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Was meinen wir eigentlich, wenn wir von „Glauben“ reden? Was verstehen Christen darunter - und welche Fragen, Unsicherheiten und Ängste melden sich bei vielen Suchenden, wenn sie diesen Begriff hören?
Eckard Krause macht mit diesem Buch Lust, Gott auf die Schliche zu kommen und sich nicht mit oberflächlichen Antworten zufriedenzugeben. Der leidenschaftliche Erzähler forscht dem Geheimnis des Glaubens nach, zeigt, wie man sich in Gott verlieben kann und mit falschen Gottesbildern und nagenden Zweifeln produktiv umgeht.
Eingeleitet werden die Texte jeweils von einer Kurzmeditation, die bei den Leserinnen und Lesern Fragen weckt und sie ermutigt, Gott in ihrem eigenen Leben nachzuspüren. Ein Buch, das guttut!
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Zu einem weisen Mann kam eines Tages einer seiner Schüler und fragte: „Woran erkenne ich eigentlich, dass jemand wahrhaft glaubt?“ Der Meister schaute den jungen Mann amüsiert an und sagte: „Die Antwort ist ganz einfach: Ein wahrhaft Glaubender ist einer, der wahrhaft glauben möchte.“ Enttäuscht erwiderte der Schüler: „Aber das trifft doch auf alle Glaubenden zu.“ „O nein“, sagte der Lehrer: „Nicht auf diejenigen, die sich einbilden, dass sie schon glauben.“
Ich mag diese Geschichte, weil sie deutlich macht, wie wichtig die Lust auf neue Erkenntnisse und die Sehnsucht nach einem inneren Reifeprozess sind. Wer sich mit Glauben auseinandersetzt, der wird nicht fertig. Er kommt voran, das auf jeden Fall, aber es gibt nie den Zeitpunkt, an dem ein Mensch sagen kann: „Jetzt habe ich Gott ganz begriffen.“ Und das ist auch gut so. Denn in einem waren sich die großen Kirchenlehrer von Anfang an einig: Das Abenteuer des Glaubens dauert ein Leben lang – und möglicherweise verpasst es gerade derjenige, der irgendwann denkt, er hätte genug verstanden. Glauben ist eine stetige Entwicklung, eine faszinierende Herausforderung, ein Wagnis und eine Provokation. Es wäre ziemlich traurig, wenn das überrascht Sein von Gott und das Gefühl, den eigenen Horizont erweitern zu können, aufhören würden. Martin Luther fasste dieses Phänomen des stetig wachsenden Glaubens so zusammen: „Glauben ist ein Werden, kein Sein.“
Eine Umfrage unter Pfarrer ergab erschreckender Weise, dass viele Theologen nach Abschluss ihres Studiums kaum noch ein aktuelles Fachbuch zur Hand nehmen. Und bei den meisten Christinnen und Christen in den Gemeinden ist das ähnlich: Sie lernen in ihrer Jugend viel über den Glauben, dann bewahren sie das Gelernte, ohne es zu aktualisieren und mit ihrem sich weiter entwickelnden Leben in Einklang zu bringen. Schade. Denn mit dem Glaubenden ist es wie mit dem Ruderer, der einen schnell fließenden Strom hinauffahren möchte: Wenn er nicht rudert, kommt er nicht voran. Und was noch viel schlimmer ist: Er treibt sogar zurück.
Vielleicht ist darum der Begriff „Aufbruch“ für dieses Buch so wichtig: Es ist eine große Einladung, im Glauben voranzukommen und sich nicht auf Altbekanntem auszuruhen oder mit zu wenig zufrieden zu geben. Dabei ist es gar nicht so entscheidend, ob Sie sich zum ersten Mal – noch ganz vorsichtig, fragend und kritisch – auf den Weg zu Gott machen wollen oder ob sie seit vielen Jahren in diese Richtung unterwegs sind. Ein Aufbruch tut immer gut, weil er neue Perspektiven eröffnet, die Blicke weitet und uns mit einer Vielzahl wertvoller Eindrücke und Erfahrungen beschenkt. Sie werden Gott ein Stück näher kommen. Und das halte ich für ein großartiges Ziel.
Ein Aufbruch fällt uns dann leicht, wenn uns jemand liebevoll an der Hand nimmt – und wenn dieser Begleiter dabei selbst von dem Ziel, das er uns zeigen möchte, begeistert ist. Darum ist Eckard Krause genau der Richtige für dieses Buch und dieses Thema. Einer der mitreißendsten Erzähler Deutschlands, der es genießt, Menschen in seinen Worten mit einem herausfordernden Lächeln zu motivieren und in ihnen die Leidenschaft für ein erfülltes Leben neu zu schüren. Wer Eckard Krause hört, der freut sich darauf, Gott besser kennen zu lernen.
Es ist natürlich nicht leicht, die Lebendigkeit seiner Vorträge in Schriftform einzufangen, das Blitzen der Augen, den schelmischen Gesichtsausdruck, die anregende Stimme oder die wohltuende Nähe der Gestik. Wir haben es trotzdem gewagt – und wenn Sie ab und an beim Lesen das Gefühl haben, dass Sie plötzlich den Erzähler direkt vor sich sehen, dann ist das Absicht. In den überarbeiteten Texten schwingt noch immer die Natürlichkeit des gesprochenen Wortes mit.
Eingeleitet werden die Kapitel jeweils mit einer kurzen Meditation, also einer assoziativen Hinführung zu den eigenen Fragen und Hoffnungen. Vielleicht entdecken Sie diese Form für sich ganz neu, vielleicht sind Sie es schon gewohnt, ihre Gedanken vor einer inhaltlichen Auseinandersetzung mit einem Thema erst einmal auf Reisen zu schicken und zu schauen, in welchen Kammern Ihrer Seele etwas zu schwingen anfängt, wenn Sie den Mut haben hineinzuschauen. Es lohnt sich auf jeden Fall.
Ich habe es oben schon angedeutet: Letztlich will dieses Buch Ihnen Mut machen, immer neu zu Gott aufzubrechen. Und das ist leichter gesagt als getan. Denn bei aller menschlichen Lust auf himmlische Perspektiven ist und bleibt Glaube ein Geschenk, so dass es gar nicht so sehr um unsere Aktivitäten geht – auch wenn wir uns das manchmal wünschen. Darüber hinaus sollen uns die wohltuenden Erfahrungen ja auch im Alltag tragen und uns lebensfähiger machen. Darum widmen sich zwei Kapitel den Zweifeln und den Verkrustungen, die einen lebendigen Glauben bedrohen. Zum Schluss wird deutlich, dass der Aufbruch zu Gott natürlich doch ein Ziel hat: nämlich eine Zukunft, die über den Tod hinausweist. Und wer schon auf Erden so leben kann, dass die Dimension des Himmels in seinem Dasein aufscheint, dem wird es gut gehen.
Genießen Sie dieses Buch – und lassen Sie sich herausfordern! Dass Sie aufbrechen und dass etwas in Ihnen aufbricht, wünscht Ihnen
Fabian Vogt
Von der Lust, Gott auf die Schliche zu kommen
In diesem Kapitel klären wir erst einmal, was Glauben überhaupt ist. Denn obwohl alle Menschen gerne davon reden, gibt es Dutzende von Definitionen, Vorstellungen und leider auch Vorurteilen. Glauben ist jedenfalls weder das Gegenteil von Wissen, noch die Zugehörigkeit zu einer Religionsgemeinschaft oder ein zutiefst spirituelles Leben. Was damit wirklich gemeint ist, entdecken wir, wenn wir Jesus von Nazareth einige Zeit auf seinen Wanderungen begleiten und sehen, wie er den Menschen begegnet ist. Kommen sie mit!
Meditation
Ich glaube nur, was ich sehe!
Oder sehe ich nur, was ich glaube?
Wie vieles ist mir noch verborgen
Von dem, was ist,
Und dem, was sein könnte?
Zwischen Himmel und Erde
Atmet das Leben
In seiner ganzen Fülle.
Ich kann es nicht fassen. So unendlich nah.
Doch ich ahne,
Dass die Wirklichkeit
Größer ist als meine Realität.
Man hat mich gelehrt, ganz logisch zu denken,
Beweise zu führen und vernünftig zu sein.
Nur die Schönheit des Daseins
Als Ganzes zu fühlen:
Das muss ich noch lernen. Und ich will.
So vieles verschließt sich dem reinen Verstehen:
die Liebe, die Hoffnung, die Zukunft, die Angst.
Diese Seiten der Sehnsucht
In mir zu erkennen:
Das muss ich noch lernen. Und ich will.
Zwischen Himmel und Erde
Atmet das Leben
In seiner ganzen Fülle.
Ich kann es nicht fassen. So unendlich nah.
Doch ich ahne,
Dass die Wirklichkeit
Größer ist als meine Realität.
Und wenn es wahr wäre,
dass da wirklich ein Gott wohnt,
der voll Verlangen nach mir Ausschau hält,
dann wollte ich es
– vielleicht zum ersten Mal – wagen,
ihm zurückzuwinken:
„Hier bin ich! Komm zeig dich!“
Wer weiß, was passiert?
Noch glaube ich nur, was ich sehe!
Selig sind, die nicht sehen und doch glauben.
Fabian Vogt
Können Sie sich vorstellen, dass auch jemandem, der das Reden zu seinem Beruf gemacht hat, manchmal die Worte fehlen? Na? Also: Mir passiert das. Das letzte Mal ist noch gar nicht so lange her. Vor einiger Zeit beschloss ich nämlich, mein völlig veraltetes Computersystem auf Windows umzustellen. Ich wollte endlich auch „Fenster“ haben. Ich nahm also all meinen Heldenmut zusammen, ging in eines dieser Computerfachgeschäfte und begann, einem Verkäufer, der erst freundlich und dann immer mitleidiger mit mir umging, zu erklären, was ich denn möchte. Er verstand mich irgendwie nicht.
Um mir zu helfen, fing er dann an zu erzählen, was er alles anzubieten habe: RAM, Caché, Gigabyte, Floppy, Pentium, USB, DVD-Drive, Power Socket, Firewire und sogar drei COM-Ports. Nach einer halben Stunde standen mir die Zähne im Carré, der geduldige Mann guckte immer trauriger, und irgendwann sagte er: „Jetzt überlegen Sie sich doch erst mal, was Sie eigentlich wollen.“ Und dieser Satz machte mich stutzig. Es stimmte ja. Ich kam mit all den tollen Vokabeln, die er gebrauchte, nicht zurecht, und ich wusste tatsächlich nicht mehr, was ich eigentlich wollte.
Ich ging also aus dem Laden raus, verabredete mich mit einem Freund, der Fachmann ist, erklärte ihm meine Wünsche und nahm ihn mit in den Laden. Und dann diskutierten die beiden und redeten in ihrer einzigartigen Techno-Fremdsprache aufeinander ein – und ich stand daneben und hatte überhaupt keine Ahnung, worum es eigentlich ging. Manchmal sahen die beiden mich mitten im Gespräch fragend an, und ich konnte nur mit den Schultern zucken. Ich wollte einfach „Windows“, mehr nicht. Obwohl: Eigentlich wollte ich in diesem Moment gar nichts mehr. Na ja, vielleicht eines noch: raus!
Warum erzähle ich Ihnen das? Ganz einfach: Ich habe manchmal das Gefühl, dass bei Christen viele Dinge ganz ähnlich ablaufen. Die haben eine eigene Sprache, benutzen ganz bestimmte Vokabeln, mit denen sie hantieren, und reden sehr professionell über das Leben und über Gott. Das Problem dabei ist: Ein „Nichteingeweihter“, der zuhört, versteht eigentlich nichts und hat sehr schnell auch keine Lust mehr nachzufragen.
Neulich sagte zum Beispiel jemand zu mir: „Sie müssen nur glauben!“ Und dabei guckte er so, als sei damit alles gesagt. „Wie bitte?“ fragte ich zurück, „was meinen Sie denn genau mit ‚glauben’?“ Wir gebrauchen Begriffe, die klingen so, als wüssten alle Menschen, wovon wir reden. Aber in dem Moment, in dem man nachfragt, entdeckt man: Nicht einmal derjenige, der dieses Wort so selbstgewiss in den Raum geworfen hat, weiß genau, was er damit meint. Wissen Sie, was „glauben“ heißt?
„Natürlich“, werden Sie sagen, „ich weiß, was glauben heißt! Ich glaube zum Beispiel, dass man aus einem Pfund Rindfleisch eine gute Suppe machen kann.“ Jawohl, das ist nicht falsch, aber diese Aussage zeigt nur einen winzigen Aspekt dessen, was Glauben eigentlich bedeutet. Und leider ist die Bedeutungspalette dieses Wortes riesig. Einer meiner Lehrer - ich kann mich noch gut an die Schulzeit erinnern - hieß Gabriel. Aber ein Erzengel war der ganz und gar nicht. Wenn ich ein bisschen verlegen an der Tafel stand – und das kam oft vor – und sagte: „Ich glaube, das ist so und so...“, dann sagte der immer mit markiger Stimme: „Krause, glauben Sie nicht, wir sind hier nicht in der Kirche, wir sind in der Schule. Hier wird nicht geglaubt, hier wird gewusst.“ Das war sehr ermutigend. Und da habe ich schon gelernt, dass man „glauben“ offenbar sehr vielseitig gebrauchen kann. Und manchmal scheint „Glauben“ einfach das Gegenteil von „Wissen“ zu sein. Wir gebrauchen das Wort „glauben“ andauernd, ohne uns der eigentlichen Bedeutung bewusst zu sein: „Ich glaube: Es ist schon halb fünf.“ Was ist das eigentlich: Glauben?
Ich spitze die Frage noch zu: Was ist christlicher Glaube? Und ich möchte mich hier an das, was Glauben ist, herantasten, indem ich Sie erst einmal mit ein paar Missverständnissen bekannt mache, die den Glauben betreffen. Missverständnisse, die Sie möglicherweise auch haben.
Fangen wir mit Missverständnis Nummer eins an!
Ich erinnere mich noch gut an einen meiner ersten Vorträge, den ich je gehalten habe – und das ist wirklich schon ziemlich lange her. Da hatten wir ein großes Zelt aufgebaut, es war in einer norddeutschen Großstadt, und die Veranstalter machten etwas, was man eigentlich gar nicht machen darf. Sie bereiteten den Abend vor, indem sie auf die Straße gingen und Interviews führten. Dabei hielten sie wildfremden Leuten auf der Straße plötzlich ein Mikrofon unter die Nase und fragten: „Glauben Sie an Jesus Christus?“ Das mag ja noch erlaubt sein, aber danach wurden die Interviews in der Veranstaltung vorgespielt, und das war für meinen Geschmack dann doch zu viel. Warum? Weil es richtig schwierig ist, diese Frage zu beantworten. Auf so etwas Banales wie „Was halten Sie von Ariel?“ kann man sicher gut antworten. Aber „Glauben Sie an Jesus Christus?“ das ist ein anderes Kaliber. Nun gut: Da ich diese Interviews nicht zu verantworten hatte, kann ich sie heute mit gutem Gewissen auswerten.
Das Interessante an den Antworten war, dass keiner der Gefragten – bis auf einen Katholiken – die Frage überhaupt verstanden hat. Alle antworteten, als wäre eine ganz andere Frage gestellt worden; sie sagten nämlich: „Ja, ich bin evangelisch.“ Da hakten die Veranstalter nach: „Das freut uns, dass Sie evangelisch sind, aber wir wollten gerne wissen, ob Sie an Jesus glauben?“ Doch die armen Leute verstanden immer noch nicht: „Meinen Sie, ob ich getauft bin?“ „Nein“, sagte der Interviewer: „Taufe ist zwar etwas Schönes und Wichtiges, aber ich möchte etwas ganz anderes wissen: Glauben Sie an Jesus Christus?“ Die Befragten fingen dann meist an, sich zu winden: „Ich bin konfirmiert und ich kenne den Pastor gut. Meinen Sie das?“
Merken Sie etwas? Eines der größten Missverständnisse, dem man begegnet, wenn man mit Menschen über Glauben redet ist, dass Glaube mit Kirchenzugehörigkeit gleichgesetzt wird. Und darüber müssen wir ganz offen und ehrlich reden. Vermutlich renne ich bei einigen von Ihnen sogar offene Türen ein, aber den anderen sei noch einmal klar und deutlich gesagt: Man kann einer Kirche angehören und nicht glauben. Vielleicht sind irgendwann einmal in einer Kirche getauft worden und einfach nur zu faul, um auszutreten. Oder: Sie sind in einer Kirche und bleiben drin, weil Ihre Mutter das so gerne möchte. Kirchenzugehörigkeit und Glauben sind zwei gänzlich verschiedene Dinge. Ein amerikanischer Pastor hat den schönen Satz gesagt: „Wer zufällig in einer Garage geboren wurde, ist noch lange kein Auto!“ Und er meinte damit: Wenn Sie zufällig im christlichen Abendland geboren und in einer christlichen Kirche getauft worden sind, dann sind Sie nicht unbedingt ein gläubiger Mensch.
Ich sage das übrigens nicht hämisch, sondern auch selbstkritisch an die Adresse von uns Predigern und Pastoren und kirchlichen Mitarbeitern: Was machen wir da eigentlich, wenn wir Sonntag für Sonntag so tun, als hätten wir ausschließlich eine glaubende Gemeinde vor uns? Ich behaupte: Wir verhalten uns ziemlich lieblos. Denn wer den Leuten andauernd signalisiert: „Wir gehören hier ja alle zu einem Verein und damit ist alles gut“, der tut ihnen keinen Gefallen, weil er die Selbstvergewisserung und die Lust am Wachsen untergräbt. Und diejenigen, die tatsächlich als Fragende kommen, werden abgeschreckt. Ich habe oft von Menschen gehört, die sagten: „Ich bin einmal in die Kirche gegangen, und da hieß es gleich: ‚Liebe Mitchristen. Liebe Schwestern und Brüder. Liebe Gemeinde!’“ Das hat den Leuten überhaupt nicht geholfen. „Verdammt“, sagten die, „ich bin kein Mitchrist! Ich bin keine Schwester. Und ich fühle mich auch nicht als Gemeinde.“ Wir Berufs-Christen sollten uns einmal klar machen, wie oft wir die Menschen mit unseren allumfassenden Floskeln verantwortungslos vereinnahmen: „Wir wollen jetzt beten!“ „Nein“, sagt der Distanzierte, „ich will gar nicht beten! Ich weiß nicht einmal genau, wie das geht. Ich habe grundsätzliche Fragen.“ Ich könnte Ihnen noch Hunderte solcher Beispiele nennen. Ich denke, wir müssen wieder lernen, dass schlichte Kirchenzugehörigkeit und Glauben zwei Dinge sind.
Natürlich bin ich fest davon überzeugt, dass jemand, der vom Glauben hingerissen ist, sich irgendwann auch einer Gemeinde anschließt. Aber nicht jeder, der zu einer Gemeinde gehört, ist hingerissen. Vielleicht sollte man statt von Mitgliedschaft lieber von einer aktiven Gemeinschaft reden. Gerade weil das Miteinander ein klares Erkennungszeichen des Glaubens ist, sollte man es nicht lächelnd unter Wert verkaufen und den Leuten einreden, dass sie die Gemeinschaft schon erleben, wenn sie Kirchensteuer zahlen. Ich jedenfalls verstehe unter Gemeinschaft etwas anderes als „Beiträge zahlen“.
„Christ sein“ ist ein wundervolles „Gesellschaftsspiel“. Das kann man nicht alleine. Ich höre so oft: „Ach wissen Sie, Herr Pfarrer, ich habe es nicht so mit der Kirche, ich glaube für mich alleine.“ Ich will in dieser Hinsicht niemandem etwas absprechen, aber ich weiß, dass jemand, der so denkt, etwas Wesentliches vom Glauben nicht verstanden hat und das Beste verpasst. Vielleicht kann ich das an einem Beispiel noch deutlicher machen: Es wäre äußerst verwunderlich, wenn einer sagte, er sei ein begeisterter Fußballer – aber eben mehr für sich allein. Das geht nicht! Man kann schlecht alleine Fußball spielen. Man braucht dazu die anderen zweiundzwanzig, Schiedsrichter mitgezählt. Ich glaube, dass man ohne eine christliche Gemeinschaft nicht wirklich Christ sein kann. Mir wird in Gemeinden immer wieder deutlich, wie sehr einer den anderen braucht. Und wie gut es tut, wenn einer für den anderen da ist. Man fühlt sich dabei wohl, und man muss sich dabei auch wohl fühlen dürfen. Insofern bin ich der größte Anhänger gesunder Gemeinden. Aber die Gemeinschaft ist eine Folge des Glaubens. Andersherum funktioniert es nicht. Ich werde dazu später noch einmal kommen.
Um diesen Punkt zusammenzufassen: Die zufällige Zugehörigkeit zu einer Kirchengemeinde macht noch keinen glaubenden Menschen. Auch die Taufe allein macht noch keinen Christen. Das steht übrigens schon in der Bibel. Auch Luther war davon überzeugt. Trotzdem ist diese Frage für viele Menschen schon immer ein Anlass gewesen, die Dinge miss zu verstehen: „Ich weiß gar nicht, was Sie wollen – ich bin doch getauft!“ Glaube ist mehr, viel mehr, als die Mitgliedschaft in einer Religionsgemeinschaft. Das war das erste Missverständnis.
Ich mache direkt mit Missverständnis Nummer zwei weiter. Und wenn das erste das religiöse Missverständnis ist, dann nenne ich das zweite „Das dogmatische Missverständnis“. „Herr Pfarrer, ich habe meinen Glauben gelernt. Ich kenne mich aus mit Gott und der Bibel.“ Glaube heißt für diese Leute, dass sie bestimmte Dogmen für wahr halten. Und wir als Kirche legen dieses Missverständnis ja auch nahe. „Wir wollen jetzt das Glaubensbekenntnis sprechen: ‚Ich glaube an Gott, den Vater, den Allmächtigen, den Schöpfer des Himmels und der Erde, und an Jesus Christus...’ und so weiter.“ Und es gibt viele Leute, die sagen voller Überzeugung: „Ja, das glaube ich alles, das halte ich alles für möglich. Und darum bin ich ein gläubiger Mensch.“ Der Grundgedanke dabei lautet: Wenn einer in der Kirche bestimmte Dinge für wahr hält, dann glaubt er.
Es gibt sogar Leute, denen es eine große Freude bereitet, andere daraufhin abzuklopfen, ob sie auch tatsächlich zu den richtigen Dingen „Ja“ sagen. Und dann wird es wirklich gefährlich. Solche Menschen treffe ich nämlich häufig auf meinen Reisen – das sind so die ganz Frommen –, die sitzen auf der Lauer in der ersten Reihe und wollen prüfen, ob ich ein wahrhaft gläubiger Mensch bin. Und dann warten sie darauf, dass ich bestimmte Vokabeln von mir gebe, die ihrer Meinung nach von echten Christen benutzt werden müssen. Manchmal schießen diese Leute auch hervor und kommen mit ihren Test-Fragen: „Herr Pastor, glauben Sie an die Jungfrauengeburt? Sind Sie wiedergeboren? Was halten Sie von vorehelichem Geschlechtsverkehr? Ist der Islam vom Teufel?“ Und ich weiß dann immer gleich, was ich antworten muss, damit diese Menschen mich nicht in Bausch und Bogen verdammen. Wenn ich auch nur einen Augenblick zögere und sage: „Ach, wissen Sie, ich denke eigentlich, dass man das differenzierter sehen muss …“ – dann bin ich schon durchs Raster gefallen, dann heißt es: „Na, wenn der das nicht glaubt, dann glaubt der gar nicht.“ Glauben wird also zu einem reinen „Für wahr halten“.
Ich bin der festen Überzeugung, dass man nur einer Person glauben kann, nicht irgendwelchen Leitsätzen oder Maximen. Aber viele Leute messen die Frömmigkeit anderer anhand von bestimmten Aussagen: „Wenn Du das glaubst, wenn Du das für wahr hältst, dann bist Du ein richtig frommer Mann.“ Und dazu kann ich nur sagen: „Das stimmt nicht! Das ist einfach nicht wahr!“ Viele Leute glauben an Gott und haben dabei mit manchen der großen „Wahrheiten“ ungeheure Probleme. Das kann ich selbst bezeugen, und vielen von Ihnen geht es hoffentlich ähnlich! Ich weiß noch, dass es in meinem Leben viele Jahre gab, in denen ich vom Glauben hingerissen und ein tief gläubiger Mensch war, und trotzdem große Probleme mit all den kirchlichen Lehren und Dogmen hatte. Ich fand es ungeheuer schwer, die theologischen Gedankengebäude nachzuvollziehen. Inzwischen bin ich dankbar für die kirchliche Lehre, und ich bemühe mich auch darum, die Dinge zu verstehen. Aber „glauben“ und bestimmte Dinge „für wahr halten“ sind zweierlei.
Um es noch einmal auf anderer Ebene deutlich zu machen, frage ich Sie: Glauben Sie, dass es Ihren Ehemann oder Ihre Ehefrau gibt? Ja? Das wäre wünschenswert. Aber an seinen Mann oder seine Frau zu glauben, also: einem anderen Menschen zu vertrauen, ist etwas völlig anderes, als ihn für existent zu halten. Ich möchte das in aller Deutlichkeit sagen, weil ich weiß, wie viel Schaden mit dem „Für wahr halten“ angerichtet werden kann. Ich bin einmal bei einem Vortrag, den ich an einer Hochschule gehalten habe, einer jungen Frau begegnet, die meine Predigt hörte und danach zu mir kam. Sie sagte, sie hätte noch nie jemanden so über Glauben reden hören. Ihre Eltern hätten ihr immer gesagt: „Wenn Du nicht glauben kannst, dass Jesus sechshundert Liter Wasser zu Wein gemacht hat, dann kannst Du auch kein Christ sein!“ Ach! Auf einmal wird eine Beziehung daran gemessen, ob ich bestimmte Dinge für historisch möglich halte oder nicht. Das kann doch nicht sein!
Es gibt in der Bibel die Geschichte von einer Frau, die viele Jahre krank war, und die, als Jesus durch ihr Dorf ging, ihn heimlich von hinten am Mantel anfasste. Sie hatte irgendwelche magischen Vorstellungen, dass diese Berührung ihr helfen könne. Sehr merkwürdig. So zu denken, entsprach jedenfalls nicht dem jüdischen Glauben ihrer Zeit! „Berühre einen Rabbi und du wirst gesund.“ Was für eine heidnische Vorstellung. Ich nehme sogar an, dass diese Frau gar nicht wusste, mit wem sie es gerade zu tun hatte. Sie hatte wahrscheinlich nur gehört, dass dieser Jesus Wunder tun kann, aber nicht, dass er der Sohn Gottes ist. Als Jesus die Berührung dieser Frau spürt, da wendet er sich nicht um und sagt: „Pass mal auf! Wir müssen da wohl etwas nachholen ... Du kannst mich doch nicht einfach so angrabbeln! Erst will ich wissen: Glaubst du dies, glaubst du das, glaubst du, dass ich Sohn Gottes bin? Hältst du für möglich, dass ... Hat man dir nicht beigebracht …“ Nichts davon hat Jesus gesagt, er ist doch kein Examensprüfer. Diese verzweifelte Frau rührt ihn an und hat einen ganz kleinen Funken Hoffnung, dass von ihm Hilfe für ihr Leben ausgehen könnte. Und Jesus wendet sich um und sagt all den Dogmatikern, all den religiösen Besserwissern, die um ihn stehen, ins Gesicht: „Das ist Glaube!“
Ich habe manchmal den Verdacht, als ob manche Leute sich mit all ihrem Wissen über Gott vor der eigentlichen Beziehung zu Gott drücken. Ja, man kann sich mit einer umfangreichen Dogmatik und mit den vielen kirchlichen Lehren den Glauben geradezu vom Leibe halten. Es gibt Menschen, die wissen alles, aber ihr Wissen berührt sie nicht, es verändert nichts, es macht sie nicht gesund. Und dieses Dilemma kennen wir doch alle! Wir wissen: Wir sollten nicht rauchen, wir sollten mehr Sport machen, lieber mit der Bahn zur Arbeit fahren, nicht zu lange in der Sonne sitzen, weniger Fleisch essen, mehr Zeit für die Familie haben, den Kontakt zu unseren Freunden mehr pflegen und so weiter. Jeder von Ihnen hat sicher noch zehn weitere Dinge, von denen er weiß, dass sie für ihn gut wären – und die er doch nicht tut. Wir können alles wissen - und in uns ist es hart und kalt und unser Herz ist steif wie eine Betonrollbahn.