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In 'Ausgewählte Liebesbriefe der deutschen Literatur' präsentiert Eduard Mörike eine Sammlung von Liebesbriefen, die einen tiefen Einblick in die romantische Seite der deutschen Literatur bieten. Mit seinem einfühlsamen und poetischen Schreibstil fängt Mörike die Gefühle und Emotionen der Liebenden auf faszinierende Weise ein. Die ausgewählten Briefe stammen von bekannten deutschen Autoren wie Goethe, Schiller und natürlich Mörike selbst, und spiegeln die Vielfalt der Liebe in der Literatur wider. Das Buch bietet nicht nur eine literarische Schatztruhe an Liebesbriefen, sondern auch einen Einblick in die kulturelle Bedeutung der Liebe in der deutschen Literaturgeschichte. Eduard Mörike, selbst ein passionierter Dichter und Schriftsteller, ist bekannt für seine Liebe zur Natur und seine romantischen Werke. Sein tiefes Verständnis für die menschliche Seele und die Liebe spiegelt sich in diesem Buch wieder, in dem er als Herausgeber und Kommentator fungiert. Mörikes eigene Liebesbriefe zeugen von seiner Empfindsamkeit und seinem talentierten Schreibstil, der die Leser auf eine fesselnde Reise durch die Welt der Liebe führt. 'Ausgewählte Liebesbriefe der deutschen Literatur' ist ein Buch, das Liebhaber der Literatur und Romantik gleichermaßen begeistern wird. Mit seiner poetischen Sprache und der Vielfalt an Briefen bietet es einen tiefen Einblick in die Geschichte der Liebe in der deutschen Literatur. Eduard Mörikes Auswahl und Kommentare verleihen dem Buch eine persönliche Note und machen es zu einem unverzichtbaren Werk für alle, die sich für die Schönheit der Liebesbriefe und der deutschen Literatur interessieren.
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Seitenzahl: 53
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Briefe an Luise Rau
Plattenhardt, den 2. September 1829 3 Uhr nachmittags
Mein Kind!
Daß man die Reise von Bonlanden bis Plattenhardt ohne große Fährlichkeit zurücklegen kann, das versteht sich eigentlich bei jedermann, ausgenommen bei Bauern und Schulmeistern, die vom Markt heimkommen, und bei Vikarien, die warm von der Liebsten Munde schieden. Indessen begegnete mir nichts. Um halb elf Uhr war ich an Ort und Stelle. Die lieben Deinigen hatten mich bänglich erwartet; sie waren seit heute früh nicht vom Fenster weggekommen, und ein erwärmender Tee stand schon bereit. Ich weiß nicht, was für eine seltsame Empfindung mich beim Eintritt ins Zimmer anwehte, und die liebe Rike hätte mich beinahe erschreckt, indem sie scherzend sagte: »Merkten Sie denn nichts im Hausöhrn? Wir haben schon angefangen auszuziehn!« Es war aber nichts, als daß man das Mostgerät herausschob. Ich erzählte das Nötigste im Flug, hörte was etwa Neues vorgefallen und mußte endlich darauf denken, mir meine Braut ein wenig aus dem Sinn zu schlagen, um einer andern (nämlich einer gewissen Anna Maria Mägle, Tochter des J. G. Mägle, Bürgers und Fleckenschützens dahier) eine fromme Cour zu machen.
Du erstaunst über das schlechte Papier, worauf ich unsere Korrespondenz mit Dir einleite – aber 1. hab ich für jetzt kein anderes, 2. ist es der antiken Sitte analog, daß einsam trauernde Liebhaber den Bart (und also auch das Papier) nicht beschneiden, 3. ist mein Brief nur das Makulatur-Kouvert zu einem äußerst feinen Gratulationsschreiben das hier uneröffnet beiliegt. Es ist ohne Zweifel ein carmen von Fritz Vischer, das ich zu lesen recht begierig bin. Schicks uns doch zur gemeinschaftlichen Erbauung durch die Botin, etwa in einer Abschrift von Louis!
Montag waren die Grötzinger hier. Gestern Visite bei Benkisers, wo sich die liebe Mutter und liebe Rike nicht wenig über die Dorfunterhaltung der Frau geärgert haben. Weißt, wir bekamen ja auch ein delikates Stückchen in Bonlanden auf den Weg.
Über unsern Besuch in Köngen, den sie schon vereitelt glaubten, waren die lieben Deinigen höchlich erfreut. Du werdest doch auch das Spezialathaus und die Helferin nicht versäumen!
Wie kamst Du nach Hause? Trockenen Fußes gewiß und trockenen Auges noch gewisser. Fünf Tage weiß ich mich schon auch zu trösten, aber das ist immer noch eine gar zu leichte Vorschule für die Zukunft. –
In der Scheuer meinem Fenster gegenüber hör ich dreschen: ein traulicher, winterlicher Klang, nach dessen Takte das Herz sich so recht genügsam einspinnen kann! Ich knüpfe immer einen ganzen Schwarm von wehmütig süßen Erinnerungen an diesen Ton, die bis in meine tiefe Kindheit fortlaufen. Dieselbe einförmige Melodie, die mir alle Herbste meines Lebens wieder neu war, – wie wunderbar überrascht sie mich in dieser entscheidenden Epoche! Sie mahnt mich an alles, was in zwanzig Jahren an mir vorüberging, was ich gefunden und verloren habe, was an mir verändert wurde, und was unveränderlich, wie die Totalempfindung meines ursprünglichen Wesens, an mir geblieben ist. Da fühl ich so deutlich, wie vieles bloß als zufälliges Mittel zur Entwicklung des innern Menschen Wert hatte, das man lange Zeit als höchsten Glanzpunkt des Wesens selber wert und heilig gehalten; und doch mußte es vergehen, und man hat noch von Glück zu sagen, wenn die Alles enttäuschende Zeit nicht den ganzen Goldfirnis von den Gestalten abstreifte, wenn man immer noch den Mut haben darf, die alten Zaubergärten zu durchwandeln und an manches verwitterte Monument die nachträumende Stirne anzulehnen. Aber dabei kann einem nur dann wohl werden, wenn das neue Paradies schon angelegt und bereit ist, das uns für alle Vergangenheit entschädigen soll. So ist mir, so darf es auch Dir sein. Mein Kind! wann werd ich denn aufhören können, mich immer aufs Neue wieder über Dich und mich zu verwundern und zu fragen: wie ist das Alles geschehen?! Aber ich wollte, die Zeit käme nie, wo ich das nimmer frage! Ich meine, das wäre schon ein Vorbote des Todes unserer Liebe. Oder muß die Liebe nicht mit jedem neuen Morgen über sich selber, als über ein Wunder, erstaunen und freudig zusammenschrecken? Ist sie bei Dir anderer Art? Es mag sein, und ich glaube es fast, aber es macht mir nicht bange.
»Gerne denk ich mir Dich stets als ein eigenes Kind.«
Ich muß abbrechen, sonst mach ich Dir den Kopf toll mit Ergießungen, die Du nicht liebst. Morgen nachts neun Uhr wird meinSchattenim Widerschein Eures Lichts an der Kirchenwand neben dem Deinigen erscheinen; da sprich ein wenig mit ihm! ich wills in der Ferne hören. Hab ich doch heut schon mit Deinem blaugestreiftenKleidleise Gespräche geführt, das vor dem mittleren Fenster in der Wohnstube an der Stange trocknet. Wäre es nicht so gar hübsch gewaschen, ich hätte es wohl geküßt in der phantastischen Hoffnung, daß noch ein paar geistige Atome Deines Wesens in den Fäden steckten. (Lachst Du?)
Schreib mir doch auch einige Zeilen – es braucht nicht viel ordentlicher und vernünftiger zu sein, als dies mein Geschreib. Der lieben Mutter sage nur, sie möchte doch der guten Eike die Grille ausreden, als ob sie am Sonntag über Nacht geniere. Sie will in Grötzingen bleiben usw. Das hieße uns recht die Freude verderben.
Diesen Mittag erwarteten wir halb die Bernhäuser Mädchen – sie versprachens auf diese Tage, aber sie werden wohl erst dich hier wissen wollen.
Rike wird ein und anderes für Dich beilegen, unter Andern) auch die betrübte Neuigkeit, daß Jette den Herbstnichtheraufkommt! Das ist gar zu ärgerlich! Sie treibt ihre Pflichten gegen Kerns doch zu weit. –
Ich habe vergessen, die liebe Mutter im Namen der Deinigen um den Kempis zu bitten. Sie möchte ihn doch der Botin mitgeben!
Nun adieu! Hast Du Louis meine Aufträge gesagt? Lebet Alle wohl! Tausendmal geküßt von
Deinem treuen Eduard
Nürtingen, den 5. November 1829 Nachts 9 Uhr