Erhalten Sie Zugang zu diesem und mehr als 300000 Büchern ab EUR 5,99 monatlich.
Der unsterbliche Arkonide Atlan, später der beste Freund Perry Rhodans, lebte rund 10.000 Jahre auf der Erde - als Hüter des Planeten lenkte er die Entwicklung der Menschheit. Atlan reist im Auftrag des ägyptischen Herrschers mit einer Expedition ins sagenhafte Goldland Punt, um neue Handelswege zu erschließen. Als in den Jahren danach gleich mehrfach Außerirdische die Erde bedrohen, zieht er jedesmal in den Kampf gegen eine übermächtige Technik ...
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Seitenzahl: 743
Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:
Nr. 4
Hüter des Planeten
Bei der Neugliederung und Bearbeitung der Atlan-Zeitabenteuer ergeben sich für den Chronisten, abgesehen von der reizvollen Arbeit mit interessanten Kapiteln der terranischen Vorgeschichte, mitunter bemerkenswerte Überraschungen. Seit der Schilderung von Atlans ersten Erlebnissen unter den Barbaren von Larsaf III, teilweise älter als zwei Jahrzehnte, haben sich sowohl in der Archäologie als auch der Geschichtswissenschaft unzählige neue Erkenntnisse durchgesetzt, aus vielen neuen Fundstücken wurden Schlüsse gezogen und von den Historikern in das bestehende System eingegliedert, mit dem Resultat, dass viele Teile der vorchristlichen Geschichte präzisere Daten erhielten, dass sich Namen und Daten änderten und Begebenheiten neu eingeordnet wurden. Dazu kam, dass auch der Chronist in zwei Jahrzehnten lernen konnte, sein Handwerk sicherer zu betreiben. Und schließlich erzählt Atlan jetzt, im Schock nach dem fast tödlichen Unfall, viel ausführlicher und genauer. Zusammenhänge, die vormals nicht oder nur schwer zu erkennen waren, werden Cyr Aescunnar und den Lesern verständlicher und klarer. Und ebenso ergeht es dem Chronisten, der Personen, Daten und Geschehnisse logischer und in neuen Zusammenhängen begreift und schildern kann. Uns wird klar, dass ES und der arkonidische Kristallprinz, was den faszinierenden Planeten Erde und dessen barbarische Bewohner betrifft, ein überzeugendes Konzept hatten. Atlan (und gegebenenfalls seine sterblichen Freunde), die sich als Hüter dieser Welt verstehen, sind sowohl aus freiem Willen als auch gezwungenermaßen Werkzeuge der Superintelligenz.
Nach dem Zyklus, in dem die schöne Ägypterin Asyrta-Maraye-Nebkaura an Atlans Seite eine tragende Rolle spielte und große Bedeutung erlangte, wird der Einsame der Zeit in weitere Abenteuer gestürzt: ES manipuliert nach Gutdünken die Erinnerung Atlans, verhindert die objektive Mitarbeit des Roboters Rico und zwingt den Zivilisationsförderer und Kulturbringer Atlan in aussichtslos erscheinende Missionen. In der vorliegenden vierten Hardcover-Ausgabe spannt sich der Bogen von Atlans Erlebnissen im Mittleren Reich Ägyptens bis ins Babylon des großen Hammurabi: Die letzten Seiten des Perry-Rhodan-Taschenbuches 177, Kämpfer für den Pharao, leiten das Geschehen von Nr. 196 (Das Goldland) ein, die Invasion der fliegenden Monde (Nr. 71), logisch ergänzt durch die Geschichte Der achte Mond aus einem Perry-Rhodan-Magazin, und der Sturm über Babylon (Nr. 199) sehen den Arkoniden wieder als Einzelkämpfer.
Reiz und Schwierigkeiten der Zeitabenteuer sowie ihrer Bearbeitung für die Hardcover-Ausgabe zeigen sich besonders in der Schilderung des klassischen Ägyptens. Bevor um das Jahr 600 vor Beginn unserer Zeitrechnung die weltreisenden Griechen begannen, das Reich der Romêt mit Namen und Begriffen ihrer Sprache zu schildern und umzubenennen, spätestens aber unter der ptolemäischen Herrschaft nach Alexander dem Großen, gab es weder Memphis, Papyrus, Theben, Heliopolis oder Ägypten als Begriff, sondern Menefru-Mirê, Binsenmarkschreibblätter, No-Amûn, Nördliches Iwny oder Iuni und die Romê oder Romêt des Hapi-(Nil-)Landes. Aigyptioi, abgeleitet von hikupta (Ka-Tempel des Ptah), nannten erst die Griechen das Volk am lebenspendenden Strom. Ob es um Hieroglyphen geht, um Obelisken oder den Begriff des Pharao: Zu Atlans Zeit in diesem Land gab es noch keine griechische Sprache. Sinngemäß gilt dies ebenso für Byblos (Gubal), den Euphrat (Uruttu, Buranun) und Tigris (Idigna, Idiglat) sowie Tausende der Begriffe, die uns heute geläufig sind. Für viele Geschichtszahlen gilt das gleiche. Mit Sicherheit würden wir nur auf dem Umweg über Ricos positronische Archive die letzte Bestätigung finden. Immerhin versucht die Historische Fakultät mit ihrem Chef Aescunnar ihr Bestes, um präzise Daten zu ermitteln; das gleiche versucht Atlans mitunter geplagter Chronist.
Viele scheinbare oder tatsächliche Geschehnisse der terranischen Geschichte übersehen auch Atlan und der treue Roboter. Der Planet Erde ist für Sonden und Höhenphotos viel zu groß: Ein Drittel Land von exakt 510 Millionen und 66.340 Quadratkilometern Oberfläche – zwei Drittel der Erdoberfläche sind Meeresoberfläche und Eiskappen – kann weder von einem arkonidischen Ex-Kolonisator noch von Rico »kontrolliert« werden, selbst wenn sie dazu Jahrhunderte Zeit hätten. Also ist in der langen Geschichte von Atlans Exil der Arkonide längst nicht über alles informiert und irrt bisweilen, unbeabsichtigt natürlich, trotz des photographisch perfekten Gedächtnisses, und Ricos umfangreiche Datenspeicher enthalten längst nicht jedes Megabyte aller denkbaren Daten der Larsaf-III-Geschichte. Dennoch erfahren wir erstaunlich viel von Atlan und durch sein Verhalten auch über ihn selbst: über einen Ausgesetzten, den von seinen »Zeitgenossen« jeweils viele Jahrtausende Erfahrung und zivilisatorischer Fortschritt trennen. Schließlich steht am Ende einer zehntausendjährigen Entwicklung das, was er sich immer gewünscht hat, nämlich der Flug nach Arkon, zurück in seine ferne, stellare Heimat.
Für Atlans Logistik und die Daten sorgt Rico; für das Bewältigen der Zeitabenteuer-Daten in Bezug auf den PERRY RHODAN-Kosmos half dankenswerterweise wieder Rainer Castor. Die chronologische Bearbeitung der Zeitabenteuer, die inzwischen viele Freunde gefunden haben, wird weiterhin gewissenhaft und sicher mit einigen Überraschungen für die Leser weitergehen.
Am 11. Oktober 3561, vormittags 10.40 Uhr, drangen die ersten Worte durch die Stille. Der Raum in der Intensivstation, in dem das transparente Becken voller Nährflüssigkeit stand, war menschenleer; der Arkonide Atlan schwebte ausgestreckt und regungslos über dem Gitter aus Antigravstrahlen. Die modifizierte SERT-Haube senkte sich, goldfarben schimmernd, über seinen Kopf und die Schultern. Als Atlan zu sprechen begann, schalteten sich sämtliche Aufnahmegeräte an Cyr Aescunnars Arbeitsplatz gleichzeitig ein. Jedes Wort Atlans, so schien es, war von Furcht, Trauer und Unheil durchdrungen. Es war, als spräche er aus tiefer Verzweiflung heraus, durch treibenden grauen Nebel, und er redete von ferner Vergangenheit, in der Schreckliches geschehen war: so als habe eine plötzliche Sonnenfinsternis das sommerliche Land am Hapi, das langgestreckte Städtchen Nubet und das weiße Haus in schwarze Verstörtheit getaucht. Atlan sprach wohlüberlegt, bedachtsam und leise; jedes Wort atmete Traurigkeit aus:
»Ich fürchte den Tag, mein Freund, an dem alle Sonnenuhren stehenbleiben«, hatte einst meine zärtliche Geliebte geflüstert, vor unzählbar vielen Jahren. Nicht weit von hier entfernt, nur durch Jahrhunderte getrennt. Nefer-meryt, die Schwester des Herrschers Meni-Narmer, jene unvergleichliche Frau, die noch heute an meiner Seite wäre, wenn ich mich damals klüger und bewusster verhalten hätte. Heute, vierundzwanzig Stunden lang während eines jeden Tages, fürchtete ich den Stillstand der Sonnenuhren, obwohl ich keinen Grund zu haben glaubte.
Nefer-meryt war ferne Vergangenheit: Asyrta-Maraye-Nebkaura, ebenso liebenswert, klug und schön, war die bezaubernde Gegenwart. Aber auch drei Dutzend Bogenschützen meines Freundes Ptah-Sokar, die, einander ablösend, entlang der Grenzen des Gutshofes patrouillierten, dazu etliche arkonidische Schutzfelder, zwei ständig eingeschaltete Psychostrahler und verborgene Deflektorfelder waren Gegenwart, ebenso eine Sonde Rico-Riancor-Rechmes, die unentwegt über den Feldern, dem weitläufigen Garten und um das Haus kreiste. Jeder Romêt, jung oder alt, Mann oder Frau, achtete darauf, dass kein Fremder unbeobachtet diesen Besitz betrat.
Tatsächlich hatte bisher niemand versucht, mich zu vergiften oder mit irgendeiner Waffe zu töten. Ich beruhigte mich nur langsam, aber nach drei Zehntagen konnten wir sicher sein, dass die tödliche Erblast des schwarzen Kolosses, jenes Wanderer-Flüchtlings, uns nicht mehr betraf.
Seit sechs Stunden saß ich in meinem abgedunkelten Arbeitszimmer, hatte den Deckel einer mittelgroßen Truhe aus nachgeahmtem Sykomoren- und Zedernholz, Golddraht und Glasflussornamenten hochgeklappt und bearbeitete die sogenannten Punt-Karten, indem ich die Beobachtungen einer rasend schnellen Spionsonde eintrug: Zakanza-Upuaut, Ptah-Sokar, die Steuermänner und die Kapitäne der Flotte sollten nicht ins Ungewisse segeln. Die Knochenringe des Vorhangs scharrten, die Perlen des zweiten Vorhangs klirrten; ein Lichtkeil fegte durch den Raum. An den Schritten und dem Wohlgeruch wertvoller Romêt-Salböle erkannte ich, ohne mich umdrehen zu müssen, dass Asyrta den Raum betreten hatte. Überdies hätte selbst Ptah nicht gewagt hereinzustürzen, ohne sich laut anzukündigen.
»Rotäugiger Kartenzeichner«, sagte sie. »Komm hinaus ins Licht. Erstens ist es fast Abend, und zweitens wartet ein Bote auf die fragwürdige Gnade, dein Angesicht sehen zu dürfen.«
Ich drehte mich um, lächelte und legte meinen Arm um ihre Hüften. Auf dem dreidimensionalen Bild löste eine Meile menschenleeren, sandigen oder felsigen Meeresufers die nächste ab. Ich arretierte die Sonde – irgendwo über dem fernen Ozean – in der hitzeflirrenden, spiegelnden Luft.
»Boten gibt’s wie Schilf am Ufer. Wer hat ihn geschickt, Geliebte?«, sagte ich halblaut.
»Der große Amenemhet selbst. Der schwarze Bote wagt nicht, die Botschaft auszusprechen. Er liest seine unendlich wichtigen Worte nur vor, wenn du zuhörst.«
»Gib ihm einen Krug Henket«, sagte ich, stand auf und lachte. Wir gingen hinaus. »Und mir einen Becher unseres Henket-Bieres.«
Zwischen zwei vorspringenden Gebäudeteilen war ein Leinensegel gespannt. Darunter, im abendlichen Halbschatten, standen Hocker, Tischchen und Tonkrüge, in denen Wasser verdunstete. Auf einer gemauerten Säule hockte ein Robotfalke, der zweite kreiste unterhalb Ricos Sonde. Der Bote sprang auf die Füße, warf sich zu Boden und richtete sich auf, während er die Binsenmarkrolle aus dem Gürtel zog. Ich lud ihn ein, sich geruhsam hinzusetzen, und sagte:
»Vergiss die Förmlichkeit, Bote, aber nicht die Worte deiner Botschaft. Was geruht unser göttlicher Herrscher mir mitteilen oder befehlen zu wollen?«
Der schlanke, dunkelhäutige Nehesi mit den dünnen Waden zog das aufgerollte Blatt in beide Richtungen auseinander, senkte den Kopf und las laut vor:
»Gottkönig Amenemhet, er lebe ewiglich, hat nunmehr seinen herrlichen Palast in Itch-Towi verlassen und wohnt in seinem schönen Per-Ao zu Junu-Resyt, wo er Bittsteller empfängt, Richtsprüche erteilt, tausend Besucher haben wird und das Gute vom Schlimmen scheidet. Auch du, Atlan-Horus, sollst vor sein göttliches Angesicht treten und, weil du die Feinde des Reiches unter deinen Sandalen zermalmt hast, reiche Belohnung empfangen. Ebenso wird die Herrin von Buhen im elenden Kusch mit Ehren überhäuft werden, nicht minder die Heerführer und Freunde des Atlan. So besteige denn deinen herrlichen Wagen, schirre die drei überlebenden Bergesel an und tritt vor das strahlende Angesicht dessen, der Maats Waage in den Händen hält. In zwei Siebentagen triff ein, und jedes Haus wird sich der Herrin von Buhen und Atlan-Horus weit öffnen.«
»Überaus trefflich«, sagte ich. »Selbstverständlich ist Amenemhets Wunsch für uns ein Befehl. Alles, Bote?«
»Alles, Herr.«
»Trink dein Henket aus, schlaf bei uns und sage dem Oberschreiber zu Junu-Resyt, dass wir am richtigen Tag dort sein werden. Woher weiß man, dass es nur noch drei jener Tiere gibt, die ich ›Pferde‹ nenne?«
»Herr!« Der Bote wischte den Schweiß von der Stirn. »An den Ufern des Jotru wissen viele, was alle tun.«
Ich entließ ihn; er reichte mir das Binsenmarkblatt und ging hinüber zum winzigen Gästehaus. Asyrta und ich blickten einander lange schweigend in die Augen. Ich sagte halblaut:
»Zwei Wagen sind auseinandergenommen und in Ricos Obhut. Die anderen Pferde sind tot. Die Wartezeit ist vorbei; bald fährst du mit mir nach Punt, meine Schönste.«
»Und danach, nach der Rückkehr«, flüsterte sie und legte ihre schlanken Hände auf meine braungebrannten Knie, »schlafen wir in Riancors dunklem Palast, bis wir gemeinsam geweckt werden und zusammen andere Abenteuer miterleben.«
»In einer anderen Zeit, an anderen Plätzen, mit anderen Freunden«, sagte ich. »Wir packen. Einen Teil für die lange Schifffahrt, den kleineren Teil für die kurze Zeit in Amenemhets Nähe.«
»Morgen früh fang’ ich damit an.«
Unser Gepäck würde nicht viel wiegen und wenig Platz brauchen. Wir sahen noch eine Weile den Ibissen zu, deren Flug unbeholfen wirkte, dann kletterten wir die schmale Treppe zum Dach hinauf. Dort aßen wir anschließend noch und saßen lange mit Zakanza und Ptah zusammen. Sie hatten ebenso genaue Befehle von Amenemhet erhalten.
Fast gleichzeitig fuhren das schwer beladene Schiff und die Barke mit unserem Gespann los. Die HORUS DES HORIZONTS mit dem schwereren Teil der Ausrüstung würde bis Geb-Teju weitersegeln. Von dort aus schleppten Ptah-Sokars Soldaten das Gepäck entlang der Straße des Henenu durch das Tal Rohani zu den Schiffen; Asyrta und ich gingen nahe Junu-Resyt an Land. Nach der Verteilung von Ehrungen durch den Herrscher würden wir, in mäßiger Eile, mit dem Gespann zu den Schiffen fahren.
Wieder fuhren wir lange hapiabwärts, an Feldern und Äckern vorbei, an Palmenhainen und Tamariskenwäldern, in denen unzählige Arbeiter schufteten: an den Kanälen, bei den Herden, beim beschwerlichen Bau von Kornspeichern, Straßen und Dämmen. Sie grüßten mit heiterer Ehrfurcht die Barke des Gottherrschers und uns, die Menschen, die an Deck standen. Kurz vor No-Amûn legten wir an, schliefen an Bord und warteten, bis das Gespann angeschirrt war. Man berichtete uns, dass Amenemhet und sein Gefolge vor zwei Tagen in die Stadt gekommen seien und uns alle »am Ende des Kanals« erwarteten. Ipuki, der Steuermann, lächelte und sagte:
»Dies alles magst du noch nicht kennen, Herr. Aber unentwegt wird in No-Amûn gebaut. Nun zeige ich dir den Kanal, der bis an die Stufen des Palastes führt.«
Mein Gespann wartete in einem kühlen Stall; die drei Stuten würden gut ausgeruht sein, wenn wir abfuhren. Ich befahl den Dienern, was zu tun sei und wie die unersetzlichen Tiere zu behandeln waren. Wir gingen wieder an Bord: Ipuki erklärte uns, wie heute die Stadt angelegt war. Ich entsann mich der alten Viertel und musste missmutig erkennen, dass aus den Steinen und Quadern uralter Bauwerke neue Tempel und Paläste errichtet worden waren. Der Hapistrom zog rechts an der Stadt der »Weißen Mauer« vorbei, aber ein Kanal, ein künstlicher Hapiarm, war fast rechtwinklig nach Backbord ausgehoben und befestigt worden, bildete am Ende einen großen Flachwasserhafen, zog sich durch sandige Wüste weiter nach Norden und wurde wieder in den Strom zurückgeführt. Zwischen den beiden Wasserläufen war eine große, trapezförmige Insel entstanden, in deren Mittelpunkt der Kanal endete.
Um das rechteckige Bassin, von weißen Quadern eingefasst und hinter langgezogenen schwimmenden Inseln aus Seerosen, waren die Bauwerke der Herrscher entstanden; Tempel, Paläste, Magazine und Wohnhäuser. Die neuen Teile der Stadt bestanden aus einem Raster rechter Winkel, aus Straßen, Gassen und Mauern, die verschiedene Viertel bildeten, bewohnt von Handwerkern und Arbeitern.
Ich erkannte dieses Schema und entsann mich mühelos, dass ich es nicht nur mit Meni-Narmer und seinem Sohn Aha entwickelt hatte; als unsere Barke wieder vom Ufer wegsteuerte und in den Nebenarm mit seiner schwachen Strömung hineingerudert wurde und daraufhin, mit gerefftem Segel und hochgezogener Rah, in den schmalen Stichkanal einbog, lächelte ich versonnen.
»Es ist eine schöne Stadt«, sagte Asyrta, die zwischen dem Piloten und mir im Bug lehnte. »Seit Amenemhets Großvater herrschte, gibt es keinen Krieg, und tausend große Bauwerke entstehen.«
»Auch diese Stadt wird nicht ewig so weiß, neu und strahlend bleiben, so, wie wir sie heute sehen«, orakelte ich und blieb halb beeindruckt, halb skeptisch. Wir passierten den Schatten großer, grüner Palmenwedel. »Amenemhet und sein Geschlecht herrschen nicht für alle Ewigkeit über dieses schöne Land.«
Alles, was vom Bug der Barke aus zu erkennen war, strahlte in weißem Kalkstein, goldfarbenem Sandstein und bunten Farben. Tausende Menschen liefen geschäftig umher und arbeiteten an den Häusern und auf den Gassen. Die Stadt schien seit einem Jahrzehnt erneuert, verschönert und vergrößert zu werden. Drei lange Schiffe aus Zedernholz lagen längs am scharfkantigen Rand des Kanals; die Belegtaue spannten sich schräg bis zu weißen Steinsäulen. Die Wasserfläche weitete sich zwischen den Säulenfronten der Paläste und Tempel. Mit wuchtigen Hebelarmen aus Balken und Tauwerk wurden große Steinquader, Säulen und andere Lasten aus den Bäuchen der Schiffe herausgeholt und knirschend an Land abgesetzt.
Der Steuermann hob beide Arme und rief begeistert:
»Unser göttlicher Herrscher lässt bauen, und No-Amûn wird von Jahr zu Jahr größer, strahlender und schöner!«
Der Kanal, der sich zu einem großen Rechteck ausgeweitet hatte, verwandelte sich in eine schmale Fahrrinne, die in ein großes Becken überging. An der Schmalseite dieses flachen Vierecks erhob sich über weiße Treppen und Rampen der königliche Palast, umgeben von Tempeln und flacheren Wohnhäusern. Die Menge von Soldaten und Arbeitern, Dienerinnen und Schreibern, die hierhin und dorthin gingen und liefen, nahm bemerkenswert zu. Ich merkte, dass No-Amûn im Begriff war, die Metropole des Reiches zu werden.
Die Ruderer bewegten die Barke langsam durch das ruhige Wasser. Wir legten links der Treppe an, deren unterste Stufe vom Wasser bedeckt war. Eine kühle Parkanlage umgab Tempel und Palast, Verwaltungsbauten und Wirtschaftsgebäude. Zwischen dunkelgrünem Rasen und Palmen mit ihren raschelnden Kronen ragte ein großer Kornspeicher auf; die Garantie für das Leben der Menschen zwischen Aussaat und Ernte. Vögel flatterten über die Mauern. In der Luft drehten Falken ihre Kreise und Spiralen.
Die buntbemalte Barke war offensichtlich gut bekannt: Kaum waren die Taue um die Säulenabschnitte geschlungen und verknotet, eilten Diener und Schreiber heran. Eine breite Planke wurde gelegt, Asyrta und ich verließen die Barke. Ein Schreiber verbeugte sich tief vor mir und sagte ehrfürchtig:
»Du bist, Herr, sicherlich Atlan-Horus, der die überlebenden Krieger des schwarzen Kolosses in die Gefangenschaft geführt hat!«
Keine Frage, sondern eine Feststellung. Ich nickte, nahm Asyrtas Hand und sagte ruhig und selbstbewusst:
»Ich bin Atlan. Und das ist die strahlende Herrin von Buhen, Asyrta-Nebkaura. Wann wird Amenemhet in seiner Güte und Pracht uns sehen wollen?«
»Heut’ Abend, Herr. Ihr seid willkommen. Ich soll euch in einen Teil des Palasts bringen, in dem ihr alles findet, was ihr braucht.«
»Wir danken«, sagte ich. Zakanza-Upuaut sprang an Land, nickte dem Schreiber zu, den er wohl kannte, dann sprach er zu mir:
»Ich habe es ein wenig leichter, weil ich nicht so mächtig und berühmt bin wie ihr. Ich gehe in den Palast. Ich finde euch, Freunde.«
Auch hier war ich ruhig und unbesorgt. Es war unmöglich, dass sich ein Attentäter auf dieser Insel befand. Wir sahen Zakanza nach, der auf den Palast zulief und die Treppen hinaufsprang, dann folgten wir dem Schreiber. Er führte uns über Rasen, einen kühlen Weg entlang durch einen wunderschönen Garten, in dem betäubend riechende Blüten hingen, sich Seerosen ausbreiteten, seltene Vögel umherstolzierten und ein kleiner Affe an einer langen Kette rasselte, dann durch eine Galerie überwachsener Säulen bis zu einem Seiteneingang. Wir betraten über eine Rampe, an deren Seiten löwenähnliche Gestalten aus Stein kauerten und uns aus goldenen Augen ansahen, den Palast.
»Soviel Schönheit habe ich nicht erwartet«, sagte Asyrta leise und drückte meine Hand.
»Diese Schönheit ist nur für jene bestimmt, die in der Nähe Amenemhets leben«, gab der Schreiber zurück. »Dort hinten sind die Quartiere der Arbeiter. Sie wohnen ›am schlechten Wind‹, und sie kommen nur hierher, wenn man sie zum Arbeiten rufen lässt.«
»Ich verstehe«, kommentierte ich. Mit Befremden fühlte ich die starren Augen der Sphingen in meinem Rücken. »Ich glaube, ich werde auch nur gerufen, weil es neue Arbeit gibt.«
»Du nicht, Horus des Horizonts«, sagte der Schreiber unbewegten Gesichts. »Wir wissen es alle. Amenemhet will dich auszeichnen vor vielen anderen Männern. Heute Abend, vor dem Gastmahl.«
»Warten wir es ab.«
Auch hier sah ich wieder die schönen, erstarrten Formen aus rechten Winkeln, einem uralten klugen Verhältnis aller Maße in Höhe und Breite, jene meisterhaft kannelierten Säulen und die rätselvollen Statuen von Göttern, Menschen und Fabelwesen. Es ging eine Treppe hinauf, und wir kamen in einen belebteren Teil eines Nebenbezirks dieses Palasts. Überall waren kostbare Vorhänge, hinter denen Dienerinnen hervorsahen. Es roch nach fremdartigen Gewürzen und Duftstoffen. Wir blieben stehen, als vor uns zwei junge Mädchen einen Vorhang zur Seite rafften. Wir sahen in eine Ansammlung ineinander übergehender Räume.
»Herr! Herrscherin! Wir werden euch abholen, wenn es an der Zeit ist«, sagte der Schreiber und verneigte sich tief.
»Danke.« Ich hob die Hand. Hinter uns schlossen sich die Vorhänge. In diesen mittelgroßen, hohen Räumen herrschte keineswegs Luxus, aber jedes einzelne Stück der Einrichtung war ein ausgesucht schöner Beweis bester Handwerkskunst. Asyrta lehnte sich an mich, während wir auf die Terrasse hinausgingen und unter dem weißen Sonnensegel stehenblieben. Wir sahen in den zauberhaften Garten, in dem die Federn der Vögel wie Edelsteine funkelten. Asyrta sprach aus, was ich dachte.
»Wohin werden das Schicksal und ES uns noch treiben? Ich habe das Gefühl, dass es nicht mehr weitergeht.«
Ich streichelte ihren Rücken und flüsterte ihr beruhigend zu:
»Heute Nacht, nach dem Fest bei Amenemhet, wirst du es genau wissen, ebenso genau wie ich, Liebste.«
Der Palast, an dessen nördlichem Ende wieder gebaut wurde, war hier ein Wohnhaus wie jedes andere. Nur die Menge der Diener war ungleich größer. Wir packten in den Räumen mit den ellendicken, weißgekalkten Wänden unsere Truhen und Ledersäcke aus und sprachen mit den Sklaven. Einen Steinwurf weit entfernt ragte eine halb abgebrochene Mauer auf, deren südliche Front mit Bildern und Schriftzeichen bedeckt war.
»Sind wir jetzt Gäste des Gottkönigs?«, fragte Asyrta und ging über die Terrasse in den Schatten der Palmwedel.
»Ja. Für kurze Zeit, wenige Tage, sind wir Amenemhets Gäste«, antwortete ich. Einzelheiten im alten Bildwerk kamen mir bekannt vor; ich ging hinüber, blickte die Bilder an und las:
»… SO SPRECHE ICH ZUM STEIN, DER DIE ZEICHEN TRAGEN WIRD BIS ZUM ENDE DER WELT …« Einige dieser Zeichen fehlten; Quader waren herausgebrochen. »… WIRD MEIN GESETZ BRINGEN AN JEDE STELLE, DA EIN WURM WIDER DAS GESETZ SICH VERGANGEN HAT, WIDER MEIN GÖTTLICHES WORT. ANHETES WIRD IHN IM STAUB ZERTRETEN UND SEINE HÜTTE VERBRENNEN …«
Der Extrasinn murmelte: Du solltest diesen Text wiedererkennen, Arkonide. Im Jahr zwanzig des Meni geschrieben! Im Sand lagen Gerüstteile, Stricke und Bretter; ich zuckte mit den Schultern. Mindestens die Hälfte des Textes fehlte und war schon an anderer Stelle verbaut und eingemauert worden.
»… WACHSAM SIND WIDER DEN FEIND, DER ANGREIFT WIE EIN LÖWE UND GIERIG IST WIE DER WEISSE GEIER … ICH WERDE DER SANDALENTRÄGER DES ANHETES SEIN, DENN ER IST WIE MEIN BRUDER … WOHIN DER SCHATTEN SEINES ZORNS FÄLLT, SOLLEN DORREN DIE BÄUME … MEIN GESETZ, DAS ANHETES TRÄGT … SOLL ES GESCHEHEN …«
Langsam und sehr nachdenklich ging ich durch den grellen Sonnenschein zurück. Die Säulen der Ewigkeit standen noch; Ricos Sonden hatten es mir gezeigt. Amenemhet, der zweite Träger dieses Namens, war während der letzten Lebens- und Regierungsjahre seines Vaters, wie dieser bei dessen Vater, in den Jahren schwindender Kraft und endender Macht auf der rechten Seite des Thrones zum Mitregenten gemacht worden. Nun saß neben Amenemhet, der die Doppelkrone des Schwarzen und Roten Landes trug, sein eigener Sohn, der wieder Sesostris hieß. Der schnelle Sieg über den schwarzen Koloss war nur eines der vielen Gefechte an den Grenzen des langgezogenen Hapilandes gewesen. Während wir in den Palastgärten spazierengingen, versammelten sich Amenemhets Gäste aus allen Teilen des Reiches.
Der Thronsaal von Junu-Resyt, der vorübergehenden Residenz, war überfüllt. Amenemhet saß regungslos, nur von den Straußenfedern seiner Wedelträger umfächert, und verharrte in der gottähnlich erstarrten Stellung, die ihm von der Tradition vorgeschrieben war. Im offenen Viereck warteten mindestens dreihundert Menschen. Auf den gemauerten Rampen der Längswände standen viele Krieger und Soldaten im zeremoniellen Schmuck und mit funkelnden Waffen; sie glichen den steinernen Statuen in den Gärten und entlang der breiten Wege. Unsere Blicke gingen vom hochgeschminkten braunen Gesicht des Herrschers zu den Prinzessinnen It und Chnemet und zu Sit-Hathor-Junet, einer hochgewachsenen Sesostris-Tochter. Amenemhets Ausstrahlung beherrschte den Saal: ein kluges Gesicht mit großen Augen, aus denen tiefes Verständnis für die Menschen ebenso sprach wie geistige Beweglichkeit, klare Intelligenz und die Weisheit eines erlebnisreichen Alters. Amenemhet handelte und sprach mit dem Ausdruck wohlwollender, von Skepsis gedämpfter Ironie; nach dem ersten Drittel des langen Abends deutete er auf Asyrta-Nebkaura und mich.
»Dies ist Atlan, mit dem Ehrennamen Horus, aufgewachsen im fremden Land; dennoch einer von uns, obwohl sein Haar weiß und kurz geworden ist. Er tötete den schwarzen Koloss in der Wüste des elenden Kusch, jenseits von Buhen, und hat große Gefahren vom Land der Romêt, vom heiligen Hapi abgewendet. Tritt näher, wandelnder Schatten des Palastes.«
Ich stieg langsam die flachen Stufen zum Thron hinauf, warf Amenemhets Schwester einen Blick zu und kniete vor dem Herrscher. Vor meinen Augen waren die goldenen Sandalen. Die Haut der Füße zeigte die feinen Alterslinien. Sein blütenweißer Schurz hing über knochige Knie, gestärkt und gefältelt bauschten sich die leinenen Bahnen. In den Händen hielt er die vergoldete Zeremoniengeißel und den Ankh-Stab mit dem Halbkreis, beides vor der Brust gekreuzt. Er sprach mit der Würde seiner Macht. Über seiner Nasenwurzel bäumte sich am Goldband der Krone die heilige Jaretnatter. Er hob einen Arm an und sagte halblaut, mit durchdringender Stimme:
»Nun spreche ich mit Asyrta-Nebkaura, der Herrscherin meiner Grenzen. Tritt neben Atlan, Nebkaura. Alle sollen euch sehen.«
Wir standen auf, nachdem sie neben mir gekniet hatte, ich nahm ihre Hand und drehte mich um. Dann gingen wir drei, vier Stufen aufwärts. Amenemhet sagte:
»Ich habe dir Auszeichnungen zukommen lassen, wie es dem Brauch entspricht. Du hast die Feinde des Reiches zerschmettert. Da du jetzt auf die Reise nach dem unendlich fernen Punt gehst, ist es schwer, dir zu geben, was deiner würdig ist. Was würdest du mit einem leeren Palast anfangen und mit dem Legat an Nahrung, das du nicht essen kannst, weil du an Bord eines Schiffes bist.«
Ich nickte langsam. Zwischen ihm und mir gab es keine Beziehung; er bedeutete für mich eine Art Abstraktion; aber alles, was ich unternahm, geschah auf seinen Befehl.
»Herr«, sagte ich, »warte ab, bis ich mit der Flotte und den Schätzen zurückkomme. Dann magst du gnädig sein und mir ein Wohnrecht in deinem Land einräumen, wo immer du willst.«
Überraschtes Murmeln ertönte hinter mir. War es die falsche Antwort, oder hatte diese unübliche Zurückhaltung die Menschen verblüfft? Ich vermochte aus dem Gesicht des etwa vierzigjährigen Mannes vor mir nichts herauszulesen. Vor mir hatte er an viele andere Männer Legate, Wohnrechte und Ähnliches verteilt. Er war großzügig, in der Tat. Jetzt öffnete er den Mund und ließ unregelmäßige, braune Zähne erkennen. Lächelte er etwa? Ich hob die Schultern und hörte:
»Dies war eine kluge Antwort. So soll es geschehen. Wann willst du zur Flotte reisen, Atlan-Horus?«
»Morgen früh, Herr«, sagte ich. Und da erkannte ich den plötzlichen Schrecken in seinem Gesicht. Angst und Wut verzerrten seine Züge. Er sah an mir vorbei. Ich hörte schnell hintereinander ein sausendes Geräusch, einen undefinierbaren Ton, als ob ein Tuch zerrissen würde, einen seufzenden Schrei. Ich fuhr herum, früh genug, um zu sehen, wie Asyrta langsam nach vorn kippte, beide Hände gegen ihre Brust presste. Zwischen ihren Fingern war Metall, tropfte Blut. Sie fiel wimmernd auf die Knie, über ihren Schultern wippte der Speerschaft nach vorn, der zwischen ihren Schulterblättern steckte. Ich fühlte nur eisige Kälte, die mich vollständig lähmte. Jemand schien näher zu kommen, eine Hand riss mich am Gürtel drei Schritt weit zurück, und der zweite Speer schlug klirrend in die Kante der Steinstufen ein. Mit lauter, brutaler Stimme sagte Amenemhet – ich hörte es wie aus großer Ferne –:
»Bringt ihn langsam um. Schächtet ihn!«
Er deutete mit der Geißel zur Rampe hinauf. Dort trieb wortlos eine Wache ihren Speer in den Unterleib eines Soldaten und drehte die Waffe langsam herum. Der Mörder begann schauerlich zu heulen.
Ich nahm das alles wahr, mit perfekter Klarheit, aber es berührte mich nicht. Es geschah nicht wirklich. Ich schaffte es irgendwie, die Stufen hinunterzugehen und mich neben Asyrta auf den Boden zu kauern. Unter ihrem Körper breitete sich eine hellrote Blutlache aus. Sie lag auf der Seite und sah mich an. Vielleicht spürte sie den Schmerz nicht mehr, als ich mit unendlicher Behutsamkeit ihren Kopf in meine Hände nahm und sinnlose Worte murmelte. Sie schien etwas sagen zu wollen, ihre Lippen zitterten, aber dann lächelte sie flüchtig und starb.
Ich hörte die Schreie des Mörders. Ich hörte auch die Geräusche von Sandalen, als eine Gruppe Soldaten denjenigen verfolgte und stellte, der den zweiten Speer auf mich geschleudert hatte. Ich hörte die Hiebe und Geräusche, mit denen die Streitäxte in seinen Körper schlugen; ich nahm wahr, dass sich seine Schreie mit denen des anderen Mannes mischten. Ich spürte, dass behutsame Hände mich an den Schultern fassten und hochzogen. Mit einer wilden Bewegung schleuderte ich den Körper hinter mir weg und auf die Stufen. Dann kauerte ich mich wieder auf die Hacken und sah das Gesicht meiner toten Freundin an.
Alle Empfindungen schienen abgestorben zu sein. Ich fühlte weder Trauer noch Hass, weder Verzweiflung noch Wut. Ich fühlte nichts. Eine dumpfe, ungeheure Masse schien auf jeder einzelnen Körperzelle zu lasten. Mein Verstand war gelähmt, völlig leer. Ich verlor jedes Zeitgefühl; irgendwann schob sich durch die Nebel vor den Augen ein Gesicht.
»Mein Freund!«, sagte eine Stimme neben meinem Ohr. Ich erkannte sie. Zakanza-Upuaut packte meinen Arm und sagte: »Schleudere mich nicht wieder auf die Stufen. Halt ihn fest, Ptah!«
Der Truppführer fasste meinen linken Arm, zusammen zogen sie mich hoch. Der Saal war fast leer, nur noch einige Frauen und Männer standen scheu an den Wänden und zwischen den Säulen. Zwei Blutspuren kreuzten sich im hinteren Teil der Halle. Die Musikanten saßen da und stierten uns an, die Tänzerinnen drängten sich zitternd in einer Gruppe zusammen. Mit sanfter Gewalt zogen mich meine Freunde hinaus ins Freie. Zwischen den letzten Säulen stemmte ich mich gegen ihren Druck, drehte mich um und sah eine Gruppe von Frauen, die einen dichten Kreis um Asyrta-Maraye-Nebkaura bildeten. Als sie wieder zur Seite glitten, war der Speer herausgezogen, und ein weißes Tuch lag über dem Körper. Ich starrte in die Sterne des unbarmherzigen Firmaments und wünschte mich irgendwo dorthin.
Dann schleppten sie mich hinaus, brachten mich in meine Räume und verließen mich. Ich wusste, dass sie auf jeden meiner Schritte lauschen und die lange Nacht hindurch wachen würden.
Ich ging auf die Terrasse, ließ mich in einen Sessel fallen und schloss die Augen. Es war schlimm, der absolute Tiefpunkt. Ich war endgültig allein. Nie wieder würde es jemanden wie Asyrta geben.
Sehr viel später verließ ich meinen Platz, goss gedankenlos irgend etwas in einen großen Becher und wanderte in den nächtlichen Park. Die Seerosen entfalteten unter den verfluchten Sternen ihre zauberhaft duftenden Blüten. Asyrta würde niemals mehr neben mir sitzen und etwas Belangloses sagen, an das ich mich gewöhnt hatte. Aus. Vorbei. Ich kämpfte mit dem Gedanken, meinen Zellaktivator in diesen Teich oder in den Kanal zu werfen und ein paar Tage zu warten – dann war ich ebenso tot wie Asyrta. Um Mitternacht oder später fand ich mich im Gras sitzend, an den schwankenden Schaft einer Palme gelehnt, den halbvollen Becher in den Fingern.
Und dann sah ich ihn, einen schlanken, halb gebückten Mann, nackt bis auf den weißen Schurz. Er trug etwas in beiden Händen. Barfuß kam er durch das taufeuchte Gras auf mich zu, kauerte sich vor mir nieder und ließ die Becher sinken. Er schwieg, und seine Blicke forschten in meinem Gesicht.
Ich sah ihn genauer an in einem Reflex aus kaltem Mondlicht, der vom Kanal herüberkam. Ein müder Mann mit tiefen Kerben zwischen Nasenwinkel und Kinn, schweren Lidern über den Augen und spärlichem Haarwuchs. Er roch nach fremdartigen Kräutern, aber als er mich ansprach, merkte ich, dass auch er getrunken hatte, nicht zuviel, aber genügend. Er hob den Arm.
»Atlan-Horus!«, sagte er mit weicher, aber präziser Stimme. »Ich will leise und gut mit dir reden. Hör zu.«
Ich hob den Kopf und erwiderte kopfschüttelnd:
»Lass mich. Ich will niemanden sehen, mit niemandem über nichts sprechen. Geh weg. Ich hab’ dich nicht gerufen.«
Er lächelte mich schmerzlich an und ließ den Oberkörper vor und zurück pendeln.
»Auch ungerufen spreche ich mit dir. Du hast sie geliebt, und nun ist sie bei Toth, dem Fürsten der Ewigkeit. Für dich ist sie unerreichbar geworden, und kein Trankopfer bringt ihren Körper zurück. Ich mag so alt sein wie du, und ich habe ebenso geliebt wie du, Horus.«
»Was willst du?«, murmelte ich. »Du verstehst nichts. Gar nichts.«
Er blickte in mein Gesicht. Seine Blicke packten mich mit magischer Eindringlichkeit ebenso wie seine Worte: »Ich will versuchen, mit dir zu sprechen. Ich kann tausend Soldaten foltern, aber ich kann nicht Asyrta lebend machen. Du und ich, auch wir werden eines Tages in der Totenbarke fahren. Aber sie ist jetzt inmitten der flammenden Götter, und sie lebt. Ich kenne deinen Schmerz. Auch ich war schon einige Male in der Tiefe, dort, wo du jetzt bist. Versteinert, kalt, unerreichbar, unansprechbar. Ich weiß, was du fühlst.«
Ich sagte müde, hoffnungslos und sarkastisch:
»Du bist wahrhaft ein kluger Mann voller warmer, tröstender Worte. Aber sie vermögen nichts.«
»Ich bin einer der wenigen Männer, von denen man immer Klugheit verlangt. In jeder Jahreszeit«, sagte er leise. »Hier. Dünge den Garten mit dem Wein. Nimm dies.«
Er hob einen Becher und hielt ihn mir entgegen. Ich erkannte endlich, ohne zu erschrecken, dass Amenemhet vor mir kauerte und mit betroffenem Gesicht in meinen Augen zu forschen schien.
»Herr«, sagte ich abwehrend. »Hier, jetzt … meinetwegen?«
»Ja. Du bist ein Narr, wenn du nicht begreifst. Ich habe viel mehr Freunde verloren als du, mehr Geliebte verloren und verlassen als jeder andere Mann im Hapiland. Und schließlich habe ich den besten und klügsten Vater verloren, den es gibt. Sag nicht, dass Schmerz für mich etwas Fremdes ist. Trink, Horus des Horizonts.«
Zögernd nahm ich den Becher und sagte leise:
»Asyrta, ich … wir kennen uns länger als viele Menschen. Wir haben alles geteilt: die Zeit, Erlebnisse und Einsamkeit. Immer wieder trafen und kreuzten sich unsere Wege. Wir haben Seite an Seite zahllose Abenteuer überstanden, den besten Wein getrunken, den saftigsten Braten gegessen und die besten Gedanken miteinander besprochen. Ich kann nicht beschreiben, welchen hohen Grad von Verstehen wir erreicht haben. Wir haben uns verstanden wie Freunde und tausendmal geliebt. Deswegen bin ich voll schwarzer Trauer. Weil das alles nicht zu wiederholen ist, zu keiner Zeit und mit keiner anderen Frau.«
Amenemhet deutete mit dem Zeigefinger voller Ringe auf den Pokal und sagte streng:
»Trink, mein Freund. Du wirst alle diese Dinge, nein, andere Dinge, im Erleben gleich tief, mit einer anderen Frau erleben. Mit anderen guten Freunden. Ich weiß, wie schwer es ist, aus einer Geliebten eine Freundin zu machen. Und weil du, Atlan, kein Romêt bist, sondern ein kluger Mann aus einer fremden Welt, einer anderen, unbegreiflichen Zeit, deswegen wirst du deinen Schmerz schließlich besiegen. Glaube es mir, deinem haarlosen Herrscher.«
Gänzlich verwirrt vom Schmerz und der Erkenntnis dessen, was Amenemhet in beispielloser Kühnheit ausgesprochen hatte, trank ich einen Schluck aus dem Pokal. Es schmeckte wie harziger, schwerer Rotwein.
»Ich habe nicht verstanden«, sagte ich endlich und keuchte.
»Du hast alles sehr gut verstanden. Ich will keine Geständnisse. Ich weiß es. Der Herrscher ist verpflichtet, zu wissen und dort, wo er nicht weiß, zu spüren. Ich habe dich durchschaut. Du bist sowenig ein Romêt wie ich ein schwarzhäutiger Nehesi aus Wawat.«
Er atmete tief.
»Denkst du etwa, Zakanza, mein bester Bote, ist aus dem Land Wawat? Er ist einer der klügsten Menschen zwischen dem zweiten Katarakt und dem Oberen Meer. Denkst du etwa, Auge des Falken, dass Ptah-Sokar, der noch nie einen Pfeil am Ziel vorbeigeschossen hat, nur ein Mann aus dem Hapiland ist? Ich weiß nicht, woher er kam, aber ich weiß, dass er ein guter Mann ist. Er ist treu und betrügt nicht. Das ist mehr, als ich von Tausenden Beamten und Schreibern sagen kann. Warum wohl muss ich mich schminken lassen, ehe ich auf dem Thron sitze? Trink endlich aus, bei Osiris!«
Ich war noch verwirrter, dachte nicht klar, weinte und trank. Selbst mein Logiksektor schwieg. Was Ameni sagte, war richtig. Ich hatte es nur nicht gemerkt, oder mein Unterbewusstsein hatte mich dazu verleitet, nichts merken zu wollen. Atlan, Zakanza und Ptah! Drei Fremde. Erkannt und enttarnt. Aber als Freunde akzeptiert. Dann merkte ich erst, was Amenemhet eigentlich getan hatte. Es war ihm gelungen, nadelfeine Pfeile durch den Panzer meiner dumpfen Unansprechbarkeit zu schießen. Ich unterhielt mich mit ihm. Er war tatsächlich ein weiser Mann, obwohl er biologisch ebenso alt war wie ich, ungefähr. Aber ich war viel älter, sollte tausendmal weiser sein! Und jetzt wirkte er völlig anders als auf dem Thron. Er war ein Mensch, ein Mann, der schwer an einer Last trug, die schon andere erdrückt hatte. Abermals stürzte ich einen Schluck dieser undefinierbaren Flüssigkeit hinunter und schluckte keuchend.
»Ich habe getrunken, Herr des Landes«, sagte ich leise. »Und jetzt bin ich sehr verlegen.«
»Warum?« Er legte seine Hände auf meine kalten Schultern.
»Weil der Gottkönig im Gras kauert und versucht, einen Fremden zu trösten.«
Er stieß ein sarkastisches Gelächter aus.
»Trösten? Wenn jemand wirklich Trost braucht, dann ich. Du hast deine Freunde; ich weiß genau, dass du lange brauchst, um Asyrta zu vergessen. Aber dann, bald, wirst du wieder ein Mädchen im Arm halten und Asyrta fast vergessen haben. Wenn ich vergessen will – und ich habe viel zu vergessen, weil es mich sonst umbringt! –, dann gehe ich in meinen Harem und vergnüge mich mit einer Konkubine, die vor Ehrfurcht versteinert, weil sich Amenemhet lüstern nähert. Liebe oder Verliebtheit ist so echt wie Mondlicht, das man für Silber hält.«
Schöne Metapher, bemerkte das Extrahirn. Ein Mann ohne Freunde und mit wenig Freuden. Du kannst ihm nicht helfen. Hilf dir selbst, Atlan! Er wird schwerlich in eurem Säuferschiff nach Punt fahren! Ich trank den Becher aus und warf ihn zur Seite. Im Palast gab es noch mehr davon. Dann streckte ich die Hand aus und legte sie Amenemhet auf die Schulter. Ich war fähig, durch die Trauer hindurch zu sagen:
»Mächtigster Mann des Landes. Du hast recht, und ich danke dir, weil mir deine Worte geholfen haben. Ich spreche nicht zum Herrscher, sondern zu einem Mann, zum Freund, dem die Haare ausfallen. Ich danke dir mehr, als ich heute aussprechen kann. Du wirst vielleicht einmal in Not sein. Ruf nach mir, und ich komme vom anderen Ende der Welt, um dir zu helfen. Dies ist keine Floskel. Ich bin viel zu traurig, um zu lügen.«
»Ich werde dies tun. Hoffentlich reicht dann die Zeit. Ja, ich werde es tun. Dann wird mein Doppelgänger oder Sesostris, mein Sohn, regieren, und ich jage mit euch Löwen. Vielleicht hast du in deinem Lied des Lebens auch eine lästerliche Strophe übrig, die sich auf meinen Namen reimt, Fremdling mit dem weißen Haar.«
Wir standen auf. Er trank seinen Becher aus und warf ihn auch über die Schulter. Dann sagte er halblaut und eindringlich: »Leb wohl. Schlaf gut und tief. Und vergiss. Du hast Zeit, um zu vergessen, Atlan-Horus.«
Ich streckte die rechte Hand aus und legte die Linke auf seine Schulter. Er tat dasselbe und murmelte:
»Diese Nacht wird sich so und in nächster Zeit nicht wiederholen. Achte darauf. Man erwartet es von dir und mir.«
Eine merkwürdige und irgendwo hellsichtige Regung ergriff mich. Ich sah ihn einen Moment lang als Spitze des Staatsgebäudes, aber dieses Bauwerk stand auf dem Kopf, und die Basis wies gegen den stahlblauen Himmel. Verglichen mit seinen Problemen waren meine mikroskopisch. Wir tauschten einen langen, festen Händedruck aus. Amenemhet stand auf und stützte sich gegen einen Palmenstamm.
»Ich vergesse es nicht. Und: Rufe, schick Boten oder such mich. Wenn du jemanden brauchst, der dir hilft, werde ich da sein. Wann auch immer ich es erfahre.«
»So wird man es nicht schreiben«, sagte er und lachte ironisch.
»Aber so wird es geschehen«, gab ich zurück. Er ging zurück und hinterließ eine breite Spur im nassen Gras. Seine Beine waren ein wenig einwärts gekrümmt. Ich sah ihm nach, bis er zwischen seinen Sphingen aus Diorit verschwand. Dann wandte ich mich in die Richtung, aus der ich gekommen war, ging fünfzehn Schritte, sah noch einmal das vage, vom Tod gezeichnete Lächeln Asyrtas, taumelte und fing mich an einem Palmenstamm, dann schlug ich schwer zu Boden. Ich hörte eine Stimme, in der ich Ne-Tefnacht zu erkennen glaubte – oder eine andere Person. Die Stimme sagte:
»Bringt ihn weg, Zakanza und Ptah. Tragt ihn vorsichtig in seine Räume. Schnell, auch wenn ihr vor Kummer betrunken seid! Ich kümmere mich um ihn! Vorsichtig, ihr Trunkenbolde.«
Viel später erfuhr ich, dass ich fast drei Tage lang geschlafen hatte. Der oberste Kenner der Gifte und Tränke hatte eine teuflisch wirksame Mischung gefunden.
Ich war mit mir und meinen schwarzen Gedanken allein, und das war gut. Sieben halbe Tage lang waren wir die Straße des Enenu entlanggefahren. Drei Stuten zogen den Wagen, der mit dem letzten Rest meiner Ausrüstung und mit der unersetzlichen Seekarte beladen war. Ne-Tefnacht war eine gute Reisegefährtin, weil sie klug war und schwieg. Sie sprach nur, wenn ich sie fragte. Sie schlief abseits von mir im Sand, kümmerte sich um alles, und letztlich war auch ihr Gepäck sehr gering. Ich kannte die Zeichen und deutete sie richtig: Die Pferde waren erschöpft, die Achsen kreischten, der Wagenkorb war mitgenommen. Bis zum Strand würde das Gespann noch überleben. Ich warf die Wassersäcke aus Leder über meine Schulter und sagte zu dem alten Mann, der die letzte Brunnenstelle vor dem Treffpunkt bewachte:
»Ich danke. Du sagst, der Tross mit vielen Lasttieren ist vor zwei Tagen hier vorbeigekommen?«
Er lächelte zahnlos und versicherte nickend:
»So ist es, Herr Atlan. Jener Nehesi mit dem kalten Lächeln war bei ihnen und auch der andere mit seinem riesigen Bogen und den drei Köchern. Sie sagten mir, du würdest mit fremden Tieren hier ankommen, und sie versprachen, mich auszuweiden, wenn ich nicht jeden Wunsch von deinen Augen ablese.«
Ich gab ihm zwei Schat Goldes und lachte kurz.
»Keine Sorge. Ich danke dir abermals. Es war ein gutes Essen, wir haben gut geschlafen, und dein Wasser ist frisch. Amenemhet ist dir und uns wohlgesinnt!«
Er berührte mich scheu am Arm und sagte mit einem kurzen Seitenblick auf das schöne Mädchen, das im Wagenkorb saß und die Lederschnüre des Gepäcks festzog:
»Ein reizendes Kind, Herr. Vor Tagen war hier ein Mann, der mich nach dir ausfragte. Ich konnte ihm nichts sagen, und an einem Morgen ging er in die Wüste hinaus und blieb verschwunden.«
»Was tat er?«, fragte ich, nicht sonderlich beunruhigt.
»Er trank viel, schlug sein Wasser zwischen den Büschen ab und ging. Ich kenne ihn nicht.«
»Gab er dir etwas?«
»Nur schlechten Atem und ein böses Lächeln.«
Ich schlug dem alten Soldaten leicht gegen die Schulter und erwiderte: »Ich danke dir, Pi-Hasi. Es war ein Feind. Auch ich habe einen großen Bogen und gefüllte Köcher. Und ich kann kämpfen. Ich werde nicht sterben. Sei gegrüßt.«
»Sei gegrüßt, Herr Atlan. Horus wache über euch allen. Bringt mir eine fette Frau mit aus Punt!«
»Vielleicht finden wir eine!«, lachte ich. Ich hängte die Wassersäcke in den Wagenkorb, gab der jungen Frau die Hand und zog sie hoch. Wir befestigten unsere breiten Gürtel an den Lederriemen. Vor kurzer Zeit hatten die Tiere getrunken und waren mit Heu und Körnern gefüttert worden. Vor uns lag der letzte Abschnitt der Straße. Am Ende dieser halbtägigen Fahrt warteten die Schiffe, deren Mannschaften inzwischen eingearbeitet waren, und auch alle Fehler der vierundzwanzig großen Schiffe würden erkannt und beseitigt worden sein. Ne-Tefnacht legte die Hand auf meine Brust, sah in meine Augen und strich die Falten meiner Stirn glatt. Sie fragte:
»Nimmst du die Zügel, Atlan?«
»Ja.« Ich sah sie ernst an, und ich erinnerte mich an jede einzelne Nacht in dem weißen Haus zu Nubet. Aber ich erinnerte mich auch an Asyrta und ihr vergehendes letztes Lächeln. Deswegen sagte ich weiter: »Verzeih, Ne-Tefnacht, dass ich in diesen Tagen und Nächten nur deine Freundschaft schätze und mit dir spreche wie mit einem Mann.«
Sie seufzte und sagte mit einer stillen Klugheit, die mich verblüffte:
»Ich weiß nicht, woran es liegt, dass viel zu viele Männer glauben, Frauen seien so dumm, wie die Männer es sich denken. Ich kenne dich, Atlan, und ich bin auch nicht dumm.«
Ich senkte den Kopf und riss an den Zügeln. Die Tiere ruckten an, fielen in leichten Trab und verließen das Viereck um den Brunnen. Muut-Hotep und Pi-Hasi winkten uns, bis wir hinter der nächsten Windung verschwunden waren.
»Wenn ich dummes Zeug rede, dann deshalb, weil ich nur zögerlich und unwillig vergessen kann. Ich möchte dir nicht unrecht tun. Mein Herz und meine Haut sind überall wie eine offene Wunde.«
»Ich weiß«, sagte sie. »Kümmere dich um deine schlappen Tiere und um die Straße.«
Die meisten einfachen Menschen waren so klug! Und ich, Kristallprinz von Arkon, schien der dümmste Hund zwischen Pol und Äquator zu sein. Die Stuten wurden schneller, und vor uns ging die Sonne jenseits der öden Felsen des Meeres auf. Eine Stunde verging, eine zweite. Ich hielt an, strich Hundefett in die Naben, denn es eignete sich besonders gut als Schmiermittel, tränkte die Tiere und wusch ihnen Augen und Nüstern. Wieder rasten wir dahin, zwischen den Steinen, mit bis zur Unkenntlichkeit ausgedörrten Binsenbüscheln, und gegen Ende des ersten Drittels der Strecke geschah es. Bald merkte ich betroffen und unsicher, dass die Tiere einen absonderlichen Geruch verströmten. Ich dachte nicht viel dabei, aber nach kurzer Zeit summierten sich die seltsamen Ereignisse zu lebenswichtigen Beobachtungen:
Die Tiere stanken, gehorchten Zügel und Trense nicht mehr, wurden schneller und rasten dahin, aber blieben noch auf der glatten Straße, stöhnten, schwitzten und keuchten. Dann wurde der gelbe Schaum um ihre Mäuler rot und grau. Ihre Lungen pfiffen wie die Blasebälge eines Kupferschmieds. Das Tempo erhöhte sich, aber aus dem rasenden Stakkato der Hufschläge wurde ein unrhythmisches Geräusch. Wieder wieherte ein Pferd schmerzlich grell.
»Sie werden verrückt, Atlan!«, schrie Ne-Tefnacht.
»Ich höre es. Irgend etwas ist verkehrt.«
Dann befiel Raserei die Tiere. Ihre Körper dehnten sich und zogen sich zusammen. Die Muskeln verkrampften sich und bildeten unter dem Fell dicke, starre Wülste. Sie wurden, obwohl ich an den Zügeln zerrte, schneller, keuchten lauter, und es war vollkommen sinnlos, Zügel oder gar die Peitsche einsetzen zu wollen. Aber sie rasten wie Wahnsinnige noch die Straße entlang, folgten deren schlangenartigen Windungen und husteten blutigen Schaum aus den Lungen. Jeder keuchende Atemzug verwandelte sich in raues, winselndes Wimmern. Der rasende Galopp wurde unregelmäßig. Immer wieder stolperte eines der Tiere, rannte aber weiter. Ich stand hinter den Zügeln und wusste nicht, was ich tun sollte. Ich dachte an meinen Dolch, aber ich zögerte. Jeder stolpernde Schritt brachte uns dem Ufer näher. Ne-Tefnacht klammerte sich an den Wagenrand und schrie durch die Laute der Tiere:
»Sie sind vergiftet, Atlan! Sie werden sterben!«
Das Ende deines Versuchs, Pferde im Nilland einzuführen, dröhnte der Logiksektor. Ich ließ die Zügel los und knotete sie, ohne sie zu straffen, an den Wagenkorb. Dann hielt ich mich am Rahmen fest und wartete, die Reaktionen der Pferde sorgsam beobachtend. Immer häufiger wurde ihr Stolpern, aus dem flockenden Schaum war helles Blut geworden, und die schmerzlichen Schreie bekamen eine schrille, endgültige Lautstärke.
Dann stolperte das in der Mitte angeschirrte Zugtier, brach in die Knie und zerriss die Riemen, als es sich überschlug. Eine Deichsel brach. Der Wagen geriet ins Schlingern. Ich fasste Ne-Tefnacht an der Schulter und zog den tödlichen Dolchstrahler. Die Tiere rechts und links stemmten die Hufe in den Boden, schlitterten einige Schritte weit auf ihren Hinterbacken dahin und hielten mit zitternden Flanken, wild arbeitenden Lungen und hochgerissenen Köpfen an.
Mit drei Schnitten zertrennte ich die Riemen, die uns festhielten, sprang aus dem Wagen und rannte zu den Tieren. Sie rissen die Köpfe hoch, wieherten gurgelnd und brachen, halbwegs von den reißenden Lederriemen gehalten, wild auskeilend zusammen. Ich zog den Dolch, wählte den Durchmesser des Energiestrahls und gab drei Schüsse ab. Die Tiere starben, das Echo der Schüsse rollte wie Donner über die Wüstenschlucht. Ich zog das Vibratormesser aus dem Stiefelschacht und durchschnitt das Geschirr, stemmte mich gegen die Deichsel und schob den Wagen rückwärts zwischen den Kadavern hervor. Ne-Tefnacht sprang auf die Straße.
»Tragen wir das Gepäck? Oder ziehen wir den Wagen?«
»Ich denke, es ist leichter, den Wagen zu ziehen«, antwortete ich und holte tief Luft. Meine Erinnerung sagte mir, dass wir nicht weniger als fünf Stunden bis zum Meer zu marschieren hatten. Ich sah nach dem Stand der Sonne, wir packten die Deichsel und zogen schweigend den Wagen mit der Ausrüstung weiter. Der Logiksektor flüsterte: Dein Mörder hofft, dass du dich verirrst und in der Wüste verdurstest. Überanstrengt euch nicht! Wir begegneten niemandem, sahen nichts außer Felsen, Sand und strahlendem Himmel, an dem die beiden Robotfalken kreisten; sieben Stunden später erreichten wir das Ende der Straße. Ich zog den Dolch, gab einen donnernden Schuss ab, nahm die Hand Ne-Tefnachts, und wir stolperten hinunter zu den Menschen im Schiffslager.
Der Historiker stützte den Kopf schwer in die Hände und betrachtete, ohne die Holografie wirklich genau zu sehen, die Landschaft um Kuseir am Roten Meer. Jetzt verstand er die Melancholie in Atlans Worten, wusste, wovor er sich gefürchtet hatte, erkannte die abgrundtiefe Trauer, die der Arkonide über den Verlust Asyrta-Nebkauras empfunden und die in seinem Bericht wie in einem dunklen Spiegel reflektiert wurde. Die Pause in der unfertigen Erzählung hatte fast auf die Minute genau zwölf Stunden gedauert; jetzt schien der Arkonide tief Luft zu holen und fuhr in seinem Bericht fort. Der Kämpfer für Amenemhet stand kurz vor dem Augenblick, an dem die Punt-Flotte ablegte. Cyr Aescunnar schloss seine Augen. Das linke Auge schmerzte, er stand auf und ging ins Bad, um schmerzlinderndes Spray einzusetzen; er suchte eine Brille mit photosensitiven Gläsern und blieb schweigend und tief nachdenklich vor dem Halbrund der technischen Ausstattung stehen. Atlans Worte hatten ihn tief erschüttert. Als der Interkom summte, zuckte Cyr zusammen. Er tastete das Gerät ein und erkannte Sarough Viss, den Piloten der KHAMSIN, jenes Schiffes, mit dem Atlan und seine Freunde von dem berstenden Planeten Karthago II geflüchtet waren. Viss wirkte aufgeregt und zerfahren.
»Ich hab’ gerade in der Überlebensstation angerufen. Das heißt, ich hab’s versucht. Das Planetare Krankenhaus gibt über Atlans Zustand keine Auskunft. Weißt du etwas? Wie geht es ihm?«
»Atlan kämpft noch immer um sein Überleben. Du kennst seine Verletzungen besser als ich, Sarough. In der letzten Woche ist die Herzfrequenz unseres Statthalters zweimal aus dem Takt geraten. Aber mir hat Ghoum-Ardebil versichert, alles sei unter Kontrolle. Seiner Meinung nach ist kein Rückschlag mehr zu befürchten.«
»Mich haben die anderen gefragt: Haida Khar, Drigene, Djosan und natürlich Scarron. Was berichtet Atlan?«
»Knapp vier Jahrzehnte nach dem Stonehenge-Zwischenfall kämpfte er wieder gegen einen ausgebrochenen Androiden von Wanderer. Asyrta, die Freundin der letzten Abenteuer, fand er als Statthalterin am Nil-Oberlauf. Ein gedungener Mörder brachte sie um; jedenfalls hat das meinen Herzschlag beeinflusst, Sarough.«
Der Pilot nickte schweigend. Sein Blick glitt über Cyrs Monitoren und die Batterie der Geräte und blieb auf Atlans Körper im Überlebenstank haften. Sarough Viss, für den der Verlust des Heimatplaneten ebenso schwer war wie für jeden Bewohner Gäas in der Provcon-Faust, war an jeder Information über die Erde brennend interessiert, auch wenn sie aus der Vergangenheit stammte. Und dass der Zellaktivator Atlans Leben unzählige Male gerettet hatte, wusste er spätestens seit den planetaren Riesenbeben und den Vulkanausbrüchen auf der Mucy-Welt; er war sicher, dass das Ei auch jetzt das Überleben und Gesunden Atlans beeinflusste. Ununterbrochen erschienen auf der Leseplatte des Stimmprinters Buchstaben und formierten sich zu Worten und Sätzen.
»Worüber berichtet er gerade, Cyr?«
»Er fuhr mit den letzten Pferden von Geb-Teju, dem heutigen Koptos in Ägypten, durch das Tal Rohani oder das Wadi Hammamat zu einem Strand namens Seba, heute Kuseir. Die Pferde starben; sie waren vergiftet worden. Nun führt er eine Flotte ins Land von Gold und Weihrauch.«
»Hör zu, Cyr. Versprichst du’s uns? Ruf uns an, wenn es ihm bessergeht. Scarron, seine Freundin, ist ganz verzweifelt. Wir erfahren ja sonst nichts außer wilden Gerüchten.«
»Versprochen, Sarough. Solange er so ruhig und gleichmäßig spricht wie jetzt, besteht keine Gefahr. Sonst würden wir lauter aufgeregte Arzte am Überlebenstank sehen.« Cyr spielte mit verschiedenfarbigen Speicherwürfeln und schob sie in den Ladeschacht des Holografieprojektors. »Außerdem besuchen uns heute Abend Scarron und Djosan mit Drigene. Bis dahin sind wir ein bisschen klüger. Und zuversichtlicher, denke ich.«
»Das hoffen wir alle. Bis bald, Professor!«
»Danke. Bis bald, Pilot.«
Das Bild im Interkom löste sich auf. Cyr studierte einige Minuten lang die Anzeigen der medizinischen Überwachungsgeräte; sämtliche Informationen der MASTERCONTROL-gesteuerten Sensoren aus der Intensivstation wurden über Lichtleiterkabel und störungssichere Bildfunkbrücken in Cyrs Außenbüro der Historischen Fakultät der Chmorl-Universität übertragen. Aescunnar setzte sich und wippte unschlüssig mit dem Sessel.
»Was würde ich darum geben, Atlan, wenn ich dir helfen könnte«, murmelte er. »Was bleibt mir? Ich kann nur deine Erzählungen in die ANNALEN DER MENSCHHEIT eingliedern und so gut dokumentieren, wie es meinen Studenten und mir möglich ist.«
Er schaltete die Lautsprecher ab, nachdem er die Kopfhörer aufgesetzt hatte. Die Karte des Hapilandes, die uralte Straße, einst ein Karawanenweg durch das Tal Rohani, das farbige holografische Modell eines der Schiffe, deren Planken mit Schnüren aneinandergeknotet waren, und Teile der östlichen Küste des Roten Meeres und des afrikanischen Großkontinents in unterschiedlichen Vergrößerungen und thematischen Wiedergaben wechselten sich ab. Der Arkonide, das Werkzeug von ES und Diener des Amenemhet, war nach dem Mord an Asyrta an seinem persönlichen Tiefpunkt angelangt: Ob Zakanza-Upuaut, der schwarzhäutige Nehesi-Anführer, Ptah-Sokar, der Heeresführer und Bogenschütze, und die liebreizende Ne-Tefnacht ihn aus der schwarzen Tiefe seiner Verzweiflung herausholen konnten, blieb fraglich.
Cyr Aescunnar musterte die Stichworte seiner gespeicherten Informationen durch. Julian Tifflors Administration, die Universität und die United Stars Organisation hatten ihre Speicher geleert und ihm zur Verfügung gestellt. Er entschied sich und rief eine USO-Publikation auf:
Meeca Netreok: Zahlen, Zenturien, Ziele und Zeugnisse – aus derArbeit des USO-Historischen Korps. Sonderdruck. Powder City, Mars. 2391 Stand.zeit
»… besonders schwierig die Datierung der Überlieferung alter Völker. Erst ab Alexander dem Großen versuchten Gelehrte die Vergangenheit und ihre eigene Gegenwart zu datieren. Babylonische und indische Zeiten operieren mit Jahrmillionen; im Christentum glaubte Eusebius, Abrahams Leben auf 2015 v.d.Z. bestimmen zu können. Im Mittelalter legte die jüdische historische Forschung fest, dass die Welt am 7. Oktober 3761 v.d.Z. erschaffen worden sei, und der irlandgebürtige Bischof Sir James Usher (1580-1656) präzisierte den Beginn der Erd-Erschaffung auf den 23. Oktober 4004 v.d.Z., vormittags um exakt 9 Uhr (sic!). Für die fast unübersehbar lange Reihe der ägyptischen Herrscher – als ›Pharaonen‹ wurden sie erst von den Griechen bezeichnet – schrieb Manetho, ein ägyptischer Priester aus Sebennytos im fruchtbaren Dreieck der Nilmündung, um 270 v.d.Z. eine dreibändige Geschichte. Neben anderen Dokumenten (Manethos Original ist verschollen) dient die Aufreihung der Namen, Familien, Dynastien als Basis für die seriöse historische Forschung; namhafte Ägyptologen haben als das Jahr des Regierungsantritts von Meni-Narmer 28 (!) Zahlen zwischen 5867 (Champollion-Figeac) und 1700 (Sharpe) v.d.Z. ermittelt. Zu seiner Meinung über Geschichtszahlen befragt, schlug Lordadmiral Atlan vor, lediglich die Jahreszahlen seines Roboters Rico nach Untergang von Atlantis (NUvA) zu akzeptieren; selbst er, trotz seines perfekten Erinnerungsvermögens, brächte manche Jahreszahlen durcheinander …«
Aescunnar grinste. Für Atlans Kampf und Punt-Fahrt, die in die letzten Regierungsjahre des Amenemhet fielen, hatte Cyr 6083/84 NUvA errechnet; seit 1897 v.d.Z. war der junge Sesostris die rechte Hand seines Vaters. Aescunnar rechnete nicht mit den Jahreszahlen nach Manetho. Wie lange die Reise nach Punt und zurück dauern würde, konnte er nur schätzen. Er rechnete zwei Jahre, und je mehr er sich in Atlans Erzählung vertiefte, desto geringer wurde sein Interesse an geschichtlich exakter Terminologie. Atlan und Ne-Tefnacht hatten die Schiffe und das Lager erreicht und waren in Sicherheit.
Als ich spät nachts im Heck eines Schiffes saß, den Rücken gegen die Bordwand gepresst, die Knie mit den Armen umfassend, hörte ich die Stimme von ES. Ich war todmüde und konnte nicht einschlafen. Diesmal gestattete ES sich kein Gelächter.
Nicht einmal ich habe diese Entwicklung voraussehen können,Arkonide Atlan. Ich weiß, wie du dich nach dem Mord an deiner Geliebten fühlst.
»Ist es dir nicht gleichgültig, was deine Spielfiguren fühlen?«, murmelte ich. »Für dich gelten nur pragmatische Grundsätze.«
Mir ist nichts gleichgültig. Ein Geschehen ist wichtig für Larsaf Drei, etwas anderes ist unwichtig. Bisher hast du mich immer verflucht, wenn ich deine Erinnerungen sperrte oder manipulierte. Du wirst mir dankbar sein, ohne es zu wissen, wenn ich wiederhole: Deine und Asyrtas gemeinsame Vergangenheit werden mitsamt der Trauer bald verschwunden sein. Ohne in deinem Schmerz versunken zu bleiben, wirst du die Schiffe nach Punt führen; ich schenke dir das gute, heilende Vergessen …
Die Stimme schwieg. Einige Atemzüge danach spürte ich stechenden Kopfschmerz, der mich taumeln ließ. Ich kletterte die Leiter hinunter in den Sand, packte die Stützen der Bordwand und suchte meine Packtaschen. Ich nahm eine arkonidische Arznei, spürte Müdigkeit und gähnte; ich war bei meinen Freunden sicher, und eine schöne junge Frau begleitete mich. Ich streckte mich auf Fellen und Mänteln im Heck aus, blickte in die Sterne und blinzelte, dann schlief ich ein und vergaß.
Das beste Schiff, die LOB DER HATHOR, setzte mit dem Bug ein, warf riesige Mengen Gischt auf und schwang in der Welle aus. Es segelte mit eingezogenen und festgezurrten Riemen steuerbord voraus; dreiundzwanzig Schiffe folgten in Kiellinie. Das riesige Leinensegel blähte sich zwischen den Rahstangen; unser Zeichen war Hathor, die Göttin der Liebe, die Große Himmelsgöttin mit den silbernen Hörnern, Herrin auch von Punt. Unzählige Planken und Spanten aus Zedernholz, Tribut aus den Wäldern jenseits von Byblos, die zum Schwarzen Dreieck geflößt und von dort hapiaufwärts gebracht, gesägt und geschnitzt und in Menefru-Mirê zusammengebaut worden waren, jede Elle Tauwerk, jeder Bronzenagel, selbst die Körbe voll Erdpech, das die Planken dichtete, waren hapiaufwärts geschafft und durch das Tal Rohani entlang der Brunnen des Henenu geschleppt worden, zum Platz des Zusammenbauens. Jedes Schat Proviant und jeder Krug Wasser ebenso. Ein gemeinsames Schicksal drängte die vielen Menschen auf den Schiffen zusammen.
Ptah-Sokar, nur mit Sandalen und einem Hüfttuch bekleidet, deutete zur Küste. Sie war von grauenvoller Öde: Felsen, Steintrümmer, Sand, Spalten und Hänge – alles war von der Sonne ausgelaugt, gelb und rötlich, ohne jeglichen Pflanzenwuchs, Quellen oder Flussmündungen, ohne jedes Wild. Seit fünf Nächten und Tagen glitten unsere Schiffe an dieser Kulisse vorbei, die jedem Landenden den Tod versprach.
»Jetzt erst weiß ich, was Henenu schaffte. Er und seine Leute, es waren alles Helden!«
Ich dachte an unsere dahinschmelzenden Vorräte und das wenige Wasser, sah das pralle Segel an und antwortete:
»Ich hoffe, dass wir nicht in die Verlegenheit kommen, ebenfalls Helden sein zu müssen.«
»Punt ist weit«, murmelte er. Unsere Körper troffen von Schweiß und von Öl mit dem Duft der Zedern. Bisher war es, von windstillen Nächten abgesehen, eine rasche Fahrt gewesen. Wenn wir die Regionen erreichten, in denen es wenigstens Trinkwasser gab, ehe die knapp eintausend Männer zu leiden begannen, war die erste Hälfte der Expedition so gut wie gerettet.
»Aber wir haben Punt fast erreicht! Nicht ein Mann ist verhungert oder verdurstet«, argumentierte Nebamum, der alte, runzlige Mann, der von sich behauptete, vor achtzig Jahren oder mehr mit Henenu gesegelt zu sein. Ich glaubte ihm kein Wort.
»Dann werden wir es auch schaffen«, sagte grollend Zakanza-Upuaut. Unser Weg führte nach Süden. Rechts von den Schiffen, steuerbords, befand sich das felsige Ufer. Das Fahrwasser war weit hinaus in das langgestreckte Meer mit Riffen, Bänken und winzigen Inseln übersät, tödliche Fallen für die leichten Schiffe. Noch hatte sich die Ordnung nicht aufgelöst, noch murrte niemand. Aber, wie Ptah-Sokar in treffender Kürze gesagt hatte: Punt war weit. Wir mussten die Strecke zurücklegen, die zwischen Seba am Ende des wasserlosen Pfades und dem namenlosen Fluss nahe dem terrassenförmigen Balsamberg am Äquator lag; eine Reise, die mit Aufenthalten zwei Jahre dauern konnte. Wir hatten Zeit, aber Zeit war weder Wasser noch Nahrung, konnte weder Krankheiten besiegen noch Schiffsunglücke verhindern. Und wir hatten einen Auftrag, den wir erfüllen wollten. Mach dir keine überflüssigen Sorgen, Arkonide, sagte der Logiksektor. Zusammen mit deinen Freunden und der Mannschaft wirst du es schaffen. Denk daran, dass ES immer für eine Überraschung gut ist!
Ich lächelte grimmig. Vor einem halben Mond waren die Pferde vergiftet worden. Amenemhet, mein Freund, wartete auf uns. Die Kielräume der Schiffe waren voll geschäfteter Bronzebeile, Ketten und Schmuckstücken, angefüllt mit gepolsterten Packen, in denen prächtige Tonbecher auf ihre neuen Besitzer warteten; Halsbänder und Bronzemesser lagen dort, in farbige Leinentücher eingewickelt. In wachsversiegelten Tonkrügen steckten bronzene Pfeilspitzen. Wir würden sie gegen Waren von Punt tauschen. Jedes Schiff war probegesegelt und ans Land gezogen worden. Dort hatten die Baumeister jedes Teil überprüft und Schäden und Fehler beseitigt. Neunhundertsechzig Handwerker, Soldaten, Pfadfinder, Bogenschützen und Byblosfahrer befanden sich auf den Schiffen, dazu etwa ein halbes Hundert verantwortlicher Männer. Und Ne-Tefnacht, die ich wiedergetroffen hatte im Palast des Amenemhet. Sie war bisher auf unserem Flaggschiff das Zeichen der guten Laune gewesen; jeder mochte sie. Sogar der alte Nebamum.
Jetzt gegen Mittag, blies der Wind aus dem Nordwesten noch immer. Ich blieb misstrauisch; schon oft war er ausgeblieben; wir hatten zu den langen Riemen greifen müssen. Die Taue aus Sehnen und Hanf knirschten, die zusammengesetzten Rahen ächzten; unaufhörlich traf ein feiner Regen aus Salzwasser die fünfundvierzig Männer der Besatzung. Ringe aus Kupfer funkelten am Mast, blankgescheuerte Bronzeteile spiegelten das Licht. Nicht eine einzige Wolke war am Sommerhimmel.
»Deine Karte, Atlan«, fragte Ptah-Sokar. »Was sagt sie?«
Wir standen, kauerten und saßen im Heck der HATHOR. Hier waren steuerbords und backbords die senkrecht ins Wasser ragenden Seitenruder angebracht. Ipuki, unser Steuermann, hatte bisher jede Situation gemeistert, aber er war noch nicht gefordert worden. Ich versuchte auch den zweiten Robotfalken zu sehen.
»Ich verstehe deine Frage nicht ganz, Ptah«, gab ich zurück. »Was meinst du?«
Zakanza-Upuaut, der trotz seiner dunklen Haut schwitzte, lachte breit und zeigte seine schneeweißen Zähne.
»Er meint«, erklärte er, »wie lange wir noch an diesen ungastlichen Felsen entlangsegeln müssen.«