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Im zweiten Teil der Trilogie Aufstand der Vögel wird die Rückkehr des schwer traumatisierten Königs Farion für den Arratäischen Widerstand und seine Verbündeten zur Zerreißprobe. Während der innere Konflikt der Befreiungsbewegung die wenigen bisherigen Errungenschaften zu zerschlagen droht, sinnt Kaiser Zoros auf Rache. Unterstützt durch seinen vermeintlichen Retter, Oberpriester Sinomon, ruft er zur Vogeljagd. Gleichzeitig rüstet sein Reich für den nächsten Krieg, in dem Besalien einen weiteren Teil Tungäs erobern will. Können die Arratäer Angesichts des übermächtigen Feindes überleben und den Traum der Befreiung weiter träumen?
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Seitenzahl: 1234
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„Hoffnung ist ein gefiedert Ding …“ aus einem Gedicht von Emily Elizabeth Dickinson
Mein besonderer Dank gilt meiner lieben Frau, die mich mit ihrer Arbeit am Korrektorat meiner Texte und ihrer Geduld für mein zeitraubendes Hobby immer unterstützt.
Für all‘ die freundlichen Menschen, die mich zur Weiterarbeit an meinen Romanen motiviert und unterstützt haben!
Kapitel I - Farion
Kapitel II - Ulton
Kapitel III Zoros
Kapitel IV - Treju
Kapitel V - Mostra
Kapitel VI - Ibonsa
Kapitel VII - Sinomon
Kapitel VIII - Hortag
Kapitel IX - Treju
Kapitel X - Karissa
Kapital XI - Mostra
Kapitel XII - Zoros
Kapitel XIII - Felonia
Kapitel XIV - Akhosa
Kapitel XV - Treju
Kapitel XVI - Karissa
Kapitel XVII - Ulton
Kapitel XVIII - Hortag
Kapitel XIX - Treju
Kapitel XX - Changdi
Kapitel XXI - Hortag
Kapitel XXII - Treju
Kapitel XXIII - Karissa
Kapitel XXIV - Ibonsa
Kapitel XXV - Treju
Kapitel XXVI - Karissa
Kapitel XXVII - Ibonsa
Kapitel XXVIII - Treju
Kapitel XXIX - Karissa
Kapitel XXX - Ulton
Kapitel XXXI - Ibonsa
Kapitel XXXII - Hortag
Kapitel XXXIII - Akhosa
Kapitel XXXIV - Farion
Kapitel XXXV - Karissa
Kapitel XXXVI - Ulton
Kapitel XXXVII - Mostra
Kapitel XXXVIII - Ibonsa
Kapitel XXXIX - Felonia
Kapitel XL - Treju
Kapitel XLI - Ulton
Kapitel XLII - Changdi
Kapitel XLIII - Karissa
Kapitel XLIV - Mostra
Kapitel XLV - Zoros
Kapitel XLVI - Farion
Kapitel XLVII - Treju
Kapitel XLVIII - Karissa
Kapitel XLIX - Ulton
Kapitel L - Mostra
Kapitel LI - Zoros
Kapitel LII - Sinomon
Kapitel LIII - Felonia
Kapitel LIV - Hortag
Kapitel LV - Akhosa
Kapitel LVI - Leseba
Kapitel LVII - Treju
Kapitel LVIII - Karissa
Kapitel LIX - Ulton
Kapitel LX - Changdi
Kapitel LXI - Karissa
Kapitel LXII - Treju
Kapitel LXIII - Mostra
Kapitel LXIV - Ibonsa
Kapitel LXV - Zoros
Kapitel LXVI - Sinomon
Kapitel LXVII - Felonia
Kapitel LXVIII - Karissa
Kapitel LXIX - Hortag
Kapitel LXX - Akhosa
Kapitel LXXI - Treju
Kapitel LXXII - Karissa
Kapitel LXXIII - Ulton
Kapitel LXXIV - Mostra
Kapitel LXXV - Ibonsa
Kapitel LXXVI - Zoros
Kapitel LXXVII - Sinomon
Kapitel LXXVIII - Felonia
Kapitel LXXIX - Treju
Kapitel LXXX - Karissa
Kapitel LXXXI - Mostra
Kapitel LXXXII - Ibonsa
Kapitel LXXXIII - Zoros
Kapitel LXXXIV - Sinomon
Kapitel LXXXV - Felonia
Kapitel LXXXVI - Leseba
Kapitel LXXXVII - Treju
Kapitel LXXXVIII - Karissa
Kapitel LXXXIX - Mostra
Kapitel XC - Ibonsa
Kapitel XCI - Zoros
Kapitel XCII - Sinomon
Kapitel XCIII - Felonia
Kapitel XCIV - Leseba
Kapitel XCV - Ibonsa
Kapitel XCVI - Zoros
Kapitel XCVII -Felonia
Kapitel XCVIII - Mostra
Kapitel XCIX - Zoros
Anhang I - Dramatis Personae
Anhang II- Militärische Ränge in Arratäas Armee
Anhang III – Karte des Kontinents Tungä
Anhang IV – Westarratä, Tessratien und Halbinsel Ariid
Anhang V – Ostchanien – die Waldseite
Anhang VI – Die Xifonischen Inseln
Wie es weiter geht …
Der Autor – Götz Adrian
Farions Kopf und Herz drohten zu platzen. In ihm tobte ein unaufhörlicher Kampf der Gefühle. Dankbarkeit für seine Befreiung, Trauer über den Verlust seiner geliebten Frau, Verbitterung über den Verrat in seinem Reich, Verlangen nach Rache für die erduldeten Leiden und die Unterjochung seines Volkes, Liebe zu seiner Tochter, Angst vor der Verantwortung für die Wiedererrichtung des Arratäischen Königreichs … Der König fürchtete sich vor jedem neuen Tag und den auf ihn einstürmenden Martern, die er ihm brachte. Seine Aufgabe war es, den Menschen Hoffnung zu schenken, sie anzuführen und aufzurichten. Dies war seine heiligste Pflicht, seine Bestimmung und niemand konnte ihm das abnehmen. Er hatte nicht die leiseste Ahnung, woher ihm die Kraft dafür zufließen sollte!
Viele Monate hatte Farion sich nach Licht und anderen Menschen gesehnt, nach Gesprächen und Zuwendung. Und jetzt, wo er wieder hatte, was er so lange hatte entbehren müssen, wurde ihm alles zu viel. Er fühlte sich ebenso einsam wie zuvor in seinem Kerker, spürte Unverständnis von allen Seiten und immer wieder beschlich ihn der Gedanke, niemand wollte ihn wirklich verstehen. Die Menschen um ihn herum schienen seinen Willen nicht wahrzunehmen, sein Bestes zu geben, um sich zurück in die Wirklichkeit zu kämpfen. Selbst seine geliebte Tochter machte ihm das Leben schwer und kritisierte in ihrer kindlichen Einfalt seine Beschlüsse.
Farion hatte sich gezwungen gesehen, ein paar schwierige Entscheidungen zu treffen. Die Gebirgsjäger hatten in seiner Abwesenheit die Regierung des Landes übernommen. Nach seiner Rückkehr hatte sich der neue Adler, den er nicht einmal persönlich in seinem Amt bestätigt hatte, erdreistet, ihm ungefragt Ratschläge zu erteilen. Farion blieb keine Wahl, als durchzugreifen und diesen Treju aus seinem Rang zu entfernen. In Arratäa konnte es nur einen König geben, und der war mit der Gnade der Götter er selbst – Farion aus dem Hause Filadrion von Arratäa!
Leseba war in seine neue Residenz gestürmt und hatte begonnen, ihm Vorwürfe zu machen.
„Vater, was tust du? Du nimmst der Widerstandsbewegung ihren Kopf!“
„Die Widerstandsbewegung der Arratäer benötigt genau einen Kopf! Und das ist kein anderer als meiner!“
„Hast du vergessen, dass Adler Treju und seine Gebirgsjäger ihre Leben eingesetzt haben, um dich vor dem Tod zu retten? Warum brichst du mit all unseren Freunden?“
Farion hatte ärgerlich abgewunken. „Kind, du verstehst das alles nicht. Wenn du älter wirst, wirst du lernen, zu erkennen, dass das nicht unsere Freunde sind. Freunde würden uns weder mit Taten noch Worten in den Rücken fallen. Und Freunde würden uns nicht im Stich lassen.“
Schrill hatte seine kleine Tochter ihn angeschrien: „Ich wünschte, ich wäre in jener Nacht gestorben und nicht meine arme Mutter! Mutter hätte dich wieder zu Verstand gebracht und dir den richtigen Weg gewiesen! Ich kann das offensichtlich nicht!“
Endlich war auch er aus der Haut gefahren: „Tu das nicht! Lass deine Mutter aus dem Spiel! Ich vermisse sie und ihren weisen Rat jeden Tag mehr, als ich sagen kann! Aber sie hätte mich verstanden und sich nicht durch unsere Feinde beeinflussen lassen!“
Leseba war aus der Halle gerauscht und hatte dabei gebrüllt: „Du erkennst deine Freunde ja nicht einmal mehr, wenn sie direkt vor deiner Nase stehen! Ich bete, das Dreigestirn möge dein gefrorenes Herz wieder auftauen, damit du seinen Schlag wieder wahrnimmst!“
Er hatte gefühlt, wie Panik in ihm aufstieg. „Du wirst jetzt nicht gehen! Ich befehle, dass du bleibst, du undankbares Balg!“
Schnaubend war sie aus dem Haus gerannt und hatte ihn ignoriert. Dieses Verhalten hatte er nicht durchgehen lassen können. So hatte er sie in Hausarrest nehmen lassen.
Farion überlegte, ob die vier Tage, die sie sich nicht gesprochen hatten, ausreichen würden, um sie ihren Fehler erkennen zu lassen. Dieses bockige Kind hatte nicht das Recht, so mit ihm zu sprechen! Auch seine geliebte Djania hatte sich immer wieder heftig mit ihm gestritten. So oft waren die Fetzen zwischen seiner Königin und ihm geflogen und wie süß waren die Versöhnungen gewesen. Er vermisste sie mit jeder Faser. Djania hätte gewusst, wie er seine Tochter zurückgewonnen hätte. Djania hätte ihm gesagt, ob er Recht gehandelt hatte mit der Verbannung des Adlers. Djania, immer nur Djania.
Farion saß auf seinem Thron und starrte vor sich hin durch das neue Dachfenster. Einer seiner Leibwächter räusperte sich vor ihm stehend. Er hatte den Raben nicht einmal bemerkt, als er sich ihm näherte.
„Majestät, verzeiht die Störung! Adler Ulton wartet mit einer Delegation der Tessrati vor Eurer Residenz, Herr König!“
Für einen Moment starrte er den Mann verständnislos an.
Dann sagte er matt: „Schick sie fort! Ich kann mich im Augenblick nicht mit diesen nutzlosen Leuten befassen!“
Ulton lag ermattet auf seinem Lager und atmete den Duft von Gasinas feuchter Lockenpracht ein. Ihr Kopf lag auf seiner Brust und ihr Atem ging taktgleich mit seinem.
Die Sorgen des Adlers verdrängten das Glück, das sein Dasein in diesem Moment hätte ausfüllen müssen. Er schob seine neue Liebe sanft von sich und setzte sich auf.
Mehr schlafend als wach hauchte sie: „Ich kann nicht mehr, du Bulle!“
Lächelnd küsste er sie auf die geschlossenen Augen und flüsterte: „Schlaf, mein Engel!“
Doch als er aufstand und sich sein Leinenhemd überzog, wachte sie trotzdem vollends auf.
„Ulton, du musst schlafen. Es hilft den Arratäern nichts, wenn du auch noch zusammenbrichst.“
Er schaute sie nur traurig an. Sie umarmte ihn von hinten.
„Ich weiß, Liebster, du wolltest nie Adler werden, aber jetzt bist du die letzte Hoffnung des Widerstands. Lass dir von uns allen helfen und sei geduldig mit dem König. Treju hat dir alles mitgegeben, was er konnte. Jetzt ist es an uns, Farion nicht alles zerstören zu lassen, was wir in den letzten Monaten erreicht haben!“
Ulton bedeckte sein Gesicht mit beiden Händen und beherrschte mühsam den wieder in ihm aufsteigenden Ärger.
„Was ist nur aus unserem schlauen, besonnenen, einfallsreichen und gütigen König geworden? Was haben diese Bestien aus ihm gemacht? Warum habe ich das Gefühl, dass Zoros nur einen unverdaulichen Rest dieses guten Mannes für uns übriggelassen hat?“
Gasina schmiegte sich an ihn und legte ihm einen Finger auf den Mund.
„So darfst du nicht reden! Nicht einmal denken! Du hast doch gesehen, was er mit Treju gemacht hat, nur weil er seine Pflicht erfüllen und dem König seine Bürde erleichtern wollte.“
Ulton musste aufstehen und im Zimmer herumtigern.
„Genau davon rede ich doch! Treju verbannt und abgeschoben! Die Prinzessin eingesperrt! Unsere einzigen Verbündeten vor den Kopf gestoßen … Wohin soll das führen? Alle Krieger hält er in Djaniron fest aus Angst vor Angriffen. Als könnten wir durch Untätigkeit irgendetwas erreichen. Stattdessen lassen wir unsere Freunde im Arron und in den Städten im Stich. Uliron, Karissa, Douson und all die anderen – sie setzen ihre Leben aufs Spiel, um uns mit Informationen zu versorgen für einen Kampf, den der König nicht mehr führen will. Wir treten das Andenken der Gefallenen mit Füßen! Ich muss daran glauben können, dass Wudno, Mostra, Arkon und all die anderen für ein höheres Ziel gestorben sind!“
Gasina erhob sich und zog ihn zurück auf ihr gemeinsames Bett.
„Ulton, du musst dich beruhigen! Du hast ja so recht mit allem, was du sagst. Aber Treju hat uns gesagt, was wir tun sollen. Und auch wenn er schon morgen nicht mehr bei uns ist, so wird er doch nie vergessen, dass er ein Arratäer ist. Der König kann ihm seine Feder nehmen, aber ein Rabe wird er immer sein! Du wirst sehen, kein Exil wird verhindern, dass Treju für Arratäa kämpft! Wir sind nicht allein, und unser Aufstand wird weitergehen!“
Er küsste sie leidenschaftlich und flüsterte dann: „Du bist wahrlich der beste Kauf meines Lebens!“
Ulton unterdrückte einen Schmerzenslaut, als sie ihn daran erinnerte, dass die Frau in seinem Bett gelernt hatte, zuzuschlagen.
Im Morgengrauen erklomm Ulton den neuen Ausguck in den Klippen oberhalb des Hafens. Der königliche Baumeister Istrenu hatte ihn vor kurzem erst freigegeben, und er bot die perfekte Übersicht über die gesamte Küstenlinie, ohne von unten erkennbar zu sein. Betreten beobachtete der neue Adler die kleine Arratäische Flotte beim Auslaufen. Unter dem Kommando von Ibonsa von Feratu strebte der Frachtsegler Mula einen Hafen im Nachbarkönigreich Chanien an, wo Treju als Exilant von Bord gehen würde.
„Lebe wohl, mein Freund!“, murmelte er.
Die beiden Galeeren Funtamisa und Mullinosa, befehligt durch Ikalo, den zweitgeborenen Sohn des Admirals, und Hanju, den Seefalken, sollten sie eine Weile eskortieren und dann wieder auf die Jagd gehen. Die Hafenstadt Saffiron musste so lange wie möglich ausgehungert und von der Versorgung von außen abgeschnitten werden.
Treju war auf dem Weg ins Nachbarkönigreich, um den letzten Auftrag zu erfüllen, den er von der arratäischen Heldin Mostra während der Befreiung des Königs in Askarion erhalten hatte.
„Farion kann mir alles nehmen, aber nicht meine Ehre. Mostra hat ihre Pflicht erfüllt, und ich werde meine Pflicht ihr gegenüber auch erfüllen. Die Königin Chaniens muss vor dem bevorstehenden Angriff der Besalier gewarnt werden. Und wenn es dazu dienen sollte, das einstige Bündnis der Nachbarn wieder zu beleben, dann wäre das mein letzter Dienst für Arratäa“, hatte er in ihrer letzten Besprechung gesagt.
Jetzt, als Trejus Schiff aus seinem Sichtfeld entschwand, hatte Ulton ein anderes Gespräch lebhaft vor Augen, welches er und Treju mit dem zweiten Mann geführt hatten, den sie zusammen mit ihrem König vor der Hinrichtung im Tempel Askarios bewahrt hatten.
Prinz Achfoss von Tulon hatte schlüssig erklärt: „Bitte, Ihr Krieger, versteht mich nicht falsch – ich bin Euch für jeden Tag dankbar, den ich von nun an noch atmen darf. Aber gleichzeitig bin ich überzeugt davon, dass ihr im Grunde mit unserer Befreiung den Besaliern einen Gefallen getan habt. Im Kaiserreich gibt es nicht nur zufriedene Bürger. Gerade in den besetzten Provinzen gibt es viele Menschen, in deren Inneren es heftig rumort. Diese Menschen erinnern sich an mich und die anderen Fürsten, die bei Eurer Mission weniger Glück hatten als Farion. Stellt Euch den Zulauf vor, den unsere Widerstandsbewegung erfahren hätte, wenn Zoros ihre Galionsfiguren bei seiner Krönung ausgeweidet hätte?! Wir haben also an dieser Stelle einiges verloren. Aber glücklicherweise gibt es auch eine Kehrseite davon.“
Der durch monatelange Gefangenschaft und Hunger ausgemergelte Mann hatte ihnen zugezwinkert und dabei erkennen lassen, dass er sicherlich noch immer einen Schalk im Nacken hatte.
„Wir, die Kämpfer des Widerstandes aus Arratäa und Tulon, wissen jetzt voneinander! Wir werden unsere Verbindung stärken und fördern, und ich kann euch nur raten, das gleiche mit all den anderen Mächten zu tun, die die Besalier fürchten müssen. So mag der Tag kommen, an dem alle sich gemeinsam erheben und merken, dass viele Hasen auch des Hundes tot sein können!“
Treju hatte gelacht. „Lasst uns lieber eine Vogeljagd abhalten! Wir haben ein paar prächtige Exemplare, um eine Beizjagd zum Erfolg zu bringen!“
„Wir haben sogar einen Adler“, hatte Ulton ergänzt.
Damals hatte er noch nicht gewusst, dass wenige Wochen später er selbst der Adler sein würde.
Auf dem Nachhauseweg an Bord der Funtamisa waren sie alle noch optimistisch gewesen und hatten in der Euphorie über ihre erfolgreiche Mission mit Tatendrang nach vorne geschaut. Doch dann hatte Farion sein erstes Ausrufezeichen gesetzt. Anstatt seinen ehemaligen Leidensgenossen mit Freundlichkeit und Respekt zu behandeln, gab er ihm ständig zu verstehen, dass er ihn als einen Schmarotzer und Bittsteller betrachtete, der ihm nichts zu bieten hatte. Bis zu ihrer Ankunft im Hafen von Djaniron war das letzte bisschen an Geduld und Verständnis beim Prinzen aufgebraucht, und niemand konnte es ihm verdenken, die Arratäer ohne Worte des Dankes und Abschieds zu verlassen. Eine Gesandtschaft der Tessrati bot ihm Hilfe an, um zurück nach Tulon zu gelangen. Dass Treju Achfoss ein Ehrengeleit aus dem Stadtgebiet gab und ihn freundlich verabschiedete, war der einzelne Funke gewesen, der Farions Wut auf den Adler wie einen riesigen Haufen trockenen Zunders entzündet hatte.
Farion hatte die Freude und Huldigungen seines Volkes genossen und in der Gesellschaft seiner geliebten Tochter geschwelgt. Baumeister Istrenu hatte ihn durch die entstehende Stadt geführt, die nach seiner heldenhaften Frau Djania benannt war, und alle hatten geglaubt, dass Licht, Luft und Liebe, gepaart mit gutem Essen und nicht zuletzt einer erfüllenden Aufgabe, die Lebensgeister ihres Königs zurückrufen würden. Treju hatte sein Bestes getan, um Arbeit und Belastung von ihm fernzuhalten und ihn langsam und einfühlsam wieder an die drückenden Regierungsgeschäfte heranzuführen. Doch bald hatte Farion seinem Gefolgsmann unterstellt, selbst regieren zu wollen und ihn nur als eine Marionette zu betrachten. Hart durch diese Ungerechtigkeit getroffen, hatte der Adler von diesem Zeitpunkt an alles versucht, sich mit dem König abzustimmen, doch der war mit der Situation maßlos überfordert und zusammengebrochen. Schuldig an der Misere war in den Augen des Königs selbstverständlich Treju, und ein letzter Zusammenstoß bot ihm schließlich den Vorwand, den unliebsam gewordenen Rivalen um die Herrschaft los zu werden. Ibonsa hatte einen weiteren Getreidetransport aufgebracht, und Treju hatte in Anbetracht dessen, dass die Versorgung Djanirons für den Winter längst sichergestellt war, die Ladung des Frachtschiffs an die Tessrati verschenkt, die über Monate arratäische Flüchtlinge versorgt und damit ihre eigenen Vorräte geplündert hatten.
„Wie kannst du es wagen, mit dem Besitz Arratäas um dich zu werfen, als würden wir in Pracht und Überfluss leben? Du bist ein kleiner Milan, Treju! Ein Milan, der sich die Adlerwürde erschlichen hat! Lange genug habe ich deine Hochstapelei geduldet. Doch damit ist es jetzt vorbei. Deine Geltungssucht ist entlarvt, und ich lasse es nicht mehr zu, dass deine Selbstsucht und dein schlechtes Beispiel unsere Nation schädigen. Geh mir aus den Augen, du Vampir! Schlage deine Zähne in einen anderen Wirt! Arratäa hast du lange genug ausgesaugt. Ich gebe dir fünf Tage, um deine Sachen zu ordnen. Danach wird es mit meiner Langmut vorbei sein und wenn du dann noch hier sein solltest, dann lasse ich dich aus der Stadt prügeln. Und jetzt: geh mir aus den Augen, Heimatloser!“
Kaum eine halbe Stunde später hatte Farion sich auch mit seiner Tochter überworfen und sie unter Arrest gestellt. Das Hochgefühl in der Stadt, der Eifer, die Schaffenskraft und der unglaubliche Einsatz der Menschen waren über Nacht erstorben. Mit Mühe hatte Treju die ersten Einwohner, die die Stadt mit ihm verlassen wollten, überzeugen können zu bleiben.
Ulton stieg von seinem Aussichtspunkt zurück in die Stadt und suchte Istrenu in seinem großen Unterstand auf. An strategisch günstiger Stelle, die ihm den Überblick über den Fortgang der Baumaßnahmen gab, hatte er sein Planungszelt aufschlagen lassen. Der Baumeister war trotz der frühen Stunde schon vielbeschäftigt, nahm sich aber gern die Zeit für Ulton.
„Was kann ich für dich tun, Adler?“
Zwischen den beiden hatte sich über die letzten Wochen eine echte Freundschaft entwickelt. Sie schätzten und vertrauten sich, so dass Ulton kein Blatt vor den Mund nahm.
„Mein Freund, ich will dir deine Zeit nicht stehlen, aber ich muss etwas Wichtiges mit dir besprechen. Ich weiß, der König hat Trejus und meine Absprachen mit dir alle revidiert. Er will eine würdige Residenz und dünkt sich Dank der Einschränkungen unserer äußeren Aktivitäten sicher. Leider muss ich dir sagen, ich erkenne unseren König von früher nicht wieder und halte sein Handeln für irrational und falsch. Wir brauchen die Verteidigungsanlagen dringender als alles andere, nachdem die Häuser und die Lager stehen …“
Istrenu stoppte Ultons Redeschwall mit einer gehobenen Hand und einem leichten Grinsen. Er nahm ihn am Arm und führte ihn zur Übersichtskarte und den aktuellen Plänen.
„Ulton, ich bin Baumeister! Und das schon ziemlich lange. Bauherren sind selten geduldig und noch seltener rational in ihren Vorstellungen. Etwas, was ein Baumeister früh lernt, ist, dem Auftraggeber zu zeigen, dass man das tut, was er will, um gleichzeitig das zu tun, was notwendig ist. Du siehst, dass jede Menge Arbeiter die Bruchsteine von der Fläche fort transportieren, wo der neue Palast entstehen soll, richtig?“
Ulton nickte.
„Hast du auch gesehen, wohin die Steine transportiert werden?“
Jetzt schüttelte er den Kopf, begann aber zu ahnen, dass ihm die Antwort gefallen würde.
„Zur Nordwestmauer, die auf den Hügeln entstehen wird. Gleichzeitig nutzen wir die Felsspalte im Südwesten als Steinbruch und erweitern sie dabei zu einem Graben. Wir kommen gut voran. Nächstes Jahr um diese Zeit werden wir in einer Festung wohnen.“ Ulton war erleichtert, dass Istrenu nicht überzeugt werden musste und lachte mit ihm. Trotzdem sah er noch ein anderes Problem.
„Wie ist die Stimmung unter den Leuten auf den Baustellen?“
Jetzt zogen auch auf der Stirn des Stadtbauers Sorgenwolken auf. „Das ist allerdings wirklich ein Problem. Vor Trejus Verbannung hatten alle das Gefühl, am gleichen Strang zu ziehen und an einer gemeinsamen Zukunft zu arbeiten. Plötzlich brechen Diskussionen und Streitigkeiten zwischen den Leuten aus. Die einen stehen ohne Wenn und Aber zum König, die anderen halten ihn für ungerecht und undankbar.“
Das entsprach genau Ultons Beobachtungen.
„Das wäre nicht in Trejus Sinne. Für ihn stand immer nur die Sache im Vordergrund und niemals er selbst. Bitte versuche das den Menschen klarzumachen, wenn du kannst. Ich werde auch mit der Prinzessin reden. Wir müssen zusammen wieder für Eintracht sorgen und die Energien erneut bündeln. Der Winter naht, und wir wissen nicht einmal, wie lange wir noch so weiterarbeiten können wie bisher.“
Istrenu versprach es aus vollem Herzen und ging zurück an seine Arbeit.
Der ursprüngliche Plan war gewesen, die bewährte Arbeitsteilung beizubehalten. Ulton sollte den Aufbau Djanirons und das Bündnis mit den Tessrati vorantreiben, Treju vom Arron aus die übrigen Missionen koordinieren. Diese Vorgehensweise war nun nicht mehr möglich. Ultons eigentliche Pflicht als Adler war es, die Fäden im Arron in den Händen zu behalten. Und doch wagte er nicht, den König ohne Gegengewicht agieren zu lassen, denn schließlich war die Angst nicht unbegründet, dass er noch mehr Schaden anrichten würde, als er bisher schon verursacht hatte. Ulton sah keine andere Möglichkeit als Tasko mit Anweisungen an Holtekai in den Arron zu schicken und dem alten Bussard freie Hand zu lassen. Er selbst musste bleiben.
Wenigstens würde er dadurch sehr viel schönere Nächte verbringen als einsam in den Wäldern.
Entspannt erhob sich Zoros vom Abort und begab sich zurück zu den Beratungen im Thronsaal. Seit wenigen Tagen war endlich der Schmerz überwunden, der ihn zuvor jedes Mal gequält hatte, wenn er sich hatte erleichtern müssen. Schlimmer als das körperliche Leiden war dabei die Erinnerung an die Schmach gewesen, die ihm widerfahren war, als diese Hexe ihn mit seinem eigenen Spielzeug gepfählt hatte. Man hatte seinen After geflickt, man hatte seine gebrochene Nase gerichtet und die Wunden am Kopf vernäht. Auch die heftigen Kopfschmerzen und die Schwindelanfälle, wenn er sich erhob, waren irgendwann vergangen. Was ihn dagegen nicht mehr verließ, war dieser brennende Hass. Zoros war ein wütender Mensch gewesen, solange er zurückdenken konnte. Wütend auf seine Mutter, die ihn im Stich gelassen hatte, wütend auf die Priester, die ihm alle Freiheiten und jeden privaten Moment in seiner Jugend genommen hatten, wütend auf seinen Vater, der ihm die Anerkennung für seine Leistungen so lange vorenthalten hatte, wütend auf die vielen Weiber, die er gehabt hatte und die trotzdem niemals sexuelle Erfüllung geben konnten. All das war nichts im Vergleich zu dem alles verzehrenden Hass, der ihn mit Ivosi von Tarsit verband.
In den letzten Wochen hatte er gelernt, lange eine Hilfe zurückgewiesen zu haben, die ihm das Leben erleichtert und verbessert hätte. Zoros hatte erfahren, wie der Hohepriester Sinomon seit dem Moment seiner ultimativen Demütigung an seiner Seite geblieben war. Er hatte ihn wieder aufgerichtet und ihm den Weg zur Wiedererstarkung gewiesen. Begonnen hatte es, als Sinomon verhindert hatte, dass irgendjemand ihn in seiner misslichen Lage sah, in der diese Dämonin Ivosi ihn nach ihrem heimtückischen Angriff zurückgelassen hatte. Mit fünf Priestern hatte Sinomon in seinem Schlafgemach gestanden, während Zoros unter heftigen Schmerzen zu sich kam. Zunächst hatte er nicht verstanden, was vor sich ging und weshalb sein Hinterteil so furchtbar brannte. Kurz darauf hatte er mitbekommen, wie der Hohepriester sein Gemach durch vier seiner Männer absperren ließ und den fünften nach einem der Ärzte seines Ordens schickte. Dann hatte er ihm etwas zu trinken geholt, seine Stirn mit feuchten Tüchern gekühlt und danach gemeinsam mit ihm gewartet, bis der Arzt kam, um ihn zu erlösen. Schließlich hatte der heilige Mann selbst unter Anleitung des Mediziners Bruder Kontrono das Objekt der Erniedrigung aus Zoros herausgezogen und anschließend eigenhändig ins Feuer geworfen. Er hatte so getan, als sei nichts geschehen und seinen Männern heilige Eide auf Askarios Namen abgenommen, niemals ein Wort über das Gesehene verlauten zu lassen. Sinomon hatte es in den folgenden Tagen zu seiner Aufgabe gemacht, Erklärungen unter das Volk zu bringen, weshalb die Krönungsfeierlichkeiten unterbrochen werden mussten. Er hatte die Nachsorge für Zoros‘ Verletzungen überwacht und Kanzler Stelions Aufgaben für die Fortführung der Regierungsgeschäfte ebenso übernommen wie die des ebenfalls ermordeten Geheimdienstleiters Nafruno von Scorilon. Sinomon war überall gewesen und hatte in einer Zeit die Lasten von Zoros genommen, in der er hilflos in einem Sumpf aus Schmerz und Selbstmitleid zu versinken gedroht hatte. Noch nie in seinem Erwachsenenleben war Zoros so abhängig von fremder Hilfe gewesen. Sinomon schulterte selbstlos die Bürden, ohne jemals ein Wort über das gestörte Verhältnis zwischen ihnen zu verlieren, das sie über viele Jahre entzweit hatte. Im gleichen Maße, wie sein Körper gesundete, wuchs Zoros‘ Vertrauen in seinen neuen Kanzler. Aus dem Kreise seiner engsten Berater empfahl ihm Sinomon einen neuen Mann zur Besetzung des Amts des Innenministers und Geheimdienstchefs, der nahtlos übernehmen und alle laufenden Operationen weiterführen würde. Darüber hinaus könnte er alle Erkenntnisse ihres Spionagerings mit denen zusammenführen, über die das Netzwerk der Askarischen Priesterschaft verfügte. Der Kaiser segnete die Ernennung ab und erkannte bald, der Mann war ein Glücksgriff. Bruder Lagrontu war ein Mann vieler Talente und weniger Worte. Die Gedanken, die er äußerte, trafen alle ins Schwarze.
„Mein Kaiser, alle unsere jüngsten Erkenntnisse deuten darauf hin, dass Ihr Opfer eines chanischen Komplotts gewesen seid. Ivosi von Tarsit ist zweifellos eine chanische Agentin, die von langer Hand auf Euch angesetzt worden ist. Offenbar war es ihr vorrangiges Ziel, in Euer Bett zu kommen und Macht über Euch zu gewinnen, um Euch zu manipulieren. Sie ist es, die die Befreiung der Fürsten organisiert hat, die als Opfer für Eure Krönung bestimmt gewesen sind. Nur dank Askario konnten meine Brüder wenigstens drei der Männer auf der Flucht niederstrecken. Wie Ihr wisst, fehlt von den anderen beiden jede Spur. Ivosi von Tarsit hat erst nach ihrer Entlarvung durch Euren Scharfsinn ihre Strategie geändert und den Mordanschlag auf Eure Herrlichkeit verübt. Nur das Einschreiten Sinomons zwang sie zur Flucht, bevor sie ihren Frevel zu Ende führen konnte. Aber wir können sicher sein, Majestät, dass sie im Bewusstsein geflohen ist, dem Besalischen Reich seine gesamte Führung genommen zu haben. Nachdem sie den Kanzler und Minister Nafruno beseitigt hat, hat sie sofort die Flucht ergriffen, und ihr spurloses Entkommen zeigt einmal mehr ihre Gefährlichkeit und ihr Geschick.“
Zoros kochte schon wieder vor Wut, wie immer, wenn er an diesen Tag der Niederlagen erinnert wurde.
„Ich will dieses Weib haben, und ich will sie lebendig. Sorgt dafür!“
Der neue Führer der Spione verbeugte sich tief und versicherte: „Selbstverständlich, mein Kaiser, verwenden wir alle verfügbaren Ressourcen auf dieses Ziel. Dennoch kann ich nicht empfehlen, diese Dämonin am Leben zu lassen, sollten wir ihrer habhaft werden.“
Das kam für Zoros keine Sekunde in Frage.
„Oh nein, so leicht werde ich es ihr nicht machen. Ihr seid mir dafür verantwortlich, dass diese Hexe zu mir gebracht wird, egal, wo ich dann bin. Darüber hinaus werdet ihr mir dafür haften, dass sie unversehrt ist. Ich werde mich mit ihrem Geist und ihrem Körper beschäftigen – und sonst niemand, verstanden?“
„Selbstverständlich, mein Kaiser!“
Es kribbelte Zoros in allen Gliedern, wenn er daran dachte, die Hexe wieder in seine Finger zu bekommen, und er malte sich in den hellsten Farben aus, was das Weib alles erdulden würde, bevor er ihr den Tod schenkte. Besonders freute er sich darauf, ihr vorzuführen, was der Gelbe Arzt und Sinomon ihm geschenkt hatten: durch Meditation und Zuwendung einer geweihten Tempeldienerin hatte Zoros nach und nach seine Manneskraft zurückerhalten. Das Mädchen hieß Nafriti und hatte ihn zunächst mit Massagen behandelt und mit jedem Mal näher an die alte Stärke herangebracht. Endlich, als auch Zoros‘ Anus verheilt war, hatte Bruder Kontrono die Erlaubnis erteilt, und Nafriti hatte ihn von all der in Monaten angestauten Spannung befreit. Die junge Frau hatte ihm alles abverlangt und ihn wieder und wieder in Ekstase versetzt. Danach hatte sie sich bescheiden lächelnd zurückgezogen und ihn seligem Schlaf überlassen. In dieser Nacht hatte er zum ersten Mal von ihr geträumt, wie sie strahlend und lachend vom Himmel herab schwebte und sich sanft wie eine Feder auf ihm niederließ. Diese Frau musste eine Zauberin sein und er würde sich ohne jeden Zweifel bis zu seinem letzten Atemzug an sie und seine Erlösung erinnern.
Sinomon und sein Gefolge hatten Zoros eine Wiedergeburt geschenkt, und der Kaiser lernte die echte Bedeutung eines Wortes kennen, welches er in seinem bisherigen Leben niemals mit einem Gefühl in Verbindung hatte bringen können: Dankbarkeit! Zoros war dankbar, wirklich dankbar. Und diese neue Verbundenheit mit dem Orden Askarios wollte der Herrscher demonstrieren. Darum tat er etwas, was er noch vor wenigen Wochen für unmöglich gehalten hätte - er schritt vor den Augen der Welt in einem schwefelgelben Prachtgewand zu Askarios Altar und ließ sich von Sinomon, dem Hohepriester Askarios, die Kaiserkrone auf sein Haupt setzen.
In den heutigen Beratungen, Wochen danach, tat Kaiser Zoros, weltlicher Vertreter Askarios, zwei weitere Dinge, die er zuvor für undenkbar gehalten hatte. Das erste war, freiwillig eine Entscheidung zu revidieren, die er selbst aus voller Überzeugung und klarem Kalkül gefällt hatte. Das zweite war, ohne Zwang einen Beschluss hinzunehmen und umzusetzen, den andere für ihn getroffen hatten.
Besagte Revision war, den Sitz seiner Herrschaft und die Würde der Hauptstadt des Besalischen Reiches von Seisilon zurück in die Heilige Stadt Askarion zu verlagern. Zwar vermisste er im Palast seiner Vorfahren viele Annehmlichkeiten, an die er sich im ehemaligen Palast der arratäischen Könige gewöhnt hatte, doch versprach Sinomon, arratäische Handwerker erwerben zu lassen, um diese Mankos auszugleichen.
Das andere war seine Vermählung, die in wenigen Monaten stattfinden würde. Die Priesterschaft hielt das Geschlecht der Caviros für der Ehe am würdigsten, und Zoros würde mit deren jüngstem Spross Felonia den kommenden Erben des Besalischen Reiches zeugen. Bisher hatte er seine zukünftige Braut erst einmal zu Gesicht bekommen, und das war im Rahmen der Festlichkeiten nach seinem Triumphzug in die Hauptstadt gewesen. Er konnte sich kaum an sie erinnern, waren ihm in diesen Tagen doch unzählige Bewerberinnen um seine Gunst vorgeführt worden. Die Jungfrau war wohl keine Schönheit gewesen, wirkte schüchtern, farblos, unauffällig, und mit absoluter Sicherheit hätte Zoros sie nicht als seine Kaiserin erwählt. Vor sich selbst musste Zoros allerdings einräumen, völlig unter dem Eindruck Ivosi von Tarsits gestanden zu haben, hinter der vor seinen Augen auch die schönste Blume verblasst wäre. Doch die Umstände hatten sich geändert, und Sinomons Erwägungen zielten nur auf die Stabilität und Stärke des Reichs ab. So ließ Zoros sich überzeugen und leiten und verstand, dass es ausreichen würde, Felonia das eine oder andere Mal zu schwängern und sich ansonsten mit Nafriti zu beschäftigen.
Der Kaiser fühlte sich auf dem besten Wege, mit Hilfe seiner neuen Alliierten die Zügel wieder fest in Händen zu halten. Die Hochzeit und die Gefangennahme seiner Feindin sollten die letzten Schritte vor dem nächsten Akt seiner Herrschaft werden. Dieser neue Abschnitt seiner Glorie würde durch die Eroberung der nächsten Provinz beginnen: Chanien sollte seinem Reich einverleibt werden, und er sah sich bereits das nächste Land auf der Karte des Kontinents Tungä mit Besalischen Bannern färben.
Die Mula lief voll beladen in den Hafen von Lifusion ein. Die Stadt bot einen wunderschönen, beschwingten Anblick, und man spürte sofort, warum die chanischen Könige schon vor langer Zeit ihre Winterresidenz in diese Stadt gelegt hatten. Abgesehen vom angenehmen, milden Winterklima war es ein Ort der Künste und des Frohsinns. Freundliche Gesichter und fröhliche Stimmen empfingen Ibonsa und Treju, als sie von Bord des Seglers gingen, um mit all den erbeuteten Gütern zu handeln, die das Freibeutertum Arratäa einbrachte. Treju blickte unwillkürlich immer wieder schönen Frauen nach, die auf den Promenaden und vor den Basaren flanierten.
Ibonsa flüsterte ihm zu: „Vorsicht, Adler, jetzt kannst du vermutlich besser verstehen, weshalb man diesen Hafen die ‚Seemannsfalle‘ nennt!“
Treju verlor schlagartig seine gute Laune und sagte bitter: „Bitte Ibonsa, nenne mich nicht mehr Adler. Ich bin hier, um ein Versprechen einzulösen und einer Kameradin einen letzten Dienst zu erweisen. Danach darf ich für Arratäa nichts mehr tun!“ Er blickte sich um und versuchte einen Scherz. „Vielleicht hilft mir ja eine dieser dunklen Göttinnen hier, als Chanier wiedergeboren zu werden.“
Ibonsa schaute ihn schief an und sagte dann: „Du willst dich aus der Sache Arratäas heraushalten? So leicht färbt man kein schwarzes Schaf weiß, mein Freund!“
Sie gingen weiter zum Markt, und Treju wechselte das Thema.
„Wir sollten herausfinden, ob die Königin in der Stadt ist.“
Ibonsa grinste und schüttelte den Kopf über den Arratäer, der sein Land bis zur Mission in Askarion noch nie verlassen hatte.
„Das haben wir schon, und ja, ist sie. Schau!“, zeigte er auf einen goldenen Palmwedel auf dem höchsten Turm der Residenz. „Wenn dieses Ding auf dem Turm zu sehen ist, sind die Könige hier. Und wenn ich König in diesem Land wäre, würde es immer dort stecken.“
„Schicke bitte einen Boten, um dringend um eine Audienz zu bitten!“
Schon vom Stand ihres ersten Handelspartners aus tat das Ibonsa, aber bis sie nach einem harten, erfolgreichen Tag zurück an Bord kamen, hatten sie noch keine Antwort. Auch am nächsten Morgen und am übernächsten kam keine Einladung, und Treju zweifelte daran, dass die Nachricht im Palast angekommen war. Ibonsa tat ihm den Gefallen, wider besseres Wissen mit ihm persönlich zum Palast zu gehen und vorzusprechen. Auf dem Weg dorthin bewunderte Treju die Architektur, die vielen bunten Ornamente und die verspielten Details der verschiedenen Gebäude der Palastanlage. Die Türme und Kuppeln waren alle weiß, doch erst die virtuos angelegten Parks, die alles umgaben, unterstrichen die Leichtigkeit des Ensembles. In Gedanken verglich er die Anlage mit dem atemberaubenden Palast in Seisilon, der bislang das wundervollste Bauwerk gewesen war, das er jemals erblickt hatte. Dieses hier machte ihm definitiv Konkurrenz, auch wenn Treju in den Tiefen seines Herzens die klaren Linien und die Nüchternheit, die die arratäische Architektur ausmachten, besser lagen. Wie viel schöner war all das als dieser wuchtige Klotz von Palast, den die Besalier in Askarion errichtet hatten.
Als sie endlich die erste Pforte des Palastes erreichten und Ibonsa Treju als arratäischen Gesandten vorstellte, beeindruckte das offensichtlich niemanden. Im Gegenteil wurden sie danach eher mit einer gewissen Herablassung behandelt.
Ibonsa flüsterte ihm leise zu: „Seit der Eroberung sieht man Arratäaer in diesem Land wohl nur noch als Flüchtlinge, Söldner, Tagelöhner oder Bettler. Handelsreisende oder gar Gesandte erscheinen hier nicht mehr. Euer Ansehen hat also leider nichts mehr mit dem von früher zu tun.“
Sie warteten. Und am Nachmittag warteten sie noch immer. Schließlich drängte Treju seinen Begleiter, abermals darauf hinzuweisen, dass es bei seiner Nachricht um die schiere Existenz dieses Landes ging. Es dauerte eine weitere Stunde, bis sie vor einen offenbar niederrangigen Beamten geführt wurden.
Ibonsa, der die Situation schnell erfasste, übernahm das Reden, als Treju bereits Luft holte, um seinem Ärger Ausdruck zu verleihen. „Verzeiht, guter Mann, es liegt ohne Zweifel ein Versehen vor. Adler Treju, Herr der Königlichen Gebirgsjäger Arratäas und Oberster Gesandter des Königs von Arratäa, hat sich höchstselbst hierher begeben, um Eurer edelsten Königin eine Nachricht äußerster Dringlichkeit zu bringen. Wenn binnen kurzem Euer Reich dem Untergang geweiht sein wird, wird man Euch vermutlich als Erstem den Kopf abschlagen, weil Ihr nicht in der Lage wart, einem selbstlosen Wohltäter die Hand zu reichen.“
Ibonsa bedeutete Treju zu gehen, doch in diesem Moment hielt sie mit hochrotem Kopf der dicke Mann mit dem braunen Turban auf: „Verzeiht, Herr ...“
Ibonsa unterbrach ihn barsch: „Admiral! Admiral Ibonsa von der Königlich-Arratäischen Marine!“
Mit einem Räuspern setzte der Mann neu an: „Verzeiht, Admiral, bitte geduldet Euch noch einen kleinen Moment, es kann sich nur um ein unbedeutendes Missverständnis handeln. Ich werde mich sofort darum kümmern.“
Diesmal warteten sie nur noch fünfzehn Minuten und wurden in der Zwischenzeit mit allerlei Leckereien und Getränken bewirtet. Dann geleitete sie der Beamte selbst durch eine lange Arkade zu einem Park, wo unter einem riesigen Baldachin eine ältere Frau saß, die in ihrer Jugend eine atemberaubende Schönheit gewesen sein musste. Selbst der Schatten, der ihr davon erhalten geblieben war, wirkte noch anziehend. Sie saß an einem fein geschnitzten Holztischchen und nahm gerade eine Kleinigkeit zu sich.
Ganz Jäger erfasste Treju beim Nähertreten das gesamte Umfeld. Er bemerkte die Gardisten, die sich dezent im Hintergrund hielten, aber nahe genug waren, um sofort einzugreifen. Er sah ihren Berater, der einen halben Schritt hinter ihr stand. Und er registrierte einen gewaltigen Kampfhund, der unweit unter einer Palme auf einem noch recht frischen Grab mit wenig, dafür edlem Schmuck lag. Als man ihnen zehn Schritt vor dem Baldachin bedeutete, stehenzubleiben, beendete die Königin ihr kleines Mahl in aller Ruhe und betupfte sich den Mund, bevor sie sie heranwinkte.
Sie wollte sich zweifellos nicht mit Nettigkeiten aufhalten und fragte rundheraus: „Nun, was gibt es denn so Dringendes aus der besalischen Provinz? Wer von euch beiden ist denn nun der edle Vogel?“
Diesmal war es Treju, der Ibonsa davon abhielt zu reden. „Majestät, mein Name ist Treju, und mein Titel oder Rang ist für Euch sicher ohne jeden Belang. Viel wichtiger ist, dass ich als ein Freund des Königreichs Chanien hier bin, um Euch eine wichtige Warnung zu überbringen.“
Als er nicht weiterredete, hob die Königin eine Augenbraue und wollte ihn mit einem leichten Wink auffordern, weiterzusprechen. Erst als er darauf nicht reagierte, gab sie leicht enerviert ein Zeichen, sich zu setzen.
„Nun sprecht, Adler“, und Treju vermerkte mit einem innerlichen Schmunzeln, sie wusste sehr wohl, dass in Arratäa ein Adler nicht irgendein Vögelchen war.
„Majestät, wie Euch ohne Zweifel bekannt ist, kam es bei den Kaiserlichen Krönungsfeierlichkeiten in Askarion zu einem Zwischenfall.“
Sie nickte und bedeutete ungehalten, sich nicht länger wegen jedes Satzes bitten zu lassen. Aus dem Augenwinkel nahm Treju wahr, wie sich der mächtige Kampfhund langsam erhob und zu ihrem Tisch trottete. Erfreut streckte die Königin die Hand nach ihm aus, doch das Tier zeigte kein Interesse an ihr, sondern vielmehr an Treju. Zwar konnten Masse und Gebiss des Hundes jeden nervös machen, doch beschnupperte er Treju nur ausführlich, leckte ihm dann einmal mit großer, nasser Zunge über die Hand und legte sich dann ganz selbstverständlich vor Trejus Füße, um sich streicheln zu lassen. Atemlos hatte die ganze Gesellschaft das Schauspiel verfolgt. Treju wollte den Faden wieder aufnehmen, wobei er den großen Hund hinter den Ohren kraulte und dieser wohlige Laute von sich gab.
„Entschuldigt, Majestät.“
Überraschenderweise stahl sich der Anflug eines Lächelns in das Gesicht der Königin, und sie forderte ihn nun viel entspannter auf: „Nein, schon gut, redet nur weiter, General!“
Treju beschloss, direkt zum Kern der Geschichte zu kommen. „Majestät, ich muss gestehen, dass ich wenig Konkretes überbringen kann, aber eine eindringliche Warnung eines Eurer Agenten, der sich in unmittelbarer Nähe des Kaisers befunden hat. Unsere Agentin bat mich in einem chiffrierten Brief, in seinem Namen folgende Nachricht zu überbringen: ‚Kallamuri Besali zuhokalla tu ma‘.“
Der Reaktion der Königin und ihres Beraters konnte Treju sehr wohl entnehmen, dass der Inhalt angekommen war, denn beide holten scharf Luft und tauschten erschrockene Blicke.
„Seid Ihr Euch da ganz sicher?“, fragte der Berater, der gerade zum ersten Mal das Wort ergriff.
„Ich habe nicht mehr als eine kurze Nachricht, in der unsere Agentin uns Informationen zur Befreiung unseres Königs aus besalischer Gefangenschaft gab. In ihrem Schreiben übermittelte sie nur das, und Euer Agent scheint der Meinung gewesen zu sein, das genügt?!“
In diesem Moment erschien ein Mann mit stolzer Haltung in fürstlichem Gewand, der ohne Aufforderung direkt in ihre Runde trat und der Königin die Hand küsste.
„Treju, bitte erzählt Herzog Nifitu hier noch einmal, was ihr gerade berichtet habt. Der Herzog war selbst Zeuge der Vorkommnisse in Askarion und wird euren Bericht sicherlich besser einzuordnen wissen als wir!“
Treju tat wie geheißen und erhielt vom Herzog die gleiche Reaktion wie zuvor von Königin und Berater. Darauf wollte er wissen: „Könnt ihr den besagten Chanier beschreiben? Wisst Ihr möglicherweise seinen Namen?“
„Ich habe ihn unter dem Namen Halaju kennengelernt. Er war Leibwächter der kaiserlichen Mätresse. Mehr weiß ich auch nicht. Ich habe ihn nur einmal aus der Distanz gesehen und würde ihn vermutlich nicht wiedererkennen, wenn ich ihn sehen würde.“
Nifitu wandte sich an seine Königin und deren Berater und bestätigte: „Ich habe diesen Leibwächter gesehen und die Favoritin des Kaisers, Ivosi von Tarsit, war in des Kaisers Gefolge tatsächlich eine wahre Erscheinung. Während der Festivitäten versuchte die Dame in Kontakt mit meiner Gemahlin zu kommen, doch bevor es zu einem Gespräch kommen konnte, wurde sie zum Kaiser beordert. Ich halte all das für glaubhaft.“
Dann sprach er wiederum zu Treju: „Dann wart Ihr also der Grund für die wochenlange Verschiebung der Feierlichkeiten?! Es hieß, der Kaiser sei plötzlich erkrankt, und darüber hinaus drangen keine Informationen aus dem Palast. Bis Zoros vor kurzem in einem - für ihn ungewöhnlich religiösen Habitus - zelebrierten Schauspiel gekrönt wurde. Unsere Quellen berichten, er sei voller Tatendrang, und sein neues Kabinett habe mit Feuereifer verschiedene Projekte aufgenommen. Nebenbei – wusstet Ihr bereits, dass Askarion wieder zur Hauptstadt des Reiches ausgerufen wurde? Seisilon wird in die Hände eines Gouverneurs übergeben werden.“
Treju sah, dass Ibonsa die Information bereits im Kopf verarbeitete und schüttelte den Kopf.
„Wir wären Euch dankbar für alles, was Ihr uns betreffend arratäischer Interessen mitteilen könnt. Und ja, wir waren der Grund für die Unruhe in jener Nacht vor der geplanten Krönung. Vermutlich wusstet Ihr nicht, dass während der Segnung mehrere Fürsten im Tempel geopfert werden sollten? Einer davon sollte König Farion von Arratäa sein, den wir in letzter Sekunde befreien konnten. Außerdem erhielt Prinz Achfoss von Tulon seine Freiheit, die übrigen Fürsten kamen im Kampf ums Leben.“
Die Chanier zeigten sich entsetzt ob der Barbarei, die aus Zoros‘ Plänen sprach.
Die Königin erhob sich und hob damit die Unterredung auf. „Herzog, bitte führt unsere Gäste in das Gästehaus und sorgt dafür, dass es ihnen an nichts fehlt. Ihr arratäischen Herren, ich muss Euch jetzt verabschieden, hoffe aber, Ihr werdet morgen früh unsere Ratssitzung bereichern. Eure Nachrichten werden in unseren Reihen gehörigen Wirbel verursachen, und wir wären dankbar, wenn Ihr uns gegebenenfalls noch einige Fragen beantworten würdet.“
Treju und Ibonsa verneigten sich ehrerbietig und zogen sich gemeinsam zurück.
„Selbstverständlich wird es uns eine Ehre sein, Majestät. Wir danken Euch für Eure großzügige Gastfreundschaft.“
Zusammen mit Treju war auch der Kampfhund aufgestanden und lief jetzt einen halben Schritt rechts hinter ihm weiter, als wäre es das Normalste auf der Welt. Niemand stellte das in Frage oder schritt ein.
Als die Arratäer mit dem Herzog die Arkaden erreichten, sagte der mit einem breiten Lächeln: „Ohne Frage hat Guffi einen neuen Herrn erwählt. Er wird Euch zu einem armen Mann machen, denn er hat großen Appetit. Dafür werdet Ihr ab jetzt keinen Leibwächter mehr benötigen. Ich habe nur von einem einzigen Fall gehört, in dem sich jemand unvorsichtigerweise dem Thronfolger genähert hat, und dem Angreifer musste man hinterher nicht mehr den Prozess machen.“
Ibonsa gluckste. „Guffi? Er ist doch kein Schoßhund?!“ Treju schaute hinter sich. „Eher nicht, auch wenn er sich scheinbar dafür hält. Woher kommt der Name?“
„Guffi ist die kleinste Münzeinheit unserer Währung. Der Prinz hat immer behauptet, er habe den Hund vor etwa vier Jahren als Welpe für einen Guffi gekauft. Jedenfalls hat er seitdem keinen Schritt mehr ohne den Hund gemacht, und wie Ihr seht, seid Ihr anscheinend an seine Stelle getreten. Prinz Kalutu ist vor wenigen Wochen überraschend verstorben. Seitdem hat Guffi sich keinen Schritt von seinem Grab weg bewegt und nur von der Hand der Königin überhaupt etwas Futter entgegen genommen. Der ganze Hof war sich sicher, das Tier würde vor Trauer bald verenden. Nun – Guffi und die Götter haben es anders entschieden. Ich habe das Gefühl, der Hund hat eine gute Wahl getroffen. Und viel wichtiger: dass Königin Ulinia diese Wahl nicht in Frage stellt, ist ein sehr gutes Zeichen für Euch!“
Sie kamen vor einem kleinen Palast zu stehen, der in Mitten von Bäumen und Volieren voller kleiner bunter Vögel eingebettet lag.
„Dies ist der Vogelpalast, den die Königin Euch für die Nacht zur Verfügung stellen möchte. Ihr seht, sie hat durchaus Sinn für Humor. Ich bin sicher, Ihr werdet alles vorfinden, was Ihr braucht. Die Dienerschaft wird sich um alles kümmern. Macht Euch übrigens keine Sorgen um Euer Schiff. Die Mannschaft wird informiert. Ich wünsche Euch eine angenehme Nacht. Wir sehen uns morgen früh zum Rat.“
Damit ging er und ließ zwei erstaunte Männer und einen Hund zurück.
Ibonsa fand zuerst die Sprache wieder: „Zweifellos ein freundlicher Mann. Aber findest du es nicht auch seltsam, dass er keine Fragen mehr hatte?! ...“
Sie betraten den luxuriösen Bau und wurden von einer vielköpfigen Dienerschaft empfangen, die sofort begann, ihnen jeden Wunsch von den Augen abzulesen. Dabei hielten sie ständig respektvoll Abstand von Treju und näherten sich nur mit klar erkennbarer Erlaubnis von Guffis neuem Herrn. Es war schnell klar, Guffi war gewöhnt, an der Tafel seines Herrn mitversorgt zu werden, und die Dienerschaft war darauf eingestellt. Das Tier schien einiges nachzuholen zu haben, denn der Rüde fraß gierig. Es war eine wirklich seltsame Situation für Treju, von dem Hund erwählt worden zu sein, ohne ihm das geringste Mitspracherecht einzuräumen. Doch zweifellos wurde es von allen Seiten als eine große Ehre angesehen und hatte ihm anscheinend die Gunst der Königin eingebracht. So gab es keinen Grund sich zu beschweren. Zumal Treju merkte, wie Guffi schnell sein Herz eroberte. In den letzten Wochen war ihm sonst nicht viel Gutes widerfahren, und einen zuverlässigen Kampfgefährten wusste ein Rabe selbstverständlich auch zu schätzen.
Der nächste Morgen ließ erahnen, dass sich in Trejus Leben einiges ändern würde. Er erwachte mit einer großen, nassen Zunge in seinem Gesicht. Der Krieger stand für gewöhnlich spätestens mit Sonnenaufgang auf, doch gerade an diesem Tag hätte er gerne etwas länger den Luxus der bequemen Bettstatt genossen. Viele Monate hatte er in Feldlagern, auf harten Pritschen oder in engen Kojen geschlafen. Aber er musste einsehen, Guffi hatte andere Pläne. Nach der dritten Schlabberattacke gab Treju auf und erhob sich. Er machte sich frisch und genoss die Leichtigkeit der feinen Gewänder, die man ihm zurechtgelegt hatte. Zu seiner Überraschung fand er Ibonsa bereits im Empfangsraum vor. Er saß über einer großen Landkarte von Tungä und sah völlig übernächtigt aus. Treju trat neben ihn und schaute ihm über die Schulter.
Ibonsa rieb sich die müden Augen.
„Ob den Chaniern klar ist, dass die Besalier sie schlachten werden wie ein zartes Kälbchen?“
Treju legte ihm seine Hand auf die Schulter und sagte leise. „Ich fürchte, wir beide haben von der Königin die unangenehme Aufgabe zugedacht bekommen, diese unschöne Nachricht zu überbringen.“ Ibonsa nickte, und Treju wusste, dass sie beide zu dem gleichen Schluss gekommen waren.
„Wir sollten uns ein wenig die Füße vertreten und dann ausführlich frühstücken.“
Ibonsa stand entschlossen auf und stimmte zu: „Wir werden alle Kraft brauchen, die wir uns anfressen können. Je nachdem, wie dieser Königliche Rat läuft, werden wir uns vielleicht noch sehr über dein niedliches Hündchen freuen, das sich zu uns gesellt hat.“ Guffi gähnte herzhaft und streckte sich, wie um sich für seinen Einsatz bereit zu machen.
Treju und Ibonsa beschlich beim Eintritt in den großen Ratssaal das Gefühl, nicht als Berater, sondern vielmehr als Angeklagte in die Runde geladen zu sein. Offenbar fand vor einem prächtigen Fresko, welches die Karte Chaniens in allen Details zeigte, bereits eine heftige Diskussion statt. Rechts davon standen unterhalb des Throns, auf dem die Königin saß, Herzog Nifitu und ihr erster Berater Amotu, die sie vom Vortag kannten. Links von dem Wandbild hatten sich diverse Offiziere um einen Marschall und einen General gruppiert. Das Wortgefecht zwischen beiden Seiten erstarb sofort, als die Fremden den Saal betraten. Von der linken Raumhälfte schlug ihnen geballte Antipathie entgegen. Kurz darauf gesellte sich dort eine gewisse Verunsicherung hinzu, als die Offiziere Guffi an Trejus Seite registrierten. Alle kannten selbstverständlich das Tier als Begleiter des verstorbenen Thronfolgers, der vor dem Marschall der Oberkommandierende der chanischen Streitkräfte gewesen war. In die knisternde Spannung begrüßte der Herzog die Gäste freundlich und stellte die Anwesenden vor. Dann kam er ohne weitere Umschweife zur Sache.
„Die Führung unseres Militärs bezweifelt den Inhalt Eures Berichts und den Wortlaut der übermittelten Meldung.“
Der Marschall namens Collatu riss das Wort an sich und startete mit einem Frontalangriff auf Treju.
„Um die Wahrheit zu sagen, beginnen unsere Zweifel bereits an anderer Stelle. Wie könnt Ihr ohne jegliche Beglaubigung erwarten, dass man Euch den Status eines Königlichen Gesandten zugesteht? Des Gesandten eines Königs, von dessen erbärmlichem Schicksal alle Welt weiß - verrottet er noch immer in irgendeinem dunklen Loch in Seisilon oder ist er längst tot?“
Zum Thron gewandt fuhr er fort: „Ist es nicht viel wahrscheinlicher, dass dieser Mann nur noch ein Bittsteller mehr ist, der die wachsende Schar der nutzlosen Flüchtlinge aus der besalischen Provinz tiefer in unser Land einnisten will? Um es klar zu sagen: Wir brauchen nicht noch mehr hungrige Mäuler aus einem Volk machtloser Sklaven auf unserem Terrain. Und noch weniger brauchen wir Ratschläge geschlagener Soldaten zu unseren militärischen Entscheidungen!“
Mit kaltem Blick erwiderte Treju die Blitze, die ihn aus den mit sinnlosem Hass erfüllten Augen des chanischen Heerführers trafen. Dabei tätschelte er beiläufig zur Beruhigung den Kampfhund, der inzwischen angefangen hatte, leise zu knurren. Er ließ die elektrisierte Stille noch einige Momente zwischen ihnen lasten, fragte dann:
„Seid Ihr tatsächlich fertig mit Euren Vorwürfen, Marschall?“
Er wandte sich demonstrativ von den Militärs ab und der Königin zu.
„Majestät, ich kann natürlich nicht wissen, was Euren Marschall dazu veranlasst, in diesem Ton zu mir, oder vielmehr über mich zu sprechen. Fragt mich, was immer Ihr fragen müsst, um eine Bestätigung zu erhalten, dass ich bis vor wenigen Tagen die zugegebenermaßen kleinen Reste des Widerstandes in Arratäa befehligt habe. Meines Erachtens haben Admiral Ibonsa und ich gestern mit Schilderungen, die mit den persönlichen Beobachtungen des geehrten Herzogs Nifitu übereinstimmen, zweifelsfrei bewiesen, während der Krönungsfeierlichkeiten in Askarion gewesen zu sein. Den Wortlaut der Nachricht Eures Agenten, den ich Euch genannt habe, kann ich nicht erfunden haben, denn ich verstehe ihn nicht einmal. Aber korrigiert mich, wenn ich verkannt habe, dass Ihr mit der Nachricht deutlich mehr anfangen konntet als ich?“
Er drehte sich wieder den Militärs zu.
„Wenn also die Authentizität der Nachricht außer Frage ist, was genau wollt Ihr uns vorwerfen? Den weiten Weg hierher zu nehmen, um Eurer Heimat einen Freundschaftsdienst zu erweisen?“
Begleitet von belustigten Blicken seiner Männer ätzte der Marschall: „Nun, ‚Freund‘, Ihr habt Eure Nachricht überbracht. Unsere großzügige Königin wird Euch ohne Zweifel ein paar Brotkrumen hinterherwerfen. Sie hat viel Sinn für die Bedürfnisse von Bettlern. Doch jetzt, wo Ihr klargestellt habt, selbst in den kläglichen Resten Eurer Streitkräfte nicht mehr den Befehl zu führen, solltet Ihr Euch entfernen.“
Treju musste in der Zwischenzeit seinen Arm um Guffis Brust legen, der die Aggression seinem Herrn gegenüber als drohenden Angriff wertete.
Aus der hockenden Position sagte Treju: „Es überrascht mich, in der chanischen Armee einen Kommandanten, gar einen Marschall zu sehen, dem es derartig fremd erscheint, anderen einen Dienst zu erweisen, ohne eine Gegenleistung zu verlangen. Seid versichert, ‚Marschall‘, Brotkrumen aus Eurer Hand würden verhungernde Arratäer zurückwerfen.“
Der Marschall wurde vom neben ihm stehenden General mühsam zurückgehalten, sein Schwert zu ziehen, als Treju ausspuckte.
Die Königin, die das Schauspiel bisher scheinbar unbeteiligt verfolgt hatte, sagte mit leiser, aber bestimmter Stimme:
„Das reicht jetzt! Ich erlaube nicht, dass in diesem Saal die Ehre unseres Oberkommandierenden angezweifelt wird. Ebenso wenig wie die Integrität dieses Mannes hier, Marschall! Von ihm wissen wir vom konkreten Plan eines baldigen Angriffs durch den skrupellosen Feind, der schon lange seinen gierigen Blick auf unser Land geworfen hat. Darüber hinaus deutet die Nachricht darauf hin, dass Zoros nicht wie von Euch prophezeit den Stoß über die Tungäische Landscheide führen wird, sondern einen anderen Weg zu finden sucht.“
Sie erhob sich und ging die wenigen Schritte, um zwischen den Streithähnen zu stehen. Dann sprach sie weiter.
„Wir sind nicht hier, um euch wie die kleinen Buben streiten zu sehen. Ich möchte euren strategischen Sachverstand auf diese Karte richten. Und jetzt sagt mir Marschall: welchen Weg nimmt der Feind, wenn er nicht über die Berge kommen will?“
Der Marschall verbeugte sich tief vor seiner Königin.
„Verzeiht meine Unbeherrschtheit, Majestät! Wie immer ringt uns Eure Haltung äußersten Respekt ab.“
Er drehte sich zur Wandkarte und begann zu referieren: „Die Besalier haben tatsächlich gar keine andere Wahl, als den schwierigen Weg über die Landscheide zu nehmen. Die Kaiserlichen Streitkräfte verfügen über keine nennenswerte Marine, die besalische Soldaten in ausreichend großer Zahl für eine bedrohliche Invasion in unser Land bringen könnte. Im Osten schützt uns der Guusla Fjord mit zerklüfteten Felswänden auf beiden Seiten des breiten und tiefen Meeresarms. Selbst wenn die Besalier ausreichend Wasserfahrzeuge hätten, um ihre Soldaten übers Wasser zu bringen, so müssten sie doch in voller Ausrüstung eine Kletterpartie von mehreren Hundert Schritt senkrecht in die Höhe überstehen, um unsere Seite der Barriere zu überqueren. Fragt jeden Soldaten im Raum – und meinetwegen sogar diese hergelaufenen Arratäer – ob eine Invasion auf diesem Weg zu bewerkstelligen ist?! Wenn sie einen Funken Verstand besitzen, werden sie zum gleichen Urteil kommen. Ich darf zusammenfassen: Ein Schlag kann nur auf unsere stark befestigten Stellungen in den Bergen erfolgen, und auch die Besalier wissen, dass das aussichtslos ist. Darüber hinaus ist sich der Feind bewusst über die Existenz der Verteidigungsbündnisse zwischen uns und allen übrigen Mächten, die ihn umgeben. All das lässt nur einen Schluss zu: Die Besalier werden sich hüten, uns anzugreifen und werden sich ein anderes Opfer suchen!“
Collatu wandte sich triumphierend seinen Männern zu, die ihm anerkennend ob seiner scheinbar unwiderlegbaren Ausführungen zunickten.
Die Königin nickte ebenfalls und wandte sich lächelnd den Gästen zu.
„Ich kann nicht anders, als der Empfehlung unseres Marschalls zu folgen und Euch, geehrte Freunde, ebenfalls nach Eurer Einschätzung zu fragen!“
Hörbar atmete der Marschall ein, verkniff sich aber einen Widerspruch. Treju bedeutete Ibonsa, seine Bewertung bezüglich eines Angriffs über den Seeweg zu geben, und der Xifonier ließ sich nicht zweimal bitten.
„Majestät, leider kann ich als Seemann und auf Grund der jüngsten Beobachtungen in Askarion nicht zum gleichen Schluss kommen wie Euer geehrter Marschall. Ich möchte Euch stundenlange Ausführungen ersparen und nenne euch nur die drei wesentlichen Punkte, die mich eine andere Meinung vertreten lassen: Erstens eignet sich diese wundervolle Perle von einer Stadt, in der wir Eure Gäste sein dürfen, hervorragend für eine Landung. Lifusion verfügt über keine nennenswerten Befestigungen auf der Meeresseite und nur wenige Schiffe eurer Marine zur Verteidigung. Darüber hinaus gibt es im Umland größere Küstenabschnitte mit flach auslaufenden Stränden, auf denen man sehr gut mit Beibooten größere Truppenkontingente ausschiffen könnte. Zweitens konnten wir im Hafen von Askarion beobachten, dass die Dockanlagen scharf bewacht waren und von Fremden nicht betreten werden durften. In meinen Augen spricht viel für die Verheimlichung des Ausbaus ihrer Flotte, die die Besalier vor den Augen ihrer potenziellen Opfer verbergen wollten. Und schließlich drittens: Zu Ehren des Kaisers haben xifonische Flottenkontingente eine große Leistungsschau abgehalten. In meinen Augen war das mehr ein Werben um die Gunst eines Bräutigams, und die Braut wurde in die schönsten Kleider gehüllt. Ich persönlich glaube nicht, dass Euer Bündnis mit den Xifonischen Republiken in der augenblicklichen Konstellation wirklich belastbar wäre und befürchte eher, Ihr würdet von dieser Seite eine böse Überraschung erleben. Insgesamt halte ich entsprechend die Zuversicht Eurer Militärs, Chanien sei von der Seeseite her sicher, für unbegründet.“
Den Gesichtern der Männer um den Marschall waren Schock und Erkenntnis abzulesen, dem Collatus unverändert mühsam beherrschte Wut. Nachdem Ibonsa geendet hatte übernahm die Königin demonstrativ die Verantwortung über Guffi und forderte gleichzeitig Treju auf, seinerseits seine Einschätzung abzugeben.
„Selbstverständlich befinde ich mich dem Marschall gegenüber im Nachteil, denn ich kenne nicht die Aufstellung Eurer Verteidigungstruppen entlang der Grenze. Ein Nachteil, den die Besalier mit ziemlicher Sicherheit nicht haben. Aber versetze ich mich in die Lage eines Angreifers, so würde ich alles tun, um nicht Euren Erwartungen zu entsprechen. Sicherlich machte ich Euch glauben, mein Angriff zielte auf Eure stärksten Stellungen, und ich ließe Euch das sichere Gefühl genießen, mir dabei eine blutige Nase zu verpassen. Gleichzeitig würde ich mir genau anschauen, wie das angeblich unüberwindliche Hindernis des Guusla Fjords im Details beschaffen ist. Ich kenne aus eigener Anschauung die andere Seite des Fjords und könnte spontan drei Stellen nennen, die sich möglicherweise für einen – zugegebenermaßen sehr aufwendigen – Angriff eignen könnten. Ich ziehe nicht in Zweifel, dass erhebliche Investitionen an Mensch und Material für einen solchen Angriff nötig wären. Doch wenn uns der Krieg gegen die Besalier irgendetwas gelehrt hat, dann ist es die Tatsache: Dem Kaiser ist herzlich egal, was ihn ein Angriff kostet! Und wenn die Verteidiger noch dazu überzeugt sind, ihre Flanke sei unangreifbar und sie deshalb eventuell nahezu vollständig entblößt, könnte diese Alternative noch attraktiver werden.“
Wieder war es an den Reaktionen der chanischen Soldaten abzulesen, wie sehr die anderen Diskutanten ins Schwarze getroffen hatten.
In die explosive Stimmung hinein erhob jetzt zum ersten Mal Berater Amotu das Wort und schlug vor: „Wie wäre es, wenn wir uns auf den Nachmittag vertagten und alle das Gesagte bedenken?! Erfrischt und gestärkt durch ein Mittagsmahl können wir das Gespräch wieder aufnehmen.“
Direkt wandte sich die Königin zum Gehen.
„So sei es! Amotu, habt doch bitte die Güte, unsere Gäste zurück zum Gästehaus zu geleiten!“
Die Offiziere um den schäumenden Marschall blieben zurück, während alle anderen sich zurückzogen.
Auf dem Weg sagte der sichtlich amüsierte Amotu zu seinen Begleitern: „Ihr Herren, ich beglückwünsche Euch zu eurem Mut und Eurem Sachverstand. Ich darf Euch versichern, dass Ihr die Hoffnungen der Königin in Euch übertroffen habt. Gleichzeitig muss ich Euch von meiner Seite aus warnen. Der Marschall ist ein sehr gefährlicher Mann. Der Letzte, der ihm derartig die Stirn geboten hat, ist kurz darauf überraschend im Schlaf verstorben …“
Betroffen schaute Treju den Berater an.
„Der Thronfolger??“
Amotu blickte kurz zurück, sagte aber kein Wort mehr. Das war Treju Antwort genug, und er zog seine Schlüsse.
Nach einem kurzen Mittagessen zog sich Treju zur Ruhe in sein verdunkeltes Schlafgemach zurück. Derweil blieb Ibonsa mit der zahlreichen Dienerschaft im Speiseraum zurück und ließ sich weiter verwöhnen.
Etwa anderthalb Stunden später beobachtete Treju, wie ein kleiner Pfeil in einem Kissen landete, das scheinbar seinen Kopf auf dem ausladenden Lager in der Mitte des dämmrigen Gemachs bildete. Aus seinem Versteck in einem dunklen Winkel des Raumes schloss er aus der Richtung, aus der das Geschoss gekommen war, auf die Position des Schützen und warf sofort kurz hintereinander zwei kleine Wurfmesser. Ein kurzer Aufschrei bestätigte wenigstens einen Treffer, und Treju sah einen schwarz gekleideten Mann aus dem offenen Dachgebälk fallen. Er schlug mit einem Ächzen hart auf dem Boden neben dem Bett auf, und sofort wollte sich Guffi auf ihn stürzen.
„Guffi, zurück!“
Unter Aufbietung aller Kräfte hielt Treju den Kampfhund davon ab, den Angreifer zu zerfleischen.
Schreiend versuchte der Attentäter sich vor dem Tier zu schützen, war aber offensichtlich stark verletzt. Der Lärm alarmierte die übrigen Menschen im Gebäude, und auf Trejus Befehl wurden Wachen herbeigerufen und die Verdunklung vor den Fenstern entfernt. Von Guffi in Schach gehalten, wagte der Eindringling keine weitere Bewegung und ließ sich ohne Weiteres entwaffnen. Als Treju überzeugt war, dass Guffis Präsenz lange genug auf den Verletzten gewirkt hatte, sprach er ihn zum ersten Mal an. Er hielt dabei ein Blasrohr hoch, welches man inzwischen gefunden hatte und das zu dem Pfeil passte, den Treju aus dem Kissen gezogen hatte.
„Mein Freund Guffi hatte heute noch kein Mittagessen und würde sich über jede falsche Bewegung von dir freuen. Ich gebe zu, ich habe in meinem Leben noch nie mit ansehen müssen, wie ein Hund einen Menschen zerfleischt. Trotzdem bin ich überzeugt, es kann kein schöner Anblick sein. Sind wir uns beide einig, dass das kein schöner Tod wäre?“
Der Mann wagte nur ein leichtes Nicken.
„Schön. Stimmen wir auch überein, der Feigling, in dessen Auftrag du einen Meuchelmord begehen solltest, wäre es nicht wert, auf diese Art für ihn zu sterben?“
Mit vor Schmerzen und Angst verzerrtem Gesicht stieß der Mann hervor: „Ihr kennt ihn nicht. Er verzeiht keinen Verrat.“