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Vielbegabung l(i)eben
Sie haben Hunderte Ideen und eine unbändige Neugier auf eine Vielzahl von Themen: Kreative, vielbegabte Multitalente verfügen über außergewöhnliche Fähigkeiten. Meist gelingt es ihnen, sich innerhalb kürzester Zeit ein Thema überdurchschnittlich gut anzueignen.
Doch in unserer Gesellschaft, die auf Geradlinigkeit und Spezialisierung Wert legt, gelten sie als unbeständig. Dabei haben Multitalente, auch Scanner-Persönlichkeiten genannt, uns so viel zu bieten – nur beschränken darf man sie nicht, sonst verzweifeln sie an der Vielfalt ihrer Interessen.
Anhand vieler Fallgeschichten und der Erfahrungen aus ihrem Praxisalltag ermutigt Anne Heintze vielbegabte Scanner-Talente, selbstbewusst zu sich selbst und ihrer Vielseitigkeit zu stehen: für ein Leben, das Platz für alle Träume und Wünsche bietet. Ein vielfältiges Buch für vielfältige Menschen!
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Seitenzahl: 292
ANNE HEINTZE
Auf viele Arten
ANDERS
Die vielbegabte Scanner-Persönlichkeit: Leben als kreatives Multitalent
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Die in diesem Buch geschilderten Fälle basieren auf wahren Begebenheiten, wurden aber abgewandelt und anonymisiert. Aus persönlichkeitsrechtlichen Gründen wurden Namen, Adressen, Orte, Aussehen und Beruf verfremdet.
Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek
Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet unter http://dnb.ddb.de abrufbar.
© 2016 Ariston Verlag in der Verlagsgruppe Random House GmbH, Neumarkter Straße 28, 81673 München
Alle Rechte vorbehalten
Redaktion: Diane Zilliges
Umschlaggestaltung: Nele Schütz Design, München
unter Verwendung eines Motivs von Shutterstock/Oxanaart
Satz: Satzwerk Huber, Germering
ISBN: 978-3-641-15973-3V001
www.ariston-verlag.de
Inhaltsverzeichnis
Vielbegabung: Du bist nicht allein!
Der Prototyp der Scanner-Persönlichkeit
Getrieben, beseelt, verrückt. Wer war das?
Was können wir von ihm lernen?
Wie steht’s mit dir?
Wie steht’s mit mir?
Wie steht’s mit unserer Gesellschaft?
Lebt es sich gut im Mittelmaß?
Bettina, 36
Das Wesen der Scanner-Persönlichkeit
Ein Wort, das die Seele erreicht
Ein typischer Feierabend eines Vielbegabten
Bist du etwa ganz normal?
Triebfeder und Bremsklotz
Auch Sensibilität ist eine Begabung
Orientierung im Begriffsdschungel
Das Hochstapler-Syndrom
Renate, 42
Deine Verbündeten: Intuition, Gefühl und Verstand
Gesichter der Intuition
Gefühl und Verstand – zwei Seiten einer Medaille
Stopp dein Overthinking
Martina, 53
Deine speziellen Intelligenzformen nutzen
Vorurteile bezüglich Begabung und Intelligenz
Erfahrungsintelligenz der Scanner-Persönlichkeiten
Segen oder Fluch?
Gehirnforschung und vielbegabte Multitalente
Max, 42
Deine persönlichen Grundlagen entdecken
Wie du deine Bestimmung finden kannst
Welche Werte fördern deine Gaben?
Finde dein Warum
Deine persönliche Lebensaufgabe
Beruf und Berufung sind keine Geschwister
Wie steht’s mit deiner Selbstwirksamkeit?
Dennis, 28
Deine Begabungen und Talente veredeln
Sind alle Menschen talentiert?
Sinnerfüllung im Beruf
Lebe die maximale Neugier!
Kreativität: Jonglieren mit den Möglichkeiten
Konsequentes Stärken deiner Stärken
Erfolgreiche Chaoten
Sei ein Lebenskünstler
Sonja, 47
Ein cleveres Selbstmanagement etablieren
Die Ziele im Blick
Entscheidungen treffen
Geistige und körperliche Bewegung machen schlau
Statt Anpassung gesunde Rebellion
Erfolgsfaktor Resilienz
Der gesunde Umgang mit dem Scheitern
Selbstdisziplin, der Schlüssel zum Erfolg
Vera, 37
Deine Zukunftsperspektiven erkennen
Das Ende der Arbeit: Arbeit gibt’s nicht
Der Paradigmenwechsel vom Ich zum Wir
Die Patchworkkarriere ist auf dem Vormarsch
Paula, 32
Deine persönliche Masterarbeit starten
Mut zum persönlichen Lebensweg
Ein Mosaik aus Kompetenzen
Gestalte dein persönliches Portfolio
Mira, 43
Epilog
Die Autorin
Anhang
Vielbegabung: Du bist nicht allein!
Ist dir das bekannt? Vor lauter Begeisterung weißt du manchmal nicht, was du zuerst machen sollst? Du hast mehrere angefangene Projekte zu Hause liegen, die du irgendwann noch fertigstellen willst? Du wirst oft von anderen kritisiert, weil du scheinbar nichts zu Ende bringst oder dich partout nicht für einen Berufsweg entscheiden willst oder kannst? Dich interessieren viele unterschiedliche Themen und du hast schon eine Vielzahl von Hobbys ausprobiert? Du denkst und handelst oft unkonventionell und deine Ideen sind äußerst kreativ? Es gibt nicht viele Menschen in deiner Umgebung, die ebenso vielfältig und ungewöhnlich sind? Manchmal bist du verzweifelt, weil du doch endlich das Thema finden möchtest, bei dem du bleiben kannst und wo du nicht nach kurzer Zeit schon wieder auf der Suche nach der nächsten Herausforderung bist? Du möchtest kein verständnisloses Kopfschütteln deiner Liebsten mehr sehen, wenn du dich schon wieder aufmachst, um ein neues Themengebiet zu entdecken?
Wenn du all das kennst, dann bist du höchstwahrscheinlich eine Scanner-Persönlichkeit, einer jener multitalentierten Menschen, für die es in der heutigen Gesellschaft nicht leicht ist, ihren Weg und ihren Platz zu finden.
Wie sehr habe ich in meiner Jugend darunter gelitten, anders zu sein als meine ganze Familie! Jeder hatte einen Job gewählt und ist dabei geblieben, oft jahrzehntelang in der gleichen Firma. Jeder wusste immer, was er machen will, jeder wohnte ewig lange am gleichen Ort, oft in der gleichen Wohnung – und ich war immer unstet und auf der Suche. Wonach? Nach mehr. Nach Wissen. Nach Input. Nach Lebendigkeit. Nach Vielfalt. Ich wusste nicht, dass es völlig in Ordnung ist, sehr unterschiedliche Dinge gleichzeitig zu machen, sich nicht festzulegen, immer mehr und weiter zu wollen, denn ich hatte keine Vorbilder dafür.
Erst viel später sind sie mir begegnet: Aristoteles, Gottfried Wilhelm Leibniz, Rabindranath Tagore und Johann Wolfgang von Goethe zum Beispiel. Sie sind Multitalente, die es in ihrer Zeit sogar zu großem Ruhm gebracht haben. Doch leider scheint unsere derzeitige hoch spezialisierte Welt Menschen mit vielen Ideen, Interessen und Fähigkeiten weit weniger zu schätzen, als es in früheren Zeiten der Fall war, sodass sich die Stärken, die vielbegabte Multitalente haben, heute oft wie ihr größtes Problem anfühlen.
So halten sich manche vielbegabte Menschen für Universaldilettanten oder Nichtskönner, weil sie vieles ziemlich gut, aber wenig richtig vertieft können. Oft glauben sie auch, sie könnten nichts, weil sie für viele Fähigkeiten weniger hart arbeiten mussten als andere Menschen, die eifrig und fleißig, oft dabei jammernd, ihren Tätigkeiten nachgingen, anstatt mit Lust und Freude wie sie selbst. Was leichtfällt und Spaß macht, ist nichts wert – eine wirklich belastende Konditionierung unserer modernen Zeit.
Noch zu Anfang des 20. Jahrhunderts war der Universalgelehrte eine geschätzte Person, die mit weitem Blick über den Tellerrand schaute und in vielen Gebieten ein echter Amateur (wörtlich übersetzt ein »Liebhaber«) war, der oft sogar mit Fachleuten mithalten konnte. Auch heute gibt es solche vielbegabten Multitalente, die jedoch in unserer spezialisierten Leistungsgesellschaft auf viele Widerstände stoßen. Wenn auch du zu diesen Menschen gehörst, wird dich dieses Buch dabei unterstützen,
selbstbewusst zu dir selbst und deiner Vielseitigkeit zu stehen, deiner eigentlichen Berufung auf die Spur zu kommen, dich für einen Beruf zu entscheiden, der zu deiner Persönlichkeit passt, Projekte zu beginnen und zu einem guten Abschluss zu bringen und ein Leben zu leben, das Platz für alle deine Wünsche und Träume hat.Ein vielbegabter Mensch ist reich an geistiger Vielfalt und bunter Kreativität. Er kann lernen, sich als außergewöhnliches Individuum zu positionieren, um die vorhandenen Gaben für sich und andere gewinnbringend und sinnstiftend ein- und umzusetzen.
Es ist nicht so einfach, eine jahrelang praktizierte Denkweise von einem Tag auf den nächsten über den Haufen zu werfen und die eigene besondere Begabung zu schätzen. Aber es geht. Du wirst dich anders sehen und dein bisheriges vermeintliches Problem zum ersten Mal als eine Begabung begreifen lernen, die es auszuleben gilt.
Ich selbst begreife das Scanner-Phänomen als eine Spielart der Hochbegabung, besser gesagt: als Vielbegabung. Diese innere Vielfalt ist sicher eine außergewöhnliche Gabe, ebenso wie die außerordentliche Kreativität des Scanners. Ich bin überzeugt: Wo deine Gaben sind, sind auch deine Aufgaben!
Wenn du dir nicht ganz sicher bist, ob du wirklich vielbegabt bist, du aber schon längere Zeit auf der Suche nach deinem eigenen Weg bist, eignet sich dieses Buch auch für dich. Ich schreibe für alle Leserinnen und Leser, die klarer, fokussierter und lustvoller leben wollen und bereit sind, die Weichen dafür zu stellen.
Einige Statements von anderen vielbegabten Scanner-Persönlichkeiten können dir weitere Hinweise und Anregungen geben. Für dieses Buch habe ich meinen Klienten und Mitgliedern in Onlinegruppen Fragen über ihr Leben, über ihre Erfahrungen, über ihre Wünsche für das Leben als vielbegabte Scanner-Persönlichkeit gestellt. Lies, wie andere Menschen mit dieser Veranlagung umgehen, wie sie ihr Leben beeinflusst und welche Möglichkeiten in ihr liegen! Beachte ihre Tipps. Lass dich inspirieren. Verstehe: Du bist nicht allein mit dieser Gabe!
In diesem Buch findest du viele Hinweise, wie du lernen kannst, mit deinen Qualitäten umzugehen. Das kannst du locker und leicht umsetzen, wenn das deine innere Natur ist, oder durch harte Arbeit an dir selbst, wie du es wahrscheinlich bisher getan hast. Lass dir gesagt sein: Das Leichte ist effektiver, Freude und Lust sind zielführender als harte Arbeit an dir selbst. Sinn und Berufung sind leichter mit Hingabe an die Intuition und mit Vertrauen in den Verstand zu erreichen. Du findest hier viele Wege für deine Selbstverwirklichung.
Meine Vorschläge kannst du wie ein Buffet ansehen: Was du magst, nimm zu dir, was dir nicht schmeckt, lass liegen. Aber auch wenn du mit Spaß und Freude vorankommen willst, um dein buntes Potenzial zu leben, empfehle ich dir, so viel wie möglich schriftlich zu arbeiten. Lies dieses Buch nicht nur, sondern arbeite damit. An vielen Stellen bekommst du Anregungen zur Reflexion oder Aufforderungen, dir etwas zu erschließen. Du findest ganz praktische Übungen, die Klarheit in dein vielschichtiges Leben bringen können. Das wird dir gelingen, wenn du auch wirklich schriftlich mitmachst. Versprochen! Beschenk dich mit einem schönen Begabungsbuch, das dich beim Lesen begleitet und in das du dir Notizen machen kannst, wenn du Lust dazu hast.
Der Prototyp der Scanner-Persönlichkeit
Im Frühjahr 1984 besuchte ich ein Museum, das einer der ersten Scanner-Persönlichkeiten gewidmet war, mit der ich mich danach intensiv beschäftigt habe. Den Begriff gab es damals allerdings noch nicht, aber dieser Mensch und sein Schaffen haben mich maßlos fasziniert. Seitdem habe ich viel über diesen vielbegabten Mann gelesen und mich mit seinem Lebenswerk beschäftigt. Mit einer kurzen Geschichte über sein Leben, wie es sich vor allem aus Notizen und Tagebuchaufzeichnungen zeigt, möchte ich dir Mut machen. Wir alle haben in ihm ein großes Vorbild. Hast du eine Idee, wer dieser berühmte vielbegabte Mensch sein kann?
Wir sind nicht allein, es gibt viele Menschen, die ähnlich ticken, und es gab sie immer schon. Vielbegabte Menschen entziehen sich der Norm und sind anders als der Mainstream. Der Protagonist der Geschichte kann dir als Vorbild dienen. Er kümmerte sich wenig darum, was andere von ihm hielten, und blieb sich selbst treu, auch gegen Widerstände der Gesellschaft und der Familie.
Unser Scanner-Prototyp eckte an, er war unbequem, er lebte unangepasst. Leicht ist das nicht. Aber was ist schwerer: sich und seine vielen Begabungen, Interessen und Fähigkeiten dauerhaft zu verleugnen oder die Hingabe an all das? Eben! Die Hingabe kann nur ein Gewinn an Lebensglück, Zufriedenheit und Erfolg bedeuten. Der Verzicht darauf niemals. Ein Versuch, sich mit den vielen Interessen auszuleben, ist es allemal wert. Ich möchte dir mit dieser Geschichte gern aufzeigen, wie es sein könnte, wenn du dich traust, dich zu leben.
Mir begegnete dieser Mensch schon früher, als Kind bereits, ich war wohl zehn oder elf, denn meine Eltern hielten viel von Allgemeinbildung. Daher besuchte ich später, mit 23 Jahren, dieses Museum, als ich einmal ganz in der Nähe arbeitete. Als Kind sah ich vieles, was er geschaffen hat, und verstand nix davon, wie das bei Kindern manchmal so ist. Aber das, was ich sah, hat mich zugleich innerlich bewegt, es gab mir Kraft, hat mich ermutigt und ich wollte mehr von diesem Menschen erfahren, denn er machte mich neugierig und weckte meinen Fragehunger. All das wünsche ich dir auch.
Ja, leicht ist es nicht, als Scanner-Persönlichkeit zu leben, wie auch die Biografie unseres unbestrittenen und weltweit anerkannten Vielbegabten zeigt. Sie soll dich ermutigen, mehr zu wollen, und dich einladen, deinen vielfältigen Interessen zu folgen. Auf der Grundlage deiner Neugier, deiner Sensibilität, deiner Intuition und deines Verstandes. All das wird dich am Ende dazu führen, dass du glücklicher, zufriedener und erfolgreicher deine Begabungen leben kannst. Versuch es!
Aber bitte: Vergleich dich nicht, während du liest. Vergleiche haben noch nie zu etwas Positivem geführt. Nimm die Geschichte als Orientierung, als Paradigma, als gutes Omen. Suche Anregungen für dich, stell Analogien zu dir persönlich her, lausche so, wie du als Kind einem Märchen gelauscht hast: unvoreingenommen, staunend und bewegt.
Getrieben, beseelt, verrückt. Wer war das?
Die wohl bekannteste Scanner-Persönlichkeit, von der ich dir hier erzähle, lebte schon vor sehr vielen Jahren. Er war einer der vielseitigsten Menschen aller Zeiten. Getrieben war er von einer übergroßen Neugier, der steten Suche nach Erfahrung und Erkenntnis. Außerdem wollte er wirklich Großes für die Nachwelt schafften und so berühmt werden, dass sein Ruf noch lange nach seinem Tod bewahrt wurde. Das ist ihm gelungen.
Zeit seines Lebens schrieb er auf, was ihn beschäftigte, sodass wir heute umfangreiche Kenntnisse über seine vielfältigen Interessen haben: Architektur, Malerei, Bildhauerei, Zeichnen, Technik, Biologie, Mechanik, Geografie, Medizin, Anatomie, Philosophie und mehr. Es liegt daher nah, ihn als vielbegabte Scanner-Persönlichkeit zu verstehen.
Über 1000 Seiten seiner persönlichen Tagebücher offenbaren seine Obsessionen und zeigen uns den Geist, der in ihm lebte. In Mailand werden seine Notizbücher streng bewacht aufbewahrt. Sie sind der Schlüssel zum Verständnis dieses großen Geistes, um den es hier geht und von dem ein Hauch in jeder vielbegabten Scanner-Persönlichkeit weht.
Es ist wirklich vieles nicht »normal« an seinen Aufzeichnungen. Er schrieb seine Notizbücher von rechts nach links und in einem Code, der nur ihm und wenigen seiner Schüler bekannt war. Dieser Vielbegabte war Linkshänder und dies war die natürlichste Art des Schreibens für ihn, also passte er seine Schreibweise seinen Bedürfnissen an. Manche Abschnitte sind auch in Spiegelschrift geschrieben. Er schrieb durchschnittlich drei Seiten am Tag. Und er war von den unterschiedlichsten Themen regelrecht besessen: Technik, Biologie, Geografie, Anatomie. Er fertigte Zeichnungen von fast allem an, was ihm im Laufe seines Lebens begegnete und interessierte.
All das machte ihn bereits in den Augen seiner Zeitgenossen zu einer außergewöhnlichen Person. Die 1119 Seiten des Codex Atlanticus, wie seine Notizbücher genannt werden, offenbaren auch die Widersprüche in seinem Charakter, denn er war zeitweise ein von Versagensängsten geplagter Mensch. Wer von uns kennt das nicht?
Unser Turbo-Scanner macht uns auch Mut, denn er sagte, dass das Leben offensteht für alle, die es zu nutzen wissen. Er meinte, dass es eine Verpflichtung für uns Menschen gäbe, alle vorhandenen Möglichkeiten auszunutzen. Er fragte: »Was bringt es, unbemerkt von der Erde zu verschwinden?« Sich selbst nannte er einen ergebenen Schüler der Erfahrung. Ist das nicht eine schöne Beschreibung für eine Scanner-Persönlichkeit?
Als uneheliches Kind eines Rechtsanwalts und eines Bauernmädchens wurde er von seinem Großvater erzogen. Er lernte nie wirklich Latein, das damals die Sprache der Wissenschaft war. Die gesamte damalige Bildung und Kultur war vorwiegend vom Lateinischen geprägt. Wer Latein konnte, hatte auch Zugang zu den neuesten Fachbüchern aus Wissenschaft und Kultur. Das war für unser Scanner-Vorbild sehr schwer, da er kein akademisches Studium absolviert hatte, wie so viele Menschen, die einfach nur ihren Interessen folgen. Daher bezeichnete er sich selbst als »ungebildet« und – vielleicht kokettierend – als »Analphabeten«, da er nicht einmal eine reguläre Schulbildung genossen hatte. (Auch ich habe übrigens nie eine Universität von innen gesehen, bis ich dort Vorträge halten durfte.)
Als hoch motivierter Vielbegabter ließ er sich von seiner mangelnden Bildung nicht aufhalten und entwickelte eine revolutionäre Denk- und Lernmethode. Er suchte nicht nur in den Büchern der Antike nach Antworten, sondern in der Natur seiner ländlichen Heimat. Er interessierte sich für alles, was er sehen, hören, riechen, fühlen oder schmecken konnte. Wir können daher davon ausgehen, dass er nicht nur vielbegabt, sondern auch hochsensibel war.
Bei allem, was er sah und wahrnahm, fragte er sich immer wieder: Warum riecht das so? Warum sieht das so aus? Wie funktioniert das? Das war seine Lernmethode. Er war davon überzeugt, dass Erkenntnis mit Empfindung und mit Erfahrung beginnt und nicht mit dem Studium des Latein. »Wissen beginnt mit Liebe«, schrieb er einmal. Wie schön ist das denn?!
Er war der Meinung, dass ein Künstler die Natur ausgiebig betrachten solle, um zu versuchen, ihre Gesetze zu verstehen. Sein Wissensdurst als Maler ging weit über das Erlernen von Techniken hinaus. Er lernte auch aus dem alltäglichen Leben auf der Straße. So machte er sich Gedanken über die Wahrnehmungsebenen von Hunden durch ihre olfaktorischen Fähigkeiten. Seine Interessen reichten also vom ganz Banalen bis zum Tiefgründigen. Er nannte sich selbst Malerphilosoph.
Und wie selbstkritisch er bei all dem war! Er führte in seinen Aufzeichnungen selbst alle Schwachpunkte und Fehler in seinen Beobachtungen auf und reflektierte darüber, wo es noch Mängel geben konnte. Er war sich selbst der strengste Kritiker. Ist das nicht auch bei dir so?
Sein radikales Denken machte ihn zu einem Pionier in der Wissenschaft und der Kunst. Doch das wirklich Revolutionäre war die Art und Weise, wie er die beiden miteinander verband. So war er beispielsweise fasziniert vom Wasser. Er beobachtete Flüsse, Wasserfälle und die Bewegung des Wassers. Er zog Analogien zur Struktur des menschlichen Haares und wie es sich bewegt – glatt oder gelockt. Er entdeckte die spiralförmige Struktur des Wassers, was ihn auf einen für die damalige Zeit abenteuerlich neuen und kontrovers diskutierten Gedanken brachte: Er schaute sich spiralförmige Dinge an und suchte, wo sich weitere Spiralen zeigten, beispielsweise bei Pflanzen, deren Triebe sich ebenfalls spiralförmig entwickeln. Er erkannte dadurch, dass die Natur immer in Bewegung ist. Bewegung als die Ursache allen Lebens, sie ist die oberste Regel der Natur.
Immer suchte er grundlegende Strukturen in der Natur, sodass er von einer einmal erkannten Regel in einem Bereich auf einen anderen Bereich schließen konnte. So kam er auch auf den Gedanken, dass die Erde seit ihrer Entstehung viele Evolutionsstufen erlebt haben müsse, schon allein durch die Erosionen, die Strudel, die die Bewegungen des Wassers auf der Erde verursacht haben müssen. Er schloss daraus, dass die prähistorische Landschaft völlig anders ausgesehen haben muss. All das in einer Zeit, in der die Menschen noch glaubten, dass die Erde nur so aussehen und ewig bleiben könne, wie Gott sie geschaffen habe. Er war seiner Zeit also weit voraus, so wie manch andere Scanner-Persönlichkeit auch.
Was er annahm, war eine brisante Entdeckung in der damaligen Zeit, da er damit die Postulate der Kirche infrage stellte. Die Kirche lehrte die Menschen, dass das Leben zwar voller Qualen, für die Frommen jedoch nur eine Vorbereitung auf das Leben im Himmel sei. Sünder und Ungläubige wurden in die Hölle verbannt. Die Kirche verfügte damals über eine große Macht und durchdrang jeden Aspekt des Lebens. In ihren Augen war so ein Zweifel an der biblischen Schöpfungsgeschichte Ketzerei. Damals stießen immer wieder wissenschaftlicher Fortschritt und religiöse Vorstellungen aufeinander.
Wenn unsere Scanner-Persönlichkeit diese Theorien zu den enormen Veränderungen der Erde veröffentlicht hätte, wären sie äußerst riskant für ihn gewesen. Aber er behielt sie für sich und notierte sie nur in seinen Tagebüchern. In der Öffentlichkeit gab er sich also teilweise als angepasster Mensch aus. Welcher Scanner kennt das nicht?
Viele seiner Forschungen machte er aber auch deswegen nicht öffentlich, weil er versuchen wollte, sie zu Geld zu machen. Denn von irgendwas musste auch er schließlich seinen Lebensunterhalt bestreiten. Und er hatte Sorge, dass ihm der Widerstand der Kirche dabei im Weg stehen könnte. Diese Diskrepanz zwischen Broterwerb und Interessenslage kennt wohl jede Scanner-Persönlichkeit.
Am berühmtesten wurde dieser Vielbegabte durch seine Malerei, doch seine Notizbücher verraten, dass seine größten Ambitionen zeit seines Lebens ganz woanders lagen. Zum Beispiel darin, ein genialer und berühmter Ingenieur zu werden. Denn damals waren nicht die Maler die Superstars der Gesellschaft, sondern die Ingenieure. Er war wohl auch davon überzeugt, dass nur in der wissenschaftlichen und technischen Arbeit wirklicher Ruhm zu erlangen war, und nicht dadurch, dass man ein Stück Holz bunt anmalt.
So wandte er sich als 17-Jähriger nach Florenz, wo er eine Lehrstelle beim Baumeister des Doms erhielt. Die Vorrichtungen, die erforderlich waren, um riesige Steinmassen zu bewegen, bewegten ihn zu abenteuerlichen Plänen von machtvollen Maschinen. Er begann damit, solche Maschinen zu bauen. Dabei entwickelt er auf diesem Gebiet eine Reihe von außerordentlich innovativen Ideen. Wen wundert’s?
Unser Scanner-Vorbild dachte dabei auch sehr praktisch, denn er wollte Maschinen erfinden, die den Menschen und Tieren die Arbeit erleichtern. Einige seiner kühnsten Visionen mussten noch einige Jahrhunderte warten, bis zur industriellen Revolution, bevor sie in die Tat umgesetzt wurden. Er entwarf beispielsweise einen Wagen mit Selbstantrieb, einen automatischen Webstuhl, einen automatischen Schmiedehammer, Wasserpumpen sowie einen ersten automatischen Drehspieß zum Grillen von Rindfleisch. Vielleicht war das der Vorläufer der Dönerspieße?
Der Forscherdrang unseres Vielbegabten ging weiter: Er wandte sich dem Fliegen zu. Kaum ein anderes Thema hat ihn so fasziniert wie dieses. Berühmt wollte er werden, ja. Er wusste: Wer eine Maschine entwickeln könnte, die das Fliegen möglich mache, würde eine berühmte Person auf der ganzen Welt sein – und das war sein Ziel. Zeit seines Lebens wollte er mit einer Sache auf der Welt Spuren hinterlassen und den Menschen im Gedächtnis bleiben. Er dachte also immer groß – und was ist dagegen zu sagen?
Er schrieb in seinen Notizen, es sei seine Berufung, große Vögel zu erforschen. Und so, wie er als junger Mensch das Wasser erforscht hatte, untersuchte er nun die Luft. Dabei entdeckte er Parallelen, denn Luft und Wasser verhalten sich in mancherlei Hinsicht sehr ähnlich. So beschäftigte er sich mit den Luftströmungen, die Aufwind verursachen.
Seine Notizbücher zeigen auf, dass er ständig hin und her sprang zwischen unterschiedlichen Themen. Typisch Scanner-Persönlichkeit eben! Er schloss vom Wasser auf die Luft und fand durch dieses analoge Denken völlig neue Problemlösungen. Auch das ist typisch für vielbegabte Menschen.
So vereinte er schließlich seine beiden unvereinbar erscheinenden Leidenschaften: Natur und Technik. Er dachte darüber nach, wie Vögel fliegen und wie die Luftwirbel unter den Flügeln funktionierten. Logischerweise dachte er, dass es nicht schwer sein dürfte, so einen Apparat nachzubauen. Dazu machte er sich Gedanken über die Natur der Sehnen und der Muskulatur. Um die Struktur von Körpern zu erfassen, beschäftigte er sich mit Anatomie. So kam er darauf, dass Fledermäuse und die Struktur von Fledermausflügeln hilfreicher sein könnten, um das Fliegen für Menschen zu ermöglichen, als das Gefieder von Vögeln. Er machte viele Versuche, die aber immer wieder misslangen. Sein Scheitern hielt ihn jedoch nicht davon ab, weiterzumachen, und so liefert er uns einen Schlüssel zum Erfolg eines Scanners: Durchhaltevermögen und Selbstdisziplin.
Auch eine Art Fallschirm hat der Tüftler entworfen. Experten waren überzeugt, dass dieses pyramidenförmige Gebilde aus Holz und Segeltuch niemals fliegen könne. Ein Engländer wollte es genau wissen und baute den Fallschirm anhand der Originalzeichnung nach und testete ihn im Juni 2000 in 3000 Metern Höhe. Er segelte sicher und sanft zu Boden. So wurde die Praxistauglichkeit der Idee unseres Multitalents nach 500 Jahren bestätigt: Der Fallschirm funktioniert.
Eine seiner Visionen von einem Fluggerät sieht dem heutigen Helikopter sehr ähnlich. Er musste hier sehr vorsichtig sein, da die Grenzen zwischen Technik und Magie leicht überschritten werden konnten. Mit seiner Idee des Fliegens war er dabei, die Grenzen der normalen menschlichen Fähigkeiten zu erweitern. Denn es gab Naturgesetze, die nur er verstand, die meisten anderen Menschen seiner Zeit nicht. Dadurch kam er in die gefährliche Nähe zur Zauberei. Ihn selbst störte das nicht, denn er dachte immer wieder daran, welche Bedeutung für die Menschheit die Fähigkeit des Fliegens haben und wie er damit Unsterblichkeit erlangen könne. Seine wunderbaren Notizbücher sind voller Zeichnungen und Grübeleien, die seine Gedankengänge bis heute zeigen.
Er schrieb in seine Tagebücher keine Alltäglichkeiten oder typisch tagebuchartige Bekenntnisse. Dafür gibt es eine Reihe von Parabeln und Geschichten, deren Subtext jedoch viele Hinweise auf seine Gefühle gibt. Es lassen sich innere persönliche Probleme darin erkennen. Er war ein Außenseiter. Er war unangepasst. Wie bekannt das einem Scanner ist!
In einer Parabel schrieb er zum Beispiel von einem Stein, der unter Blumen liegt, der aber lieber mit den andern Steinen auf der Straße liegen würde. Er scheint von anderen Menschen sehr enttäuscht gewesen zu sein.
In der Zeit, in der er die Kunst des Zeichnens und des Malens lernte, betonte er in seinen Notizen, wie wichtig die Ausdauer für ihn sei, ebenso wie für all die Menschen, die ein begnadetes Talent und viele Fähigkeiten haben, aber nicht die Ausdauer und Beharrlichkeit, an der Vervollkommnung ihrer Fähigkeiten zu arbeiten, und all die, die der Genauigkeit und Präzision zu wenig Raum geben. Ausdauer und Geduld des Scanners sind also gefragt. Es ginge nicht nur darum, etwas wahrzunehmen und das Oberflächliche zu beschreiben, sondern auch darum, wie die Dinge darunter beschaffen seien und sich auswirkten. Neben brillanten Zeichnungen finden sich über den ganzen Codex auch rasch hingeschriebene Notizen. Über Lebensmittel, Taschentücher, Schuhe, eine Jacke …
Seine Gedanken kreisten auch um Sex. Er machte sich viele Gedanken über die Natur der Lust. Vermutlich war unser Vielbegabter homosexuell. In den Tagebüchern gibt es kaum Hinweise auf seine sexuelle Orientierung, doch er heiratete nicht und seine engsten Vertrauten waren alle männlich. Auch wenn Homosexualität unter den Künstlern damals weitverbreitet war, war es doch ein Verbrechen, das mit dem Tode bestraft werden konnte. Mit 24 wurde er wegen sexueller Handlungen mit einem 17-jährigen Jungen angeklagt, denn er war in einem anonymen Brief denunziert worden. Die Auseinandersetzung mit der »Behörde der Nacht«, wie die Sittenpolizei damals genannt wurde, und die Denunziation stürzten unseren großen Scanner in einen tiefen Konflikt, auch wenn die Anklage schließlich fallen gelassen wurde. Danach fühlte er sich verletzlicher denn je. Diese zarte und feinfühlige Art haben viele Scanner-Persönlichkeiten.
Mit 26 machte sich unser Multitalent selbstständig und gründete eine eigene Werkstatt. So wie es viele Scanner-Persönlichkeiten tun, wenn sie wirklich frei ihren Begabungen und Interessen nachgehen wollen. Mit 29 begann er sein erstes großes Werk. Dieses Gemälde war etwas wirklich Neuartiges, es war voller Emotionen und Bewegungen, was für die damalige Zeit völlig neu war. Die Menschen dieser Zeit nahmen wahr, dass sie es mit einer Naturgewalt zu tun hatten. Leider hat er dieses Gemälde nie vollendet, wie einige andere Gemälde ebenfalls. Man vermutet, dass er sowohl emotionale als auch finanzielle Schwierigkeiten hatte. Kommt dir das bekannt vor?
ENDE DER LESEPROBE