Auswirkungen der Lateralität der unteren Extremitäten im Fußball - Carlo Ortmann - E-Book

Auswirkungen der Lateralität der unteren Extremitäten im Fußball E-Book

Carlo Ortmann

0,0

Beschreibung

“Andere erziehen ihre Kinder zweisprachig, ich beidfüßig.” (Christoph Daum) Sowohl im Sport als auch im Alltag neigt der Mensch dazu, eine Extremität bevorzugt für die Bewältigung alltäglicher oder sportspezifischer Aufgaben zu nutzen. Man spricht in diesem Zusammenhang von Lateralitäten bzw. Seitigkeiten. Im Fußball wird in Anlehnung an die bevorzugte Aufgabenverteilung der unteren Extremitäten in Spiel- und Standbein unterschieden. Inwieweit sich eine solche Seitendominanz auf die Leistungsfähigkeit eines Fußballers auswirkt, ist bislang noch nicht endgültig geklärt. Die Literatur weist größtenteils auf die Vorteile einer Beidfüßigkeit hin und empfiehlt ein dementsprechend angepasstes Techniktraining. Auf der anderen Seite sind viele der erfolgreichsten Fußballer unserer Zeit nach wie vor sehr „einseitig“ veranlagt und vermeiden Ballaktionen mit ihrem „schwachen“ Fuß. Dies könnte wiederum ein Indiz dafür sein, dass eine klare Aufgabenverteilung beider Beine möglicherweise auch Vorteile im Fußballspiel haben könnte. In dieser Arbeit werden die Relevanz und die Auswirkungen von Lateralität im Fußball analysiert und diskutiert und die tatsächlichen spielspezifischen Unterschiede in einer Querschnittsstudie aufgedeckt. Ziel der Studie ist es, die „Effektivität“ des Spielbeins und des Standbeins genauer zu untersuchen, um daraus Rückschlüsse auf die Lateralität der unteren Extremitäten und mögliche Auswirkungen auf das situative Spielverhalten von Fußballern zu ziehen und eine mögliche Seitendominanz besser einordnen zu können. Neben technischen Fertigkeiten mit Ball (Dribbling, Torschuss, Balljonglieren) werden die Probanden zusätzlich auf ihr Gleichgewicht und die Sprungkraft getestet.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern

Seitenzahl: 140

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Universität Potsdam

Humanwissenschaftliche Fakultät

Institut für Sportwissenschaft

Arbeitsbereich Trainings- und Bewegungswissenschaft

 

Verfasst von Carlo Ortmann

Matrikelnr.:

769102

E-Mail:

[email protected]

Erstgutachter:

Dr. Rainer Beurskens

Zweitgutachter:

Dr. Tom Krüger

Potsdam, im März 2015

Inhaltsverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Tabellenverzeichnis

1. Einleitung

2. Lateralität

2.1 Lateralität beim Menschen

2.2 Füßigkeit und Beinigkeit

2.3 Lateralität im Sport

3. Lateralität im Fußball

3.1 Technische Fertigkeiten und Lateralität

3.2 Motorisches Gleichgewicht und Lateralität

3.3 Kraftfähigkeiten und Lateralität

3.4 Training und Lateralität

4. Fragestellung (Studie)

5. Methoden

5.1 Stichprobe

5.2 Messinstrumente

5.2.1 Test 1: Dribbling

5.2.2 Test 2: Balljonglieren

5.2.3 Test 3: Torschuss

5.2.4 Test 4: Dreierhopp

5.2.5 Test 5: Gleichgewicht

5.3 Forschungsdesign

5.4 Auswertungsverfahren

6. Ergebnisse

6.1 Spielaktionen mit dem Ball sind mit dem Spielbein „effektiver“ als mit dem Standbein

6.2 Leistungsstärkere Fußballmannschaften weisen eine geringere Spiel-Standbein-Differenz hinsichtlich ihrer „Effektivität“ auf

6.3 Auf dem Standbein stehen die Probanden stabiler als auf dem Spielbein

6.4 Das Standbein ist sprungkräftiger als das Spielbein

7. Diskussion

7.1 Lateralitätsunterschiede bei ballspezifischen Spielaktionen

7.2 Ligaspezifische Leistungsunterschiede

7.3 Lateralitätsunterschiede beim motorischen Gleichgewicht

7.4 Lateralitätsunterschiede bei den Kraftfähigkeiten

7.5 Limitierungen der Untersuchung

8. Fazit/Ausblick

9. Literaturverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Abb. 1. Dominanzindex (nach Schilling, 1980)

Abb. 2. Differenzierungsaspekte der Lateralität (Thienes, 2000, S. 58)

Abb. 3. Füßigkeit, Seitenpräferenz beim Geschicklichkeitstest „Ballstoßen“ (Oberbeck, 1989, S. 34)

Abb. 4. Füßigkeit, Seitenpräferenz bei Absprüngen (Oberbeck, 1989, S. 39)

Abb. 5. Percentage of each action performed by the left and the right foot in left- and right-footed players (Carey et al., 2001, S. 860)

Abb. 6. Seitenpräferenzen bei erzielten Toren im Fußba

Abb. 7. Isokinetic knee flexion and extension strength (McLean & Tumilty, 1993, S. 261)

Abb. 8. Test 1: Dribbling (Desch & Lottermann, 2003, S. 4)

Abb. 9. Test 2: Balljonglieren (Desch & Lottermann, 2003, S. 7)

Abb. 10. Test 3: Torschuss (Desch & Lottermann, 2003, S. 6)

Abb. 11. Test 4: Dreierhopp

Abb. 12. Test 5: „single leg stance“

Abb. 13. Zeitmessungen beim Dribbling und beim Jonglieren in Abhängigkeit der Beinigkeit

Abb. 14. Vergleich der Schusskraft und Schussgenauigkeit in Abhängigkeit der Beinigkeit

Abb. 15. Korrelation der objektiven und der subjektiven Schusskraftbewertung

Abb. 16. „Effektivitätsdifferenzen“ zwischen Spiel- und Standbein in unterschiedlichen Leistungsklassen

Abb. 17. Gleichgewichtsuntersuchung von Spiel- und Standbein auf unterschiedlichen Unterlagen

Abb. 18. Sprungkraftuntersuchung von Spiel- und Standbein mit Hilfe des Dreierhopps

Tabellenverzeichnis

Tab. 1. Anthropometrische Daten

Tab. 2. Unterschiede der „Effektivität“ in Abhängigkeit von dem verwendeten Bein und der Ligazugehörigkeit

Tab. 3. Leistungen in Abhängigkeit der Spielklasse

Tab. 4. Präferenzmuster der Füßigkeit

1.Einleitung

“Andere erziehen ihre Kinder zweisprachig, ich beidfüßig.” (Christoph Daum)

Der Fußball fasziniert weltweit Milliarden von Menschen und ist wahrscheinlich die populärste Sportart der Welt. Diese Popularität geht jedoch nicht nur mit der Aufmerksamkeit der Zuschauer einher, sondern auch mit der Weiterentwicklung trainingswissenschaftlicher Gesichtspunkte und einer stetigen Steigerung der maximalen Leistungsfähigkeit. In allen Leistungs- und Hochleistungsbereichen steigen die Trainingsanforderungen, um mögliche Schwächen des Athleten oder des Teams zu eliminieren und Weltspitzenleistungen zu erreichen (Krüger, 2005). Bisanz und Gerisch (2013) nennen in diesem Zusammenhang die Kondition, die Technik und die Taktik als die Säulen der Leistungsfähigkeit im Fußball. Die fußballspezifische Technik ist die Fähigkeit, Fertigkeiten wie Ballannahme, Dribbeln, Passen, Schießen, Finten und Köpfen in hohem Tempo und in Drucksituationen umsetzen zu können (Geese, 2009). Die optimale Umsetzung dieser Fertigkeiten gelingt den allermeisten Fußballern jedoch nur mit einem Bein beziehungsweise Fuß, da sie eine klare Seitenpriorität beim Fußballspiel zeigen (Thömmes, 2011).

Sowohl im Sport als auch im Alltag neigt der Mensch dazu, eine Extremität bevorzugt für die Bewältigung alltäglicher oder sportspezifischer Aufgaben zu nutzen. Poeck und Hacke (2001) vermuten, dass die Dominanz einer Hirnhälfte für die Lateralisation der oberen und unteren Extremitäten verantwortlich ist. Bei den unteren Extremitäten wird in diesem Zusammenhang von Füßigkeit bzw. Beinigkeit gesprochen und zwischen dem dominanten Bein und nichtdominanten Bein unterschieden (Reimers, Gaulrapp & Kele, 2004). Im Fußball differenzieren einige Autoren in Anlehnung an die bevorzugte Aufgabenverteilung der unteren Extremitäten in Spiel- und Standbein (Strobel, 2009). Carey, Smith, Smith, Shepherd, Skriver, Ord und Rutland (2001) analysierten zehn Endrundenspiele der Fußball-WM 98 unter dem Aspekt einer Seitendominanz der unteren Extremitäten bei Aktionen mit Ball. Die Annahme, dass vermeintliche Linksfüßer oder vermeintliche Rechtsfüßer genau diesen Fuß für eine Großzahl ihrer Aktionen mit Ball nutzen würden, konnte bei dieser Untersuchung bestätigt werden. Linksfüßer nutzten demnach mit einer durchschnittlichen Wahrscheinlichkeit von 82,6% ihren linken Fuß und Rechtsfüßer mit einer durchschnittlichen Wahrscheinlichkeit von 81% ihren rechten Fuß bei Aktionen mit Ball (Carey et al., 2001).

Inwieweit sich eine solche Seitendominanz auf die Leistungsfähigkeit eines Fußballers auswirkt, ist bislang noch nicht endgültig geklärt. Die unvorhersehbare Spielanlage der Sportart Fußball lässt jedoch vermuten, dass eine beidseitige optimale Leistungsfähigkeit einen höheren Stellenwert als in anderen Sportarten haben könnte. In Sportarten in denen der Bewegungsablauf vorgegeben ist, scheint eine beidbeinige Ausführung nicht notwendig zu sein, denn wozu sollte z.B. ein Hochspringer lernen, mit dem schwächeren Bein abzuspringen, wenn sein Bewegungsablauf vorgegeben ist? In Spielsportarten dagegen wird ein hohes Maß an räumlicher Orientierung benötigt und es muss situativ schnell entschieden und mit hoher Präzision agiert werden (Stöckel, Hartmann & Weigelt, 2007). Das Lösen mancher Spielsituationen mit dem spielschwachen Bein, abhängig von der Position des Balles, des Gegners, des Mitspielers und der eigenen Position auf dem Spielfeld, scheint deshalb nur folgerichtig. Infolgedessen ist davon auszugehen, dass eine Beidfüßigkeit die Spielfähigkeit der Sportler positiv beeinflusst und sich im Leistungsniveau widerspiegeln könnte. Dies lässt vermuten, dass bei steigender Ligazugehörigkeit eine Zunahme der ballspezifischen Fertigkeiten des Standbeins beziehungsweise eine Abnahme der Spiel-Standbein-Differenz hinsichtlich ihrer ballspezifischen Fertigkeiten zu erwarten ist. Aus diesem Grund ist die Betrachtung der beidseitigen technischen Fähigkeiten von Fußballern, auch im Hinblick auf die Ligazugehörigkeit, besonders interessant.

Die Literatur weist größtenteils auf die Vorteile einer Beidfüßigkeit hin und empfiehlt ein dementsprechend angepasstes Techniktraining (Stöckel et al., 2007; Haaland & Hoff, 2003; Thömmes, 2011). Fischer (1988) erwähnt in diesem Zusammenhang sogar einen erhöhten Trainingseffekt eines bilateralen Trainings auf die dominante Seite. Demzufolge würde ein beidseitiges Training nicht nur die Leistungsdifferenz beider Seiten reduzieren, sondern zeitgleich für einen Leistungszuwachs insgesamt sorgen. Auf der anderen Seite sind viele der erfolgreichsten Fußballer unserer Zeit (z.B. Arjen Robben) nach wie vor sehr „einseitig“ und vermeiden Ballaktionen mit ihrem schwachen Fuß. Dies könnte wiederum ein Indiz dafür sein, dass eine klare Aufgabenverteilung beider Beine möglicherweise auch Vorteile im Fußballspiel haben könnte.

In dieser Arbeit sollen einerseits die Relevanz und die Auswirkungen von Lateralität im Fußball analysiert und diskutiert werden, anderseits die tatsächlichen spielspezifischen Unterschiede in einer Querschnittsstudie aufgedeckt werden. Zu Beginn der Arbeit wird die Lateralität grundsätzlich betrachtet und der Frage nachgegangen, welche Rolle sie beim Menschen spielt. Im Kontext dieser Fragestellung werden ihre Entstehung und ihre weitere Entwicklung beim einzelnen Individuum erörtert. Lateralitätsphänomene der unteren Extremitäten verlangen eine gesonderte Aufmerksamkeit, da sie offensichtlich fußballspezifisch einen besonders hohen Stellenwert aufweisen, und unterschiedliche Unterscheidungsformen diskutiert und geklärt werden müssen, um sie anschließend richtig einordnen zu können. Im Anschluss werden die erlangten Erkenntnisse bezüglich verschiedener Lateralitäten auf den Sport übertragen, indem analysiert wird, welche Sportarten bestimmte Lateralitäten aufweisen und welche Bedeutung diesen zukommt. Der Fußball wird folgend gesondert betrachtet und die Sinnhaftigkeit und die spielbestimmenden Ausmaße von Beindominanzen erörtert. Hierzu werden anhand der relevanten motorischen Fähigkeiten im Fußballsport Vermutungen angestellt, welche Seitigkeitsphänomene der unteren Extremitäten in welcher Ausprägung den Erfolg des einzelnen Fußballers und der Mannschaft beeinflussen könnten. Ein besonderes Augenmerk gilt in diesem Zusammenhang den einzelnen technischen Fertigkeiten, den Kraftfähigkeiten der Beine und dem motorischen Gleichgewicht der Spieler. Zusätzlich wird der Frage nachgegangen, welchen Stellenwert die Lateralität im Training hat beziehungsweise haben sollte und welche motorisch-nervalen Prozesse während des Trainings ausgelöst werden. Im Anschluss werden anhand einer Studie die gesammelten Erkenntnisse und Einschätzungen überprüft und analysiert.

Ziel der Studie ist es, die „Effektivität“ des Spielbeins und des Standbeins genauer zu untersuchen, um daraus Rückschlüsse auf die Lateralität der unteren Extremitäten und mögliche Auswirkungen auf das situative Spielverhalten von Fußballern zu ziehen und eine mögliche Seitendominanz besser einordnen zu können. Um das Phänomen „Lateralität im Fußball“ zu untersuchen, werden Fußballmannschaften aus unterschiedlich starken Amateur-Ligen (Landesliga, Kreisliga und Freizeitliga) getestet, um eventuelle Zusammenhänge des Leistungsniveaus und der Seitenbevorzugung in Spielsituationen zu evaluieren. Neben isolierten Spielsituationen mit Ball werden die Probanden zusätzlich auf ihr Gleichgewicht und die Sprungkraft getestet. Eine daraus resultierende weiterführende Überlegung ist, ob bei Fußballern tatsächlich von einem „dominanten Bein“ gesprochen werden kann, oder vielmehr eine Aufgabenspezialisierung in Form eines Spiel- und eines Standbeins vorliegt. Demnach hätte das Spielbein die Aufgabe den Ball in allen fußballspezifischen Bewegungshandlungen mit Ball, wie Schießen, Passen, Flanken, Dribbling etc., erfolgsorientiert zu verarbeiten, und das Standbein hätte die Aufgabe das komplette Körpergewicht des Sportlers zu tragen und im Gleichgewicht zu halten. Das Standbein hat folglich möglicherweise ein höheres Kraftpotenzial und kann den kompletten Bewegungsapparat koordinativ besser im Gleichgewicht halten und kann unter diesen Teilaspekten auch als dominant bezeichnet werden. Auf der anderen Seite könnte das Spielbein die ballinvolvierenden Bewegungshandlungen koordinativ perfektionieren. Demnach wäre zu erwarten, dass mit dem Standbein sowohl bei dem Gleichgewichtstest als auch bei einem Sprungtest und mit dem Spielbein bei den Spielsituationen mit Ball bessere Ergebnisse erzielt werden. Dies würde auf eine Dominanzaufteilung beider Beine auf Teilbereiche des gesamten Bewegungsablaufs hinweisen, was für eine festgelegte Seitenspezialisierung sprechen könnte. Im Falle einer derartigen Seitenspezialisierung müsste weiterführend erörtert werden, ob ein solcher Ist-Zustand auch den optimalen wettkampforientierten Sollzustand verkörpert, oder beide Beine die Aufgaben des jeweils anderen Beins situativ übernehmen können sollten, um das höchst mögliche Leistungspotential während des Wettkampfes abrufen zu können.

Ziel der Arbeit ist es also, den motorischen Ist-Zustand eines Fußballers zu analysieren und mögliche Konsequenzen in Bezug auf die Leistungsfähigkeit zu diskutieren.

2.Lateralität

Um zu verstehen welchen Stellenwert Lateralität im Fußball hat, muss zunächst auf Lateralität grundsätzlich und speziell beim Menschen eingegangen werden. Es existieren verschiedene Formen und Ausprägungen von Lateralitäten, die sich durch unterschiedliche Strukturen und Funktionen auszeichnen. Ullmann (1974, S. 25) definierte die Lateralität oder Seitigkeit als „die Ausprägung in Bau und Funktion von paarig angelegten Organen“. Auf motorischer Ebene kann von einem „Dominieren einer bestimmten Seite und damit verbunden einer sensorischen und motorischen Bevorzugung“ gesprochen werden (Dietrich, 2002, S. 13). Die sensorische Lateralität beschreibt in erster Linie die Symmetrie oder Asymmetrie hinsichtlich der Wahrnehmung von Augen und Ohren. Bei der motorischen Bevorzugung spielen die Seitigkeitsphänomene Händigkeit, Füßigkeit bzw. Beinigkeit und die Drehseitigkeit eine entscheidende Rolle. Lateralitätsausprägungen betreffen ebenfalls Areale des zentralen Nervensystems, im Fokus stehen hierbei die Hemisphärendominanzen (Thienes, 2000).

Man unterscheidet zwischen der Rechtsseitigkeit (Dextralität), der Linksseitigkeit (Sinistralität) und der Beidseitigkeit (Bilateralität/ Ambilateralität) (Kiese & Henze, 1988). Dabei können die Seitenpräferenzen zwischen den unteren und oberen Extremitäten übereinstimmen (Seitenkonkordanz) oder eine gekreuzte Seitigkeit vorliegen (Seitendiskordanz), bei der beispielsweise das linke Bein bei einem Rechtshänder dominant ist (Fischer, 2004).

Grundsätzlich muss zwischen der angeborenen und der erworbenen Lateralität unterschieden werden (Oberbeck, 1989). Die angeborene oder genuine Lateralität ist weder pathologisch noch durch Umweltfaktoren beeinflusst, ihr steht lediglich die individuelle Morphologie zu Grunde (Ullmann, 1974). Morphologische Unterschiede können Abweichungen der Masse, des Gewichts oder der Struktur von paarig angelegten Organen sein (Thienes, 2000). Auf der anderen Seite steht die erlernte Seitendominanz, die nicht zwangsläufig mit der Morphologie in Verbindung stehen muss und im Laufe des Lebens entwickelt wird. Diese kann sich durch reifungsbiologische Faktoren (z.B. Lernprozesse einer Gehirnhälfte während des Spracherwerbs), soziokulturelle Faktoren (z.B. Erziehung zur Rechtshändigkeit) oder durch pathologische Prozesse (z.B. Verletzungen von Gliedmaßen) entfalten (Wirth, 2000). Fischer (1988) weist darauf hin, dass grundsätzlich beide Faktoren für die Bildung der individuellen Lateralität verantwortlich sind und niemals nur einer der Faktoren allein ausschlaggebend ist. Darüber hinaus kann nicht von einem interindividuell gleichen Verhältnis beider Aspekte ausgegangen werden, die Einflusskomponenten müssen individualspezifisch betrachtet werden (Fischer, 1988).

Vor allem die Entwicklung des Gehirns scheint bei der Ausbildung von Lateralitäten eine entscheidende Rolle zu spielen (Thienes, 2000). Bereits im 19. Jahrhundert wurden funktionelle Asymmetrien im Gehirn beschrieben, wobei zu diesem Zeitpunkt die daraus resultierenden Mechanismen nur unzureichend bekannt waren. Die Medizin konnte jedoch immer mehr Zusammenhänge zwischen dem Gehirn und darin auftretenden Spezialisierungen mit Seitendominanzen, Sprache und Verhalten verknüpfen (Schneider & Fink, 2013).

2.1Lateralität beim Menschen

Dietrich (2002, S. 13) weist auf den besonders hohen Stellenwert der Lateralität beim Menschen hin, denn „je höher ein Lebewesen in der Entwicklungsreihe steht, um so öfter treten Ungleichheiten (Asymmetrien) der Form“ auf. Lateralitätsphänomene können dabei spezifische Areale des Nervensystems und Erfolgsorgane, wie paarig angelegte Sinnesorgane und Gliedmaßen, die an Bewegungen beteiligt sind, betreffen (Thienes, 2000). Experimentelle Untersuchungen haben ergeben, dass bei den meisten Menschen eine eindeutige Bevorzugung einer Seite und eine nachweislich höhere Geschicklichkeit bei bestimmten Bewegungen und Tätigkeiten vorliegen. Betroffen sind hierbei sowohl Körperteile wie Hände und Füße als auch Sinnesorgane wie Augen und Ohren (Dietrich, 2002). Insgesamt kann zwischen den Seitigkeitsphänomenen Händigkeit, Füßigkeit bzw. Beinigkeit, Drehseitigkeit, Äugigkeit, Ohrigkeit, Züngigkeit und Hirnigkeit unterschieden werden. Den Phänomenen Händigkeit, Füßigkeit und Drehseitigkeit (i.w.S. Wendigkeit), welche direkt an der Bewegungsausführung beteiligt sind, kommt im Kontext Sport ein besonderer Stellenwert zu. Im Fußball und in dieser Arbeit wird der Füßigkeit die größte Aufmerksamkeit geschenkt, da eine Lateralität der unteren Extremitäten mutmaßlich direkt mit der Leistungsfähigkeit von Fußballern verknüpft ist.

Die Entwicklung einer Lateralität beginnt schon im frühen Kindesalter. Kinder können bereits im Säuglingsalter eine Dominanz in Form einer priorisierten Richtung des Kopfdrehens herausbilden. Die Entwicklung der Händigkeit lässt sich hingegen häufig nach ca. neun Monaten beobachten. In der Regel ist die Lateralität mit fünf Jahren ausgebildet, wobei die Entwicklung bei Mädchen häufig etwas früher abgeschlossen ist als bei Jungen (Wirth, 2000).

Die Dominanz einer Seite lässt sich weiterhin in Präferenzdominanz und Leistungsdominanz unterscheiden, welche zu unterschiedlichen Entwicklungsstadien ausgebildet werden. Die Präferenzdominanz zeichnet sich durch spontane tägliche Tätigkeiten wie Zähneputzen oder einen Ball mit einer Hand werfen oder mit dem Fuß schießen etc. aus. Sie lässt sich bereits nach ca. 16 Monaten bestimmen. Die Leistungsdominanz zeichnet sich durch Tätigkeiten aus, „bei denen Schnelligkeit und Genauigkeit eine Rolle spielen, z.B. das schnelle Auffädeln von Perlen“ (Knauf, Umbach & Kormann, 2006, S. 15), und ist erst nach etwa 5–6 Jahren messbar entwickelt (Wirth, 2000). So wie die Präferenzdominanz bei einem Menschen bei unterschiedlichen Aktionen variieren kann, kann auch die Leistungsdominanz, abhängig von dem überprüften Fähigkeitsbereich, unterschiedlich ausgeprägt sein (Schilling, 1980). In den meisten Fällen stimmen beide Dominanzformen überein (Knauf et al., 2006), können jedoch auch gegenläufig ausgeprägt sein (Thienes, 2000).

Bei den Menschen spielt die Dominanz der beiden Gehirnhälften (Hemisphären) bei der Entwicklung von spezifischen Tätigkeiten hinsichtlich ihrer Lateralität eine entscheidende Rolle (Ullmann, 1974). Jackson (1880) formulierte bereits das „Konzept der führenden Hemisphäre“, aufbauend auf den Untersuchungen von Broca (1865), und ebnete damit den Weg für die Lateralitätsforschung. Unter der zerebralen Dominanz (Hemisphärendominanz) versteht Wirth (2000, S. 66) die „spezifische menschliche Fähigkeit zur asymmetrischen Spezialisierung der beiden Hirnhälften für verbale und nichtverbale Funktionen“. Die linke Hirnhälfte zeigt eine „deutliche Dominanz für das Verstehen, Wahrnehmen, Verarbeiten und Produzieren von Sprache“, die rechte Hirnhälfte repräsentiert stärker die „räumliche Wahrnehmung und Orientierung“ (Thienes, 2000, S. 58). Anatomisch und feingeweblich gibt es nach Wirth (2000) kaum Unterschiede zwischen beiden Hirnhälften, lediglich das Planum temporale, ein Areal der temporalen Sprachregion welches für das Sprachverständnis zuständig ist, ist bei 65% der Bevölkerung links etwa einen Zentimeter größer als auf der rechten Seite. Dies ist jedoch ein angeborenes Phänomen, welches schon bei Neugeborenen festgestellt werden kann (Wirth, 2000). Thienes (2000) verweist darüber hinaus auf Unterschiede der Größe und Anordnung der Hirnwindungen beider Hemisphären, welche ein Indiz für eine unterschiedlich funktionelle Entwicklung beider Hirnhälften sein könnten.

Das Gehirn steuert jede Bewegung des Körpers, wobei beide Hemisphären vorwiegend für jeweils eine Körperseite zuständig sind. Während der frühen Säuglingsphase liegt noch eine homolaterale Steuerung des Bewegungsapparats vor, bei der die rechte Gehirnhälfte die rechte Körperseite steuert und umgekehrt. Bei dieser Form der neuronalen Verknüpfung wird jeweils nur eine Gehirnhälfte zur gleichen Zeit aktiviert. Im Verlauf der frühkindlichen Entwicklung, in der die Bewegungsumfänge zunehmen und das Kind zu krabbeln beginnt, werden Nervenbahnen aktiviert, die beide Hemisphären mit der jeweils entgegengesetzten Körperseite verbinden. Es kommt im Laufe der Zeit zu einer Überkreuzsteuerung der Hemisphären mit der jeweiligen gegenüberliegenden Seite des Bewegungsapparats. Das Corpus callosum, eine querlaufende Verbindung zwischen beiden Gehirnhälften, verknüpft dabei die Prozesse zwischen rechter und linker Gehirnhälfte. Diese Neuverknüpfung ermöglicht das gleichzeitige Arbeiten beider Gehirnhälften und die damit verbundene optimale Steuerung des kompletten Bewegungsapparats. Die Überkreuzsteuerung und Prozessverknüpfung hilft dabei, Neues nicht nur einseitig zu erfassen und führt zu einem schnelleren und effektiveren Lernen beider Gehirnhälften (Gräbe, 2014).