ATLAN X: Die Rätsel von Assur - Hans Kneifel - E-Book

ATLAN X: Die Rätsel von Assur E-Book

Hans Kneifel

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Beschreibung

Das Jahr 1840 vor Beginn der christlichen Zeitrechnung: Seit dem Untergang von Atlantis ist der Arkonide Atlan auf der Erde gestrandet, seit Jahrtausenden versucht er, die Menschheit zu fördern. Eine der Kulturen, in die er seine Hoffnung setzt, entsteht im Zweistromland – es ist das mächtige Assur. Doch das Reich, das sich zwischen Euphrat und Tigris zu einer Großmacht entwickelt, wird nicht nur von Feinden bedrängt, die ihre Gebiete in der Nachbarschaft aufbauen. Plündernde Weltraumnomaden landen auf der Erde – eine Gefahr, die Atlan und seine Gefährten erst einige Jahre zuvor besiegt hatten. Gleichzeitig weitet Shinkashid, ein neuer Herrscher, seinen Einfluss im Zweistromland aus. Atlan will herausfinden, auf wessen Seite der junge Fürst steht und was seine Pläne sind …

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Die Rätsel von Assur

von Hans Kneifel

1.Das Erwachen des Arkoniden

Ich spürte, wie mein Bewusstsein unendlich langsam aus der langen, eisigen Schwärze zu mir zurückkehrte. Wieder einmal erwachte ich aus langem Schlaf. Wie lange? Warum war ich geweckt worden? Mehr und tiefergehende Überlegungen ließ mein träger Verstand nicht zu.

Als ich nach einiger Zeit in der Lage war, meine Umgebung undeutlich wahrzunehmen, einigermaßen richtig zu hören und zumindest lallend zu reden, stand Rico neben dem aktivierten Vibrosessel und berichtete mir, was seit dem ersten Impuls der ES-Tätigkeit, vor mehr als einem Mond, geschehen war. Ich hatte Mühe, obwohl ich seine Worte verstand, den Sinn zu begreifen. Lastende Müdigkeit beherrschte meinen Körper. Meine Gedanken irrten wie flügellahme kranke Vögel durch meinen Kopf.

Bevor ich wieder einschlief, verstand ich gerade noch: »Die Barke des Schlafes, sang Ne-Tefnacht zur Harfe, hat das sonnenwarme Ufer berührt. ES hat mich euch wecken lassen. Deine schöne Gefährtin, dich, Gebieter, den tapferen Ptah-Sokar und Zakanza-Upuaut, den Öffner der Wege. Einer der unergründlichen Beschlüsse deines kosmischen Beherrschers.«

»Grund oder nicht. Ich bin wach. ES braucht mich«, hörte ich mich lallen.

Ich schlief wieder ein. Meine Träume waren wirr, und als ich wieder aufwachte, verwechselte ich sie mit der Wirklichkeit. Ich ließ hilflos die nächsten Schritte des Reanimationsprogramms über mich ergehen, fühlte mich kräftiger, blieb länger wach und würgte unter den bräunenden Strahlen der Solarstrahler die Spezialnahrung herunter. Um meine Sinne zu beschäftigen, spielte Rico arkonidische Musik sowie die der Barbaren ab und überschüttete mich mit Holosequenzen aus der Vergangenheit und der Gegenwart. Ich sah wachsende und verfallende Städte, kleine Häfen und leere Küsten, schmale Pfade durch leeres Land, Berge, Flüsse und Oasen. Und die riesigen Monde meines letzten Kampfes.

Nach etwa sieben Tagen, als ich selbstständig gehen konnte und meine Schritte sicher waren, transportierte der Robot mich in die Wärme und Helligkeit einer Illusionskuppel. Ich erinnerte mich sofort an die Bauwerke Ricos, die großen Lehmziegelhäusern in Tameri entsprachen, am Wüstenrand, unter der grellen Sonne, und sah mich erwartungsvoll um. In den Räumen hing noch der Duft von Balsam, Schminke und verschweltem Weihrauch. Wahrscheinlich hatte Ne-Tefnacht sich hier auf das wirkliche Leben vorbereitet. Noch immer hatte ich keine Ahnung, warum ich schon nach knapp acht Jahren Schlaf aufgeweckt worden war.

Dieser Teil der technischen Versuche entsprang der »Langeweile« des Robots und seinem Bedürfnis nach »Zerstreuung«. Nachdem der arkonidische Hochleistungsroboter die Lautsprecher desaktiviert hatte, herrschte wieder jene wispernde Stille innerhalb der stählernen Zuflucht, die er seit Jahrtausenden gewohnt war. Mit einem winzigen Teil seiner positronischen Kapazität hatte er Bilder gespeichert und bedeutungsarme Gespräche, vielfältige Geräusche und Musik seiner Spionsonde aus einem Hafen an der Zederngebirge-Küste aufgefangen. Der riesige stählerne Organismus des kuppelgekrönten Zylinders am Boden des Meeres funktionierte und lebte ohne Lärm, und dort, wo Maschinen, Konverter und Kraftwerke arbeiteten, waren die Wandungen stark gedämmt.

Auch in der Werkstatt, in der Rico an einem wuchtigen Arbeitstisch saß, war es ruhig. Da Rico sich seit acht Planetenumläufen vulgo »Jahr« nicht mit der Ausführung von Befehlen seines Gebieters beschäftigen musste, nutzte er die dahintropfende Zeit auch für seine Bedürfnisse. Er hatte mehr als genug Zeit. Ein anderer Teil der Aufmerksamkeit Ricos, dessen Ähnlichkeit mit einem hochgewachsenen Planetenbewohner verblüffend war, richtete sich auf den »menschlichen« Körperteil, der sich waagrecht und ausgestreckt vor den Optiken, dem Zählwerk und verschiedenen anderen Messinstrumenten spannte.

Der Mechanismus sollte mindestens die gleiche Lebensdauer, aber viel mehr Kraft haben, dazu schnellere Reflexe als der Arm eines kräftigen, geübten Planetariers.

Zahlreiche kleine Scheinwerfer tauchten einen zwischen den gepolsterten Klammern der Greifer befestigten Arm mit leicht gebräunter Haut in gleißende Helligkeit. Er war vollständig, mit einem kräftigen Handgelenk und ebensolchen Fingern. Unter der Haut der Extremität, die mit braunen Haaren und Poren, einigen kleinen Narben, Adern und Fältchen einer schauerlichen Trophäe glich, verliefen ausdrucksvolle Muskeln. Aus dem Oberarm, an der Stelle, wo er ins Schultergelenk überging, als wäre er glatt durchgetrennt, ragten ein glänzendes Kugelgelenk und ein Bündel fleischfarbiger, dünner Kabel mit goldbedampften positronischen Kontakten an den Enden. Der Arm drehte sich langsam, die Greifer federten. Ebenso langsam bewegte sich auf einer Schiene eine doppelt handgroße Multifeldlinse von den Fingernägeln bis zu den Oberarmmuskeln und fuhr schließlich lautlos zurück.

Rico kontrollierte jede Pore, jedes Härchen seiner neuen Schöpfung. Nur ein kleiner Teil seiner Gedanken beschäftigte sich mit dem Aussehen des Kunstarms, der wahrscheinlich in absehbarer Zeit in Ricos Körper integriert werden sollte; er war leichter und widerstandsfähiger, die Muskeln arbeiteten selbst unter höchster Belastung schneller und besser, und bis in die Fingerspitzen hinein gehorchte jede Bewegung fast lichtschnellen positronischen Impulsen. Zwanzig Tage lang hatte der Robot an diesem Modell gearbeitet. Die Dauer des Tests hatte Rico auf einen »Mond« programmiert.

Der Robot, noch mit seinen zuverlässigen »alten« Armen ausgestattet – den letzten aus langen Versuchsreihen seit mehr als 5000 Jahren in der Larsaf-Drei-Zeitrechnung, mit Karbonschaum verkleidet und mit widerstandsfähiger Kunsthaut versiegelt –, schloss die Kontakte des Oberarmgelenks an eine Datenleitung des Zentralrechners an, kontrollierte seine Arbeit und rief das Testprogramm ab.

Die Stille innerhalb des Überlebenszylinders hätte auf jedes lebende Wesen belastend und einschüchternd gewirkt. Fast lautlos fächelte der Luftstrom aus den Gittern der Umwälzanlage. Obwohl er sich an jede Mikrotonta der vielen vergangenen Jahre erinnerte, waren Stille, Einsamkeit und Bewegungslosigkeit für Rico so gut wie bedeutungslos. Die Zeit verging und strömte an ihm vorbei. Seine Aufgabe war klar definiert: einzig und allein das Überleben und Wohl seines Gebieters zu sichern und dessen Befehle auszuführen. Da Atlan schlief, gab es keine Befehle.

Der Test begann.

Lautlos bewegten sich die Teile des Armes. Die Finger krümmten sich, schneller und koordinierter, das Handgelenk winkelte sich ab, Elle und Speiche des Unterarms verdrehten sich, während das Ellenbogengelenk bewegt wurde und sich alle Muskeln spannten. Die Bewegungen wurden schneller, die Instrumente begannen die Belastungen der kleinen und großen Gelenke zu messen, die Greifer folgten jedem Fingerzucken und jeder Muskelanspannung. Rico setzte die Geschwindigkeit herauf und wartete eine Weile, dann verließ er mit leichten, fast tänzelnden Schritten die Werkbank.

Ein anderer kleiner Teil seiner Aufmerksamkeit beschäftigte sich mit seinem Gebieter und dessen Begleitern. Atlan, Zakanza-Upuaut und Ptah Sokar, die Gefährten riskanter Abenteuer, befanden sich im Kältetiefschlaf, ebenso wie die Frauen. Jede der zahlreichen, regelmäßigen Kontrollen der Anlage seit dem Zeitpunkt des Einschlafens hatte die völlige körperliche Unversehrtheit aller Schlafenden bestätigt. Ne-Tefnacht, Merire-Chemsit und Tatimar lagen reglos in einem anderen Teil der Anlage als die Männer.

In der Stille dieses Werkstattraums summten und wisperten nur die kleinen Positroniken und der Bewegungsapparat des Kunstarms. Rico warf einen flüchtigen Blick auf das Band des Papyrus, das in glasklarem Kunststoff versiegelt scheinbar für die Ewigkeit eingeschweißt eine der stählernen Wände schmückte. Die Handwerker des alten Hapilandes – viele von ihnen würde man selbst auf Arkon als Künstler feiern – hatten in Hunderten farbiger Zeichnungen, in langen Reihen, durch große Quadrate unterbrochen, mit unendlicher Sorgfalt eindringlich geschildert, wie der Wer-herep-hemut, der Oberste Baumeister Rê-Korach, das Totenmal des Pharao Chnum-Chufu, Snofrus Sohn, plante, entwarf und baute. Rico warf einen Blick auf die Gestalt des Mannes neben Rê-Korach, der in der Bedeutungsperspektive nur etwas kleiner als der Gottherrscher abgebildet war, und verzog sein Gesicht zu einem menschlichen Grinsen.

Er erinnerte sich mit robotischer Präzision an jeden Augenblick der Bauarbeiten, an die unterste Steinlage, die 440 Ellen maß, an die 2.592.970 arkonidischen Kubikmeter Steinquader, die vielen Jahre der Arbeit, an die Verblendung mit Kalkstein und an die Spitze, die vier Dreiecksflächen mit stark silberhaltigem Gold belegt. Rê-Korach hatte sich der Rechenkünste Rê-Anchors bedient, von dem die Seitenwinkel des Bauwerks mit 51°50’35” festgelegt worden waren.

Im meisterhaft gestalteten Bildwerk wies Rê-Anchor nur wenig Ähnlichkeit mit ihm, Rico, auf, der während einiger Jahre, meist in der Zeit der Hapischwelle, Rê-Korach beraten und unterstützt hatte. In dem Land, dessen Schönheit sein Gebieter Atlan so liebte, dass er sich freiwillig in den Dienst verschiedener Pharaonen begeben hatte, hinterließ Ricos Tätigkeit die Grundlagen für steinerne Hochbauten von einzigartiger Größe und Schönheit.

Einige Zentitontas lang verweilten seine Blicke auf den vielen umlaufenden Rampen, den Mannschaften aus Hunderten Figürchen, die Schlitten mit Quadern über glitschigen Sand zogen, auf den hölzernen Konstruktionen, mit deren Kippmechanismus und Seilbündeln die Quader hochgewuchtet wurden, den unzähligen Wasserkrügen und den Schattenleinwänden. Tief in den Speichern seines Positronenhirns spürte er Zufriedenheit darüber, eine selbstgestellte Aufgabe erledigt zu haben; dem größten Sehed-Bauwerk hoch über dem Hapi waren mehr als fünfzehn andere gefolgt, und Totentempel, größere und kleinere, fast über die gesamte Länge des Stroms hapiaufwärts bis hin zum ersten Katarakt verteilt. Schließlich wandte er sich um und verließ die Werkstatt.

Die riesigen Hologramme oberhalb der Schaltpulte und Terminals zeigten, wie stets, in langsamem Wechsel die Bilder aus den Optiken der Spionsonden. Unhörbar kommunizierte Rico mit dem Zentralrechner. Die Schlafenden waren sicher, sämtliche technischen Einrichtungen des Überlebenszylinders arbeiteten zuverlässig; nirgendwo eine Störung. Stunden, Tage und Nächte an der Oberfläche – nichts hatte sich seit sieben Jahrzehnten geändert. Die Anlage unter der Schutzkuppel schien zeitlos und ewig.

Der Robot hatte die Oberflächenansichten aller stark besiedelten Gebiete des Planeten gespeichert, kannte einen Teil der Küsten und eine große Auswahl von Inseln, Städten und Flussläufen. Seit er entdeckt hatte, dass die Narbe über Atlans linkem Ohr das Überbleibsel einer Notoperation darstellte, war seine Sorge über das Leben des Arkoniden um eine Zehnerpotenz gewachsen. Die riskante Medorobot-Operation war nach einem lebensgefährlichen Abenteuer auf Krete-Keftiu notwendig geworden.

Atlan hat bei seinem Versuch, Handelsbeziehungen zwischen den Rômet und dem Minos von Krete herzustellen, nicht daran gedacht, dass er die wichtigsten Stellen der Insel bereits kannte. Er hat, jedenfalls, nicht darüber geredet. Ich werde ihn nach dem nächsten Aufwachen eine Serie von Bildern und Dokumentationen vorspielen.

Rico rief aus den Speichern des Zentralrechners die entsprechende Datei auf. Seine perfekte positronische Erinnerung entsprach einem unsichtbaren Faden, der sich durch Jahrtausende schlängelte. Die Transformation wirklichen Geschehens in positronische Elementarteilchen machte es ihm unmöglich, sogenannte moralische Bedenken zu empfinden, aber ihm war ein Kode einprogrammiert, der auf das unberechenbare Verhalten der Barbaren und natürlich auf ein Höchstmaß der Überlebenssicherheit seines Gebieters abgestimmt war.

Er registrierte eine plötzliche Störung in den Speichern der umfangreichen Dateien. Alarmiert schwirrten die Positronencluster durcheinander. Danach – für einen Augenblick jenseits der Berechenbarkeit – fielen die Synapsen in Schockstarre. Rico nahm diese ultrakurze Unterbrechung wahr, aber sein Körper bewegte sich weiterhin voll koordiniert.

Sein »Verstand« löste sich für einige Augenblicke von den weniger wichtigen Vorhaben, forschte in den Speichern nach, testete die übergeordneten Sicherungen und stellte fest, dass die Speicher partiell gelöscht waren. Leer. Als ob sie nie einen Inhalt gehabt hätten. Der Zugriff auf den Zentralrechner bestätigte Rico augenblicklich, dass kein Systemversagen vorlag.

Das ist seit dem ersten Jahr nach dem Untergang von Atlantis nur einmal geschehen!

Gleichzeitig mit dieser Feststellung begann der Robot mit seiner Suche. Die betroffenen Dateien waren fortlaufend gespeichert worden. Fast augenblicklich las er die Inhalte vor und nach den Lücken und erkannte zudem, dass er selbst den Inhalt der Speicher kannte. Er erinnerte sich perfekt, denn weniger als Perfektionismus war ihm nicht möglich. Nur eine Instanz war in der Lage, zum gegenwärtigen Zeitpunkt derartige Eingriffe vorzunehmen.

»ES. Kein anderer als diese Superintelligenz«, sagte Rico. Seine Worte verhallten unter der Deckenkonstruktion der Halle. »Denn Atlan, der einen ebensolchen Befehl geben kann, schläft tief.«

Rico fühlte sich in seinem positronischen Kosmos herausgefordert. Er kannte den Einfluss, den ES auf Atlans Leben hatte, angefangen vom Zellschwingungsaktivator und der potentiellen Unsterblichkeit bis hin – aus welchen logischen Gründen auch immer – zu gelöschten Erinnerungen. Niemand kannte seit rund sechs Jahrtausenden den Arkonidenprinzen besser als der Roboter. Die Speicher hatten Szenen, Bilderfolgen und Gespräche, Geräusche und einige Erläuterungen des Arkoniden enthalten. Gelöscht. Getilgt! Erlebnisse Atlans aus den Kämpfen auf Krete, gegen die Monster, die von Wanderer geflohen waren, von der Oberfläche jener Welt, auf der ES seine Experimente betrieb, dann eine scheinbar willkürliche Serie von Erlebnissen in Kemet und Deshret, dem Schwarzen und dem Roten Land der Pharaonen. Tage, Wochen und Monde waren ausgelöscht worden.

Und dann lief langsam in Ricos Hochleistungs-»Verstand« ein Vorgang an, der sämtlichen positronischen Gesetzmäßigkeiten widersprach. Eine jener eben noch gespeicherten Erinnerungen nach der anderen verblasste, verlor in einem schleichenden Prozess seine Bedeutung und all seine Farben. Eine robotische Version des Bedauerns durchfuhr Rico; der Vorgang glich dem Verlust einiger Teile der Bewegungsapparatur. Kurze Zeit später spürte der Robot, wie an die Stelle der gelöschten Informationen neue Inhalte gesetzt wurden und sich verankerten.

Befehle von ES!

Der gesamte Wechsel dauerte nur wenig länger als mehrmaliges Zwinkern von Ricos Lidern über den goldfarbenen Augenlinsen.

Der Robot blieb stehen, drehte sich herum. Er wirkte unschlüssig. Blitzschnell verging auch dieser Augenblick. Dann gehorchte Rico den Befehlen, wechselte zu einem Terminal und aktivierte die Weckautomatik Ne-Tefnachts. Abermals kurze Zeit darauf fing Rico damit an, die Geräte der Reanimationsphase einzeln zu kontrollieren. Zuerst wählte er aus den Speichern beruhigende Musik des Hapilandes, dann ging er daran, eine der Illusionslandschaften mit jenen Einzelheiten zu programmieren, die der Frau die lange Wiederbelebungsphase erleichtern würden.

Seine Erinnerungen waren verloren, dieses Wissen blieb ihm. Welche Erinnerungen verschwunden waren, und warum ES so handelte, wusste Rico nicht. Die Befehle dieses Wesens musste er befolgen, die Gründe mochten unlogisch und rätselhaft sein, aber sie führten zu unabänderlichen Vorgängen. Da Atlans Überleben nicht gefährdet war, spürte Rico keine Unruhe mehr. Etwa einen Mond lang würde die Frau seine Aufmerksamkeit in Anspruch nehmen. Was danach geschah, entzog sich seinem Einfluss. Er setzte sich in Richtung auf den Tiefschlafsektor in Bewegung.

Fünfzehn Tage danach

Ne-Tefnacht, eineinhalb Köpfe kleiner als Atlan, war die schönste der drei Frauen. Die Rômet, eine Handbreit größer als der Durchschnitt der Frauen am Hapi, mit hellbraunen Augen und tiefschwarzem Haar, das bis zur Mitte des Rückens reichte, hatte den Sprung von ihrer Kultur und an Atlans Seite zur höheren Ebene des Wissens und der Erkenntnisse am leichtesten geschafft; trotzdem hatte sie die reichhaltige Götterwelt ihres Geburtslandes verinnerlicht. Die Haut ihres Körpers und ihr Körper selbst waren makellos, die Haut von hellbraun-sahniger Farbe. Seit Rico ihre große Harfe überholt, mehrere neue Saiten aufgezogen und die Drehwendel erneuert und verbessert hatte, blieb ihr Harfenspiel für jeden Zuhörer ein unvergesslicher Genuss.

Der Arkonide und Ne-Tefnacht bildeten ein einzigartiges Paar, und zu Rico, für die junge Rômet der Diener und Freund Atlans, der wundersame Dinge vollbrachte, hatte sie ein furchtloses, freundschaftliches Verhältnis entwickelt. Selbst an die Tätigkeit der maschinenhaften Medorobots und anderer Helfer, Ricos Subrobots, hatte sie sich gewöhnt.

»Werkzeuge von ES, Hüter des Planeten, Helfer eines unbegreiflichen Wesens«, hatte Atlan vor dem endgültigen Einschlafen gesagt. »Wenn ES entscheidet, dass es wieder an der Zeit ist, wird er uns wecken – warum auch immer.«

Rico benötigte keine prophetische Gabe; er wusste, wie er zu handeln hatte. Der Vorgang war nicht neu, solche scheinbaren Wunder hatten seine Schutzbefohlenen mehrere Male erlebt. Für Ne-Tefnacht stellte er aus den Magazinen eine Ausrüstung zusammen. Zum Teil stammte sie aus dem Besitz der Rômetfrauen, die sie vor dem Einschlafen mitgebracht hatten. Rico hatte jeden einzelnen Gegenstand geprüft und, wenn nötig, verbessert oder aus arkonidischer Technik ersetzt.

Von Tag zu Tag wurde die Barbarenfrau kräftiger. Unter den Strahlen der Solarlampen bräunte ihre Haut, die robotischen Massagen und die Vibrationen der Spezialsessel kräftigten die Muskeln, sorgsam zubereitetes Essen und einige Injektionen stabilisierten den Kreislauf. Tefnacht wohnte in einem geräumigen Nachbau eines Lehmziegelhauses am Hapistrom, unter künstlichen Palmen, neben einem gemauerten Teich voller Lotosblüten. Das Gebäude stand in einer Illusionskuppel, die einen Blick in die Dünen der Wüste auf der einen und ins grüne Land auf der anderen Seite vorgaukelte; tagsüber wanderte Rê über den Himmel, nachts funkelten die Projektionen der Sterne und leuchtete der zunehmende Mond.

Die Frau drängte Rico, Atlan aufzuwecken, und er brauchte eine Menge Ausreden, ihr die Unmöglichkeit zu erklären; er war machtlos gegenüber der unveränderlichen Kraft des Schicksals. Erst als Rico sie in der Zentralkuppel mit Henket bewirtete und ihr die Bilder der Sonden auf dem Riesenhologramm zeigte, gewann sie wieder ihre Unbefangenheit zurück.

Die Herstellung von zeitgenössischem Bier betrieb Rico in einem seiner halb leeren Magazine. Er verfügte über alles, was er dazu benötigte: sauberes Wasser, verschiedene Zutaten, Energie, Geräte, Kenntnisse und – schier endlos viel Zeit. Geschmacks- und Zusatzstoffe für seine Experimente hatten Atlan und er selbst von der Oberfläche mitgebracht. Nach einigen Dutzenden stark riechender und schäumender Experimente, Änderungen an der Versuchsanordnung, vielen Proben und Atlans Kommentaren stellte Rico ein schmackhaftes, schwach alkoholhaltiges und nährstoffreiches Bier her, das, wenn es unter Luftabschluss kühl gehalten wurde, laut Atlan »ein schäumender Genuss« war, im Gegensatz zu der handwerklich hergestellten trüben Brühe der Barbaren, in der Körnerbruch und Kräuterreste strudelten.

Auf ähnlich aufwendige Weise machte Rico auch Wein lager- und genussfähig. Trotz seiner vielfältigen Beschäftigungen blieb mehr als genügend Zeit zur Beobachtung eines Teils der Planetenoberfläche und des nahen Weltraums.

Es gab Geheimnisse auf dem riesigen Planeten der Barbaren. Meist schwebten drei oder vier Spionsonden unermüdlich über die Landschaft der dritten Larsaf-Welt und zeigten die Siedlungen der Menschen ebenso wie die ausgedehnten Flächen der menschenleeren Natur. Rico und, in entsprechender Auswahl auch Atlan, kannten die Züge der Wanderer, unzählige Pfade oder »Straßen«, kleine Siedlungen, die zu Städten anwuchsen und im Lauf von Jahrzehnten oder Jahrhunderten wieder vergingen, zerstört, verlassen oder wieder aufgebaut wurden. Alle dörflichen und städtischen Ballungen entsprachen einem immerwährenden Schema. Aber etliche Bauwerke und ihre blühende Umgebung wichen von diesem Schema ab. Sie verteilten sich über eine unglaublich lange Zeit und über etwa ein Viertel der bewohnten Welt.

Atlan und sein Robot hatten miterlebt, wie die Große Wüste westlich des Hapistroms, südlich der Kargen Küste, sich aus einer regen- und waldreichen Savanne innerhalb von rund fünf Jahrtausenden entvölkert und in ein Meer aus Sand, Dünen, Geröll und zerfallener Gesteine verwandelte. Sie kannten aber auch die unendlichen Mühen der Menschen, andernorts Kanäle zu graben und dem Boden an unerwarteten Stellen staunenswerte Fruchtbarkeit zu entlocken. Wo wenig oder kein Regen fiel, waren Flusswasser und die sich verzweigenden Wasserführungen meist das Einzige, das die Menschen brauchten, um Städte zu bauen und Kulturen zu entwickeln; am Hapi, Idiglat und Buranun – wo das Gilgamesch-Epos entstanden war –, und wie all die Flüsse und Ströme heißen mochten.

In einer der zeitlosen Stunden, an einem Tag, der weder natürliches Tageslicht noch Sternendunkel kannte, vor vielleicht einem Jahrtausend, war Atlan eine Besonderheit aufgefallen. Siedlungen rund um das Binnenmeer hatten sich meist, fast immer, an Süßwasserseen oder fließenden Gewässern gebildet. Aber: Bisweilen entstanden Bauwerke abseits dieser Orte, auf Hügeln, bewaldeten Felsen oder mitten im scheinbaren Ödland. Türme waren auf den Bildschirmen zu entdecken, würfelförmige Bauwerke, winzige Ansammlungen, die wie ummauerte Städte wirkten, oder Häuser, die mit der Umgebung zu verschmelzen schienen. Bald breiteten sich um jene Gebäude, die zweifellos nahe eines Brunnens oder einer Quelle standen, grüne Zonen aus, die kreisförmig wuchsen und wucherten, und nach einem Vierteljahrhundert und später standen die Türme inmitten stattlicher Wälder. Bald wimmelte es dort von emsigen Menschen. Weder Atlan noch die Zentrale Positronik konnten in dieser Bautätigkeit ein auffallendes Muster erkennen, weder ein zeitliches noch eines, das sich anders darstellte als das jeder anderen Siedlung. Atlan hatte die Bilder intensiv betrachtet, einige Male, und trotzdem schien ihm am Anblick der Bauwerke etwas zu irritieren.

Nach 32 Tagen waren die Unruhe und Unsicherheit in Ne-Tefnacht bis zu einem Punkt gewachsen, der auch Ricos Erwartungen geweckt hatte. Die Frage blieb: Was plante ES, und warum? Wiesen die Vorbereitungen auf eine Aufgabe von ungewöhnlicher Schwierigkeit hin? Rico errechnete nur eine sehr geringe Wahrscheinlichkeit dafür, dass er es bald erfahren konnte. Er versuchte, Ne-Tefnacht zu beruhigen, und sagte ihr, dass ihre Schönheit, Erfahrung und Können so ausdrucksvoll waren, dass sie überall gut überleben konnte – und dass sie Atlan, Zakanza und Sokar wiedersehen würde. Wo und wann das war, blieb ebenso in der dunklen Zukunft verborgen wie vieles andere.

Rico widmete sich wieder seinen selbstgewählten Aufgaben, der Überwachung der Schutzkuppel und der gewohnten Beobachtung menschlicher Siedlungen, Schiffsbewegungen und Handelskarawanen. Trotzdem war seine Kapazität keinesfalls ausgelastet. Er wartete auf die Aktion des Überwesens.

Am 34. Tag verschwanden zu einem Zeitpunkt, der am mittleren Buranun der Stunde des Sonnenaufgangs entsprach, die Harfenistin und ihre umfangreiche Ausrüstung plötzlich und spurlos.

2.Neue Befehle, Vorbereitungen und Aufbruch

Noch war ich nicht im Vollbesitz meiner Kräfte. Mein Verstand und mein Körper arbeiteten mit der Langsamkeit – und scheinbar auch den Geräuschen – eines großen Schöpfrades. Mit Rico diskutierte ich seinen Aufenthalt im Land am Hapi, wo er beim Bau des Totenmals von Chnum-Chufu mit technischen Ratschlägen und den Ergebnissen angewandter Mathematik geholfen und die große Rolle aus Shafadu-Papyrus mit dem Beweis seiner Taten mitgenommen, in Kunststoff versiegelt und in einer seiner Werkstätten aufgehängt hatte.

Der Logiksektor kommentierte kurz: Unfassbar! Rico lehrt die Rômet, wie einzigartige Großbaustellen einzurichten sind!

Ich grinste, zuckte mit den Schultern und widmete mich wieder dem intensiven Betrachten der Schiffe auf dem Buranun, die auf dem Weg nach Nippur und Babili waren. Neun Monde lang hatten wir uns hauptsächlich in diesem Teil der Welt aufgehalten; hier lebte auch – hoffte ich – der »Händler des Überflüssigen« Mikaylu, auch er acht Jahre älter und wahrscheinlich reicher als der König von Assur.

Als ich mich im winzigen Garten, im Schatten von Palmwedeln, in einem Sessel aus Schilfgeflecht niederließ und in die Projektion der Wüstendünen hinaussah, mit Blicken den scharfgeschwungenen Graten der Sandberge folgte, hörte ich Stimmen und leises Gelächter.

Ich wartete geduldig, mit einem Maximum an Passivität, die mich erheblich verärgerte. Was plante ES? Sollte ich wieder gegen seine Geschöpfe kämpfen? Waren fremde Raumfahrer auf dem Planeten gelandet? War endlich eine Arkonflotte im Anflug, um mich abzuholen? Wo hielt sich Ne-Tefnacht auf? Welches Schicksal hatte ES ihr zugewiesen?

Eine innere Stimme, die ebenso schwach war wie ich, flüsterte in meinen Gedanken: Warte es ab, Arkonide! Bisher hat sich ES stets überzeugend artikuliert. Noch bist du nicht kräftig genug …

Mein Verstand arbeitete offensichtlich immerhin ohne merkbare Aussetzer; der Extrasinn hatte mich gewarnt. Ich drehte den Kopf und sah Rico näherkommen, ein Tablett in den Händen. Er und seine beiden Begleiter trugen Sandalen mit Sohlen aus geflochtenem Stroh; unter ihren Schritten knirschte der Sand. Ricos Aussehen entsprach in diesen Tagen einem hochgewachsenen, kräftigen Rômet, der einen weißen Schurz und einen halbmondförmigen Brustschmuck trug und breite Goldreifen an den Oberarmen.

Auf den ersten Blick erkannte ich meine Freunde und Gefährten Sokar und Zakanza, auch sie ehemals Bewohner des Hapitals. Noch immer wusste ich nicht, ob sie Androiden, Klone oder nur mutige, kämpferische Menschen waren.

»Einen großen Becher Bier vertragt ihr schon«, sagte Rico und blieb vor mir stehen. »Feinstes Henket, aus der letzten Produktion.«

»Feinste Antworten auf eine Menge Fragen wären mir lieber«, antwortete ich und breitete die Arme aus. Weder die Gefährten noch ich hatten die Kraft zu einer stürmischen Begrüßung. Wir grinsten erleichtert, musterten einander und versuchten die Umstände und die Zeitspanne seit unserem letzten Zusammensein gedanklich zu verarbeiten, hoben die Becher und nahmen tiefe Schlucke.

»Von Riancor-Rechme haben wir erfahren, dass auch du nicht weißt, was vor uns liegt«, sagte Zakanza. Seine dunkle Haut glänzte im Licht der Kunstsonne. Der hochgewachsene, muskulöse einstige Bote aus Wawat, dem Land Nub, Gefährte meines Tiefschlafs, begleitete meine Wege seit langer Zeit und war längst seiner Zivilisation entwachsen. Als ausdauernder, listiger Kämpfer war er unersetzlich, ebenso wie Ptah-Sokar. Der schakalköpfige Gott Upuaut lieh ihm seinen Beinamen.

Mit dunkler Stimme fuhr er fort: »Fühlst du dich wohl, Atlan?«

»In fünfzehn Tagen geht’s mir besser«, antwortete ich und spürte dem Geschmack des Bieres nach. Ptah-Sokar trank wie ein Verdurstender. »Eine Ahnung sagt mir, dass wir es in der nächsten Zeit nicht leicht haben werden.«

»Reiten wir deiner Geliebten hinterher? Wie nach dem Kampf gegen den Goldenen Mond?« Ptah setzte sich ins Gras und lehnte sich gegen den Palmenstamm. Ich zuckte mit den Schultern und brummte:

»Nichts ist auszuschließen. Ich vermisse Ne-Tefnacht.«

Ptah-Sokar, der nahezu unfehlbare Bogenschütze – ich schien ihn seit einer kleinen Ewigkeit zu kennen. Höchstwahrscheinlich hatte ES auch in diesem Fall meine Erinnerungen getrübt oder gelöscht. Der sehnige Rômet, der seine Erfahrungen in zahllosen Abenteuern nicht nur im Land am Hapi gesammelt hatte, beherrschte meisterhaft selbst die von Rico getarnten Energiewaffen; woher seine verblüffenden Sprachkenntnisse stammten, wusste nicht einmal mein treuer Robot. Beiden Männern vertraute ich uneingeschränkt, und ich war froh gewesen, als sie neben mir einschliefen.

Noch aber hatten wir aber unsere gewohnte Kraft und Entschlossenheit längst nicht wieder erreicht. Während der Stunden, die wir in Ultravibratoren verbrachten und in anderen Kraftmaschinen und Überlebensgeräten, hatten wir genug Zeit zum Nachdenken und Grübeln, für Gespräche über Vergangenes, über die Seltsamkeiten der Welt und über die frischen Erinnerungen an die Hetzjagd über albtraumhafte Landschaften und den verzweifelten Kampf gegen die Monde der Ter-Quaden.

Ich nahm einen zweiten Schluck und wandte mich an Rico.

»Du bereitest unsere Ausrüstung vor und stellst sie zusammen. Von mir hast du keine Befehle erhalten – also kamen die Spezifikationen von ES?«

»Es ist nichts anderes möglich«, antwortete der Robot. »Ich gehe zum Teil nach meinen eigenen Überlegungen und Erfahrungen vor. Wenn mir ES etwas befiehlt, gehorche ich, das mag sein, aber ich merke nichts davon.«

Ich blickte in die Gesichter Zakanzas und Sokars, das scharf gezeichnete, tiefbraune Antlitz des Nehesi und das rundliche des Rômet, die einen langen Blick tauschten. In manchen zurückliegenden Stunden hatte ich versucht, einzelne Erlebnisse aus meinen Erinnerungen hervorzukramen und mir zu vergegenwärtigen. Einige Teile mancher Abenteuer schien ich bereits völlig vergessen zu haben; ich glaubte, dass meine Erinnerungen manipuliert wurden. Von wem, denn ich litt nicht an Vergesslichkeit? Ich vergaß niemals etwas, dank meines unfehlbaren Gedächtnisses; manche Erlebnisse verdrängte ich lediglich. Es kam also nur ES in Frage. Mein Argwohn war schon vor Tagen geweckt worden, und er wurde nicht geringer. Noch war meine Furcht, mein Verstand habe gelitten, nur ein winziger Keim in meinen Gedanken.

»ES löscht unsere Erinnerungen«, sagte ich mürrisch. »Nur nicht die an die Kämpfe gegen die Monde der Ter-Quaden.«

Rico hob die Hände und machte eine typische rômetische Geste. »ES tilgt auch Speicherdaten der Zentralen Positronik. Ich habe gewartet, bis ich mit dir darüber rede. Du bist dafür noch nicht kräftig genug, Gebie… Atlan.«

»Einverstanden.«

Zakanza gähnte, seine Zähne strahlten förmlich.

Die Zweifel und das Unbehagen tief in meinem Inneren waren mit jedem Tag gewachsen. Bisher hatten mich während der Reanimationsphase stets Spannung und Vorfreude erfüllt, mehr oder weniger. In diesen Tagen schienen sich die Seltsamkeiten zu häufen. Aber wahrscheinlich fehlten mir und meinen Gefährten noch eine Handvoll Tage und eine Menge kräftigender Maßnahmen, bis wir erkennen konnten, was uns erwartete.

Was ES von euch erwartet!, schränkte der Extrasinn ein.

Ich leerte den Becher und ließ mich von Zakanzas Gähnen anstecken.

»Vielleicht erfahren wir im Schlaf, wozu uns der Fürst der Sterne braucht«, sagte ich und stemmte mich in die Höhe. »Ihr seid ebenso müde wie ich, Freunde. Ich wünsche wohlige Träume.«

Ich winkte ihnen matt zu und tappte zurück in die Kühle des Hauses. Wäre ES eine Person, ein galaktisches Wesen gewesen, dachte ich, würde er wohl ratlos an seiner Macht – und an Langeweile? – leiden. Aber so leicht war sein Handeln nicht zu erklären. Kurz darauf streckte ich mich aus und schlief ohne die Hilfe irgendwelcher Gerätschaften ein.

Mich riss etwas mit äußerster Gewalt aus dem Schlaf. Ich erkannte das dröhnende Gelächter, das meinen Körper erschütterte: ES! Das unbegreifliche Wesen redete mit mir, und jedes Wort, das in meinem Schädel hallte, war von einer bisher unbekannten Bedeutung. Ich erstarrte, und selbst der Logiksektor schwieg.

ES polterte mit einer Stimme, die kosmische Echos erzeugen konnte:

Ich bin mit dir unzufrieden, Arkonide Atlan. Ich bin mit deiner Leistung unzufrieden. Wenn vor acht Jahren nicht der fremde Kämpfer, jener Tervor Aretosa, eingegriffen und den Goldenen Mond vertrieben hätte, wäre der dritte Planet von Larsafs Stern ernsthaft gefährdet gewesen. Du trägst mein Geschenk des potenziell ewigen Lebens, du bist der selbstgewählte Paladin der Menschheit.

Ich richtete mich langsam auf und holte tief Luft. Nun begann ich zu ahnen, warum wir geweckt worden waren, aber nicht, warum und wohin Ne-Tefnacht verschwunden war. Wieder verstörte mich das Gelächter dieser unfassbaren Wesenheit.

Ich habe mich auf dich verlassen, und ich muss mich weiterhin völlig auf dich verlassen können. Deshalb werde ich dich auf eine einzigartige Mission schicken. Sie wird eine Prüfung sein für deinen Kampfwert, deine Loyalität und deine moralische Festigkeit. Nur aus diesen Gründen bist du geweckt worden.

»Das kann nicht dein Ernst sein, ES«, sagte ich laut und versuchte, meiner Stimme Festigkeit zu verleihen.

ES ließ sich nicht beeindrucken.

Deine Mission beginnt mit einem Rätsel. Ein Haus, nicht von deinen Barbaren erbaut. Ein furchtbarer Gegner kehrt zurück. Nicht nur aus dem nächtlichen Himmel blickt sein Auge in Hass und Zerstörungswut auf dich und die Planetenbewohner herunter. Ein Gegenspieler, dessen Klinge so scharf ist wie deine und die des fremden Kriegers, den du, gelähmt, hast kämpfen gesehen. Ihm fehlt nur noch die Unsterblichkeit. Shinkashid kämpft in meinem Auftrag – wer wird gewinnen?

Das Gelächter klang auffordernd, fast sarkastisch. Dann ließ der Druck hinter meinen Schläfen nach. Ich hatte den Eindruck einer plötzlichen kalten Stille.

Der Logiksektor flüsterte: Der Goldene Mond, oder eine andere Kampfbarke der Ter-Quaden kehrt zurück. Deine Existenz als Paladin steht auf dem Spiel. Gewinnt Shinkashid auch die Unsterblichkeit? Deinen Zellaktivator?

Ich stemmte mich in die Höhe, ging mit deutlicher Schwäche in den Knien zum Tisch und füllte ein Glas mit Wein. Nach dem dritten Schluck arbeitete mein Verstand wieder zuverlässig.

»Also ein Gegenspieler, Atlan«, sagte ich erbittert. »Wo auf diesem Planeten sitzt dieser Shinkashid, den ES geschickt hat, und der keinen Zellaktivator trägt?«

Ich nahm einen weiteren tiefen Schluck und hob den Kopf. Die furchtbare Stimme schwieg. Vorübergehend? Oder holte ES nur Atem, um mich mit weiteren Vorwürfen zu überschütten? Ich blickte in die Projektion des Sternenhimmels und betrachtete die scharfe Mondsichel.

»Offensichtlich will ES einen Zweikampf – welcher Art auch immer! –, um herauszufinden, wer der bessere Paladin der Menschheit ist. Und dann sollen auch noch Kampfstärke, Loyalität und Moral überprüft werden? Als ob ich sie nicht schon unzählige Male bewiesen hätte!«

Ich zuckte mit den Schultern und erkannte, dass mir keine Wahl blieb. Ich musste mich dieser Prüfung stellen.

Und ich wollte mich ihr stellen.

Wann, wo und wie?

Plötzlich schmeckte der Wein schal und säuerlich. Ich schüttete den Rest in den Sand auf dem Boden der Illusionskuppel.

Am nächsten »Morgen« berichtete ich Zakanza und Ptah-Sokar ausführlich, was mir, also uns dreien, der »Sternenfürst« befohlen hatte. Ich verwendete Erklärungen, die ihr Vorstellungsvermögen nicht überforderten, aber sie verstanden genau, dass wir ein Haus finden mussten, das nicht von Menschen erbaut worden war. Dass es sich nicht um die Sehedhu-Denkmale am Hapistrom handelte, war uns klar.

Rico hingegen berichtete mir, welche Ausrüstung er zusammenstellte, und dass er eine Transmitterverbindung herstellen und einen Subrobot als Helfer programmieren sollte. Obwohl – er wusste noch immer nicht, aus welchem Grund er uns geweckt hatte. Ich klärte ihn über mein nächtliches Erlebnis auf, an den Befehlsempfang des kosmischen Überwesens. An welchem Ort an der Oberfläche das zweite Gerät und der Lastengleiter versteckt sein würden, diese Information hatte ES ihm bisher ebenfalls vorenthalten.

Als ich prall gefüllte Satteltaschen, lederne Bündel für Saumtierrücken und Waffen kontrollierte, unzerbrechliche Gefäße und allerlei Notvorräte, fand ich nichts Ungewöhnliches. Drei Männer würden jeden Bestandteil brauchen können, wenn sie sich an die Oberfläche der Welt wagten. Ich ahnte, dass es zu unserer Aufgabe gehörte, früher oder später Ne-Tefnacht zu finden – selbstverständlich hatte ich erwartet, dass meine Geliebte wie wir im Schutz des Überlebenszylinders schlafen würde.

Und so harrte ich inmitten der Erinnerungsstücke, die auf Sockeln standen oder hinter Glassit versiegelt waren, bisher vergeblich des dröhnenden Gelächters, mit dem ES eine weitere Reihe unangenehmer Anordnungen begleitete.

Ich beendete, um nichts klüger geworden, meine Durchsicht unserer Ausstattung. Immerhin sagten mir die drei gebrauchten Sättel, von Rico instandgesetzt und gepflegt, dass wir reiten würden – irgendwohin. Die Aussicht darauf beunruhigte mich nicht; meist bereitete es mir abenteuerliches Vergnügen, mich als selbsternannter »Paladin der Menschheit« in die Belange der Barbaren zu mischen. ES plante, uns zu verblüffen – das war ES ausgezeichnet geglückt. Wie groß waren die Gefahren, in die er uns entließ? Unter den Klängen altarkonidischer Musik, begleitet von den Bildern einzelner Siedlungen und eingeblendeten Erklärungen des Robots, ging ich, gehüllt in einen weißen, bodenlangen Bademantel, zurück in die Zentralkuppel und wartete auf weitere Erklärungen, weshalb wir geweckt worden waren.

Das Abenteuer des Kampfes gegen die Sternenbarke würde in der Wüste beginnen.

Vier Tage und Nächte lang ließ uns ES warten. Wir gewöhnten uns an die Kleidung und die Stiefel aus Ricos scheinbar unerschöpflichen Vorräten und seinen Werkstätten und studierten in großen Hologrammen Bilder seiner Spionsonden und immer wieder Ausschnitte und Vergrößerungen. Wir fanden sogar Mikaylus Hofgut außerhalb Assurs, in fast einem Jahrzehnt vergrößert und verschönert. Im Osten der Hafenstädte, die Kypni-Gubla heißen mochten oder inzwischen andere Namen angenommen hatten, im riesigen Schwemmland der beiden großen Ströme, waren viele Städte entstanden, umgeben von großen Netzen aus Kanälen und Wasserstraßen, entlang derer sich große Palmenwälder und Felder ausbreiteten. Der Rauch von Tausenden Feuern stieg in den Himmel, nicht nur in der »riesigen« Stadt Babili, dem »Tor Gottes«. In einer Savanne erkannten wir Wacholderbäume und Herden von kleinen Elefanten. Auf Handelswegen bewegten sich lange Karawanen zwischen Gubla, Qatna und Assur. Wir testeten die ledernen Funkarmbänder, in denen winzige Positionssender versteckt waren, und Rico steuerte eine Spionsonde in eine Bereitschafts-Kreisbahn in größerer Höhe.

Nach fünf Tagen, als wir nachts unter der Illusionskuppel den Mondaufgang über den Palmenwipfeln betrachteten und uns in der naturgetreuen Umgebung den Wonnen eines reichhaltigen Essens hingaben, sagte Rico unvermittelt: »Es ist soweit, Atlan. Folgt mir in die Transmitterstation.«

»Ohne üble Hast, Freunde«, antwortete ich und rührte in meinem heißen Energiegetränk. »Wir wissen nicht einmal genau, welche Tageszeit uns in der wirklichen Welt erwartet.«

»Später Morgen, Gebie… Atlan«, antwortete Rico. »Inzwischen habe ich erfahren, in welcher Oase ES die Pferde warten lässt.«

Ich nickte und sagte zu Ptah und Zakanza: »Wir haben alles besprochen. Jeder denkbare Schritt wurde überlegt. Riancor-Rechme wird uns mit den Augen des Horusfalken beobachten. Wir brauchen nichts zu befürchten.«

Wir beendeten langsam unsere Mahlzeit. Die Ungewissheit war vorbei; wir waren neugierig und entspannt. Im Transmitterraum war unsere Ausrüstung mit pedantischer Sorgfalt gestapelt. Ein Subrobot wartete bewegungslos inmitten der Ballen und Ledersäcke. Er sah aus wie ein rômetischer Lastenträger mit weißem Stirnband.

»Ich gehe zuerst«, sagte ich leise.

Ptah-Sokar und Zakanza-Upuaut nickten schweigend. Unsere Erregung wuchs, aber wir unterdrückten sie. Ich hob zwei schwere Packen auf, warf Rico einen Blick zu und ging durch den leuchtenden Energierahmen des Transmitters. Als ich in die wirbelnde Leere trat, fiel ich und verlor das Bewusstsein.

Ich erkannte Ptah-Sokar, der sich über mich beugte und mich schüttelte. Wir lagen und standen am Rand eines Wäldchens aus jungen Bäumen, vielleicht einer Oase. Unter Ptahs und Zakanzas Sohlen knirschte grober, mit Lehm durchsetzter Sand. Aus nördlicher Richtung kam kochendheiße, stauberfüllte Luft.

Schmerzhafte Helligkeit blendete mich. Ich erkannte Zakanza, der sich über mich beugte und mich an den Schultern rüttelte. Ich kam, wie es mir schien, schon nach einigen Atemzügen zu mir und ließ mich von ihm hochziehen.

»Wie lange habe ich dagelegen?«

»Nur ganz kurz, Atlan«, antwortete Ptah-Sokar und deutete nach rechts. Ich holte mehrere Male tief Luft. Mein Bewusstsein und mein Blick klärten sich augenblicklich. »Uns ist nichts geschehen. Seltsam.«

»Wo sind die Pferde?«, wollte Zakanza wissen. »Ich sehe nichts. Nicht einmal ihre stinkenden Äpfel.«

»Vielleicht kommen sie von dort hinten«, sagte Ptah.

Aus dem Transmitter, der über einer Fläche aus rötlichgelbem Sand zu schweben schien, tauchte der Subrobot auf; er schleppte weitere Teile unserer Habseligkeiten heran, zuletzt die Sättel und meine Satteltaschen, in denen unter anderem die Beutel mit Silber- und Goldplättchen, echten und gefälschten Edelsteinen und einem Bündel Karten steckten, die Rico angefertigt hatte, ohne unser Ziel zu kennen.

Ich hielt mich an Zakanzas Schulter fest und drehte langsam den Kopf. Die Sonne stand hoch über uns, unsere Schatten waren kurz. Aus dem Wald wehte ein kühler, feuchter Wind, der von der trockenen Hitze rings um uns augenblicklich aufgesogen wurde.

»Kannst du wenigstens ahnen, Vater des Abenteuers, wo wir sind?« Zakanza stemmte die Fäuste in die Seiten und schien darauf zu warten, dass jemand zwischen den Stämmen und Büschen hervorkam und uns begrüßte.

»Es können zwei Dutzend jener Landstriche sein«, antwortete ich brummig, »die wir kennen. Wüstenländer und Oasen, Sand und Einsamkeit.«

Es war kurz vor Mittag. Unsere Schatten waren schwarz wie Ruß, aus dem Nichts vor dem flirrenden Horizont strich ein heißer Wind heran und ließ die Baumkronen rascheln. Baumkronen? Palmwedel? Die feuchtkühle Luft roch nach ausgeglühtem Stein und nach faulenden Pflanzen. Ich starrte Zakanza an, der seinerseits auf den kleinen Robot blickte, der schweigend und flink eine letzte Saumtierlast herbeischleppte, zum Transmitter zurückkehrte und zusammen mit dem Gerät verschwand. Eine Handvoll Sand stob hoch.

Der Logiksektor erklärte mit einer Betonung, als spräche er von offenen Gräbern: Wieder einmal ES! Von jetzt an seid ihr allein im Ungewissen. Bereite dich auf eine Reihe überraschender Gefährdungen vor, Arkonide!

Ich legte die Finger um den Griff des getarnten Strahlerdolches und drehte mich langsam um. Wir standen auf einer ebenen Fläche aus grobem Sand, der mit dunkelbrauner Erde oder trockenem Lehm gemischt war. Wir und unser umfangreiches Gepäck befanden uns am Rand eines Streifens verdorrten Grases, das bis an unsere Fußspitzen reichte und das, den Bäumen eines Wäldchens zu, in grünes, feuchtes Gras überging, in dem halb handgroße Blumen und hüfthohe, von Blüten übersäte Pflanzen wuchsen. Dahinter kamen Büsche, die vor den Stämmen junger Bäume gewachsen waren. Zwischen ihnen schimmerte die Oberfläche eines Teichs oder Kanals. Aus dem Wäldchen, vielleicht dem Rand einer Oase, drang ein ungewohnter feuchter Geruch.

»Wenn das unser Ziel ist, fehlen die Pferde und ein Lagerfeuer«, sagte Ptah-Sokar, rückte seinen Bogen zurecht und raschelte mit den Pfeilen in seinem Köcher. Ich zuckte mit den Schultern und ging auf die Büsche zu. Nur unsere Schritte, das Knirschen des Sandes, das Rascheln der Blätter und das schabende Knistern der Palmwedel waren zu hören, als wir nebeneinander in den Wald eindrangen. Vielleicht fanden wir die Pferde an einer Wasserstelle oder im Schatten dösend.

Nach einigen Dutzend Schritten wurden die Abstände zwischen den Stämmen größer, und die Stämme waren dicker und höher gewachsen. Einige doppelt handbreite Kanäle erstreckten sich zwischen den Bäumen; jetzt hörten wir aufgeregt zirpende Grillen, zages Vogelgezwitscher und das Summen von Bienen, Käfern und anderen schwirrenden Insekten. Schmale Pfade, kaum bedeutender als Ameisenstraßen, unterbrachen das kurz gefressene Gras. Zakanza zeigte darauf; Ptah und ich nickten schweigend. Schafe, Wildschafe, oder wilde Ziegen? Vergebens lauschten wir nach dem Wiehern oder anderen Lauten unserer Pferde.

Im Schatten und zwischen den Kanälen herrschten Kühle und Gerüche, die uns daran erinnerten, dass wir lange in gereinigter und maschinell in Bewegung gehaltener Luft gelebt hatten. Wir gingen schweigend weiter, immer geradeaus, und bemühten uns, leise zu bleiben. Daran, dass unser Gepäck geplündert oder gestohlen werden konnte, dachte keiner. Hätten sich hier andere Menschen aufgehalten, würden wir kalten Rauch oder Schweiß riechen oder Stimmen und ganz andere Geräusche hören.

Etwa eine Viertel Stunde lang gingen wir weiter und kamen zu einem Sandweg, der in weiten Windungen zwischen den Palmenstämmen verschwand. Heuschrecken sprangen in weiten Sätzen zur Seite, Fliegen summten, schillernde Käfer torkelten durch die Schatten. Ein wenig Ziegen- und Schafskot lag auf dem Sand.

Ptah-Sokar bemerkte es als Erster. Er stieß einen Fluch aus, zeigte in die Höhe und sagte aufgeregt: »Die Palmen tragen Früchte. Sie sind also bestäubt worden. Dazu braucht man viele gute Kletterer.«

»Sehen wir irgendwo die vielen Bestäuber? Ihre Spuren?« Zakanza stellte eine überflüssige Frage.

Kamen nur zum Bestäuben und Ernten Menschen hierher? Unter den Wedeln hingen dicke Trauben reifender Datteln. Unsere Augen durchforschten die Umgebung, aber wir konnten nicht einmal eines der Wildschafe entdecken.

»Keine Bestäuber, keine Schafe oder anderes Viehzeug«, bemerkte ich und ging weiter, den Dolch in der Hand. Wir befanden uns inzwischen tief im Palmenwald, und um uns herum wimmelte es von unsichtbarem Leben. Als ich aus dem Augenwinkel einen Unterschied in der Helligkeit auf dem Boden vor uns wahrnahm, hob ich den Kopf und sah, dass einige Palmenwipfel zerfetzt und abgebrochen waren. Ich ging zur Seite, suchte mit Blicken weiter und winkte Ptah-Sokar heran.

»Die Wipfel sind zerrissen worden. Bis dort hinten, in einer geraden Linie. Wie es weiter im Wald aussieht, kann ich nur vermuten.«

»Du hast recht.« Zakanza schob mit der Stiefelspitze verdorrte Stücke von Palmwedeln zur Seite. Andere Bruchstücke lagen in einer breiten Reihe zerstreut am Boden, bis zu einem dichten Vorhang aus Schlinggewächsen, der die Sicht versperrte. Ein großes »Ding« war in geringer Höhe durch eine Reihe Palmwipfel gerast und hatte ebenso grüne wie halb welk gewordene Wedel abgerissen und andere dicht über dem Ende des Schafts abgebrochen.

Zakanza lachte kurz und grollend auf. »Das muss der Vater aller Adler oder Geier gewesen sein. Wahrscheinlich liegt er irgendwo mit gebrochenen Flügeln im Wald.«

»Dieses Etwas war größer als der größte Geier«, sagte Ptah. »Vielleicht ein Dämon. Was denkst du, Atlan?«

»Ein heiliger Stier mit riesigen Flügeln.« Ich nickte grinsend. »Gleich werden wir es sehen.«

Wir gingen auf dem Sandstreifen ein paar Schritte weiter, blieben stehen und hielten den Atem an. Offensichtlich waren wir in einen verlassenen Ort eingedrungen, der ein Geheimnis barg, das für uns unerklärbar war. Außer uns schien sich niemand hier aufzuhalten. Trotzdem spürten wir den Hauch von Gefahr, von etwas Unerklärlichem, vielleicht Fluchbeladenem, das mit der Lage dieses Waldes in einer uns noch nicht bekannten Umgebung. Unwillkürlich führten wir unsere nächsten Schritte auf Zehenspitzen aus, die schussbereiten Waffen in den Händen.

Hinter den Palmenstämmen sahen wir eine Reihe anderer, großgewachsener Bäume mit vielen Ästen, an denen sich die Ranken herumschlangen. Wir schoben die zähen Gewächse, deren Blüten durchdringend nach Fäulnis rochen und mit schmatzenden Lauten rissen, zur Seite und sahen uns einem Bild gegenüber, das uns fast erschreckte.

Ein Turm aus rötlichen Ziegeln ragte in den wolkenlosen Himmel.

»Sind wir deshalb geweckt worden?«, fragte Ptah laut. Er schüttelte den Kopf, schob den Dolch in die Scheide und legte den Kopf in den Nacken.

»Und so verschwenderisch ausgerüstet? Sag etwas Bedeutendes, Atlan!«

»Vielleicht ist der Turm das ›Haus, nicht von Menschen gebaut‹. In einigen Stunden, Freunde, wissen wir mehr.« Ich versuchte, alle Einzelheiten des Bauwerks und dessen naher Umgebung richtig zu erfassen.

Inmitten eines Kreisrings aus fast fugenlos verlegten Granitplatten, bis zu der Flanke des Hanges aus kurzem, feuchtem Gras erhob sich ein runder Turm, ungefähr fünfzehn oder weniger Mannslängen hoch, vielleicht vierzig, fünfundvierzig Ellen. Das Fundament, fünf Ellen hoch, bestand aus bearbeiteten, nahezu glatten Quadern aus Sandstein, der Rest aus Lehmziegeln, deren Oberfläche eine Schicht aus glänzender brauner Farbe trug.

»Ein einsamer Turm, mitten im menschenleeren Wald«, sagte Zakanza grollend und betrat das Gras. »Und alles ist leer, still, geheimnisvoll.«

»Es gibt für alles eine Erklärung.« Der Turm auf dem Sockel der abgeschrägten Fläche, die sich inmitten einer runden Lichtung erstreckte, wirkte fremd, geheimnisvoll und abweisend. Wir sahen weder Fensteröffnungen noch die Zinnen einer Brüstung.

Langsam, zögernd und wachsam gingen wir näher heran. Im gleichen Augenblick sah ich, wie eine aufblitzende Kugel hinter der Krone des Turms hervorschwebte. Ricos Spionsonde! Gleichzeitig summte der Empfänger meines Armbandgerätes. Ich blieb stehen, drückte den Kontakt und winkelte den Unterarm an.

»Atlan hier. Ich höre – die Sonde habe ich eben erst gesehen.«

Als ich redete, drehten sich Zakanza und Ptah um. Mein Arm fuhr in die Höhe, ich zeigte auf die Sonde. Das Objekt schwebte bewegungslos neben dem Turm über der leeren Fläche.