Inhaltsverzeichnis
Buch
Autor
Prolog – Der Geschichtenerzähler
Kapitel 1
Kapitel 2
Teil Eins – Die »Mary Smith«-Morde
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Teil Zwei – Ich liebe L. A.
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Kapitel 31
Kapitel 32
Kapitel 33
Kapitel 34
Kapitel 35
Kapitel 36
Kapitel 37
Kapitel 38
Kapitel 39
Kapitel 40
Kapitel 41
Kapitel 42
Kapitel 43
Kapitel 44
Kapitel 45
Kapitel 46
Teil Drei – Jonglierakte
Kapitel 47
Kapitel 48
Kapitel 49
Kapitel 50
Kapitel 51
Kapitel 52
Kapitel 53
Kapitel 54
Kapitel 55
Kapitel 56
Kapitel 57
Kapitel 58
Kapitel 59
Kapitel 60
Kapitel 61
Kapitel 62
Kapitel 63
Kapitel 64
Kapitel 65
Kapitel 66
Kapitel 67
Kapitel 68
Kapitel 69
Kapitel 70
Kapitel 71
Teil Vier – Der blaue Geländewagen
Kapitel 72
Kapitel 73
Kapitel 74
Kapitel 75
Kapitel 76
Kapitel 77
Kapitel 78
Kapitel 79
Kapitel 80
Kapitel 81
Kapitel 82
Kapitel 83
Kapitel 84
Kapitel 85
Kapitel 86
Kapitel 87
Kapitel 88
Kapitel 89
Kapitel 90
Kapitel 91
Kapitel 92
Kapitel 93
Kapitel 94
Kapitel 95
Kapitel 96
Kapitel 97
Kapitel 98
Teil Fünf – Ende der Geschichte
Kapitel 99
Kapitel 100
Kapitel 101
Kapitel 102
Kapitel 103
Kapitel 104
Kapitel 105
Kapitel 106
Kapitel 107
Kapitel 108
Kapitel 109
Kapitel 110
Kapitel 111
Kapitel 112
Kapitel 113
Kapitel 114
Kapitel 115
Kapitel 116
Kapitel 117
Kapitel 118
Kapitel 119
Kapitel 120
Kapitel 121
Copyright
Buch
Es sind die ersten Ferien seit Jahren, und der Kriminalpsychologe Alex Cross hat fest versprochen, jede Minute mit seinen Kinder zu verbringen. Doch wieder einmal bricht Cross seine guten Vorsätze. Eine bekannte Schauspielerin ist vor ihrem Haus in Beverly Hills erschossen worden. Kurz darauf erhält ein Redakteur der »Los Angeles Times« eine E-Mail, die den Mord bis in die kleinsten Einzelheiten beschreibt. Was bisher geheim gehalten wurde: Bereits früher wurden Hollywood-Stars ermordet – und immer lautete die Unterschrift Mary Smith.
Eine weibliche Serienmörderin? Entstammen diese schrecklichen Mordpläne dem verwirrten Gehirn eines obsessiven Fans oder einer abgewiesenen Schauspielerin? Oder sind sie Teil eines weitaus schrecklicheren Plans? Sicher ist nur eins: »Mary Smith« wird wieder töten. Cross’ gesamtes psychologisches Repertoire ist gefordert, denn je tiefer er sich in die Unbekannte versetzt, desto deutlicher wird, dass er sich einen Weg durch eine dunkle Welt des Wahnsinns bahnen muss. Und noch weiß Cross nicht, wie er dem Morden ein Ende bereiten kann...
Autor
James Patterson, geboren 1949, war Kreativdirektor bei einer großen amerikanischen Werbeagentur. Seine Thriller um den Kriminalpsychologen Alex Cross machten ihn zu einem der erfolgreichsten Bestsellerautoren der Welt. Inzwischen feiert er auch mit seiner neuen packenden Thrillerserie um Detective Lindsay Boxer und den »Club der Ermittlerinnen« internationale Bestsellererfolge. James Patterson lebt mit seiner Familie in Palm Beach und Westchester, N. Y.
Weitere Informationen unter: www.jamespatterson.com
Liste lieferbarer Titel
DIE ALEX-CROSS-ROMANE: Stunde der Rache (7; 35892) -
Mauer des Schweigens (8; 35988) – Vor aller Augen (9; 36167) – Und erlöse uns von dem Bösen (10; 36232)
DER CLUB DER ERMITTLERINNEN: Der 1. Mord (36075) -
Die 2. Chance (geb. Ausgabe, Limes, 2464) – Der 3. Grad (geb. Ausgabe, Limes, 2497) – Die 4. Frau (geb. Ausgabe, Limes Verlag, 2498)
Die amerikanische Originalausgabe erschien 2005 unter dem Titel »Mary, Mary« bei Little, Brown and Company, New York.
Dies Buch ist für meine Kumpel – Johnny, Frankie, Ned, Jim und Jim, Steve, Mike, Tome und Tom, Merril, David, Peter, B.J., Del, Hal, Ron, Mickey und Bobby, Joe, Art.
Außerdem für Mary Jordan, die irgendwie zustande bringt, dass alles läuft, und die total anders ist als die berüchtigte Mary.
Prolog
Der Geschichtenerzähler
1
Erster Akt, erste Szene, dachte der Geschichtenerzähler und konnte den Schwindel erregenden Ansturm von Erwartung nicht unterdrücken. Die Wahrheit war, dass ganz gewöhnliche Menschen ständig perfekte Verbrechen und Morde begangen. Darüber hörte man aus dem schlichten Grund nichts, weil die Killer nie erwischt wurden.
Er selbstverständlich ebenfalls nicht. Das war die Grundvoraussetzung der Geschichte, die er erzählen wollte.
Was keineswegs bedeutete, dass der heutige Tag nicht nervenaufreibend war. Im Gegenteil, es war für ihn der intensivste Moment der letzten verrückten Jahre. Er war bereit, jemanden zu töten, einen völlig Fremden, und er hatte entschieden, dass New York City genau der richtige Ort für den ersten Mord sei.
Beinahe hätte der Mord vor der Toilette im Keller des Kaufhauses Bloomingdale’s stattgefunden, aber dann hatte ihn bei diesem Ort ein ungutes Gefühl beschlichen.
Selbst um halb elf morgens waren dort zu viele Menschen.
Es herrschte zu viel Trubel, war aber nicht laut genug, um die nötige Ablenkung zu gewährleisten.
Außerdem missfiel ihm die Idee, auf die ihm nicht vertraute Lexington Avenue fliehen zu müssen, besonders hinunter in die U-Bahn-Tunnel, wo man Platzangst bekam. Wenn der Zeitpunkt richtig war, würde er das spüren und dementsprechend handeln.
Daher schlenderte der Geschichtenerzähler weiter. Plötzlich beschloss er, sich im Sutton Theatre an der East 57th, einem heruntergekommenen Kino, das offensichtlich schon bessere Tage gesehen hatte, einen Film anzuschauen.
Vielleicht war dies ein guter Ort für einen Mord? Ihm gefiel die Ironie, selbst wenn er der Einzige war, der diese sah. Ja, vielleicht könnte es hier großartig klappen, dachte er, als er sich in einen der kleinen Kinosäle setzte.
Dann schaute er sich mit sieben anderen Tarantino-Fans Kill Bill II an.
Welcher dieser nichts ahnenden Menschen sollte sein Opfer werden? Du? Du? Du, dort drüben? Der Geschichtenerzähler malte sich die Geschichte im Kopf genüsslich aus.
Da waren zwei Angeber mit identischen New-York-Yankee-Baseballmützen, selbstverständlich trugen sie diese mit dem Schirm nach hinten. Diese Nervensägen quatschten ununterbrochen während der unvermeidlichen unendlichen Reklamen und Vorschauen. Beide hatten den Tod verdient.
Aber ebenso das grauenvoll gekleidete ältere Paar, das überhaupt nicht miteinander sprach. Kein einziges Wort in den fünfzehn Minuten, ehe das Licht ausging. Die beiden zu töten wäre ein gutes Werk, beinahe ein Dienst für die Öffentlichkeit.
Eine zarte Frau, Anfang vierzig, zitterte ständig. Sie saß zwei Reihen vor dem scheintoten Paar. Sie schien – außer ihn – niemanden zu stören.
Dann war da noch ein hünenhafter Schwarzer, der die Füße auf die Reihe vor ihm gelegt hatte. Was für ein ungehobelter Mistkerl. Seine alte Highschool-Jacke war mindestens XXL.
Daneben saß ein schwarzbärtiger Filmbesessener, der Kill Bill wohl schon ein Dutzend Mal gesehen hatte und Quentin Tarantino natürlich anbetete.
Es stellte sich heraus, dass der bärtige Typ als Erster aufstand, gerade als der Film etwa zur Hälfte gelaufen war, gleich nachdem Uma Thurman lebendig begraben worden war. O Gott, wie konnte man bei der klassischen Szene rausgehen!
Pflichtschuldig folgte er ihm nur wenige Sekunden später. Hinaus ins schmuddelige Foyer, dann zur Herrentoilette, welche sich neben dem Theatre II befand.
Jetzt zitterte er tatsächlich. War es das? War das sein Moment? Sein erster Mord? Der Anfang dessen, wovon er seit Monaten träumte? Besser gesagt, seit Jahren.
Er war ziemlich auf Autopilot eingestellt und bemühte sich, über nichts anderes nachzudenken, als dass er die Sache hier durchziehen und danach ins Kino rein- und wieder rauskommen musste, ohne dass sich jemand sein Gesicht oder sonstige Details einprägte.
Der Bärtige stand am Urinal. Das sah doch gut aus! Außerdem konnte der Schuss im perfekten Rahmen und direkt mit künstlerischer Regie abgegeben werden.
Der Kerl trug ein zerknittertes schmutzig schwarzes T-Shirt, auf dem NYU FILM SCHOOL stand und dazu die Klappe als Logo. Er erinnerte ihn an eine Figur aus einem Comic von Daniel Clowes. Diese graphische Scheiße war derzeit total in.
»Und... Action!«, sagte er.
Dann schoss er den armen bärtigen Verlierer in den Hinterkopf und schaute zu, wie dieser wie ein schwerer Sack auf den Boden der Toilette fiel. Dann lag er da und rührte sich nicht mehr.
»He – was zum...? Was ist denn los? He?«, hörte der Geschichtenerzähler und wirbelte herum, als würde ihn in der Herrentoilette ein Publikum beobachten.
Zwei Typen vom Personal des Sutton Theatre waren hinter ihm hereingekommen. Wie standen seine Chancen jetzt? Wie viel hatten sie gesehen?
»Herzinfarkt«, rief er und bemühte sich, überzeugend zu klingen. »Der Mann ist über dem Urinal zusammengeklappt. Helft mir, ihn hochzuheben. Der arme Hund. Er blutet.«
Keine Panik, keine Gefühlsregung und schon gar keine Skrupel. Alles war jetzt reiner Instinkt. Richtig, falsch oder unentschieden.
Dann hob er die Waffe und erschoss die beiden Kinoleute, die mit großen Augen an der Tür standen. Er schoss noch einmal auf sie, als sie auf dem Boden lagen. Nur zur Sicherheit. Wie ein Profi.
Jetzt zitterten ihm die Beine tatsächlich wie Götterspeise, aber er bemühte sich, die Herrentoilette ganz ruhig zu verlassen.
Nachdem er das Sutton Theatre verlassen hatte, schlenderte er zu Fuß auf der 57th nach Osten. Draußen kam ihm alles total unrealistisch, wie aus einer anderen Welt vor, alles war so hell und freundlich.
Er hatte es durchgezogen. Gut, er hatte anstatt nur einen drei Menschen umgebracht. Seine ersten drei Morde. Es war nur eine Übung gewesen, aber er hatte es geschafft. Und – weißt du was? – er konnte es wieder tun.
»Übung macht den Meister«, flüsterte der Geschichtenerzähler leise, als er zu seinem Auto ging, seinem Fluchtauto, richtig? Herrgott, das war das schönste Gefühl seines Lebens. Das ließ sein bisheriges Leben allerdings in keinem besonderen Licht erscheinen, oder?
Doch von jetzt an, passt auf! Passt ja auf!
Für Mary, Mary, ganz im Gegenteil.
Selbstverständlich war er der Einzige, der das kapierte. Bis jetzt zumindest.
2
Glaubst du, dass du eiskalt töten kannst, fragte er sich sehr oft nach den Morden in New York City.
Glaubst du, dass du damit jetzt aufhören kannst, nachdem du es angefangen hast? Glaubst du das?
Der Geschichtenerzähler wartete – beinahe fünf Monate quälte er sich, bis seine Zeit kam. Diese Tortur könnte man auch Disziplin oder Professionalität oder vielleicht Feigheit nennen.
Dann befand er sich plötzlich in der Killer-Bereitschaft, doch diesmal nicht zur Übung. Diesmal ging es ums Ganze, und diesmal würde kein Fremder von seiner Hand sterben.
In der Drei-Uhr-Zehn-Vorstellung war er nur ein Gesicht in der Menge. Es lief der Film The Village im Westwood Village Theatre in Los Angeles. Die Vorstellung war gut besucht. Günstig für ihn und wohl auch für den Starregisseur M. Night Shyamalan. Was für ein Name! M. Night? Verklemmter Angeber.
Offenbar war Patrice Bennett unter den letzten Menschen in der Stadt, die sich den Horrorfilm anschauten. Patrice Bennett gab sich sogar die Ehre, mitten im Publikum zu sitzen, unter Leuten, die tatsächlich eine Karte gekauft hatten – alles nur, um für ihren eigenen Film in die Schlagzeilen zu kommen. Abartig! Aber dafür war sie bekannt, richtig? Es war Patrices Tick. Sie hatte sogar die Karte im Vorverkauf besorgt. Daher wusste er, dass sie dort sein würde.
Auf alle Fälle war das jetzt kein Übungsschießen mehr. Alles musste klappen – und das würde es. Daran bestand kein Zweifel. Die Geschichte war bereits in seinem Kopf geschrieben.
Wichtig war, dass keiner im Kino ihn entdeckte. Deshalb ging er schon in die Zwölf-Uhr-Vorstellung und wartete nach Ende des Films in einer Kabine in der Toilette bis drei Uhr zehn. Eine Qual, zum Nägelkauen und nervenzerfetzend – aber es diente der Sicherheit. Vor allem konnte er jederzeit die Mission abbrechen, sollte ihn jemand entdecken.
Doch der Geschichtenerzähler wurde nicht entdeckt – zumindest glaubte er das -, außerdem sah er niemanden, den er kannte.
Jetzt waren über hundert Zuschauer im Kinosaal – oder besser mutmaßliche Täter, richtig? Zumindest ein Dutzend passte perfekt zu seinen Plänen.
Noch wichtiger war – seine Waffe hatte einen Schalldämpfer. Das hatte er bei dem atemberaubend aufregenden Abenteuer in New York City gelernt.
Patrice saß in einer der hinteren Reihen. Klarer Vorteil für mich, Patsy, dachte er. Du bist viel zu zuvorkommend, ganz untypisch für dich, du Superdreckstück.
Er beobachtete sie aus einigen Reihen hinter ihr über den Gang hinweg. Es war so köstlich – er wünschte, dieses herrliche Gefühl der Rache würde nie aufhören. Allerdings wollte er auch abdrücken und so schnell wie möglich das Westwood Theatre verlassen, ehe etwas schief ging. Aber was konnte schon schief gehen, richtig?
Als Joaquin Phoenix von Adrien Brody erstochen wurde, stand er ruhig auf und ging direkt zu Patrices Reihe. Er zögerte keine Sekunde.
»Verzeihung. Tut mir Leid«, sagte er und schob sich an den Sitzplätzen vorbei. Dabei stieg er tatsächlich über ihre nackten dünnen Beine, die für eine so wichtige Frau in Hollywood äußerst unbeeindruckend waren.
»Mein Gott, passen Sie doch auf!«, beschwerte sie sich – das war typisch für sie! Immer so unnötig übel gelaunt und arrogant.
»Den werden Sie wohl demnächst nicht sehen. Nicht Gott!«, meinte er sarkastisch und fragte sich, ob Patrice seinen Scherz begriffen hatte. Wahrscheinlich nicht. Studiogrößen kapierten subtile Bemerkungen nicht.
Er schoss zwei Mal auf sie – ein Mal ins Herz und ein Mal zwischen die total geschockten Augen. Niemand konnte zu tot sein, jedenfalls nicht für einen so machtbesessenen Irren. Wahrscheinlich würde Patrice es fertig bringen, aus dem Grab zu steigen, wie bei der Falltür am Ende der Originalversion von Carrie, Stephen Kings erstem Roman, der verfilmt worden war.
Danach gelang ihm die perfekte Flucht.
Genau wie im Film, was?
Die Geschichte hatte begonnen.
Teil Eins
Die »Mary Smith«-Morde
3
Von: Mary Smith
Arnold Griner machte seine kleinen Augen zu, legte die Hände auf den praktisch kahlen Schädel und kratzte sich die Glatze. O Gott, verschone mich! Nicht noch eine, dachte er. Das Leben ist zu kurz für diese Scheiße. Ich kann nicht mehr. Ich kann dieses Mary-Smith-Ding einfach nicht mehr ertragen.
In der Redaktion der L.A.Times summte es wie an jedem Vormittag. Telefone klingelten, Menschen rannten hinein und hinaus wie Power-Walker. Dicht neben ihm ließ sich jemand dogmatisch über die neue Herbstprogrammfolge des Fernsehens aus – als sei es heutzutage nicht allen scheißegal, wann welche Sendung im Fernsehen lief.
Wie konnte Griner sich inmitten von alledem, in seinem winzigen Büro am eigenen Schreibtisch so verwundbar fühlen? Nichtsdestotrotz war ihm genauso zu Mute.
Die Xanax, die er seit der ersten E-Mail von Mary Smith vor einer Woche einwarf, halfen überhaupt nichts gegen die Panikattacke, die ihn wie eine Spritze bei einer Lumbalbetäubung lähmte.
Panik – aber auch morbide Neugier.
Möglich, dass Arnold Griner nur ein Klatschkolumnist war, aber er erkannte einen Nachrichtenknüller, wenn er ihn sah. Eine Schlagzeile, die die Titelseite wochenlang zieren würde: »In L.A. wurde soeben jemand ermordet, der reich und berühmt war.« Er brauchte nicht die E-Mail zu lesen, um das zu wissen. »Mary Smith« hatte bereits bewiesen, dass sie eine kranke Lady war, wie sie behauptet hatte.
Warum ich von allen Menschen? Es muss einen triftigen Grund geben. Aber wenn ich den kennen würde, würde ich mit Sicherheit total ausflippen, oder?
Als er mit zitternder Hand 911 wählte, öffnete er mit der anderen Mary Smiths Nachricht. Bitte, Gott, niemand, den ich kenne! Niemand, den ich mag!
Er begann zu lesen, obwohl sich alles in ihm dagegen sträubte. Er konnte nichts dagegen tun. O Gott! Antonia Schifman! Ach, arme Antonia! Nein, weshalb sie? Antonia war einer der guten Menschen – davon gab es nicht mehr allzu viele.
An Antonia Schifman:
Ich nehme an, man könnte dies eine Antifan-Mail nennen, obwohl ich mal dein Fan war.
Wie auch immer – halb fünf Uhr morgens ist schrecklich früh für eine brillante Mutter von vier Kindern und dreimalige Academy-Award-Gewinnerin, das Haus und die Kinder zu verlassen, findest du nicht auch? Ich schätze, das ist der Preis, den wir zahlen, um das zu sein, was wir sind. Oder zumindest einer davon.
Ich war heute Morgen dort, um dir eine andere Seite von Ruhm und Reichtum in Beverly Hills zu zeigen, den Ort, den du gewählt hast, um dort zu leben und deine Kinder großzuziehen.
Es war stockdunkel, als der Fahrer kam, um dich zum Set zu bringen. Das ist ein Opfer, das du bringst, das deine Fans gar nicht zu schätzen wissen.
Ich bin direkt hinter dem Wagen durch das Tor gegangen und ihm bis vors Haus gefolgt.
Plötzlich hatte ich das Gefühl, dein Chauffeur müsse sterben, wenn ich zu dir vordringen wollte. Aber es war kein Vergnügen, ihn zu töten. Ich war so nervös und habe wie Espenlaub in einem starken Sturm gezittert.
Die Waffe zitterte sogar in meiner Hand, als ich ans Fenster klopfte. Ich hielt sie auf dem Rücken verborgen und sagte ihm, dass du in ein paar Minuten unten wärst.
»Kein Problem«, meinte er. Und weißt du was? Er hat mich kaum angeschaut. Weshalb sollte er auch? Du bist der Star der Stars, fünfzehn Millionen pro Film, habe ich gehört. Für ihn war ich nur das Hausmädchen.
Ich hatte das Gefühl, als spielte ich eine kleine Rolle in einem deiner Filme, aber glaube mir, ich hatte vor, dir diese Szene wenn irgend möglich zu klauen.
Ich wusste, ich musste sehr bald etwas Dramatisches unternehmen. Er würde sich wundern, warum ich immer noch dastand. Ich wusste nicht, ob ich nicht zu sehr Angst bekäme, wenn er mir tatsächlich in die Augen blickte. Aber dann tat er genau das – und alles lief reibungslos ab.
Ich stieß ihm die Waffe ins Gesicht und drückte auf den Abzug. So eine winzige Bewegung. Fast ein Reflex. Eine Sekunde später war er tot, einfach weggepustet. Jetzt hatte ich eigentlich freie Hand.
Ich stieg in den Wagen und wartete auf dich. Ein schöner Wagen. So elegant und bequem, Leder, gedämpftes Licht, eine Bar und ein kleiner Kühlschrank, mit deinen Lieblingssachen bestückt. Mars und M&Ms, Antonia? Schäme dich.
In gewisser Weise war es schade, dass du so früh aus dem Haus kamst. Mir hat es gefallen, in deiner Limousine zu sitzen. So still, welch ein Luxus. In diesen wenigen Minuten konnte ich begreifen, weshalb du sein wolltest, was du bist. Oder zumindest – was du warst.
Mein Herz schlägt schneller, während ich das jetzt schreibe und mich an den Moment erinnere.
Du hast eine Sekunde lang vor dem Wagen gestanden, ehe du selbst die Tür aufgemacht hast. Ungeschminkt und leger angezogen, aber dennoch atemberaubend. Du konntest mich durch die Einwegscheibe nicht sehen. Aber ich konnte dich sehen. So war es die ganze Woche, Antonia. Ich war ganz nah, und du hast mich nie bemerkt.
Was für ein unglaublicher Augenblick war das für mich! Ich in deinem Luxusschlitten. Du draußen, in einer Tweedjacke, in der du wie eine Irin vom Land ausgesehen hast.
Kaum warst du eingestiegen, habe ich die Türen blockiert und die Trennscheibe heruntergelassen. Du hattest diesen verblüfften Gesichtsausdruck, als du mich sahst. Den gleichen Ausdruck hatte ich früher schon gesehen – in deinen Filmen, wenn du Angst vorgetäuscht hast.
Wahrscheinlich war dir in diesem Moment nicht klar, dass ich ebenso große Angst hatte wie du. Nicht nur meine Hand mit der Waffe zitterte, ich bebte am ganzen Leib. Ich klapperte sogar mit den Zähnen. Deshalb habe ich dich erschossen, ehe einer von uns beiden etwas sagen konnte.
Der Moment ist viel zu schnell vergangen, aber damit hatte ich gerechnet. Dafür war das Messer bestimmt. Ich hoffe nur, dass es nicht deine Kinder sind, die dich finden. Ich möchte nicht, dass sie dich so sehen. Sie brauchen nur zu wissen, dass Mammi weggegangen ist und nicht wiederkommt.
Diese armen Kinder – Andi, Tia, Petra, Elizabeth.
Die tun mir ehrlich Leid. Arme, arme Babys ohne ihre Mammi. Kann es etwas Traurigeres geben?
Ich kenne etwas, doch das ist mein Geheimnis, und niemand wird es je erfahren.
4
Mary Smiths Wecker klingelte um halb sechs, aber sie war schon wach. Sie war hellwach und dachte ausgerechnet darüber nach, wie sie ein Stachelschweinkostüm für die Schulaufführung ihrer Tochter Ashley nähen könnte. Was sollte sie nur für die Stacheln benutzen?
Gestern war es wirklich spät geworden, trotzdem konnte sie das Tickerband mit der »Was-ich-tun-muss-Liste«, das ihr unentwegt durch den Kopf ging, nicht anhalten.
Sie brauchten noch Erdnussbutter, Cornflakes, Zyrtec-Sirup und eine kleine Glühbirne für die Nachtbeleuchtung im Bad. Um drei musste Brendan zum Fussballtraining. Gleichzeitig begann Ashleys Stepptanzunterricht, beides war fünfzehn Meilen voneinander entfernt. Finde da mal eine Lösung! Adams Schnupfen konnte sich im Laufe der Nacht so oder so entwickelt haben, und Mary konnte sich keinen weiteren Krankheitstag leisten. Bei diesem Punkt fiel ihr ein, dass sie unbedingt noch eine zweite Schicht an ihrer Arbeitsstelle anfordern musste.
Und das war der ruhige Teil des Tages! In Kürze würde sie am Herd stehen, Anordnungen geben und müsste die übliche Flut der morgendlichen Aufgaben bewältigen.
»Brendan, bitte, hilf deiner Schwester, die Schuhe zuzubinden. Brendan, ich rede mit dir!«
»Mammi, meine Socken kratzen.«
»Dann dreh sie um.«
»Darf ich Cleo mit zur Schule nehmen? Darf ich, bitte, bitte, Mammi. Bitte?«
»Ja, aber du musst sie aus dem Trockner holen. Brendan, worum habe ich dich gerade gebeten?«
Gekonnt beförderte sie perfekt lockere Rühreier auf jeden Teller, als vier Scheiben aus dem Toaster ploppten.
»Frühstück!«
Während die beiden älteren Kinder reinhauten, zog sie Adam ein Matrosenhemd über den roten Strampler. Als sie ihn zum Hochstuhl trug, sagte sie zärtlich:
»Wer ist denn der hübscheste Matrose in der Stadt? Wer ist mein kleiner Mann?« Dann kitzelte sie ihn unterm Kinn.
»Ich bin dein kleiner Mann«, erklärte Brendan lächelnd. »Ich, Mammi.«
»Du bist mein großer kleiner Mann«, erwiderte Mary und kitzelte ihn auch unterm Kinn. Dann drückte sie ihm auf die Schultern. »Und jeden Tag wirst du größer.«
»Das ist so, weil ich jeden Tag meinen Teller ganz aufesse«, sagte er und schob mit dem Daumen den letzten Rest Rührei auf die Gabel.
»Du bist eine gute Köchin, Mammi«, sagte Ashley.
»Danke, Schätzchen. Und jetzt los. B. B.W.W.«
Während Mary das Geschirr wegräumte, marschierten Brendan und Ashley den Korridor hinab und sangen: »Bürsten, bürsten, waschen, waschen. Zähne, Haare, Hände und Gesicht. Bürsten, bürsten, waschen, waschen.«
Mary stapelte das Geschirr in der Spüle, während die beiden älteren Kinder sich wuschen, wischte sie Adams Gesicht schnell mit einem feuchten Küchentuch ab, holte die Pausenbrote der Kinder, die sie am Vorabend zubereitet hatte, aus dem Kühlschrank und packte sie in den jeweiligen Rucksack.
»Ich setze Adam in den Kindersitz«, rief sie. »Der Letzte ist ein faules Ei.«
Mary hasste diesen Faules-Ei-Spruch, aber sie wusste auch, dass ein wenig Wettbewerb die Kinder auf Trab hielt. Sie hörte, wie sie in ihren Zimmer quietschten und lachten und Angst hatten, als Letzter in ihre alte Chaise einzusteigen. Mein Gott, wer sagte heutzutage noch »Chaise«? Nur Mary, Mary.
Als sie Adam anschnallte, versuchte sie, sich zu erinnern, weshalb sie am vorigen Abend so lang aufgeblieben war. Die Tage – und nun auch die Abende – schienen alle ineinander zu fließen, zu einem Wirrwarr aus Kochen, Saubermachen, Fahren, Listen schreiben, Nasen abwischen und wieder fahren. Los Angeles hatte einen Riesennachteil. Man hatte das Gefühl, das halbe Leben im Stau im Auto zu stehen.
Sie sollte wirklich einen Wagen kaufen, der weniger Benzin verbrauchte als der alte Geländewagen, den sie mit in den Westen gebracht hatte.
Sie schaute auf die Armbanduhr. Irgendwie waren zehn Minuten vergangen. Zehn kostbare Minuten. Wie konnte das sein? Immer schien sie Zeit zu verlieren.
Sie lief zur Vordertür und scheuchte Brendan und Ashley hinaus. »Wieso braucht ihr so lang? Wir kommen wieder zu spät. Heiliger Strohsack, seht nur, wie spät es ist«, sagte Mary Smith.
5
Hier waren wir, direkt in der Mitte eines Jahrhunderts, das entschieden und zynisch mit Mythen aufräumte, und plötzlich bezeichnete mich eines der einflussreichsten – oder zumindest meistgelesenen – Magazine als »Amerikas Sherlock Holmes«. Was für ein totaler Mist. Es lag mir den ganzen Vormittag im Magen. Ein investigativer Journalist namens James Truscott hatte beschlossen, mir auf Schritt und Tritt zu folgen und über die Mordfälle zu berichten, an denen ich arbeitete. Aber ich hatte ihn an der Nase herumgeführt. Ich war mit der Familie in Urlaub gefahren.
»Ich fliege nach Disneyland!«, erklärte ich Truscott und hatte gelacht. Das war, als ich ihn zum letzten Mal in Washington, D.C., gesehen hatte. Der Schreiberling hatte als Antwort nur gegrinst.
Für andere Leute mag Urlaub ja ganz normal sein. Sie machen das ständig, manchmal sogar zwei Mal im Jahr. Für die Familie Cross war es ein Riesenereignis, ein neuer Anfang.
Passenderweise spielte in der Hotelhalle gerade »A Whole New World«, als wir hindurchgingen.
»Kommt schon, ihr lahmen Enten!«, trieb Jannie uns an und rannte voraus. Damon, soeben Teenager geworden, gab sich etwas reservierter. Er blieb bei uns und hielt die Tür für Nana auf, als wir aus dem angenehm klimatisierten Hotel hinaus in den strahlenden Sonnenschein Kaliforniens schritten.
Es war eine totale Attacke auf unsere Sinne, sobald wir das Hotel verlassen hatten. Sofort stieg uns der Duft von Zimt, Schmalzgebäck und irgendeinem scharfen mexikanischen Essen in die Nase. Alles gleichzeitig. In der Ferne hörte ich auch einen Güterzug dahinbrausen, jedenfalls hörte es sich so an. Dazu Angstschreie – zum Glück die gute Art, die »Nicht-Aufhören-Art«. Ich habe die andere Sorte oft genug gehört, um den Unterschied zu kennen.
Eigentlich völlig chancenlos hatte ich beim FBI um Urlaub gebeten, diesen bewilligt bekommen und es geschafft, die Stadt zu verlassen, ehe Direktor Burns oder seine Leute mit einem halben Dutzend Gründen kamen, weshalb ich zur Zeit unabkömmlich sei. Die erste Wahl der Kinder war Disneyland und Epcot Village in Florida gewesen. Doch aus egoistischen Gründen und auch, weil im Süden Hurrikan-Saison war, hatte ich uns zu dem anderen Disneyland gebracht und dessen neuester Attraktion, die California Avenue.
»Kalifornien in der Tat.« Nana Mama stand da und hielt die Hände gegen das grelle Licht schützend über die Augen. »Seit wir hier angekommen sind, habe ich noch nichts Natürliches gesehen, Alex. Du etwa?«
Sie schürzte die Lippen und zog die Mundwinkel nach unten, aber dann musste sie selbst lachen. Das ist Nana. Sie lacht nie über Menschen, sondern mit ihnen.
»Mir kannst du nichts vormachen, alte Frau. Du genießt es, uns alle zusammen zu sehen. Überall, jederzeit. Dir wäre es sogar egal, wenn wir in Sibirien wären.«
Sie strahlte. »Also, Sibirien! Das würde ich liebend gern sehen. Eine Fahrt mit der Transsibirischen Eisenbahn, das Sajangebirge, der Baikalsee. Weißt du, es würde amerikanische Schulkinder nicht umbringen, ab und zu mal dort Urlaub zu machen, wo sie tatsächlich etwas über eine fremde Kultur lernen würden.«
Ich schaute Damon und Jannie an und rollte mit den Augen. »Einmal Lehrerin...«
»Immer Lehrerin«, sagte Jannie.
»Immer Lelin«, wiederholte Klein Alex. Er war drei Jahre alt und unser kleiner Papagei. Leider bekamen wir ihn so unregelmäßig zu sehen. Ich war oft ganz verblüfft über alles, was er tat. Seine Mutter hatte ihn vor etwas mehr als einem Jahr nach Seattle mitgenommen. Der schmerzliche Sorgerechtsprozess zwischen Christine und mir zog sich in die Länge.
Nanas Stimme riss mich aus meinen Gedanken. »Wohin gehen wir als Erstes?«
»Wir schweben über Kalifornien!«, rief Jannie, noch ehe Nana die Frage fertig gestellt hatte.
Damon stimmte zu. »Okay, aber danach ›California Screamin‹.«
Jannie steckte dem Bruder die Zunge heraus, und er stieß sie mit der Hüfte an. Für die beiden war es wie Weihnachten, die Neckereien waren nicht ernst gemeint.
»Klingt wie ein guter Plan«, sagte ich. »Und danach fahren wir mit »It’s Tough to be a Bug« mit eurem kleinen Bruder.
Ich nahm Klein Alex auf den Arm, drückte ihn an mich und küsste ihn auf beide Wangen. Er blickte mich mit seinem liebevollen, friedlichen Lächeln an.
Das Leben war wieder gut.
6
In diesem Moment sah ich den Journalisten des Magazins, James Truscott, näher kommen. Er war einsachtzig, mit schulterlangen, welligen roten Haaren, in einer schwarzen Lederjacke.
Irgendwie hatte Truscott seine Redakteure in New York dazu gebracht einzuwilligen, dass er über mich eine Serie schrieb. Grundlage dafür war, dass ich fast regelmäßig in Serienmordfälle mit äußerst problematischem Profil verstrickt wurde.
Ich hatte mir die Freiheit genommen, mich über Truscott ein wenig zu erkundigen. Er war erst dreißig, hatte an der Boston University studiert. Seine Spezialität war reales Verbrechen, und er hatte zwei Sachbücher über die Mafia veröffentlicht.
Eine Aussage, die ich über ihn gehört hatte, ging mir nicht aus dem Kopf: »Er spielt unfair.«
»Alex«, sagte er lächelnd und streckte mir die Hand hin, als seien wir alte Freunde, die sich zufällig träfen.
Ich schüttelte Truscott nur widerwillig die Hand. Es war nicht so, dass ich ihn nicht mochte oder ihm das Recht absprach, die Geschichten zu schreiben, die er wollte, aber er war bereits in einer Art und Weise in mein Leben eingedrungen, die ich für unangemessen hielt – wie tägliche E-Mails und plötzliches Auftauchen am Tatort, selbst in unserem Büro in Washington.
Und jetzt war er hier, wo ich mit meiner Familie Urlaub machte.
»Mr Truscott«, sagte ich ganz ruhig. »Sie wissen, dass ich es strikt abgelehnt habe, bei diesen Artikeln mit Ihnen zusammenzuarbeiten.«
»Kein Problem.« Er grinste. »So was bin ich gewöhnt. Das nehme ich ganz cool.«
»Ich nicht«, erklärte ich. »Offiziell bin ich nicht im Dienst. Das ist Familienzeit. Würden Sie uns in Ruhe lassen? Wir sind in Disneyland.«
Truscott nickte, als verstünde er mich, sagte dann aber: »Ihr Urlaub wird für unsere Leser auch sehr interessant sein. Die Ruhe vor dem Sturm – etwas in dieser Richtung. Das ist großartig. Disneyland ist perfekt. Das verstehen Sie doch sicher, oder?«
»Ich nicht!«, sagte Nana und trat neben Truscott. »Ihr Recht, den Arm auszustrecken, endet bei der Nase eines anderen Menschen. Haben Sie diesen weisen Spruch je gehört, junger Mann? Nun, das hätten Sie aber. Wissen Sie, Sie haben wirklich Nerven, hier so aufzutauchen.«
Gerade in diesem Moment sah ich aus dem Augenwinkel etwas, das mich noch mehr störte – eine Bewegung, die nicht zu den Umständen passte -, eine Frau in Schwarz umkreiste uns langsam von links.
Sie hatte eine Digitalkamera und machte Fotos von uns – von meiner Familie. Von Nana, wie sie Truscott zur Rede stellte.
Ich schirmte die Kinder so gut ich konnte ab. Und dann brüllte ich James Truscott an. »Wagen Sie es ja nicht, Fotos von meinen Kindern zu machen! Und jetzt verziehen Sie sich mit Ihrer Freundin. Bitte, gehen Sie. Sofort!«
Truscott hob die Hände über den Kopf, lächelte unverschämt und ging. »Ich habe Rechte, Dr. Cross. Genau wie Sie. Und sie ist nicht meine Freundin. Sie ist eine Kollegin. Das ist alles Geschäft. Meine Geschichte.«
»Gut«, sagte ich. »Aber jetzt nichts wie weg. Mein kleiner Junge ist drei Jahre alt. Lassen Sie uns gefälligst in Ruhe. Ich will die Geschichte meiner Familie nicht in einem Scheißmagazin sehen. Nicht jetzt, nie!«
7
Wir bemühten uns alle, den Journalisten Michael Truscott und seine Fotografin eine Zeit lang zu vergessen. Das gelang uns ziemlich gut. Nach unzähligen Fahrten, einer Live-Show mit Mickey Mouse, zwei Snacks und allen möglichen Spielen wagte ich den Vorschlag, zurück zum Hotel zu gehen.
»Zum Pool?«, fragte Damon und grinste. Wir hatten den riesigen Never-Land-Pool morgens auf dem Weg zum Frühstück gesehen.
Als ich an die Rezeption kam, lag dort eine Nachricht für mich, auf die ich schon gewartet hatte. Inspector Jamilla Hughes vom San Francisco Police Department war in der Stadt und wollte sich mit mir treffen. »So schnell wie möglich, am liebsten gestern«, lautete die Nachricht. »Das heißt: Setz dich in Bewegung, Mann!«
Ich verabschiedete mich mit einem um Entschuldigung bittenden Lächeln von den Haien im Pool. Aber schließlich hatte ich auch Urlaub.
»Nichts wie los, Daddy«, sagte Jannie. »Es ist Jamilla, richtig?« Damon hielt die Daumen hoch und grinste mich hinter seiner Schnorchelmaske an.
Ich ging über das Gelände vom Disneyland Hotel zum Grand California, wo ich noch ein Zimmer gebucht hatte. Dieses Hotel war vollständig mit amerikanischem Kunsthandwerk ausgestattet und sehr viel ruhiger als unseres.
Durch eine bunte Glasscheibentür betrat ich die riesige Halle. Redwood-Balken ragten sechs Stockwerke auf, Tiffany-Lampen brachten Farbe ins Erdgeschoss, wo im Zentrum ein riesiger Kamin aus Feldsteinen stand.
Aber ich schenkte alledem kaum Beachtung. Ich dachte bereits an Inspector Hughes oben in Zimmer 456.
Nicht zu fassen – ich hatte tatsächlich Urlaub.
8
Jamilla begrüßte mich an der Tür. Erst ein köstlicher Kuss, der mich von Kopf bis Fuß wärmte. Ich sah nicht viel von ihrer eleganten hellblauen Wickelbluse und dem engen schwarzen Rock, bis wir uns trennten. Mit den schwarzen Riemchensandalen mit hohen Absätzen war sie fast so groß wie ich. Heute sah sie wirklich nicht wie eine Polizistin aus, die fürs Morddezernat arbeitete.
»Ich bin gerade gekommen«, sagte sie.
»Gerade rechtzeitig«, murmelte ich und nahm sie wieder in die Arme. Jamillas Küsse waren immer, als käme ich nach Hause. Ich fragte mich, wohin das alles führen sollte, aber dann schob ich diesen Gedanken weit fort. Lass es einfach geschehen, Alex.
»Danke für die Blumen«, flüsterte sie mir ins Ohr. »Sie sind wunderschön. Ja, ich weiß, nicht so schön wie ich.«
Ich lachte laut. »Stimmt.«
Über ihre Schulter hinweg konnte ich sehen, dass der Empfangschef des Hotels, Harold Larsen, gute Arbeit geleistet hatte. Überall waren rote, weiße und rosafarbene Rosenblätter verstreut. Ich wusste, dass auf dem Nachttisch ein Dutzend langstieliger roter Rosen stand, in der Mini-Bar eine Flasche Sauvignon Blanc war und in der Stereoanlage etliche sorgfältig ausgewählte CDs warteten – Best of Al Green, Tuck and Pattis »Tears of Joy«, einige frühere Aufnahmen Alberta Hunters.
»Ich glaube, du hast mich tatsächlich vermisst«, sagte Jamilla.
Plötzlich waren wie beide ein Körper, mein Mund erforschte ihren, meine Hände pressten sie von hinten an mich. Sie hatte bereits mein Hemd halb aufgeknöpft, und ich griff zu dem seitlichen Reißverschluss ihres Rocks. Wieder küssten wir uns. Ihr Mund war so frisch und süß wie immer.
»Wenn es falsch ist, dich zu lieben, möchte ich nicht das Richtige tun«, sang ich halb geflüstert.
»Mich zu lieben ist nicht falsch.« Jamilla lächelte.
Ich tanzte sie ins Schlafzimmer.
»Wie schaffst du das mit diesen Absätzen?«, fragte ich unterwegs.
»Du hast Recht«, sagte sie und streifte die Schuhe ab, als ihr Rock zu Boden glitt.
»Wir sollten die Kerzen anzünden«, sagte ich. »Soll ich das tun?«
»Schscht, Alex. Es ist schon warm genug.«
»Allerdings.«
Danach haben wir nicht mehr viel gesprochen. Jamilla und ich schienen ohnehin immer zu wissen, was der andere dachte. Zu gewissen Zeiten war keine Konversation nötig. Ich hatte sie vermisst – mehr, als ich gedacht hätte.
Wir pressten uns aneinander, Brust gegen Brust, und atmeten in einem schönen Rhythmus. Ich wurde an ihrem Bein hart und spürte ihre Feuchtigkeit an meinem Schenkel. Dann nahm ich Jamillas schönes Gesicht in beide Hände.
Ich hatte das Gefühl, als könne sie meine Gedanken hören. Sie lächelte und nahm in sich auf, was ich soeben gedacht hatte. »Ach, wirklich?«, flüsterte sie und zwinkerte mir zu. Wir hatten diesen Scherz des Gedankenlesens schon oft gespielt.
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1. Auflage Deutsche Erstveröffentlichung März 2006 bei Blanvalet, einem Unternehmen der Verlagsgruppe Random House GmbH, München.
Copyright © by James Patterson 2005 Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2006 by Verlagsgruppe Random House GmbH
Umschlagfoto: corbis/Griffith Redaktion: Regine Kirtschig MD · Herstellung: Heidrun Nawrot
eISBN : 978-3-894-80406-0
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