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Alles außer gewöhnlich
Sie erbringen intellektuelle Höchstleistungen, erfassen Zusammenhänge schneller als alle anderen – und bleiben dennoch oft weit unter ihren Möglichkeiten: Viele Hochbegabte, Hochsensible (sehr empathisch) und Hochsensitive (haben den 6./7. Sinn) verfügen über enorme Fähigkeiten, leiden aber oft an ihrer Besonderheit. Coach und Therapeutin Anne Heintze hilft diesen außergewöhnlichen Menschen, ihre Fähigkeiten nicht als Hindernis, sondern als Gabe und Geschenk zu begreifen.
Vor allem jene, die erst im Erwachsenenalter von ihrer Hoch- oder Vielbegabung erfahren, kennen das Gefühl, nicht sie selbst sein zu dürfen und sich ständig anpassen zu müssen – als würden sie wie bunte Zebras aus ihrer Herde herausstechen. Sie haben eine tiefe Sehnsucht danach, ihre Persönlichkeit zu entfalten und mit ihrer Andersartigkeit glücklich zu werden. Anhand vieler bewegender Fallgeschichten und mit erhellenden Hintergrundinformationen aus der Psychologie hilft Anne Heintze, die eigenen Begabungen zu verstehen und das innere Potential endlich voll auszuschöpfen. Ein besonderes Buch für ganz besondere Menschen!
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Seitenzahl: 321
Anne Heintze
Außergewöhnlich
normal
Hochbegabt, hochsensitiv, hochsensibel: Wie Sie Ihr Potential erkennen und entfalten
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Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek
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© 2013 Ariston Verlag in der Verlagsgruppe Random House GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München.
Alle Rechte vorbehalten
Umschlaggestaltung: Nele Schütz Design, München
Satz: EDV-Fotosatz Huber/Verlagsservice G. Pfeifer, Germering
ISBN 978-3-641-10918-9V004
Dank
Mein Dank gilt allen außergewöhnlichen Menschen, die mich geprägt und in meinem Leben begleitet haben. Naturgemäß hinterlassen eben gerade außergewöhnliche Menschen einen bleibenden Eindruck. Ich denke an sie mit einem warmen Gefühl und pflege meine Erinnerungen, die mir unendlich viel bedeuten.
Tiefe Dankbarkeit erfüllt mich für meine Eltern. Sie ließen mich sein und werden. Sie sind und waren mir wichtige Vertraute und innige Gesprächspartner.
Ich bin zutiefst glücklich über meine wundervollen Kinder und die seltene tiefe Verbundenheit, die ich mit ihnen erleben darf.
Dann gibt es da noch meine »Lilimes« – die Lieblingsmenschen, die einen großen Einfluss auf mich hatten und mir Welten zeigten, die ich ohne sie sicher nicht entdeckt hätte. Danke Uschi, danke Ulrich – wo immer ihr beiden auch jetzt seid.
Und schlussendlich waren die vielen Klienten, die mir ihre eigene Welt so zart und vertrauensvoll geöffnet haben, ebenfalls wichtige Wegbegleiter. Auch dafür ein großes, inniges Dankeschön.
Die Entscheidung
Seit einem Vierteljahrhundert arbeite ich im direkten Kontakt mit Menschen – als Gesprächs- und Atemtherapeutin, als Heilpraktikerin mit den Schwerpunkten Psychosomatik/Psychotherapie, als Sterbebegleiterin, Kommunikationstrainerin und schließlich als Coach.
In meiner Arbeit als Coach begann ich zunächst ausschließlich mit Frauen zu arbeiten. Danach wandte ich mich allen Führungskräften, Unternehmern und Selbstständigen zu.
Irgendwann kam einmal der Tag, an dem ich mir überlegte, mit welchen Klienten es mir persönlich am meisten Spaß machte zu arbeiten, welche Ratsuchenden am schnellsten ihre Ziele erreichten und welche Coachings am herausforderndsten waren. Es war leicht festzustellen, dass es sich oft um besonders anspruchsvolle Menschen, um schwierige Situationen und komplexe Fragestellungen handelte. Ich suchte nach den Gemeinsamkeiten, die all diese Menschen miteinander verbanden. Diese wunderbaren Menschen waren redegewandt, hatten ein hohes Energielevel, einen wachen Verstand und waren ausgeprägt empathisch. Es waren intelligente und sensible Menschen mit einem breiten Wahrnehmungsspektrum. Es handelte sich um Menschen, deren Leben nicht geradlinig verlaufen war. Es waren suchende Menschen und solche, die viele Fragen stellten. Die größte Gemeinsamkeit, die ich fand, war, dass all diese Menschen besonders begabt waren, entweder auf geistiger oder emotionaler Ebene.
Zeitgleich begann eines meiner Familienmitglieder unter Depressionen zu leiden und begann eine Therapie. Im Verlauf dieser Therapie tauchte das Thema Hochbegabung mit all seinen möglichen Auswirkungen erstmals auf. Die Therapeutin stellte damals in den Raum, dass es einen Zusammenhang zwischen der Depression und der Hochbegabung geben könnte, und fragte, ob Hochbegabung in der Familie bekannt sei.
So fiel mir ein, dass auch bei mir, als ich fünf Jahre alt war, ein Intelligenztest gemacht wurde, um herauszufinden, ob ich frühzeitig eingeschult werden könne. Die Kinderpsychologin bestätigte damals eine hohe Intelligenz, empfahl aber dennoch, dass ich noch ein Jahr zum Spielen in den Kindergarten statt in die Schule gehen solle. Im Jahr 1965 war Hochbegabung noch kein großes Thema, das Wort war nicht einmal allseits bekannt. Meine Eltern wussten nach dem Test nur: »Sie ist eben besonders clever«, und das war’s. Das Testergebnis war für meine Eltern damals nicht wichtiger als meine Schuhgröße. Und so nahm meine Schulkarriere einen später oft gehörten Verlauf: Ich bin hingegangen, habe mich gelangweilt, nur das Nötigste getan und war dabei sehr gut. Allerdings nur so lange, bis es dann im Gymnasium schwierig wurde. Dann habe ich mich nur noch von Schuljahr zu Schuljahr gerettet und meine wirklichen Interessen außerhalb der Schule gepflegt. Ich konsumierte Bücher wie andere Kinder Fernsehserien. Ich war süchtig nach Wissen, ich trieb exzessiv Leistungssport und viel mehr hat mich nicht interessiert.
Zwischen meinem 14. und 34. Lebensjahr litt ich aber auch immer wieder an heftigen Depressionen, die mein Leben unendlich schwer und scheinbar unerträglich werden ließen. Ich habe mich einfach nicht verstanden. Diese Depressionen endeten erst, als ich meine Berufung gefunden und meinen Platz im Leben eingenommen hatte. Erst als ich mit mir und meinen Gaben und Aufgaben voll und ganz im Reinen war, verschwanden die Depressionen und sind seitdem auch nicht wieder aufgetaucht.
An all das erinnerte ich mich in dieser Situation. Ich begann zum Thema »Hochbegabung bei Erwachsenen« zu recherchieren und stellte sehr schnell fest, dass es damals nur eine Handvoll Literatur zu diesem Thema gab. Diese Bücher habe ich förmlich inhaliert. Ich weiß noch, wie viele Tränen beim Lesen geflossen sind. Zu diesem Zeitpunkt begann ich mein Leben neu zu bedenken und neu zu bewerten.
In diesem Zusammenhang habe ich dann auch nach Experten zum Thema gesucht, nach Coaches, Beratern und Therapeuten, die sich mit diesem Thema auskennen. Leider gab es damals auch von diesen Experten nicht mehr, als es Literatur dazu gab. Ich war also gezwungen, mir meine Informationen selbst zusammenzusuchen und mich immer tiefer in die Materie einzuarbeiten.
Sehr schnell war ich dann wieder bei der Überlegung, mit welchen Klienten ich am liebsten arbeitete. Ich beschloss, mich auf eben diese hochbegabten und hochsensiblen Menschen zu konzentrieren, entgegen dem Rat aller Marketingspezialisten, die glaubten, die Zielgruppe sei viel zu klein, um davon leben zu können. Es war eine der besten Entscheidungen meines Lebens. Heute, viele Jahre später, weiß ich, dass ich ohne jeden Zweifel meiner Intuition gefolgt bin und mein Bauchgefühl über die rationalen und wirtschaftlichen Erwägungen gestellt habe.
Intuition und Freude
Im Nachhinein weiß ich – vor allem auch durch die Erfahrung mit Hunderten von Menschen, mit denen ich seitdem gearbeitet habe –, dass die Fokussierung auf die Freude und die Intuition eine der besten Möglichkeiten ist, um sein Potential zu entfalten und den eigenen Lebenssinn und seine Lebensaufgabe zu entdecken. Ich werde in diesem Buch immer wieder genau darauf hinweisen:
•Wobei empfindest du die größte Freude?
•Was empfiehlt dir dein Bauchgefühl?
•Wofür stehst du jeden Morgen gerne auf?
•Was bereitet dir tiefe Befriedigung?
Wer konsequent nach den Antworten auf diese Fragen handelt, wird ein glückliches, erfolgreiches und wirklich befriedigendes Leben führen – beruflich und privat, denn diese Bereiche lassen sich in meinen Augen nicht voneinander trennen.
Um diese Lebensfreude und Selbstakzeptanz zu erreichen, ist als Grundbedingung die vollständige Akzeptanz des Andersseins erforderlich. Außergewöhnlich zu sein bedeutet zunächst einfach nur: ungewohnt, jenseits der Norm, andersartig. Eine Wertung ist damit nicht verbunden. Den Begriff »außergewöhnlich« habe ich nur gewählt, weil ich die Schubladen von »Hochbegabung«, »Hochsensibilität« und »Hochsensitivität« für unsinnig halte.
Ein wenig anders
Vieles von dem, was ich schreibe, entspricht nicht der gängigen Meinung der Fachliteratur oder den wissenschaftlichen Erkenntnissen. Alles, was ich schreibe, entspringt der Erfahrung mit hochbegabten und hochsensiblen Menschen, denn ich habe seit 2005 mit Hunderten dieser außergewöhnlichen Menschen intensive persönliche Gespräche geführt und mit Tausenden korrespondiert. Ich gründete im Internet mehrere Gruppen und moderierte Foren zum Thema »Hochsensibilität und Hochbegabung«. Viele Tausend Mitglieder haben sich dort intensiv über ihre eigenen Erfahrungen ausgetauscht.
Die meisten Ratgeber oder Selbsthilfebücher, die zu den Themen »Hochbegabung«, »Hochsensibilität« und »Hochsensitivität« existieren, beraten in diesen Kategorien. Sie verharren in der jeweiligen Schublade und bieten damit denjenigen Menschen eine Art innere Heimat, die auf der Suche nach Erklärungen für ihre Außergewöhnlichkeit sind. Das ist ehrenvoll und auch sehr wichtig. Mir liegt jedoch sehr daran, dieses Schubladendenken zu verlassen. Es führt zu nichts, sich in Begrifflichkeiten zu definieren. Es kann nicht darum gehen, den vielen Etiketten, die wir bereits in unserem Leben erhalten haben, ein weiteres hinzuzufügen.
Selbstverständlich ist es notwendig, zunächst einmal wenigstens ungefähr zu beschreiben, was ich mit den Phänomenen »Hochbegabung«, »Hochsensibilität« und »Hochsensitivität« verbinde. Aber du wirst sehr schnell erkennen, dass ich wenig Wert auf eine Etikettierung lege. Ich freue mich, wenn du dich auf diese Denkweise einlassen kannst und siehst, wohin sie dich in deinem Selbstverständnis führen kann.
Warum ich »du« sage
Es hat sich so ergeben. Mit den Menschen, mit denen ich täglich zusammen bin, mit denen ich arbeite, die mir vertrauen, duze ich mich. Sie mögen und schätzen es so. Das Du ist für mich ein Ausdruck des Vertrauens und der Nähe. Ich danke all diesen Menschen sehr dafür und nehme diese Anrede auch hier gerne an.
Ich selbst habe vieles erst in der Rückschau verstanden. Mein Leben ist sehr reich an Erlebnissen, die ich mit meinen Klienten gemeinsam habe. Darum erzähle ich manches auch aus meinem sehr persönlichen Erfahrungsschatz. Da sage ich gerne »du«.
Wenn wir den Weg gemeinsam gehen, um Erfahrungen zu teilen und neue Perspektiven darauf zu richten, entsteht Nähe. In dieser Nähe ist das Du einfach naheliegend. So, wie in den persönlichen Gesprächen ein neues Bewusstsein für die eigenen Stärken und ein veränderter Umgang mit Unsicherheiten entstehen, wünsche ich es mir für dich als Leser auch.
Außergewöhnliche Menschen oder »bunte Zebras«
Durch die Arbeit mit hochsensiblen und hochbegabten Menschen wurde mir klar, dass ihre Beziehung zu anderen Menschen zuallererst von dem Gefühl geprägt ist, anders zu sein. Sie empfinden sich oft als nicht dazugehörig, ausgeschlossen, einsam und ganz einfach fremd. So entstand das Bild einer Welt von Haflingern und bunten Zebras: Unsere Welt wird vorwiegend von Haflingern bewohnt, gestaltet und geregelt. Haflinger sind außerordentlich liebenswerte, nützliche, soziale und freundliche Pferde. Als ehemalige Reiterin im Leistungssport (Dressur und Springreiten) verbinde ich mit den Haflingern nur Angenehmes. Es ist keinerlei Abwertung darin enthalten. Haflinger sind auch sehr vielfältig: Man kann sie reiten, vor Kutschen spannen, im Wald und auf Wiesen mit ihnen arbeiten, sie sind sehr kinderfreundlich und unkompliziert. Haflinger leben gerne in Herden, fühlen sich wohl mit ihresgleichen und pflegen soziale Kontakte untereinander.
Wie würde sich wohl ein Zebra, das aus der afrikanischen Steppe stammt, in einer Herde von Haflingern fühlen? Es reicht schon aus, schwarz-weiß gestreift zu sein, um in so einer Herde außerordentlich aufzufallen. Dennoch sind auch Schwarz und Weiß Farben, die in der Natur vorhanden sind und als normal empfunden werden. Wie viel auffälliger wäre es dann, wenn ein Zebra nicht nur schwarz-weiß gestreift wäre, sondern mit bunten Streifen durch das Leben ginge? So wie diese bunten Zebras fühlen sich hochbegabte, hochsensible und/oder hochsensitive Menschen in ihrem normalen Umfeld.
Noch einmal: Mit diesem Vergleich ist keineswegs eine Bewertung verbunden. Haflinger oder buntes Zebra zu sein, ist nicht gut oder schlecht. Die Welt der Haflinger ist einfach nur anders als die Welt der bunten Zebras und hinzu kommt, dass es wesentlich mehr Haflinger gibt als bunte Zebras.
Auch in der Welt der Haflinger gibt es große Unterschiede unter den Pferden, sie sind keineswegs alle gleich. Sie erkennen diese Unterschiede unter ihresgleichen und sie erkennen genauso gut, wenn sich ein auffallender Fremdkörper unter ihnen befindet. Und ein buntes Zebra ist ein Fremdkörper in der Welt der Haflinger. Also ist es eine ganz normale und natürliche Reaktion eines Haflingers, wenn er zunächst in Abwehr gegenüber dem geht, der nicht zu seiner Welt gehört.
Ebenso natürlich ist es für ein buntes Zebra, sich fremd zu fühlen. Unsere Gesellschaft ist auf das Leben der Haflinger ausgerichtet. Zebrafamilien fallen unter Haflingerfamilien auf. Zebraeltern haben es schwer mit ihren bunten Zebrakindern in ihrem sozialen Umfeld. Das Bildungssystem – vom Kindergarten über die Schule bis hin zu Universitäten und anderen Ausbildungswegen – ist von und für Haflinger eingerichtet, nicht für bunte Zebras. Und so können wir die Analogien weiter fortführen und Beispiele finden, die aufzeigen, wie sehr sich die Lebensbereiche von Haflingern und bunten Zebras unterscheiden.
Es liegt auch auf der Hand, dass Partnerschaften zwischen Haflingern und bunten Zebras besonderen Umständen ausgesetzt sind. Ebenso sind jedoch Beziehungen von bunten Zebras untereinander nicht mit Beziehungen von Haflingern untereinander zu vergleichen. Bunte Partnerschaften benötigen manchmal ungewöhnliche Beziehungsmodelle.
Wie sehr unterscheidet sich auch die Arbeitswelt der Haflinger von einem Arbeitsumfeld, in dem bunte Zebras ihre Andersartigkeit ausleben können! Ganz egal, ob sich die Andersartigkeit eines Zebras in den Bereichen Denken und Logik oder Sprachbegabung und Wortgewandtheit oder Empathie und Sensibilität oder in der außerordentlichen Feinfühligkeit zeigt – immer entspringt die Norm und das, was von ihm erwartet wird, aus der Welt der Haflinger.
Beispielsweise fühlen sich bereits sehr junge Kinder in einer Familie, die ihre außergewöhnliche Art nicht nur nicht fördert, sondern sogar bekämpft, als fremdartig und falsch am Platz. Das kann so weit führen, dass sie felsenfest davon überzeugt sind, adoptiert worden zu sein, von einem anderen Stern zu stammen oder als Kind im Krankenhaus vertauscht worden zu sein. Nachdem ich solche und andere Beschreibungen über die Andersartigkeit von hochsensiblen, hochsensitiven und hochbegabten Menschen immer und immer wieder gehört habe, entstand das Bild der bunten Zebras in der Haflinger-Welt.
An diesem Bild werde ich in diesem Buch weiter entlangdenken, indem ich einerseits die Andersartigkeit der bunten Zebras erkläre und beschreibe und auch einen Ausblick auf eine angenehme und förderliche Umwelt für bunte Zebras wage.
Von vielen bunten Zebras
Für sehr viele Menschen ist es enorm hilfreich, wenn sie sich mit anderen Menschen über wichtige Themen ihres Lebens austauschen können. Das belegt die intensive Nutzung von Onlineforen und Onlinegruppen. Aber auch hier wirst du viele Stimmen von Betroffenen lesen können. Für dieses Buch habe ich meinen Klienten und Mitgliedern in Onlinegruppen einige Fragen über ihr Leben, über ihre Erfahrungen, über ihre Wünsche für das Leben mit Hochsensibilität und Hochbegabung gestellt.
•Zu welcher Art buntes Zebra zählst du dich: hochsensibel, hochsensitiv oder hochbegabt?
•Wann und wodurch hast du erkannt, dass du ein buntes Zebra bist?
•Wie hat sich diese Erkenntnis auf dein Leben – beruflich und privat – ausgewirkt?
•Hat sich dadurch deine Einstellung zu dir selbst geändert und wenn ja, wie?
•Wo liegt die größte Herausforderung im Leben für ein buntes Zebra?
•Wie kann ein buntes Zebra diese Herausforderungen gut bewältigen?
•Was möchtest du anderen bunten Zebras mit auf den Weg geben?
Die Lebensgeschichten und Antworten auf diese Fragen fließen in anonymisierter Weise in dieses Buch mit ein. Die Zebrageschichten enthalten viele persönliche Erfahrungen und nützliche Hinweise, wie das Leben für außergewöhnliche Menschen zufriedener gestaltet werden kann.
Ich danke euch allen für eure Beiträge – voller Offenheit und Weisheit – von ganzem Herzen. Ein erstes Beispiel für einen solchen Beitrag liefert uns:
Frieda, 50, Marketingspezialistin
Zu welcher Art buntes Zebra zählst du dich: hochsensibel, hochsensitiv oder hochbegabt?
Hochsensibel
Wann und wodurch hast du erkannt, dass du ein buntes Zebra bist?
Im negativen Sinne – also so, dass es mich genervt hat, anders zu sein als andere – in meiner Kindheit und Schulzeit. Meine Mutter meinte immer, ich sei zu empfindlich. In der Schulzeit hatte ich kaum Freunde, nie eine richtige Freundin. Das lag wohl daran, dass ich als sehr anspruchsvoll galt, als besserwisserisch, altklug usw. Das sagte auch mein Vater häufig zu mir: Ich wüsste wohl ständig alles besser. Doch er sagte es missbilligend – was mich verletzte. Ich meinte es doch nur gut. Ich wusste die Dinge eben. Ich fühlte mich als Außenseiter und wollte nichts lieber als endlich dazuzugehören und akzeptiert zu werden, so, wie ich war, denn ich konnte doch nicht anders sein!
Im positiven Sinne – also es als Gabe zu sehen – erst seit einigen Monaten. Im vergangenen Jahr stieß ich bei XING auf eine Gruppe. Als ich mich dort anmeldete, weinte ich. Daraufhin bekannte ich mich gleichzeitig vor mir selbst in vollkommener Gewissheit dazu, tatsächlich anders zu sein und das ab jetzt als normal zu betrachten.
Wie hat sich diese Erkenntnis auf dein Leben – beruflich und privat – ausgewirkt?
Na ja, da diese Erkenntnis noch recht frisch ist, sind die Auswirkungen überschaubar, aber immerhin schon da: Ich bin selbstbewusster, entspannter, gelassener. Die vielen Freunde, die ich seit meiner Scheidung schon seit Längerem in meinem Leben habe, weiß ich nun noch mehr zu schätzen. Ich bin achtsamer mit mir selbst und anderen. Ich schätze meine feinen Antennen jetzt, bin dankbar dafür und möchte sie gern zum Wohle aller einsetzen. Ich erhalte gerade Unterstützung dabei, meine Berufung zu finden, und freue mich schon sehr darauf, sie bewusst auszuüben. Zum ersten Mal im Leben spüre ich Leichtigkeit und grenzenlose Freude sowie Vertrauen ins Leben. Nun glaube ich auch wieder, dass selbst meine kühnsten und schönsten Träume in Erfüllung gehen können.
Hat sich dadurch deine Einstellung zu dir selbst geändert und wenn ja, wie?
Ich kann mich jetzt akzeptieren und endlich lieben. Da die anderen mich stets abgelehnt hatten, blieb mir irgendwann nichts anderes übrig, als mich selbst auch abzulehnen. Das war ein riesiger Schmerz in mir, ein Loch, das niemals gefüllt werden konnte – wie es schien.
Nun gedeiht mein Selbstbewusstsein völlig neu, es fühlt sich beinahe wie neugeboren an. Und ich finde mich endlich toll!
Wo liegt die größte Herausforderung im Leben für ein buntes Zebra?
An sich selbst zu glauben, auch wenn die ganze Welt scheinbar gegen einen ist. Man bekommt fast nur Gegenwind und muss dennoch stehen bleiben.
Wie kann ein buntes Zebra diese Herausforderungen gut bewältigen?
Es braucht Bestätigung – wenigstens von einem Menschen. Sonst verzweifelt es an sich und der Welt. Wenn mehr Menschen oder sogar eine oder mehrere Gemeinschaften da sind, um es zu hegen und zu schützen, bis es selbst groß und stark genug ist, umso besser. Es muss jemanden geben, der zu ihm sagt: »Du bist richtig. Lass dir von niemandem etwas anderes einreden.«
Was möchtest du anderen bunten Zebras mit auf den Weg geben?
Wenn ihr unglücklich seid, verzweifelt, traurig, einsam, allein: sucht Hilfe. Es gibt sie überall: in Büchern, bei Menschen, sogar im Internet. Hört auf euer Herz. Folgt dem kleinsten Hinweis. Und gebt niemals auf. Ihr seid Gottes Kinder. Er braucht euch. Genau euch, denn euch hat er ausgesandt, um die Veränderungen zu bewirken, die die Erde braucht. Deshalb könnt ihr nicht sein wie die Masse. Ihr tragt das Neue schon in euch, das, was erst sein wird. Ihr seid die Ersten, ihr seid Pioniere. Euer Anderssein wird dringend gebraucht. Schön, dass ihr da seid!
Kapitel 1
Wie ich die »hoch x«-Themen verstehe
Ich möchte sehr gerne möglichst schnell aus dem Schubladendenken herauskommen. Viel lieber als über hochsensible, hochsensitive oder hochbegabte Menschen möchte ich über außergewöhnliche Menschen, die bunten Zebras, sprechen. Denn für mich steht fest, dass die Grenzen zwischen den einzelnen Phänomenen fließend sind und dass eine Differenzierung oder gar Definition überhaupt nicht möglich ist. Jetzt zu Beginn macht es erst einmal vieles leichter, wenn wir uns der alten Schubladen bedienen. Schubladen sind wichtig, aber nur genau so lange, bis du sie von allen Seiten erkundet hast, bis du in ihnen zu Hause bist. Aber wenn dieser Punkt erreicht ist, wirst du dich wohler fühlen, wenn du diese Schubladen wieder verlässt.
1.1Also erst einmal hinein in die Schubladen!
Fangen wir bei der Hochbegabung an. Es gibt bis heute keine einheitliche Definition von Intelligenz oder Hochbegabung. Fragt man fünf Experten, erhält man fünf verschiedene Meinungen – mindestens. Hinzu kommt: Ich begreife Hochsensibilität und Hochsensitivität als eine besondere Form von Hochbegabung, denn Hochbegabung erstreckt sich keineswegs nur auf intellektuelle, logische, kognitive oder analytische Intelligenzausprägungen, wie die meisten Menschen glauben. Hochbegabung bedeutet viel mehr.
Beispielsweise sind mittlerweile auch die emotionale und die soziale Intelligenz durch die Arbeiten von Daniel Goleman hinreichend beschrieben. Darüber hinaus wurden viele weitere Intelligenzformen definiert.
Hochsensitive und hochsensible Menschen sind meist sozial und emotional sehr intelligent – nämlich dann, wenn sie mit ihren besonderen Fähigkeiten Frieden geschlossen haben und sie nicht verdrängen. Howard Gardner hat in seinem Intelligenzmodell neun verschiedene Intelligenzformen beschrieben. Insbesondere die intrapersonale und die interpersonale Intelligenz betreffen die hochsensiblen und hochsensitiven Menschen.
Unbestritten ist, dass es darüber hinaus Formen von ausgeprägten Begabungen gibt, die alle in klassischen Intelligenztests nicht erfasst werden: musikalisch-rhythmische Intelligenz (Komponisten, Musiker) oder körperlich-kinästhetische Intelligenz (Tänzer, Choreografen). Die beiden letzten Formen erfordern eine ausgeprägte Sensibilität oder auch Sensitivität. Psychomotorische Fähigkeiten, wie sie zum Beispiel Sportler benötigen, werden bei vielen gängigen Hochbegabungsmodellen überhaupt nicht berücksichtigt.
Auch Kreativität, die für viele Formen von besonderen Leistungen Grundvoraussetzung ist, wird in einem klassischen Intelligenztest nicht gemessen. Selbst der weitverbreitete Glaube, dass hohe IQ-Werte mit Genialität und Erfolg gleichzusetzen sind, ist schon lange widerlegt.
1.2Was unterscheidet Hochsensibilität von Hochsensitivität?
»Ich bin hochsensibel.« »Ich bin hochsensitiv.« Diese Sätze bedeuten alle das Gleiche. Oder?
Ja und nein.
Die meisten Menschen, selbst »Experten«, unterscheiden nicht zwischen Hochsensibilität und Hochsensitivität. Das mag daher kommen, dass Elaine N. Aron, die in den Neunzigerjahren in Amerika den Begriff »Hochsensibilität« erstmals beschrieben hat, die Bezeichnung »Highly Sensitive Person« verwendet hat. Die deutschen Übersetzungen ihrer Bücher verwenden meist den Begriff »Hochsensibilität« ohne eine weitere Differenzierung. Andere Experten verwenden den Begriff »Hochsensitivität« und meinen damit, wie die meisten anderen Fachleute, Hochsensibilität.
Später kam »hochsensitive Person« als Übersetzung dazu – vielleicht, weil dieser Begriff neutraler klingt? Immerhin schwingt bei ihm nicht das »Sensibelchen« mit.
Meiner Erfahrung nach ist es aber sehr sinnvoll, einen Unterschied zwischen Hochsensibilität und Hochsensitivität zu machen. Zwei ganz unterschiedliche Phänomene können mit diesen Worten beschrieben werden, auch wenn sie häufig gemeinsam auftreten:
Wer hochsensibel ist, verfügt über fünf körperliche Sinne, die bei ihm feiner ausgeprägt sind als bei anderen. Er oder sie hört, sieht, schmeckt, fühlt und riecht differenzierter. Das führt leicht zu Reizüberflutung, denn Hochsensible sind »zartbesaitet«. Gleichzeitig sind sie dadurch aber in der Lage, viel feinere Informationen wahrzunehmen und zu interpretieren. Ihre Saiten schwingen leichter, um bei diesem Bild zu bleiben. Kein Wunder, dass so viele Hochsensible Künstler sind!
Wer hochsensitiv ist, muss nicht unbedingt über diese Schärfung der fünf physischen Sinne und nicht über diese Empfindsamkeit verfügen. Stattdessen hat ein Mensch, der hochsensitiv ist, einen »sechsten« oder »siebten« Sinn. Hochsensitive sind das, was man »hellsichtig«, »hellfühlig« oder »hellsinnig« nennt. Sie sind extrem empathisch, manchmal regelrecht medial. Sie haben Ahnungen, Visionen oder andere Empfindungen aus der »nicht-alltäglichen Wirklichkeit«.
Für Hochsensitive ist es selbstverständlich, dass es Energien außerhalb unserer alltäglichen Wahrnehmung gibt, denn sie nehmen sie direkt wahr. Manche Menschen haben diese Fähigkeiten schon seit frühester Kindheit. Bei anderen entwickeln sie sich erst im Erwachsenenalter.
Hochsensitivität und Hochsensibilität treten oft gemeinsam auf, aber nicht immer. Es gibt Hochsensible ohne ausgeprägte Empathie oder nicht-alltägliche Wahrnehmungen, und es gibt Hochsensitive, deren fünf Körpersinne ganz normal ausgeprägt sind.
Die Unterscheidung der beiden Begriffe ist deswegen wichtig, weil beide Personengruppen unterschiedliche Bedürfnisse haben.
Hochsensible Menschen müssen lernen, mit ihrer Empfindsamkeit zurechtzukommen. Sie müssen sich Ruhephasen gönnen, ihren Alltag an ihre zartbesaitete Natur anpassen und die Stärken ihrer Besonderheit kennenlernen.
Hochsensitive haben dagegen oft das Problem, dass sie über ihre Wahrnehmungen nur mit wenigen Menschen reden können. Sie müssen lernen, dass sie nicht »verrückt« sind und wie sie ihre Fähigkeiten als Gabe nutzen können. Manchmal müssen sie auch lernen, zwischen alltäglichen und nicht-alltäglichen Wahrnehmungen zu unterscheiden.
Für all diese Lernaufgaben ist ein großes Maß an Wissen über die eigene Besonderheit wichtig. Die Erkenntnis »Ja, so bin ich« wird durch die Differenzierung von Hochsensibilität und Hochsensitivität erleichtert. Es macht schließlich einen Unterschied.
Empfindsam oder empathisch, oder vielleicht beides – nur wer sich selbst versteht, kann lernen, seine Besonderheit zu schätzen.
Nach meiner Erfahrung sind ungefähr zehn Prozent aller Menschen überdurchschnittlich und multipel begabt, was jedoch durch einen herkömmlichen Intelligenztest nicht bewiesen werden kann. Etwa weitere zehn Prozent sind hochsensibel und ebenso viele vermutlich hochsensitiv, aber es gibt keine Studien mit verlässlichen Zahlen. Ich kann hier nur von meinen Erfahrungen berichten.
Durch meine Arbeit treffe ich natürlich überdurchschnittlich viele außergewöhnliche Menschen. Nun ist es keineswegs so, dass außergewöhnliche Menschen immer Probleme durch ihre Andersartigkeit haben. Aber es liegt auf der Hand, dass nur diejenigen Menschen einen Coach, Therapeuten und Berater aufsuchen, die mit ihren besonderen Gaben nicht im Reinen sind.
Ich werde manchmal gefragt, ob es irgendwelche Gemeinsamkeiten bei den außergewöhnlichen Menschen gibt. Ich traf außergewöhnliche Menschen aus allen Berufsgruppen und Lebensumständen: Künstler, Anwälte, Richter, Studenten, Hausfrauen, Erwerbslose (die aber nicht immer »arbeitslos« sind), Erfinder, Landwirte, Politiker, Unternehmer, Schüler, Handwerker, Wissenschaftler, Mütter, Ärzte, Lehrer. Es waren mehr Frauen als Männer, reiche und arme, junge und alte. Ich kann keine besondere Gemeinsamkeit erkennen. Es gibt auch keine allgemeingültigen Merkmale oder Zeichen, an denen hochbegabte oder hochsensible Menschen zu erkennen wären. Ebenso wenig wie es anerkannte Testverfahren zu den einzelnen Bereichen oder wissenschaftliche Untersuchungen gibt.
1.3Hochbegabte sind keine Gehirn-Akobraten
Die meisten Menschen denken bei dem Begriff »Hochbegabung« an Genies, an Überflieger, an hoch leistungsfähige Menschen. Sie glauben, dass hochbegabte Menschen besonders gut denken können, sehr analytisch und rational sind und dazu meistens irgendwie merkwürdige Eigenbrötler. Diese groben Vorurteile sind jedoch weit von der Realität entfernt. Es gibt so unendlich viele Begabungen und Möglichkeiten, diese Begabungen auszuleben und zu zeigen, dass die Beschränkungen auf intellektuelle Fähigkeiten und Leistungen des Verstandes völlig unzutreffende Reduktionen wären.
Richtig ist, dass es sich bei Hochbegabungen um besondere Gehirnleistungen handelt. Besondere Begabungen gibt es jedoch auch in den Bereichen der Gefühlswelt. Jeder weiß, dass die Wahrnehmungsmöglichkeiten von Menschen sehr unterschiedlich stark ausgeprägt sind. Der eine ist emotional intensiv empfindungsfähig, der andere Mensch weniger. Wer kann denn behaupten, dass die Fähigkeit der Empathie, des ausgeprägten Mitgefühls und der Wahrnehmung von Stimmungen keine besondere Begabungsform wäre? Ganz sicher ist auch die ausgeprägte Intensität von Wahrnehmung in den Bereichen Sehen, Hören, Fühlen, Schmecken und Riechen eine besondere Begabung. Jeder Musiker, jeder Koch, jeder Tänzer, jeder Physiotherapeut würde dieser These zustimmen.
All diese Fähigkeiten werden von unserem Gehirn gesteuert. Wissen wir aber so genau, wie unser Gehirn, dieses äußerst komplexe Organ, wirklich im Einzelnen funktioniert? Ist es nicht vielmehr so, dass wir nur den Hauch einer Ahnung davon haben, wie unser Gehirn funktioniert, welche Umwelteinflüsse, hormonellen oder sonstigen Impulse es beeinflussen? Genetische Faktoren sind sicher wichtig für das, was das Gehirn leisten kann. Dennoch ist bis heute ein Intelligenz-Gen nicht identifiziert worden. Die Leistungsfähigkeiten eines Gehirns ergeben sich aus einer riesigen Anzahl von Genen, die wiederum in einer Wechselwirkung zueinander stehen. Die moderne Hirnforschung versucht mittels Computertomografie herauszufinden, welche Gehirnprozesse zusammengenommen Intelligenz ergeben. Mit Sicherheit steht die Forschung hier aber noch ganz am Anfang.
Fred, 35, Texter und Autor
Zu welcher Art buntes Zebra zählst du dich: hochsensibel, hochsensitiv oder hochbegabt?
Das weiß ich nicht genau.
Wann und wodurch hast du erkannt, dass du ein buntes Zebra bist?
Ich dachte mir mein Leben lang immer, dass ich ein Alien bin, weil meine Gedanken und Empfindungen so abwegig schienen und aus der Reihe fielen. Erst mit 33 Jahren klingelte es dann bei mir, als mich eine Frau aus einem XING-Forum anschrieb, ob ich nicht Mitglied einer Hochbegabten-Gruppe werden möchte. Ich fühlte mich nicht geschmeichelt – ich fühlte mich zum ersten Mal erkannt. Bis dahin habe ich die meisten meiner Gedanken immer mit mir selbst ausgemacht.
Wie hat sich diese Erkenntnis auf dein Leben – beruflich und privat – ausgewirkt?
Ich nahm dann ein Coaching, um einen Überblick über meine Fähigkeiten zu bekommen. In dem Coaching kam heraus, dass ich das Thema Mann-Sein für mich erforschen wollte. Das tue ich seitdem mit großem Engagement. Ich habe das Herzenskrieger-Seminar besucht und dort viele gleichgesinnte Männer gefunden. Daraus sind Freundschaften entstanden, die an Qualität und Commitment weit über das hinausgehen, was ich bisher kannte. Seitdem weiß ich, dass Hochbegabung unbedingt einer starken, ausgebildeten Persönlichkeit und Geschlechtlichkeit bedarf, um seine Gaben überhaupt nutzen zu können. Ich kam mir wie eine Blume vor, die es nicht vermochte zu blühen und im Knospenstadium verblieb. Gerade für Hochbegabte und Hochsensible besteht der große Ruf darin, sich eben nicht in den Elfenbeinturm der eigenen Begabung zu flüchten, sondern sich der Welt zu zeigen und seine Gaben zu einem Geschenk für andere zu machen. Denn Hochbegabung ist letztlich auch nur ein Talent, ein Ausgangspunkt. Nicht-HSPler haben Fähigkeiten, die wir auch zu lernen haben, wie etwa Kommunikationsfähigkeit und Kontaktfreude.
Beruflich konnte ich von der Erkenntnis auch profitieren, weil ich mich kontaktfreudiger zeigte und ernster genommen werde. Meine Meinung hat mehr Gewicht bekommen, weil ich seitdem mehr Präsenz zeige. Dennoch suche ich noch immer nach mehr Möglichkeiten, meine Ideen durchzusetzen. Ach ja, und ich verdiene mehr Geld mit weniger Arbeit
Hat sich dadurch deine Einstellung zu dir selbst geändert und wenn ja, wie?
Ich habe die Liebe zu mir selbst entdeckt und mich besser verstanden – mit all meinen Schwächen und Stärken. Ich verurteile mich nicht mehr für mein Anderssein.
Wo liegt die größte Herausforderung im Leben für ein buntes Zebra?
Zu den eigenen Ansichten und Meinungen zu stehen und sich der Welt zu zeigen. Dafür ist es notwendig, Traumata aus der Kindheit zu überwinden, die bei HSPlern sehr häufig sind. Dafür sind die Ausprägungen von Qualitäten wie Durchsetzungskraft, Präsenz und Körperlichkeit sehr wichtig. Ein hochgezüchteter Verstand allein ist wenig wert, wenn der Körper vernachlässigt wird.
Wie kann ein buntes Zebra diese Herausforderungen gut bewältigen?
Mit Mut, Ehrlichkeit zu sich selbst, Introspektion und Musik; mit der Fähigkeit zu lernen, klar Ja und Nein zu sagen und Neugier auf neue Lebenskonzepte zu zeigen. Und am allerwichtigsten ist: mit dem Herz vorauszugehen. Und das gilt für alle Menschen.
Was möchtest du anderen bunten Zebras mit auf den Weg geben?
»Versteck dich nicht, stell dich deiner Gabe, übernimm Verantwortung und wachse über dich hinaus. Entdecke das Wunder, ein Mensch zu sein.«
1.4Hochsensibilität: Modeerscheinung oder Blödsinn?
Seit ein paar Jahren spricht alle Welt über Hochsensibilität. Mal wird sie als Erklärungsversuch für sozial unverträgliche Menschen verstanden, mal als neues Krankheitsbild von geschäftstüchtigen Therapeuten vermarktet, aber auch immer häufiger als besonderes positives Persönlichkeitsmerkmal von Menschen jenseits der Norm erkannt.
Hochsensibilität ist allerdings keineswegs ein neues Phänomen.
Dr. Elaine N. Aron gilt als die Pionierin auf dem Gebiet der »modernen« Hochsensibilität. Die Psychotherapeutin und Universitätsprofessorin begann, das bereits vor Jahren beschriebene Phänomen wissenschaftlich zu untersuchen. Sie war es auch, die den Begriff »Highly Sensitive Person« (HSP) prägte. In ihrem Buch The Highly Sensitive Person – How to Thrive When the World Overwhelms You befasste sie sich 1997 mit dem Thema Hochsensibilität und machte es damit einem größeren Publikum zugänglich.
Viele Menschen haben ihre Bücher mittlerweile gelesen, darüber gesprochen und geschrieben und seitdem mehren sich die Veröffentlichungen zum Thema. Es ist also ein »Markt« vorhanden. Immer dann, wenn ein Thema Zuspruch findet, geschieht das aus dem Resonanzprinzip heraus. Resonanz kann beides sein: die totale Ablehnung als »Humbug« oder die völlige Zustimmung als »Punktlandung«. Beides sind nur zwei Seiten einer Medaille.
Auch Hochbegabung ist in den letzten Jahren in aller Munde. Das ist auch klar, wenn Hochbegabung bei Kindern mehr und mehr erkannt wird und durch das Engagement von Eltern ins Bewusstsein rückt. Kinder haben durch ihre Eltern eine Lobby. Aber was ist mit Erwachsenen? Selbstverständlich gibt es wesentlich mehr hochbegabte Erwachsene als hochbegabte Kinder. Dennoch gibt es hier auch mehr Vorurteile als wirkliches Erfahrungswissen. Insbesondere in der Arbeitswelt wäre es äußerst wünschenswert, wenn es wesentlich mehr Informationen und Bewusstsein über außergewöhnliche Menschen gäbe. Welche positiven Auswirkungen könnte es für ein Unternehmen haben, wenn es seine außergewöhnlichen Menschen kennen und an passender Stelle einsetzen würde? Da gibt es noch sehr viel zu tun und insofern begrüße ich jede Form von Aufmerksamkeit, die zur Aufklärung führt. Aber leider sind wir davon noch weit entfernt.
Gibt es einen Hype im Zusammenhang mit Hochsensibilität oder Hochsensitivität? Sind diese Phänomene eine Modeerscheinung? Werden sie herangezogen, um unerklärliches Anderssein zu entschuldigen und zu rechtfertigen? Ja und nein. Ich erlebe sehr viele Menschen, für die die Erkenntnis, hochsensibel oder hochsensitiv zu sein, eine unendliche Erleichterung bedeutet. Sie blühen auf, wenn sie endlich eine Erklärung für ihre Andersartigkeit haben. Es ist wunderbar, dass sie überhaupt auf das Thema stoßen, weil es eine Modeerscheinung ist, weil es jetzt endlich mehr Publikationen darüber gibt, von Frauenzeitschriften bis hin zur Fachliteratur.
Dennoch kann ich nicht leugnen, dass ich auch die andere Seite der Medaille erlebt habe. Es gibt Menschen, die ihre Besonderheit als Entschuldigungen nutzen, um von anderen Menschen etwas zu erwarten, sie unter Druck zu setzen oder irgendetwas vermeintlich nicht tun zu können.
Aber nach meiner Erfahrung sind das Ausnahmen. Immer dann, wenn die besonderen Gaben (in welchem Bereich auch immer) noch nicht »gelöst« sind, liegt der Ausweg aus der eigenen inneren Enge über Schuldzuweisungen nahe. Das ist einfach menschlich.
Unter gelöster Hochbegabung, gelöster Hochsensibilität und gelöster Hochsensitivität verstehe ich den Zustand, wenn diese Gaben vorbehaltlos angenommen und in das persönliche Leben integriert sind.
Wenn ein Mensch nicht gegen seine besondere Art ankämpft, sondern sich selbst wahrnimmt, wie er ist, lösen sich viele Probleme in Wohlgefallen auf. Ich nutze gerne ein Bild, um meine Haltung zu Hochbegabung, Hochsensitivität und Hochsensibilität zu erläutern:
Stell dir vor, du wärst ein Mensch, der mehr als zwei Meter groß ist. Es ist völlig klar, dass du danach dein Leben einrichten wirst. Du brauchst ein anderes Bett, kannst deine Kleidung nicht von der Stange kaufen, passt nicht in jedes Auto, und vielleicht hast du auch besondere Vorlieben für die Größe eines passenden Partners. Trotzdem würdest du niemals auf die Idee kommen, deine Körpergröße als eine Behinderung zu bezeichnen. Vielleicht bist du sogar in der glücklichen Lage, diese körperliche Besonderheit für besondere Leistungen zu nutzen. Vielleicht spielst du Basketball oder betreibst eine andere Sportart, in der deine große Körperlänge von Vorteil ist. Wahrscheinlich gibt es in deinem Haushalt auch keine kleine Trittleiter, denn die ist einfach überflüssig. Aber wahrscheinlich kennt jeder von uns irgendeinen groß geratenen Menschen, der sich aufgrund seiner Körpergröße eine schlechte Haltung angewöhnt hat. Vor meinem inneren Auge habe ich eine sehr große Frau, attraktiv und weiblich, die sich jedoch eine gebückte Körperhaltung angewöhnt hat, um nur ja nicht aufzufallen. Dieser Wunsch, anders sein zu wollen, als sie ist, drückt sich in ihrem Gang aus, in ihrer Gestik, in ihrer Mimik und eben in ihrer Körperhaltung. Eine andere Frau, ebenso groß, trägt voller Selbstbewusstsein High Heels, ist zufrieden mit ihrem Leben und würde sich um nichts in der Welt kleiner wünschen. Und nun übertrage dieses Bild auf die Besonderheiten von hochsensiblen, hochbegabten und hochsensitiven Menschen. Andersartig zu sein muss keineswegs einen Verlust von Lebensqualität und Lebensfreude bedeuten. Ganz im Gegenteil: Wenn es dir gelingt, deine besonderen Gaben als Aufgaben zu empfinden und so zu leben, wie du gemeint bist, dann wirst du daraus einen unerschöpflichen Reichtum gewinnen.
1.4.1Zeitgeist: Wieso ist das Thema so aktuell?
Es scheint so zu sein, dass Begabungen und Gaben, Talente und Potentiale, Sensitivität und Sensibilität häufiger und früher erkannt werden als noch vor wenigen Jahren. Durch die neuen Medien sind Informationen für nahezu alle Menschen frei verfügbar, und die Möglichkeiten, sich zu einem bestimmten Thema zu informieren, werden ausführlich genutzt.
Das allein reicht mir aber als Erklärung nicht aus. Sehr viele Menschen sind auf der Suche nach dem Sinn für ihr Leben. Sie sehnen sich danach, ihre innere Heimat zu finden, in der sie sich beschützt und wohlfühlen. Für diese Sinnsuche sind zwei Voraussetzungen erforderlich: Zeit und Muße. Es scheint jedoch inmitten der Fülle unserer Gegenwart ein ausgeprägter Mangel an Zeit zu herrschen. Wir müssen viel zu viel und viel zu vieles mehr oder weniger gleichzeitig erledigen. Über Handy und E-Mail sind wir rund um die Uhr erreichbar, und Entfernungen spielen kaum noch eine Rolle.
Sinnliche Übersättigung, man könnte es auch eine Art Umweltverschmutzung der Sinne nennen, ist die Folge. Kein Wunder, wenn das moderne Leben für zunehmend mehr Menschen eine Überforderung darstellt.
1.4.2Ich doch nicht! Du doch nicht?
Du bist nicht hochbegabt. Du bist auch nicht hochsensibel oder hochsensitiv. Du liest auch aus reinem Zufall ein Buch zu diesem Thema, oder? Es kommt häufig vor, dass sich Menschen an mich wenden, die nicht genau wissen, ob sie zu irgendeiner der »Kategorien« für außergewöhnliche Menschen gehören, wie ich sie beschreibe. Sie sagen dann: »Ich kann das nicht sein, denn ich habe keinen Test absolviert.« Oder sie sagen: »Ich habe doch noch gar nichts Besonderes geleistet, also kann ich auch nicht besonders begabt sein.«