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Peter Bietenholz

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Beschreibung

Atlantis ist die mythische Stadt, die mitsamt ihren Bewohnern von Erdbeben zerstört wurde. Atlantis ist überall. Plato ortet sie auf einer Insel im gleichnamigen Ozean, von dem sie verschlungen wird. In dieser Geschichte ist Atlantis in der westlichen Sahara gelegen. Einzelne Ruinen bleiben verstreut im Wüstensand sichtbar. Jetzt haust dort ein Dschin. Er provoziert und bleibt unsichtbar. Vereinzelt sind in dem riesigen Trümmerfeld auch Menschen zu finden. Sie stammen aus verschiedenen Epochen und werden durch eine Folge mysteriöser Stupore am Leben erhalten. Nun sind sie auf Verderb und Gedeih aufeinander angewiesen. Sie streiten, sie lieben, sie necken sich, sie wollen ihre Geschichte erzählen.

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Veröffentlichungsjahr: 2017

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Peter Bietenholz

Atlantis in der Sahara

BookRix GmbH & Co. KG81371 München

1. Das Loch in der Düne

 

Sand, nichts als Sand. Links und rechts, soweit das Auge reicht, eine Fläche von Sand, manchmal festgebacken, manchmal lose und gerippt. Ein Leintuch ohne Ende, ein Leichentuch? Karl nahm den Fuss vom Gaspedal. War denn kein Verlass mehr auf seine Augen? Er schaute um sich, links und rechts. Über dem endlosen Sand der Sahara schien ein blauer Schimmer zu schweben – gewöhnlich ein Zeichen, dass der rasante Einbruch der Tropennacht unmittelbar bevorstehe. Er schaute auf seine Armbanduhr. Die gab ihm recht. Noch konnte er mit gut zwei Stunden Tageslicht rechnen. Aber der bläuliche Dunst? Lag, der Uhrzeit zum Trotz, die Tropennacht sprungbereit auf der Lauer? Würde sie ihn demnächst überfallen? Oder – oder war es nicht die Wüste, war es sein Bewusstsein, das anfing umnachtet zu werden? Zu viele lange Stunden allein in der gnadenlosen Hitze. Blaustichige Phantasmagorien. Vorn am Horizont tauchte eine dunkle Kante auf; das musste die famose Düne sein. Beim Weiterfahren war sie jetzt unverkennbar, oder war es doch nur das Gaukelspiel einer Fata Morgana? Die Megadüne, zwei Tagereisen südlich von hier; alle in El-Aaiún hatten von ihr gesprochen. Niemand war versucht, sich ihr zu nähern. Sicher war sie unüberquerbar. Hinter ihr lag das Reich der Dschins, der Dämonen – lagen, munkelte man, die Ruinen einer grossen Stadt. Diese hatten die Dschins überfallen und mit allen Bewohnern zerstört. Eines Tages würden sie eine Bresche öffnen im gigantischen Wulst der Düne. Dann war El-Aaiún an der Reihe: Überfall der Dschins: Terror, Tod, Trümmer.

Die Düne war seit Menschengedenken dort, wo sie war, unüberwindlich, eine Bastion, ein Feind, mit dem niemand anbändeln wollte, weder die Sahrawi, die Beduinenstämme der Sahara, vornehmlich Berber und Tuareg, noch die spanischen Legionäre. Südlich von El-Aaiún zog sie sich durch die Sahara, nach Westen, nach Osten, soweit der Blick reichte, und sicher noch viel weiter. Eine Bresche, eine Schlucht, eine Passage? Undenkbar, auch wenn man das Gefasel von Dschins ignorierte. Eine Durchquerung der Düne hatte sich noch niemand im Traum einfallen lassen. Aber da kam jetzt der Flieger, Antoine de Saint-Exupéry hiess er, der wollte tatsächlich eine Bresche gesehen haben. Aus tausend Meter Höhe, so berichtete Saint-Exupéry mit seiner Quecksilberstimme, begleitet von nervösen Handbewegungen, sei kein Ende der Düne absehbar gewesen, aber dann habe er ein Loch im Wall gesehen, eine Bresche, gar nicht so weit weg, vielleicht zehn Kilometer weiter westlich. Offensichtlich müsse sie neu sein. Wie sie zustande gekommen war, könne er sich nicht erklären. Der Flugpionier war auf ein paar Tage zum Kap Juby zurückgekehrt, dem Etappenstrip auf der Flugpostroute nach Dakar, den er einst gemanaged hatte. Er trainiere auf ein Wettfliegen, sagte er, und die Gefahren dieses gottverlassenen Zipfels Sahara hinauf zum Dschebel Quarkziz seien gerade, was er brauche. Dass es später im gleichen Jahr zur Bruchlandung in der Wüste kommen sollte, die er dann samt der Rettung in extremis in seinem Durchbruchroman beschrieb, würde Karl allerdings nie erfahren. Man sass im einzigen Café von El-Aaiún. (Laayoune, im Französisch der Marokkaner). Damals war das noch ein Kaff bestehend aus Zelten, Hütten aus Blech und Rohrgeflecht, Buden aus Palmholz. Das würde sich dann verblüffend rasch ändern. Ausser Karl und Saint-Exupéry sassen da ein paar Tischleinvoll spanischer und marokkanischer Händler, rauchten ihre Hookas und spielten Tricktrack. Dem Flieger und seinem Palaver schenkten sie keine Beachtung. Schon sein Pariser Französisch ... Überhaupt war er einer von jenen Typen, die niemand ernst nahm. Was er plapperte passte zum Gassengeschwätz der Berberinnen über Ruinen voller Dschins. Karl allerdings hörte gespannt hin, gierig, trotz Lärm und Idiom so viel als möglich mitzubekommen. Was der Franzose von weit verstreuten Ruinen berichtete, war glaubhaft. Auch Bäume, überhaupt Grünzeug in Fülle wollte er gesehen haben, ebenso eine Wolke weissen Dampfes, die auf offenes Wasser schliessen liess. Umso erstaunlicher sei, meinte er, dass er dort kein einziges Lebewesen entdeckt habe. Noch in historischer Zeit hatte diese Region der Sahara sich spärlicher Feuchtigkeit erfreut. Karawanen konnten regelmässig von Brunnen zu Brunnen ziehen. Der Sklavenhandel von Süden nach Norden blühte.

Die Düne war jetzt in bedrohliche Nähe gerückt. Da stoppte Karl erneut. Das leise Geräusch des Motors im Leerlauf; sonst herrschte Stille. Er schloss die Augen, öffnete sie wieder, schlug sich mit der flachen Hand an die Stirne. Das musste die Bresche sein; es war die Bresche. Die Bresche! Kaum fünfhundert Meter westlich klaffte ein Loch in der Düne, womöglich eine Passage. Genau, wie Saint-Exupéry es aus der Luft gesehen und Karl im Café von El-Aaiún beschrieben hatte. Er setzte seine Rosalie, so hiess das preisgünstige Erfolgsmodell, wieder in Bewegung. Zufrieden und gleichmässig pustete der Dieselmotor, Citroëns neue Erfindung. Die Reifen knirschten im trockenen Sand; eine Piste gab es längst nicht mehr. Bisher war er direkt nach Süden auf die Düne zu gefahren. Langsam, unausstehlich langsam kam sie ihm entgegen. Sie wollte nicht wachsen; gerade daraus war zu ermessen, wie hoch sie war. Noch hatte die Sonne von der gewöhnlichen Tageshitze nichts abgegeben, aber Rosalies Schatten, wenn er nach links hinaus schaute, wurde deutlich länger. Also Kursänderung: von Süd auf Südwest, direkt auf die Bresche zu.

Karl war sich im Klaren, was auf dem Spiel stand. Schon jetzt hatte er einen seiner Reservekanister Dieselbrennstoff in den Tank füllen müssen. Was jetzt noch kam? Für eine Fahrt zurück in den Bereich menschlicher Kontakte würde der Treibstoff kaum reichen. Egal; vorwärts! Ja, für den Vorwärts hatte er zuweilen Artikel geschrieben, bevor ihn das Schicksal – sprich: Hitler – mit den Zugvögeln auf die Reise nach Süden gesandt hatte. Marseille, dann Casablanca, dann die Sahara. Gewiss, Wüsten hatten ihn schon immer fasziniert, wiewohl er zuvor noch nie eine erlebt hatte. Aber Abenteuerlust spielte kaum eine Rolle neben der elementaren Tatsache: je tiefer er in den afrikanischen Sandgürtel eindrang, je dürftiger die Spuren europäischer Zivilisation wurden, desto weiter reichte sein bisschen Geld. Wenn man mit dem Nötigsten zufrieden war, wurde das Leben immer billiger. Allerdings für den Dieselbrennstoff galt das nicht.

Und so ging Karls Odyssee weiter bis nach El-Aaiún; dort war Schluss. Schon sieben Monate sass er dort fest. Mit Gelegenheitsarbeit konnte er sich ein paar Peseten verdienen. Er war kein gelernter Mechaniker, aber von seinen geschickten Händen profitierte allerlei Reparaturbedürftiges: Generatoren, Nähmaschinen, auch die wenigen Autos. Vor allem hatte er die richtige Einstellung. Sein Prinzip war, ohne Ersatzteile durchs Leben zu kommen, zu basteln, das Vorhandene irgendwie zusammenzuhalten. Sogar für menschliche Beziehungen bewährte sich dieses Prinzip. Fast ein ganzes Jahrzehnt lang hatte er in Berlin mit Rchel im Grossen und Ganzen friedlich zusammengelebt, bis Hitler und die Konzentrationslager dazwischen kamen. Ohne Ersatzteile auskommen; das galt auch für seinen Körper und bewirkte rigorose Disziplin in seinem Lebensstil.

 

 

2. Die Oase wacht auf

Das Leben konnte Karl fristen in El-Aaiún; aber was war das für ein Leben! Nirgends öffnete sich eine Bahn zu weiteren Zielen, und zurück wollte er, wenn irgendwie möglich, auch nicht. Kein Wunder, dass ihm Saint-Exupérys Bresche einen Floh ins Ohr gesetzt hatte. Wenigstens mal bis zur Düne fahren und gucken. Und nun war sie da vor seinen Augen, die Bresche, zu ebener Erde, ein Film von Sand auf glattem, aber rissigem Felsboden. Vorsichtig vorwärts im ersten Gang; Karl bangte um seine Reifen, aber alles ging gut. Jetzt, in der letzten Stunde Tageslicht, stand er neben der treuen Rosalie im Umfeld der ersten Ruinen. Es schien sich um eine Art Agora zu handeln, geradlinige Mauerreste in einem weiten, in die Länge gezogenen Viereck. Auf der gegenüber liegenden Schmalseite markierten halb von Sand bedeckte Säulentrommeln die Position eines stattlichen Tores. Das Innere des Vierecks war leer ausser zwei – einer näher, der andere entfernter – waren das Kadaver? Hundekadaver? Karl näherte sich dem ersten. Er schien perfekt konserviert. Tatsächlich, der Hund atmete, sehr langsam zwar, aber regelmässig. Im Köperbau glich er am ehesten einem Deutschen Schäferhund oder einem Schweizer Sennenhund, war aber ausgesprochen kurzhaarig. Um den Hals trug er eine grobe metallene Kette. Sein Kopf, als Karl leicht darüber strich, fühlte sich kühl an, kühl, aber nicht kalt. Noch ruhte seine Hand auf dem Hundehals, als er konstatierte, dass Bewegung in den Tierkörper kam. Die Muskeln im Gesäss begannen zu spielen, der Schwanz rührte sich, die schlappen Ohren stellten sich halbwegs aufrecht. Der Hund stand auf, leicht unsicher, schien es, ein Geschöpf, das sich auf lange Zeit nicht bewegt hatte. Er schüttelte ein Geflimmer feinen Sandes aus seinem Fell. Er streckte die Hinterbeine voll aus und war jetzt klar in Kontrolle seiner Bewegungen. Ohne sich weiter um Karl zu kümmern, lief er die zwanzig Meter hinüber zum anderen Hund und stupste ihn mit der Nase, worauf sich dieser ebenfalls zu rühren begann.

In Karls Hirn überstürzten sich Mutmassungen und Bedenken. Gab es im weiten Umfeld der Oase noch andere Wesen im gleichen schlafartigen Zustand? Ein Pack Löwen, zum Beispiel? Wären die ebenso leicht aufzuwecken wie die Hunde? Jedenfalls gehörten die Hunde zu jemandem. Würden sie sich jetzt gleich auf die Suche nach ihrem Meister machen und diesen auf die Beine stellen? Und wen sonst ebenso? Die Löwen? Er fasste die beiden an ihren Halsketten, was sie sich zum Glück gefallen liessen. Noch blieb ihm eine knappe Stunde, um weiter Umschau zu halten, aber erst musste er die Hunde los werden. Sie liessen sich zurück zur Rosalie führen und mit Wasser und ein Paar Fetzen Brotes im Innern des Wagens einsperren. Indessen wirkten sie gar nicht so, als hätten sie weiss ich wie lange unter Durst und Hunger gelitten. Mit den Hunden aus dem Weg konnte Karl, nicht ohne mildes Herzklopfen, seinen Erkundungsgang wieder aufnehmen. Hinten links in der quadratischen Umfriedung fand er die Ruine eines kleinen Baues. Das gewölbte Steindach war nur zum Teil eingestürzt. Unter dem unversehrten Ende lagen menschliche Figuren, neun an der Zahl, schlafend, schien es, wie vorher die Hunde. Sie bildeten zifferblattförmig einen Kreis mit regelmässigen Zwischenräumen, die verhüllten Köpfe vermutlich zusammen in der Mitte. Der Anblick hatte etwas Kultisches. Alle waren gleichförmig in dunkle Tücher gewickelt. ‚Nonnen’ war sein erster, befremdlicher Gedanke, aber zum näheren Zusehen war jetzt keine Zeit. An der anderen Ecke lag noch eine Figur, ohne Obdach über sich und deshalb von feinem Sand fast zugedeckt.

Die Nacht kam rascher als er erwartet hatte. Kaum begonnen, brach er seinen Rundgang ab und beschloss, alles weitere auf den nächsten Tag zu verschieben. Er setzte sich zu den Hunden und holte sich aus seinem Proviant ein Abendessen: Brot, Trockenfleisch und Wasser für alle drei; für sich selbst noch Tomaten und Oliven. Dann fabrizierte er sich eine behelfsmässige Hundleine. Er hatte eine Kugel starker Schnur dabei. Ein Stück davon, doppelt genommen, knüpfte er mit einem Ende an die Halskette des ersten Hundes und dann mit dem anderen Ende an die Halskette des zweiten. In der Mitte würde er die Schnur festhalten, und zwar an Ermangelung eines Griffes mit einem Handschuh. So konnte er die Tiere noch kurz aus dem Auto herauslassen. Während er sie an der improvisiertenLeine hielt, redete er pausenlos auf sie ein. Nach Tagen des Alleinseins; wie zum Einverständnis hoben und senkten sie die Ohren. Nachher schliefen sieruhig im Innern der Rosalie. Für sich selbst hatte er nebenan unter dem tropischen Sternenhimmel ein Lager zurecht gemacht. Aber die Erlebnisse des vergangenen Tages liessen ihn vorerst nicht zur Ruhe kommen. Schlaf, eine rätselhafte Form von Schlaf: war das, was ihm da draussen begegnet war, was ihm jetzt selbst den Schlaf raubte? Der anfängliche Zustand der Hunde und doch wohl auch der liegenden Figuren, die er gesehen hatte, liess ihn an den Winterschlaf von Bären oder so denken. Jedenfalls war es ein eigenartiger Zustand, mit gewöhnlichem Schlaf nicht zu verwechseln. Leichten, fast unmerklichen Atem hatte er festgestellt, als er sich zuerst über den einen Hund beugte, zusammen mit reduzierter Körperwärme. Von diesem Zustand wird im Folgenden immer wieder die Rede sein; in Ermangelung einer geläufigen allgemeinverständlichen Bezeichnung wollen wir ihn Stupor nennen.

Dieser Stupor also konnte seit Tagen, vielleicht Monaten, ja, Jahren bestanden haben. Was hatte ihn ausgelöst? Vermutlich eine Substanz in der eingeatmeten Luft. Karl ärgerte sich, dass er so wenig von Chemie und den Naturwissenschaften überhaupt verstand. Waren vulkanische Kräfte am Werk? Die Wolke, die Saint-Exupéry beobachtet hatte, hatte er jetzt selbst gesehen. Liess das auf eine Ausströmung schliessen, eine Art hyper-wirksames Lachgas, das in regelmässigen oder unregelmässigen Abständen explosionsartig ausgestossen wurde und durch die ganze Oase hin alle Geschöpfe betäubte? Bei den Hunden hatte man den Eindruck, dass es schlagartig geschah. Wo sie gerade waren, da fielen sie um. Aber wie hatten die neun Gestalten Zeit, sich in ihrem kultartigen Kreis zu arrangieren? Hatten sie sich so schlafen gelegt, und hatte sie der Stupor im Schlaf überrascht? Vielleicht reduzierte sich die Dichte der Substanz mit der Zeit. Jedenfalls verminderte sich die Wirkung so weit, dass, wie man bei den Hunden gesehen hatte, der geringste Stimulus genügte, um sie aufzustellen. Möglicherweise wären sie in Kürze auch ohne sein Zutun munter geworden. Ebenso erging es wohl allen, falls sich weitere Lebewesen in der Oase aufhielten, bis dann ein neuer Ausbruch sie wieder des Bewusstseins beraubte. Geschah das oft? Nächstes Mal war er selbst, Karl, vielleicht auch an der Reihe. War der Zustand eine Art Narkose? Aber einem Koma war er nicht zu vergleichen. Komatose Patienten mussten ernährt, mit Flüssigkeit versorgt, reingehalten und von Zeit zu Zeit bewegt werden.

Hier schien das alles nicht zuzutreffen. Vermutlich war auch der Altersprozess angehalten – ganz wie man am Fernsehen einen Film stoppen und später wieder einschalten konnte, am Punkt, wo man aufgehört hatte. Erklärungen? Dass die Wissenschaft Erklärungen zum Phänomen der eingeschläferten Oase zu bieten habe, konnte sich Karl nicht vorstellen. Nur aus dem Bereich vom Mythen, Märchen und Legenden kam ihm Vergleichbares in den Sinn. In Thüringen, mitten im Kyffhäuserberg, schlief der Kaiser Friedrich Barbarossa. Der wurde auch nicht älter, nur sein roter Bart wuchs weiter und hindurch durch den steinernen Tisch, an dem er sass. Eines Tages wird er aufwachen und das neue, tausendjährige Reich gründen. „Er hat hinabgenommen des Reiches Herrlichkeit / und wird einst wiederkommen mit ihr, zu seiner Zeit.“ Ebenso ging es im Märchen zu. Schneewittchen lag lange Zeit im Sarg, behielt aber seine roten Bäckchen – ein Zeichen gesunden Schlafes –, bevor es wieder zum Leben kam und den jungen König heiratete. Die Heiligen Sieben Jünglinge von Ephesus schliefen jahrhundertelang in einer Berghöhle, bis die Christenverfolgungen vorbei waren. Natürlich war das alles gefabelt. An Wunder glaubte Karl nicht. Aber der Mythos und das Märchen besassen ihre eigene Form von Wahrheit, die mit wissenschaftlichen Recherchen nicht zu erschliessen war. Damit musste man sich hier zufrieden geben, und damit fand Karl jetzt den Schlaf.