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Was wäre, wenn uns Maria, Petrus, Johannes, die Frau am Jakobsbrunnen und andere Zeitzeugen Jesu persönlich von ihren Erlebnissen berichten würden? Und wir dabei entdecken, dass sie Menschen sind wie du und ich? Fabian Vogt lässt 40 Frauen und Männer der Bibel mit leuchtenden Augen erzählen, wie sie Jesus begegnet sind und wie diese Erfahrung sie verändert hat – ein Lesevergnügen zum Selbst-Genießen oder als bewegende Andachten, die uns anregen, über unsere eigenen Glaubenserfahrungen nachzudenken. Mit inspirierenden Fragen zum Weiter-Denken, auch für Gruppen.
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Seitenzahl: 200
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Fabian Vogt ist Schriftsteller, Kabarettist und Theologe – und liebt es, dem Geheimnis des Glaubens literarisch auf die Spur zu kommen.
EIN FASZINIERENDES EVANGELIUM AUS GESCHICHTEN
Was wäre, wenn uns Maria, Petrus, Johannes, die Frau am Jakobsbrunnen und andere Zeitzeugen Jesu persönlich von ihren Erlebnissen berichten würden? Und wir dabei entdecken, dass sie Menschen sind wie du und ich?
Fabian Vogt lässt 40 Frauen und Männer der Bibel erzählen, wie sie Jesus begegnet sind und wie diese Erfahrung sie verändert hat – ein Lesevergnügen zum Genießen oder als bewegende Andachten. Geschichten, die uns anregen, über unsere eigenen Glaubenserfahrungen nachzudenken. Mit inspirierenden Fragen zum Weiterdenken, auch für Gruppen.
»Fabian Vogt wagt den Perspektivwechsel und erzählt, wie es gewesen sein könnte, als Menschen aus der Bibel Gott erlebten. Sind die Geschichten historisch korrekt? Vielleicht nicht. Zeigen sie uns die Wahrheit? Unbedingt! Die Geschichten laden ein, weiterzudenken, weiterzuhoffen und weiterzuglauben.«
SCM R.Brockhaus ist ein Imprint der SCM Verlagsgruppe, die zur Stiftung Christliche Medien gehört, einer gemeinnützigen Stiftung, die sich für die Förderung und Verbreitung christlicher Bücher, Zeitschriften, Filme und Musik einsetzt.
ISBN 978-3-417-27115-7 (E-Book)
ISBN 978-3-417-01017-6 (lieferbare Buchausgabe)
Datenkonvertierung E-Book: CPI books GmbH, Leck
© 2024 SCM R.Brockhaus in der SCM Verlagsgruppe GmbH
Max-Eyth-Straße 41 ·71088 Holzgerlingen
Internet: www.scm-brockhaus.de; E-Mail: [email protected]
Lektorat: Karoline Kuhn
Umschlaggestaltung: Andreas Sonnhüter; www.grafikbuero-sonnhüter.de
Titelbild: Rusyn (shutterstock)
Satz: typoscript GmbH, Walddorfhäslach
Liebeserklärungen: Menschen erzählen – von ihren Erfahrungen mit Jesus
1. Maria
2. Josef
3. Elisabeth
4. David
5. Melchior
6. Simeon
7. Johannes der Täufer
8. Andreas
9. Nathanael
10. Tobias
11. Matthäus
12. Maria Magdalena
13. Zachäus
14. Die Syrophönizierin
15. Petrus
16. Bascha
17. Der Besessene
18. Die Ehebrecherin
19. Die Frau mit Blutungen
20. Der Hauptmann von Kapernaum
21. Die Frau am Jakobsbrunnen
22. Der Gelähmte am Teich Bethesda
23. Johannes, der Jünger
24. Jakobus
25. Lazarus
26. Marta
27. Die Frau mit dem Salböl
28. Nikodemus
29. Bartimäus
30. Judas
31. Procula
32. Simon von Kyrene
33. Dismas
34. Josef von Arimathäa
35. Salome
36. Thomas
37. Kleopas
38. Thaddäus
39. Stephanus
40. Paulus
Nachwort: Welche Liebesgeschichte erzähle ich?
Materialien für Gruppen
Über den Autor
Anmerkungen
Die ersten 40 Jahre des Christentums haben einen besonderen Charme – weil es damals noch keine Evangelien gab, also: keine Texte, in denen die Frauen und Männer jener Zeit die Geschichte Jesu hätten nachlesen können. Stattdessen haben die Menschen erzählt. Mit leuchtenden Augen. Sie haben einander von all den Dingen berichtet, die sie von diesem einzigartigen Wanderprediger gehört hatten. Das war mündliche Überlieferung pur.
Und natürlich wurden in dieser Zeit vor allem die Zeitzeuginnen und Zeitzeugen gefeiert: Diejenigen, die Jesus persönlich getroffen hatten. Ja, wenn diese Leute anfingen, von ihren Begegnungen mit dem Sohn Gottes zu schwärmen, dann lauschten die Zuhörerinnen und Zuhörer wie gebannt: »Wahnsinn! Die oder der da war leibhaftig dabei, als Jesus in Jerusalem einzog … als er den Aussätzigen in Kapernaum heilte … als er am Kreuz hing … als er nach der Auferstehung noch einmal seiner verblüfften Jüngerschar begegnete.«
Die Sammlung »Mit leuchtenden Augen« ist der Versuch, uns in diese Zeit zurückzuversetzen – wie in einer kleinen Zeitreise. Sie nimmt uns mit in die dynamische Aufbruchszeit des 1. Jahrhunderts und lässt 40 biblische Personen zu Wort kommen, die als Weggefährten von ihren individuellen Erfahrungen mit Jesus erzählen. Von dem, was ihre Begegnungen mit ihm ausgelöst haben … und wie sie dadurch verändert wurden: von seiner Mutter Maria über Johannes den Täufer, vom Jünger Petrus über den Pharisäer Nikodemus und von der Ehebrecherin bis zum Märtyrer Stephanus.
Mit ein bisschen Fantasie können wir uns ganz leicht vorstellen, wie diese Frauen und Männer an einem lauen Sommerabend in einem antiken Atrium stehen und die Zuhörerschaft an ihren Erinnerungen teilhaben lassen.
Interessanterweise sind sich viele Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler einig, dass die aktuelle Krise des Glaubens im Westen auch damit zu tun hat, dass wir verlernt haben, einander so wie die frühen Christinnen und Christen an unseren spirituellen Erfahrungen teilhaben zu lassen. So zu erzählen, wie es die Menschen in diesem Buch tun. Ja, wir sind es nicht mehr gewohnt, begeistert über geistliche Erlebnisse zu sprechen. Kurz gesagt: Wir haben eine Erzählkrise – und sollten das Erzählen neu feiern. Diese Geschichten tun es!
Natürlich reden viele nach wie vor gern über biblische Texte, vergessen aber gelegentlich, dass diese erst dort relevant werden, wo wir uns zu ihnen in Beziehung setzen, wo wir – wie die Zeitzeugen – selbst erzählen können, was solche Erfahrungen mit uns gemacht haben. Vielleicht sind die 40 Miniaturen in diesem Buch deshalb auch so etwas wie eine kleine Versuchsreihe für eine neue Erzählkultur.
Natürlich nehme ich mir bei der Umwandlung der biblischen Geschichten in individuelle Augenzeugenberichte einiges an künstlerischer Freiheit. Schließlich kann niemand genau wissen, was Petrus empfunden hat, als er auf dem Wasser gelaufen ist. Gleichzeitig kennen wir alle das Gefühl, etwas ganz Unerwartetes zu erleben – und die ungewöhnliche Kraft der biblischen Geschichten liegt ja gerade darin, dass wir uns in ihnen wiederfinden. Mit all unseren Ängsten, Hoffnungen, Sehnsüchten und Erwartungen. Deshalb finde ich es sehr anregend, mich auch in die Gefühle von Petrus hineinzudenken.
Wer ab und an im Neuen Testament liest, weiß: Eigentlich redet Jesus am liebsten über die Liebe. Die Liebe in all ihren Facetten. Und von Gott, der Quelle aller Liebe. Deshalb betont Jesus auch, dass im Zentrum des Glaubens das Doppelgebot der Liebe steht: »Du sollst Gott lieben und deinen Nächsten wie dich selbst« (vgl. Matthäus 22,37-39).
Für mich heißt das: Wenn Menschen mit Jesus in Kontakt kommen, dann steckt darin immer auch eine Liebesgeschichte. Und wenn begeisterte Menschen berichten, wie die Begegnung mit Gott ihnen einen neuen Lebenshorizont geschenkt hat, dann sind das letztlich Liebeserklärungen – Liebeserklärungen an das Leben. Schließlich verkündet Jesus: »Ich bin das Leben« (vgl. Johannes 14,6).
Ich habe die 40 Liebeserklärungen in diesem Buch übrigens halbwegs chronologisch angeordnet. Ich beginne mit den Personen, die von Jesu Geburt erzählen können, und schließe mit denen, die auch nach seiner Himmelfahrt noch eine lebensverändernde Erfahrung mit ihm gemacht haben. So entsteht aus den ganz unterschiedlichen Perspektiven der Erzählenden wie in einem Mosaik ein einzigartiges Porträt Jesu. Quasi ein »Evangelium« aus »Zeugnissen«.
Wie Sie mit den Texten in »Mit leuchtenden Augen« umgehen, liegt übrigens ganz bei Ihnen. Ich habe mich bemüht, sie vielfältig einsetzbar zu machen: Sie können das Buch in einem Rutsch durchlesen, Sie können die einzelnen Kapitel aber auch als persönliche Andachten für jeden Tag oder zum Vorlesen in Gruppen und Kreisen verwenden. Und weil ich es nach wie vor großartig finde, wenn Geschichten zum Weiter-Denken anregen, gibt es zu jedem Text Materialien, mit deren Hilfe Sie mit anderen darüber ins Gespräch kommen können.
So, und jetzt geht es los! 40 Frauen und Männer erzählen uns, wie es war, als sie Jesus begegnet sind. Und hoffentlich machen sie uns Mut, irgendwann auch unsere eigenen Geschichten zu erzählen. Willkommen in der Erzählgemeinschaft!
Fabian Vogt
Ich dachte lange, himmlische Erscheinungen passieren nur an heiligen Orten. In Jerusalem. Im Tempel. Oder zumindest in einer Synagoge. Aber dann stand er da plötzlich … mitten in meinem Haus, einem Haus aus Lehm in der Provinzstadt Nazareth: ein Engel.
Habe ich ihn sofort als Engel erkannt? Also … ich weiß nicht mehr. Das ging alles so schnell. Doch ich weiß noch, dass der Fremde eine tiefe, raue Stimme hatte. Als würden schwere Steine aneinanderreiben.
»Schalom, Maria, du Begnadete! Gott ist mit dir.«
Fast wäre mir die Tonschüssel aus der Hand gefallen. »Du Begnadete«? Das sagt doch nur jemand, der was von einem will. Aber was kann ein Engel schon von einer Vierzehnjährigen wollen? Ich meine: Was habe ich mit dem Himmel zu schaffen? Ein Mädchen? Fast noch ein Kind. All das jagte mir durch den Kopf. Und vor allem: Was will dieser Bote bloß von mir?
Er hat wohl gesehen, dass ich vor Schreck einen Schritt zurück gemacht habe, in Richtung Tisch, denn er fügte sanft hinzu: »Maria! Hab keine Angst, du hast bei Gott Gnade gefunden.« Da! Da war es wieder, das mit der Gnade. Nur klang es diesmal, als wäre ich … ich weiß nicht, wie ich es sagen soll … zu irgendwas auserwählt. Ich? Aber zu was? Vor lauter Verblüffung habe ich nur ungläubig den Kopf geschüttelt, mit aufgerissenen Augen, und den Engel fragend angeschaut.
Dann überbrachte er mir seine Botschaft: »Maria! Du wirst ein Kind bekommen. Du wirst einen Sohn gebären und sollst ihm den Namen Jesus geben. Er wird sehr bedeutend sein, und sie werden ihn den ›Sohn des Höchsten‹ nennen. Gott wird ihm den Thron Davids geben, und er wird über Israel herrschen für alle Zeit.«
Fast hätte ich angefangen zu kichern. Wusste der Engel denn nicht, dass ich schon verlobt war? Mit Josef, dem Bauhandwerker unseres Ortes? Einem Bekannten meines Vaters? Oder glaubte der Engel möglicherweise, ich hätte schon mit einem anderen …
Verdutzt habe ich gestottert: »Wie soll das denn gehen? Ich war doch noch nie mit einem Mann zusammen.« Oder meinte er, dass ich mein erstes Kind mit Josef später einmal Jesus nennen sollte? Ging es darum? Nein, wohl kaum. Denn dann wäre dieser Junge ja nicht der »Sohn des Höchsten«.
Wenn ich heute an all das zurückdenke, dann scheint mir, dass der Engel in diesem Moment lächelte. Aber ich bin mir nicht sicher. Lächeln Engel überhaupt? Oder schauen sie nur verklärt? Keine Ahnung. In meiner Erinnerung zumindest hat der Engel gelächelt. Sehr verständnisvoll. Und seine Stimme klang jetzt viel weicher: »Maria! Der Geist Gottes wird über dich kommen und die Kraft des Höchsten wird dich überschatten. Deshalb wird das Kind heilig und Sohn Gottes genannt werden. Vergiss nie: Auch deine Verwandte Elisabeth hat im Alter einen Sohn empfangen, obwohl sie als unfruchtbar galt. Weil für Gott nichts unmöglich ist.«
In diesem Moment war in mir nur noch ein Gedanke: Warum ich? Gibt’s da draußen nicht tausend andere Frauen, die für so eine bedeutende Aufgabe viel besser geeignet wären als ich? Allein unser Dorf Nazareth ist voller Frauen, die ich für wesentlich begabter, unbeschwerter, fröhlicher und fleißiger halte. Also: Warum gerade ich? Es ergab einfach keinen Sinn.
Ich erinnere mich noch, wie durcheinander ich in diesem Augenblick war. Konnte es ernsthaft sein, dass Gott mich auserwählt hatte? Mich, die verträumte, ungeschickte Maria, die noch nicht mal einen anständigen Linseneintopf hinbekam – wie meine Mutter gern betonte? Dass Gott mit mir die Welt verändern wollte? Dass Gott mit mir Geschichte schreiben wollte? Dieser Gedanke schien mir völlig absurd. Seine große, heilige Geschichte. Das war schlicht unmöglich!
Aber dann drangen allmählich die Worte des Engels zu mir durch: Auch meine steinalte Verwandte Elisabeth war durch ein Wunder schwanger geworden – obwohl sie längst alle Hoffnung aufgebeben hatte. Sie war schwanger geworden, »weil für Gott nichts unmöglich ist«. Und wenn für ihn nichts unmöglich ist, dann kann er auch mit mir, dann kann er mit jedem Menschen die Welt verändern.
Weil es nicht darum geht, welche Kraft ich in mir trage, sondern darum, dass mich die Kraft des Höchsten »überschattet«, wie unsere Sänger es poetisch ausdrücken. Dass seine Kraft mich einhüllt, umhüllt, durchdringt, sich wie eine weiche Wolke auf mich legt, bis ich ganz und gar erfüllt bin von der Liebe Gottes, die meine Zweifel voller Zärtlichkeit eines Besseren belehrt.
Da habe ich verstanden, dass ich den Mut haben kann, nein, dass ich den Mut haben will, das Unmögliche zu denken. Weil bei Gott nichts unmöglich ist. Nichts! Und ich habe gespürt: Wenn ich bereit bin, Unmögliches zu denken … dann kann es möglich werden.
Ich glaube, ich habe damals zweimal geschluckt. Dann habe ich den Kopf gehoben, mich geräuspert und den Engel angeschaut. Eindringlich. Zuversichtlich. Entschlossen. Um mit fester Stimme zu sagen: »Ich bin Gottes Magd. Mir soll geschehen, was du gesagt hast.«
Und noch während die Worte im Raum hingen, geschah es. Mit mir. Durch mich. Für mich. Ich wusste auf einmal, dass ich ein Kind erwarte. Das Kind, das ich bei seiner Geburt Jesus nennen würde. Ich starrte ungläubig auf meinen pulsierenden Bauch – und als ich den Blick wieder hob, war der Engel verschwunden.
Aber das machte nichts, denn der Himmel war ja jetzt in mir.
Maria wird als eine der großen Figuren der Weltgeschichte verehrt, weil sie nicht zögerte, das Unmögliche für möglich zu halten – trotz einer höchst ungewöhnlichen Situation. Ist das Glaube?
• Wann ist mir schon mal etwas gelungen, von dem ich lange dachte: Das ist eigentlich (für mich) unmöglich?
• Wie und wodurch könnte ich die Welt verändern – und sei es erst einmal in ganz kleinen Schritten?
• Jesus sagt »Alles ist möglich dem, der glaubt!« Stimmt das? Und wenn ja, was könnte das für mich bedeuten?
• Kenne ich das Gefühl »Der Himmel ist in mir«? Und wodurch zeichnet sich dieses Gefühl aus?
Bibeltext: Lukasevangelium 1,26-38
Ich sag’s euch ganz ehrlich: Das Ganze war eine Riesensauerei. Ob ich geweint habe? Natürlich hab ich das! Und wie! Getobt habe ich. Und geflucht. Ich, den sie im Dorf den »frommen Josef« nennen. Beschimpft habe ich sie … als »Flittchen«!
Maria saß vor mir auf einem Holzklotz und hatte mir gerade ihre absurde Geschichte aufgetischt. Ein Hirngespinst. Wie ich fand. Ein Ammenmärchen. Von einem Engel … einer Prophezeiung … und dass »die Macht des Höchsten sie überschattet« habe. Die Macht des Höchsten! Aber klar! Betrogen hatte sie mich. Punkt. Wie gesagt: eine Riesensauerei.
Jetzt saß sie da – schwanger. Aber eben nicht von mir. Ich hatte sie ja nie angefasst. Auch wenn ich das bisweilen gern gemacht hätte. Sehr gern sogar! Schwanger, die Verlobte des frommen Josef! Schwanger! Wo jeder weiß, dass eine Verlobung schon vor der Heimholung der Braut rechtlich als Ehe gilt. Sie war meine Frau. MEINE!
Ich war völlig verstört … und wollte diesen ganzen Kram mit dem Engel überhaupt nicht hören. »Hör auf, es dir schönzureden!«, habe ich geschrien. »So, wie es alle machen, die Mist gebaut haben. Sie basteln sich irgendeine tolldreiste Erklärung zusammen, statt die Dinge beim Namen zu nennen. Soll ich dir sagen, wie man das nennt, was du gemacht hast? Ehebruch! EHEBRUCH!«
Am liebsten hätte ich sie bei ihren schmalen Schultern gepackt und geschüttelt: »Sag mir, Maria, was habe ich falsch gemacht? Sprich! Habe ich dich nicht genug geliebt? Hätte ich dir mein Begehren zeigen sollen? Wenn du unbedingt einen Mann wolltest, warum hast du nicht mich genommen?«
Heute bereue ich meinen Zorn. Meine Raserei. Aber ich war so gedemütigt, so verletzt. Und wer verletzt ist, der verletzt andere – wie unser Geistlicher ständig betont. Heute frage ich mich natürlich, warum ich es nicht für möglich gehalten habe, dass Marias Geschichte wahr ist. Nicht für einen Augenblick. Vermutlich, weil ich nur meine Wahrheit sehen konnte. Wie so oft. Ich konnte mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass sie wahrhaftig eine Gotteserfahrung gemacht hatte. Ich Kleingläubiger.
Während ich mich noch vor ihr aufgebaut hatte, durchzuckte es mich und ich trat einen Schritt zurück: »Moment mal! Wer eine Ehebrecherin heiratet, der gilt ja selbst als Ehebrecher.« O Gott. Ich, der fromme Josef, ein Ehebrecher! Was für eine Schande. Das konnte ich nicht ertragen. Was würden meine Freunde sagen? Oder noch schlimmer: Was würden sie denken? Und tuscheln? Hinter vorgehaltener Hand?
Gut, ich war der Getäuschte, aber Maria … ihr drohte wegen des Ehebruchs vermutlich die Steinigung. Als Tochter eines Priesters sogar eine Verbrennung. Und: Man würde sie vorher an den Pranger stellen, öffentlich: »Schaut sie euch an, die liederliche, gottlose Sünderin! Schande. Schande. SCHANDE!« Alle würden sie bespucken und verhöhnen. Grauenhaft.
Niemand in Nazareth, nicht einmal der frömmste Jude, würde ihr das krude Gefasel von der Erscheinung eines Engels abnehmen. Im Gegenteil, vermutlich würden sie Maria auch noch Gotteslästerung anhängen. »Die Macht des Höchsten hat mich überschattet.« Wer’s glaubt. Ich jedenfalls nicht.
Was hättet ihr gemacht, in meiner Situation? Männer? Ganz ehrlich? Mir fielen in meiner Verzweiflung nur zwei Optionen ein: Ich konnte Maria anklagen. Sie vor Gericht bringen. Damit wäre ich fein raus gewesen. Sobald ihre Schwangerschaft sichtbar geworden wäre, hätten alle erkannt, was los ist, und sie wäre verurteilt worden …
Aber – und das war womöglich das Verstörendste von allem – wie sie da so saß, vor mir auf dem Holzklotz, so gar nicht eingeschüchtert, sondern mit einem hellen Funkeln in den Augen, da wurde mir bewusst, wie sehr ich sie liebte. Ich wollte nicht, dass es ihr schlecht geht. Ich wollte nicht, dass sie gesteinigt wird. Ich wollte nicht, dass sie sterben muss. Trotz allem, was passiert war.
Also blieb nur … eine Trennung. Die Auflösung unserer Verlobung. Dann konnte sie den Vater ihres Kindes heiraten oder irgendwohin weit weg gehen. Was weiß ich? War mir auch egal. Wir würden das Ganze diskret handhaben, sodass niemand misstrauisch werden würde. Heimlich, als wäre es etwas ganz Normales. Vor allem würden wir die Sache mit dem Engel keinem auf die Nase binden.
An diesem Abend habe ich Maria empört nach Hause geschickt und mich früh schlafen gelegt. Obwohl ich so aufgewühlt war. Pah! Ein ENGEL!
Und dann war er plötzlich da. Vor mir. Neben mir. In mir. Der Engel, an den ich nicht hatte glauben können. Habe ich geträumt? In jener Nacht? Vermutlich. Ich habe ja geschlafen. Aber bei mir war er trotzdem.
Der Engel deutete auf mich und redete besänftigend auf mich ein: »Josef, du Sohn Davids, fürchte dich nicht, bei Maria, deiner Frau, zu bleiben; denn das, was sie in sich trägt, ist vom Heiligen Geist. Sie wird einen Sohn zur Welt bringen, dem sollst du den Namen Jesus geben, und er wird sein Volk von ihren Sünden retten.«
Damit war alles gesagt. Mehr brauchte es nicht.
Ich bin nach dieser Erscheinung unmittelbar aufgewacht … dann bin ich wie ein Wilder zu Maria gerannt und habe sie weinend um Verzeihung gebeten: »Vergib mir, dass ich an dir gezweifelt habe. Vergib mir, dass ich nicht an deinen Engel glauben wollte. Vergib mir, dass dein Engel erst mein Engel werden musste, bevor ich verstehen konnte, dass deine Erfahrung wahr ist.«
Später, wenn ich mal wieder etwas nicht verstanden habe, was sie mir mitteilen wollte, hat sie gern schmunzelnd hinzugefügt: »Ich wünsche mir, dass du meinen Engel siehst.« Und ich frage mich oft … ist das vielleicht eine Definition von Liebe: Du bist mir so nah, dass ich deinen Engel sehe?
Josef kann – verständlicherweise – nicht glauben, was nicht in sein Weltbild passt. Er lernt, den eigenen Standpunkt infrage zu stellen und eine neue Perspektive einzunehmen.
• Wann habe ich mir schon mal selbst im Weg gestanden, weil ich unbedingt an meiner Meinung festhalten wollte?
• Ist mir das schon mal passiert: dass ich die Perspektive der oder des anderen einnehmen musste, um eine Situation zu verstehen?
• War es klug von Josef, sich in die Situation zu fügen – oder hätte er doch lieber die Flucht ergreifen sollen?
• »Glaube ist ein Nichtzweifeln an dem, was man nicht sieht«, sagt der Hebräerbrief. Würde ich das unterschreiben?
Bibeltext: Matthäusevangelium 1,18-25
Diesen Anblick werde ich nie vergessen. Wie Maria da vor mir stand und anfing zu singen. Einfach so. Aus heiterem Himmel. Hingegeben und fröhlich. Mit weit ausgebreiteten Armen. Ja, das Bild hat sich mir eingebrannt: diese junge Frau, die sich beim Singen so ausgelassen drehte, dass ihr das raue Gewand um die Beine flog. Wie ein Wirbelwind!
»Meine Seele feiert Gott, und mein Geist freut sich über ihn, meinen Retter. Denn er hat mich angesehen, obwohl ich nur eine Magd bin. Er hat etwas Großartiges an mir getan«, hat sie gerufen. Und dabei unfassbar glücklich ausgesehen. So beseelt. So erfüllt. Ich bin inzwischen überzeugt: Was ihr in dieser Schwangerschaft wirklich widerfahren war, das hatte sie erst jetzt – gerade eben – in seiner ganzen Tragweite erkannt. Sie war eine Auserwählte des Himmels. Darum hat sie so leidenschaftlich gesungen: »Gott hat etwas Großartiges an mir getan.«
In Nazareth war es in den Wochen zuvor vor allem darum gegangen, einen Skandal zu vermeiden. Dafür zu sorgen, dass es kein Gerede gab: »Wir müssen die Sache irgendwie vertuschen.« Darum hatte sich Maria ja auch auf den Weg ins judäische Bergland gemacht, um mich zu besuchen: raus aus dem Tohuwabohu. Zur Ruhe kommen. Abstand gewinnen. Bei einer Freundin Halt finden.
Das Erstaunliche ist: Ich habe gewusst, was mit ihr los war, noch bevor sie ein Wort gesagt hat. Denn als sie im Türrahmen stand und – erschöpft von der langen Reise – mit dem Friedensgruß »Schalom« eintreten wollte, da hüpfte das Kind in meinem eigenen Bauch … als würde es die Gegenwart von Marias Kind spüren. Als wolle es meine Bauchdecke durchdringen, um dieses andere Menschlein in die Arme zu schließen.
Das habe ich stattdessen gemacht: Ich habe Maria in den Arm genommen. Und plötzlich waren da Worte in meinem Mund, die ich nicht erdacht hatte: »Unter den Frauen bist du besonders gesegnet – und gesegnet ist das Kind in dir. Selig bist du, weil du geglaubt hast.«
Sofort legte meine Freundin die Hände schützend auf ihren Bauch, dem man die Schwangerschaft noch gar nicht ansah. Instinktiv. Als hätte ich sie ertappt. Natürlich … ich sollte, ich durfte davon ja noch gar nichts wissen. Wahrscheinlich hatte sie es mir erst zu später Stunde im Schutz der Dunkelheit anvertrauen wollen.
Aber egal, jetzt war es ausgesprochen. Laut – und ohne Angst. Und damit brachen bei Maria alle Dämme. Jetzt konnte sie das Wunder feiern. Endlich! Ihr Wunder. Ich verstehe, dass sie angefangen hat zu singen. Wes das Herz voll ist, des quillt der Mund über. Aber das war noch nicht alles. Maria schien mit einem Mal begriffen zu haben, welche Dimension das alles hatte. Es ging ja nicht nur um den Engel und um ihren Bauch, es ging um … darum, dass sich alles ändern würde. In der Welt.
Und so wurde ihre Lobeshymne zu einem Revolutionslied: »Gott beschämt die Arroganten, er holt die Herrschenden von ihrem Thron und erhöht die Niedrigen. Wer Hunger hat, den macht er satt und lässt die Reichen leer ausgehen.« Und immer wieder der Satz: »Gott hat etwas Großartiges an mir getan.«
Ich habe mich mit ihr gefreut. Denn ich wusste: Es stimmt! Gott hat etwas Großartiges an ihr getan. So, wie er etwas Großartiges an mir getan hat. Jede Frau, die sich nichts sehnlicher wünscht, als ein Kind zu bekommen, weiß, wovon ich rede. Zacharias und ich … wir hatten alles versucht, um schwanger zu werden. Monat für Monat. Jahr für Jahr. Und jedes Mal, wenn es mir wieder nach der Frauen Weise ging, fühlte sich das an wie ein kleiner Tod. Ein weiteres Leben, das uns verwehrt worden war. Und dazu die Schmach: eine Frau, die keine Kinder kriegt …
Dann war Zacharias ein Engel erschienen. Im Tempel in Jerusalem. Sodass letztlich alles dort begann. Der Engel hatte meinem Mann ein Kind versprochen – und dass dieses Kind ein Prophet sein würde. Johannes. So sollte unser Kind heißen: Johannes. Aber Zacharias hatte nicht mehr die Kraft, noch einmal auf ein Wunder zu hoffen: »Meine Frau und ich – wir sind beide viel zu alt.« Und ich vermute, dass er dabei den Mundwinkel ein wenig spöttisch hochgezogen hat, wie er es des Öfteren tut.
Weil Zacharias, anders als Maria, dem Engel nicht geglaubt hat, hat es ihm die Sprache verschlagen: Sei stumm! Und mein Mann ist verstummt. Wortwörtlich. Und war es bis zu diesem Tag immer noch. Sehr befremdlich: ein schweigender Mann. Aber ich bin schwanger geworden. Trotz seines Unglaubens. Ja, so standen wir nun da, Maria und ich: zwei unverhofft Schwangere, bei deren Empfängnis jeweils der Himmel mitgeholfen hatte.
Heute, wenn ich mich an diese Begegnung zurückerinnere, wird mir bewusst, warum wir Frauen Freundinnen brauchen. Gleichgesinnte. Manchmal auch Mentorinnen. Weil ab und an jemand nötig ist, der einem das sagt, was man sich nicht selbst sagen kann. Oder nicht sagen will. Oder sich nicht zu sagen traut.