Authentizität - Stephen Joseph - E-Book

Authentizität E-Book

Stephen Joseph

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  • Herausgeber: Kailash
  • Kategorie: Ratgeber
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2017
Beschreibung

Jeder von uns wird als Original geboren. Und je mehr wir uns in dieser Einzigartigkeit ausdrücken, desto glücklicher sind wir. Wir kommen in unsere Kraft, finden Sinn und Bestimmung, kurz: wir blühen auf, wie aktuelle wissenschaftliche Studien belegen. Stephen Joseph, einer der führenden Vertreter der Positiven Psychologie, hat viele Jahre über Authentizität geforscht. Seine Erkenntnisse, kombiniert mit Fallstudien und philosophischer Weisheit, bilden die Grundlage für sein Drei-Schritte-Übungsprogramm: Sich selbst und seine Bedürfnisse wirklich kennen, Selbstverantwortung übernehmen, sich selbst treu bleiben – das ist die Authentizitäts-Formel für ein gelingendes Leben.

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Seitenzahl: 346

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Stephen Joseph

Authentizität

Die neue Wissenschaft vom geglückten Leben

Aus dem Englischen vonElisabeth Liebl

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.

Die englische Originalausgabe erschien 2016 unter dem Titel» Authentic: How to Be Yourself and Why It Matters«bei Piatkus, einem Imprint von Little, Brown Book Group, einem Unternehmen von Hachette UK, London.1. AuflageDeutsche Erstausgabe © 2017 Kailash Verlag, Münchenin der Verlagsgruppe Random House GmbH,Neumarkter Straße 28, 81673 MünchenCopyright © Stephen Joseph 2016 Lektorat: Christina KnülligUmschlaggestaltung: ki 36 Editorial Design, Daniela Hofner, Münchenunter Verwendung der Vorlage von © ParentSatz: Uhl + Massopust, AalenISBN 978-3-641-21200-1V002www.kailash-verlag.de

Im Gedenken an Carl R. Rogers (1902–1987), der uns zeigte, dass wir am meisten wir selbst sind, wenn wir in guten Beziehungen mit anderen Menschen leben

Inhalt

Dies über alles: Sei dir selber treu

Dank

1 Die Authentizitätsformel

Teil I: Wie Sie ganz Sie selbst sein können

2 Wir sind dazu geboren, wir selbst zu sein

3 Wie es kommt, dass wir von unserem ureigensten Weg abweichen

4 Wie Sie lernen, auf Ihre innere Stimme zu hören

5 Wie sehen Ihre Abwehrmechanismen aus?

Teil II: Warum Authentizität zählt

6 Ein gelingendes Leben

7 Die Authentizitätsskala

Teil III: In drei Schritten zur Authentizität Dreißig praktische Übungen zum Ausprobieren

8 Schritt 1 – Erkenne dich selbst

9 Schritt 2 – Steh zu dir

10 Schritt 3 – Sei ganz du selbst

Teil IV: Authentisches Leben im 21. Jahrhundert

11 Wie Sie die Authentizität Ihrer Kinder fördern

12 Wie Sie ein vergiftetes Arbeitsklima verbessern und authentische Führungsqualitäten entwickeln

13 Wie Sie authentische Beziehungen leben

14 Zu guter Letzt

Anhang I: Wie glücklich sind Sie?

Anhang II: Wie und wo Sie professionelle Hilfe finden

Zum Weiterlesen

Anmerkungen

Dies über alles: Sei dir selber treu

Mit diesen Worten aus Shakespeares Hamlet ermutigt Polonius seinen Sohn Laertes, ein erfülltes Leben zu führen, ohne sich selbst zu betrügen1. Schon immer haben Philosophen und andere Gelehrte darüber nachgedacht, was es heißt, man selbst zu sein und sein Leben diesem Selbst getreu auszurichten. Die Psychologie hingegen hat überraschenderweise erst in den letzten zehn Jahren begonnen, sich mit Polonius’ weisem Ratschlag zu beschäftigen.2

Auf den Begriff der Authentizität bin ich erstmals während meiner Ausbildung zum Psychotherapeuten gestoßen. Das war in den Neunzigerjahren. Damals habe ich die Schriften eines der bekanntesten Psychologen des 20. Jahrhunderts studiert: Carl Rogers. Er vertrat die Ansicht, dass ein Mensch dann authentisch lebt, wenn er ein selbstbestimmtes Leben führt. In seinen Augen war dies jedoch kein unveränderlicher Zustand, sondern ein lebenslang fortdauernder Prozess. Unser Zusammenleben mit anderen Menschen fordert uns einen ständigen Balanceakt ab. Einerseits müssen wir zusehen, wie wir unsere eigenen Bedürfnisse verwirklichen. Andererseits müssen wir uns anderen gegenüber so verhalten, wie es in den jeweiligen Beziehungen von uns gefordert ist. Authentizität setzt voraus, dass jemand sich selbst kennt, sich seiner Gefühle bewusst ist und sie anderen gegenüber ehrlich äußern kann. Rogers sprach von der Fähigkeit, »kongruent« – das heißt stimmig – zu leben. Diese machte für ihn ein »gelingendes Leben« erst möglich. »Ein gelingendes Leben« war für Rogers eines, das von Sinn erfüllt ist, vom ständigen Streben nach Authentizität.

Durch seine Arbeit als Psychotherapeut war Rogers zu der Überzeugung gelangt, dass es Menschen, die Hilfe brauchten, meist an Authentizität fehlte. In seinen Augen waren seelische Probleme häufig Ausdruck dafür, dass das Leben aus der Balance geraten war. Er sah diese Gefühle als Hilfeschrei nach mehr Authentizität.

Um seinen Patienten zu einem authentischeren Leben zu verhelfen, entwickelte Rogers eine neue Form der Therapie: die klientenzentrierte Psychotherapie. Sie beruhte auf der Vorstellung, dass Menschen, die sich akzeptiert fühlen, so wie sie sind, sich nicht zu verstellen brauchen. Sie haben es nicht nötig, sich selbst und anderen etwas vorzumachen. Stattdessen lassen sie sich von ihrer inneren Stimme der Weisheit leiten. Dadurch treffen sie authentischere Entscheidungen auf ihrem Lebensweg, und ihr Leben nimmt ganz automatisch eine neue Richtung, einen neuen Sinn und Zweck an.3

Als ich später an der Universität selbst Psychologie lehrte, faszinierten mich Carl Rogers’ Ideen immer noch. Zugleich musste ich überrascht feststellen, wie wenig sie noch durch empirische Forschung belegt waren. Wie folgerichtig und exakt seine Beobachtungen waren, war seit Rogers’ Tod im Jahr 1987 bei der jungen Generation der Psychologen in Vergessenheit geraten. Erst als sich die Positive Psychologie herausbildete und die Forschung über das gute Leben zum Thema machte, griffen die Wissenschaftler diesen Ansatz aus früheren Jahren wieder auf.

Davor beschäftigte sich die Psychologie nur mit den dunklen Seiten im Leben der Patienten, mit Depressionen, Angststörungen und all den anderen Leiden der Seele. Wenn es jemandem gut ging, nun, dann hatte er einfach keine derartigen Probleme. Nur wenige Psychologen interessierten sich dafür, wie es zum Gefühl der Zufriedenheit, ja des Glücks kam, und forschten jenseits dessen, was ich den »Nullpunkt« nenne.4

Etwa zu jener Zeit, in der ich mich für Carl Rogers’ Ideen zu begeistern anfing, begann auch meine Zusammenarbeit mit Alex Linley, einem sehr begabten Studenten. Er hatte gerade sein Psychologiestudium abgeschlossen und wollte bei mir promovieren.5 Alex war Feuer und Flamme für die Positive Psychologie, die sich damals noch ganz im Anfangsstadium befand, allmählich aber auf größeres Interesse in der Wissenschaftscommunity stieß. Er erkannte, welch ungeheures Potenzial in der Vorstellung von einem authentischen Leben steckt. Wir beide wollten deshalb herausfinden, ob man Authentizität messen kann und ob sie tatsächlich die Grundvoraussetzung ist für ein glückliches und erfülltes Leben. Zusammen erstellten wir eine Liste mit Fragen, die uns wichtig erschienen. Später entwickelten wir zusammen mit anderen Studenten und Kollegen wie Alex Wood, John Maltby und Michael Baliousis den ersten psychometrischen Test, der auf Carl Rogers’ Authentizitätstheorie beruhte: die Authentizitätsskala.6

Wir wollten wissen, ob authentischere Menschen glücklicher waren. Daher verglichen wir eine Reihe von personenbezogenen Faktoren, durch die sich glückliche von unglücklichen Menschen unterscheiden. Unsere Resultate ergaben, dass der Faktor, aus dem sich zuverlässig ein hoher Grad an Lebenszufriedenheit ablesen lässt, tatsächlich die gelebte Authentizität war. Die Authentizitätsskala wird heute von vielen Forschern und Psychologen verwendet. Sie trug einiges dazu bei, der neuen Wissenschaft von der Authentizität den Weg zu ebnen. Diese lehrt uns, dass wir am ehesten zu einem erfüllten Leben finden, wenn wir authentisch leben.

Wie wichtig Authentizität für unser Leben ist, habe ich nicht nur in der sterilen Welt der Laborforschung erfahren. Ich hatte inzwischen eine neue Aufgabe übernommen: Ich war stellvertretender Leiter des Centers for Trauma, Resilience and Growth in Nottingham geworden. Zusammen mit meinem Kollegen Steve Regal beschäftigte ich mich dort mit den bemerkenswerten Veränderungen bei Menschen, die Opfer von traumatischen Erlebnissen oder Schicksalsschlägen geworden waren. Die meisten unserer Patienten litten unter posttraumatischem Stress. Verblüffenderweise berichteten viele von ihnen, dass gerade die Tatsache, dass sie dem Tod so nahe gekommen waren, ihnen im Leben neue Möglichkeiten eröffnet und sie gestärkt hatte. Die Positive Psychologie bezeichnet solche positiven Veränderungen als posttraumatisches Wachstum.7 Bei meiner Arbeit wurde schnell deutlich, dass alle Überlebenden ein gemeinsames Merkmal verband: der neu entstandene Wunsch nach einer Lebensweise, bei der sie sich selbst treu sein konnten. Das kennzeichnende Merkmal posttraumatischen Wachstums schien zu sein, dass die Menschen ihre Lebensgeschichte neu interpretierten, sie mit ihren Zielen und Werten in Einklang zu bringen versuchten, sodass ihr Leben dadurch kohärenter – schlüssiger – wurde. Offensichtlich wirkte die traumatisierende Erfahrung wie ein Katalysator für den Wunsch nach einem authentischeren Leben. Mir schien dies die eigentliche Triebkraft hinter dem posttraumatischen Wachstum zu sein.8

Das Streben nach Authentizität beschert uns kein Leben ohne Schmerz, Angst, Trauer oder Sorge. Aber es erlaubt uns, klare Ziele zu verfolgen und unser Leben mit Sinn zu erfüllen. Vor allem, wenn wir mit Leid konfrontiert sind. Ein Trauma führt uns vor Augen, wie kurz und kostbar unser Leben ist. Es bewirkt, dass wir unser Augenmerk auf das legen, was wirklich zählt, um das Leben bewusst genießen zu können. Wenn wir Glück haben, kommen wir ohne Traumata durchs Leben. Doch ein Leben ohne belastende Ereignisse hat häufig zur Folge, dass wir wie Schlafwandler durchs Leben gehen, weil uns kein Weckruf auf das verweist, was wirklich wichtig ist. Es ist nachgerade tragisch, dass so viele Menschen erst durch den bevorstehenden eigenen Tod oder den ihrer Lieben merken, dass sie sich ihr Lebtag lang auf die falschen Dinge konzentriert haben. Erst im Angesicht von Tragödien und Verlusten lernen wir zu schätzen, was wir hatten, und fangen an, unser Leben authentischer zu gestalten.

Natürlich fing ich allmählich an, mich zu fragen, wie ich meinen Patienten diese Erkenntnis von Trauma-Überlebenden wohl am besten vermitteln konnte. Müssen wir wirklich erst Opfer einer Katastrophe werden, ehe wir uns deren kostbare Weisheit zu eigen machen können? Oder besteht die Möglichkeit, ganz einfach heute schon den Weg der Authentizität zu beschreiten? Meiner Erfahrung nach lautet die Antwort auf letztere Frage schlicht Ja. Wenn wir wollen, können wir aus der Erfahrung anderer lernen. Wir müssen uns zu erkennen bemühen, was wirklich zählt: ein authentisches Leben.

Bronnie Ware, Palliativschwester in Australien, fand heraus, was Sterbende am häufigsten an ihrem Leben bereuen: Nicht den Mut aufgebracht zu haben, sich selbst treu zu sein.9 So war es auch bei meinem Vater, der an Krebs erkrankt war. Als er bereits ans Bett gefesselt und sehr schwach war, sah er eines Abends zu mir herüber und sagte: »Ich habe mir mein Leben lang über unwichtige Dinge den Kopf zerbrochen. Mach es besser, genieß das Leben, es geht so schnell vorbei.« Ein paar Tage später verschlechterte sich sein Zustand, und er musste ins Krankenhaus gebracht werden. Damals hatte er seit Wochen das Haus nicht mehr verlassen. Ich weiß noch, wie er dastand, die frische Herbstluft einsog und dabei fast genüsslich seufzte, als man ihn zum letzten Mal über die Türschwelle trug.

Anlässlich der Beerdigung meines Vaters erinnerte ich mich daran, dass er immer wieder erwähnt hatte, wie gerne er Saxofonist geworden wäre. Er liebte den Jazz von ganzem Herzen. Stattdessen hatte er sein Leben lang einen Beruf ausgeübt, den er hasste. Da kein Gottesdienst abgehalten wurde, hielt ich selbst die Grabrede. Ich bat die Trauergemeinde, sich vorzustellen, dass irgendwo in einem Jazzkeller nun ein neuer Saxofonist die Bühne betreten würde. Es ist ein höchst tröstlicher Gedanke, dass uns nahestehende Menschen im Jenseits vielleicht ein Leben führen können, das ihnen mehr entspricht als das, in dem wir sie kannten.

Mit der Zeit habe ich verstanden, dass alle Hilfesuchenden etwas gemeinsam haben: den Wunsch nach einem authentischeren Leben. Viele Menschen, die mich aufsuchen, sind unzufrieden mit den Entscheidungen, die sie einmal getroffen haben. Sie wünschen sich, sie hätten einen anderen Wohnort, Beruf oder Ehepartner gewählt. Oft werden solche Gedanken übermächtig, weil sich der Hilfesuchende fragt, ob es vielleicht schon zu spät ist, um noch etwas zu verändern. Nicht man selbst sein zu können im Leben ist quälend. Häufig liegt genau da die Wurzel der Probleme, denen Psychotherapeuten und Psychiater in ihren Kliniken begegnen. Dabei ist die Sehnsucht nach Authentizität nicht nur hilfesuchenden Menschen eigen. Authentizität ist für uns alle eine wesentliche Antriebskraft.

Wir alle denken von Zeit zu Zeit darüber nach, welche Form unser Leben angenommen hat und ob wir ihm nicht vielleicht eine neue Richtung geben sollten. Die Entscheidungen, die wir im Leben treffen, werden bestimmt von den Werten, die uns zu jenem Zeitpunkt wichtig sind. Und diese können sich mit der Zeit verändern. Wer alles der Karriere geopfert hat, vermisst vielleicht später tragfähige persönliche Bindungen. Umgekehrt trauert jemand, für den die Familie alles war, irgendwann mal verpassten Karrierechancen nach.

Überlegen Sie sich genau, was im Leben wirklich für Sie zählt. Denn Ihre Entscheidungen sind ausschlaggebend für Ihr Wohlbefinden, das Funktionieren Ihrer Beziehungen, Ihren beruflichen Erfolg sowie die Bilanz Ihres Lebens, die Sie früher oder später ziehen werden. Wie ich in diesem Buch zeigen möchte, setzen sinnvolle Entscheidungen voraus, dass Sie sich selbst kennen, zu sich stehen und ganz Sie selbst sein können, in jedem Augenblick. Das jedenfalls ist die Formel für ein authentisches Leben.

Authentizität ist maßgeblich für sämtliche Interaktionen im Leben, egal, ob sie zwischen Eltern und Kindern, Lehrern und Schülern, Arbeitgebern und Arbeitnehmern, Arbeitskollegen, Freunden oder Sexualpartnern stattfinden. Dazu gehört auch die Fähigkeit, klar mitteilen zu können, was uns wichtig ist. Was ich über Authentizität zu sagen habe, stützt sich weitgehend auf die Weisheit des altgriechischen Philosophen Aristoteles, auf die Ideen der Humanistischen Psychologie des 20. Jahrhunderts mit Vertretern wie Carl Rogers und Abraham Maslow sowie auf aktuelle empirische Forschungsarbeiten auf dem Gebiet der Positiven Psychologie.

Voraussetzung für ein gutes Leben ist, dass wir unser angeborenes Potenzial nutzen. Unsere ureigensten Charakterstärken, Fähigkeiten und Begabungen machen jeden von uns zu einem ganz einzigartigen Menschen. Wie eine Pflanze, die ausreichend Wasser und Sonnenlicht erhält, blühen wir auf, wenn unsere Grundbedürfnisse befriedigt werden. Das soll nun nicht heißen, dass unser Weg vorbestimmt ist. Aber wenn unsere elementaren Bedürfnisse erfüllt sind, werden wir ungehindert wachsen und das Beste aus uns machen können.

Dabei sind wir umso glücklicher, je mehr wir ganz wir selbst sein können. Und je glücklicher wir sind, desto mehr tragen wir zum Wohlbefinden der Menschen in unserem Umfeld bei. Bleiben unsere Möglichkeiten hingegen ungenutzt, fühlen wir uns zunehmend niedergeschlagen und wertlos, neigen mitunter gar zu selbstzerstörerischem Verhalten. Natürlich entstehen nicht alle psychischen Probleme aus einem Mangel an Authentizität in unserem Leben. Aber doch so einige, vielleicht sogar der Großteil.

Menschen, die mir zum ersten Mal begegnen und erfahren, dass ich als Psychotherapeut tätig bin, stellen mir immer wieder dieselbe Frage. Nämlich ob es mich nicht bedrückt, ständig mit den Leidensgeschichten anderer Menschen konfrontiert zu sein. Manchmal ist das tatsächlich nicht einfach. Viel häufiger aber stärkt meine therapeutische Arbeit meine ganz persönliche Entschlossenheit, ein authentisches und sinnerfülltes Leben zu führen.10 Ich habe von meinen Klienten gelernt, dass wir durchaus eine Kehrtwendung in unserem Leben vornehmen können. Wir müssen es nur wollen.

Meine Klienten und meine Forschung haben mich angespornt, selbst zu einem authentischeren Leben zu finden. Nun hoffe ich, dass dieses Buch auch Sie dazu ermutigt.

Wie Sie aus diesem Buch am meisten Nutzen ziehen

Die Positive Psychologie widmet sich mittlerweile vermehrt der Erforschung der Authentizität, weil man erkannt hat, dass diese eine tragende Säule für ein gelingendes Leben ist. Daher werde ich die neuesten empirischen Forschungsergebnisse in meine Ausführungen einbeziehen.

Aber wir werden uns bei unserer Beschäftigung mit der Authentizität auch den Abwehrmechanismen widmen, die wir aufbauen, um der Wahrheit über uns selbst nicht ins Gesicht sehen zu müssen. Authentizität mag vielleicht schwer festzumachen sein, was nicht authentisch ist, ist jedenfalls leichter zu erkennen. Wenn wir uns von unseren Abwehrmechanismen lenken lassen, verhalten wir uns nicht authentisch. Gelingt es uns jedoch, diese offenzulegen, nehmen wir das Steuerruder unseres Lebens selbst in die Hand.

Vielleicht entsteht bei Ihnen ja beim Lesen dieses Buches der innige Wunsch nach mehr Authentizität im eigenen Leben. Für diesen Fall habe ich einige Übungen angefügt, die Ihnen helfen sollen, über sich nachzudenken. Sie sind eine gute Orientierungshilfe. Außerdem habe ich Fallbeispiele aus meiner therapeutischen Praxis aufgeführt. Natürlich sind die Geschichten anonym. Manchmal habe ich auch die Lebensgeschichten mehrerer Personen zu einer einzigen verschmolzen.

Sehen Sie die Lektüre dieses Buches als Aufbruch in ein neues Abenteuer. Nehmen Sie die Übungen ernst und setzen Sie sich mit den Fragen im Übungsteil auseinander. Dabei mag es von Vorteil sein, ein Notizbuch zur Hand zu haben, in dem Sie Ihre Beobachtungen festhalten können. Ich finde es hilfreich, Antworten ganz konkret niederzuschreiben. Während wir schreiben, konzentrieren wir uns auf das, was wir gerade tun. Sitzen wir hingegen bloß da und denken nach, beginnen unsere Gedanken bald abzuschweifen und wir verlieren den Faden. Dank unserer schriftlichen Aufzeichnungen aber können wir ihn nachverfolgen und erinnern uns auch später noch an die Dinge, die wir sonst vielleicht vergessen hätten. Ihre Gedanken und Gefühle aufzuschreiben erlaubt Ihnen außerdem, häufig wiederkehrende Themen festzustellen.

Ein Buch wie dieses kann keine Wunder bewirken. Aber wenn es dazu beiträgt, positive Veränderungen in Ihrem Leben in Gang zu bringen, dann hat es seine Aufgabe zu meiner vollen Zufriedenheit erfüllt.

Dank

Eine ganze Reihe von Wissenschaftlern und Forschern hat mich stark beeinflusst. Ganz besonders dankbar aber bin ich für die Arbeit von Abraham Maslow und Carl Rogers, die beide nicht mehr unter uns weilen. Man wird sich ihrer immer erinnern, so wichtig war ihre Forschung für das Gebiet der Humanistischen Psychologie.

Wissenschaftler der jüngeren Generation, denen ich für ihre neuen Einsichten zu Dank verpflichtet bin, sind vor allem: Edward Deci, Veronika Huta, Tim Kasser, Kristin Neff, Richard Ryan und Ken Sheldon. Ich danke ihnen und den zahlreichen anderen Forschern, auf deren Arbeit ich im Buch immer wieder verweise.

Außerdem möchte ich Michael Baliousis, Alex Linley, John Maltby und Alex Wood danken, dem Team, das mit mir zusammen die Authentizitätsskala entwickelt hat. Ich bin ihnen zutiefst dankbar für diese Zusammenarbeit. Ohne ihre Erfahrung in der statistischen Erfassung und Aufbereitung von Daten hätte das Projekt nie so erfolgreich zu Ende geführt werden können.

Dieses Buch lag mir wirklich sehr am Herzen, daher möchte ich meinem Agenten Peter Tallack danken, der das Projekt von den Anfängen bis zum Schluss begleitete und mir half, meine Vorstellungen herauszuarbeiten. Außerdem danke ich meiner Verlegerin Anne Lawrence von Little, Brown and Company für ihre Ermutigung, Unterstützung und ihr unbedingtes Vertrauen in mich. Sie hat das Buch auf die nächste Stufe gebracht. Ein ebenso herzliches Dankeschön gebührt Jillian Stewart von Little, Brown die die Schlussphase der Herstellung überwachte, sowie Jan Cutler für ihr mehr als hilfreiches Lektorat.

Vor allem aber möchte ich den Menschen danken, deren Geschichte ich in diesem Buch verwenden durfte. Viele von ihnen durfte ich über Jahre hinweg therapeutisch begleiten, auch wenn sie hier anonym bleiben wollen. Mein tief empfundener Dank gilt darüber hinaus den Hunderten von Menschen, die in den letzten Jahrzenten an meinen Forschungsprojekten teilgenommen haben, auf die ich im Buch immer wieder Bezug nehme. Nur dem guten Willen jener Menschen, die sich all den Befragungen und Experimenten unterzogen haben, ist es zu verdanken, dass wir jetzt wissen, was wir tun.

Mein Dank geht auch an all die Freunde und Kollegen, die meine Ideen mit mir diskutiert und erste Entwürfe zu den einzelnen Kapiteln gelesen und kommentiert haben. Ganz besonders möchte ich hier Sian Clifford für ihre inspirierenden und ermutigenden Anmerkungen danken. Des Weiteren danke ich für ihre hilfreiche Unterstützung: Saul Becker, Liz Blakey, Laura Blackie, David Browne, Lindsay Cooper, Mick Cooper, Zoë Chouliara, Kate Hayes, Nicki Hitchcott, Rob Hooper, Chris Lewis, Lynne McCormack, David Murphy, Steve Regel, Christian van Nieuwerburgh und Pete Wilkins. Und schließlich möchte ich Vanessa Markey danken für ihre unermüdliche Unterstützung, ihre Liebe und ihre Freundschaft über viele Jahre hinweg.

Kapitel 1 Die Authentizitätsformel

Geburtstage sind oft ein Anlass, über unser Leben nachzudenken. Vorzugsweise tun wir das an »runden« Geburtstagen, wenn wir unser dreißigstes, vierzigstes, fünfzigstes oder sechzigstes Lebensjahr vollenden. Dann halten wir Rückschau auf die verstrichenen Jahrzehnte und fragen uns, wie wir an den Punkt gekommen sind, an dem wir nun stehen – weil dieser nicht selten weit abseits von dem liegt, was wir uns in der Jugend erträumt hatten. Dann geraten wir ins Grübeln. Wir fragen uns, ob wir einen anderen Beruf ergreifen sollen, unseren Partner verlassen, eine Weltreise machen oder sonst etwas, um ein erfüllteres Leben zu haben. Doch bei den meisten Menschen bleiben diese Überlegungen reine Luftschlösser.

Wahrscheinlicher ist folgendes Szenario: Sie sitzen an Ihrem Schreibtisch im Büro. Der Chef kommt rein und trägt Ihnen auf, doch die Zahlen für das Meeting morgen vorzubereiten. Ihnen rutscht das Herz in die Hose, denn Sie haben ihm schon gesagt, dass die Zahlen noch nicht fertig sind. Andererseits klingt er so angespannt, und Sie wissen aus früheren Erfahrungen mit ihm, dass jetzt keine gute Zeit ist, um mit ihm zu streiten. Wenn er sich etwas in den Kopf gesetzt hat, dann gibt es da keine Diskussionen. Und Sie wissen, dass Sie Ihre Pläne für den heutigen Abend streichen können, um zumindest die Zahlen aufzubereiten, die Ihnen vorliegen. Spätabends sitzen Sie dann im Bus nach Hause und fragen sich, was aus Ihrem Leben geworden ist, aus Ihren hochfliegenden Plänen. Wollten Sie nicht Architektin werden, Künstler, Modedesigner oder Schriftstellerin? Wollten Sie nicht einmal die Tour de France fahren, Flöte spielen lernen oder was auch immer?

In diesem Augenblick im Bus wird Ihnen klar, dass die Entscheidung bei Ihnen liegt: Entweder Sie machen weiter wie bisher oder Sie verändern etwas. Aber wie könnte solch eine Veränderung aussehen? Entschwinden Sie vielleicht in Ihrer Fantasie einfach in ein neues Leben? Und legt sich gleich darauf der Realitätssinn wie eine düstere Wolke über Ihr Gemüt, und Sie fragen sich: »Wie soll ich das anstellen? Würde ich überhaupt genug Geld verdienen, um davon leben zu können? Und wie sieht es aus mit der Zukunft der Kinder?« Die Herausforderung ist einfach zu groß. Sie können nicht einfach das Steuer herumreißen. Vielleicht greifen Sie dann ja zur nächsten Zeitschrift und verlieren sich in Geschichten über den jüngsten Celebrity-Skandal oder in den Sportnachrichten. Und wenn Sie dann zu Hause sind, gießen Sie sich ein Glas Wein ein und stellen den Fernseher an. Schließlich kommt gleich Ihre Lieblingsserie.

Manchmal aber, in einigen seltenen Fällen, greifen die Menschen nicht zur Zeitschrift, gießen sich keinen Wein ein und stellen den Fernseher nicht an. Dann macht es klick. Und die Würfel sind gefallen. Sie werden etwas anders machen. Sie wissen vielleicht noch nicht genau, was, aber sie sind sich absolut gewiss, dass sie so nicht weitermachen wollen. Was ich als Psychologe am häufigsten zu hören bekomme, ist, dass die Menschen sich danach sehnen, sich selbst treu sein zu können.

Meiner Erfahrung nach geschieht in solchen Situationen Folgendes: Die Menschen haben das Gefühl, ihr Leben sei festgefahren, weil sie glauben, um sich selbst treu sein zu können, müssten sie jetzt schon genau wissen, welche langfristigen Ziele sie anstreben und wie diese sich umsetzen lassen. Und weil sie einfach nicht wissen, was es heißt, sich selbst stärker treu zu sein, lassen sie alles beim Alten. Die Wahrheit sieht jedoch, zumindest meiner Erfahrung nach, anders aus: Sie müssen nicht wissen, wie Ihre langfristigen Ziele aussehen, wenn Sie ein Leben führen wollen, in dem Sie sich selbst besser wiedererkennen. Bei der Treue zu sich selbst geht es um das, was Sie tun, denken und fühlen, und zwar genau jetzt, in diesem Augenblick. Und das Leben, das einfach weitergeht, wird Ihnen zeigen, welcher Weg der Ihre ist.

Erst wenn Sie die für Sie richtigen Wege einschlagen, können Sie ein erfülltes, lohnendes und schönes Leben erfahren.

Das Ringen um den eigenen Weg

Ich bin Psychologe und Coach. In dieser Funktion habe ich mit Menschen unterschiedlichster Herkunft und Ausbildung gearbeitet, doch verlief durch die Landschaft ihrer Probleme immer ein roter Faden. Sie wollten ihren Weg im Leben finden.

Fallbeispiel: Sarah

Sarah ist in den Vierzigern und kann auf eine höchst erfolgreiche Karriere zurückblicken. Sie ist als leitende Angestellte auf der höheren Managementebene eines landesweit operierenden Unternehmens tätig. Im Großen und Ganzen mag sie ihre Arbeit, allerdings hat sie das Gefühl, dass mehr in ihr steckt. Wenn sie morgens aufwacht, freut sie sich nicht auf das, was vor ihr liegt. Sie würde lieber etwas machen, bei dem sie mehr lernt, etwas, das die ein oder andere Entwicklung anstößt. Sie hat auch das Gefühl, dass sie ihre Erfahrungen und Fähigkeiten nicht ausreichend einbringen kann. Sie kommt mit ihren Kollegen gut zurecht, aber sie schätzt keinen von ihnen besonders oder ist gar mit ihnen befreundet. Sie würde zu gern mit Leuten zusammenarbeiten, die ihre Wertvorstellungen teilen und sie zu neuen Höhenflügen inspirieren. Auch mehr Kreativität und Autonomie würde Sarah schätzen. Sie sehnt sich danach, etwas zu tun, was das Leben der Menschen wirklich berührt, damit sie sich selbst lebendiger fühlt.

Sie hat das Gefühl, in einer Sackgasse zu stecken, und sucht etwas Neues. Auch im persönlichen Leben gab es Veränderungen: Erst kürzlich hat sie sich zur Scheidung entschlossen.

In unserer ersten Sitzung erzählt sie mir über den Tag vor zwanzig Jahren, als ihr damaliger Freund um ihre Hand anhielt. »Willst du mich heiraten?«, fragte er. Und Sarah sagte instinktiv, ohne nachzudenken: »Nein«. Erst als sie seine erschütterte Miene bemerkte, korrigierte sie sich: »Natürlich will ich.« Aber ihr Bauchgefühl war das Nein. Nur ihr Bedürfnis, andere zufriedenzustellen, ließ sie Ja sagen. Und dieses Ja prägte die nächsten zwanzig Jahre ihres Lebens. Als sie mir diese Geschichte erzählte, stiegen ihr Tränen in die Augen. Wir saßen ein paar Minuten lang schweigend da, um der Bedeutung dieser Entscheidung Raum zu geben: Dieses eine Ja vor zwanzig Jahren hatte ihr einen Weg vorgezeichnet, der sie genau an diesen Punkt in ihrem Leben gebracht hatte.

In einer späteren Sitzung erklärte Sarah mir, dass sie nicht glücklich sei, dass sie mehr vom Leben erwarte. Sie ging mit mir ihre Möglichkeiten durch, wägte all die Pros und Contras ab, die ihr damals durch den Kopf gingen. Irgendwie schien sie genau zu wissen, was sie nicht wollte. Was sie indessen wollte, war ihr schon weniger klar. Nach gut einer Stunde fragte sie mich: »Und was soll ich jetzt machen?«

»Ich weiß nicht, was Sie machen sollen. Sie stehen vor einem großen Schritt, aber letztlich sind Sie es, die ihn tun muss.« Sarah sah mich an. Ich merkte, dass sie frustriert war. Immerhin redeten wir nun schon mehrere Sitzungen lang immer wieder über dasselbe Thema. Aus einem früheren Gespräch wusste ich, dass Sarah in puncto Coaching unrealistische Erwartungen hegte: Sie glaubte, sie würde hier rausgehen und all ihre Probleme seien gelöst, weil sie endlich den absolut narrensicheren Plan für ihre Zukunft hatte.

»Es braucht Zeit, solchen Dingen auf den Grund zu gehen«, sagte ich. Sarah sah mich an. Vermutlich fragte sie sich in dem Moment, wofür sie mich eigentlich bezahlte. »Es gibt einfach keine Ziellinie, die Sie überschreiten, um sich dann zurücklehnen und sagen zu können: ›Gut, das war’s jetzt. Ich bin glücklich, und so wird es bleiben.‹« Irgendwie fragte ich mich selbst auch, wofür Sarah mich eigentlich bezahlte. Dann aber sah ich ein Funkeln in ihren Augen, als sie ihren Blick auf mich richtete, und das machte mir wieder Mut. Ich erinnerte mich an unsere erste Sitzung und sagte: »Das ist genau wie das Ja zu Ihrer Eheschließung. In diesem Moment haben Sie die Richtung festgelegt, aber dieser Entschluss fiel aus dem Wunsch heraus, Ihrem Freund nicht wehzutun. Dieser Entschluss kam nicht aus der Quelle Ihrer inneren Überzeugung, aus Ihrem Wissen, was für Sie richtig ist. Jeder Tag ist voller solcher Momente, die uns Entscheidungen abverlangen. Damals wussten Sie vielleicht nicht, was Sie wirklich wollten, aber Sie wussten, dass Sie nicht heiraten wollten. Sie wollten Nein sagen. Wenn wir uns in jedem Augenblick unseres Lebens selbst treu sind, wenn wir unserer inneren Stimme vertrauen, dann wird sie uns sicher den richtigen Weg weisen. Das ist ein bisschen so, als säßen wir in einem Boot, das wir mit winzigen Ruderbewegungen steuern, die uns an unser neues Ziel bringen, meilenweit entfernt von dem Kurs, den wir zu Beginn eingeschlagen haben.«

Sarah verließ meine Praxis an jenem Tag nicht mit einem ausgefeilten Lebensplan, sondern mit einer Reihe kleiner Zielsetzungen für die nächsten Tage. Und die wichtigste war: sich selbst treu zu bleiben beim bevorstehenden Treffen mit einem ihrer Kollegen. Sie mochte den Mann nicht, doch er hatte sie gebeten, doch bei einem neuen Projekt mit von der Partie zu sein. Sarahs ursprüngliche Reaktion war Ablehnung gewesen, doch dann hatte sie doch Ja gesagt. Genau wie damals bei ihrem Freund. Diesmal aber war ihr klar, dass es diese winzigen Momente der Entscheidung sind, die unser Leben prägen. Sie wusste, dass sie ihrem Kollegen sagen musste, dass sie nicht mit ihm zusammenarbeiten würde. Sie wusste nicht, in welche Richtung sie ihr Leben lenken wollte, aber nun legte sie zumindest ihre Hand auf das Ruder und stellte sicher, dass ihr Boot zumindest nicht in die vollkommen falsche Richtung abdriftete.

Die kleinen Schritte im Leben sind ungeheuer wichtig

Authentisch sein heißt, dass Sie sich in jedem Moment Ihres Lebens selbst treu sind. Sarahs Geschichte zeigt sehr schön, wie eine für den Moment getroffene Entscheidung die Richtung beeinflusst, die unser Leben nimmt. Vielleicht haben Sie, als Sie Sarahs Geschichte lasen, sich an eine ähnliche Situation erinnert gefühlt – in der Sie gegen Ihr Bauchgefühl gehandelt haben und die für Ihr weiteres Leben bestimmend wurde.

Wenn wir über unsere Vergangenheit nachdenken, erkennen wir, dass die Wege, die wir eingeschlagen haben, sich meist zu einer Entscheidung, die wir in einem einzigen kurzen Moment getroffen haben, zurückverfolgen lassen. Unser Leben nimmt oft durch eigentlich recht banale Ereignisse eine ganz entscheidende Wendung: durch ein zufälliges Treffen, durch einen Satz, der gesagt wurde oder auch nicht. Wir werden älter und weiser und sehen allmählich ein, dass das Leben so und nicht anders läuft, dass viele große Entscheidungen im Leben – wen wir heiraten, welchen Beruf wir ergreifen, wo wir leben und so weiter – häufig durch unerwartete, ja auf den ersten Blick triviale Geschehnisse fallen. Um im Leben erfolgreich zu sein, und damit meine ich, die für Sie im jeweiligen Moment bestmöglichen Entscheidungen zu treffen, müssen Sie authentisch sein – Sie müssen äußeren Einflüssen widerstehen können, deren Richtung Ihrem Bauchgefühl widerspricht. Authentizität ist das Herzstück sinnvoller Entscheidungen. Wenn Sie sie fortwährend leben können, dann macht das einen Riesenunterschied. Denn wir erschaffen uns ja ständig neu.

In der Rückschau werden solche entscheidenden Momente im Leben leicht erkennbar. Aber hier geht es nicht um eine von Bedauern überschattete Rückschau. Hier wollen wir lernen, wie wir das Leben in jedem Augenblick authentisch anpacken können.

Die seelischen Spannungen fehlender Authentizität

Von dem Moment an, in dem wir morgens die Augen aufschlagen, bis zu dem Augenblick, in dem sie uns abends wieder zufallen, erleben die meisten Menschen bestimmte Situationen, in denen sie authentisch sein können. Für den Rest des Tages aber stellen wir eine Show auf die Beine. Und es hat seinen Grund, dass wir nicht sagen oder zeigen, was wir tatsächlich denken oder fühlen.

Wir tun so, als würde alles super laufen. Wir fühlen uns unter Druck, anderen Menschen eine perfekte Fassade zu präsentieren, ob wir sie nun flüchtig auf der Straße grüßen, mit ihnen zusammenarbeiten oder sie nur von den sozialen Medien her kennen.

»Wie geht’s?«, fragt man uns.

»Gut«, antworten wir automatisch, ganz egal, wie unser Leben gerade aussieht.

Nehmen wir ein anderes Beispiel, nämlich den Ort, an dem wir den Großteil unserer Zeit verbringen: unseren Arbeitsplatz. Wer kennt sie nicht, die Büros und Werkstätten, in denen Ressentiments, Bitterkeit und Konflikte unausgesprochen vor sich hin köcheln. Doch wir wissen, dass es häufig besser ist, den Mund zu halten. Vielleicht haben wir Angst, unseren Job zu verlieren, gemobbt zu werden oder Freundschaften aufs Spiel zu setzen. Welche Gründe wir auch im Einzelnen haben mögen, einen Großteil unseres Lebens trippeln wir auf Zehenspitzen, als müssten wir über Eierschalen gehen. Wir beißen uns auf die Zunge oder lächeln freundlich, obwohl wir uns ärgern bis ins Mark.

Wer von uns täglich mit Kunden zu tun hat, weiß, welch ungeheurer Druck sich aufbaut, wenn wir Stunde um Stunde ein freundliches Gesicht aufsetzen müssen. Ein 2005 erschienener Zeitungsartikel berichtet, dass ein Unternehmen in Japan seinen Mitarbeitern mittlerweile erlaubt, einen Tag lang ausdruckslose »Kein-Gesicht«-Masken zu tragen, um diesen Druck abzubauen. So konnten die Mitarbeiter sich entspannen, nachdem sie ein Jahr damit zugebracht hatten, die Kunden ständig freundlich anzulächeln.1 Kurz gesagt, es kann ganz schön an der eigenen Substanz zehren, ein wenig authentisches Leben zu führen.

Nehmen wir nur einmal ein klassisches Beispiel:

Fallbeispiel: Pam

Pam konnte nicht schlafen. Sie war stocksauer auf Dennis, ihren Chef. Er hatte sie belogen, was ein Projekt anging, und sie so in eine Situation gebracht, in der man ihr die Schuld für etwas gab, was sie nicht zu verantworten hatte. Würde sie das Projekt nicht bis zum Meeting am nächsten Tag erfolgreich abschließen, wäre ihr Job in Gefahr. Pam hatte Dennis für einen guten Freund gehalten. Das war nun vorbei. Sie ging an diesem Tag früh zur Arbeit. Als sie den Flur hinuntermarschierte, sah sie Dennis auf sich zukommen. Als ihre Wege sich kreuzten, lächelten beide und sagten sich »Guten Morgen«, als wäre nichts geschehen. Oh, wenn sie nur daran dachte, was für ein Heuchler er war und wie lange sie gebraucht hatte, um das zu bemerken. Sie hatte ihre Lektion gelernt, war aber klug genug, jedenfalls für den Augenblick, ihre Gedanken für sich zu behalten.

Es gibt Orte und Zeiten, in denen wir uns besser auf die Zunge beißen. Pam wusste genau, was sie tat und warum. So frustriert sie auch war, ebenso klar war ihr, dass es ihr nichts bringen würde, wenn sie Dennis an diesem Tag ihren Ärger zeigte. Tatsächlich hätte sie damit wohl auch ihre Karriere aufs Spiel gesetzt. Also beschloss sie, ihre Meinung für sich zu behalten und ihre Wut hinter einer Maske des Lächelns zu verstecken.

Unauthentisch sein – eine Maske tragen

Eines meiner Lieblingszitate wird dem Kinderbuchautor Theodore Seuss Geisel zugesprochen, auch Dr. Seuss genannt: »Sei, wer du bist, und sag, was du denkst, denn die Menschen, die das stört, sind nicht wichtig, und die Menschen, denen wir wichtig sind, stört es nicht.«2 Vereinfacht gesagt mag das ja stimmen, aber natürlich gibt es Ausnahmen von dieser Regel. Nicht selten sind nämlich die Menschen, die sich daran stören, für uns durchaus wichtig, weil sie Macht über uns haben und diese möglicherweise auch nutzen. Es ist eine durchaus nützliche soziale Fertigkeit, die eigenen Gefühle verbergen zu können, und es gibt Umstände, unter denen dies zweifellos das Klügste ist. Wann und wo dies der Fall ist, müssen wir entscheiden.

Wenig authentisch zu leben aber heißt, dass die Diskrepanz zwischen dem, was wir sagen und tun, und dem, was wir denken und fühlen, eine innerseelische Spannung erzeugt, die zu Stress führt.3 Wenn wir Tag für Tag unauthentisch leben, fordert dies emotional einen hohen Tribut.

Wenn wir versuchen, ein Leben zu führen, indem unser Selbstgefühl nicht im Einklang mit der Realität steht, büßen wir unser Wohlbefinden ein, ja riskieren Depressionen und Angstzustände. (In Anhang I können Sie Ihr allgemeines Wohlbefinden testen.)

Um unser Stressniveau zu senken, versuchen wir, das, was in uns vorgeht, mit dem, was wir tatsächlich ausdrücken, in Einklang zu bringen. In einem idealen Dasein würde das, was wir sagen und tun, ausschließlich davon abhängen, was wir denken und fühlen. Auch Pam wäre gern aufrichtiger in ihrem Selbstausdruck. Zumindest hofft sie, dass die Verhältnisse an ihrem Arbeitsplatz sich irgendwann so ändern, dass ihr dies möglich wird. Doch es besteht natürlich durchaus die Gefahr, dass ihre Fassade auf ihr Innerstes zurückwirkt, sodass sie – wie der Sozialpsychologe Erving Goffman es ausdrückt – ihre Maske zu ihrem Gesicht macht.4 Pam wird feststellen, dass es auf seelischer Ebene seinen Tribut fordert, wenn sie keine Möglichkeit findet, die Spannung abzubauen, aber für den Augenblick trifft sie die für sich beste Entscheidung: Sie lächelt mit zusammengebissenen Zähnen, ist sich aber dessen voll bewusst.

Vielleicht geht es Ihnen ja manchmal ähnlich: Sie tragen eine Maske, um Ihre wahren Gefühle zu verstecken. Viele Menschen empfinden so, haben gleichzeitig aber zu viel Angst, die Maske auch mal wieder abzulegen.

Werden Sie sich Ihres Körpers bewusst

Es ist eine Sache zu wissen, dass sich etwas nicht richtig anfühlt, eine ganz andere, entsprechende Veränderungen im Leben vorzunehmen. Man braucht ganz schön Mut, um sich selbst ins Gesicht zu sehen, und ein gerütteltes Maß an Demut, um zu akzeptieren, was wir über uns erfahren, und schließlich die nötige Disziplin, um der Einsicht Taten folgen zu lassen. Daher fühlt es sich oft viel sicherer an, alles beim Alten zu lassen und einfach weiterzuwursteln wie gehabt. Viele von uns leben so dahin und warten, dass irgendetwas passiert, was ihre Situation verändert. Wir führen einfach unser unauthentisches Leben weiter und stumpfen ab angesichts der körperlichen und geistigen Spannung, die wir mit uns herumschleppen.

Selbst jetzt, während Sie das hier lesen, spüren Sie vielleicht Spannungen in Nacken, Schultern oder Stirn, nur weil ich Sie jetzt darauf aufmerksam mache. Nehmen Sie sich ein paar Sekunden Zeit und registrieren Sie die Spannung in Ihrem Unterkiefer. Bauen Sie ein wenig davon ab, indem Sie laut gähnen. Nun straffen Sie kurz die Schultern, halten sie eine Sekunde lang so und lassen dann wieder los. Ziehen Sie die Zehen an, und lassen Sie sie wieder los. Noch einmal. Na, schon besser?

Authentizität heißt, dass wir uns dessen bewusst werden, was in unserem Körper geschieht. Dass wir nicht nur auf unsere Gefühle und Gedanken achten, sondern auf die Gesamtheit dessen, was in unserem Inneren abläuft. Stattdessen empfinden sich viele Menschen als Geist in einem Körper, so als würden wir ein Pferd reiten. Meist sind wir uns unseres Körpers nicht bewusst, auch wenn wir ihn gelegentlich füttern und säubern oder ihm die Peitsche geben müssen.5 Aber wir sind keine körperlosen Geister. Wir sind vielmehr unser Körper. Wir müssen lernen, uns zuzuhören, wenn wir uns bewusst machen wollen, was in uns vorgeht – all unsere Gefühle, Gedanken und körperlichen Empfindungen.

Hören Sie auf Ihre innere Stimme

Einer der einflussreichsten Unternehmer des 20. Jahrhunderts war ganz sicher Steve Jobs, der im Oktober 2011 das Zeitliche segnete. In einer Rede an die Absolventen der Universität Stanford sagte er einmal:

Eure Zeit ist begrenzt, also vergeudet sie nicht dadurch, dass ihr das Leben anderer Leute führt. Lasst euch nicht von Dogmen einsperren – das hieße, mit den Denkresultaten anderer Menschen zu leben. Lasst eure innere Stimme nicht durch das Grundrauschen der Meinung anderer überlagern. Und am allerwichtigsten: Habt den Mut, eurem Herzen zu folgen, eurer Intuition. Seltsamerweise wissen beide schon, was ihr wirklich werden wollt. Alles andere ist zweitrangig.6

Das Zitat von Steve Jobs macht deutlich, was ich unter »Authentizität« verstehe.

Mit der inneren Stimme ist nämlich keineswegs das unablässige mentale Geschnatter gemeint, die Selbstkritik und das geistige Wiederkäuen immer derselben Gedanken, mit dem so viele von uns leben, vor allem in den Nachtstunden, wenn wir nicht aufhören können, uns um das Meeting am nächsten Tag zu sorgen, um das, was wir tagsüber aufgeschnappt haben, um die Rechnungen, die wir demnächst bezahlen müssen, um Auseinandersetzungen mit Freunden oder Angehörigen oder was immer uns auch vom Schlafen abhalten mag. Wir müssen lernen, wie wir dieses mentale Rauschen abstellen, um Zugang zu unserer inneren Stimme zu bekommen. Unsere ureigenste innere Stimme ist zu Anfang vielleicht nicht mehr als ein zartes Wispern, das wir bemerken, sobald uns auffällt, dass es hinter den inneren Gremlins noch etwas gibt. Wenn wir ihr aufmerksam lauschen, lernen wir allmählich, ihr zu vertrauen, sodass sie für uns zum zuverlässigen Kompass wird.

Mir scheint, dass wir alle früher oder später begreifen, wie wichtig es ist, sich selbst treu zu sein. Aber ich wünschte, ich wäre mir meiner inneren Stimme früher bewusst geworden. Im Grunde lerne ich heute noch jeden Tag, wie ich für diese Stimme »ganz Ohr« sein kann. Authentizität ist ja kein Ziel, nach dessen Erreichen man sich entspannt zurücklehnen kann. Es handelt sich dabei vielmehr um einen ständigen Prozess, in dem wir uns öffnen für unsere innere Welt, für unsere Selbst-Erfahrung, in jedem Augenblick.

Wir werden später noch auf die einzelnen Schritte zurückkommen, die nötig sind, um diese Aufmerksamkeit zu schärfen. Für den Augenblick möchte ich nur so viel sagen: Steve Jobs Worte sind vielleicht der beste Ratschlag zur Lebensgestaltung, den man anderen Menschen geben kann. Steve Jobs hat das vermutlich nicht gewusst, aber seine Worte geben exakt wider, was die Positive Psychologie heute über ein gutes, ein authentisches Leben zu sagen weiß.

Auf den folgenden Seiten werde ich Ihnen die Authentizitätsformel vorstellen. Zunächst aber sehen wir uns gemeinsam an, was authentische Menschen authentisch macht.

Drei Merkmale, die authentische Menschen auszeichnen

Um es kurz vorweg zu sagen: Authentische Menschen können drei Dinge besonders gut. Sie kennen sich selbst. Sie stehen zu sich. Sie sind bereit, ganz sie selbst zu sein.

Erkenne dich selbst

Authentische Menschen wissen, was sie mögen oder nicht mögen, worin sie gut oder nicht gut sind, was sie zu tun bereit sind und was nicht. Sie sind in der Lage, im Augenblick präsent zu sein und sind sich dessen bewusst, was in ihnen und um sie herum vorgeht. Auch nehmen sie das, was vorgeht, als das, was es ist. Sie registrieren es, ohne es zu abzulehnen oder mit mentalen Etiketten zu versehen.

Wenn wir authentisch sein wollen, müssen wir in der Lage sein, der Wahrheit über uns selbst ins Gesicht zu blicken, wie unangenehm wir sie auch finden mögen. Authentische Menschen sind absolut ehrlich zu sich selbst. Sie fordern sich, sie stellen sich selbst infrage. Sie erforschen, wo sie sich selbst täuschen, und versuchen, die Dinge aus einem anderen Blickwinkel zu sehen. Sie wissen, was sie denken, sind aber auch bereit, ihre Meinung zu ändern, wenn sie neue Informationen erhalten. Daher erfordert Authentizität immer Offenheit und die Fähigkeit, realistisch zu sein, vor allem, wenn es um die Interpretation dessen geht, was uns alles so widerfährt.

Authentische Menschen kennen sich selbst. Sie sind fähig, auf ihre innere Stimme – ihr Bauchgefühl – zu hören. Und sie sind sich der Komplexität ihrer Gefühlslage bewusst, weil sie einen guten Zugang zu ihrer tieferen Weisheit besitzen. Menschen hingegen, die sich selbst fremd sind, hören nicht auf die Stimme der Intuition. Sie sind sich über ihre Gefühle nicht im Klaren und treffen falsche Entscheidungen, weil sie zu tun versuchen, was anderen gefällt.