AUF DEN SPUREN SALOMONS (Project 10) - Alex Lukeman - E-Book

AUF DEN SPUREN SALOMONS (Project 10) E-Book

Alex Lukeman

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Beschreibung

Verschollene Reliquien, mystische Schätze und geheimnisvolle Artefakte – begeben Sie sich zusammen mit der streng geheimen Regierungsorganisation PROJECT auf die weltumspannende Jagd nach den letzten Rätseln der Menschheit. Der Inhalt einer zweitausend Jahre alten Schriftrolle setzt eine tödliche Jagd nach der Gruft des Salomon und dem lange verschollenen Tempelschatz in Gang. Dieses Mal sieht sich das PROJECT-Team einem wahnsinnigen Gegenspieler gegenüber, der sich für den letzten Hohepriester eines uralten und finsteren Glaubens hält und nach den magischen Fähigkeiten des Siegels von Salomon trachtet. Um dieses an sich zu bringen, schreckt er auch vor Mord und Verrat nicht zurück. Von den Straßen Beiruts über die Einöde Saudi-Arabiens bis in die wilden Schluchten Äthiopiens folgt das PROJECT-Team einer uralten Spur aus Hinweisen, die sie vielleicht zu den Gebeinen Salomons und dem heiligen Erbe einer ganzen Nation führen könnten … ★★★★★ »Alex Lukeman schreibt mit einem sicheren Gespür für filmische Atmosphäre. Seine fesselnden Romane mit ihren griffigen Plots sind einfach absolute Hits.« - MCSFilm Review Team

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Auf den Spuren Salomons

Project – Band 10

Alex Lukeman

 Copyright © 2019 by Alex Lukeman

Dieses Werk ist Fiktion. Alle Rechte vorbehalten. Kein Teil dieser Veröffentlichung darf in irgendeiner Form oder mit irgendwelchen Mitteln vervielfältigt, verbreitet oder übertragen werden, außer nach vorheriger und ausdrücklicher Genehmigung des Autors. (Dieses Werk ist Fiktion.) Namen, Charaktere, Organisationen, Orte, Ereignisse und Vorfälle sind entweder vom Autor frei erfunden oder als fiktives Element verwendet. Jede Ähnlichkeit mit tatsächlichen lebenden oder toten Personen ist rein zufällig.

Impressum

Deutsche Erstausgabe Originaltitel: THE SOLOMON SCROLL Copyright Gesamtausgabe © 2024 LUZIFER Verlag Cyprus Ltd. Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Cover: Michael Schubert Übersetzung: Peter Mehler Lektorat: Manfred Enderle

Dieses Buch wurde nach Dudenempfehlung (Stand 2024) lektoriert.

ISBN E-Book: 978-3-95835-723-5

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Inhaltsverzeichnis

Auf den Spuren Salomons
Impressum
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Kapitel 31
Kapitel 32
Kapitel 33
Kapitel 34
Kapitel 35
Kapitel 36
Kapitel 37
Kapitel 38
Kapitel 39
Kapitel 40
Kapitel 41
Kapitel 42
Kapitel 43
Kapitel 44
Kapitel 45
Kapitel 46
Kapitel 47
Kapitel 48
Kapitel 49
Kapitel 50
Kapitel 51
Kapitel 52
Kapitel 53
Epilog
Danksagungen
Anmerkungen
Über den Autor

Kapitel 1

Die Abfahrt des Zuges stand unmittelbar bevor.

Professor Angelo Caprini ließ sich auf dem Sitz des Erste-Klasse-Abteils nieder und rümpfte die Nase angesichts eines schwachen Parfümdufts, welchen der vorherige Passagier zurückgelassen hatte. Er warf einen Blick auf die Tasche neben sich. Ihr Inhalt würde ihn berühmt machen.

Caprini war ein kleiner, untersetzter Mann. Sein stattlicher Bauch hing über seinen Gürtel. Seine Augen wölbten sich hinter dicken Brillengläsern, ein Effekt, der von seinem fliehenden Kinn noch verstärkt wurde. Hinter seinem Rücken nannten ihn seine Kollegen oft nur den »Frosch«. Es war eine passende Beschreibung, bis hin zu dem leichten Ansatz von Schwimmhäuten zwischen seinen Zehen, von denen aber nur Caprini selbst wusste.

Er hatte die letzten drei Tage in der European Synchrotron Radiation Facility in Grenoble verbracht, einer Art Heiligen Grals für Forscher, die an der höchstentwickelten Röntgentechnologie der Welt interessiert waren. Die Tasche enthielt eine antike Schriftrolle aus der römischen Stadt Herculaneum, welche zusammen mit Pompeji beim Ausbruch des Vesuvs im Jahre 79 n. Chr. zerstört worden war. Die Schriftrolle war nicht mehr zu entziffern und eingeschlossen in einer harten Kruste aus vulkanischer Asche. Caprini hatte die Pilgerfahrt nach Grenoble in der Hoffnung unternommen, durch die Fortschritte in der Kristallröntgentomographie die auf Kohle basierende Tinte sichtbar machen zu können, welche unter der Kruste aus Lava in das Pergament eingebrannt war. Seine Hoffnungen hatten sich erfüllt.

Die Schriftrolle entstammte der Bibliothek der Villa Literati in Herculaneum, der einzigen Sammlung geschriebener Werke, die die alte Welt überlebt hatten. Es gab Hunderte dieser Schriftrollen, aber niemand wusste, welche Geheimnisse sie bargen. Vielleicht ein unbekanntes Werk von Plato. Berichte aus erster Hand über die Punischen Kriege. Ein Theaterstück von Aristoteles. Ein zeitgenössischer Bericht über die Kreuzigung Jesus. Alles war denkbar.

Caprini hatte seine Aufregung kaum verbergen können, als die Röntgenaufnahmen den Inhalt der ersten Seite offenbarten, weiße Zeilen in Aramäisch auf schwarzem Grund. Teile der zweiten Seite schienen durch die erste hindurch, schwache Geister von etwas, das vor Tausenden von Jahren niedergeschrieben worden war. Während die Techniker ihre Geräte bedienten, konnte Caprini es sich nicht verkneifen, zu kommentieren, was er da sah.

Der zuständige Techniker aber hatte die profitable Übereinkunft getroffen, Informationen weiterzugeben, sollte in dem Forschungslabor etwas von Interesse auftauchen. Ausgehend von Caprinis Geplapper wusste er, dass der Inhalt der Schriftrolle fraglos unter diese Kategorie fiel. Ein paar Tage nach Versenden einer Nachricht würde auf seinem Schweizer Bankkonto eine Summe auftauchen. Je wichtiger die Nachricht, umso höher die Summe. Es war ein sehr befriedigendes Arrangement, und der Techniker hatte direkt nach Feierabend seinen Kontakt darüber informiert.

Ungeduldig tippte Caprini mit seinem Fuß auf den Boden des Abteils. Er freute sich schon auf seine Rückkehr nach Neapel und die Kochkünste seiner Frau – richtiges Essen, nicht wie das hier in Frankreich. Die französische Küche war ihm zu reichhaltig und bescherte ihm immer wieder Verdauungsstörungen. Morgen früh würde er in Rom eintreffen und am Nachmittag dann wieder zurück in Neapel sein, in seinem Büro im Nationalmuseum, wo er seine Notizen sortieren und seine öffentliche Bekanntmachung planen würde.

Wenn ich nicht solche Angst vorm Fliegen hätte, wäre ich bereits dort, dachte er. Wieder spähte er zu seiner Reisetasche. Die Schriftrolle befand sich darin, sicher in einem Hartschalenkoffer mit einem Bett aus Schaumstoff untergebracht.

Ein Mann in der Uniform eines Schaffners klopfte an seine Abteiltür. Er hielt ein braunes, in Papier eingewickeltes Paket in der Hand.

»Ja?«

»Professore Caprini?«

»Ja, was gibt es?«

»Ich habe ein Paket für Sie.«

Das ist seltsam, dachte Caprini. Er öffnete die Tür und wollte nach dem Paket greifen. Der Schaffner zog eine schallgedämpfte Pistole unter seiner Uniform hervor und drückte zweimal ab. Caprini starrte geschockt auf seine Brust. Der Attentäter fing ihn auf, bevor er fiel, und setzte den leblosen Körper dann in die Ecke des Sitzes. Kleine Blutstropfen waren auf dem blauen Armani-Anzug des Professors aufgetaucht.

Der Attentäter zog die Vorhänge des Abteils zu. Er legte das Paket auf die obere Gepäckablage, griff nach Caprinis Reisetasche und sah hinein. Danach öffnete er den Koffer, welcher die Schriftrolle enthielt. Zufrieden schloss er die Reisetasche wieder, trat rückwärts aus dem Abteil und zog die Tür zu. Wer einen Blick in das Abteil warf, würde annehmen, dass der Professor eingeschlafen war.

Der Zug war kurz davor, den Bahnhof zu verlassen. Caprinis Mörder trat auf den Bahnsteig hinaus und verschwand in der Menge.

Etwas später, als der Zug gerade eine tiefe Schlucht in den Schweizer Alpen überquerte, explodierte das Paket und zerriss Professor Caprinis Abteil. Die Explosion ließ den dahinrasenden Zug entgleisen und ins Verderben stürzen.

Die Schreie der Passagiere hallten undeutlich von den Felswänden der Schlucht wider.

Der Zug fiel sehr lange in die Tiefe, bis er schließlich auf den Felsen weit unten zerschellte.

Kapitel 2

Es war ein weiterer sengend heißer Sommer an der Ostküste. Die Hitze ließ den Asphalt des Highways flirren. Nick Carter musste an die Hütte denken, die er einmal in Kalifornien besessen hatte. Dort, an den Ausläufern der Sierra, war es kühl und trocken gewesen, ganz anders als in der feuchtwarmen Hitze Virginias.

Die Hütte gab es nicht mehr, sie war abgebrannt. Nick hatte noch nicht entschieden, ob er sie wieder aufbauen würde, aber wenn, dann nicht in nächster Zeit. Er hatte andere Dinge im Sinn. Seine Hochzeit mit Selena Connor zum Beispiel, für die sie einfach keinen geeigneten Termin finden konnten. Oder das Loft mit dem Blick über den Potomac, welches sie gerade erst gekauft hatten. Oder was immer auch der Grund war, weshalb Direktorin Harker ihn dieses Mal zu sich bestellt hatte. Es hatte eine Zeit gegeben, in der er sich auf einen neuen Auftrag gefreut hatte. Nun aber begann er, sich mit jeder neuen Mission zu fragen, welche Bedrohungen dieses Mal auf ihn warten würden.

Vielleicht ist es an der Zeit, auszusteigen, dachte er. Aber dann fragte er sich sofort: Machst du Witze? Was willst du denn sonst tun?

Er bog auf den Parkplatz vor dem PROJECT-Hauptquartier ein, schaltete den Motor ab, stieg aus, und lief über den heißen Gehweg auf den Eingang zu. Nick tippte seinen persönlichen Zugangscode ein und hielt sein rechtes Auge vor den Scanner. Er wartete darauf, dass die elektronischen Götter, welche die Stahltür bedienten, ihn erkennen und Einlass gewähren würden. Mit einem Klicken öffnete sich die Tür. Von drinnen begrüßte ihn kühle Luft. Erleichtert atmete er auf.

Das PROJECT war die Idee von Präsident Rice gewesen, eine kleine Gruppe, unabhängig vom restlichen Geheimdienstnetzwerk Amerikas. Es wurde über schwarze Kassen finanziert und vom Weißen Haus kontrolliert. Ein wütender Senator hatte die Gruppe einst als das persönliche Killerkommando des Präsidenten bezeichnet. Nick war der Ansicht, dass das manchmal gar nicht so weit von der Wahrheit entfernt war.

Das Hauptquartier befand sich in Virginia, ganz in der Nähe der Hauptstadt. Es besaß den Anschein einer gehobenen Ranch, umgeben von gepflegten Rasenflächen, Bäumen und Blumenbeeten.

Aber der Anschein konnte täuschen.

Das Haus war über einer Raketenbasis aus dem Zweiten Weltkrieg errichtet worden. Die Raketen, die das Ende der Welt hätten bedeuten können, waren verschwunden. Die alten Bunkeranlagen unter dem grünen Rasen beherbergten nun eine Waffenkammer und einen Schießstand, ein Einsatzzentrum, komfortable Notfallquartiere und einen Raum mit den neuesten Cray-Computern und fortschrittlicher Kommunikationsausstattung. Es gab sogar einen Swimmingpool, ein Andenken an die vorherigen Besitzer – Millionäre, die das Ende der Welt fürchteten. Der Rasen löste Alarm aus, falls es irgendjemand wagen sollte, ihn zu betreten. Überall waren Kameras installiert.

Vor dem Haus befand sich ein breiter, asphaltierter Parkplatz. Gegenüber befand sich ein flaches Gebäude, das wie ein Lagerhaus aussah. Ein Hubschrauberlandeplatz aus Festbeton bildete das Ende des Parkplatzes. Von dort aus verschwand die Zufahrt über einen Hügel, bis sie einen Maschendrahtzaun, der das gesamte Gelände umspannte, und ein bemanntes Wachhaus an dem Eingang erreichte.

Nick begab sich in Harkers Büro. Der Rest des Teams wartete bereits auf ihn.

Elizabeth Harker trommelte mit ihren Fingern auf ihren Schreibtisch, als er eintrat. Sie warf ihm einen ihrer warnenden Blicke zu.

Harker war eine kleine Frau, aber sie strahlte mehr Energie als manch größere Person aus. Ihr Haar war kohlrabenschwarz, mit vereinzelten weißen Strähnen. Sie besaß leuchtend grüne Augen, die sich stark von ihrer milchig-weißen Haut abhoben. Ein zorniger Blick von ihr gab einem das Gefühl, bis ins Mark dringen zu können.

Sie trug einen maßgeschneiderten schwarzen Hosenanzug und eine weiße Bluse. Eine diamantene Brosche in Form eines Schwans zierte ihre Anzugjacke.

»Wir haben hoffentlich nicht Ihren Tag durcheinandergebracht, oder? Denn falls doch, können wir dieses Treffen gern auf morgen verschieben.«

»Tut mir leid, Direktorin. Der Verkehr …«

Selena saß auf einer Couch vor Harkers Schreibtisch, neben Ronnie Peete. Sie hatte vor ihm das Loft verlassen. Nick nahm neben ihr Platz.

»Hey«, sagte er.

»Hey.«

»Yah t’a hey, Nick«, sagte Ronnie.

Ronnie war ein Navajo-Indianer und in einem der großen Reservate aufgewachsen. Er sah aus, als wäre er aus einem Gemälde von Frederick Remington herabgestiegen, auch wenn Remington ihn sicherlich nicht in einem grellbunten Hawaiihemd verewigt hätte. Er und Nick kannten sich schon lange, hatten gemeinsam im Irak und in Afghanistan und im Dschungel Kolumbiens gedient. Beide waren Marine-Recon-Elitesoldaten gewesen, bevor sie zum PROJECT kamen.

Selena war nie beim Militär gewesen. Sie hatte eher durch einen Zufall zum PROJECT gefunden. Was ihr an militärischer Erfahrung fehlte, machte sie mit einer Vielzahl an Fähigkeiten mehr als wett, die dem Team zunutze kamen. Als Expertin in alten Sprachen war sie athletisch gebaut, klug und unabhängig. Sie war außerdem sehr reich, dank der Hinterlassenschaft ihres Onkels. Sein Tod hatte sie mit Nick, Elizabeth und den anderen zusammengebracht.

Sie war fünf Zentimeter kleiner als Nicks muskulöse Eins-achtzig und siebenundzwanzig Kilogramm leichter als seine neunzig Kilogramm. Ihre Augen waren von einer eigentümlichen Färbung, hauptsächlich violett, was hin und wieder ins Bläuliche changierte. Über ihrer Oberlippe befand sich ein Schönheitsfleck. Ihr Haar war an den Seiten stufig geschnitten, hinten etwas länger, und von einem natürlichen Rotblond. Einer ihrer Wangenknochen saß etwas höher als der andere, was ihr ein attraktives, unsymmetrisches Aussehen verlieh. Selena bewegte sich mit einer unbewussten Leichtigkeit, die auf ihre athletischen Fähigkeiten schließen ließ. Wie Nick hatte auch sie etwas Wildes an sich, etwas, das scheinbar nur mit Mühe im Zaum gehalten wurde. Sie sah aus, als könne sie jeden Moment in Aktion springen.

»Ich habe einen Kandidaten, der Lamont ersetzen könnte«, begann Elizabeth.

»Da muss er in große Fußstapfen treten«, sagte Ronnie. »Es fühlt sich seltsam an, ihn nicht hier bei uns zu haben.«

»Niemand wird Lamont ersetzen können. Aber wenn dieser Mann hält, was er verspricht, wird er eigene Fähigkeiten einbringen können.«

Lamont Cameron war während der letzten Mission schwer verletzt worden, schwer genug, um sich selbst davon zu überzeugen, dass es an der Zeit war, den Dienst zu quittieren. Es war das erste Mal, dass ein Gründungsmitglied des Teams beschlossen hatte, den Job an den Nagel zu hängen, und erinnerte sie daran, dass keiner von ihnen jünger wurde. Es fiel immer schwerer, für ihre Art von Arbeit in Form zu bleiben, wurde immer schwerer, nicht von anderen umgebracht zu werden, was unerfreulich oft der Fall war.

»Wie lautet sein Name?«, erkundigte sich Nick.

»Diego Ramirez.« Elizabeth schob eine Akte über den Tisch. »Hier ist sein Werdegang.«

»Wie lautet die Kurzversion?«

»Rangers, Special Ops. Zwei Einsätze in Afghanistan, einer im Irak. Purple Heart, Bronze Star für besondere Tapferkeit im Kampf.«

»Welche Einheit?«

»75th Ranger Regiment.«

»Die Jungs sind gut«, sagte Ronnie.

»Wann lernen wir ihn kennen?«, fragte Nick.

»Heute Nachmittag um 13 Uhr. Ich möchte, dass Sie sofort mit ihm beginnen. Führen Sie ihn herum, testen Sie ihn aus. In drei Tagen erwarte ich eine umfassende Einschätzung. Wenn Sie ihn wollen, machen wir es offiziell. Er ist nicht glücklich darüber, zu uns zu wechseln. Ich weiß, dass er über die nötigen Fähigkeiten verfügt, aber ich bin nicht sicher, ob er auch die nötige Einstellung besitzt, die wir brauchen, damit er zu uns passt.«

»Klingt nach einer Herausforderung«, sagte Ronnie. »Wie alt ist er?«

»Siebenundzwanzig.«

»Fast noch ein Kind«, sagte Ronnie.

»Rang?«

»Staff Sergeant.«

»Das sagt eine Menge aus, bei seinem Alter«, sagte Nick. »Gibt es noch etwas, Direktorin? Ansonsten werden wir alles für ihn vorbereiten.«

»Nein, das wäre vorerst alles.«

Vor dem Haus sahen die drei einander an.

»Ein neuer Mann«, sagte Selena.

»Aus der Army«, fügte Ronnie hinzu.

»Das könnte interessant werden«, sagte Nick.

Kapitel 3

»Da ist er«, sagte Ronnie.

Ronnie, Selena und Nick standen vor dem PROJECT-Hauptquartier und warteten auf ihren neuen Rekruten. Ein glänzend roter Dodge Challenger R/T kam die Auffahrt hinaufgefahren. Staub wirbelte hinter ihm auf.

»Geht schon gut los. Man erfährt bereits viel über andere Menschen anhand des Autos, das sie fahren«, sagte Nick.

»Und was verrät dir dieses Auto?«, erkundigte sich Selena.

»Ich denke, er ist ein Heißsporn. Die Kiste hat beinahe 500 PS.«

»Mein alter Mercedes hatte noch mehr, bevor die Chinesen die Marke ruinierten«, sagte Selena. »Macht mich das dann auch zu einem Heißsporn?«

»Nein, nur heiß.«

Selena boxte ihn gegen den Arm.

»Klugscheißer.«

»Hey, das sollte ein Kompliment sein.«

Der Wagen blieb mit der Vorderseite in Richtung des Hauses gerichtet stehen. Der Mann, der daraus ausstieg, war etwa so groß wie Ronnie, mit breiten Schultern und muskulösen Armen, die verrieten, dass er viel Zeit mit Trainieren verbrachte. Seine Ohren waren klein und standen eng an seinem Kopf. Seine Nase schien über die Jahre mehrmals gebrochen zu sein. Ramirez trug eine Pilotensonnenbrille, die seine Augen verbarg.

Sein Schritt war selbstbewusst, als er auf sie zukam, aber Nick konnte auch einen gewissen Argwohn erkennen, ein vertrauter Anblick bei Special-Forces-Soldaten. Ramirez hatte nicht vor, zu viel von sich preiszugeben.

»Diego Ramirez«, stellte er sich vor. »Bin ich hier richtig? Ich hatte etwas Beeindruckenderes erwartet, wie bei der CIA oder so.«

Er streckte die Hand aus. Nick ergriff sie. Ramirez drückte für seinen Geschmack etwas zu fest zu.

Mögen die Spiele beginnen, dachte Nick.

»Nick Carter. Sie sind hier richtig, Sergeant. Der Schein trügt ein wenig. Das sind Ronnie Peete und Selena Connor.«

»Wo ist der Rest Ihres Teams?«

»Steht vor Ihnen.«

Ramirez wollte etwas entgegnen, entschied sich jedoch dagegen.

»Sie kommen mir bekannt vor. Sind Sie nicht der Typ aus Jerusalem, von der Sache mit dem Präsidenten vor ein paar Jahren?«

»Der bin ich. Gehen wir doch hinein.«

Die Ereignisse in Jerusalem hatten Nick seine fünfzehn Minuten Ruhm beschert. Das hatte man eben davon, wenn man vor laufenden Kameras das Leben des Präsidenten rettete. Er hätte gut auf die Publicity verzichten können.

Elizabeth und Stephanie Willits warteten bereits auf sie. Steph war Elizabeths Stellvertreterin und dafür verantwortlich, die Cray-Computer unter der Erde bei Laune zu halten. Bereits im zarten Alter von achtzehn Jahren hatte sie sich in die Server des Pentagons gehackt. Als das FBI an die Tür des Vorstadthauses ihrer Eltern klopfte, hatte sie sich bereit erklärt, anstelle einer Gefängnisstrafe für die NSA zu arbeiten. Ein paar Jahre später hatte sie Elizabeth zum PROJECT gelockt.

Steph war etwa Ende zwanzig. Wer nur einen flüchtigen Blick auf sie warf, sah eine durchschnittlich aussehende Frau mit einem hübschen Gesicht. Ein genauerer Blick aber erzählte eine tiefergehende Geschichte. Ihre braunen Augen schimmerten lebhaft, und ihr glänzendes dunkelbraunes Haar reichte ihr fast bis an die Schultern. Sie trug große goldene Ohrringe. Ein halbes Dutzend Armreifen zierten ihr Handgelenk. Stephanie war nicht wirklich schlank, aber auch nicht füllig. An diesem Tag trug sie ein locker zusammengebundenes Kleid, das ihr bis über die Knie reichte.

Nick mochte Stephanie. Jeder hier mochte sie. In der letzten Zeit schien sie glücklicher zu sein. Sie war mit Lucas Monroe verlobt, einem aufsteigenden Stern in Langley. Nick schätzte Lucas sehr, und das traf nur auf sehr wenige Menschen zu.

»Sergeant Ramirez, willkommen beim PROJECT«, begrüßte ihn Elizabeth. »Ich bin Direktorin Harker. Nick, Ronnie und Selena haben Sie ja bereits kennengelernt. Das hier ist meine Stellvertreterin, Stephanie Willits.«

»Hallo, Sergeant«, sagte Steph.

»Ma'am.«

»Setzen Sie sich.« Elizabeth deutete auf die Couch und die Stühle vor ihrem Schreibtisch.

Ramirez nahm Platz.

Elizabeth musterte ihr potenzielles neues Teammitglied. Ramirez saß unbehaglich auf einem Ende der Couch, den Rücken durchgestreckt.

»Sie können sich entspannen, Sergeant, ich beiße nicht.«

»Natürlich nicht, Ma'am.«

Seine Schultern entspannten sich, wenn auch nur ein wenig.

»Und nennen Sie mich nicht ›Ma'am‹ Sergeant. Ich bin nicht Ihre Lehrerin. Nennen Sie mich Direktorin.« Sie machte eine Pause. »Wie ich hörte, wollten Sie diese Stelle nicht. Ist das korrekt?«

»Bei allem nötigen Respekt, Direktorin … ja, ich wollte die Stelle nicht. Ich bin kein Spion.«

»Wir sind keine Spione, wie Sie es nennen«, berichtigte ihn Harker. »Ich sehe uns vielmehr als Problemlöser. Unsere Einheit untersteht dem Präsidenten. Wir können Dinge tun, die andere nicht tun können. Verraten Sie mir, wieso meldeten Sie sich freiwillig für die Rangers?«

Nick beobachtete Ramirez. Harkers Frage hatte ihn unvorbereitet getroffen, aber er antwortete ihr sofort.

»Weil es eine verdammt gute Truppe ist, die beste.«

»Das war der einzige Grund?«

»Es war der Hauptgrund. Ich wollte meinem Land dienen.«

»Sie haben Kampferfahrung«, sagte Elizabeth. »Was wir tun, entspricht nicht unbedingt der Arbeit, die Sie gewöhnt sind, aber es gibt Zeiten, in denen sich Ihre Erfahrung als nützlich erweisen könnte. Wenn Sie es ins Team schaffen sollten, werden Sie das recht schnell herausfinden.«

»Wenn?«, fragte Ramirez.

»Oh, tut mir leid, dachten Sie etwa, Ihre Anstellung hier wäre dauerhaft? Nur, wenn Sie die Probezeit bestehen. Sie wurden uns vorübergehend zugeteilt. Stephanie wird Ihnen unten Ihr Quartier zeigen, damit Sie das Gelände nicht verlassen müssen. Sie wird außerdem Retina-Scans und Fingerabdrücke von Ihnen abnehmen, um Sie in unser System einzuspeisen. Nick ist der Teamleiter und Ihr Befehlshaber im Einsatz. Er wird Ihr Training leiten.«

»Wenn Sie angekommen sind, werden wir heute Nachmittag mit einem vollen Trainingsprogramm beginnen«, sagte Nick. »Morgen werden wir sehen, wie Sie sich im Nahkampf schlagen. Das wird Selenas Aufgabe sein.«

Ramirez sah Selena an. Sie warf ihm einen zuckersüßen Blick zu.

»Ist das Ihr Ernst? Das ist nicht unbedingt fair. Ich war in unserem Bataillon der Beste im Nahkampf.«

»Dann können Sie mir ja vielleicht noch ein paar Tricks beibringen.«

»Klar. Ich werde es ganz langsam mit Ihnen angehen lassen.«

Ronnie sah auf seine Füße hinunter und versuchte, nicht vor Lachen loszuprusten.

Kapitel 4

Früh am nächsten Morgen nahm Nick sein Team und Ramirez auf einen Lauf um das Anwesen mit. Wenn Ramirez von dem Tempo, welches Nick vorlegte, oder der Leichtigkeit, mit der Selena Schritt halten konnte, überrascht war, ließ er es sich nicht anmerken. Am Ende legte Nick sogar noch einen kurzen Spurt ein. Selena sprintete an Ramirez vorbei, bis sie mit Nick gleichzog. Gemeinsam erreichten sie das Haus, vor Ramirez und Ronnie.

Sie stiegen in die Ebene unter dem Haus hinunter und betraten den Trainingsraum.

»Fünf Minuten«, sagte Nick. »In dem Kühlschrank dort steht kaltes Wasser, Sergeant.«

Er lief zu Selena. »Trainiere mit ihm«, sagte er, »aber tu ihm nicht weh.«

»Ich werde es versuchen, aber manchmal sind die Neulinge etwas übereifrig.«

»Dann sorge zumindest dafür, dass keine bleibenden Schäden bleiben.«

Ein paar Minuten später standen sich Selena und Ramirez auf einer großen Matte gegenüber. Elizabeth und Stephanie waren hinzugekommen, um zuzusehen. Sie nahmen an der Wand Platz.

»Okay«, begann Nick. »Sergeant, ich möchte, dass Sie versuchen, Selena zu überwältigen. Selena, du versuchst, das zu verhindern. Keine tödlichen Schläge, aber davon abgesehen ist alles erlaubt.«

Ramirez sah ihn an. »Sie könnte verletzt werden«, sagte er.

»Das ist ihr Problem. Halten Sie sich nicht zurück. Bereit?«

Beide nickten.

»Dann los.«

Selena wartete, ob Ramirez sich vor ihr verbeugen würde. Er nickte, verbeugte sich aber nicht. Beide näherten sich in der Mitte der Matte. Ramirez griff mit einer Kombination aus Tritten und Ellenbogenhieben an. Er war schnell, aber Selena war schon nicht mehr dort, wo seine Schläge hätten landen sollen. Sie trat sein Bein weg, wehrte seinen Schlag ab und landete einen Tritt gegen seine Hüfte, der ihn bis an das Ende der Matte zurücktaumeln ließ.

Er kehrte zurück und versuchte es mit einem hoch angesetzten Tritt gegen ihren Kopf. Sie wich aus. Sein Fuß fegte harmlos an ihrem Gesicht vorbei. Sie packte das vorbeifliegende Bein, trat zur Seite und nutzte seinen Schwung, um ihn auf den Rücken zu werfen. Ramirez landete hart auf der Matte und grunzte. Er begann, rot zu werden.

Die nächsten Minuten liefen auf die gleiche Weise ab. Jedes Mal, wenn Ramirez angriff, blockte Selena seine Schläge ab oder wich ihnen aus und warf ihn auf die Matte. Bei all seinen Versuchen berührte er sie kaum. Nach seinem letzten Sturz auf die Matte stand Ramirez auf und sah sie mit einem veränderten Blick an.

Selena merkte, dass er die Disziplin verlor und ihr eine Lektion erteilen wollte. Sie beschloss, der Sache ein Ende zu setzen. Er kam auf sie zu, täuschte einen Tritt an, gefolgt von einem Schlag gegen das Nervenzentrum unter dem Schlüsselbein. Wenn dieser sie getroffen hätte, wäre sie verletzt worden und der Kampf beendet gewesen. Sie aber beugte sich mit einer eleganten Bewegung nach hinten, die aus über zwanzig Jahren Trainings resultierte. Als der Schlag an ihr vorüberging, wirbelte sie herum und packte seinen rechten Arm. Sie zog ihn gleichzeitig nach unten und nach hinten, verdrehte ihn in einem unnatürlichen Winkel.

Ramirez schrie vor Schmerz auf und sank in die Knie.

»Nicht bewegen«, sagte Selena. »Wenn Sie sich bewegen, renke ich Ihre Schulter aus. Die Bänder werden reißen. Das wollen Sie sicher nicht. Haben Sie genug?«

Ramirez knirschte mit den Zähnen und versteifte sich.

»Ich meine es ernst. Nicht bewegen.«

»Genug«, sagte er.

Selena ließ ihn los, trat ein paar Schritte von ihm zurück und verbeugte sich.

»Verdammt«, murmelte Ramirez.

»Tut weh, was?«, fragte Selena.

Ramirez stand auf und rieb sich die Schulter. Er sah Selena an. Dann verbeugte er sich. Sie nickte ihm zu.

»Gut«, sagte Nick. »Was haben Sie falsch gemacht, Sergeant?«

Ramirez dachte nach. Er starrte auf seine Füße, dann blickte er auf.

»Ich geriet in Rage. Ich wollte ihr eine Lektion erteilen.«

»Das wäre das eine. Wut trübt Ihre Urteilskraft. Sie dürfen sich nicht von ihr überwältigen lassen. Was noch?«

»Ich habe sie unterschätzt.«

»Das ist richtig. Wieso?«

»Ich hätte nie gedacht, dass eine Frau mich schlagen könnte.«

»Nun, jetzt wissen Sie, dass das möglich ist. Es sind nicht die Waffen, die Frauen gefährlich machen. Manchmal operieren wir an Orten, an denen die Frauen noch schlimmer sind als die Männer. Das sollten Sie sich merken. Und Sie sollten es eigentlich besser wissen, schließlich waren Sie in Afghanistan.«

Ramirez besaß den Anstand, sich seine Scham anmerken zu lassen. »Ich werde es nicht vergessen.«

»Aber um Sie zu beruhigen … Sie hatten nie eine Chance«, fuhr Nick fort. »Selena kann jeden von uns schlagen. Wahrscheinlich auch jeden, dem Sie je begegnen werden, einschließlich Ihrer Ausbilder. Sie hat mich öfter auf die Matte gelegt, als ich zählen kann. Aber Sie können von ihr lernen, wenn Sie es zulassen.«

»Verstanden«, antwortete Ramirez. »Was nun?«

»Ich gebe Ihnen eine Stunde, um Ihre Schulter zu kühlen und sich auszuruhen. In dem Schränkchen im Badezimmer ist Aspirin, falls Sie welches wollen. Danach treffen wir uns auf dem Schießplatz«, sagte Nick. »Und danach folgt der Kurs im Häuserkampf in dem Gebäude hinter dem Parkplatz.«

Am Ende des Tages schaute Nick vor dem Nachhauseweg in Elizabeths Büro vorbei.

»Wie macht sich unser neuer Mann?«, fragte sie.

»Nicht schlecht. Er kann schießen, da besteht kein Zweifel. Aber er war etwas betreten nach der Sache mit Selena.«

Elizabeth lächelte. »Dann sehen wir uns beim Briefing morgen früh.«

Nachdem Nick ihr Büro verlassen hatte, lehnte sie sich auf ihrem Stuhl zurück und dachte über Ramirez nach. Sie hoffte, dass es mit ihm funktionieren würde. Sie hatte Glück gehabt, nicht schon viel eher jemand Neues zu ihrem Team holen zu müssen. Über die Jahre hatte es eine Menge Verletzungen und viele brenzlige Situationen für jeden von ihnen gegeben, sie eingeschlossen.

Für Elizabeth war das Team des PROJECTs so etwas wie ihre Familie. Sie war einmal verheiratet gewesen. Bevor der Präsident sie mit dem PROJECT betraut hatte, hatte sie für das Justizministerium gearbeitet. Sie hatte geglaubt, in einem Kollegen den perfekten Partner gefunden zu haben, und so wurde er zu ihrem Ehemann. Aber dieser Trugschluss fand ein jähes Ende, als er beschloss, einer prominenten und wohlhabenden Liebhaberin und den damit verbundenen Vorteilen für seine Karriere den Vorzug zu geben.

Elizabeth hatte die Hoffnung aufgegeben, noch jemanden zu finden, mit dem sie ihr Leben würde teilen können. Sie würde keine Familie im traditionellen Sinn haben. Nick, Selena, Stephanie und die anderen waren zu ihrer Familie geworden. Und nun gab es mit Ramirez einen Neuzugang.

Ich hätte es schlimmer treffen können, dachte sie.

Kapitel 5

Nick hob den Deckel der Pfanne, die auf dem Herd vor sich hin köchelte. Er rührte den Inhalt um und sog den würzigen Duft des Essens ein. Dann sah er durch das Küchenfenster auf den Sonnenuntergang, der dunkelrot in der feuchtwarmen, von Abgasen geschwängerten Luft über dem Potomac loderte. In dem Loft war es kühl. Im Hintergrund spielte leise Miles Davis.

»Nur noch ein paar Minuten«, sagte er.

Selena stand an der Kücheninsel in seiner Nähe und verlieh ihrem Salat den letzten Schliff.

»Riecht gut«, sagte sie. »Wie in dem indischen Restaurant am Dupont Circle.«

»Es soll auch so riechen. Das ist Chicken Marsala.«

»Tut mir leid, dass ich das heute tun musste«, sagte Selena. »Ich wollte ihn nicht demütigen. Er wurde wütend. Wenn Menschen wütend werden, begehen sie Fehler. Ich dachte, es wäre an der Zeit, ihn aufzuhalten, bevor noch jemand von uns ernstlich verletzt würde.«

»Du hast das Richtige getan. Er ist jung und muss noch einiges lernen.«

»Er ist siebenundzwanzig.«

»Wie gesagt, er ist noch jung. Er hat noch nicht gelernt, seinen Ärger im Zaum zu halten, wenn er Gegenwind bekommt. Das ist kein guter Charakterzug.«

»Ich mag ihn aber«, sagte Selena. »Er hat mir Respekt entgegengebracht, als er wieder stehen konnte.«

»Das hab ich gesehen. Ich glaube, er hat auch verstanden, was ich ihm sagen wollte, als ich ihm riet, von dir noch einiges lernen zu können.«

»Am Schießstand hat er sich auch gut geschlagen.«

»Sollte er auch, nach all den Jahren bei den Rangers«, sagte Nick. »Und auf dem Kampfgelände hat er gutes Urteilsvermögen gezeigt. Er hat nur einen Zivilisten erschossen. Besser als ich bei meinem ersten Durchlauf.«

Der Übungskurs im Häuserkampf war erst kürzlich in dem großen Lagerhaus gegenüber dem Hauptquartier errichtet worden. Er bestand aus beweglichen Wänden und Kulissen, die wie die Straßen und Gebäude in einem städtischen Umfeld überall auf der Welt aussahen. Man konnte dort eine Dorfstraße, einen Häuserblock oder ein bestimmtes Zielumfeld nachstellen, je nach Bedarf. Dreidimensionale automatische Zielobjekte sprangen unvorhergesehen hinter Türen und Fenstern, in Räumen oder hinter Wänden und Fahrzeugen auf. Bei einigen von ihnen handelte es sich um Gegner mit einer Vielzahl von Waffen und Erscheinungsbildern. Andere stellten Zivilisten dar – alte Männer, Büroarbeiter, Kinder, Frauen mit Babys. Ramirez hatte einen der Rentner erschossen, weil er dessen Gehstock für eine Waffe gehalten hatte. Die finale Bewertung bestand aus der Anzahl der Treffer, der korrekten Identifizierung der Ziele und der Reaktionsgeschwindigkeit.

»Er wird sich schon an uns gewöhnen«, sagte Selena. »Ich sehe, wie er versucht, seinen Platz bei uns zu finden. Aber natürlich weiß er noch nicht, was wir tun, zumindest nicht genau.«

»Und das wird er auch nicht, bevor er nicht mit uns im Einsatz war.«

Nick sah nach dem Hühnchen. »Es ist fertig.«

»Ist dir klar, dass das unser erstes gemeinsames Abendessen hier ist?«, fragte Selena.

»Und mit Sicherheit nicht das letzte«, antwortete Nick.

»Du bist ein echter Romantiker, nicht wahr?«

Mit hier meinte Selena das renovierte Loft mit Blick auf den Potomac. Sie waren erst vor ein paar Tagen eingezogen. Sie hatten es sich gemeinsam gekauft, obwohl sie noch nicht verheiratet waren. Nick aber wusste, dass sie es bald sein würden. Bis dahin war dieses Loft eine gute Gelegenheit, sich aneinander zu gewöhnen, bevor sie vor den Altar treten würden. Bislang hatten sie noch kein Datum gefunden oder Arrangements für den letzten großen Schritt getroffen.

»Also, was hältst du von unserem Anfänger?«, fragte Selena. »Glaubst du, er wird zu uns passen?«

»Er sieht ziemlich gut aus«, sagte Nick. »Ich denke, das größte Problem wird sein, ob er sein Selbstbild in den Griff bekommt oder nicht.«

»Sein Selbstbild?«

»Macho-Ranger, Superheld.«

»Ah, das Selbstbild.«

»Army Rangers sind oft so wie er.«

»Höre ich da die Hymne des Marine Corps im Hintergrund spielen?«, fragte Selena.

»Wie meinst du das?«

»Du weißt, was ich meine. Die Einstellung der Marines zu anderen Einheiten.«

»Die Rangers sind eine gute Einheit.«

»Aber sind sie auch so gut wie die Marines?«

»Die Marines sind die besten«, sagte Nick. »Aber die Rangers sind verdammt gut.«

»Ich sage nichts mehr«, antwortete Selena.

Kapitel 6

Nazar Al-Bayati trug einen dichten Schnurrbart wie einst Saddam Hussein. Er war dick, mit einem deutlichen Bauchansatz. Seine Arme waren so breit wie Oberschenkel. Einmal hatte er mit diesen Armen einen Mann zu Tode gequetscht, um ein Zeichen zu setzen.

Manche Menschen verdienten ihr Geld mit dem Verkauf von Waffen, Drogen oder Frauen. Nazar war auf allen diesen Gebieten aktiv, aber seine Haupteinnahmequelle waren Informationen. Er lebte im Zentrum eines Netzwerkes aus Dieben und Spionen, welches vom Mittleren Osten bis nach Europa und von den Hintergassen in Damaskus bis in die Unternehmenschefetagen in London oder Paris reichte.

Nur wenige Dinge von Wichtigkeit, die sich im Mittleren Osten ereigneten, entgingen ihm. Für Al-Bayati waren die endlosen Kriege ein Gottesgeschenk. Nicht, dass er wirklich an Gott glaubte. Vielmehr glaubte er an eine unersättliche Gottheit dunklerer Natur, wie sie von seinen karthagischen Vorfahren vor Jahrhunderten angebetet worden war. Nazars Gott war alt, älter als die Götter, auf die sich die Christen, die Juden oder die Moslems beriefen. An ihn richtete er seine Gebete und seine Fürbitten.

Die einzige andere Sache, an die er glaubte, war Gier. Als intelligenter und gerissener Mann bezog Nazar seine profitabelsten Informationen aus den neuesten Entwicklungen der Technik. Neue Waffen, neue Entdeckungen, neue und bessere Wege, Krieg zu führen. All diese Dinge bedeuteten Geld. Wer wusste, was kommen würde, würde seinen Mitbewerbern immer einen Schritt voraus sein. Um genau dafür zu sorgen, besaß er Informanten, die für ihn nach genau diesen Informationen suchten. Er hatte Augen und Ohren in den nuklearen Forschungseinrichtungen Russlands, in Israel und in den Tempeln der Forschung in Europa. Es war einer dieser vielen Informanten gewesen, der ihm von dem seltsam aussehenden Italiener und seiner vulkanischen Schriftrolle berichtet hatte. Also hatte Nazar wieder einmal seinen Agenten ausgesandt.

Nun lag Professor Caprinis Reisetasche vor ihm auf dem Schreibtisch. Nazar blickte zu dem Mann auf, der sie ihm gebracht hatte. Sein Name war Addison Rhoades, ein in Ungnade gefallener britischer Agent, der zu einem von Bayatis wichtigsten Männern geworden war. Rhoades war Bayatis ›Fixer‹, ein Mann, der sich um Probleme kümmerte. Kleine Probleme übernahm Rhoades selbst, und für größere kannte er die nötigen Männer, die sich darum kümmern würden.

Auf den ersten Blick erschien Rhoades wie ein erfolgreicher europäischer Geschäftsmann. Er war mit einem guten Anzug, einem hellblauen Hemd und einer lavendelfarbenen und perfekt gebundenen Krawatte bekleidet. Ein genauerer Blick offenbarte die Abgründe in seinem Gesicht, die tiefen Falten unter seinen Augen und die dunklen Flächen darunter. Er war groß, kräftiger, als er aussah, und ein hervorragend trainierter Auftragsmörder.

»Haben Sie die Tasche geöffnet?«, fragte Nazar.

»Ja. Die Schriftrolle befindet sich in einem Koffer darin.«

»Gibt es Notizen?«

»Es gibt einen Computer. Ich habe ihn noch nicht untersucht, aber wenn es Notizen geben sollte, werden sie darauf zu finden sein. Es gibt zudem Kopien der Röntgenaufnahmen.«

»Ausgezeichnet. Ich nehme an, Sie haben keinerlei Spuren hinterlassen.«

»Haben Sie denn nicht die Zeitung gelesen?«

Nazar überlegte. »Sie meinen das Zugunglück in Italien?«

»Ja.«

»Ah. Etwas extrem, finden Sie nicht?«

»Es schien mir am geeignetsten«, antwortete Rhoades.

»Wer weiß sonst noch von diesen Röntgenaufnahmen?«, erkundigte sich Nazar.

»Soweit ich weiß nur eine einzige Person – der Techniker, der den Apparat bediente.«

»Ich möchte, dass Sie nach Grenoble zurückkehren«, sagte Nazar. »Eliminieren Sie ihn. Und zerstören Sie außerdem sämtliche Hinweise auf die Aufnahmen.«

»Das könnte die Beschädigung sehr teurer Geräte mit sich bringen«, gab Rhoades zu bedenken.

»Das ist unwichtig. Die Franzosen werden es reparieren. Lassen Sie es wie einen Terroranschlag aussehen.«

»Wie Sie wünschen.«

»Sie haben gute Arbeit geleistet, Addison.«

Nazar griff in eine Schublade. Er nahm eine kleine, in Folie eingewickelte Kugel heraus. Rhoades leckte sich über die Lippen. Nazar sah das Begehren in seinen Augen.

»Sorgen Sie dafür, dass es nicht Ihre Mission beeinträchtigt.«

»Natürlich«, entgegnete Rhoades. Er nahm die Kugel entgegen und ließ sie in seine Tasche gleiten.

Als Rhoades gegangen war, öffnete Nazar Professor Caprinis Laptop und startete ihn. Auf dem Bildschirm erschien eine Passwortabfrage. Nazar steckte einen USB-Stick mit einem Programm darauf ein, welches er dem russischen Geheimdienst entwendet hatte. Für einen Moment lang wurde der Bildschirm schwarz, dann flackerte er wieder auf und gab den Blick auf ein Dutzend Ordner vor blauem Hintergrund frei. Nazar klickte auf den Ordner, der den Titel ›Herculaneum‹ trug.

Der Ordner enthielt die Bilder, die in Grenoble aufgenommen worden waren und zeigten, was sich unter der verkrusteten Oberfläche verbarg. Selbst die neueste Computertomografie war nicht in der Lage gewesen, alles zu offenbaren, was das uralte Dokument enthielt. Aber das, was sie offenbaren konnte, genügte, um Nazars dunkles Herz schneller schlagen zu lassen.

Kapitel 7

Stephanie und Elizabeth befanden sich in Elizabeths Büro, als Nick und Selena eintrafen. Ronnie folgte ihnen kurz darauf.

»Ich habe Nachrichten aus dem Weißen Haus«, sagte Elizabeth. »Rice möchte, dass wir einer Sache in Frankreich nachgehen.«

»Falls wir recht schnell aufbrechen sollen, sollten wir Ramirez dazu bitten«, sagte Nick. »Er sollte in die Planung einbezogen werden.«

»Haben Sie schon entschieden, ob Sie ihn behalten wollen?«

»Das weiß ich noch nicht, aber es scheint mir eine gute Gelegenheit zu sein, ihm zu zeigen, wie wir arbeiten.«

»Zuletzt habe ich ihn im Trainingsraum gesehen. Steph, würden Sie Sergeant Ramirez bitten, zu uns zu kommen?«

Unter ihnen im Trainingsraum lief Diego auf der Stelle auf dem Laufband. Sein Verstand raste aber noch schneller als er selbst.

Wer zum Teufel sind diese Typen?, dachte er. Das ist wirklich eine seltsam zusammengewürfelte Truppe. Sie sind verdammt alt, zumindest Carter und sein Indianer-Kumpel. Ich frage mich, was mit seinem Ohr passiert ist? Oder die Blondine, Selena. Wo hat sie so kämpfen gelernt? Und zu allem Überfluss wird die gesamte Gruppe von einer Frau geleitet.

Er drückte auf eine Taste. Das Laufband lief schneller.

Und dann die Waffen in der Waffenkammer … die meinen es wirklich ernst. Aber ich weiß immer noch nicht, was sie genau tun. Wenn sie keine Spione sind, was sind sie dann? Problemlöser, hatte Harker es genannt. Was zur Hölle soll das denn bedeuten? Welche Art von Problemen?

Stephanie kam an die Tür. »Sergeant, Direktorin Harker möchte Sie gern oben sehen.«

»Schon unterwegs.«

Er schaltete die Maschine aus und spürte, wie seine Beine glaubten, sich noch immer zu bewegen. Stephanie war bereits wieder verschwunden. Diego wischte sich mit einem Handtuch den Schweiß von der Stirn und lief nach oben.

Nachdem er Platz genommen hatte, kam Harker sofort zum Punkt.

»Sergeant, Sie sind immer noch in der Probezeit, aber Nick und ich dachten, Sie sollten dabei sein und verfolgen können, wie wir eine Operation planen. Zeigen Sie uns das Bild, Steph.«

Stephanie tippte eine Taste auf ihrem Laptop an. Der Monitor an Elizabeths Bürowand erwachte zum Leben und zeigte ein großes, graues Gebäude, das wie ein gigantischer Donut aussah. Die Wände und das Dach bildeten eine abgerundete Einheit. Das Gebäude formte einen Kreis, mit einer großen, offenen Fläche in dessen Mitte. Geschwärztes und verbogenes Metall zeugte von der Wucht einer Explosion, die ein großes Loch in die Seite gerissen hatte.

»Sieht aus, als hätte jemand davon abgebissen«, sagte Ronnie.

Er trug ein ausgeblichenes Hawaiihemd aus seiner Kollektion, das mit fröhlichen Ukulele-Spielern bedruckt war, die ihre Instrumente bearbeiteten und Leis trugen.

»Wo wir gerade nach dem Äußeren urteilen – du siehst aus wie ein Konzertsaal in Waikiki«, sagte Nick. »Wo hast du denn das Hemd her? Aus einem Second-Hand-Laden?«

»Hey, das ist ein Klassiker aus den Siebzigern. Wann wirst du endlich die Feinheiten eines guten Kleidungsstils zu schätzen wissen?«

»Entschuldigen Sie«, unterbrach sie Elizabeth, »dürfte ich wohl um Ihre Aufmerksamkeit bitten?«

»Sorry, Direktorin«, sagte Nick.

Ramirez verfolgte ungläubig den Wortwechsel.

»Was ist das für ein Gebäude?«, wollte Nick wissen.

»Die European Synchrotron Radiation Facility in Grenoble, Frankreich.«

»Das ist mal ein Zungenbrecher.«

»Es ist eine der modernsten Einrichtungen für Röntgen- und Strahlungsforschungen. Ein sehr bedeutendes Wissenschaftszentrum. Und wie Sie sehen können, hat es jemand außer Gefecht gesetzt.«

»Ein Terroranschlag?«, fragte Selena.

»So lautet die offizielle Stellungnahme.«

»Und wie lautete die inoffizielle?«

»Inoffiziell weiß niemand etwas Genaues, außer, dass es sich um Sabotage handelte. In dem attackierten Bereich kam insbesondere ein hypermoderner Computertomograph zur Anwendung. Ähnlich wie die Geräte, die bei Menschen zum Einsatz kommen, nur dass dieser Objekte anstatt Menschen scannen kann. Alle Daten und jegliche Ausrüstung in diesem Teil des Gebäudes wurden zerstört. Selena, Sie können doch Aramäisch lesen, oder?«

»Kommt drauf an. Für gewöhnlich schon.«

»Es gehört zur Routine dieser Einrichtung, alle Daten auf einen anderen Server zu duplizieren. Die Forschung dort ist zu wichtig, um sich nur auf ein Backup-System zu verlassen. Die Explosion zerstörte einen Server, die Daten existieren aber noch auf dem Backup. Der französische Geheimdienst stieß auf eine in Aramäisch gehaltene Schriftrolle, die nur wenige Tage zuvor in der Einrichtung gescannt wurde.«

»Das ist interessant, aber was hat das mit der Explosion zu tun?«

»Die Schriftrolle könnte der Grund dafür sein. Sie wurde beim Ausbruch des Vesuvs völlig von Vulkangestein eingeschlossen. Ein Professor des italienischen Nationalmuseums namens Caprini brachte sie in die Forschungseinrichtung, um zu prüfen, ob der Text womöglich mittels Röntgenstrahlen lesbar gemacht werden könnte. Wie sich herausstellte, konnten die erste und ein Teil der zweiten Seite sichtbar gemacht werden. Caprini war ein biblischer Archäologe. Er konnte übersetzen, was dort geschrieben stand.«

»War ein biblischer Archäologe?«

»Er ist tot. Das ist ein Grund, weshalb die Franzosen glauben, die Schriftrolle könnte etwas mit dem Anschlag zu tun haben. Er befand sich auf dem Weg zurück nach Italien, als eine Explosion seinen Zug von einer Brücke in den italienischen Alpen fegte. Das war kein Unfall.«

»Ich habe darüber gelesen«, sagte Ronnie. »Mehr als zweihundert Menschen starben bei dem Unglück.«

Nick sah Harker an. »Sie sprachen von zwei Gründen. Was ist der zweite?«

»Der Techniker, der die Röntgenapparate für Caprini bediente, wurde nach der Explosion ebenfalls tot aufgefunden. Er wurde noch vor der Explosion umgebracht.«

»Jemand hat ihn getötet?«, fragte Selena?

»Ja.«

»Wo befindet sich die Schriftrolle jetzt?«