Auf der Nachsuche - Frank Rakow - E-Book

Auf der Nachsuche E-Book

Frank Rakow

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Beschreibung

Auf der Roten Fährte gilt das Gesetz der Verschwiegenheit; vom Geschehen auf der Nachsuche erfahren Unbeteiligte eigentlich nichts. Eigentlich … In diesem Buch alledings doch. Denn hier plaudern Nachsuchenführer aus dem Nähkästchen und berichten von ihren spannendsten und skurrilsten Erlebnissen auf der Jagd.

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Seitenzahl: 203

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Titel

Auf der Nachsuche

Deutschlands bekannteste Nachsuchenführer erzählen; packende Erzählungen über die Erlebnisse von Hundeführern mit ihren Schweißhunden auf der Roten Fährte

Frank Rakow

KOSMOS

Impressum

Alle Angaben in diesem Buch erfolgen nach bestem Wissen und Gewissen. Sorgfalt bei der Umsetzung ist indes dennoch geboten. Verlag und Autoren übernehmen keinerlei Haftung für Personen-, Sach- oder Vermögensschäden, die aus der Anwendung der vorgestellten Materialien und Methoden entstehen könnten. Dabei müssen geltende rechtliche Bestimmungen und Vorschriften berücksichtigt und eingehalten werden.

Distanzierungserklärung

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Umschlagsabbildung: © Michael Stadtfeld

© 2024, Franckh-Kosmos Verlags-GmbH & Co. KG

Pfizerstraße 5–7, 70184 Stuttgart

[email protected]

Alle Rechte vorbehalten

ISBN 978-3-440-51090-2

E-Book-Konvertierung: le-tex publishing services GmbH, Leipzig

Übersicht

Cover

Titel

Impressum

Inhaltsverzeichnis

Hauptteil

Helden der Wildbahn (Vorwort)

Allein auf weiter Flur

Der Rothirsch im Hausgarten

Nachsuche auf Usedom

Schwein gehabt

Posavatz

Keiler-Triple

Dänischer Marathon

Vertrauen geschenkt – Vertrauen gewonnen!

Lügen, Tweed und kalter Regen

Nachsuche auf einen Bergkeiler

Auf Rehe ist alles anders

Verflixt und zugenäht

Eine Nachsuche, zwei Stücke

Der Felsenbock

Die Sau, die sich nicht steckte

Wunder geschehen immer wieder

Wenn nichts mehr geht …

Ein schwerer Fall

HELDEN DER WILDBAHN (VORWORT)

Jeder Schuss auf ein Wildtier enthält Risiken. Manche wären vermeidbar gewesen, manche auch nicht, denn nicht immer wirkt das Geschoss wie gewünscht. Wenn das Stück nicht am Platz oder in der näheren Umgebung liegt, kommt die Stunde der Retter, der Schweißhundführer. Davon gibt es in Deutschland einige. Sie stehen fast jederzeit Hund und Gewehr bei Fuß, um diesen Unglücksfällen nachzugehen. Und sei es auch nur, um dem Schützen sicher zu bestätigen, dass es sich um den zweitbesten Schuss handelt: den reinen Fehlschuss. Das kränkt, beruhigt aber. Der gut eingearbeitete Hunde- Spezialist zeigt auch dann eine Verwundung an, wenn für das menschliche Auge keine Pirschzeichen zu finden sind. Und dann geht die Reise los. Weder Hund noch Führer wissen, wie lang sie sein wird, ob das Stück bereits verendet ist oder noch lebt und ob am Ende der Tour Wildart und Gewicht mit den Angaben des Schützen übereinstimmen: Frischling oder Keiler, das kann zum Schluss einen gewaltigen Unterschied machen. Es gehört viel Engagement und Zeit dazu, sich dieses jagdlichen Notdienstes zu widmen. Er bedeutet ein echtes Abenteuer mit ungewissem Ausgang im häufig unbekannten Gelände und ist auch wahrlich nicht ganz ungefährlich – für Mensch und Hund. Vor allem Schwarzwild, das häufigste Nachsuchenwild, greift, in die Enge getrieben, häufig an, und da bleiben Verletzungen nicht aus bis hin zu tödlichen Folgen. Um die „Helden der Wildbahn“ zu ehren, haben wir Schweißhundführer aus ganz Deutschland gebeten, ihre eindrucksvollsten Erlebnisse aufzuschreiben. Dabei sind regelrechte „Revierkrimis“ herausgekommen, die die Faszination, aber auch die Anstrengungen und Gefahren dieser Arbeit eindrucksvoll dokumentieren. Nicht immer haben die Geschichten ein gutes Ende. Aber stets ist ablesbar, welchen körperlichen Einsatz und welche Ausdauer Schweißhundführer mit ihren Hunden an den Tag legen. Damit leisten sie einen herausragenden Beitrag in Sachen Weidgerechtigkeit. Von Tierschutz und gerettetem Wildbret ganz zu schweigen. Die Jägerschaft kann froh sein, solche Könner und Idealisten in ihren Reihen zu wissen. Die folgenden 18 Geschichten sind nicht nur höchst dramatisch und spannend, auch der Normaljäger kann daraus lernen und manches Leid und die daraus entstehenden Folgen durch besonnenes Jagen vermeiden. Arbeitslos werden diese Gespanne trotzdem mit Sicherheit nicht.

Frank Rakow

(Herausgeber)

ALLEIN AUF WEITER FLUR

© Stefan Mayer

Stefan Mayer

Da stehe ich nun inmitten einer schier undurchdringlichen Tannenverjüngung. Die Sichtweite ist kaum mehr als 20 Zentimeter, so dass ich nur bis zu meiner Hüfte nach unten sehen kann. Meine Nachsuchenbüchse ist weg, und Prügel habe ich auch schon eingesteckt. Mein Schweißhund und sein kampferprobter Beihund sind beide schon geschlagen und haben nicht mehr lange Kraft, den Bail zu halten. In dieser Not versuche ich, irgendeinen Hundeführer in der Nähe zu erreichen, der mit seinen Hunden mich und meine Vierbeiner unterstützen kann, um die knifflige Situation zu lösen. Leider Fehlanzeige, keiner der angerufenen Hundeführer ist verfügbar. So muss ich allein versuchen, möglichst schnell, meinen beiden tapferen Kämpfern beizustehen. Zu diesem Zeitpunkt sind wir schon über drei Stunden im Einsatz und trotz meiner über 15 Jahre Erfahrung im Nachsucheneinsatz mit jährlich 150 Einsätzen, habe ich eine so vertrackte Lage noch nicht erlebt.

An diesem Tag klingelt am Vormittag gegen 10 Uhr mein Handy mit einer mir unbekannten Nummer. Der Anrufer ist Timo, ein Jungjäger, der meine Dienste als Nachsuchenführer anfragt. Am Abend vorher hatte er im strömenden Regen ein einzelnes Wildschwein beschossen. Im Revier, in dem er den Begehungsschein hat, war das Schwarzwild in den vergangenen Tagen auf den Wiesen sehr aktiv. Um die Wiesenschäden nicht ins Unermessliche laufen zu lassen, verordnete der Jagdpächter seinen Jägern, trotz des unangenehmen Wetters, ein paar Nachtschichten. Timo hatte vor wenigen Wochen seinen ersten Jagdschein gelöst. Der Schuss am Vorabend war daher sein erster auf Schwarzwild. Im Folgenden schildert mir der merklich unsichere Jungjäger die Geschehnisse: Der tapfere junge Mann harrte schon über eine Stunde im Regen an einem Gehölzstreifen aus, als er ein einzelnes Stück Schwarzwild, er spricht es als Überläufer an, in Richtung der Schadfläche anwechseln sah. Als das Stück auf Schussdistanz war und breit stand, ließ er die Kugel fliegen. Nach dem Schuss sah er zunächst nichts mehr und begab sich, wegen des starken Regens, umgehend an den etwa 70 Meter entfernten Anschuss, um vielleicht noch Pirschzeichen zu entdecken. Er fand relativ schnell einen hell schimmernden Knochensplitter, die erhoffte Beute, in Form eines Wildschweins, lag allerdings nirgends auf der Wiese. Auch seine Wärmebildkamera brachte keine weiteren Erkenntnisse. Verständlicherweise war Timo mit dieser für einen Jungjäger völlig neuen Situation komplett überfordert. Daher rief er seinen Jagdherrn an und informierte ihn über das Geschehen. Der erfahrene Weidmann beruhigte den aufgeregten Jungjäger und verabredete sich auf den frühen Morgen, um bei Tageslicht das Wildschwein im nächstgelegenen Wald zu suchen.

Gesagt, getan. Am nächsten Morgen treffen sich Jagdherr und Jungjäger am Tatort, finden aber weder Schweiß noch irgendwelche anderen Pirschzeichen. Der Regen hatte alles weggewaschen. Daraufhin machen die beiden eine, wie zu erwarten, erfolglose Streife durch den Wald. Nun endlich rufen sie bei einem Schweißhundeführer aus der Nähe an und bitten ihn um Unterstützung. Dieser erscheint nach etwa einer Stunde am Treffpunkt und wird daraufhin in die Situation und am Anschuss eingewiesen. Der Vorstehhund wird am Anschuss angesetzt und stürmt mit dem Hundeführer im Schlepptau über die Wiese in Richtung Wald. Jagdpächter und Jungjäger versuchen zu folgen, verlieren das Gespann aber aus den Augen, als es in den Wald geht. Daher beschließen die beiden an den Fahrzeugen, die in der Nähe des Anschusses stehen, zu warten. Es könnte ja durchaus sein, dass der Hundeführer das Stück gefunden hat und dann Unterstützung beim Bergen benötigt. Der Hundeführer erscheint mit seinem Vierbeiner nach 15 Minuten wieder am Anschuss. Er berichtet, dass sein Hund ihn im Wald in südliche Richtung geführt hat und nach etwa 300 Meter am Zaun des dort befindlichen Wildgeheges stand. Der Zaun war dicht und unbeschädigt und auch für das Wildschwein zu hoch um einzuspringen. Der Hund suchte an dieser Stelle nicht weiter, so dass der Hundeführer ihn nochmals am Anschuss ansetzen wollte. Dieses Spiel wiederholt sich noch zwei Mal, bis der Hundeführer ein Einsehen hat und die Arbeit abbricht. Mit dem Ergebnis unzufrieden, da das Stück Schwarzwild aufgrund des gefundenen Knochenstücks ja einen schweren Treffer haben muss, will der Jagdpächter die Sache nicht auf sich beruhen lassen und beauftragt den Jungjäger, mich anzurufen, um zu erfragen, ob ich eine Chance sehe, das Stück zu finden und überhaupt Zeit hätte zu kommen. Immerhin ist es schon Mittag, und für die Anreise benötige ich schon fast eine Stunde. Da wir es dem Wild schuldig sind, alles zu unternehmen, um Leiden zu vermeiden oder zumindest zu verkürzen, ist meine Antwort klar: „Ich komme!“

Meine Arbeitszeit kann ich in der Regel frei einteilen, daher ist es mir möglich, auch an Werktagen für Nachsuchen auszurücken. Allerdings dürfen betriebliche Abläufe selbstverständlich nicht darunter leiden. Aus diesem Grund muss ich, während ich in aller Eile meine Nachsuchenausrüstung und Hunde in das Auto packe, ein paar dienstliche Dinge abstimmen und Termine vom Nachmittag auf den nächsten Tag verschieben. Somit habe ich mir den Nachmittag freigeschaufelt. Da die jüngere Generation der Jäger mit modernen Kommunikationsmitteln vertraut ist, erhalte ich vermehrt die Treffpunkte per Standort auf mein Smartphone gesendet. Dies schätze ich zunehmend, weil zeitaufwändige Sucherei und auch Missverständnisse in der Absprache vermieden werden. So ist der Treffpunkt in diesem Fall auch schon der Startpunkt der Nachsuche. Mittlerweile ist es 14 Uhr, als ich am Treffpunkt ankomme. Mit hoffnungsvollen Blicken begrüßt mich Jungjäger Timo. Aufgrund des vorangeschrittenen Tages will ich wenig Zeit mit Erklärungen und Schilderungen des bisher Geschehenen verlieren. Darum bitte ich Timo, mich zu informieren, während ich die Hunde mit Schutzwesten und Ortungsgeräten versehe und meine Ausrüstung anlege. Zusammen mit meiner Frau führe ich drei Schweißhunde und vier Terrier, die als Stöberhunde oder, wie heute, als Beihunde agieren. Für diese anspruchsvolle Arbeit habe ich die Hannoversche Schweißhündin Gunhild vom Bibertal, genannt „Hilde“, dabei. Im mittlerweile neunten Behang bilden wir ein eingespieltes Team, das sich blind versteht. Das war nicht immer so, denn die Arbeitsweise und das Tempo der „wilden Hilde“ führten mich zu Anfang unserer gemeinsamen Zeit häufig an körperliche und mentale Grenzen. Das lag vor allem daran, dass ihre drei Vorgänger sehr ruhige Riemenarbeiter waren, und ich für diese für mich völlig neue Herangehensweise von Hilde keinen Zugang gefunden hatte.

Das ist vermutlich das Handicap vieler Nachsuchengespanne, wenn sie die gemeinsame Arbeit beginnen. Gerade dann, wenn der vorige Schweißhund extrem leistungsstark war und das Gespann beinahe ein Jahrzehnt miteinander gearbeitet hat. Dieses Schicksal ereilte mich und Hilde ebenfalls. Denn ihr Vorgänger war „Dassler“, ein Steirischer Rauhaarbrackenrüde, der sich schon zu Lebzeiten bei den Jägern einen Legendenstatus erarbeitet hatte. Hilde und ich benötigten fast vier gemeinsame Jahre, in denen ich der braven Hündin oft zu Unrecht nicht geglaubt hatte, bis ich die Sprache dieser passionierten und leistungsstarken Hündin verstanden habe. Als Beihund fungiert heute der Heideterrier „Henry“. Einen Beihund nehme ich dann mit, wenn ich einen Begleiter habe, der körperlich in der Lage ist, mir zu folgen. Diesen habe ich mit Timo zur Verfügung, wenngleich er als Jungjäger jagdlich völlig blank ist. Die Diskussion über den Sinn und Zweck eines Beihundes ist abendfüllend. Schlussendlich muss das jeder Schweißhundeführer für seine Einsätze selbst entscheiden. In wenig Worte gefasst kann ich für unsere Beihundeeinsätze sagen: Die Hatz wird kürzer, der Fangschuss schwieriger bis unmöglich, die Hunde unterstützen sich gegenseitig, aber der Bail wird häufig aggressiver. Da Henry zuverlässig Schwarzwild bis 50 Kilogramm (aufgebrochen) bindet, wird Dank seines Einsatzes manch gefährlicher Fangschuss und manche Hatz über Straßen vermieden. Das Einkleiden der Hunde und Anlegen meiner Ausrüstung ist nach so vielen Jahren der Schweißarbeit eine kurze Routine. Wir begeben uns zum Anschuss, den uns Timo zeigt, und finden immer noch den besagten Knochensplitter, der sich als Teil eines Röhrenknochens entpuppt. Kurz noch inspiziere ich den Anschuss, um anhand der weiteren Pirschzeichen eventuell zu erkennen, ob der Treffer höher am Vorderlauf oder vielleicht sogar auf der Keule sitzt. Die vier Anläufe des vor mir tätigen Gespanns haben aber alles zertreten. Schlussendlich reicht jedoch das Fundstück, um einen Lauftreffer zu diagnostizieren. Skeptisch bin ich jedoch, aufgrund der Wandstärke der Röhre, ob es sich tatsächlich um einen Überläufer handelt. Der Regen und die vorangegangene Suche des anderen Gespanns haben alle Trittsiegel eliminiert. Egal – es erwartet uns mit größter Wahrscheinlichkeit eine Hatz, also lege ich die wartende Hilde zur Fährte und übergebe ihr das Kommando.

Hilde untersucht akribisch den Anschuss und das Umfeld. Dafür benötigt sie meist nur wenige Augenblicke, bis sie die Wundfährte annimmt. Gelegentlich fällt ihr ein, dass sie noch nicht alles genau untersucht hat und geht dann nochmals zurück zum Anschuss – das ist eben Hilde. Da ich aber meiner erfahrenen Hündin das Kommando übergeben habe, folge ich ihr ohne zu murren. Im Augenwinkel sehe ich den verständnislosen Blick von Jungjäger Timo über dieses Zurückgreifen von Hilde. Innerlich schmunzle ich, weil mir das am Anfang der gemeinsamen Zeit mit Hilde genauso ergangen ist. Nun ist aber der Anschuss von meiner Hündin gründlichst untersucht, und die Reise geht los. Mit tiefer Nase liegt Hilde nun im Riemen und arbeitet zügig über die Wiese in Richtung des Waldes. Auf der Wiese schaue ich nicht mehr nach Pirschzeichen, der Regen hat hier sicherlich alles weggewaschen. Jedoch versuche ich am Waldeingang, hier ist höhere Vegetation und Gestrüpp, Abstreifungen oder sonstige Hinweise zu erhaschen. Dies würde mir etwas mehr Sicherheit in die Arbeit meiner Hündin geben, zumal hier vor uns ja vier Mal ein anderes Gespann die Fährte gezogen hat. Solange wir uns im Wirkungskreis des vorher suchenden Schweißhundeführers befinden, bin ich mit gesteigerter Konzentration versucht, Bestätigung zu finden, damit ich Hilde mit einem kurzen Lob bestärken kann. Die Duftspur des anderen Hundes zusammen mit seinem Führer ist ja die frischeste und intensivste Fährte und daher für den nachfolgenden Hund eine starke Verleitung. Nach meiner Interpretation arbeiten die Hunde gelegentlich die Spur des vorigen Hundes nach dem Motto: „Mal schauen was der so gemacht hat.“ Nach einigen Hundert Metern Strecke im Wald arbeitet Hilde in einem leichten Bogen in nördliche Richtung. Die leichte Unruhe in der Arbeitsweise meiner Hündin ist nun verschwunden, daher gehe ich davon aus, dass wir die Verleitungen des ersten Gespanns verlassen haben. Jetzt gefällt mir auch die gesamte Körpersprache und der Suchenstil von Hilde, so dass ich ihr nun entspannter folge und weniger auf Pirschzeichen und viel mehr darauf achte, was mir die erfahrene Schweißhündin anzeigt. Sie arbeitet mit tiefer Nase einen Wechsel. Kurz vor einer Wegüberquerung verweist mir Hilde einen winzigen Knochensplitter – bingo – wir sind auf dem richtigen Weg.

Meine Zufriedenheit mit der Arbeit scheint meine vierbeinige Jagdkameradin zu spüren, sie zieht mich nun wie auf Schienen den ansteigenden Hang hinauf. Wie erwartet führt uns die Fährte durch das unwegsame Gelände der Vorbergzone des Südschwarzwaldes. Dass wir uns in einem Südhang befinden, erkenne ich allein schon daran, dass sich die Brombeeren hier offensichtlich wohlfühlen und uns das Vorankommen erschweren. Bisher hat Timo mit Henry zusammen den Anschluss an mich und Hilde gehalten. Für die nun dichter und dorniger werdende Vegetation erhält Timo nun von mir die Freigabe. Er soll, wenn es extrem dicht wird, nicht meiner Spur folgen, sondern sich im näheren Umfeld einen leichteren Weg suchen. Das hat für mich den Vorteil, dass ich nicht auf Henry und Timo warten muss, denn neben der Fährte können sie leichter den Anschluss an mich halten. Zudem ist Timo nicht mit einem Helm und Gesichtsschutz ausgestattet, und die Gefahr, dass er sich verletzt, wird dadurch zusätzlich reduziert. Beihund und Begleiter sind nur dann eine Unterstützung für mich, wenn sie sich auch in unmittelbarer Nähe befinden und unverletzt einsatzfähig sind. Mittlerweile sind schon über zwei Kilometer am Riemen zurückgelegt. Immer mehr tiefe Geländeeinschnitte bereiten uns zunehmend Schwierigkeiten, weiter zügig voranzukommen. Noch besteht jedoch kein Grund zur übertriebenen Eile, denn trotz des regnerischen Wetters haben wir sicherlich an den langen Augusttagen bis gegen 20 Uhr gutes Licht. Immer noch arbeitet Hilde konzentriert stetig hangaufwärts. Wir haben bestimmt schon 300 Meter Anstieg hinter uns, doch nun wird das Gelände merklich flacher. Offensichtlich hat das Wildschwein hier einen Widergang gemacht, denn Hilde sucht nun einen größeren Bereich nach der gerechten Fährte ab.

Seit dem Fund des winzigen Knochensplitters habe ich keinerlei Bestätigung mehr gefunden und kann so meiner Hündin keine weitere Unterstützung bieten. Auf den vielen Fährten der letzten Jahre habe ich festgestellt, dass ich in solchen Situationen auf gar keinen Fall Ungeduld zeigen oder gar Druck aufbauen darf. Solche Signale führen Hilde in eine Art „Hamsterrad“, und sie kann sich, im Bestreben mir alles recht zu machen, nicht mehr auf die Nasenarbeit konzentrieren. Also bleibe ich entspannt und folge der sichtlich bemühten Hündin in ihren Versuchen den Abgang zu finden. So drehen wir beinahe 10 Minuten unsere Kreise, bis sich Hilde schlussendlich sicher ist, dass die Fährte steil bergauf verläuft. Am Horizont, oben im Hang, ist eine große Dickung zu erkennen. Auf den bisherigen über drei Kilometern Fährte haben wir uns schon durch einige Brombeerwüsten und kleinere Nadelholzdickungen gekämpft. Das verletzte Stück hätte also schon etliche Plätze vorgefunden, um ein Wundbett anzulegen. Offensichtlich hat der Schwarzkittel aber ein bestimmtes Ziel. Durch meine vielen Nachsuchen, die uns häu-fig in den gleichen Dickungen zum toten Stück oder ans warme Wundbett führten, entwickelte ich die These der „Krankenzimmer“. Schwarzwild sucht, wenn es noch körperlich dazu in der Lage ist, offensichtlich bestimmte Stellen auf, wenn es verletzt ist. Die über uns liegende Dickung scheint wieder so ein Krankenzimmer zu sein. Ansonsten hätte das Wildschwein den tiefer im Hang liegenden Wechsel nicht schlagartig verlassen und die höher gelegene Dickung angesteuert, so zumindest meine Annahme. Wir streben also direkt auf eine im Sonnenhang gelegene Dickung zu. Keine 20 Meter be-vor es richtig dicht wird, zeigt Hilde ein deutlich verändertes Verhalten. Langsamer, fast schon vorsichtig, bewegt sie sich Richtung Dickungsrand. Mein Blick zu ihrem vierbeinigen Adjutanten, dem erfahrenen Henry, bestätigt meine Vermutung. Henry steht nur noch auf den Hinterläufen und holt Wind, das deutlichste Anzeichen dafür, dass gleich etwas passieren wird. Wir sind unmittelbar vor dem Wundkessel.

Bis zum heutigen Tag habe ich mit Hilde schon über 700 Nachsuchen gearbeitet, so dass ich meine Hündin so gut kenne, dass ich mir sehr sicher bin, dass das kranke Stück vor uns sitzt. Also ergreife ich die Initiative und schnalle Hilde und gebe Timo das Zeichen, dies mit Henry ebenfalls zu tun. Beide Hunde bewegen sich fast schleichend und ohne Laut in die Dickung rein. Noch wundere ich mich, warum sie nicht sogleich die Festung stürmen. Wenige Augenblicke später kurzer Standlaut der Hunde und brechende Äste, gefolgt von deutlich hörbaren Tritten, als ob ein Pony vor den Hunden wegbricht. Nahtlos setzt der Hetzlaut ein und die Geräuschkulisse bewegt sich weg von uns. Nun wird aus den ganzen Puzzlesteinen ein Bild: der dickwandige Knochen, die vorsichtigen Hunde, die deutlich hörbaren Schalentritte auf der Flucht und Henry, der nicht am Schwarzkittel hängt – der Überläufer entpuppt sich als ausgewachsener Urian. Ich erkläre Timo, dass wir nun warten müssen, bis wir Standlaut vernehmen. Sollte die Hatz weitergehen, müssen wir umgehend versuchen, Anschluss zu halten. Meine Hoffnung auf eine kurze Hatz wird mit dem Blick auf das GPS-Ortungsgerät zerschlagen. Die Hunde sind schon über 700 Meter Luftlinie von uns entfernt.

Also heißt es für uns nun, die Ideallinie zu finden, um den Hunden zu folgen. Die Fahrzeuge sind aktuell zu weit entfernt und einen Helfer, der uns nachführen könnte, haben wir auch gerade nicht zur Hand. Aus Erfahrung versuche ich zunächst einmal den nächstgelegenen Weg zu finden und auf diesem dann der Hatz nachzueilen. Zuvor orientiere ich mich aber nochmals auf der Karte des Hundeortungsgerätes, um auch den optimalen Fahrweg anzusteuern. Dieses Vorgehen hat sich als deutlich schneller und kräfteschonender herausgestellt, als das Folgen in kürzester Linie querfeldein. Wir haben den ausgewählten Weg erreicht, und mein Blick auf das GPS-Ortungsgerät zeigt an, dass die Hunde nun an einem Ort stehen. Es sind aber immer noch eineinhalb Kilometer bis zum Bail. Im Laufschritt eilen wir zum Ort des Geschehens. Als wir nur noch 200 Meter entfernt sind und um eine Wegbiegung kommen, sehe ich die Bescherung: Ein Hang mit extrem dichter Tannenverjüngung, gerade einmal zimmerhoch. Das bedeutet praktisch null Sicht. Ich kann nur hoffen, dass sich der Bail an einer einsehbaren Stelle befindet.

Den Jungjäger im Schlepptau, nähere ich mich weiterhin auf dem Weg dem Standlaut. So komme ich bis auf 50 Meter an meine beiden Hunde und das verletzte Wildschwein heran. Über mir im Hang arbeiten Hilde und Henry intensiv, und das Wetzen der Waffen des Keilers ist ebenfalls gut zu hören. Aus Gründen der Eigensicherung schließt sich ein Angehen von unten aus. Wenn der wütende Basse mit Schwung von oben gegen mich kommt, habe ich keine Chance, dem Angriff auszuweichen. Daher entscheide ich, die Sache zu umgehen und mir von oben einen Weg näher an das Geschehen zu suchen. Links scheint die Dickung etwas lichter zu sein, darum nehme ich Timo mit und gehe etwas oberhalb des gut hörbaren Standlautes die Szenerie an. Timo bekommt von mir die Anweisung, am Dickungsrand stehenzubleiben. So kenne ich seine Position und kann im Falle eines Fangschusses eine Gefährdung meines Begleiters ausschließen. Die ganze Sache wird auf jeden Fall sehr anspruchsvoll. Die hart arbeitenden Hunde stellen offensichtlich einen sehr wehrhaften Gegner. Neben dem mir vertrauten, anhaltenden Standlaut meiner beiden treuen Vierbeiner vernehme ich weniger erfreuliche Geräusche. Ein permanentes Waffenwetzen unterbrochen durch tiefes Brummen und brechendes Geäst gefolgt von kurzem Hundeklagen. Es ist deutlich zu vernehmen, dass meine Kameraden umgehend Hilfe von mir benötigen. So suche ich mir einen Weg näher heran. Ich bin schon bis auf 10 Meter vorgerückt und kann die drei Protagonisten atmen hören und den Keiler sogar riechen, aber vor mir ist alles so dunkel wie die Nacht. Ich kann nichts erkennen. Links von mir sehe ich einen höheren Wurzelstock. Ich steure auf ihn zu, erklimme die einen 1 Meter hohe Aussichtsplattform, meinen Repetierer immer im Voranschlag, und hoffe nun von hier aus etwas erkennen zu können. Aber auch hier nur grüne Hölle. Durch die wackelnden Tannen kann ich genau erkennen, wo sich das Drama abspielt. Meine beiden Hunde tragen eine Signalglocke an ihren Schlagschutzwesten. Daher kann ich sogar ermitteln, wo sich gerade die Hunde befinden und wo ihr Kontrahent ist. Trotzdem gelingt es mir nicht, einen Fangschuss anzubringen – ich kann einfach nichts erkennen. Ziemlich ratlos und auch besorgt um das Wohl der beiden Hunde versuche ich eine Lösung zu finden. Der Laut meiner beiden Mitstreiter wird von zunehmenden Pausen unterbrochen. Der Kampf in dieser Dickung dauert nun schon fast eine Stunde. Da steht Hilde plötzlich bei mir und schaut mich beinahe vorwurfsvoll an, als wolle sie sagen: „Du könntest nun auch mal mit reinkommen, um uns zu helfen.“ Sie hat offensichtlich schon Hiebe vom Keiler abbekommen. Einen schnellen Blick auf die blutenden Stellen schaffe ich noch, da verschwindet Hilde im Dunkel der Dickung und ihr Laut erhallt wieder.

Im Wissen um geschlagene Hunde, nimmt meine Verzweiflung weiter zu. Da ich weiß, wie gefährlich die Situation auch für mich werden kann, bin ich innerlich hin- und hergerissen. Eigensicherung und Unterstützung für die Hunde schließen sich praktisch gegenseitig aus. Aber irgendetwas muss nun geschehen. Also bewege ich mich möglichst leise immer näher an die beängstigende Geräuschkulisse, in der Hoffnung, dass der Basse mich nicht wahrnimmt. Immer bereit, die vielleicht winzige Chance zu nutzen, um dem Spiel mit einem sicheren Fangschuss ein Ende zu bereiten. Offensichtlich merken die Hunde meine Nähe und werden mutiger und bedrängen den Keiler noch aggressiver als zuvor. Was deutlich hörbare Gegenreaktionen des Urians zur Folge hat, gefolgt von kurzem Aufheulen der Hunde. Dann ist es still. Als nächstes klopft etwas gegen mein Schienbein. Im selben Augenblick taucht aus den Tannen vor mir der Keiler auf und springt mich an. Dabei stößt er mit seinen Vorderläufen auf meine Brust, als wolle er mich umstoßen. Die Dickung ist hier aber derart dicht, dass ich gar nicht umfallen kann. Im Reflex halte ich mit beiden Händen meine Repetierbüchse schützend quer vor mich und stoße den wütenden Schwarzkittel von mir weg. Scheinbar überrascht von meiner Standhaftigkeit und Gegenwehr weicht der Keiler zurück. Verfängt sich in dieser Szene aber in meinem Gewehrgurt und reißt mir mit seiner ganzen Masse die Waffe aus den Händen und taucht, mit geschulterter Waffe (!), wieder im Dunkeln der Tannen ab. Einige Meter sehe ich noch die Tannen vor mir wackeln, dann ist es wieder still.