DIE LANZE (Project 2) - Alex Lukeman - E-Book + Hörbuch

DIE LANZE (Project 2) E-Book und Hörbuch

Alex Lukeman

3,5

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Beschreibung

In den letzten Tagen des Zweiten Weltkrieges arbeiten ranghohe Funktionäre des Dritten Reiches fieberhaft daran, die wertvollsten Artefakte außer Landes zu schaffen. Ein SS-General wird damit beauftragt, die Heilige Lanze – jene Waffe, mit der Longinus den sterbenden Jesus am Kreuz in die Seite gestochen haben soll und die ihrem Besitzer der Legende nach unglaubliche Macht verleiht – im ewigen Eis der Antarktis zu verstecken. Nun, Jahrzehnte später, taucht die Lanze wieder auf, und mit ihr ein von langer Hand vorbereiteter Plan, die Länder des Mittleren Ostens gegeneinander aufzuhetzen und schließlich sogar Amerika in die Knie zu zwingen. Die Verschwörer sind selbst im Weißen Haus zu finden, und nur Nick Carter, Selena Connor und das Project-Team können die neuen Träger der Lanze noch aufhalten. "Eine starke, schnelle Geschichte, die den Leser auf eine unglaubliche Reise in die Welt der Agenten und Terroristen mitnimmt. Atmosphärisch hervorragend." [J. Bryden Lloyd]

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Seitenzahl: 338

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Zeit:9 Std. 19 min

Sprecher:Michael Schrodt
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PROJECT 2: DIE LANZE

Alex Lukeman

Copyright © 2012 by Alex Lukeman

Dieses Werk ist Fiktion. Alle Rechte vorbehalten. Kein Teil dieser Veröffentlichung darf in irgendeiner Form oder mit irgendwelchen Mitteln vervielfältigt, verbreitet oder übertragen werden, außer nach vorheriger und ausdrücklicher Genehmigung des Autors. (Dieses Werk ist Fiktion.) Namen, Charaktere, Organisationen, Orte, Ereignisse und Vorfälle sind entweder vom Autor frei erfunden oder als fiktives Element verwendet. Jede Ähnlichkeit mit tatsächlichen lebenden oder toten Personen ist rein zufällig.

»Die beste politische Waffe ist die Waffe des Terrors. Grausamkeit verlangt Respekt. Die Menschen mögen uns hassen, aber wir verlangen nicht ihre Liebe, sondern ihre Furcht und Unterwerfung.«

Impressum

überarbeitete Ausgabe Originaltitel: PROJECT: THE LANCE Copyright Gesamtausgabe © 2024 LUZIFER-Verlag Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Cover: Michael Schubert Übersetzung: Alok Avasthi Lektorat: Johannes Laumann

Dieses Buch wurde nach Dudenempfehlung (Stand 2024) lektoriert.

ISBN E-Book: 978-3-95835-287-2

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Inhaltsverzeichnis

PROJECT 2: DIE LANZE
Impressum
Prolog
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Kapitel 31
Kapitel 32
Kapitel 33
Kapitel 34
Kapitel 35
Kapitel 36
Kapitel 37
Kapitel 38
Kapitel 39
Kapitel 40
Kapitel 41
Kapitel 42
Kapitel 43
Kapitel 44
Kapitel 45
Kapitel 46
Kapitel 47
Kapitel 48
Kapitel 49
Kapitel 50
Kapitel 51
Kapitel 52
Kapitel 53
Kapitel 54
Kapitel 55
Kapitel 56
Kapitel 57
Kapitel 58
Kapitel 59
Kapitel 60
Kapitel 61
Kapitel 62
Kapitel 63
Kapitel 64
Kapitel 65
Kapitel 66
Kapitel 67
Epilog
Anmerkungen des Autors
Über den Autor

Prolog

Antarktis, 19. Februar, 1945

Das Fenris-Gebirge erhob sich kahl und schwarz im blendenden Weiß der antarktischen Ebene. SS-General Dieter Reinhardt beobachtete zwei Besatzungsmitglieder der U-886, während sie Eis und Schnee von Stahltüren entfernten, die sich an der Seite eines der namenlosen Gipfel befanden. Ein Motorschlitten wartete in der Nähe. Reinhardt war groß und dünn, sein Gesicht beinahe ein Abbild des Totenkopf-Emblems an seiner hohen Schirmmütze. In seinem langen Mantel und der dunklen runden Schneebrille sah er wie ein bösartiges Insekt aus.

Die Türen schwangen auf. Zwei Matrosen hoben eine Holzkiste vom Schlitten und folgten Reinhardt durch einen dunklen Gang, hinunter ins Innere des Berges. Der Korridor endete an einer Tresortür. Reinhardt drehte zuerst an einer Zahlenscheibe, dann an einem großen Speichenrad und zog daraufhin die schwere Tür auf.

Metallkisten standen an einer Seite des Tresorraumes. Auf der anderen Seite glänzten Goldbarren mit geprägtem Adler und Hakenkreuz im hellen Licht von Reinhardts Taschenlampe.

»Stellt sie dort hinten hin.« Sein Atem bildete beim Sprechen Wolken in der kalten Luft.

Die Männer stellten die Kiste auf den Boden. Reinhardt zog seine Pistole und trat hinter einen der Männer, setzte die Mündung an seine Schädelbasis und feuerte. Der Knall war ohrenbetäubend in dem geschlossenen Metallraum. Sein Kamerad drehte sich mit vor Schreck weit aufgerissenen Augen um. Reinhardt feuerte ein weiteres Mal. Blut spritzte über die aufgestapelten Goldbarren.

Reinhardt verstaute seine Pistole und trat an den Leichnamen vorbei zurück in den Korridor.

Er schloss die Tresortür, versperrte sie und ging wieder hinaus in das blendende Polarlicht. In aller Ruhe platzierte er Sprengladungen um den Eingang des Bunkers. Die Explosion begrub die Stahltüren unter einer Lawine aus Eis und Schnee. Niemand würde jemals den Eingang finden können, es sei denn, er wüsste genau, wo er sich befand.

Reinhardt stieg auf den Motorschlitten und fuhr zurück zu dem in der Ferne liegenden Rand der Eisdecke und dem dort wartenden U-Boot. Er erinnerte sich an die Nacht, als er nach Berlin beordert wurde.

Jeweils zwei 20mm-Flak-Geschütze am vorderen und am hinteren Ende von Himmlers privatem Zug waren in den mondlosen Nachthimmel gerichtet. Nicht weit entfernt, auf der anderen Seite des Rheins, signalisierten Lichtblitze und das entfernte Dröhnen der Artillerie das Voranschreiten der alliierten Armeen. Ein schwaches Glimmen ließ die Feuer in den Kesseln von zwei riesigen Lokomotiven erahnen. Das leise Zischen von entweichendem Dampf verriet, dass der Zug bereit zur Abfahrt war.

Milchglaskugeln erhellten das Innere des Führungsabteils. Die Fenster waren mit Verdunkelungsvorhängen abgedichtet und hielten so das Licht im Inneren des Wagens gefangen. SS-Reichsführer Heinrich Himmler saß in der Mitte des Abteils hinter einem Schreibtisch. Er blickte auf, als Reinhardt hereinkam.

Das gelbe Lampenlicht spiegelte sich in Himmlers runden Brillengläsern. In Zivilbekleidung hätte man ihn mit seinen zurückweichenden dünnen Haaren und dem sandigen Schnurrbart für einen sanftmütigen Kassierer in einem Lebensmittelgeschäft halten können. In seiner SS-Uniform allerdings, mit Silberkranz und Eichenblättern am Kragen, hielt man ihn für genau das, was er war: den gefährlichsten Mann in ganz Nazi-Deutschland. Nur Hitler hatte mehr Macht.

Reinhardt hob seinen Arm und schlug die Fersen zusammen.

»Folgen Sie mir, General.« Himmler stand auf. Reinhardt begleitete ihn zum Gepäckwagen. Vier mit Schmeisser-Maschinenpistolen bewaffnete SS-Wachen nahmen die Habachtstellung ein.

»Lasst uns allein.«

Himmler bedeutete ihnen mit einer Handbewegung, zu gehen. Auf einem Tisch an der Seite des Wagens stand eine offene Kiste. In der Kiste befand sich eine polierte Box aus schwarzem Walnussholz. Auf dem Deckel prangte ein Hakenkreuz mit Siegeskranz aus purem Gold und mit eingelassenen Diamanten. Die Steine glitzerten im Lampenlicht.

Himmler hob den Deckel. Die heilige Lanze war darin auf blutroter Seide gebettet. Der Speer, der Christus durchbohrt hatte. Reinhardt legte seine Hand auf die antike Klinge. Selbst in der Kälte des ungeheizten Eisenbahnwaggons fühlte sie sich warm an.

Es hieß, wer auch immer die Lanze besaß, würde das Schicksal der Welt bestimmen. Die Legende wurde von Jahrhunderten in Blut und Eroberung geschrieben. Alle großen europäischen Eroberer trugen die Lanze vor ihren Armeen in die Schlacht. Nur Napoleon hatte sie nicht in seinen Besitz bringen können.

Manche glaubten, die Macht der Lanze käme vom Antichrist. Reinhardt und Himmler war es egal, woher die Macht stammte. Sie wussten, sie war real. Das war das Einzige, was von Bedeutung war. Nur die Ritter des Großen Rates wussten, dass Himmler die Lanze besaß. Nur Himmler und der Rat wussten, dass es die Lanze war, die während der frühen Kriegsjahre den Sieg gebracht hatte.

Himmler reichte Dieter ein dickes Paket.

»Ihre Befehle. Bringen Sie die Lanze zur Antarktis, verbergen Sie sie dort und begeben sich dann nach Argentinien.«

»Basis 211?«

Himmler nickte. Nur wenige Menschen, die von der verborgenen Forschungseinrichtung in der antarktischen Wüste wussten, waren noch am Leben. Niemand war seit '42 dort gewesen.

»Wir werden uns in Argentinien neu gruppieren. Zu gegebener Zeit werden wir die Lanze bergen und unseren Kampf fortführen.«

Himmler legte in ungewohnt kameradschaftlicher Geste eine Hand auf Reinhardts Schulter.

»Dieter. Es ist möglich, dass ich diesen Krieg nicht überlebe.«

Er hob seine Hand, um Reinhardts Protest zu unterbinden. Das Licht spiegelte sich in Himmlers Brille und auf dem Totenkopfring an seinem Finger.

»Sollte ich fallen, wird es einen neuen Großmeister geben. Unterstützen Sie ihn in jeder Hinsicht.«

»Zu Befehl, Reichsführer.«

Ich werde der Großmeister sein, dachte Reinhardt.

Sie betrachteten beide die heilige Lanze. Es schien, als würde ein leichtes blutrotes Glühen von ihr ausgehen.

»Für den Augenblick haben wir verloren«, sagte Himmler. »Aber solange sich die Lanze in unserem Besitz befindet, werden wir niemals besiegt werden.«

Das Rütteln des Schlittens, als er über eine raue Eisfläche fuhr, riss Reinhardt aus seinen Erinnerungen zurück in die Gegenwart. Er konnte das U-Boot in der Ferne sehen, wo es, dunkel wie Jonahs Wal, im offenen Wasser hinter dem glänzenden Rand des Eises wartete.

Er würde dem Kapitän der U-886 berichten, dass seine Männer von herabstürzendem Eis begraben worden seien. Es spielte keine Rolle. Wenn sie Argentinien erreichten, würden der Kapitän und die anderen sich schon bald zu ihren toten Kameraden gesellen. Es war alles arrangiert.

Drei Tage später wurde die U-886 von britischen Wasserbomben getroffen, während sie sich der argentinischen Küste näherte. Sie stieg für einen kurzen Moment an die Oberfläche – lange genug, dass der wachhabende Offizier ihren Typ und ihr Abzeichen vermerken konnte – um dann für immer unter den Wellen zu verschwinden.

Kapitel 1

Der süße Duft von Jasmin-Ranken, die an der bröckelnden Wand des Mietshauses in der Altstadt von Damaskus emporkletterten, wehte durch ein geöffnetes Fenster. Ein Mann war mit einem Lötkolben über einen Holztisch gebeugt. Er wischte sich mit einem ausgefransten Hemdsärmel den Schweiß von der Stirn, während er sich auf seine Aufgabe konzentrierte.

Ein anderer Mann saß auf einer eingefallenen Couch, die an eine der fleckigen gelben Wände geschoben war, und beobachtete ihn. Er trug einen dunklen Anzug mit europäischem Schnitt. Sein strahlend weißes Hemd war am Kragen geöffnet.

Der Mann auf der Couch hatte ein ausdrucksloses, unscheinbares Gesicht. Seine Züge waren glatt und ruhig, so als wäre das Leben nie wirklich an die Oberfläche gelangt. Es war heiß in dem Apartment, aber der Mann schwitzte nicht. Seine Augenbrauen waren über seinen farblosen Augen kaum wahrzunehmen. Seine Nase schien in der Unbestimmtheit seiner Züge zu verschwinden. Seine Lippen waren eine dünne unsichtbare Linie.

Der Mann am Tisch wurde Ibrahim genannt. Der Mann auf der Couch wurde der Besucher genannt, aber das wusste Ibrahim nicht. Es war besser so.

Die Bombe war fast fertig. Es war eine sehr gute Bombe, vielleicht die beste, die Ibrahim je gemacht hatte – und er hatte schon viele Bomben gebaut. Er war recht bekannt im Netzwerk der Terroristen. Wenn man etwas Ungewöhnliches wollte, zuverlässig und leicht zu verbergen, mit größtmöglicher Zerstörung, dann wendete man sich an den Syrer.

Jeder mit grundlegenden Elektronikkenntnissen konnte eine Selbstmordweste oder eine Straßenrand-Bombe bauen, aber nur wenige konnten tun, was Ibrahim tat. Das Ausmaß seines Könnens war leicht zu erkennen. Er besaß noch immer fast alle seiner Finger und beide seiner Augen, keine schlechte Leistung für einen alten Bombenbauer.

Er verlötete die letzte Verbindung, legte den Lötkolben zur Seite und erlaubte sich zu entspannen.

»Ist sie fertig?«

Der Mann im Anzug sprach arabisch, seine Stimme ruhig und angenehm. Er stand von der Couch auf und sah dem Bombenmacher über die Schulter. Ibrahim versuchte den Akzent zuzuordnen. Deutsch, möglicherweise.

Ibrahim nahm eine filterlose Zigarette aus einer zerknitterten gelben Packung, hielt sie zwischen nikotinverfärbten Fingern und zündete sie an. Der strenge Tabakrauch bildete eine blaue Wolke, als er ausatmete. Der Mann im Anzug verbarg sein Missfallen.

»Ja, fertig. Wenn Sie die Ladung platzieren, stellen und aktivieren Sie den Timer. Es gibt ein vierundzwanzig Stunden Zeitfenster.«

Ibrahim zeigte seinem Gast die Scharfschaltvorrichtung, die nicht größer als eine Damenarmbanduhr war. Ein roter Pfeil war auf die Umrandung des Ziffernblattes graviert. Auf dem Ziffernblatt waren Markierungen für vierundzwanzig Stunden. Ein zweiter, kleinerer Ring innerhalb des ersten war in zwölf Abschnitte zu je fünf Minuten unterteilt.

»Stellen Sie die Stunde ein, indem Sie den äußeren Ring im Uhrzeigersinn drehen. Dann drehen Sie den inneren Ring gegen den Uhrzeigersinn für die Feinjustierung. Sie können Ihre Auswahl zurücksetzen, bis Sie diesen Knopf drücken. Danach nicht mehr. Der Timer wird laufen, bis Ihre Einstellung erreicht ist. Die Bombe ist bis zum gewählten Zeitpunkt sicher. Dann … Boom.«

Der Besucher nickte.

»Geben Sie mir die Tasche.«

Der Besucher reichte Ibrahim einen Rucksack. Darauf stand in strahlend gelben Buchstaben über einem grün-gelben Widderkopf Colorado State University. Darin befanden sich Socken, zwei T-Shirts, ein bis zwei Teelöffel Sand, eine kurze Wanderhose, Postkarten, schmutzige Unterwäsche, ein Paar Dockers-Stiefel, eine Packung Kondome, Sandalen und eine Wasserflasche.

Außerdem waren da noch zwei Bücher. Das eine war ein beliebtes Taschenbuch, das Hostels und Restaurants in Israel auflistete. Das andere war ein gebundener Reiseführer zu den heiligen Stätten in Jerusalem.

Ibrahim öffnete den Reiseführer. Darin befand sich ein Hohlraum, um die Bombe zu verbergen. Das neue Gemisch, das sein Gast zur Verfügung gestellt hatte, war ein Wunder der Technik. Fünfzig Mal stärker als konventionelles Semtex oder C-4. Es hatte die Farbe von Sand oder altem, vergilbtem Kalkstein und konnte ganz nach Bedarf geformt werden. Es schien klein zu sein, aber die Explosionskraft war verheerend. Auch war es durch aktuelle Methoden nicht ausfindig zu machen. Nicht einmal die Hunde würden es wahrnehmen.

Das Buch war gut abgegriffen, wirkte unschuldig. Die Seiten verbargen eine Isolierung, die selbst vor einer Entdeckung durch anspruchsvollste elektronische Geräte schützte. Natürlich bestand immer eine Chance, trotzdem entdeckt zu werden. Die Juden und die Amerikaner waren gut im Kampf gegen den Terrorismus. Ibrahim nahm an, die Bombe war für einen der beiden gedacht.

Ibrahim interessierte es nicht, ob die Bombe erfolgreich war. Auch war im egal, wo oder wie die Bombe genutzt würde. Er wusste, sie war gut. Seine Arbeit war getan. Er platzierte die Bombe in dem Buch und fixierte die Seiten, so würde bei flüchtiger Betrachtung niemandem etwas auffallen. Er schlug das Buch zu und verstaute es im Rucksack.

Der eindringliche Klang des Gebetsrufes drang aus Lautsprechern vom Dach der Umayyaden-Moschee und hallte durch die Straßen der altertümlichen Stadt. Ibrahim würde zur Moschee gehen und seine Beziehung zu Gott auffrischen. Der andere konnte tun, was immer er wollte.

»Gut gemacht, mein Bruder.« Die Stimme seines Kunden war ruhig, tonlos. »Allah wird Sie im Jenseits entlohnen.«

»Da ist erst mal noch immer dieses Leben, oder? Sie haben die Bezahlung mitgebracht?«

»Natürlich. Ich habe sie hier.«

Der Besucher griff unter sein Jackett, holte eine 22er Ruger Automatik mit Schalldämpfer hervor und schoss Ibrahim in die Stirn. Der Mund des Bombenmachers formte ein stilles »Oh«. Seine Augen öffneten sich weit und rollten nach oben. Der Besucher feuerte eine weitere Kugel in das linke Ohr des Syrers, ein Flüstern so sanft wie der Atem eines Babys. Der Körper stürzte seitwärts vom Stuhl auf den Boden. Blut lief in einem Rinnsal auf das abgenutzte vernarbte Linoleum.

Der Besucher bückte sich und wischte einige Blutspritzer von der Spitze eines seiner glänzenden schwarzen Schuhe. Er nahm den Rucksack und verstaute ihn in einer Einkaufstasche aus Stoff. Er schaltete ein kleines Radio ein, das auf dem Tisch stand. Die rhythmischen Töne einer Oud und von Trommeln füllten den Raum mit Geräuschen voller Leben. Ibrahims Nachbarn würden noch für einige Zeit nichts bemerken.

Der Syrer war eine hilfreiche Unterstützung gewesen, aber jede mögliche Spur zu dem, was geschehen würde, alle losen Enden, mussten eliminiert werden. Ibrahim war ein loses Ende gewesen.

Die sogenannte Nation von Israel würde bald aufhören zu existieren. Alles, was es bedurfte, um diesen Prozess in Gang zu setzen, war diese eine kleine Bombe. Der Besucher schloss die Tür des Apartments hinter sich, stieg die Treppen hinunter zu der gepflasterten Gasse und pfiff dabei leise vor sich hin.

Kapitel 2

Nicholas Carter sah Elizabeth Harker an und dachte: Würde es Elfen geben, dann sähen diese vermutlich aus wie Elizabeth. Sie war von schmaler Statur und schlank, hatte milchweiße Haut und winzige Ohren, die sich unter ihrem rabenschwarzen Haar versteckten, und große, grüne Augen. Sie trug einen schwarzen Hosenanzug und eine weiße Bluse mit Mao-Kragen. In den zwei Jahren, die er für sie arbeitete, hatte er sie noch nie etwas anderes tragen sehen als Schwarz und Weiß.

Harker leitete das Project, das PResidential Official Joint Exercise for Counter Terrorism, die offizielle, gemeinsame Terrorismusbekämpfungsabteilung des Präsidenten. Sie war Nicks Boss. Ihr Boss war der Präsident.

Auf Harkers Schreibtisch befanden sich ein silberner Stift, ein Bild der brennenden Twin Towers und eine Aktenmappe. Der Stift hatte einmal FDR gehört. Das Bild war eine stetige Ermahnung. Die Mappe würde vermutlich den Verlauf seines Tages beeinflussen. Für Harker zu arbeiten bedeutete, nie zu wissen, ob er am Ende des Tages an einem Abgrund stehen und sich fragen würde, ob es wohl einen Weg zurückgäbe.

Er hörte Harker sagen: »Jemand plant, im Mittleren Osten Unruhe zu stiften.«

»Es plant immer jemand, im Mittleren Osten Unruhe zu stiften. Was ist in diesem Fall anders?«

Er kramte eine bröselige Magentablette aus seiner Tasche und warf sie sich in den Mund. Carter fühlte, wie sich Kopfschmerzen ankündigten. Harker griff nach dem silbernen Stift und fing an, damit auf die polierte Oberfläche ihres Tisches zu tippen. Jedes Tippen vibrierte in seinem Schädel.

»Der Präsident hält am Donnerstag eine Rede in Jerusalem. Wir haben einen Informanten, der sagt, dass es Probleme geben wird. Er möchte ein Treffen von Angesicht zu Angesicht.«

Carter zupfte an seinem verstümmelten linken Ohr, wo eine chinesische Kugel vor einigen Monaten sein Ohrläppchen durchschlagen hatte. Der Verband war inzwischen ab. Mit Verband hatte es allerdings besser ausgesehen.

Es war dasselbe Ohr, das anfing zu jucken, wann immer Dinge im Begriff waren, heikel zu werden – sein ganz persönliches Frühwarnsystem. Jetzt juckte es. Ein Geschenk – oder ein Fluch – das er von seiner irischen Großmutter geerbt hatte, zusammen mit Träumen, auf die er gern verzichten könnte.

»Haben Sie das an Langley weitergegeben? Was sagen die?«

»Ich soll mich raushalten und diese Dinge den Profis überlassen.« Ihre Stimme klang gereizt. »Lodge sagt, es gibt keinen Grund zur Beunruhigung.«

Wendell Lodge, amtierender Direktor des CIA.

»Er sagt, er und seine israelischen Entsprechungen haben alles unter Kontrolle.«

»Mossad?«

»Und Shin Bet.«

»Was ist Shin Bet?«, fragte Selena.

Selena Connor saß neben Carter auf Harkers Ledercouch. Die Deckenbeleuchtung fing die rötlich-blonde Farbe ihrer Haare ein und ließ ihre Augen violett erscheinen. Sie trug ein bräunliches Seidenoutfit und eine blasse Bluse, die zu ihren Augen passte. Sie war die erste Frau, die Nick nach dem Tod von Megan an sich rangelassen hatte. Er wusste nicht, wo das hinführte; oder ob er überhaupt wollte, dass es irgendwo hinführte. Sie war neu im Team. Sie hatte also noch viel zu lernen, und das bereitete ihm jede Menge Sorgen.

Selena strich sich eine vereinzelte Haarsträhne aus der Stirn.

Harker sagte: »Shin Bet ist Israels Version des FBI, auf Steroiden. Sie sind für die interne Sicherheit und Terrorismusbekämpfung zuständig. Mossad ist der Auslandsgeheimdienst, wie MI6 oder CIA.«

Carter blickte auf seine Hände und pulte an einem gebrochenen Fingernagel. »Lodge ist ein narzisstischer, verschlagener Bastard.«

»Was auch immer er ist, er wird uns nicht zurückhalten. Sie fliegen nach Israel. Wenn Sie etwas entdecken, das die Sicherheit von Rice bedroht, dann informieren Sie Shin Bet und den Geheimdienst. Die haben das Personal, lassen Sie die sich drum kümmern. Sie reisen heute ab.«

»Ich wollte mir schon immer mal Jerusalem ansehen. Vielleicht kann ich ja ein wenig Sightseeing dazwischenschieben.«

Sie legte den Stift auf den Tisch und faltete ihre Hände. »Das ist kein Urlaub, Nick. Sie sind als Teil des Teams mit dem Präsidenten untergebracht, in einem Hotel gleich außerhalb der Altstadt. Die Israelis lassen Sie möglicherweise nicht Ihre Waffe behalten. Die sind da empfindlich und Sie gehören nicht zum Geheimdienst.«

»Wer ist unser Informant dort?«

»Sein Name ist Arshak Arslanian. Er hat ein Geschäft im Armenischen Viertel.« Sie schob die Aktenmappe über den Tisch zu ihm. »Sein Bild und seine Infos sind da drin.«

Harker wandte sich an seine Kollegin. »Selena, Sie machen heute Nachmittag mit Ronnie weiter.«

Ronnie war das dritte Mitglied in Nicks Team. Er kam gerade von einem Besuch bei seiner Familie im Navajo Reservat in Arizona zurück. Er kümmerte sich um Selenas Ausbildung. Körperliches Training, Waffen, Codes – die Tricks des persönlichen Überlebens. Alles, was ihr eine Chance geben könnte, das nächste Jahr zu überstehen.

Harker tippte mit ihrem Stift und schaute Nick an. »Sie werden viel Zeit benötigen, um durch die Sicherheitszone zu gelangen. Sie machen sich besser auf den Weg.«

Kapitel 3

Carter saß mit seinem Rücken zur Wand in einem Café in der Innenstadt, trank Espresso und beobachtete die Menschenmenge. Es war eine warme Nacht. Die Fußgängerzone in Jerusalem, wo King-George-, Ben-Yehuda- und Jaffa-Straße zusammentrafen, war überfüllt mit Menschen.

Für das jüdische Volk war Jerusalem das Zentrum der Welt. Hier würde der Messias eines Tages erscheinen. Es war der Ort, an dem Gott die Errichtung seines Tempels befohlen hatte. Jeder Stein, jeder Kiesel, jedes Staubkorn auf dem Tempelberg war heiliger Boden. Überall auf dieser Erde beteten fromme Juden für die Wiederherstellung des Tempels, der im Jahr 70 durch die Römer zerstört worden war.

Die wichtigsten Schreine des Christentums befanden sich hier. Das Grab Christi, der Raum des letzten Abendmahls, der Garten Gethsemane, in dem Jesus den Judas-Kuss erhielt. Der Ort, an dem Pontius Pilatus das Urteil verkündete. Der Ort der Kreuzigung. Jede christliche Konfession auf dieser Welt hatte eine Kirche oder einen Schrein irgendwo in der Altstadt.

Für Muslime war die al-Aqsa-Moschee auf dem Tempelberg einer der heiligsten Orte des Islam. Die Moschee war auf den Felsendom ausgerichtet, wo sie glaubten, Mohammed sei auf einem geflügelten Pferd in den Himmel aufgestiegen, um Instruktionen von Gott zu erhalten. Die Muslime hatten im Krieg von 1967 Jerusalem an die Israelis verloren. Sie wollten es zurück.

Armeen kämpften seit dreitausend Jahren um Jerusalem. Die engen Straßen der Altstadt standen mehr als einmal knöcheltief im Blut. Und Carter ging davon aus, es würde wieder Blut in diesen Straßen fließen – es sei denn, es fand jemand einen Weg zum Frieden in der Region.

Er hatte geglaubt, all das hinter sich gelassen zu haben, als er die Marines verließ. Jetzt arbeitete er für das Project. Auch wenn er ein Zivilist war, wachte er immer noch in Kriegsgebieten auf. Er tat sein Bestes, nicht darüber nachzudenken. Einfach auf die Mission konzentrieren. Darum war er an einem perfekten Oktoberabend in Jerusalem. Irgendwer musste es tun.

Carter trank seinen Kaffee und beobachtete die Menge, verfolgte, las Gesichtsausdrücke, hielt Ausschau nach etwas Ungewöhnlichem. Seine Augen kamen nie zur Ruhe. Es war eine alte Angewohnheit von ihm, und es war der Grund, warum er noch am Leben war. Er ging nie davon aus, sicher zu sein, vertraute nie dem Anschein.

Eine junge Frau in einem roten Kleid spielte in der Nähe auf einem Akkordeon. Sie hatte lange dunkle Locken und lachte, während sie spielte. Eine kleine Gruppe lächelnder Menschen stand vor ihr und wippte im Takt der Musik mit den Füßen. Kinder rannten durch das Gedränge. Carter lächelte.

Die Nacht verschwand in einem brutalen weißen Licht.

Die Explosion schleuderte Nick zurück gegen die Wand und hinunter auf den Gehweg.

Alles wurde weiß. Er war zurück in Afghanistan. Er konnte den Staub riechen, die Schüsse der AKs und die Explosionen überall um ihn herum hören. Dann verblasste das Weiß. Der Flashback verblasste. Er konnte noch immer die Echos der AKs hören und den trockenen Staub der Straße riechen. Für einen Moment wusste er nicht, wo er war. Dann erinnerte er sich.

Eine schwarze Rauchwolke hing über zerrissenen Körpern, die sich über den rot verschmierten Platz breiteten. Eine platte, tote Stille füllte seine Ohren. Dann setzten die Schreie ein.

Ein schwerer Café-Tisch lag auf ihm. Er drückte ihn zur Seite und stand auf. Die Frau in dem roten Kleid lag zusammengefallen und zerfetzt in der Nähe, ihr Akkordeon zertrümmert und still.

Glasscherben und zerschlagene Möbel übersäten den Platz. Da war Blut an ihm, aber es war nicht seins. Carter machte einen Schritt und stolperte. Er sah hinab auf den Fuß eines Kindes in einem blauen Schuh. Es war nur ein kleiner Fuß. Ein Stück weißer Knochen ragte aus einer rosa Socke.

Er beugte sich vor und erbrach den Espresso in einem gelb-braunen Schwall. Der scharfe kupferne Gestank von Blut lag in der eigentlich klaren Nachtluft. Er richtete sich auf und wischte sich die Lippen ab. Aus dem Augenwinkel nahm er etwas wahr.

Ein Mann stand etwas abseits des Platzes. Er war von durchschnittlicher Größe, mit dicht zusammenliegenden dunklen Augen, schwarzen Haaren und einem schmalen schwarzen Schnurrbart. Er trug eine formlose braune Jacke, eine ausgebeulte braune Hose und ein schmutziges gelbes Hemd. Er sprach in ein Mobiltelefon.

Er lächelte.

Das Lächeln verschwand, als er bemerkte, dass Carter ihn anschaute. Er drehte sich um und ging davon, das Telefon noch immer am Ohr.

Wer lächelt in einem Schlachthof? Carter verfolgte ihn.

Braune Jacke beschleunigte seinen Gang. Er blickte zurück und bog in eine breite Gasse zwischen zwei Gebäuden ein. Nick wünschte, er hätte seine 45er. Die Israelis hatten ihm nicht erlaubt, sie zu tragen. Er fing an zu rennen. Rufe wurden hinter ihm laut, als er in die Gasse sprintete.

Die Gasse führte zwischen den Gebäuden hindurch zur nächsten Querstraße. Braune Jacke und zwei weitere standen auf halber Strecke. Am hinteren Ende der Passage wartete ein Mann in einem weißen Volvo mit laufendem Motor. Braune Jacke sagte etwas zu den zwei Männern und ging auf das Auto zu. Die anderen wandten sich zu Nick um.

Der größere Mann trug eine lockere blaue Jacke über einem schäbigen weißen Hemd und Jeans. Sein Kopf war kugelförmig und kahlrasiert. Sein Gesicht war widerlich, mit altem Narbengewebe über toten Augen. Seine Ohren waren wie zerknautschter Blumenkohl und seine Hände breite Knüppel, vernarbt und mit geschwollenen, gebrochenen Knöcheln. Ein Straßenkämpfer, ein Boxer.

Der andere Mann war der Anführer. Er war klein, sah düster und gemein aus, mit glänzenden, schielenden Augen, einem ungepflegten Bart und einem fiesen Lächeln, das Lücken zwischen seinen Zähnen zeigte. Die beiden trennten sich ein bis zwei Meter voneinander, Schielauge rechts von Nick, Boxer links. Stahl blitzte plötzlich in der Hand beider Männer.

Messer. Er hasste Messer.

Worte hallten in seinem Kopf.

Du hast zwei Möglichkeiten in einem Gassenkampf. Renne oder greife an. Wenn du angreifst und es mehr als einen Gegner gibt, schnapp dir den Anführer. Erledige immer zuerst den Anführer.

Er ging direkt auf sie zu. Nicht, was sie erwartet hatten. Dann sprintete er zu Schielauge und schrie aus voller Lunge, ein harscher Urschrei, der von den Wänden der Gasse hallte. Es ließ beide Männer innehalten, gerade lang genug.

Schielauge stürzte auf ihn zu, das Messer tief vor sich ausgestreckt, für einen klassischen Stich unter den Brustkorb, um Zwerchfell und Aorta zu durchstoßen. Carter ergriff sein Handgelenk und hebelte dann mit der linken Hand Schielauges Ellenbogen nach oben und außen, bis dieser brach. Den Schwung nutzte er, um ihn zur Seite zu schleudern. Mit einem seitlichen Tritt traf er Boxers Knie.

Dieses klappte in einem unmöglichen Winkel zur Seite. Es knirschte und brach. Ein tiefer, unverkennbarer Klang von furchtbarer Verletzung und unerträglichem Schmerz. Boxer schrie und hieb mit dem Messer nach Nick, während er zu Boden ging. Ein eisiger Schnitt öffnete sich auf Nicks Oberschenkel.

Boxer versuchte, sich aufzusetzen. Carter trat ihm gegen die Kehle. Er griff sich an den Hals und fiel röchelnd zurück. Seine Augen waren weit aufgerissen, während er versuchte, zu atmen. Am anderen Ende der Gasse stieg Braune Jacke in den Volvo. Das Auto fuhr davon, während er Nick noch einen Blick giftigen Hasses zuwarf.

Schielauge griff mit der linken Hand nach seinem Messer. Nick trat ihm mit aller Kraft gegen den Kopf. Der Tritt hätte ihn in die NFL bringen können. Am Eingang der Gasse erschienen zwei Cops mit gezogenen Waffen und riefen etwas. Carter hob seine Hände mit weit gespreizten Fingern.

Er vermutete, nun würde er herausfinden, wie ein israelisches Polizeirevier von innen aussah.

Kapitel 4

Selena und Ronnie Peete befanden sich auf dem Schießstand im Keller des Project-Gebäudes, außerhalb von Washington. Ronnie war Navajo, auf dem Reservat geboren. Er war ein harter Kerl, aber Selena hatte auch schon erlebt, wie er ein heiliges Navajo-Ritual rezitierte, kurz bevor sie zu dritt mit Fallschirmen über dem höchsten Gebirge dieser Erde abgesprungen waren.

Er schien ihr eine seltsame Mischung. Ein Mann, der genauso selbstverständlich mit etwas Heiligem wie mit einer MP-5 umging. Er war in Nicks Aufklärungs-Einheit in Afghanistan und im Irak gewesen, und sie vermutete, auch noch an einigen anderen Orten, von denen man normalerweise nichts hörte. Hin und wieder war sie etwas eifersüchtig auf die Verbindung zwischen den beiden Männern.

Ronnie hatte breite Schultern und schmale Hüften. Er blickte aus verschlafenen braunen Augen über eine große römische Nase, kräftige Arme wölbten sich unter den kurzen Ärmeln seines Hawaiihemds. Seine Haut hatte die Farbe der Wüste an einem Sommertag, helles Braun mit leicht rotem Unterton.

Sie betrachtete ihn, während er zwei automatische 9-Millimeter-Berettas auf die Schießbank legte.

»Wie war Arizona?«, fragte sie.

»Es war großartig. Schon mal dort gewesen?«

»Monument Valley und Four Corners. Ich habe noch nie solche Farben gesehen – wie das Licht die Felsen und die Wüste zur Geltung bringt.«

Ronnie nickte. »In all der Weite kann man wunderbar die Gedanken schweifen lassen. Wenn der Regen kommt und sich die Wolken über den Heiligen Bergen zusammenziehen, ist das einer der schönsten Anblicke auf dieser Welt.«

Er griff nach seiner Brieftasche, nahm ein Bild heraus und reichte es Selena. Es zeigte eine kräftige ältere Frau vor einem niedrigen Holzgebäude mit einem Erddach. Ein tiefrotes Samtkleid, beinahe lila, reichte bis an ihre Knöchel. Um ihren Hals und an den Armen und Händen trug sie schweren Schmuck aus Silber und Türkis. Neben ihr stand ein Mann in Jeans, einem karierten Hemd und einem schwarzen Stetson mit flachem Rand und silbernem Concho-Hutband.

»Das sind meine Tante und mein Onkel. Sie sind beide traditionelle Navajo. Er ist ein Sänger.«

»Ein Sänger? Du meinst, wie Rock 'n' Roll?«

Ronnie lachte, ein tiefes Lachen aus dem Bauch. »Nein, ein Sänger ist … wie ein Arzt. Nur ist er ein Arzt, um Harmonie wiederherzustellen, kein Arzt mit Pillen. Wenn etwas Schlimmes geschieht, wie Krankheit, oder wenn du eines der traditionellen Tabus brichst, dann rufst du einen Sänger. Er hilft dir, die persönliche Harmonie wiederherzustellen. Dann fühlen sich alle besser.«

»Bist du traditionell?«

»Nein. Das sind hauptsächlich die alten Leute. Aber ich spreche die Sprache und behalte die Geschichten in Erinnerung. Schätze, dann bin ich es wohl doch, in mancher Hinsicht.«

Er verstaute das Bild und nahm sich eine der Berettas.

»Ich mag die hier nicht besonders«, sagte er. »Aber du findest sie überall, daher solltest du mit ihnen vertraut sein. Unsere Truppen haben sie und auch einige unserer Verbündeten.«

»Warum magst du sie nicht?«

»Du brauchst drei oder vier Schuss mit so einer, um jemanden umzulegen, der aufgeputscht ist und bereit, für Allah zu sterben. Nicht genug Durchschlag mit neun Millimetern. Nick mag seine H-K. Ich mag Glocks, wie die, die du hast. Die sind leicht, sind verlässlich, und sie stoppen jeden.«

Sie schossen eine Weile. Ronnie zeigte ihr, wie man die Pistole im Einsatz zerlegt, reinigt und wieder zusammensetzt. Er ließ sie üben, bis es sich vertraut für sie anfühlte. Er stoppte ihre Zeit und ließ sie ihre Geschwindigkeit steigern. Dann verband er ihr die Augen und ließ sie noch etwas mehr üben. Nach einer weiteren Stunde begann er zusammenzupacken.

»Wie lange kennst du Nick schon?«, fragte Selena.

»Acht Jahre. Wir waren zusammen beim Recon. Special Ops. Er war der beste Offizier, mit dem ich je gedient habe. Verlangte von uns nie etwas, das er nicht selbst tun würde.«

»Warst du da, als er getroffen wurde? Mit dieser Granate?«

Etwas huschte über Ronnies Gesicht, war verschwunden.

»Ja, ich war dabei. Aber darüber möchte ich eigentlich nicht sprechen.«

»Entschuldige.«

»Nein, so ist das nicht.» Er lächelte sie an. »Ich möchte nur nicht darüber sprechen.«

»Nick auch nicht«, sagte sie.

Ronnie nahm eine Pistole auf, legte sie wieder ab.

»Ist es dir ernst mit ihm?«

Selena hob eine ihrer Zielscheiben auf. Runde Löcher im Schwarzen.

»Er liebt immer noch Megan«, sagte sie.

Kapitel 5

Zurück in ihrem Zimmer im Mayflower zog Selena einen gelben Sport-BH und eine Trainingshose an. Sie zog noch ein leichtes T-Shirt an, um ihr Holster zu verbergen, sowie ein Paar Laufschuhe. Erste Regel beim Project: Gehe niemals irgendwo ohne deine Waffe hin. Zeit, laufen zu gehen, ins Fitnessstudio, den Kopf freizubekommen.

Sie verließ das Gebäude in Richtung DuPont Circle. Den blonden Mann auf der anderen Straßenseite, der mit einem Teleobjektiv Bilder von ihr machte, bemerkte sie nicht. Sie joggte entlang der gefüllten Straßen, schlängelte sich durch das Gedränge, ihre Füße hämmerten auf den Gehweg, der Schweiß begann zu fließen, sie wartete auf die Erschöpfung. Sie lief, kehrte um, verlangsamte, erreichte das Studio. Sie ging hinein.

Es war kühl, dank der Klimaanlage. Filter bemühten sich, die Gerüche von Testosteron und Schweiß zu beseitigen. Es lag trotzdem ein leichter saurer Geruch von Deodorant und Schimmel in der Luft. Sie ging hinüber zu dem schweren feststehenden Boxsack. Sie hielt einen Moment inne, schloss ihre Augen und sammelte sich, wie sie es gelernt hatte. Sie öffnete ihre Augen und begann, auf den Boxsack einzuschlagen. Schnelle, kurze Gerade, mit steigender Geschwindigkeit, bis ihre Arme wie die Kolben eines Motors fast nur noch als verschwommene Bewegung wahrzunehmen waren. Wie eine Kobra, die zuschnappt. Oder welche Schlange auch immer so schnell war, dass man ihren Angriff kaum sehen konnte und die einen ausgeschaltet hatte, bevor man überhaupt wusste, was geschehen war.

Sie begann, Sidekicks anzubringen. Gerades Bein, gestreckte Ferse, so balanciert, dass sich die gesamte Kraft ihres Körpers entlang der Knochen in den Sandsack übertrug. Der massive Sack schwankte und erbebte mit jedem Tritt.

Sie dachte an Nick. Sie liebte seinen harten, vernarbten Körper, die Art wie er sie nahm. Aber er entspannte sich niemals, nicht einmal nachdem sie miteinander geschlafen hatten. Er verhielt sich immer so, als erwartete er, etwas würde ihn anspringen. Er hörte nie auf, sich umzusehen, zu beobachten. Seine grauen Augen waren in ständiger Bewegung. Er saß nie mit dem Rücken zu einer Tür oder einem Fenster. Er bewegte sich immer weg von Mauern. Er trug immer eine Pistole bei sich.

Sie tat das nun auch. Sie fühlte, wie sich die harte Form gegen ihre Hüfte bewegte.

Zum Teufel mit ihm. Die Wut ihrer Tritte nahm zu. Sie zwang sich, langsamer zu werden, sich zu konzentrieren. Mit Nick zusammen zu sein war, als wäre man mit zwei oder drei unterschiedlichen Menschen zusammen. Er war unglaublich launisch. Er bekam Kopfschmerzen und manchmal hatte er einen weit entrückten Ausdruck in seinen Augen, als sei niemand zu Hause. Beziehung, im Sinne einer richtigen Beziehung mit einer Frau, war ein fremdartiges Konzept für ihn. Zumindest soweit es sie betraf.

Dann waren da diese Albträume. Sie hatte ihn danach gefragt. Er träumte von Afghanistan, wo ein Kind eine Granate warf, die ihn fast tötete.

Er träumte von Dingen, die noch nicht geschehen waren. Es war etwas, das er durch seine Gene vererbt bekommen hatte. Manchmal wurden die Träume wahr, allerdings nicht immer so, wie er es vermutete. Es war seltsam, mehr als seltsam, unheimlich.

Er träumte von seiner verstorbenen Verlobten. Manchmal, wenn sie im Bett waren, fühlte sie sich, als sei dort eine dritte Person mit ihnen. Megan. Alles, was Selena wirklich von ihr wusste, war ihr Name.

Dreißig Minuten später war sie zurück in ihren Räumen. Sie zog ihre verschwitzte Kleidung aus und ging zum Bad. Sie stand unter der Dusche und ließ das heiße Wasser an sich hinunterlaufen. Sie hob ihr Gesicht und fuhr sich mit den Fingern durchs Haar, während ihr das Wasser auf die Brüste prasselte.

Sie stieg aus der Dusche und trocknete sich ab. Während sie nackt im Raum stand, begutachtete sie ihren Körper. Eins-siebenundsiebzig, straffe dreiundsechzig Kilo. Dieses anorexische Ding war nichts für sie. Sie arbeitete hart daran, in Form zu bleiben. Das ermöglichte es ihr, Dinge zu tun, die das Leben interessant machten, wie Fallschirmspringen, Tauchen und ihre Kampfkünste.

Sie schaute in den Spiegel, berührte ihr Gesicht, die hohen Wangenknochen, strich sich eine Haarsträhne von der Stirn. Sie schaltete den Föhn ein und dachte über das Project nach, während sie ihr Haar verstrubbelte.

Bevor sie Harker getroffen hatte, konsultierte sie bei der NSA und arbeitete in akademischen Kreisen. Sie war eine Weltklasse-Expertin für altertümliche und orientalische Sprachen. Sie war eine mehr als vollendete Kampfsportlerin. Sie war reich. Sie konnte aus Flugzeugen abspringen und die Mitte einer Zielscheibe aus 45 Metern Entfernung mit der Pistole treffen. Sie konnte die meisten Männer fertigmachen. Sie konnte so gut wie alles tun, was sie nur wollte. Und sie war gelangweilt.

Vor dem Project war das Leben vorhersehbar gewesen. Eine Lesung. Eine Konsultationsaufgabe. Eine Übersetzung. Dann hatte sie Nick getroffen, und Elizabeth Harker, und plötzlich fand sie sich in einer Welt wieder, in der Leute versuchten, sie umzubringen.

Jetzt war sie ein Teil des Teams. Jetzt hatte sie stets eine Glock in einem Schnellzugholster anstelle eines Stiftes dabei. Sie schlief mit Nick und fragte sich, wo zur Hölle das hinführen sollte, oder ob es überhaupt irgendwo hinführen würde. Ihr Leben war auf den Kopf gestellt worden.

Sie schaute in den Spiegel und lächelte. Zumindest war es nicht langweilig.

Kapitel 6

Neonlicht strahlte von rissigen gelben Wänden. Der Zementboden war in einem stumpfen Grau angestrichen. In dem kahlen Raum befanden sich ein am Boden befestigter Metalltisch und zwei Plastikstühle. In einer Ecke hing eine Kamera. An einer Wand befand sich ein großer Spiegel.

Ari Herzog, ein ranghoher Shin Bet Agent in Jerusalem, schaute durch den Einwegspiegel. Der Mann in dem Raum war bestimmt eins-achtzig groß und wog etwa 90 Kilo. Er hatte schwarze Haare und Augenbrauen, Augen, die an einen Wolf erinnerten, und ein hartes, kantiges Aussehen. Er brauchte eine Rasur. Er saß still und wartete ab, was auch immer als Nächstes geschehen würde. Er zeigte keinerlei Unruhe oder Nervosität. Vor etwa einer Stunde hatte jemand die Schnittwunde an seinem Bein versorgt.

»Das ist ein cooler Hund.«

Der Kommentar kam von einem großen Mann mit schwarzen Augen, fahler Haut und großen Ohren. Sein Gesicht war durch die Wüstensonne wettergegerbt und ließ ihn älter als seine achtundvierzig Jahre erscheinen. Er trug ein kurzärmliges, weißes Hemd, eine schwarze Krawatte, eine neue blaue Hose und schwarze Schuhe. Silberne Abzeichen der israelischen Polizei glitzerten auf seinen Schultern. Ein Namensschild an seinem Hemd identifizierte ihn als Ben Ezra.

»Achtzehn Stiche für die Verletzung an seinem Schenkel, ohne Betäubung«, sagte er. »Er hat nicht einmal gezuckt. Während er zusammengeflickt wurde, hat er mit dem Zeichner gearbeitet. Wir jagen die Skizze gerade durch die Datenbank. Keine Treffer bis jetzt.«

Er hielt die Zeichnung des Mannes, dem Nick in die Gasse gefolgt war, vor sich. Herzog sah sich das Bild an, öffnete dann ein Shin Bet Dossier, das er in seiner rechten Hand hielt.

»Nicholas Carter«, sagte Herzog. »Ehemaliger Major in ihrer Marine, Force Recon. Das ist jetzt Teil ihres Kommandos für Spezialeinheiten. Er soll Teil eines Vortrupps für den Besuch des US Präsidenten sein.«

Herzog las weiter.

»Silver Star, Bronze Star mit Eichenlaub, drei Purple Hearts, Einsätze in Südafrika, im Persischen Golf, Irak, Afghanistan. Dienstakte geschwärzt. Hohe Sicherheitsfreigabe. Gehört zu einer geheimen, ihrem Präsidenten unterstellten Spezialeinheit für gezielte Operationen gegen Terroristen.«

»Klingt ein wenig wie einer von deinen Leuten, Ari.« Der Polizist kratzte sich unter der Achsel.

Carters Habseligkeiten befanden sich in einer Box auf einem Tisch in der Nähe. Herzog sah sie sich an. Flugticket. Schlüssel eines Mietwagens. Eine Brieftasche mit Führerschein, Kreditkarten und zweitausend Dollar in Devisen. Es war auch das Foto einer dunkelhaarigen Frau in der Brieftasche, die vor einem Restaurant stand und der Kamera einen Kuss zuwarf. Carters Reisepass war mit Stempeln von überall auf der Welt gefüllt.

Ein hochmodernes, verschlüsseltes Satellitentelefon. Ein kleines Taschenmesser und eine Taschenlampe, vor Ort gekauft. Ein flaches, schwarzes Etui mit Carters Ausweis. Ein Zimmerschlüssel für das King David Citadel Hotel.

Carters Pistole, eine 45er Heckler & Koch, war aus der Verwahrung am Ben-Gurion-Flughafen hergeschickt worden. Herzog griff nach der Pistole, untersuchte sie. Er betrachtete die drei Magazine mit jeweils fünfzehn Schuss und das Schulterholster.

»Große Pistole. Speziell gefertigte Hohlspitzgeschosse. Der macht keine halben Sachen.«

Herzog legte die Waffe wieder aus der Hand.

»Glaubst du, er war zufällig da, als die Bombe hochging?«

»Was sagt er dazu?«