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Missy entflieht wütend einem zu esaklieren drohenden Streit mit ihrem Partner, indem sie in ihr Auto steigt und ohne Ziel losfährt um den Kopf freizubekommen. In Gedanken bei dem Streit bemerkt sie erst nach einer Weile, dass sie an dem Abend dem Anschein nach die einzige Verkehrsteilnehmerin auf der Autobahn ist. Eine grauenvolle, nicht endend wollende Fahrt beginnt. Bald weis Missy nicht mehr, ob sie die merkwürdigen Dinge um sie herum wirklich erlebt oder sich einbildet und scheint den Verstand zu verlieren.
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Seitenzahl: 229
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Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
TOMMY
„Das kann nicht dein Ernst sein!“
Missy wirft wutentbrannt den bereits stark zerfledderten Urlaubskatalog auf die Couch. Das dicke Ding landet mit einem lauten Geräusch nur knapp neben Tommy, ihrem Freund, der leicht zusammenzuckt während Missy die Arme vor der Brust verschränkt. Tommy sieht erschrocken auf, als seine Freundin bereits zu brüllen beginnt:
„Immer wieder das Gleiche mit dir, immer nur Party hier, Party da. Wir haben oft genug an den Wochenenden Party, oder nicht? Ich richte mich immer nach deinen Wünschen was das Ausgehen betrifft. Warum können wir nicht einmal etwas machen, was ich möchte?!“
Tommy gluckst ungläubig und winkt ab, er ist sichtlich genervt von dem Rumgemecker seiner Liebsten. Bereits das Abwinken ist ein Fehler, dass weiß er in dem Moment, in dem er die Bewegung ausführt. Seine Freundin hasst diese abwertende Geste. Sein Blick ändert sich von genervt in erschrocken und er ist verunsichert, denn er möchte diesmal nicht wie sonst, wenn er ihr abwinkt, einen heftigen Anpfiff kassieren und auf die Moralpredigt verzichten, wie abwertend diese Handbewegung ist. Um Missy von der unhöflichen, von ihr so gehassten Geste abzulenken, springt er von der Couch auf und prustet los:
„Jetzt tu mal nicht so, als ob wir das nicht schon öfter getan hätten, meine Liebe. Schon vergessen, erst vorletzte Woche…“
„AAARGH“, schreit Missy, kneift die Augen zusammen und bekommt einen knallroten Kopf.
„Was denn?“, fragt Tommy verwirrt und hebt fragend die Hände. Er versteht tatsächlich wieder einmal rein gar nichts. Außer, es käme nun doch der befürchtete Anpfiff wegen des Abwinkens. Doch davor bleibt er dieses Mal dem Anschein nach verschont. Aber nicht vor dem aufkommenden Streit. Das sieht er an Missys steifer Haltung, dem Blitzen in ihren Augen und daran, dass sie ihre Fäuste ballt. Das macht sie immer bevor sie richtig ausrastet.
Irgendwie süß, denkt er sich, auch wenn das was nun folgt alles andere als das ist.
Wie ein nasser Sack sinkt er wieder auf die Couch und bereitet sich auf eine Predigt vor.
„Ja, komm, ich bitte dich. Jetzt fängst du sicher schon wieder damit an, dass du dich ein einziges Mal mit mir an deiner Seite in ein Restaurant meiner Wahl geschleppt hast. Zu unserem vierten Jahrestag, wohlgemerkt. Das kannst du doch damit nicht vergleichen! Vor allem nach den darauffolgenden tagelangen Diskussionen über die mickrige Fleischauswahl auf der Speisekarte. Du hast ganz genau gewusst, dass ich schon lange in genau dieses Restaurant gehen wollte, und auch, dass die Auswahl an Steak, Schnitzel und sonstigen Fillä eben nicht sonderlich groß ist.“
„Filet.“
„Wie bitte?“
„Das heißt Filet, und ja, das war sie wirklich nicht.“
„Was war was nicht?“
„Na die Auswahl an Fleisch, die war wirklich mickrig.“
„Sag mal, willst du mich eigentlich verarschen?“, ruft Missy vor Zorn bebend. „Zum einen gingen wir ohne meine Kompromissbereitschaft so gut wie nie gemeinsam aus, und zum anderen geht es hier nicht um die Wahl eines Restaurants und dein verdammtes Filet, Herrgott noch einmal. Es geht um unseren Urlaub, eine gemeinsame Zeit weit weg von hier. Etwas, das ein paar Euro mehr kostet als ein Abendessen. Und es geht darum, dass wir sonst nie etwas gemeinsam unternehmen, was ich gerne möchte!“
„Aha. So ist das. Aber, ich meine und zudem, … äh… also… also…“ stotterte Tommy, „weil nämlich… außerdem, ja, genau! Was ist mit letztem Monat, als wir...“
Missys Augen verengen sich zu schmalen Schlitzen, als sie erkennt, worauf dieser Angriff abzielt. Sie wirft total genervt ihr brünettes, halblanges Haar nach hinten und fragt in einem lauten und sehr scharfen Ton:
„Du willst mir jetzt nicht wirklich das Konzert vorwerfen, für das ich von meiner Freundin die Karten zum Geburtstag bekommen habe? Hätte ich ihr etwa sagen sollen, danke schön, aber nein danke, meinem Freund passt das nicht? Außerdem, das kannst du doch mit der jetzigen Situation überhaupt nicht vergleichen!“, faucht sie.
Tommy schaut sie entsetzt an, den Mund leicht geöffnet, als wolle er etwas sagen. Doch er überlegt es sich anders, schließt die Lippen und schaut auf den Boden. Hilflos wirft Missy die Arme nach oben, verschränkt sie hinter ihrem Kopf und dreht die Augen in Richtung Decke. Sie beginnt leicht mit dem Kopf hin und her zu schwanken. Für kurze Zeit tritt Schweigen in den Raum.
MISSY
Warum, wieso, wie kann denn diese Situation so eskalieren, dass sie beide laut werden und sich anfangen anzuschweigen, denkt sich Missy. Wie sollen sie nur so zu einer Lösung bezüglich der anstehenden Urlauswahl kommen. Sie weiß es nicht.
Gekränkt und verbal vorerst geschlagen reckt Tommy sein stoppelbärtiges Kinn in Missys Richtung, wobei sie das Grübchen zweifingerbreit unter seiner Unterlippe deutlich sehen kann. Dieses sexy Grübchen, das damals in dem verdammt heißen Sommer im Schatten der alten Stadtmauer mit dazu beigetragen hatte, dass Missy sich gegen Chris und für Tommy entschieden hat.
Wie heiß er doch ist, denkt sie sich.
Doch jetzt gerade passt es ihr nicht, weiter darüber nachzudenken. Sie müssen eine Möglichkeit finden, den Streit zu beenden und sich auf einen Urlaub zu einigen. Resigniert verabschiedet sie sich von ihrer Hoffnung auf einen schöneren gemeinsamen Urlaub, als es letztes Mal der Fall gewesen war. Es war im letzten Spätjahr gewesen. In dem Hotel hatte sie bereits am zweiten Tag allein zum Frühstück gehen müssen, weil Tommy mal wieder zu viel gefeiert, und die Hälfte der Nacht über der Kloschüssel des Hotelzimmers gehangen hatte und dementsprechend sein Appetit nicht sonderlich groß gewesen war. Abgesehen davon ist er an dem einen Tag nicht einmal richtig wach geworden. Aber deshalb gar kein Urlaub? Oder die ganze Zeit nur streiten? Das möchte Missy nun auch wieder nicht.
Wie kommen wir zu einer Lösung, fragt sie sich.
Und genau das will sie jetzt mit Tommy ausdiskutieren. Schließlich ist es inzwischen Frühling. Wenn sie im Sommer wegfliegen wollen, sollten sie langsam mal in die Pötte kommen, sich entscheiden und vor allem buchen, bevor die guten Angebote weg sind. Wenn es überhaupt noch gute Angebote gibt, immerhin sind sie doch relativ spät mit ihrer Urlaubsplanung.
Als sie gerade in einem etwas ruhigeren Ton ansetzen will zu sprechen, keift Tommy, noch auf den Boden schauend, für Missy total überraschend, los:
„Ach nein? Warum denn? Ich denke schon. Aber das ist natürlich leicht gesagt. Weißt du was? Lass mich doch in Ruhe, jedes Jahr der gleiche Zirkus mit dem scheiß Urlaub und der doofen Urlaubsplanung.“
Da Missy nicht gleich antwortet, da sie erst ihre Gedanken ordnen muss, wird Tommy selbstsicherer und etwas schärfer in seinem Ton. Er dreht sich mit jedem Wort mehr zu seiner Freundin nach oben, bis er ihr fordernd in die Augen schaut.
„Was genau passt dir denn eigentlich nicht? Erkläre mir das mal bitte. Du möchtest ans Meer, Ibiza ist am Meer. Du möchtest Sonne, Sommer, Strand, alles da! Alles was du willst gibt es dort und es gibt keinen Grund zu meckern, Missy. Was genau ist also dein Problem?“
Wieder einmal sieht Missy ihre Felle davon schwimmen. Noch ist sie motiviert, es ruhiger anzugehen und antwortet in einem relativ ruhigen Ton:
„Es geht nicht um ein Problem, oder mein Problem. Nein, es geht darum, dass es immer Party-Inseln sein müssen, Städte, in denen grundsätzlich nur die Post abgeht. Von Urlaub ist da nicht die Rede, zumindest nicht von einem Erholungsurlaub, das sind Party-Inseln! Für dich mag so etwas Urlaub sein, aber nicht für mich. Da geht permanent die Post ab.“
„Ja und?“
Das war es mit Thema ‚ruhig‘ für Missy.
„Ja und? Ich möchte Erholung, einen Erholungsurlaub, mit meinem Partner, mit meinem Lebensgefährten gemeinsam am Strand liegen und chillen, ein wenig im Sand wühlen, im Meer baden, Sonnenuntergänge am Strand, Figuren in Wolken…“
„Welche Wolken? Außerdem: das alles haben wir auf Ibiza, wie ich es eben sagte. Hörst du mir denn nicht zu? Tagsüber chillen wir am Strand, und abends…“
„Nein, nicht chillen, du schläfst deinen Rausch aus, wie schon im letzen Urlaub in Spanien in Lloret de Mar. Ich konnte dort nicht ein einziges normales Gespräch mit dir führen!“
„Gespräch? Was hast du denn zu besprechen, ich dachte wir wollen Urlaub machen und uns erholen. Wie war das eben mit chillen und Erholung und so? Deine Worte. Und außerdem: Sonnenuntergänge haben wir jeden Tag am Strand, und auch schon mehrfach miterlebt, falls du das nicht mehr wissen solltest.“
„Jaha, entweder mit besoffenem Kopf oder so kaputt, dass du gar nicht richtig anwesend warst. Denkst du das ist schön für mich? Oder wie war das in Novalja, als du mir vor die Füße gekot…“
Tommy springt von der Couch auf und hebt leicht drohend den Zeigefinger nach oben.
„Oh, jetzt fängst du damit wieder an, da habe ich etwas Falsches gegessen!“, ruft er wutentbrannt.
„Ja, ja, etwas Falsches gegessen, du mich auch!“
Missy reicht es. Sie hat kein Interesse mehr, weiter zu diskutieren, denn sie weiß genau, das hat heute keinen Sinn mehr. Sie würden sich, wie so oft, im Kreise drehen und sie hat jetzt keine Nerven für so etwas. Erst vor kurzem ist ihr Kaninchen Bunny verstorben, sie hat zurzeit extrem viel Stress auf der Arbeit und dann scheint sich auch noch eine Erkältung anzubahnen. Da auch noch mit ihrem Tommy streiten, nein danke. Heute sind beide extra ein wenig früher von der Arbeit heimgekommen. Sie wollten sich ein schönes Wochenende machen und damit beginnen, den nächsten Urlaub zu planen. Doch jetzt hat sie die Schnauze voll und stampft wutentbrannt aus dem Zimmer.
„Wo gehst du hin?“
„Kann dir doch egal sein!“, schreit sie, packt ihre Tasche, schmeißt sie neben die Tür auf den Boden. Hetzt zur Garderobe, wirft sich ihre Jacke über und stürmt höchst gereizt und aggressiv wieder zur Tür. Ihre Schuhe hat sie glücklicherweise noch an. Missy findet es höchst unangenehm, wenn sie auf Grund eines Streites schnell die Wohnung verlassen will, und sich erst noch mühsam die Schuhe binden muss. Doch sie ist gleich nach der Arbeit zu Tommy auf die Couch, um vor lauter Vorfreude ihre in der Mittagspause ausgesuchten Urlaubsvorschläge aus dem Reisekatalog zu präsentieren.
„Ist es aber nicht, sag schon. Draußen ist es arg kalt.“
„Ich muss einfach raus hier! Ich halte diese Streiterei nicht aus.“, ruft Missy verzweifelt.
„Nein, Baby, komm bleib hier, es tut mir leid. Lass uns das vernünftig klären…“
TOMMY
Tommy hat schon wieder ein schlechtes Gewissen. Er weiß, dass er oft nicht wirklich nett zu seiner Liebsten ist. Sie hat das nicht verdient und er möchte doch, dass sie glücklich ist. Aber er ist irgendwie egoistisch veranlagt und hat sich oftmals einfach nicht unter Kontrolle. Doch das macht er schließlich nicht mit Absicht, warum versteht sie das nur nicht.
Missy bleibt mit wütendem Blick an der Tür stehen und sagt:
„Du meinst wohl, nach deinen Wünschen fertig besprechen!“
„Nein, komm schon, es ist schon recht spät, es wird gleich dunkel, und es ist wirklich kalt. Du bist doch schon leicht angeschlagen.“
„Seit wann bockt dich das...“
„Immer, und jetzt komm wieder her. Bitte.“
Missy läuft wutentbrannt hin und her. Dabei schimpft sie:
„So ein Blödsinn, als ich vor zwei Monaten erkältet war und schon flach lag, war es dir nicht möglich, mir einen warmen Tee an das Bett zu bringen, als ich bitterlich gefroren habe. Die X-Box war dir wichtiger, oder genauso vor zwei Wochen, als Bunny starb...“
Oh nein, nicht wieder die Geschichte, denkt Tommy.
„Ach bitte, wirf mir nicht wieder vor, dass ich dich nicht getröstet habe, ich bin sensibel und kann mit so etwas nicht umgehen, mir tat das selbst so arg leid.“
„So ein Blödsinn, du bist doch froh das Bunny weg ist. Du hast mir oft genug zu verstehen gegeben, das er dich stört!“, sagt sie mit vor Wut aufsteigenden Tränen.
Sie schaut kurz aus dem Fenster, versucht sich zu beruhigen. Es fängt schon leicht zu dämmern an. Missy sieht den Sonnenuntergang, ein wunderschöner Himmel in tollen Farben. Doch sie nimmt das tolle Bild nicht wirklich wahr. Sie hört, wie Tommy sagt:
„Nein, Schatz, ich war nur sauer als es mein X-Box Kabel angefressen hatte. Aber ich mochte es schon.“
Wutentbrannt dreht sie sich um und ruft: „ES? Sag mal spinnst du?“
„Ach komm, so war es doch nicht gemeint. Das Karnickel. Deshalb ‚es‘. Das war doch jetzt nicht abwertend gemeint.“
„Ja von wegen. Du hast ein Problem mit Nagetieren. Und ebenso mit meinen Wünschen und Bedürfnissen!“
Missy läuft wieder hin und her. Läuft einen kleinen Kreis, bleibt am Fenster stehen, schaut kurz raus.
Sie erschreckt für einen kurzen Moment, als sie ihr Spiegelbild im Fenster sieht. Sie wundert sich sehr über den Anblick, der ihr entgegen schaut. Zum einen sieht es nicht genauso aus wie ihr Spiegelbild, sondern eher, als würde eine Frau, nein, eigentlich sie selbst draußen vor dem Fenster stehen und hinein starren. Zum anderen fällt ihr auf, dass in dem Gesicht der Person, die sich durch die Scheibe zeigt, fast schon die Züge ihrer Mutter zu finden sind. Verrückt, die Frau sieht aus wie Missy, nur um einiges älter. Und nicht nur das, „sie“ sieht auch sehr blass, dürr und abgemagert aus. Die Frau starrt Missy genauso überrascht an, wie Missy es gerade ist. Ein leichter Schauer überkommt sie.
Ich sehe scheiße aus, oder bin das nicht ich, wenn nein, wer ist das? Schießt ihr kurz durch den Kopf.
Doch ehe sie etwas sagen, oder weiter darüber nachdenken kann, dass sie sich selbst vor dem Fenster sieht, beziehungsweise eine Frau, die wie sie selbst, nur etwas älter aussieht, so schnell reißt Tommy sie mit seinem scharfen Ton wieder aus den Gedanken und Missy ist mit ihrer Aufmerksamkeit wieder bei ihrem Freund:
„Jetzt übertreibst du aber, komm mal wieder runter meine Liebe!“
Wieder mitten im Geschehen dreht sie sich der Raummitte zu und keift sie zurück: „Ach ja? Meine Liebe! Von wegen! Massiert hast du mich weder, als ich vor Schmerz nicht einmal mehr richtig sitzen konnte, als ich mich verdreht hatte, noch in der Zeit, in der ich so viel arbeiten musste vor einem Monat, und ich deswegen permanent verspannt war und ständig Schmerzen hatte. Egal wie oft ich es angesprochen habe, es hat dich einen Scheißdreck interessiert! Und das ist nur ein Beispiel von vielen.“
„Ich habe dir gesagt: ‚Ich massiere dich gleich‘, ich wollte nur noch schnell das Spiel im Fernseher zu Ende schauen.“
„Du hast für alles eine Ausrede um alles hinauszuzögern, in der Hoffnung ich vergesse es wieder, und mir reicht es jetzt! Es geht zudem nicht nur um das Massieren, das war lediglich ein Beispiel. Argh, ich platze gleich und deshalb muss ich hier raus sonst passiert noch etwas, oder ich sage Dinge, die ich später bereue!“
„Ach komm schon. Wir lassen das mit dem Urlaub. Ich will keinen Partyurlaub mehr. Wir machen das was du möchtest, okay?“
„Ich muss raus, einfach nur raus hier. Und das ganz schnell. Sonst platze ich wirklich. Ich werde ein wenig herum fahren! Tschüss.“
Ohne dass Tommy noch etwas sagen kann, fällt auch schon die Tür in das Schloss und Missy ist verschwunden.
„Na toll. So eine Scheiße aber auch“, ruft Tommy, läuft zur Couch und setzt sich wutentbrannt hin. Kurze Zeit überlegt er, ob er die Verfolgung aufnehmen soll. Doch seine Freundin ist schon mehr als einmal abgetigert, als es zum Streit kam.
Die kommt schon wieder, denkt er und schaltet den Fernseher ein.
Missy läuft sehr schnellen Schrittes zu ihrem Auto. Rennen muss sie nicht. Sie weiß, dass Tommy ihr nicht folgen wird. Dazu ist er zu bequem, und der Streit nicht ernst genug. In der Zwischenzeit kennen die beiden sich gut genug, so dass sogar Tommy abschätzen kann, wann Missy einfach nur ihre Ruhe möchte, oder ob er seinen Hintern bewegen muss, weil sie erwartet, aufgehalten zu werden. Als Missy an dem Haus vorbeiläuft und dabei die Fenster im Augenwinkel auftauchen, denkt sie kurz an die Frau vorhin, die vor dem Fenster stand und sie anstarrte. Sie dreht ihren Kopf in die Richtung, in der die Frau gestanden haben muss, erkundet kurz die Gegend mit ihrem Blick, doch kann weit und breit niemanden sehen.
War sicher nur Einbildung, wegen des beschissenen Streits, denkt sie und steigt in ihr Auto, das sie glücklicherweise heute Morgen vor der Arbeit vollgetankt hat, und fährt los.
„Muss ich jetzt wenigstens nicht noch an die Tanke tuckern und mit Menschen reden“, bruddelt sie mit vor Zorn aufkommenden Tränen in den Augen vor sich hin.
Ich hätte jetzt keinerlei Lust darauf, irgendjemanden zu sehen. Schon gar nicht fröhliche Menschen.
Sie startet den Motor, schnallt sich an, legt den Gang ein und fährt los.
Zuerst fährt sie aus ihrer Straße heraus, die sich ziemlich lange zieht. Sie sieht dabei die gleichen Häuser wie mehrmals täglich. Morgens auf dem Weg zu Arbeit und auf dem Weg nach Hause. Entweder fährt sie anschließend nochmal los zum einkaufen, denn es liegt kein Supermarkt auf dem Weg von der Arbeit, oder in den naheliegenden Wald zum joggen. Gelegentlich besucht sie auch ihre Mutter oder ihren Bruder. Wahrscheinlich könnte sie die Straße blind entlang fahren.
Erst kommt das gelbe Haus mit den grünen Rollläden, weiter vorne das mit dem riesengroßen Hof. Manchmal sieht Missy in dem Hof einen Hund liegen. Einen hübschen, großen Golden Retriever.
Als Kind hatte sie auch so einen Hund. Leider ist er wegen einer Krankheit relativ früh verstorben. Ein herzensguter Hund ist er gewesen, ihr Cujo. Den Namen hatte der Hund schon, als ihre Eltern ihn aus dem Tierheim adoptierten. Umtaufen kam für die Familie nicht in Frage, schließlich war der Hund an den Namen gewöhnt. Der Vorbesitzer muss ein Stephen King Fan gewesen sein. Ihr Hund hatte allerdings rein gar nichts mit dieser tollwütigen Bestie aus dem gleichnamigen Buch gemein. Missy liebte ihren Hund sehr und vermisst ihn heute noch, wenn sie das ein oder andere Mal an ihn denkt. Schließlich war er damals ihr bester Freund. Nach Cujos Tod haben sich alle darauf geeinigt, keinen weiteren Hund anzuschaffen.
Auf der anderen Straßenseite, gegenüber dem Hof mit dem Golden Retriever, wohnt eine Frau die vor kurzem Zwillinge auf die Welt gebracht hat. Gelegentlich sieht Missy sie mit ihrem überdimensional großen Kinderwagen die Straße entlang laufen, mit einem dicken Strahlen auf dem Gesicht. Und manchmal kommt der Neid in Missy auf. Missy hätte gerne Kinder, aber Tommy möchte noch warten.
„Ich bin noch nicht soweit“, sagt er jedes Mal, wenn sie das Thema anspricht oder bewusst Anspielungen macht.
Missy hofft, dass Tommy ehrlich genug ist und es ihr sagen würde, wenn er nie Kinder haben wolle. Denn das wäre für sie ein Grund, über die gemeinsame Zukunft nachzudenken. Eine Ex-Freundin von Tommy hat in der Vergangenheit versucht, ihm ziemlich hinterhältig ein Kind anzudrehen um die Beziehung zu halten. Missy vermutet eine Art Trauma bei Ihrem Partner, und hofft dass Tommy damit bald abgeschlossen hat.
Ab und zu sieht sie einige Katzen über die Straße flitzen oder über eines der Hoftore springen. Eine ist besonders schön. Sie ist silbergrau gestreift und hat blaue Augen. Aber die ist verdammt schnell weg, sobald sich ein Auto in der Straße bewegt, so dass Missy immer nur einen kleinen Blick auf die Schönheit erhaschen kann. Diese besondere Katze hat Missy für sich selbst „Silver“ getauft. Bei einem abendlichen Spaziergang mit Tommy durch den Ort konnte sie die Katze eines Tages etwas länger beobachten, als diese sich auf dem Hoftorpfosten eines der Häuser in der Straße in der Abendsonne den Rücken gesonnt hat. Hoch genug, dass niemand so schnell an sie rankommt, fühlte sie sich sicher und ist nicht wie sonst gleich davon gehuscht.
Silver hängt oft in der Nähe des Hofes mit dem Hund herum. Missy hat sich oft gefragt, ob die Katze, die sie ab und an davon flitzen und über eines der Tore springen sieht, sich auch in diesen Hof mit dem Hund traut. Ob die beiden sich gut verstehen, oder ob der Hund die Katze davon jagt? Sie denkt normalerweise über viele Dinge nach, wenn sie durch den Ort fährt und die Häuser, die Grundstücke oder die Tiere sieht. Nur jetzt nicht. Das Einzige was sie denkt: sie möchte schnellstmöglich weg. Weg von den Häusern, weg von den Straßen, raus aus dem Ort und vor allem weit weg von ihrem Freund.
Sie biegt nach links, dann nach einigen Metern nach rechts. Vorbei an dem Haus mit dem coolen Auto, das des Öfteren vor dem dunkelblauen Zaun steht. Sein Besitzer hat es mit einer Flip-Flop Lackierung besprühen lassen. Je nach dem aus welchem Winkel man das Auto anschaut, schimmert es in unterschiedlichen Farben. Das kommt besonders toll, wenn die Sonne auf den Lack scheint. Doch heute würdigt Missy das Auto nicht mit einem Blick. Sie kann nicht einmal sagen, ob es überhaupt da steht.
Sie biegt auf die Straße Richtung Ortsausgang und folgt dieser, bis das letzte Haus an ihr vorbei huscht. Sie schaut nicht einmal nach den Menschen auf dem kleinen Markt, der am Ende des Ortes an einigen Tagen in der Woche geöffnet hat, unter anderem freitags. An diesem tummeln sich normalerweise immer einige Ortsansässige, egal ob jung oder alt. Die Dorfbewohner kennen sich, wenn auch nur vom sehen. Es gibt den besten und größten Salat weit und breit, die Kartoffeln sind immer bombastisch gut und auch Eier gib es zu kaufen. Frische Eier, die nicht aus Massentierhaltung stammen. Missy hat sich den Bauernhof eines Tages angesehen und sich davon überzeugt, dass die Hühner wirklich ein schönes Zuhause haben. Sie sind nicht, wie leider die meisten Hühner heutzutage, eingepfercht um als Eierherstellungsmaschine des Menschen leiden zu müssen.
Ab und an gibt es auch selbstgemachte Marmelade oder selbstgemachte Nudeln. Die Bauern und Bauersfrauen sind immer sehr freundlich, geben auch gerne mal eine Handvoll Gemüse gratis dazu, die kaufenden Leute unterhalten sich noch vor den Ständen und freuen sich über die leckeren Lebensmittel, die sie meist noch am selben Tag ihrer Familie servieren werden. Das ist immer ein schönes Bild, welches Missy auf eine gewisse Weise eine heile Welt vermittelt in der sie sich wohl fühlt. Doch heute nicht.
Nun ist sie auf der Landstraße. Seitlich dieser, auf den Geh- und Fahrradwegen ist abends viel los. Viele Familien gehen mit ihren Hunden spazieren, Eltern mit ihren kleinen Kindern. Jugendliche fahren mit Inline-Skates und auch einige Fahrradfahrer läuten ihren Feierabend sportlich ein. Was sonst immer interessant für Missy ist, beachtet sie heute nicht. Von der Landstraße aus biegt sie bei der nächsten Möglichkeit ab, auf die Autobahn.
Hier kann ich richtig Gas geben, denkt sie, macht das Radio an und beschleunigt ihr Auto.
Missy fährt einen kleinen blauen Ford Fiesta, der mit seinen 8 Jahren noch gut in Schuss ist. Komplett bezahlt ist er nicht, sie hat ihn vor 2 Jahren erst gekauft. Da sie zum Zeitpunkt des Kaufes kein Kapital hatte, muss das Auto noch weitere 2 Jahre lang finanziert werden. Er ist nicht perfekt, doch sie liebt ihr Auto. Der Sitz ist auf der Seite ein klein wenig eingerissen, da der Vorbesitzer einige Kilos zu viel auf die Waage brachte. Zumindest denkt Missy, dass dies der Grund für den Riss ist. Auf der Beifahrerseite sticht ein heller Fleck ins Auge. Sie weiß auch noch genau, wie es zu diesem Fleck gekommen ist. Sie hatte ihr Auto noch nicht lange, gerade einmal 2 Monate, als es passierte. Sie war mit Tommy zum Griechen, einen Ort weiter, gefahren. Sie hatten ausnahmsweise keine Lust auf Kochen, und zudem einen sparsamen Monat gehabt und wollten sich etwas gönnen. In der einen Verpackung war etwas viel Soße gewesen und Tommy hatte nicht bemerkt, wie diese auf den Sitz getropft ist. Erst in der Wohnung haben sie gesehen, dass die Verpackung verklebt war. Einen Tag später ist Missy das Missgeschick auf dem Autositz aufgefallen, doch sie musste in die Arbeit und konnte sich nicht sofort um den Fleck kümmern. Wie auch immer, der Fleck ging nie wirklich heraus, egal was die beiden versucht haben, um ihn zu entfernen. Missy ist das egal, denn sie denkt immer an diesen schönen Abend zurück, wenn sie den Fleck sieht.
„Außerdem macht genau dieser Fleck meinen Fiesta sympathisch. Perfekt ist doch langweilig“, sagt sie zu jedem, der über den Fleck mosert und Missy auffordert, doch mal dieses oder jenes Putzmittel zu versuchen.
Auch sonst ist Missy was ihr Auto angeht sehr simpel gestrickt. Viel Wert auf Alufelgen, Spoiler und sonstige Sportausstattungen hat Missy nie gelegt, auch wenn ihr Freund sie stets dazu ansticheln möchte, damit das Auto „nicht mehr so Oma-like“ aussehen würde. Das Einzige, was sie hat machen lassen sind getönte Scheiben hinten auf der Heckscheibe und den seitlichen hinteren Fenstern. Das hat Missy eingesehen, denn sollte sie jemals mit Tommy im Auto schlafen müssen, oder was auch immer, wollte sie ungern dabei von neugierigen Augen beobachtet werden. Aber mehr wollte und wird sie an ihrem Auto was Tuning angeht nie machen, sofern das bereits dazu zählt.
„Fahren muss es“, sagte sie ihm Freund jedes Mal. „Ich möchte mein bisschen Geld lieber für unseren nächsten Urlaub ausgeben! Ein Auto ist ein Gebrauchsgegenstand und keine Schwanzverlängerung.“
Auf diese Aussage hin muss Tommy immer schmunzeln.
„Hast ja gar keinen, den man verlängern könnte.“, lautete meistens seine Antwort als Abschluss zu dem Thema.
Als Altenpflegerin verdient Missy nicht so viel wie ihr Tommy. Bei gerade einmal knapp 2.000 Euro Brutto je Monat bleibt nicht sonderlich viel hängen, wenn eine Frau noch ein Auto abzahlen, ihre Versicherungen und monatlichen Fixkosten stemmen, und noch einen Teil der gemeinsamen Möbel finanzieren muss. Sie zahlt lieber etwas weniger ab, spart dafür aber auch jeden Monat ein paar Euro damit beide ab und an in Urlaub fahren können. Zwar spendiert ihr Tommy den ein- oder anderen Ausflug und hat auch schon mehrfach angeboten, den nächsten Urlaub komplett zu übernehmen, doch das hat sie bisher immer abgelehnt. Sie möchte sich bestmöglich an allen Kosten beteiligen und vermeiden, sich jemals vorhalten zu lassen sie würde sich aushalten lassen, wie es ihr in der Vergangenheit bei einem ihrer Ex-Freunde passiert ist.
Der stressige Arbeitsalltag sorgt nicht immer für gemütliche Zweisamkeit. Dies, und auch das Geld, waren Gründe für das Zusammenziehen vor zweieinhalb Jahren gewesen. Die Mieten sind mit der Zeit teurer geworden. Da die beiden sich so oder so jeden Tag gesehen, und jede Nacht gemeinsam verbracht haben, wäre es auf Dauer sinnlos gewesen, für zwei Haushalte zu bezahlen. Der Hauptgrund war aber natürlich ihre Liebe und das Bedürfnis, noch mehr Zeit miteinander zu verbringen. Zudem hatte es beide extrem genervt, ihre Sachen hin und her zu tragen oder alles doppelt kaufen zu müssen. Doch auch wenn sie ihn sehr liebte und gerne mit ihm zusammen lebt, jetzt gerade hat sie mächtigen Zorn auf ihn!
Sie denkt kurz über Trennung nach, wie das halt so ist, wenn der Zorn auf den Partner bis in den Magen zieht.
Wer tut das nicht in Streitsituationen, beruhigt sie sich selbst, als sie sich dabei erwischt darüber nachzudenken, ob sie wegen den Trennungsgedanken ein schlechtes Gewissen haben muss.
Sie stellt sich vor wie es wäre, wenn sie oder er nun ausziehen würde. Wie es wäre, wieder alleine zu sein.
Niemand mehr, der vorschreibt wo hin der Urlaub gehen soll. Keiner der sagt, wie meine Sachen, zum Beispiel mein Auto aussehen müssen. Keiner, der über Haustiere mault.