterungsfähigem Wortschatz sprechen, verstand sämtliche Befehle und war manuell überaus sicher. Ich dachte nicht weiter nach, spannte meine schmerzenden Muskeln und versuchte, mich aufzurichten. Eine Hand stützte mich im Rücken, ich konnte die stählernen Elemente unter federndem Kunststoff spüren. Einhundertzwölf Jahre.

»Wie lange bin ich jetzt schon wach?«, fragte ich verwirrt.

Mit der überperfektionierten Präzision der arkonidischen Maschinen, die einen ultraschnell arbeitenden Auswertungssektor besaßen und positronisch-logische Begriffe in verständliche Laute umwerteten, gab Rico die Antwort.

»Seit siebenunddreißig Stunden, vierzehn Minuten und sechs Sekunden, Gebieter.«

»Ich verstehe!«, keuchte ich. Der Robot hielt mich fest und verhinderte, dass mich die Schwäche wieder übermannte. Ich hatte siebenunddreißig Stunden gebraucht, bis ich aus dem todesähnlichen Biotiefschlaf aufgeweckt werden konnte. Ich schloss und öffnete angestrengt die Augen. Die Uhr verblich auf dem Schirm, die Bildtonspule war ausgelaufen. Ich brauchte, um nicht in der Stille wahnsinnig zu werden, nach Einsetzen des Verstandes Bilder, Töne und Worte. Sie mussten unmittelbar vor dem Einschlafen aufgenommen worden sein – weite Gedankensprünge konnten für den Verstand tödlich wirken. Arkonidische Supertechnik kannte wenige Kompromisse.

»Die Aktivierungsdusche, Gebieter!«, sagte Rico halblaut und monoton.

»Anfahren!«, sagte ich leise. Rechts neben dem Lager wartete die vom Zentralrechner gesteuerte Aktivierungsdusche. Biochemische Reizstoffe wurden in meinen Körper eingespritzt, variable Strahlung durchdrang Knochen, Fleisch, Muskeln und sämtliche Organe. Mein Kopf wurde von einem Schwingungsgenerator bedeckt, der Verstand und Gedächtnis anregte. Eine Stunde lang nach den ermittelten Zeitwerten des dritten Planeten blieb ich liegen und spürte, wie das Leben in meinen Körper zurücksickerte. Es erschien mir trotz meiner Kenntnisse wie ein Wunder.

Eine andere Maschine rollte heran. Die neunarmige Massagemaschine griff mit ihren Knetarmen zu und berührte jeden Quadratzentimeter meines Körpers, regte den Kreislauf an, ließ an den behandelten Stellen wohltuende Wärme zurück. Minuten vergingen, und nach vier Stunden machte ich den Versuch, mich vom Lager aufzusetzen. Rico stand wartend neben mir. Beim geringsten Zögern würden seine stählernen Hände zupacken. Ich konnte schon stehen. Mein Nacken schmerzte, als ich mich im kleinen Saal umsah, der vollgestopft mit Technik glitzerte. Ich war splitternackt und versuchte zu gehen. Es gelang mit Ricos Hilfe. Zwei Minuten später standen wir im warmen Saal voller Terminals und Bildschirme.

Rico schaltete die Farborgel ein. Die Wände wurden von wohltuend ruhigen Farbmustern überflutet; sie bewegten sich in Wellen, krochen durcheinander, flochten sich zu Strukturen zusammen und trennten sich. Einfache Kadenzen alter arkonidischer Kompositionen kamen aus eingebauten Lautsprechern. Ich fiel in den Vibratorsessel, der mich vom Kopf bis zu den Fußsohlen einschloss und zu summen begann. Was die Massagearme angefangen hatten, wurde hier auf wesentlich wohltuendere Weise fortgesetzt.

»Warum hast du mich geweckt?«, fragte ich den Robot, der mit einem Sortiment von Bechern kam, in denen sich flüssige Nährstoffe befanden. Ich würde mindestens zweihundert Stunden brauchen, bis ich daran denken konnte, die Kuppel zu verlassen.

»Später, Gebieter Atlan«, erwiderte die Maschine. Ich verhielt mich passiv und erlebte die mühevolle Arbeit, die sich ein System verwirrender Technik mit mir machte. Systematisch wurde jede Einzelheit berücksichtigt, die ein Arkonide brauchte, um aus der Todesstarre eines Biotiefschlafes aufzuwachen. Der warme Zellaktivator schaukelte auf meiner Brust.

»Wie sieht es auf dem Planeten aus, Rico?«, fragte ich, als die Massagemaschine ihre Tätigkeit auf den Brustkorb ausdehnte und mein Gesicht freigab.

»Nicht wesentlich anders als vor hundertzwölf Jahren.«

Ich konnte von der Maschine weder eine geistreiche noch eine manipulierte Antwort erwarten; der Robot gehorchte positronischen Befehlen, die wiederum die Ergebnisse positronischer Rechenvorgänge waren. Man sollte das ändern. Meine Stimmbänder funktionierten zufriedenstellend.

»Wo sind meine Kleider?«, sagte ich scharf.

»Welche wünschst du, Gebieter?«

»Irgendwelche«, erwiderte ich. Es war gleichgültig, was ich auf dem Meeresgrund trug.

»Noch keine Kleider, Gebieter. Jetzt beginnen die Stärkungsperioden und die Wartungskontrollen. Ich führe dich zum Sessel vor den Kontrollen, Gebieter.«

Ich resignierte, und außerdem fühlte ich mich wirklich noch zu schwach, um eine sinnvolle Tätigkeit zu beginnen. Rico stützte mich, als ich versuchte, zum hochlehnigen Drehsessel zu wanken. Er befand sich im Mittelpunkt der Zentralschaltungen der Kuppel. Nachdenklich ging ich die Kontrollen durch. Die Bildschirme zeigten die einzelnen Bereiche meiner Kuppel. Sie bestand aus Arkonstahl und konnte praktisch nicht zerstört werden. Die drei Reaktoren der Energiestation waren teilweise abgeschaltet; nur Anlage Eins lief mit rund einem Fünftel Maximalwert.

Vor der Südschleuse der Kuppel befanden sich Schlickablagerungen. Ich schaltete den Reaktor auf volle Leistung und hörte das Brummen der Maschinen. Ich warf hintereinander fünf Robotsonden aus, registrierte einen Energieausbruch und wusste binnen kurzer Zeit, was mich geweckt hatte: Ein Schiff war innerhalb des Systems in das dreidimensionale Raum-Zeit-Gefüge eingebrochen.

Ich konnte nichts anderes tun als warten, bis ich wieder bei Kräften war. Ich ließ die höchst lückenhafte Karte der Oberfläche auf einen Schirm projizieren und studierte sie lange. Dann begann ich nachzudenken. Ich hatte hunderte Stunden Zeit. Auf die halbverkleideten Metallschultern Ricos gestützt, verließ ich den Kontrollsektor. Willenlos ließ ich die Maßnahmen über mich ergehen, die dafür sorgten, dass ich nach Ablauf der Frist wieder voll reagieren und handeln konnte. Und ich musste handeln!

Es könnte ein Schiff von Arkon sein, das dich sucht – dich oderandere Überlebende der atlantischen Katastrophe, sagte mein Extrasinn.

Ich saß in einem schweren Sessel vor den riesigen holografischen Schirmen und konzentrierte mich auf die Bilder. Auf dem zentralen Bildschirm leuchtete die Karte der Oberfläche; die anderen Schirme übertrugen Bilder, die von den Robotsonden aufgenommen wurden. Ich konnte nach Belieben mit der Anlage schalten, auswählen, vergrößern und Bilder wiederholen lassen. Die nächsten Stunden vergingen damit, dass ich versuchte, mir ein schlüssiges Bild von den Zuständen zu machen. Vom Schiff sah ich nichts.

Je mehr ich nachdachte, desto mehr kam lautlose Panik über mich. Die Gedanken spannen mich ein in ein Netz unzerreißbarer Fäden, aus denen ich nicht entkommen konnte. Was war geschehen? Warum war ich hier? Welcher Ausweg bot sich an?

Verlassenheit war alles, was ich fühlte. Ekel vor den eigenen Gedanken angefüllt mit absoluter Hoffnungslosigkeit. Ich, Atlan, aus dem Geschlecht der Gonozal, war das einsamste Wesen der Galaxis; verdammt, in der Druckkuppel in einem Ozean des Planeten zu warten. Auf den Zufall, ein Schiff oder auf ein Ende, das durch Bioschlaf in die Ewigkeit hinein verlängert werden konnte. Mich schauderte vor der Technik der Kuppel, vor der Verlassenheit und davor was ich »draußen« sehen würde. Mich schauderte vor dem bloßen Gedanken daran was folgte: Krampfhafte Versuche, Kontakt mit dem Schiff zu bekommen, festzustellen, dass es von Angehörigen einer Rasse gesteuert wurde, die mit Arkon im Kampf lag und mich über den Planeten hetzen konnte.

Ich, Arkonide Atlan, Angehöriger einer hochentwickelten Rasse, Erbe einer berühmten Generation, war erzogen worden, meine Gefühle nicht zu zeigen, aber jetzt hockte ich als Bündel tobender Nerven und geschüttelt von unkontrollierten Emotionen im Sessel und versuchte klar zu denken. Ich hatte Angst: vor der Primitivität meiner mittelbaren Umgebung, vor Hoffnungen und Enttäuschungen – und, das Schlimmste, vor der bodenlosen Eintönigkeit der Zeit, die ich nutzlos verwarten würde. Ich war ein lebender Leichnam. Einsam wie der Mond dieses Planeten.

Zwei Dinge sah ich während der schrecklichen zweihundert Stunden: Ein diskusförmiges Schiff und eine Eingeborenen-Siedlung die, verglichen mit der Unkultur der Barbaren, überraschend klar gegliedert und von emsigen Menschen bewohnt war. Stunden vergingen: Bizarre Zeit zwischen Verzweiflung, Hoffnung, körperlicher Erholung und seelischem Niedergang. Dann war ich stark genug, um handeln zu können. Ich richtete mich auf und sah mich um. Vor dreißig Minuten war ich auf dem charakteristischen Berggipfel gelandet. Meine Ausrüstung wog nicht viel, aber sie würde für sämtliche Zwecke ausreichen. Ich trug die Kombination mit dem Pulsatortriebwerk auf dem Rücken und die entsprechenden Aggregate. Mit der Unterwasserkuppel stand ich in Bildfunkverbindung. Hoch über mir, unsichtbar für meine Augen, kreiste das fremde Schiff. Ich konnte nicht ahnen, was die Besatzung wollte – aber ich kannte die Form.

Ich war in der Richtung des Sonnenaufganges geflogen. Als sich die Bergkette näherte, die von Westnordwest nach Ostsüdost den fast viereckigen Halbkontinent abschnitt, war ich den Bergen gefolgt. Jetzt befand ich mich auf einem Gipfel, von dem ich in der Ferne den Spiegel des Binnenmeeres sehen konnte. Die Sonne stach fast senkrecht herunter. Nicht eine einzige Wolke war zu sehen, scharfer Wind blies mir ins Gesicht.

Ich orientierte mich nach dem Erinnerungsbild meines photographischen Gedächtnisses: Ich musste jetzt das nördliche Ufer des gigantischen Sees abfliegen, bis ich über dem Mündungsdelta des Flusses stand. Er hatte sich in nordsüdlicher Richtung eingegraben, besaß eine Anzahl von gewundenen Zuflüssen und ergoss sich ins Binnenmeer.

Unter meinen Füßen lösten sich einige Steine; sie rollten, überschlugen sich und rissen andere mit sich. Schließlich polterte eine Lawine nach unten. Was wollte ich hier?

Ich suchte … Es war ein ganzer Katalog dessen, was ich anführen konnte: Ich suchte vor allem die Möglichkeit, Arkon wiederzusehen. Auf welche Art, war unklar. Ich würde versuchen, das Schiff herunterzulocken und es zu erbeuten. Das war möglich, aber unwahrscheinlich. Mein Verstand sagte mir, dass ein einzelner Mann, auch wenn er arkonidische Supertechnik virtuos anwenden konnte, gegen eine Schiffsbesatzung fast machtlos war. Was suchte ich noch? Leben! Menschen, mit denen ich mich unterhalten konnte, in der Sprache der atlantischen Kolonisten oder der Primitiven, die wir angelernt hatten. Kristallprinz Atlan gegen einen Planeten, gegen primitive Höhlenwilde und gegen noch unbekannte Fremde. Ich lachte fast hysterisch auf.

»Weiter!«, sagte ich laut. Der Wind riss mir die Worte von den Lippen. Der Abwehrschirm stabilisierte sich. Ich war unangreifbar, aber nichtenergetische oder nichtmagnetische Dinge konnten mich töten. Der Pfeil des Höhlenwilden zum Beispiel. Der Antigravprojektor hob mich langsam von den zerklüfteten Felsplatten. Das Triebwerk jaulte auf und riss mich schräg nach vorn. Ich bewegte den Hebel auf der Brust, steuerte die Fluglage aus und jagte davon. Der Schutzschirm war eingestellt, um nur etwas von dem Fahrtwind durchzulassen. Ich raste wie ein Staubkorn über die wilde Natur dieser Landschaft hinweg. Zuerst nach Norden, entlang der Küste.

Zahllose kleine und winzige Buchten, gefüllt mit klarem, blauem Wasser. An den Felsen kletterten Gewächse hoch; durch das Wasser sah ich feinen weißen Sand. Eine atemberaubende und menschenleere Wildnis. Bergrücken, auf denen Wälder sich ausbreiteten, tauchten auf. Ich durchschnitt die Luft und fegte in dreihundert Metern Höhe über Nadelwälder hinweg. Die Luft, die in mein Gesicht schlug, war angenehm kühl.

Eine Herde Wildpferde, stämmige, braune Tiere mit langen Mähnen, bewegte sich unter mir von Süden nach Norden. Weit voraus brannte Feuer; der Rauch trieb schräg ab. Ich lenkte in eine weite Kurve, ging tiefer und heulte in dreißig Metern Höhe über die Lagerfeuer eines Zuges steinzeitlicher Jäger hinweg. Einen Augenblick lang zögerte ich. Der Geruch gebratenen Fleisches fesselte mich mehr, als ich es wahrhaben wollte. Ich raste weiter. Ich wollte den Talkessel sehen.

Ich jagte dicht über das ausgedehnte Delta hinweg nach Norden. Es war eine Szene, die ich noch aus der Kolonisationsarbeit vor einem guten Jahrhundert in der Erinnerung fand. Dieser Planet war schön in seiner natürlichen Wildheit, voller Flussläufe, zwischen denen sich Wälder erhoben, mit Lichtungen voller Flussgräser. Zwischen den Grenzen des Deltas waren Seen entstanden, lagen wie riesige Glasscheiben, hin und wieder getrübt durch schleierförmige Formen des Windes. Lange genug hatte meine Robotsonde hier geschwebt und Bilder aus dem Talkessel übertragen. Bäche huschten unter mir hinweg, runde Aufschiebungen aus Moränenschutt, längst von Wäldern überwuchert, zeigten die Südgrenze der Gletscher an. Die Eiszeit war vorbei, hier wucherte der Dschungel wieder nach Norden.

Ich kam dem Talkessel näher, drosselte die Leistung meines Triebwerks und flog langsamer. Der Fluss wurde tiefer und weniger breit, aber der Streifen aus Sand, Kies, Geröll und ausgebleichtem Holz entlang der Ufer leuchtete blendend unter der Sonne des frühen Nachmittags. Von rechts und links schoben sich Berge heran und endeten flach in Ufernähe. Jetzt musste rechts ein Nebenfluss einmünden. Zweihundert Meter, vierhundert, eintausend.

Ich wandte mich nach links. Der Fluss hatte sich ein Bett gegraben, das wie ein Tor, dessen oberer Bogen eingestürzt war, aus den Abrissen des Basaltgesteins herausgenagt war. Die Intensität des Sonnenlichts nahm ab; Stein, dunkle Nadelwälder und dunkelgrüne Laubbäume brachen die Strahlen. Die Ruhe war elementar – selten hörte ich die Laute kleiner Tiere. Eidechsen, die wie edelsteinbesetzte Schlangen aussahen, flohen vor meinem Schatten.

Die Luft wurde kühler. Ein eigenartiges Hochgefühl durchfuhr mich. Ich fühlte mich ausgeglichen und frei von Zweifeln. Ich analysierte diesen Stimmungsumschwung und fand, dass die Aussicht, auf intelligentes Leben zu stoßen, mich glücklich zu machen schien. Dennoch blieb ein großer Rest Skepsis. Ich schraubte mich in einer weiten Spirale bis zum Rand des Kessels, der von blanken Felsen gebildet wurde: Etwa zwanzigtausend Schritte im Durchmesser, auf allen Seiten abgegrenzt durch die Berge, teilweise durch schräge Halden erreichbar, an zwei Stellen durchbrochen durch den Fluss. Der Boden war unregelmäßig: Wälder, ein Hochmoor, Moränenhügel, einige interessante Sandfelder und ein See, einige Quellen, die sich über Abhänge stürzten und unten als dünne Nebel auftrafen. Das schien das Jagdgebiet der steinzeitlichen Wesen zu sein. Sie hatten ihre Hütten mir gegenüber, auf einem Kegel aus bizarren Steinbrocken, im nordöstlichen Teil des Kessels. Zurück zum Fluss.

Ich schoss abwärts, beschleunigte und flog auf den jenseitigen Rand des Kessels zu. Kurz vor dem ersten Durchbruch des Flusses bog ich ab, blieb dicht an den Wänden, die mit schrägwachsenden Bäumen bestanden waren. Mein Schatten huschte über die Felswände. Das Summen des Pulsationstriebwerks wurde als dumpfes Echo zurückgeworfen. Über mir kreisten große Vögel mit sichelförmigen Schwingen.

Ich ging, als ich nahe genug heran war, tiefer. Von Norden her schwebte ich an die Siedlung heran, zwischen den Bäumen und in geringer Höhe. Ich rechnete nicht damit, von einem Jäger entdeckt zu werden. Meine Robotsonde, die zwischen den Felsen verborgen war, hatte Bilder gesendet; etwa fünfhundert Individuen. Einige ihrer Sätze hatte ich verstehen können, so blieb mir der Verdacht, dass sich vielleicht durch ein Jahrhundert hinweg irgendwelches Wissen gerettet hatte, das wir den Primitiven beigebracht hatten.

Der Antigravprojektor wurde heruntergeschaltet. Ich senkte mich wie ein Blatt, leicht und lautlos, zwischen sonnendurchglühte Felsen auf ein Moospolster. Unter mir lag die Siedlung.

Ich sah zunächst die Hütten. Sie waren auf engem Raum zusammengedrängt und kauerten sich an die Felsen, die wie Trümmer eines Berges lagen und standen. Kreisrunder Grundriss, mit Lehm und Moos verfugte Felsbrocken, in denen runde Stämme steckten. Sie waren im First zusammengefasst, so dass die Behausungen aussahen wie annähernd halbkugelige Kuppeln. Die Stämme waren mit Flechtwerk aus Ästen und Riedgras versehen und schienen sehr dicht zu sein. Die Feuerstellen waren in der Mitte der Räume, denn aus den Spitzen der Kuppeln drang blaugrauer Rauch.

Endlich hörte ich wieder Laute menschlicher Kehlen, auch wenn ich nur Teile der Rufe, Unterhaltungen, der Scherze und des Geschreis von Kindern verstand. Barbaren! Ich musterte durch die vergrößernden Linsen die Menschen. Sie waren fast alle groß und muskulös; rund hundertachtzig Zentimeter. Die Männer trugen sorgfältig gearbeitete Fellschurze, durch breite Gürtel gehalten. Ebenfalls aus Fell, teilweise mit der ledrigen Seite nach außen, waren unförmige, mit kreuzweisen Nähten zusammengeheftete Stiefel. Ihre Waffen waren mächtige Bögen aus unbekanntem weißem Holz mit langen Pfeilen. Dazu Speere mit Steinspitzen, durch Sehnenfasern gehalten, und Steinmesser sowie Steinäxte. Soweit ich es erkennen konnte, waren die Menschen hellhäutig, braunäugig und braunhaarig. Einige – ich hatte es nicht glauben wollen – Sie hatten langes, fast weißblondes Haar, wie es nur Arkoniden vererbt haben konnten. Ich wusste nicht, welcher Überlebende von Atlantis sich hierher gerettet hatte. Unsinn, sagte mein Extrahirn. Mehr als elf Jahrzehnte. Das sind bei der geringen Lebenserwartung der postglazialen Menschen drei, vier Generationen. Wenn ein Arkonide sich gerettet hat, so siehst du lediglich den Beweis dafür. Hoffe nicht, einen Arkoniden zu finden.

Ich holte tief Atem und starrte schweigend auf das Bild. Es schien eine strenge Rangordnung zu geben. Die meisten Männer waren Jäger. Greise hüteten das Feuer, stellten Waffen her und saßen schlafend in der Sonne, in windgeschützten Ecken. Die Frauen waren fruchtbar wie Tiere, es wimmelte von Kindern aller Altersstufen. Die Mädchen waren, obwohl vom arkonidischen Schönheitsideal lichtjahreweit entfernt, kräftig und von natürlicher Anmut.

Ich aktivierte mein Mikrophon und sagte leise:

»Rico?«

Die Antennen auf der Spitze der Insel, draußen im Ozean, fingen den Impuls auf und leiteten ihn an den Robot weiter.

»Ja, Gebieter?« Ich hörte die Worte im winzigen Einsatz meiner Ohrmuschel.

»Ich werde eine Serie Sprach-Impulse auffangen. Die Positronik soll versuchen, die Sprache zu analysieren. Ich vermute, sie kommt mit einem Kode von fünfhundert Grundbegriffen aus. Zieh die Unterlagen zu Rate, die von der Kolonisationsarbeit übrig sind. Ich erwarte ausgezeichnete Ergebnisse.«

»Selbstverständlich, Gebieter«, antwortete Rico. Im Gegensatz zu streifenden Jägern und Sammlern schien sich ein schüchterner Beginn der Sesshaftenkultur anzubahnen. Ich sah, während das Mikrophon einen Strom Informationen aufnahm, dass die Nacheiszeit-Menschen Beerensträucher gepflanzt hatten, dass sie Felle gerbten, Knochen bearbeiteten und mit Abschlägen von Steinen Holzarbeiten herstellten. Tongefäße konnte ich nicht entdecken. Langsam reifte in mir eine kühne Idee.

Um das Schiff, zweifelsfrei kein arkonidisches Schiff, entern zu können, brauchte ich Helfer. Die jungen Männer konnten mir helfen. Dafür würde ich ihnen Techniken zeigen, mit deren Hilfe sie besser leben und schneller jagen konnten.

Ich wusste, zu welch körperlichen Spitzenleistungen die Barbaren fähig waren. Sie würden mir helfen, in die Heimat zurückzukehren. Wenn ich sie erreichte, würde ich zurückkommen und ein zweites Atlantis aufbauen. Die Druuf würden mich nicht daran hindern können. Mein Plan stand in Umrissen fest.

Ich überlegte: Kam ich so, wie ich mich ausgerüstet hatte, zu den Barbaren, würden sie mich als Gott verehren. Mit einem göttlichen Wesen zusammen greift man keine Schiffe an. Oder andere, mächtigere Götter, gegen die ein einzelner im Nachteil war. Ich musste zu ihnen kommen als klügerer, schnellerer und kräftigerer Jäger.

Dreißig Minuten lang arbeitete der Sender, dann schaltete ich ab. Ich hatte genug gesehen, die Positronik hatte alles gespeichert. Jetzt konnte ich die Informationen verarbeiten.

Wie sollte ich das Schiff aus dem Orbit locken?

Ich konnte nicht geortet werden; es wäre der Versuch gewesen, ein Sandkorn am Strand zu finden. Aber es war möglich, durch intensive Suche mit Instrumenten ein radioaktives Sandkorn zu finden: Eine kleine Bombe in tausend Kilometern Entfernung auf einem Steinzeitplaneten! Ich begann zu lachen und schaltete den Antigravprojektor ein. Ich startete und war drei Stunden später in meiner Kuppel. Sie war mit Maschinen vollgepfropft wie ein Lagerhaus, dessen Wände sich bogen. Ich fieberte dem Zeitpunkt entgegen, an dem ich in das Lager der steinzeitlichen Jäger einziehen würde. Mein Plan war perfekt ausgerechnet; der Logiksektor prognostizierte einen sehr hohen Prozentsatz an Wahrscheinlichkeit.

»Spiegel!«, sagte ich kurz. Rico aktivierte eine zwei Quadratmeter große Glasplatte. Ich konnte mich betrachten; jede Einzelheit meiner Kleidung war wichtig und konnte über Leben und Tod entscheiden und über die Rückkehr nach Arkon. Ich erkannte mich kaum wieder. Ich trug wadenhohe Stiefel aus graubraunem Kunstleder mit kreuzförmigen Nähten, die aussahen, als wären sie mit Knochennadel und Sehnen zusammengeheftet. Selbstverständlich waren sie wasserdicht und unverwüstlich. Eine enggeschnittene Hose mit tiefen Taschen auf den Oberschenkeln hielt ein breiter Gürtel, den eine Bronzeschnalle zusammenfasste. In den Säumen der Hose, geheimen Fächern der Taschen und im Material des Gürtels waren winzige Geräte und unzerreißbare Leitungen untergebracht. Ein Hemd aus wildlederähnlichem Material war an den Armen und am Hals durch geflochtene Schnüre gehalten. Bis zum Hals sah ich wie ein fremdartiger Steinzeitjäger aus. Dieser Gegensatz war wichtig; ich musste als der überlegene Jäger auftreten. In diesem Aufzug fiel es mir nicht schwer.

»Gebieter, die Robots sind betriebsklar. Sollen sie aktiviert werden?«

Rico stand neben mir und sah regungslos auf mein Spiegelbild. Dieser Anzug war nur ein Teil meines Versuches, das Schiff zu entern oder zumindest zum Landen zu zwingen.

»Nein. Warte noch.« Für die Roboter, die Rico mit Hilfe der Maschinen und der Einrichtung des Kuppelbauwerks hergestellt hatte, hatte ich mir etwas Besonderes ausgedacht. Die Idee war mir in den Kopf geschossen, als ich die Wolfsschädel am größten Wohnbau gesehen hatte.

»Ja, Gebieter.«

Ich nahm den Zellaktivator, der in einem Ledersäckchen mit einfachem Strichmuster steckte und schob ihn hinter die durchlöcherte Frontseite des Hemdes. Er hing an einer unzerreißbaren Stahlkette. Dann vergewisserte ich mich, ob die winzigen Instrumente, Nachrichtengeräte und Fernsteuerungen unsichtbar eingenäht waren. Mit Rico zusammen hatte ich sie getestet. Schließlich zog ich die Jacke an. Auch sie bestand aus täuschend nachgeahmtem Fell, mit der Lederseite nach außen. Ich konnte eine Kapuze hochklappen und mit Hilfe von Kunststoffknöpfen, die klangen wie knöcherne Scheiben, die dreiviertellange Jacke schließen. Der Kombinationsenergiestrahler war auseinandergenommen in Innentaschen versteckt. Einige zusätzliche Einrichtungen konnten mir in entscheidenden Situationen helfen. Ich konnte die einfache Sprache der Steinzeitmenschen sprechen. Die Lerntechnik nannte sich Hypnoschulung.

»Wo sind die Waffen, Rico?«

»Hier, Gebieter!« Er reichte mir einen Fellköcher, der vierzig Pfeile enthielt. Sie unterschieden sich nicht von den Pfeilen, die »meine« Jäger verschossen, waren aber aus anderen Materialien. Ebenso der schwere Bogen und die Speere, ebenso das Messer links im Gürtel. Zwei Wurfmesser aus dünnem Arkonstahl steckten in den Stiefelschäften. »Du bist ausgerüstet wie ein Kampfroboter, Gebieter!«, sagte Rico. »Soll ich die Robots aktivieren?«

»Bringe sie herein, Rico.«

Ich legte die Waffen zu den übrigen Ausrüstungsgegenständen, Energietornister, Mikropulsator-Triebwerk und einige Rollen mit Draht und Kunststoffseilen. Dann setzte Rico die beiden Robots ab. Sie konnten alles, was die Tiere, die für die schwarzen Robots Modell gestanden hatten, tun konnten. Rennen, angreifen, kämpfen und töten. Ich hatte darauf verzichtet, sie mit Lautsprechern und Schallerzeugungsaggregaten auszurüsten. Die Linsen, die anstelle von Augen rötlich funkelten, übertrugen auf Befehl die Bilder auf einen winzigen Schirm an meinem Körper. Sie waren mit Hilfe einer Fernsteuerung zu lenken, gehorchten aber auch auf einen Kodesatz von fünfzig Befehlen, den ich hatte einprogrammieren lassen.

»Du bleibst hier und wartest auf Befehle, Rico!«

Er desaktivierte den Spiegel und erwiderte:

»Selbstverständlich, Gebieter.«

Er war mit dieser unterwürfigen Anrede programmiert worden; ich konnte nicht einsehen, aus welchen Gründen. Es war unwichtig, in welcher Form er mich ansprach.

»Ich werde irgendwann Hilfe brauchen. Du weißt, was in diesem Fall zu tun ist?«

»Ja, Gebieter.«

»Gut. Ich nehme die kleine Antigravplattform und werde versuchen, meinen Plan durchzuführen. Wenn alles glückt, bin ich bald auf Arkon. Wenn nicht, bleibt mir die Kuppel als Zuflucht.«

Ich sah auf die Uhr und rechnete nach. Wo ich zum ersten Mal landen wollte, war es Nacht. Ich konnte ungesehen meinen Plan anlaufen lassen. Sorgfältig befestigte ich die Robots und die anderen Gegenstände auf der Plattform, schnallte den Energietornister um und testete die Geräte.

»Ich verlasse dich jetzt, Rico«, sagte ich fast bedauernd. Er war das einzige Geschöpf, das mich an Arkon erinnerte.

»Wirst du an mich denken, Gebieter, wenn du nach Arkon fliegst?«, sagte Rico. Ich richtete mich auf und erstarrte. Ich wusste nicht, welche Programmierung an dieser Frage schuld war.

»Warum?«, erkundigte ich mich misstrauisch.

»Mein Speicherinhalt würde eine wertvolle Bereicherung erfahren, wenn ich Arkon wiedersehen könnte.«

Ich lachte erstaunt. Ein Robot mit dem positronischen Äquivalent von Heimweh! Er ahnte in seiner maschinenhaften Naivität nicht, wie sehr ein lebendes Wesen davon abhängig war!

»Ich nehme dich mit«, versprach ich halblaut. »Wenn mein Plan Erfolg hat.«

»Danke, Gebieter Atlan.«

Ich betrat die Schleuse und schleuste mich aus. Der Energieschirm hielt Wasser und Druck zurück, die Antigravscheibe schwebte innerhalb des kugelförmigen Schutzfeldes. Ich brauchte mich nur zu orientieren und loszufliegen. Ich flog fünf Stunden lang durch die Nacht und gelangte, mein früheres Ziel weit hinter mir lassend, auf eine Geländeformation, die in der angedeuteten Form eines menschlichen Fußes von Nordwest nach Südost ins Binnenmeer hineinragte. Auf der Insel, die dem spitzen Ende vorgelagert war, deponierte ich die kleine Bombe und aktivierte sie. Als die Sonne aufging, begann ich zu arbeiten.

2.

Der Historiker Aescunnar, der jedem Wort des Arkoniden aufmerksam, nahezu fasziniert gelauscht hatte, lehnte sich zurück und lockerte seine verkrampften Muskeln. Er blickte auf die Monitoren, bis die Augen wieder zu schmerzen anfingen; fast erleichtert sah er das Rufsignal des Interkom. Er drückte die Antworttaste und blickte ins Gesicht Scarron Eymundsons, der Freundin Atlans, die ebenso wie Atlan und er selbst jene planetare Zerstörung überlebt hatte: die Disharmonien des Pyrarchos, des Feuerherrschers, und die Planetenbeben, von den sterbenden Multicyborgs als Zuckungen des Purpurnen Drachen gedeutet, hatten Karthago II zerstört.

»Ich habe jedes Wort gehört, Cyr«, sagte Scarron leise. »Ghoum-Ardebil hat versucht, mich zu trösten. Weißt du mehr darüber, wie es Atlan geht?«

»Nicht ein bisschen mehr als der alte Ara«, sagte Cyr. »Ich zittre ebenso wie alle anderen. Wir hoffen, dass der Zellaktivator die medizinischen Maßnahmen ergänzt und unterstützt.«

»Weißt du, wovon Atlan spricht?« Scarrons Gesicht war leichenfahl, die Augen vor Sorge und Müdigkeit gerötet. Cyr nickte und bedeutete ihr zu warten. Aus einem Regal suchte er einen Speicherchip in auffallender Verpackung heraus und setzte ihn ins Abspielgerät.

»Die Kopie eines alten Papier-Buches aus dem Jahr Zweitausendvierhundertzwanzig. In Terrania City gedruckt«, sagte er. »Ich überspiel den Text in deinen Interkomspeicher. Vielleicht weißt du, dass etwa ein Dutzend von Atlans Erlebnissen schon bekannt sind. Ich kenn’ sie halb auswendig.«

»Verständlich. Sie gehören ja zu den Quellen deiner Annalen der Menschheit. Danke, Cyr. Du bleibst in deiner Studierbude, vor den Monitoren?«

»Nötigenfalls bis Atlan außer Gefahr ist.« Er lächelte bestätigend. »Ruf mich einfach an, wenn du vom Medo-Center keine zufriedenstellende Antwort bekommst.«

»Danke, Cyr. Redet Atlan wieder?«

»Im Augenblick nicht. Ich glaube, sein Verstand ist erschöpft und sammelt neue Energien.«

Scarron trennte die Verbindung. Cyr Aescunnar projizierte die Seiten des Buches auf einen Schirm und begann zu lesen, wieder einmal den bekannten Text in der gedruckten Wiedergabe auf vergilbten Zelluloseflächen. »Ich war allein, aber nicht einsam. Bis heute, zum Jahr 2420 nach Christi Geburt, war ich niemals wieder so einsam gewesen wie in jenen kalten, dunklen Jahren«, hatte Atlan damals in seinem Bungalow am Goshunsee berichtet. Frühsommer in Terrania City: Atlan verließ, von unbegreiflicher Unruhe getrieben, sein Haus, das mit Erinnerungen an sein kaltes Exil gefüllt war.

Eine junge Frau, Doktorandin der Archäologie, hatte nach kurzer, erfolgreicher Grabung einen unglaublichen Fund aus der Morgendämmerung der terranischen Geschichte ans Tageslicht gehoben: in einem Seitental der Rhône fand sie einen Wolfskiefer aus Arkonstahl mit Zähnen aus Plastan, zusammen mit einer Schmuckkette aus Halbedelsteinperlen, die eindeutig mit einem Energiestrahler durchbohrt waren, den Knochen eines Höhlenbären und dem Skelett einer Chromagnonfrau. Ayala D’Antonelli, die Archäologin, ähnelte der Frau der Endsteinzeit. Ihr Aussehen und ihre Hartnäckigkeit hatten Atlan in eine Déjà-vu-Situation hineingetrieben. Cyr Aescunnar wusste aus dieser Reihe von beglaubigten Dokumentationen, dass der Arkonide in diesem Fall hilflos war und zu erzählen begann, bis er sich von den aufgestauten Erinnerungen befreit hatte.

Er lud Ayala D’Antonelli in seinen Bungalow ein, zeigte ihr einige Artefakte seines privaten Erinnerungs-Museums und erstellte in hastigen Worten, die drängender wurden und schließlich dem Sprachrhythmus seiner gegenwärtigen Erzählungen glichen, eine Bandaufnahme, als Beweis für die Richtigkeit ihrer These.

Aescunnar überblätterte auf elektronische Weise Seite um Seite und stieß auf seine eigenen Notizen:

Ermittelte Jahreszahl in terranischer Terminologie: 7888/7887 v.Chr. (Oberflächenaufenthalt 0,6 bis 1 Jahr)

In der Skala NUvA (= »Nach Untergang von Atlantis«) die Jahre 112 und 113.

Atlan programmiert seinen Roboter und die Hauptpositronik des Schutzzylinders darauf, ihn in Abständen von fünfhundert (Terra-) Jahren zu wecken; diese Anweisung wird durch wichtige Beobachtungen (Annäherung von Raumschiffen bzw. Anmessen von Strukturschockwellen, Katastrophen, Angriffen auf Atlans Leben usw.) außer Funktion gesetzt.

3.

Ich hatte ihre Namen programmieren lassen; alte arkonidische Begriffe. Einer von ihnen hörte auf »Truc«, der andere auf »Asser«. Jetzt aktivierte ich die Robots. Sie begannen sich zu bewegen, schüttelten sich und rissen die Köpfe hoch. Dann begannen die Ohren zu kreisen, die Augen leuchteten, die Fangzähne blitzten in den ersten Sonnenstrahlen. Ich hatte ihnen das Aussehen von Wölfen gegeben. Das nahezu unzerreißbare Fell war tiefschwarz, fast blauschimmernd, in den Schultern erreichten die Wölfe eine Höhe von hundertfünfzehn Zentimetern. Jeder von ihnen wog zwei arkonidische Zentner.

»Truc!«, sagte ich scharf. Er sprang auf die Füße, riss den Rachen auf und stürzte auf mich los. Zentimeter vor meinen Knien stoppte er auf der Stelle, mit robotischer Präzision, und starrte mich aus roten Augen an. Die spitzen Ohren drehten sich in meine Richtung.

»Dieser Baum. Renn hin, so schnell du kannst, kehr um und bleib hier stehen, Truc.«

Der Wolf warf sich herum, stob davon und raste zu dem dreihundert Schritte entfernten Baum, übersprang umgestürzte Baumstämme, durchbrach eine Hecke mit der Geschwindigkeit und der Brisanz eines Geschosses, hetzte über eine Grasfläche und stöberte zahlreiche kleine Tiere auf. Er umrundete den Baum; ich konnte erkennen, dass sich der schwarze Wolf fast in einen Fünfundvierzig-Grad-Winkel zum Boden legte, wieder beschleunigte und auf demselben Weg zurückkam. Irgendwie vermisste ich den Geruch nach Raubtier und das Hecheln des Wolfes.

»Ausgezeichnet«, sagte ich zufrieden. »Asser!«

Asser bewies, indem er einen anderen Auftrag durchführte, dass er eine Konstruktion mit gleichen Vorzügen war.

»Ihr folgt mir, komme was wolle«, sagte ich und erhob mich drei Meter über den Boden. Dann schwebte ich in die Richtung, in der ich die riesige Herde gesehen hatte. Eine der letzten, die hier lebten; die meisten Tiere dieser Art zogen sich in den Nordosten des riesigen Zentralkontinents zurück.

Leise liefen die Wölfe hinter meinem Schatten her, der langgezogen über die Büsche kletterte, durch Rinnsale huschte und sich in Baumgruppen verlor. Zwanzig Minuten schwebte ich geradeaus, dann sah ich die grasenden Tiere. Es waren mehr als tausend Stück. Ich ging höher und schaltete das Triebwerk auf geringste Leistung.

»Ihr wartet, Truc und Asser.«

Die künstlichen Wölfe blieben auf der Stelle stehen. Ich umkreiste die Herde der Wildpferde. Sie ließen sich durch meinen Schatten kaum stören und weideten weiter. Der Geruch nach Tier schlug in meine Nase, aber ich wusste, dass ich mich an schlimmere Gerüche gewöhnen musste.

Ich suchte die stärksten Hengste aus. Ich hatte nicht vor, den Weg zu den Jägern zu Fuß zurückzulegen, und meine Geräte wollte ich nicht anwenden, höchstens im Notfall. Die ungepflegten Wildpferde mussten eingebrochen werden; vor mehr als einem Jahrhundert hatten dies einige meiner Kolonisten versucht. Ich schwebte über die Herde, hielt das Mikrophon der Fernsteuerung an die Lippen und sagte: »Truc – Asser!« Dann wartete ich eine Sekunde. »Zu mir her!«

Ich blieb über den beiden Tieren stehen, die jetzt die Schädel hochwarfen und wieherten. Mit riesigen Sprüngen kamen die tiefschwarzen Wölfe auf die grasende Herde zu. Einige Tiere flohen bereits. Die Bewegung setzte sich fort wie die Strömung in einem Fluss.

»Sondert die beiden Tiere aus. Treibt sie in die Richtung, aus der ihr gekommen seid!«

Die Herde stob nach beiden Richtungen davon. Das Donnern unzähliger Hufe und der aufgewirbelte Staub schufen einen unvergesslichen Eindruck. Vor den Tieren bildete sich eine Gasse. Der nahe Wald schluckte die ersten Gruppen der Wildpferde. Schweigend rannten die Wölfe. Sie erreichten die Hengste, über denen ich schwebte. Truc wandte sich nach links, schnappte wie spielerisch nach den Vorderfüßen des Pferdes; der Hengst bäumte sich auf und schlug aus. Gras und Steine flogen wie Meteore nach allen Richtungen. Asser schlängelte sich unter dem Bauch des anderen Tieres hindurch, sprang gegen die Flanken und bewegte sich wesentlich schneller als ein echter Wolf.

Die Pferde flohen. Die Wölfe errechneten mit ihren blitzschnellen positronischen Hirnen die Bewegungen aus und brachten durch Scheinangriffe die Pferde in die Richtung, in der ich sie haben wollte. Die Herde hatte sich längst zerstreut; die Pferde flohen in gestrecktem Galopp. Neben und hinter ihnen bewegten sich die schwarzen Schatten. Ich drehte den Griff der Steuerung, beschleunigte, ging in die Waagrechte über und raste hinter den Pferden her. Auf einer Lichtung, die mit wilden Moosen bedeckt war, hatte ich sie eingeholt und sagte ins Mikrophon:

»Haltet sie an. Im Kreis treiben!«

Augenblicklich gehorchten meine Wölfe. Die Pferde wurden nach rechts getrieben und wollten sich wehren, aber die Wölfe waren schneller und wichen den Hufen aus; auch Arkonstahl, von dem Huf eines wütenden Wildpferdes getroffen, konnte deformiert werden. Ich ging tiefer, hielt an und hob die Doppelrohr-Waffe hoch. Die vergifteten Nadeln steckten in den Läufen. Ich zielte genau, verfolgte den Schenkel des größeren Hengstes mit dem Visier und drückte ab.

Mit schwirrendem Geräusch löste sich die Feder und trieb den Bolzen aus dem Lauf. Er steckte im Fell des Tieres, die Spitze begann sich aufzulösen, als sie mit dem Blutkreislauf in Berührung kam. Die Bewegungen des Pferdes wurden langsamer. Der zweite Schuss löste sich. Ich landete am Rand der Lichtung, riss den Energietornister vom Rücken und schaltete das Antigravfeld aus. Jetzt war ich nichts anderes als ein bewaffneter Jäger. Es freute mich, meine Kräfte anzuwenden.

»Stop!«, rief ich scharf. Die Wölfe blieben augenblicklich stehen, mit auswärts gestellten Läufen, bereit, jederzeit anzugreifen oder zu springen. Ich sah mich um. Die Gestalten, die drei verschiedene Arten von Lebewesen verkörperten, waren allein mit einem Wall von Büschen, an denen Blüten baumelten. Die kleine Lichtung war vom stechenden Geruch modernder Pflanzen erfüllt, in den sich die Ausdünstung der Pferde mischte. Die Hengste standen wie gelähmt da, nur ihre Flanken bebten.

Ich hastete zehn Meter über das blaugrüne Moos. In den Händen hielt ich geflochtene Seile, dünne Stahldrähte und einige Ringe.

Bis jetzt hat dein Vorgehen die richtigen Ergebnisse gezeigt, sagte der Extrasinn. Weiter in den Überlegungen! Mein Gedächtnis produzierte die Bilder eines primitiven Halfters und eines ebensolchen Sattels. Ich ging daran, mit doppelt aneinandergelegten Schnüren ein Zaumzeug zu knoten. Ich führte es hinter den Ohren des ersten Pferdes nach unten, schlug einen Knoten, in den ich einen der stählernen Ringe einknüpfte, umgab das Maul des Tieres mit einer losen Verbindung, dann sicherte ich die Seile durch eine nochmalige Verbindung unterhalb der Augen. Sie waren weit offen und starrten mich an; die Tiere keuchten unter der Einwirkung der Droge, die zuerst eine leichte Lähmung hervorrief und tagelang den freien Willen ausschaltete. Wenn die Wirkung abgeklungen war, würden sich die Pferde an mich gewöhnt haben.

Ich zwängte einen Stahlstab durch das Maul, hängte ihn in die Kette ein und zog den langen Zügel zuerst nach rechts, dann links durch den Ring. Als der Hengst in einer ruckenden Bewegung, ausgelöst durch einen Schlag der flachen Hand auf den Rücken, den Kopf hochwarf, schleiften die Zügel im Moos. Ich warf ein kreisförmiges Stück Kunststofffell auf den Rücken des Tieres, zog den breiten Bauchgurt an, der aus nebeneinandergelegten Schnüren bestand, und schloss die Bronzeschnalle. Die Steigbügel, Gebilde aus breiten Ringen – die Maschinen hatten dem Kunststoff das Aussehen von gemasertem Holz verliehen – und Flechtschnur, wurden eingeknüpft. Eines der Tiere schnaubte laut und scharrte mit den Füßen. Die Lähmung ließ nach. Ich sah mich wieder um; diese Gegend war noch nie von Menschen betreten worden. Ich beendete die Arbeit. Zehn Minuten später war auch das zweite Tier gesattelt. Ich lachte kurz. Die Ohren der Tarpane drehten sich in die Richtung des Geräusches.

Atlan als steinzeitlicher Jäger. Es war eine verrückte, groteske und etwas makabre Vorstellung, aber ich hatte keine andere Wahl.

»Asser!« Mit einem Satz war der Wolf bei mir.

»Bruder«, sagte ich, ein Wort, das er nicht verstand, da es nicht programmiert war. »Nimm den Zügel zwischen die Zähne. Führ das Pferd. Ich fliege voraus!«

Die Maschine handelte mit äußerster Präzision und Schnelligkeit. Es war unheimlich anzusehen. Der Wolf reagierte völlig geräuschlos.

»Truc – nachmachen!« Truc schnappte den zweiten Zügel und blieb stehen, als sich die Schnüre spannten. Ich schnallte den Energietornister um, schaltete den Antigravprojektor ein und erhob mich um einige Meter. Ich musste meine Ausrüstung verstecken, an einem Ort, der leicht wiederzufinden war und den ich schnell erreichen konnte. Ich flog zehn Minuten lang nach Osten, bis ich an den breiten Flusslauf kam. In langsamem Trab trotteten die Wölfe hinter meinem Schatten her und zogen die willenlosen Pferde mit sich. Hochstimmung hatte mich erfasst, und ich schwenkte über dem feinen Kies des Flussbetts nach Norden ab. Nach weiteren fünfzehn Minuten kam ich an die charakteristische Felsnadel, die als letzte Erhebung vor dem Durchlass des Kessels stand.

»Halt!«, rief ich. Die Gruppen hinter mir blieben stehen. Die Wölfe rissen scharf an den Zügeln, und die Pferde bäumten sich auf. In etwa zwanzig Meter Höhe erkannte ich eine Höhle. Dort war ein geeigneter Platz; ich konnte die Felsnadel kaum verfehlen. Außerdem war sie rund zwanzigtausend Schritte von der Jägersiedlung entfernt – eine Strecke, die ich mit meinem Reittier schnell erreichen konnte; selbst zu Fuß stellte sie kein Problem dar. Ich steuerte den Projektor aus, ging auf die entsprechende Höhe und ließ das Pulsatortriebwerk aufheulen. Luft wurde angesaugt, in der atomaren Thermokammer aufgeheizt und durch den Expansionsdruck ausgestoßen. Auf einem Strahl erhitzter Luft schwebte ich bis zum Loch in der Felswand. Ich schaltete beide Geräte aus und landete, in den Knien federnd.

Stechender Geruch schlug mir entgegen. Ich schaltete den Energietornister ab, prüfte die Funktionen durch und sah, dass keine Energieabgabe mehr möglich war. Ich durfte nichts riskieren, auf keinen Fall eine unkontrollierte Energieabgabe, die meine kostbaren Geräte zerstören und das Schiff an die falsche Stelle locken konnte. Die Höhle lag wie ein schwarzer Schlund vor mir, und irgendwann schien hier ein Tier …

Vorsicht! Hier haust ein Raubtier, wisperte mein Extrasinn. Zu spät. Ein heiseres Fauchen ertönte, das in kehliges Knurren überging. Wie ein dunkelrot gefleckter Blitz schoss etwas aus der Schwärze hervor; ich sah ein Katzengesicht und handelte instinktiv. Ich ließ Energietornister und Projektoren fallen, griff in den Gürtel und überschlug mich nach hinten. Das Felsplateau, bewachsen mit verkrüppelten Laubgewächsen und gelbem Gras, war nicht groß. Krallen hakten sich in den unzerreißbaren Kunststoff der Felljacke, und meine Hand erreichte das nachgeahmte Steinmesser. Der Rachen des Tieres war dicht über meinem Hals.

Ich schnellte den rechten Arm nach vorn, und die scharfe Klinge schnitt in den Tierkörper. Das Fauchen wurde lauter; ich fasste mit der Linken eine der Pranken der Großkatze, die an den Ohren pinselartige Haarbüschel trug. Ein Aufbäumen hatte zur Folge, dass ich auf den Rücken zu liegen kam, dann auf die Seite abrollte. Das Tier krachte gegen die Felswand, ich kauerte fünf Zentimeter neben dem Abhang. Zwanzig Schritte unter mir standen die Wölfe im Kies. Unvermittelt schnellte sich die Großkatze vorwärts, landete mit allen vier Pranken auf meiner Brust, und ich hatte mich im gleichen Augenblick vorgeworfen. Mein Messer stach zu. Dreimal, viermal. Der Raubtieratem machte mich fast bewusstlos. Ich ließ das Messer fallen, griff nach den Hinterpranken, riss sie hoch und warf mich zur Seite. Das Raubtier drehte sich in der Luft, schlug auf dem Schräghang auf und prallte in den Kies.

»Asser! Töte!«, schrie ich. Die Katze raste schräg in Richtung auf den Fluss davon, und der blauschwarze Wolf stob hinterher. Innerhalb von Sekunden vollendete sich der Kampf. Asser rammte die Katze seitlich, warf sie um und schnappte zu. Stählerne Kiefer, elektromagnetisch bewegt, schlossen sich. Zähne aus weißem, stahlhartem Kunststoff zerfetzten Adern, Knochen und Rückenmark der Katze. Asser blieb neben dem Kadaver stehen.

»Zurück zum Pferd!«, rief ich und richtete mich schwer atmend auf. Ich war unvorsichtig gewesen; der Angriff war mir eine Lehre. Ich wischte mir den Schweiß von der Stirn, dann zog ich die Einzelteile des Energiestrahlers aus den Geheimfächern der Jacke. Innerhalb von einer Minute hatte ich die Waffe zusammengesetzt, nahm mein Gepäck auf und drang in die Höhle ein. Ich kroch durch Kot, durch Reste kleiner Beutetiere, kam an einem Stück Aas vorbei, das infernalisch stank und sah, dass die Höhle keinen zweiten Ausgang hatte. Vier Schritte vom Eingang entfernt legte ich meine Kostbarkeiten ab. Ich schloss den halbdurchsichtigen Kunststoffbeutel und verließ das stinkende Loch.

Ich suchte Steine zusammen, schichtete sie übereinander, bis sie die Höhle verschlossen, und trat zurück.

Mit einigen Energieschüssen verschmolz ich die Steine mit dem Fels. Es war unmöglich, dass ein Tier sie auseinanderbrechen konnte. Ich würde sie notfalls mit Muskelkraft und einem Hebel, jederzeit aber mit dem Desintegrator öffnen können. Jetzt begannen die eigentlichen Probleme.

Hüte dich vor der Überlegung, dass die Jäger deine Freunde sind. Sie kennen das Leben als Kampf ums Überleben, sagte der Logiksektor. Ich turnte den Schräghang hinunter, griff in die harzigen Äste der Krüppelbäume und sprang in den Kies. Jetzt war ich auf meine Intelligenz, meine Robotwölfe und auf die Waffen angewiesen, die ich am Körper oder in den Felltaschen des Packtieres hatte. Vernunft, Klugheit, Stärke – dazu Wurfmesser, Bogen und Wurfspeere. Es konnte beginnen. Ich säuberte meine Hände mit Sand und Wasser, ließ sie an der Sonne trocknen und aß einen Nahrungskonzentratwürfel, der im Saum der Jacke eingefasst war.

»Truc!« Ich stand fünfzehn Schritte von den Tieren entfernt. »Bringe das Pferd!«

Der Wolf riss mit einer kurzen Drehung seines Kopfes am Doppelzügel und zerrte das Tier hinter sich her. Einen Meter vor mir blieb die Gruppe stehen. Ich stellte meinen rechten Fuß in den Steigbügel, hielt mich in der Mähne fest und schwang mich in den dünnen Sattel. Dann beugte ich mich vor, griff nach den Zügeln und knallte die flache Hand auf den Schenkel des Pferdes. Das Tier setzte sich in Bewegung.

Truc lief, als ich schneller wurde, neben mir her. Lautlos, geschmeidig und wie ein Schatten. Asser zog, in meiner Spur laufend, das Packpferd mit. Zwanzigtausend Schritte und ein kulturelles Gefälle von Jahrtausenden trennten mich, Atlan, arkonidischer Flottenadmiral, von den primitiven Bewohnern dieses Planeten, des dritten von Larsafs Sonne.

Ich ging in scharfen Galopp über. Das rötlichbraune Pferd mit der wippenden Mähne und dem langen schwarzen Schweif, der bis zum Boden herabreichte, riss den Schädel hoch und wieherte langgezogen. Ich musste lernen, die Reflexe meiner Tiere richtig zu deuten. Lautlos folgten die Wölfe. Ich blickte um mich, holte Atem in der sauberen Luft. Ja, das war es: Die Bäume, die Felsen, die Talkessel und die unbegrenzte Natur dieses herrlichen, leeren Planeten, der grenzenlose Himmel und die spürbaren Geheimnisse vor mir – ich würde dieses Bild niemals vergessen. Und in einem fernen Winkel meines Verstandes, der jetzt unter der Anspannung der Erwartung schneller funktionierte, wusste ich etwas anderes, das schwerer wog:

Ich würde diesen Planeten lieben können. In langen Zeiträumen würde ich hier wirken. Die Barbaren würden mich brauchen, um Techniken zu lernen, die sie kulturell vorwärts brachten.

Eine weiße Wolke, deren Unterseite sich grau färbte, verdunkelte Larsafs Stern. Der Schatten fiel über den Talkessel, die Farben änderten sich. Die geistige Verbindung mit diesem Land war zerfetzt. Ich fühlte mich verwirrt und unsicher. Trotzdem rammte ich dem Hengst die Absätze der Stiefel in die Weichen.

Etwa siebzig Minuten später – meine Uhr lag bei der versteckten Ausrüstung, und das winzige Instrument in einem der Jackenknöpfe wollte ich nicht benutzen – riss ich an den Zügeln. In kurzer Zeit hatte das Pferd begriffen, was die einzelnen Kommandos bedeuteten; die Zügelhilfen wurden vorsichtiger angewendet. Ich befand mich in gleicher Höhe mit der Siedlung der fünfhundert Jäger, ritt aber noch immer am Wasser des Flusses. Inzwischen hatte ich den Energiestrahler auseinandergenommen und versteckt. Der Köcher hing schräg auf meinem Rücken, den Bogen hatte ich über die Schulter gehängt. Es schien, als beobachteten mich die Jäger aus der sicheren Deckung der Uferwälder. Die Sonne stand fast im Mittag.

Keine Gefahren, signalisierte mein Extrasinn. Ich zog am Zügel, setzte die Absätze ein und ritt im scharfen Galopp nach links, das sandige und steinige Ufer hinauf. Kühle schlug mir entgegen, als ich den ausgetretenen Pfad erkannte, der zwischen den Bäumen zur Siedlung hinaufführte. Vor mir Asser, dann kamen die beiden Pferde, ganz hinten sicherte Truc.

»Asser!« Der Wolf verharrte auf dem schmalen Pfad, der die Spuren runder Felsen und die undeutlichen Abdrücke von Zehen trug. »Du warnst, wenn du einen Jäger entdeckst!«

Der Wolf nickte zweimal. Er hatte verstanden. Robotaugen durchforschten jetzt den Dschungel, hochempfindliche Mikrophone mit Richtcharakter tasteten die Bäume und die Zwischenräume ab, sonderten gewohnte Geräusche aus und meldeten die ungewöhnlichen, die echten Informationswert besaßen.

»Weiter!«

Hinter uns blieb der Fluss zurück, der Wald wurde lichter, die Anzahl der runden Büsche vergrößerte sich. Es wurde heller, dann sah ich den Moränenhügel mit den eingerammten Findlingsblöcken aus schwarzem Fels. Es waren nicht mehr als zweitausend Meter. Ich blieb am Waldrand stehen, neben mir der Wolf. Wir betrachteten das Gelände, sahen aber kein Zeichen wandernder Jäger. In der Mittagshitze dieser Jahreszeit ruhten die Jagdtiere, und ich wusste nicht, ob dies der richtige Zeitpunkt zum Jagen war.

Ich wechselte auf das andere Tier um und schlang einen Knoten in den Zügel. Wir bewegten uns auf dem Pfad, kamen durch große Felder von rasselndem Riedgras und Schilf, dann über eine Kiesebene mit hellgrünen Sträuchern und niedrigen Büschen. Schlangen und Eidechsen raschelten vor uns über den Weg und verschwanden.