Außergewöhnliche Frauen - Barbara Sichtermann - E-Book

Außergewöhnliche Frauen E-Book

Barbara Sichtermann

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Beschreibung

Immer noch quillt die Geschichte über von Männern mit historischen Verdiensten, während sich nur alle paar Jahrzehnte oder gar Jahrhunderte eine Hatschepsut, eine Theophanu, eine Florence Nightingale, eine Lou Andreas-Salomé über den Horizont der Normalität erhebt. Doch vieles ändert sich. Und bald wird unsere Welt in gleichem Maße von Frauen geprägt sein. Die hier vorgestellten Ausnahmefrauen, die es aufgrund besonders günstiger Umstände oder übermenschlicher Kraftanstrengungen doch geschafft haben, mehr aus sich zu machen, geben eindrucksvoll Kunde von weiblichen Möglichkeiten. In persönlichen und lebhaften Berichten erzählt die Autorin von originären Heldinnen, Revolutionärinnen und Künstlerinnen, von Besessenen, Begnadeten und von mächtigen Frauen. Die Porträts vereinen Kämpferinnen für die Frauenrechte wie Emily Davis, Herrscherinnen wie Königin Elisabeth I. von England, Geschäftsfrauen wie Coco Chanel und Helena Rubinstein, Größen aus der Kunst- und Musikszene wie Peggy Guggenheim, Ella Fitzgerald und Isadora Duncan und viele andere.

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Barbara Sichtermann

AUßERGEWÖHNLICHE FRAUEN

Visionär. Kämpferisch. Klug.

INHALT

Vorwort

IVon der Antike bis zur Renaissance

Sappho

Aspasia

Kleopatra VII.

Theophanu

Hildegard von Bingen

Eleonore von Aquitanien

Jeanne d’Arc

Teresa von Ávila

Elisabeth I. von England

IIVom Barock bis zur Romantik

Artemisia Gentileschi

Königin Christine von Schweden

Maria Sibylla Merian

Émilie du Châtelet

Maria Theresia

Olympe de Gouges

Mary Wollstonecraft

IIIDas 19. Jahrhundert

Louise Aston

Clara Schumann

Florence Nightingale

Bertha von Suttner

Anita Augspurg

Eleonora Duse

Marie Curie

IVDas 20. Jahrhundert

Maria Montessori

Helena Rubinstein

Rosa Luxemburg

Emily Davison

Alexandra Kollontai

Paula Modersohn-Becker

Isadora Duncan

Lise Meitner

Coco Chanel

VVom 20. Jahrhundert bis heute

Marlene Dietrich

Hannah Arendt

Simone de Beauvoir

Mutter Teresa

Ella Fitzgerald

Sophie Scholl

Maria Callas

Janis Joplin

Aung San Suu Kyi

Literatur

Vorwort

In den Berichten, Porträts und Biographien über Frauen, die eine Spur in der Geschichte hinterlassen haben, heißt es gern: Sie war eine »außergewöhnliche« Frau. Von einem berühmten Mann, dessen Name in den Lexika steht, würde man kaum sagen, er sei außergewöhnlich. Denn: Ist so ein Lob nicht im Grunde recht mager? »Außergewöhnlich« könnte man auch eine Verbrecherin nennen – für die man übrigens Jeanne d’Arc zu ihrer Zeit (seitens der Kirche) gehalten hat, auch Eleonore von Aquitanien, Louise Aston und Anita Augspurg wurden verschiedener Vergehen bezichtigt. Aber eigentlich denkt, wer eine Frau verehrungsvoll »außergewöhnlich« nennt, nicht an eine Gesetzesbrecherin. Und dennoch besagt das Attribut noch nicht, dass eine Frau durch Großtaten hervortrat, denn »außergewöhnlich« ist völlig unspezifisch. Es heißt eigentlich nichts anderes, als dass man Frauen im Allgemeinen als ziemlich gewöhnliche Wesen betrachtet, die eben gerade nicht hervorragen. Frauen gelten – auch heute noch – in aller Regel als angepasster, durchschnittlicher, mittelmäßiger und rundum normaler als Männer, als Wesen, die seltener aus der Reihe tanzen, im Guten wie im Bösen. Und die Geschichte der Menschheit hat das Ihre dazu beigetragen, nur wenigen Frauen eine außergewöhnliche Rolle zuzugestehen. Deshalb ist es auch möglich, ein Buch herauszugeben, das einundvierzig herausragende Frauen vorstellt, von der Antike bis heute. Man könnte gewiss noch zwei oder vielleicht sogar drei Folgebände mit weiteren weiblichen Größen füllen. Aber dann würde es auch schon dünn. Undenkbar, ein Buch über einundvierzig hochwichtige Männer zu schreiben und dabei auch noch einen Zeitraum von nahezu drei Jahrtausenden zu berücksichtigen. Die Grundgesamtheit wäre einfach zu groß. Und die Auswahl trüge den Stempel einer problematischen Willkür. Das ist zwar bei diesem Frauenbuch auch der Fall – aber die Beliebigkeit ist doch nicht annähernd so krass, wie sie es bei einem Männerbuch wäre. Die Buchladenkundin würde den Kopf schütteln. Drei Dutzend tolle Männer? Was denn für welche? Politiker, Erfinder, Schriftsteller, Philosophen, Feldherren? So ein Männerbuch ist denn auch nicht geplant. Dass ein Frauenbuch keine derartigen Probleme macht, heißt zugleich, dass Ruhm, Glanz, außerordentliches Verdienst, epochale Leistung, geniales Werk nur ausnahmsweise Frauensache waren. Die Ausnahmen lassen sich sammeln und darstellen – ja, das ist lohnend. Aber man denkt beim Auswählen, Faktensammeln, Interpretieren und Schreiben zugleich ständig über diese enorme Asymmetrie nach: Warum bloß quillt die Geschichte über von Männern mit historischen Verdiensten, während sich nur alle paar Jahrzehnte oder gar Jahrhunderte eine Theophanu, eine Florence Nightingale, eine Bertha von Suttner, eine Simone de Beauvoir über den Horizont der Normalität erhebt? Wo wir doch heute wissen, dass Intelligenz und Begabung bei beiden Geschlechtern in der Summe gleich vorhanden und höchstens in ihrer Besonderheit verschieden verteilt sind?

Die Antwort ist einfach. It’s a man’s, man’s, man’s world. Immer noch. Vieles ändert sich. Bald wird unsere Welt auch von Frauen geprägt sein. Aber das war sie in der Vergangenheit nicht. Die Muster, Leitbilder, vorgezeichneten Lebensläufe, welche die Kinder vorfanden, wenn sie anfingen, Wünsche und Pläne für ihre eigene Zukunft zu entwickeln, wiesen den Jünglingen den Weg nach draußen, auf dem Lorbeeren zu erringen waren, den Mädchen aber den Weg nach drinnen, ins Reich der Gewöhnlichkeit. Und diese Anweisungen waren sehr ernst gemeint, wurden gestützt von den höchsten Autoritäten, von Eltern, Lehrern, Priestern, Staatslenkern. Es hätte übermenschliche Anstrengungen gekostet, sich gegen sie zu stemmen. Die Frauen wären genötigt gewesen, außergewöhnliche Schritte zu gehen, um hervorzuragen. Und das war den meisten einfach nicht möglich.

Für schöpferische oder politische Glanzleistungen braucht jeder Mensch zweierlei: Eignung und Gelegenheit. Fehlt die Eignung, nutzt auch der Wille nichts; fehlt aber die Gelegenheit, hilft eine noch so prachtvolle Eignung nicht weiter. Eine Frau hätte, um als Künstlerin oder Politikerin hervorzutreten, die Welt auf den Kopf stellen müssen. Sie hätte ein Übermaß an Kraft gebraucht, um ihr Ziel zu erreichen – und wo hätte sie das hernehmen sollen? Hinzu kam, dass die meisten Frauen Kinder auf die Welt brachten, was im Übrigen durchaus als große Leistung anerkannt wurde. Nur: Es war eine Leistung im Rahmen des Gewöhnlichen. Und Kinder können, anders als Feldzüge, Ölgemälde, Versuchsanordnungen, Romane oder Sinfonien, nicht einfach verlassen, vergessen oder aufgeschoben werden. Wenn sie da sind, beanspruchen sie die Zeit ihrer Mütter; nur wenige hochstehende Damen konnten diese Arbeit delegieren. Viele wollten es auch nicht. Und manche – wie Mary Wollstonecraft oder Paula Modersohn-Becker – verloren gar ihr Leben im Wochenbett. Wie hoch die Zahl weiblicher Talente ist, die im Laufe der Geschichte unter dem gewaltigen Berg von »Gewöhnlichkeit« verkümmert sind, vermag niemand abzuschätzen. Immerhin geben die Ausnahmefrauen, die es dann doch aufgrund besonders günstiger Umstände oder übermenschlicher Kraftanstrengungen geschafft haben, mehr aus sich zu machen, eindrucksvoll Kunde von weiblichen Möglichkeiten.

Da wären zunächst die Töchter. Frauen wie Maria Sibylla Merian, Elisabeth I. von England, Artemisia Gentileschi, Christine von Schweden, Maria Theresia, Clara Schumann, Eleonora Duse und Aung San Suu Kyi kamen über die väterliche Position zu ihrer Laufbahn: als Schülerinnen oder Nachfolgerinnen. Wären sie mit denselben Begabungen in einer unbedeutenden Familie aufgewachsen, wäre es bei der Sehnsucht nach Naturwissenschaft, Malerei, Politik, Theater oder Musik geblieben, und niemand spräche heute vom Elisabethanischen Zeitalter, von einer Begründerin der Insektenkunde oder der namhaftesten Pianistin des 19. Jahrhunderts. Da wären des Weiteren die Witwen, etwa Kleopatra und Theophanu. Diese konnten nach dem Tode ihrer Männer deren Werk fortführen – ohne ihre Ehemänner, die sozusagen den Thron für sie vorgewärmt hatten, ohne ihre Söhne, für die sie erst einmal einsprangen, hätten sie ihre historischen Leistungen nicht vollbringen können. Aber es gibt auch die originären Heldinnen, die ganz aus eigenem Antrieb, manchmal unterstützt von einer göttlichen Stimme, loszogen, um die Welt aus den Angeln zu heben: Jeanne d’Arc, Hildegard von Bingen, Teresa von Ávila, Mary Wollstonecraft, Alexandra Kollontai, Rosa Luxemburg, Sophie Scholl, Mutter Teresa. Diese Frauen waren nicht bloß »außergewöhnlich«; was sie getan, was sie beiseite geräumt haben an Hindernissen und was sie auf sich genommen haben an Gefahren, auch für Leib und Leben – das ruft in uns tiefsten Respekt und größte Bewunderung wach. Diese Frauen hatten meist keine Unterstützung durch Familie oder Umfeld, im Gegenteil. Sie waren Kämpferinnen aus eigenem Entschluss und mit atemberaubender Konsequenz – was immer man im Einzelnen von ihren Zielen halten mag. Sie stehen dafür, dass auch und gerade Frauen außergewöhnliches Potenzial entfalten können, um eine Mission, ein politisches oder religiöses oder künstlerisches Ideal durchzusetzen.

Schließlich kommen wir zur Gruppe der Besessenen. Sie spüren in sich eine Begabung, eine Berufung, eine Leidenschaft, und es gibt im Grunde nichts anderes für sie. Die Welt wollen sie oft gar nicht verändern, sie wollen auch nicht kämpfen, sie sind nicht aggressiv, sondern getrieben: von ihrer Hingabe an die Kunst, die Literatur oder die Wissenschaft. Aber sie müssen sich ihren Weg bahnen, und sie tun es mit einer Art nachtwandlerischer Sicherheit, Rückschläge ergeben in Kauf nehmend. Vor ihnen und ihrem Werk stehen wir mit großer Hochachtung, vor allem wenn diese schöpferischen und erfinderischen Geister bei ihrer Mitwelt auf Verständnislosigkeit stießen. Sie sind die großen Ausnahmen in der Menschheitsgeschichte, und sie werden auch dann Ausnahmen bleiben, wenn sich die Bedingungen für die Entfaltung weiblicher Talente bis hin zur völligen Chancengleichheit verbessert haben sollten. Einfach weil große Begabungen – auch bei Männern – selten sind. Zu ihnen zählen Aspasia, Marie Curie, Isadora Duncan, Helena Rubinstein, Paula Modersohn-Becker, Bertha von Suttner und Lise Meitner.

Andere herausragende Frauen sind ihren Weg gegen weniger harte Widerstände gegangen, sie haben durch Beharrlichkeit, Klugheit, Willensstärke und das beherzte Ergreifen der richtigen Gelegenheit dafür gesorgt, dass sie die Welt mit einer großen Leistung überraschen konnten: so Sappho, Émilie du Châtelet, Maria Montessori, Coco Chanel, Hannah Arendt, Ella Fitzgerald, Simone de Beauvoir. – Übrig bleiben jetzt noch die tragischen Biographien, Frauen, die, obwohl zu wunderbaren und anerkannten Darbietungen und Werken fähig, an der man’s world zerbrachen oder doch schlimm unter ihr zu leiden hatten: Dazu gehörten Olympe de Gouges, Louise Aston, Emily Davison und Janis Joplin.

Obwohl wir uns bemüht haben, die »Außergewöhnlichen« über die Felder Politik, schöne Künste und Wissenschaften einigermaßen gleichmäßig zu verteilen, bleibt ein Rest von Willkür, das ist klar. Ein weiterer Aspekt kommt hinzu. Wir schauen in diesem Sammelband aus dem Blickwinkel westlicher Kulturkreise in die Geschichte und erspähen innerhalb dieses Horizontes unsere großartigen Frauen. Aus anderen Weltgegenden würden ganz andere Namen fallen, eine Autorin in Afrika, in China oder Indien fände Außergewöhnliche, die uns hier wohl zumeist unbekannt wären. Aber sie alle hätten es mit einer im Vergleich zu berühmten Männern recht geringen Gesamtheit von Größen zu tun, denn die Verteilung von Macht und von Chancen, eigene Talente zu entfalten, waren und sind überall auf der Welt ähnlich ungleich zwischen Männern und Frauen verteilt. Doch das Gute ist: Nicht nur im alten Europa und in Amerika regt sich ein Widerstand gegen den Ausschluss von Frauen aus Kabinetten, Konzertsälen, Podien, Pulten, Altären, Laboren und Bühnen der Welt, er wird überall deutlich, auch im Süden und Osten dieser Erde, und die Anzahl der Koryphäen, die weiblich sind und in künftigen Büchern über herausragende Persönlichkeiten Erwähnung finden werden, wächst.

Außergewöhnlich waren und sind alle, die in diesem Buch vorkommen. Und wenn Frauen jetzt wirklich immer öfter die Chance haben, aus der »Gewöhnlichkeit« herauszutreten und etwas Außerordentliches hervorzubringen, wird dieses Adjektiv als Standardetikett bald ausgedient haben. Stattdessen wird es heißen: Sie war eine zu allem entschlossene, eine machtbewusste, eine geschäftstüchtige, eine großherzige, eine hoch begabte, eine hyperintelligente, eine disziplinierte, eine fantasievolle Frau. Oder schlicht: Sie malte göttlich. Oder: Niemand bereicherte die Literatur so wie sie. Oder: In ihrer Stimme lag die Sehnsucht einer ganzen Generation. Und dann wird auch bei einem Frauenbuch die Auswahl (endlich!) schwierig. Und wir haben mehrere Regalmeter nötig für all die Folgebände.

I

»ES DURCHSTRÖMTE MEINE BRUST GLEICH EINER FLAMME«(HILDEGARD VON BINGEN)

VON DER ANTIKE BIS ZUR RENAISSANCE

SAPPHO

DIE ZEHNTE MUSE

* um 612 v. Chr. wohl in Mytilene auf Lesbos

† um 570 v. Chr. auf Lesbos

Eine nicht sehr hoch gewachsene, schwarzhaarige Frau mit dunklem Teint sitzt in einem sonnendurchfluteten Garten neben einem Granatapfelbaum. Sie trägt ein Lied vor, zu dem sie sich selbst auf der Leier begleitet. Um sie herum sitzen einige Mädchen im Alter zwischen zwölf und achtzehn Jahren und hören ihr zu. An manchen Stellen lachen sie oder werfen die Köpfe zurück. Eine summt mit. Eine andere deutet Tanzschritte mit den Fußspitzen an. Es herrscht eine aufmerksame und heitere Stimmung.

So mag es ausgesehen haben, als im 7. Jahrhundert v. Chr. auf der äolischen Insel Lesbos nahe dem heutigen Kleinasien die Lyrikerin und Mädchenerzieherin Sappho eine Unterrichtsstunde gab. Sie hatte das Hochzeitsgedicht für eine ihrer Schülerinnen geschrieben; bald würde es aufgeführt, das heißt mit verteilten Rollen vorgesungen, auf Saiteninstrumenten begleitet und von einer tänzerischen Darbietung unterstützt werden. Die Mädchen übten sich gern in ihren Rollen – aber das Herz war ihnen auch schwer dabei. Denn wenn sie sangen und tanzten, bedeutete das zugleich: Eine aus ihrem Kreis würde die anderen für immer verlassen, würde heiraten und womöglich in eine ferne Stadt ziehen. Die Jugend war dann vorbei, eine Zeit des Spielens und Lernens, in der die Schülerinnen auf ihre gesellschaftlichen, aber auch häuslichen Aufgaben vorbereitet sowie in feiner Sitte unterrichtet wurden. Dies geschah stets im kultischreligiösen Kontext. Erotische Praktiken wurden auch geübt. Wie weit sie gingen und ob sie den sexuellen Akt einschlossen, lässt sich mit völliger Sicherheit nicht sagen. Letzteres ist aber doch wahrscheinlich. Denn aus der griechischen Knabenerziehung jener Zeit sind Verführung und Hingabe zwischen Schüler und Lehrer verbürgt. Da die Mädchenerziehung an einer Schule wie der von Sappho der Knabenerziehung nachempfunden war, darf man annehmen, dass Sappho und ihre Kolleginnen – es gab weitere ähnliche Mädchenschulen – den vornehmen weiblichen Schützlingen auch das Erregen und Finden körperlicher Lust beibrachten. Und das war keineswegs unmoralisch, sondern selbstverständlich.

Allerdings nicht überall. Im äolischen Raum und also auch auf Lesbos verlief die Mädchenerziehung freier als auf dem griechischen Festland, das die Frauen strikt im Hause hielt. Auf Lesbos jedenfalls durften sich Töchter hoch gestellter Familien mit ihresgleichen auf das Erwachsenenleben so vorbereiten, wie es gewöhnlich nur für Jünglinge vorgesehen war. Es ist unter diesen Umständen nicht verwunderlich, dass Sapphos Gedichte erotische Begegnungen mit dem eigenen Geschlecht widerspiegeln: Das war Teil ihres Berufes und der Kultur Griechenlands, zu der die Bisexualität ganz zwanglos dazugehörte. Sie blieb jedoch für die meisten auf die Jugendzeit beschränkt. Nach ihrer Verheiratung wandten sich die Frauen ihren Gatten zu, und auch die Männer lösten sich im Ehestand von ihren Lehrern und den homosexuellen Spielen ihrer jungen Jahre los. So blieb die gleichgeschlechtliche Liebe ein Entwicklungsstadium wie die Pubertät.

Auch Sappho selbst war nicht »lesbisch« in dem Sinne, dass sie ausschließlich Angehörige ihres eigenen Geschlechts begehrt hätte. Sie war verheiratet und soll sich – so will es eine spätere Legende, die heute allerdings angezweifelt wird – eines Jünglings wegen das Leben genommen haben. Ihr Geburtsjahr ist nicht genau bekannt, es lag wahrscheinlich zwischen 617 und 612 v. Chr., als Geburtsort wird Mytilene auf Lesbos angenommen. Ihre Familie gehörte dem Adel an, der Vater starb früh. Sapphos Ehemann hieß Kerkylas und kam von der Insel Andros. Er war vermögend. Das Paar hatte eine Tochter, die goldhaarige Kleïs, der ihre Mutter zärtliche Gedichte widmete. Politischer Intrigen und Umsturzversuche wegen musste die Familie 598 ins Exil nach Sizilien gehen. Als sich zwei Jahre später die Verhältnisse beruhigt hatten, konnte Sappho nach Mytilene heimkehren. Man nimmt an, dass Kerkylas inzwischen verstorben war, denn hinfort ist in den Quellen von ihm nicht mehr die Rede. Dafür aber rühmen (spätere) Historiker den »Musenkreis« für Mädchen, den Sappho gegründet hat und der wahrscheinlich auch eine Einkommensquelle für sie war. Zweihundert Jahre später feierte der Philosoph Platon die gelehrte Frau aus Mytilene als »zehnte Muse«: »Einige zählen neun Musen, doch wahrlich zu wenig! Zähle die zehnte dazu! Sappho von Lesbos ist’s.«

Weltberühmt wurde Sappho als Lyrikerin. Sie war es schon zu Lebzeiten und blieb es im gesamten Altertum. Das christliche Zeitalter hatte dann seine Schwierigkeiten mit ihr, weil es die pädagogische Kultur der Antike verkannte und Sapphos Lyrik für schamlos hielt. Nach den Maßstäben ihrer eigenen Zeit war sie das keineswegs. Allerdings überrascht Sapphos Dichtung durch ihre Direktheit, Klarheit, Leidenschaft und Gefühlstiefe. »Komm zu mir auch jetzt; aus Beschwernis lös mich, / aus der Wirrnis; was nach Erfüllung ruft in / meiner Seele Sehnen, erfüll. Du selber / hilf mir im Kampfe«, heißt es zum Beispiel in einem Gedicht, das sich an Aphrodite, die Göttin der (unglücklich) Liebenden richtet. In Sapphos Zeit wurden erstmals sehr persönliche Empfindungen, auch solche der völligen Bewusstseinsferne wie Raserei und Ekstase, mit inniger Einfühlung vorgetragen. Gefühlsüberschwang und durch den Formwillen der Lyrik erzwungene Gestaltungsdisziplin flossen ineinander und gebaren die Poesie mit ihrer persönlich-überpersönlichen Doppelbotschaft, wie sie bis heute – als Gedicht, Ballade, Verserzählung und Liedtext – fortbesteht.

Aber Sappho war nicht nur eine Dichterin des Pathos, sie hatte auch ein Talent für komische Pointen. Es gibt plötzliche Stimmungsumschwünge in ihren Gedichten, die ihr Bemühen zeigen, das Sentiment zu brechen. Und immer wieder sind es die Dinge des alltäglichen Lebens, die sie fesseln. Keine allzu schlichten Dinge, denn ihre Klientel war auf die wohlhabende Oberschicht beschränkt. Aber wie diese Menschen gelebt haben, wie sie sich kleideten, was sie gern aßen, sangen, betrachteten, welche Blumen sie liebten und welche Wetter sie fürchteten – das kann man bei Sappho nachlesen. Sie beschreibt farbig und genau. Was Homer für die Männerwelt getan hat – die eine Welt der Feldzüge, der Waffen, Kriegsschiffe und Schlachtrösser gewesen war –, das tat Sappho für die Frauenwelt. Diese erscheint uns heute mit all den duftenden Blütenkränzen und zierlichen Mädchenfüßen vielleicht ein bisschen zu holdselig, aber man darf nicht vergessen, dass es sich um Festlieder handelte und um kultische Gesänge, in denen vor allem die Schönheit – eines Mädchens, einer Göttin, eines Gartens, einer Nacht – gefeiert werden sollte.

Der Schönheitskult der griechischen Antike war radikal, er gipfelte in Wettbewerben und ständigen Vergleichen, was für die nicht so gutaussehenden Menschen eine Zumutung gewesen sein muss. Allerdings beweist die Verehrung, die Sappho genoss, dass auch nichtkörperliche Formen von Schönheit – also das schöne Gedicht oder die schöne Melodie – in die allgemeine Hochachtung vor dem Ebenmaß eingeschlossen waren. Denn Sappho entsprach als »dunkler Typ« und klein gewachsene Frau dem Attraktivitätsideal ihrer Zeit in keiner Weise. Man bevorzugte die großen Blonden – ganz wie heute.

Leider sind nur Bruchstücke ihrer Werke erhalten. Auch ihr Leben müssen wir aus Fragmenten erschließen. Aber eins ist sicher: Als Dichterin und Erzieherin hat Sappho ihre Zeit geprägt. Und sie schuf sogar ein bis heute benutztes Versmaß: die sapphische Strophe. Die römischen Poeten Horaz und Catull beriefen sich auf Sappho und übernahmen ihr Versmaß. Später dichteten im Abendland Barden wie Friedrich Gottlieb Klopstock, Friedrich Hölderlin und auch die Dichterin Ricarda Huch entlang dieser ausgefeilten Versform. Die Sapphische Strophe besteht aus drei elfsilbigen Zeilen und einer vierten fünfsilbigen Zeile. Die ersten drei sind analog gebaut: Auf zwei Trochäen, das sind je zwei Silben, von denen die erste betont ist, die zweite unbetont (also: dámda), folgt ein Daktylus, das sind drei Silben, von denen die erste betont ist, die folgenden zwei unbetont (also: dámdada). Daran schließen sich zwei weitere Trochäen an. Die letzte Verszeile verbindet einen Daktylus mit einem Trochäus (sie klingt dámdada dámda):

»Ist sie heut noch flüchtig, wie bald schon folgt sie, / ist sie Gaben abhold, wird sie selbst geben, / ist sie heut noch lieblos, wie bald schon liebt sie, / auch wenn sie nicht liebt.«

Da Sappho neben Sprache und Dichtkunst auch Musik und Tanz gelehrt hat, liegt es nahe, dass sie auch als Komponistin und Tänzerin hervorgetreten ist. Platons Begeisterung für sie verweist auf multiple Talente der berühmten Frau. Da wir keine Fakten bezüglich ihres Lebensendes besitzen, dürfen wir uns vorstellen, dass die Legende von ihrem Selbstmord nur zustande kam, um sie als historische Figur im Nachhinein dramatisch zu überhöhen und dass sie in Wirklichkeit, alt geworden, im Kreise ihrer Meisterschülerinnen in einem Garten neben einem Granatapfelbaum sanft verschieden ist. Diese Version ist nicht weniger glaubwürdig als der Freitod im Meer – ja, er ist wahrscheinlicher, denn Sapphos Lebensfreude und -genuss, ihr Witz ist in ihrer Lyrik reichlich dokumentiert:

»Wie schön der Apfel, / So rot und reif / Ganz oben im Baum / Im höchsten Geäst! / Hat ihn keiner geholt? / Von den Pflückern vergessen? / O nein, o nein! Nicht vergessen! / Nicht erreichen konnten sie ihn, / Den höchsten.«

ASPASIA

LEHRERIN DER KUNST DER REDE

* um 470 v. Chr. wohl in Milet

† um 420 v. Chr. wahrscheinlich in Athen

Hellas, das alte Griechenland, war ein Sehnsuchtsort für die europäische Renaissance, die deutsche Klassik und Romantik. Der Zauber, den die Antike auf den Rest der Welt ausgeübt hat, wirkt heute noch nach – seinerzeit überglänzte er in Europa alle bedeutenden Epochen der Menschheitsgeschichte. Die Griechen hatten, so erkannten die Nachgeborenen voll Bewunderung, sämtliche tiefen philosophischen Fragen bereits gestellt. Sie hatten die Demokratie erfunden, fantastische Tempel erbaut und Dramatiker hervorgebracht, deren unsterbliche Werke auf modernen Bühnen immer noch gespielt werden. Ihre Kultur war ohne Beispiel, von einmaliger Schönheit und Kraft, und ihr Vermögen, das Leben zu genießen und zu feiern, wurde später nie mehr erreicht. Zur Sinnenfreude der Hellenen gehörten der Wein und die Früchte des gesegneten Südens, gehörte eine zwanglose Homoerotik ebenso wie das Hetärentum, die Szene der käuflichen Frauen. Und diese wohl erzogenen Damen waren nicht nur wunderschön, sondern auch noch hoch gebildet.

Ein derart idealisiertes Hellas-Bild hat noch im 19. Jahrhundert dominiert, dann aber setzte die moderne historische Forschung ein und mit ihr eine allgemeine Ernüchterung. Die griechische Demokratie war eine Herrschaft der wenigen mit Rechten ausgestatteten Besitzbürger und basierte wirtschaftlich auf der Ausbeutung eines Heeres von Sklaven. Die künstlerische Blüte in Architektur und Drama gedieh im Schatten permanenter kriegerischer Konflikte. Und die viel gerühmten Hetären waren in der Regel keineswegs gebildet und auch wenig geachtet. Was sie zu bieten hatten, war die ständige Bereitschaft zum Geschlechtsverkehr, einige verstanden sich aufs Musizieren und auf tänzerische Darbietungen, die meisten aber kamen aus der Unterschicht und hatten außer ein bisschen Selbstinszenierung nichts gelernt. Es gab noch einmal eine Klassenstruktur unter den Prostituierten. Die ärmsten waren die Pornés, die Straßenhuren oder die Mädchen in einem Freudenhaus. Meist waren sie entlaufene oder frei gelassene Sklavinnen. Der Menschenhandel gehört in Sklavengesellschaften zum Leben dazu, und so wurden auch damals junge Mädchen als Waren ge- und verkauft. Zur Prostituierten-Mittelschicht gehörten die Hetären –im Wortsinn: Gefährtinnen –, die für ein Symposion, ein Gelage mit Musik, Tanz und Gesellschaftsspiel, eingeladen wurden und nach dem Fest oder sogar währenddessen zum Beischlaf bereit sein mussten – manchmal mit wechselnden Freiern. Zur schmalen Oberschicht der Prostituierten zählten die gebildeten Hetären, die sehr teuer waren und häufig auf Zeit nur einem Freier zu Diensten standen. Solche Frauen, entweder frei geboren oder losgekaufte Sklavinnen, waren Ausnahmen, schon weil ihnen aufgrund ihres Wissens und Könnens der Aufstieg in den Ehestand möglich gewesen wäre. Ehefrauen im antiken Griechenland waren indes vollständig rechtlos, ihr Wirken auf das Haus beschränkt, und sie durften als sittsame Damen nicht an den beliebten Symposien teilnehmen, auf denen erotische und alkoholische Ausschweifungen gang und gäbe waren. Und bei denen die Feiernden nicht auf Stühlen saßen, sondern auf Couchen, so genannten Speisesofas lagerten, oftmals eine halbnackte Hetäre neben sich. Es ist vorstellbar, dass eine neugierige und selbständige Frau den Status der Hetäre dem Los einer aus dem gesellschaftlichen Leben weithin verbannten Gattin vorzog. Doch sie ging damit immer das Risiko der sozialen Ächtung ein. Die doppelte Moral war eine vollkommen gängige Erscheinung im alten Griechenland. Huren durften sich nicht auf dieselbe soziale Stufe stellen wie Ehefrauen; das gesamte weibliche Geschlecht rangierte unter dem männlichen.

Berühmt ist die hellenische Knabenliebe, die seinerzeit nicht, wie später im christlichen Abendland, tabuiert und pönalisiert wurde. Aber dass in Griechenland die männliche Bevölkerung großenteils homosexuell gewesen sei, ist ein Märchen, das die Abwesenheit eines Tabus überinterpretiert. Die Griechen kannten eine lange Adoleszenz, geheiratet wurde spät, und die Schul- und Lehrzeit, die in den meisten Stadtstaaten der männlichen Jugend vorbehalten war, schloss Unterricht in erotischen Fragen und Praktiken ein. Die langen Jahre vor der Heirat waren allerdings nicht ausschließlich der Homosexualität geweiht. Für das kurze Glück im Bett sorgten auch Hetären, die von jungen Männern während ihrer Lehrzeit ausgehalten wurden. Porné war übrigens auch ein Schimpfwort, ganz wie heute in modernen Gesellschaften die »Hure« oder »Nutte«. Als Hetäre konnte eine Frau noch irgendwie zurechtkommen und, solange sie jung war, auf einen Ehemann hoffen. Eine Porné aber war völlig marginalisiert, auf sie sahen alle herab. In den Komödien der Zeit treten öfter mal Huren auf, sie sind meist selbstbewusst, schnippisch und manchmal witzig. Von daher mag die falsche Vorstellung stammen, Huren seien im Altertum gut gestellt und klug gewesen. Sie fanden sich eben einfach nur mit ihrer Randständigkeit nicht ab, waren kämpferisch und unverschämt.

Woher wir das alles wissen? Zum Beispiel aus den Komödien des Aristophanes, von etlichen Schilderungen nächtlicher Gelage, die uns überliefert sind, aber auch von den Illustrationen, die auf Mosaiken in Villen oder auf den Unmengen von Schalen, Krügen und Tellern aus der alten Zeit übriggeblieben sind. An erotischen Darbietungen hatte man seinerzeit offenbar eine reine Freude. Die Bezeichnungen dieser heute in Museen ausgestellten Exponate lauten zum Beispiel: »Zecher umarmt Hetäre beim Gelage« oder: »Flötenspielerin und Zecher auf dem Speisesofa« oder: »Flötenspieler und halbentkleidete Hetäre beim Gelage«. Es gibt viele explizite Darstellungen von Paaren beim Koitus. Außerdem besitzen wir Betrachtungen über die Sitten der Zeit bei großen Philosophen wie Platon und Aristoteles und bei Historikern wie Xenophon und Thukydides. Manches wissen wir aber auch nicht. Wie lebten Huren in einem Bordell? Wie standen Hetären zu ihrem Beruf? Was geschah mit ihren Kindern? Von ihnen selbst sind keine Aussagen überliefert.

Nicht einmal von Aspasia, der wohl berühmtesten Hetäre des klassischen Griechenlands. Sie war hoch gebildet, beeindruckte sogar den Philosophen Sokrates mit ihrer Klugheit und führte im Hause des Perikles (495-429 v. Chr.), als der zum Ersten Mann im Stadtstaat Athen aufgestiegen war, ein offenes Haus für die Geistesgrößen ihrer Zeit. »Wohl aber war ich gestern erst Zuhörer bei der Aspasia«, erzählt Sokrates durch den Mund seines Schülers und Chronisten Platon. »Von mir wäre es nunmehr wohl gar nicht zu verwundern, dass ich im Stande bin, Reden zu halten, denn ich hatte eine vorzügliche Lehrerin in der Kunst der Rede, eine Lehrerin namens Aspasia, die auch viele andere treffliche Redner gebildet hat, darunter einen, der sich vor allen Hellenen hervortut, ich meine den Perikles«. Aspasia besaß eine Gabe, die in der Antike besonders viel zählte: Sie konnte großartige Reden halten. Perikles war ebenfalls ein bedeutender Rhetoriker, ja, er verdankte diesem Talent seinen politischen Aufstieg in Athen. In Aspasia begegnete er einer Frau, die ihm gewachsen war und deren Rat er bei allen politischen Entscheidungen einholte. Offenbar hat sie ihn, wie Sokrates erzählen ließ, sogar in die Redekunst eingeführt. Der geschiedene Staatslenker und Heerführer soll die schöne Hetäre im Jahre 445 v. Chr. geheiratet haben, wobei jedoch andere Quellen nur von einem offen gelebten Konkubinat, nicht von einer Eheschließung, berichten. Eins ist aber sicher: Aspasia war die unangefochtene Gefährtin des mächtigen, durch Wahl ins Amt gekommenen Perikles, und sie mischte sich derart in die Staatsgeschäfte ein, dass das Volk von Athen ungehalten wurde.

Denn Aspasia war eine Ausländerin. Sie stammte aus Milet in Kleinasien (heute Türkei), einer Kolonie Griechenlands, und zog ungefähr zu jener Zeit nach Athen, als es Perikles gelungen war, eine Dauerfehde mit dem militärisch und wirtschaftlich konkurrierenden Stadtstaat Sparta vorläufig beizulegen. Der Frieden dauerte jedoch nicht lange, eine Provinz nach der anderen verweigerte die Tribute an die Führungsmacht Athen, der Peloponnesische Krieg (ab 431 v. Chr.) warf seine Schatten voraus. Die Athener fingen an, Perikles zu misstrauen, und dachten über seine Abwahl nach, zumal seine Beraterin, diese Frau aus der Fremde, ihnen ein Dorn im Auge war. Man warf Aspasia Götterlästerung vor – damals (und später) ein wohlfeiles Mittel, um unliebsame machtvolle Persönlichkeiten kalt zu stellen –und zerrte sie vor Gericht. Sie wurde freigesprochen.

Über Aspasias Jugend und ihren Bildungsweg wissen wir nichts. Sollte sie wirklich als Hetäre gearbeitet haben, muss sie aus kleinen Verhältnissen von Milet nach Griechenland aufgebrochen sein, um dort ihr Glück zu machen. Dass sie eine Hetäre war, ist aber nicht einmal ganz sicher. Manches spricht dafür, aber die Bezeichnungen, die ihr in den mannigfachen Kontexten, in denen ihr Name fiel, anhaften, können statt einer Berufsbezeichnung einfach nur Schimpfwörter gewesen sein. Denn beliebt war Aspasia nur in der intellektuellen Schicht, in der sie verkehrte. Das Volk sah in ihr eine Verführerin des Perikles, die von sonst woher kam, Regeln brach und eigentlich nicht mitreden durfte.

Dass sie das doch tat, dass sie auf Marktplätzen und bei Symposien an den dort stattfindenden Diskussionen teilnahm und somit das Verbot für Frauen, sich in der Öffentlichkeit zu zeigen und zu profilieren, überschritt, spricht für ihren außerordentlichen Mut und ihre Durchsetzungsfähigkeit. Allerdings hätte sie ihre beispiellose Karriere ohne die schützende Hand des Perikles kaum verfolgen können. Das Paar bekam einen Sohn, ebenfalls Perikles geheißen, der es zu einer hohen politischen Stellung brachte. Perikles (Vater) starb 429 v. Chr., bald nach Ausbruch des finalen Krieges mit Sparta. Die viel jüngere Aspasia heiratete nach seinem Tod noch einmal. Über den Verlauf dieser zweiten Ehe und den Zeitpunkt ihres Todes ist nichts bekannt.

KLEOPATRA VII.

DIE LETZTE KÖNIGIN DES PTOLEMÄER-REICHES

* um 69 v. Chr. in Alexandrien.

† 30 v. Chr. in Alexandrien

Die ägyptische Stadt Alexandria, in der Königin Kleopatra (wahrscheinlich im Jahre 69 vor unserer Zeitrechnung) zur Welt kam, hieß nach ihrem Gründer, dem mazedonischen Feldherrn Alexander dem Großen. Der hatte einst Ägypten unterworfen, das aber seiner Kraft und Ausstrahlung als Großmacht damals schon längst verlustig gegangen war und seit etwa zweihundert Jahren unter der Besatzung und Oberherrschaft der Perser litt. Alexander also konnte sich in Ägypten als Befreier von persischer Vormundschaft inszenieren, und das tat er auch. Einen seiner Generäle, Ptolemäus mit Namen, setzte er als Regenten auf den Pharaonenthron. Und so begann um das Jahr 320 v. Chr. die Dynastie der Ptolemäer in Ägypten. Man sprach Griechisch in dieser Oberschicht und bemühte sich, griechischen Lebensstil mit ägyptischer Tradition zu vereinbaren.

Kleopatra, Tochter des Ptolemäus XII., wurde in eine kriegerische Welt hineingeboren. Mittlerweile war Rom zur militärischen Vormacht im Mittelmeerraum aufgestiegen, die Ptolemäer hatten sich mit diesem neuen Imperium arrangieren müssen und kamen ganz gut mit ihm aus. Kleopatras Vater musste gegen Ende seines Lebens eines Aufstandes wegen nach Rom flüchten, um dort militärische Unterstützung zu erbitten; er kehrte mit einem Geleitzug römischer Soldaten zurück. Ein junger Kavallerist aus dieser Schutztruppe hieß Marcus Antonius; man sagt, er habe die fünfzehnjährige Königstochter Kleopatra damals schon kennen gelernt und nicht wieder vergessen. Deren Vater Ptolemäus sah sich derweil einer Hofintrige ausgesetzt, in deren Verlauf er seine eigene Tochter Berenike wegen Hochverrats zum Tode verurteilen ließ. Seine loyale Tochter Kleopatra bestimmte er zur Nachfolgerin. Diese heiratete nach altem ägyptischem Brauch (formell) ihren jüngeren Bruder Ptolemäus XIII., der noch ein Kind war, und übernahm mit ihm zusammen nach dem Tod des Vaters im Jahr 51 v. Chr. die Regierung Ägyptens. Bei ihrer Thronbesteigung war sie achtzehn Jahre alt.

Da ihr Vater ein kunstsinniger Herrscher gewesen war, der sich sehr um Bildung bemühte, geht man davon aus, dass Kleopatra und ihre Geschwister eine anspruchsvolle Erziehung genossen und sogar in Politik, Verwaltungswesen und Kriegskunst Grundkenntnisse erworben haben. Unterrichtet wurden sie auch in Musik, Malerei und Poesie. Neben ihrer Muttersprache Griechisch konnte Kleopatra Hebräisch und Arabisch. Interessant ist, dass sie auch Ägyptisch sprach, die Mundart des Volkes, die zu sprechen in der mazedonischen Führungsschicht unüblich war.

Als Co-Regentin eines Landes, das nicht unabhängig, sondern der Großmacht Rom tributpflichtig war, musste Kleopatra VII. von der ersten Stunde ihrer Regierung an taktieren und Rücksicht nehmen: auf die römische Garnison in ihrer Stadt und deren Befehlshaber im fernen Italien, auf den ägyptischen Untergrund, der die römische Vorherrschaft abschütteln wollte, auf das Volk, das sich gegen die hohen Steuern wehrte und auf den Hof und das Militär, die sich lange Zeit schon in Intrigen und Umsturzversuchen geübt hatten. Sie lernte viel über die Machtverhältnisse ihrer Zeit, wechselte die Allianzen, blieb im Wesentlichen aber Rom-freundlich. Das machte ihre Lage immer dann prekär, wenn Rom-feindliche Kräfte am Hofe und im Militär die Oberhand gewannen, wie es häufig vorkam. Die Ratgeber des minderjährigen Ptolemäus XIII. gehörten in ihrer Mehrheit zu dieser Rom-feindlichen Fraktion, sie brachten die Geschwister also gegeneinander in Stellung. Obwohl Kleopatra die Sprache des Volkes sprach, war sie in der Großstadt Alexandria nicht beliebt – man bevorzugte ihren unmündigen Bruder, dessen Ratgeber die Propaganda verbreiteten, ein unabhängiges Ägypten sei besser dran.

Caesar aber war bereits verheiratet. Und er wusste genau, dass eine Verstoßung seiner Frau Calpurnia und eine öffentliche Verbindung mit der ehrgeizigen Ägypterin ihm politischen Ärger einbringen würde. Also brachte er Kleopatra in einer seiner großartigen Villen am Tiber unter und feierte dort mit ihr rauschende Feste, weiter ging er nicht. Den Senatoren allerdings genügte die Anwesenheit der herrischen Pharaonin aus dem fernen Ägypten, um ihr Misstrauen gegen die Ambitionen Caesars aufs Äußerste zu steigern. Sie besannen sich auf ihre republikanischen Traditionen und ermordeten Caesar an den Iden des März im Jahre 44; es war ein Hinterhalt, einige der scheinbar treuesten Vasallen führten die Dolche. Kleopatra und die Ihren begriffen, was die Stunde geschlagen hatte. Um der Verhaftung zu entgehen, packten sie rasch ihre Körbe und Truhen und flohen des Nachts per Boot zurück an den Nil.

Nach dem Mord an Caesar bricht in Rom ein Bürgerkrieg aus. Der Offizier Marcus Antonius ist ein treuer Gefolgsmann seines Generals auch nach dessen Tod; er führt jetzt die Caesarianer gegen die Verschwörer an und stellt die Ehre Caesars mit seinem großen rhetorischen Talent wieder her. Kleopatra hat er mehr als einmal wieder gesehen; er weiß, dass er auch in ihrem Sinne handelt, wenn er reinen Tisch macht und die Attentäter streng bestraft. Eine Zeitlang regiert er als eine Art stellvertretender Konsul, gestützt auf seine Truppen, die Stadt und das Imperium. Dann meldet Octavian, der Adoptivsohn Caesars, von diesem testamentarisch zum Nachfolger bestimmt, seine Ansprüche an. Es kommt zum zweiten Triumvirat in Rom: Marcus Antonius, Octavian und der altgediente Caesarianer Lepidus teilen sich die Macht.

Kleopatra hat derweil in Alexandria viel zu tun, sie muss gegen Seuchen und Hungersnöte kämpfen und durch die Inthronisierung ihres kleinen Sohnes als Mitregenten ein Zeichen setzen: Sie steht zu den Caesarianern! Die fügen im Jahre 42 bei Philippi in Makedonien den Caesarmördern Crassus und Brutus eine schwere Niederlage zu. Jetzt ist Marc Anton der unumstrittene Sieger, es gilt, die neu errungene Macht zu festigen. Rom braucht mehr Soldaten, und Marc Anton erinnerte sich an Kleopatra. Ihr Land war, aller Nöte und Aufstände zum Trotz, immer noch reich, Marc Anton wollte es kennenlernen. Er schickte einen Kurier, der die Königin nach Tarsos (heute Süden der Türkei) laden sollte. Und Kleopatra erschien: in einem luxuriös ausgestatteten Schiff mit roten Segeln. Sie selbst soll den neuen Imperator in einem durchsichtigen Gewand empfangen und sofort verführt haben. Man kannte sich ja schon und musste nicht lange reden. Mark Anton folgt Kleopatra nach Alexandria und verbringt mit ihr die Tage und die Nächte. Noch einmal hat die ägyptische Königin den Lenker des weltweit größten Imperiums an ihre Seite gezogen, noch einmal will sie alles wagen und gemeinsam mit dem Sieger von Philippi die Welt regieren. Marc Anton und Kleopatra heiraten und bekommen Zwillinge. Seine neue Familie und die ägyptische Lebenslust mit ihren üppigen sinnlichen Freuden nehmen den siegreichen Feldherrn ganz gefangen. Und er macht den Fehler seines Lebens: Er vergisst Rom.

Rom aber hatte ihn nicht vergessen. Man verdammte ihn, der, statt Staatsgeschäften nachzugehen und endlich die versprochene militärische Hilfe zu schicken, einer Ägypterin hörig war und sie und ihre Kinder mit den Einkünften aus mühsam eroberten Provinzen überhäufte. Die politischen Gegner des Antonius bekamen Oberwasser. Auch seine Mitregenten im Triumvirat, vor allem Oktavian, übten öffentlich Kritik an diesem Knecht der Ptolemäer. Es blieb Antonius nichts anderes übrig, als nach Rom zurückzukehren.

Aber es war schon zu spät. Auch als Marc Anton die Schwester Octavians – ungeachtet seiner ehelichen Verbindung mit Kleopatra – heiratete, konnte er sich in Rom politisch nicht mehr halten. Octavian enthob den Gegner aller seiner römischen Befugnisse und erklärte Ägypten den Krieg. In der Seeschlacht von Actium im Jahre 31, zu der Kleopatra ihn gedrängt haben soll, erlitt Marc Anton eine vernichtende Niederlage. So, verlassen vom Kriegsglück und womöglich sogar von seiner Königin, stürzte er sich in sein Schwert.