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DIESES UNBEZÄHMBARE VERLANGEN von BARBARA DUNLOP Warum stellt sie im Ort Fragen über ihn? Austin beschließt, die hübsche Ruby Monaco auf seine Ranch einzuladen, um sie im Blick zu behalten. Sie wird ja nicht lange bleiben. Bloß mit dem Verlangen, das zwischen ihnen heiß entflammt, hat er nicht gerechnet … NUR EINE NACHT MIT DEM MILLIARDÄR von YAHRAH ST. JOHN Gefährlich attraktiv! denkt Asia, als ein Fremder ihr Juweliergeschäft betritt. Tatsächlich kauft Milliardär Blake Coleman nicht nur ihre teuersten Stücke – noch derselbe Abend endet für sie in seinem Bett! Doch was nur als One-Night-Stand gedacht war, hat süße Folgen … WUNDERSCHÖN - UND SO VERBOTEN von NAIMA SIMONE Sie ist wunderschön, aber leider tabu: Die Frau, die auf der Party in Boston Brans Begehren weckt, ist Tatum Haas. Ihren Vater will er unbedingt als Investor für sein Motorrad-Unternehmen gewinnen. Also Finger weg von Tatum, schwört Bran sich – vergeblich!
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Seitenzahl: 568
Barbara Dunlop, Yahrah St. John, Naima Simone
BACCARA COLLECTION BAND 475
IMPRESSUM
BACCARA COLLECTION erscheint in der Verlagsgruppe HarperCollins Deutschland GmbH, Hamburg
© Deutsche Erstausgabe 2024 in der Reihe BACCARA COLLECTION, Band 475
© 2023 by Barbara Dunlop Originaltitel: „From Highrise to High Country“ erschienen bei: Harlequin Enterprises Ltd., Toronto in der Reihe: DESIRE Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l. Übersetzung: Pola Gardner
© 2023 by Yahrah Yisrael Originaltitel: „Her One Night Consequence“ erschienen bei: Harlequin Enterprises Ltd., Toronto in der Reihe: DESIRE Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l. Übersetzung: Anne Ursinus
© 2023 by Naima Simone Originaltitel: „An Off-Limits Merger“ erschienen bei: Harlequin Enterprises Ltd., Toronto in der Reihe: DESIRE Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l. Übersetzung: Peter Müller
Abbildungen: Harlequin Books S. A., alle Rechte vorbehalten
Veröffentlicht im ePub Format in 09/2024 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.
E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck
ISBN 9783751523134
Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten. Jegliche nicht autorisierte Verwendung dieser Publikation zum Training generativer Technologien der künstlichen Intelligenz (KI) ist ausdrücklich verboten. Die Rechte des Autors und des Verlags bleiben davon unberührt. CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.
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Rancher Austin Hawkes war eigentlich nicht der Typ für Anzug und Krawatte, aber heute machte er eine Ausnahme. Schließlich war er der Trauzeuge seines Bruders.
Die Hochzeit von Dallas und seiner Braut Sierra Armstrong fand in dem großen Garten des Ranch-Hauses statt, und während der Pfarrer seine Rede hielt, schweifte Austins Blick über die sanften Wiesen und die fernen Hügel der riesigen Hawkes Cattle Ranch. Die spätsommerliche Dürre war vorbei. Das Gras auf den heimischen Weiden wuchs jetzt kniehoch, und der Oktober hatte die Blätter der Espen golden gefärbt. Sobald Dallas glücklich verheiratet war, würde das jährliche Zusammentreiben des Viehs beginnen.
Der Herbst war immer eine arbeitsreiche Zeit auf der achtzigtausend Hektar großen Ranch, aber Dallas und Sierra hatten es nicht erwarten können, endlich den Bund fürs Leben zu schließen. Also hat eine überschaubare Gruppe von Familienmitgliedern und Freunden sich zu einer kleinen Hochzeitsfeier in der malerischen Gartenlaube neben dem kleinen Wasserfall des großen Gartens versammelt.
Der Himmel war bewölkt, und der heftige Wind hatte ein paar wilde blonde Strähnen aus Sierras Hochsteckfrisur befreit. Als das Paar sein Gelübde sprach, rissen die Wolken plötzlich auf, und ein Regenbogen erschien am Horizont über den Bergen.
Sierra war eine wunderschöne Braut. Ihr Kleid war aus einfacher weißer Spitze, tailliert, mit angeschnittenen Ärmeln und einem leicht ausgestellten knielangen Rock. Der Blumenkranz aus winzigen blauen Wildblumen betonte ihre strahlenden Augen. Da sie normalerweise meist Jeans und Flanellhemden trug, war die Verwandlung verblüffend.
Austin war sich nicht sicher, ob er fand, dass sein Bruder sie verdiente. Aber wer war er schon, dass er den Männergeschmack einer so intelligenten Frau hinterfragen würde. Außerdem schien das Älterwerden Dallas gutzutun – der draufgängerische Rodeo-Cowboy war endlich bereit, sich niederzulassen.
Jetzt erklärte der Pfarrer das Paar zu Mann und Frau. Die beiden küssten sich lächelnd, und die Hochzeitsgäste klatschten und johlten. Dann wanderten alle in Richtung Haupthaus, wo sich ein riesiger Rostbraten über dem offenen Feuer drehte. Die runden Tische waren weiß gedeckt, die Wildblumen in den Vasen erinnerten an die Farben von Sierras Brautstrauß, und der Champagner lag auf Eis.
Mit geübtem Blick schätzte Austin den Stand der Sonne ein. Wenn er Glück hatte, würde der feierliche Empfang rechtzeitig zu Ende sein, sodass er diese unpraktischen Klamotten ausziehen und Hardy Rawlings auf der großen Weide namens Golden Ridge treffen konnte. Die Arbeiter der Ranch müssten die größte Herde inzwischen dort zusammengetrieben haben, sodass die Tiere am nächsten Morgen in das heimatliche Gehege gebracht werden konnten.
Neben dem Haus blitzte etwas Violettes auf – glitzernd und hell. Er kniff die Augen zusammen und sah eine Frau auf dem Rasen stehen, die wirkte, als gehöre sie auf den Laufsteg einer Fashion Show. Ihre silber-violett schimmernde Bluse fiel weich über eine elegante graue Stoffhose. Dazu trug sie spitz zulaufende Stiefeletten, lange baumelnde Silber-Ohrringe und eine moderne Sonnenbrille.
Sie wirkte verlegen und unsicher, und er konnte sie gut verstehen. Wahrscheinlich war sie eine kalifornische Freundin von Sierra, die aufgrund ihres Zuspätkommens die Hochzeitszeremonie verpasst hatte und sich jetzt mit gutem Grund schämte.
Sierra war noch immer von Gratulanten umgeben, also machte Austin sich auf den Weg zu der Frau. Verspätung hin oder her, sie hatte das Recht auf die Gastfreundschaft der Familie.
„Guten Tag“, sagte er, als er sich ihr näherte.
„Hi.“ Sie schob ihre Sonnenbrille auf ihrem langen, dunkelbraunen Haar nach oben und schaute ihn an. Die Unsicherheit in ihren hübschen Augen schien sich zu verstärken.
„Ich bin Austin, der Bruder des Bräutigams.“ Er reichte ihr die Hand.
„Ruby Monaco“, sagte sie. Die Haut ihrer schlanken Hand war kühl an seiner rauen Handfläche. „Ich habe offensichtlich schlechtes Timing.“
„Allerdings.“ Jetzt, wo er ihre Hand in der seinen hatte, wollte er sie nur ungern loslassen. Er ertappte sich dabei, wie er ein bisschen zu lang in ihre großen, dunkelbraunen Augen schaute. Ihre Wimpern waren lang und gebogen – die perfekte Entsprechung zu ihrer frechen Nase und ihren vollen Lippen.
Er legte den Kopf schief. „Wir sind alle auf der Terrasse.“
Sie nickte und entzog ihm sanft ihre Hand.
„Komm, ich bringe dich hin“, sagte er und machte Anstalten, loszugehen.
Sie rührte sich nicht vom Fleck. „Bist du sicher?“
Er warf ihr einen verwirrten Blick zu. „Natürlich bin ich sicher.“
Sie zuckte leicht mit den Schultern und ging neben ihm in Richtung Terrasse.
„Bist du aus Kalifornien?“, fragte er.
Sierra stammte eigentlich aus Carmel. Aber sie hatte erwähnt, dass sie einige enge Freunde in L.A. hatte.
„Boston“, antwortete die Frau.
„Ach?“
Sierra hatte nie jemanden aus Boston erwähnt.
„Ich unterrichte dort an der Uni.“
„Schön für dich.“
„Geschichte.“
„Bestimmt interessant.“ Er musste nur wenige Sekunden Small Talk hinbekommen, bis sie die Terrasse erreichten. Diese Frau schien Profi auf dem Gebiet zu sein.
„Ich recherchiere gerade für ein Buch.“
„Ich verstehe.“
Ihre Schritte wurden langsamer. „Bist du dir sicher, dass …?“
Sie blieb stehen. Er tat es ihr nach.
„Ich kann auch einfach ein anderes Mal kommen“, sagte sie.
„Warum denn das?“ Es war doch nicht das Ende der Welt, dass sie zu spät war. Sierra würde sicher Verständnis habe.
„Ich fühle mich wie ein Eindringling.“
„Weil du zu spät gekommen bist?“
In ihre Augen trat so etwas wie Panik.
„Austin?“ Sierra trat von hinten an ihn heran.
Er drehte sich lächelnd um und umarmte seine Schwägerin. „Willkommen in der Familie.“
Sie warf ihm ein strahlendes Lächeln zu. „Danke, Austin.“
„Und schau mal, wer da ist“, sagte er und deutete auf die fremde Frau. „Ruby hat es geschafft.“
Sierras Blick verengte sich vor Verwunderung.
„Hi“, sagte sie offensichtlich verwirrt. „Ich wusste gar nicht, dass Austin eine Freundin hat.“
Ruby Monaco wäre am liebsten im Boden versunken.
Sie war uneingeladen auf einer Hochzeitsfeier aufgekreuzt! Das war definitiv nicht der erste Eindruck, den die Familie Hawkes von ihr haben sollte.
„Freundin?“, stammelte Austin verwirrt.
Die Braut streckte ihre Hand aus und lächelte. „Ich bin Sierra. Die Braut. Offensichtlich.“ Sie lachte und deutete auf ihr weißes Kleid.
„Das ist nicht …“, begann Austin.
Sierra ignorierte ihn. „Wohnst du in Jagged Creek?“, fragte sie. Sie sah aus, als würde sie versuchen, Ruby einzuordnen, während sie ihr die Hand schüttelte.
„Boston“, antwortete Ruby ohne nachzudenken. „Ich fürchte, das Ganze ist ein Missverständnis.“
Jetzt erschien auch der Bräutigam. „Was gibt’s, Leute?“
Ruby vermutete, dass es sich um einen weiteren der Hawkes-Brüder handelte. Er war fast eine Kopie von Austin, allerdings ein paar Zentimeter kleiner und mit etwas dunklerem Haar.
Sierra sah zu ihm auf. „Wusstest du, dass Austin eine Freundin hat?“
Die Brauen des Bräutigams hoben sich sichtlich überrascht. „Wie bitte?“
„Sie ist nicht …“, versuchte Austin es wieder.
„Was ist denn das hier?“ Ein älterer Mann, imposant und ganz offensichtlich der Vater der beiden Hawkes-Männer, kam auf sie zu.
„Austins Freundin“, sagte der Bräutigam.
„Kannst du bitte damit aufhören …“, beschwerte sich Austin.
„Ich sollte gehen“, sagte Ruby und machte einen vorsichtigen Schritt nach hinten.
„Oh nein!“, rief Sierra besorgt. „Dallas, tu etwas!“
„Du willst sie einfach so gehen lassen, Austin?“, fragte Dallas. „Hattet ihr Streit?“
„Das Ganze ist ein riesiges Missverständnis“, sagte Ruby. Sie wollte nur weg hier. „Ich bin unangekündigt aufgetaucht, und Austin war so nett, mir …“
„Wie, du hast sie nicht eingeladen?“, fragte Sierra ungläubig.
„Wir sollten die beiden das allein klären lassen“, sagte Dallas bestimmt und nickte Austin verständnisvoll zu.
„Aber beeilt euch“, mahnte der ältere Mann.
„Nein, lasst euch ruhig Zeit“, sagte Sierra mit einem mitfühlenden Lächeln. „Allerdings wird das Mittagessen in etwa zehn Minuten serviert.“
Die drei gingen und gesellten sich zu der kleinen, fröhlich aussehenden Gruppe, die auf der festlich geschmückten Terrasse Champagner trank.
Austin schaute Ruby finster an. „Du gehst jetzt besser“, sagte er grimmig.
Ruby suchte verzweifelt nach einem Weg, um das Ruder nach diesem katastrophalen Start wieder herumzureißen. Sie wollte unbedingt, dass er einen guten Eindruck von ihr hatte.
„Es tut mir leid, dass das so danebengegangen ist. Ich wollte mich nur vorstellen.“
„Wer platzt bitte in eine Hochzeit, um sich vorzustellen?“
„Ich wusste nicht, dass es eine Hochzeit ist.“
Er schüttelte den Kopf. „Das weiße Kleid? Der Pfarrer? Die Blumen?“
„Ich habe einen Moment gebraucht.“ Zuerst hatte sie gedacht, das hier sei ein luxuriöses Picknick. Und noch während sie darüber nachgedacht hatte, war Austin auf sie zugekommen und hatte sie angesprochen.
„Ziemlich langsame Schlussfolgerung, Frau Professor.“
Sein Sarkasmus ärgerte sie.
„Du hast mich doch eingeladen, mit zur Terrasse zu kommen.“
„Ich dachte, du wärst eine von Sierras Freundinnen aus Kalifornien.“
„Das habe ich nie behauptet.“
„Und warum bist du dann bitte so schick gekleidet?“
„Schick? So würde ich doch niemals auf eine Hochzeit gehen.“ Ihr Outfit war definitiv zu leger für so einen Anlass.
„Es ist nur eine Ranch-Hochzeit.“
„Trotzdem.“
Er hielt inne. Zumindest war sein finsterer Blick jetzt verschwunden.
„Gut, ich gehe“, sagte sie. „Vielleicht können wir ja für die nächsten Tagen einen Termin vereinbaren.“
„Wozu das?“
„Um sich zu treffen und zu reden. Wie ich schon sagte, ich bin Geschichts-Professorin. Und die Hawkes-Ranch ist aus historischer Sicht sehr interessant. Sie verkörpert die Quintessenz der Viehzucht – harte Arbeit, Unternehmergeist und Ausdauer. Allein die Tatsache, dass die Ranch bis heute überlebt hat – und dann auch noch so gut …“ Sie deutete auf das luxuriöse Ambiente auf der Terrasse, auf den prachtvollen Garten und auf die weiten Hügel im Hintergrund. „Ein sehr lohnenswertes Objekt für die Forschung“, schloss sie.
„Nein“, sagte er kurz.
„Ich habe dich bisher noch nicht mal um etwas gebeten.“ Er wollte sich nicht mal zu einem ersten Gespräch treffen? Wie unfreundlich konnte man sein?!
„Ich habe keine Zeit, mich aushorchen zu lassen“, brummte er.
„Ich habe wochenlang Nachforschungen über die Region, die Stadt, die Viehzucht und die Hawkes angestellt. Ich fange nicht bei null an.“
„Nein“, wiederholte er unbeirrt.
Ruby suchte nach Worten. Sie brauchte dieses Forschungsprojekt dringend, um ihre Karriere zu retten. Und Austin Hawkes war ihre erste Wahl. Als ältester Sohn lebte er seit drei Jahrzehnten auf der Ranch – im Gegensatz zu seinen beiden Brüdern, von denen der eine den Großteil des Jahres mit Rodeo-Reiten verbrachte, und der andere bei der Marine war. Und seine Schwester McKinney war mit ihren neunzehn Jahren noch viel zu jung.
„Nur wegen dieses unglücklichen Missverständnisses denkst du jetzt schlecht von mir?“
„Ich habe nichts gegen dich persönlich.“
Sie glaubte ihm kein Wort. „Ha!“ Das war nicht gerade schlagfertig, aber es war ihr herausgerutscht, bevor sie nachdenken konnte.
Er rückte ein wenig näher und senkte seine Stimme.
„Wir sind eine Ranch, auf der hart gearbeitet wird. Es ist Herbst. Die Jahreszeit, in der wir das Vieh zusammentreiben. Niemand hat Zeit, ein Buch zu schreiben.“
„Ich bin diejenige, die das Buch schreibt.“
„Du weißt, was ich meine.“
Sie sollte einfach gehen. Aber sie konnte es sich nicht leisten, ein Nein als Antwort zu akzeptieren. Es stand zu viel auf dem Spiel für sie.
Sie atmete tief durch und sagte bittend: „Es wären nur ein paar Fragen.“
„Welchen Teil von nein verstehst du nicht?“
„Austin?“, rief eine Stimme aus der Menge der Hochzeitsgäste. Sierra winkte ihnen beiden fröhlich zu. „Kommt ihr?“
Alle hatten Platz genommen. Wahrscheinlich hatte er eine Rede zu halten. Ruby wusste, dass ihr nur noch Sekunden blieben.
„Es tut mir wirklich leid, Austin. Ich wollte nicht, dass es so abläuft.“
Er lächelte kühl. „Was du nicht sagst.“
Und mit diesen Worten ließ er sie stehen.
Ruby begegnete kurz Sierras verwirrtem Blick, drehte sich schnell um und eilte zurück zu ihrem Mietwagen.
Als sie im Wagen saß, kniff sie die Augen zusammen und presste die Kiefer aufeinander. So durfte es einfach nicht enden!
Nach dem Anschneiden der Hochzeitstorte schlenderte Austin zu dem schmalen Bach, der sich durch den Garten schlängelte. Die Sonne näherte sich bereits dem westlichen Horizont, und er hatte gehofft, vor Einbruch der Dunkelheit nach der Herde sehen zu können. Doch niemand schien es eilig zu haben, das Fest zu beenden.
Dallas tauchte neben ihm auf. „Warum ist Ruby einfach so gegangen?“
„Sie ist nicht meine Freundin.“ Das hatte Austin seit Stunden sagen wollen.
„Ist noch zu früh, es so zu nennen, hm?“
„Nein. Ich habe die Frau heute das erste Mal gesehen.“
„Echt?“
„Ja, echt.“
„Warum hast du sie dann zur Hochzeit eingeladen?“
Austin sah seinen Bruder finster an. „Du bist so ein Witzbold.“
„Du wolltest sie doch zum Empfang bringen.“
„Ich dachte, sie sei eine Freundin von Sierra.“
„Wie bist du denn darauf gekommen?“
„Hast du sie gesehen?“
Die Frau war schön, selbstsicher und stilvoll. Und sie hatte eine ganz bestimmte Ausstrahlung. Sie war durch und durch Großstädterin.
Dallas zog eine Augenbraue hoch. „Und du bist sicher, dass du sie nicht gern daten würdest?“
„Lass mich in Ruhe. Solltest du dich nicht um deine Braut kümmern?“
Dallas machte eine wegwerfende Handbewegung. „Die amüsiert sich. Sie braucht mich nicht.“
„Darum geht es nicht. Versuch, ein Gentleman zu sein.“
Dallas hatte die letzten zehn Jahre damit verbracht, mit Rodeo-Cowboys herumzuhängen. Es war eindeutig, dass er Sierra liebte, aber er war ein wenig ungeschliffen zurückgekommen.
„Ich kann noch immer nicht fassen, dass sie ja gesagt hat“, versuchte Austin seinen kleinen Bruder zu ärgern.
„Was wollte sie eigentlich?“, fragte Dallas.
„Sierra?“, fragte Austin verwirrt.
„Ruby.“
Austins Kiefer spannten sich an, als er an das beunruhigende Gespräch erinnert wurde. „Sie will die Familie interviewen.“
Dallas riss beeindruckt die Augen auf. „Sie ist Journalistin?“
„Schlimmer.“ Ein Zeitungsartikel wäre wenigstens nur von kurzer Dauer. „Historikerin. Sie schreibt ein Buch.“
„Worüber?“
„Über uns, wie es scheint. Wahrscheinlich über Opa Clem.“
Austin nahm an, dass Ruby zu den Anfängen der Ranch und zu ihrem Urururururgroßvater zurückkehren wollte. Mit ihm hatte alles begonnen.
„Hm.“ Dallas schien sich nicht besonders an diesem Eindringen in ihre Privatsphäre zu stören.
Doch Austin wusste es besser. Sie brauchten niemanden, der in ihrer Geschichte herumstocherte und nach Geheimnissen und Skandalen suchte. „Ich habe keine Zeit für so etwas.“
Die beiden schwiegen einen Moment.
„Du solltest sie anrufen“, sagte Dallas schließlich.
„Wen anrufen?“
„Ruby.“
„Warum sollte ich das bitte tun?“
„Erzähl ihr von Opa Clem, den Viehtrieben, den Wintern, den Wölfen. Du weißt schon, all diese aufregenden Abenteuergeschichten. Vielleicht geht sie ja mit dir aus.“
Austin antwortete nicht. Das war der absurdeste Vorschlag, den er je gehört hatte.
„Du musst jemanden finden, Austin. Du gehst nie aus.“
Austin runzelte die Stirn. „Ich muss eine Herde heimbringen, das ist alles.“ Er hatte nicht vor, sein Privatleben mit diesem hoffnungslosen Romantiker zu diskutieren. Und auf keinen Fall würde er die Pläne dieser Frau unterstützen.
Alles was sie wollte, war, für ihren eigenen Profit in den privaten Angelegenheiten seiner Familie herumzuwühlen.
Ruby war überrascht, in der kleinen Stadt Jagged Creek so ein luxuriöses Hotel wie das Oberfeld zu finden. Sie hatte angenommen, dass die Website komplett übertrieben hatte – doch hier war sie nun, in einem brandneuen Fünf-Sterne-Hotel mit Blick auf die Berge von Colorado. Und als wäre das nicht toll genug, hatte die Rezeption ihr auch noch ein Upgrade für eine Suite gegeben.
Sie hatte sich von der Universität beurlauben lassen, um sich in Bezug auf ihre wissenschaftliche Karriere neu zu orientieren. Grund dafür war unter anderem, dass ihr gerade eine Festanstellung vor der Nase weggeschnappt worden war – und zwar ausgerechnet von Dr. Bert Bartholomew, einem hochnäsigen Briten mit Hang zu langatmigen, blasierten Vorträgen. Der beste Weg, den nächsten Dr. Bartholomew im Wettbewerb um die guten Jobs zu schlagen, war, ihre Publikationsliste mit einem bahnbrechenden Buch über ein fesselndes geschichtliches Thema aufzupeppen. Was das betraf, hatte sie gestern zwar einen Rückschlag erlitten, aber sie war weit davon entfernt, das Projekt Hawkes-Ranch aufzugeben.
Geschminkt, in einen flauschigen weißen Bademantel gehüllt und ihr langes Haar zu einem französischen Zopf geflochten, setzte sie sich an ihren Laptop. Bei ihrer Suche nach alteingesessenen Läden oder Restaurants, in denen die Menschen vielleicht etwas über die Geschichte der Stadt wussten, stieß sie auf eine Seniorenresidenz namens Topaz House. Sie richtete sich auf – die Leute dort lebten wahrscheinlich schon seit Jahrzehnten in dieser Gegend. Das waren genau die Menschen, die sie kennenlernen wollte.
Sie speicherte die Adresse auf ihrem Handy und stellte fest, dass das Topaz House nur ein paar Blocks von ihrem Hotel entfernt war.
Als sie sich ankleidete, summte sie fröhlich vor sich hin. Sie verspürte ein neues Gefühl der Zielstrebigkeit. Natürlich würde sie es auch noch einmal bei der Familie Hawkes versuchen – deren Geschichte wäre einfach das perfekte Herzstück für ihr Buch. Aber es gab noch eine Menge andere Spuren, denen sie nachgehen konnte, während sie Mr. Austin Hawkes ein wenig Zeit gab, sich zu beruhigen.
Um nicht mit leeren Händen in der Seniorenresidenz anzukommen, folgte Ruby einer Empfehlung des Rezeptionisten und hielt bei Maggie’s Bakeshop an, um eine große Schachtel mit frischen, nach Hefe duftenden Donuts zu kaufen.
Das Topaz House war ein wunderschönes altes Gebäude aus glattem, grauem Stein mit vier weißen Säulen über der Veranda und einem Uhrenturm, der aus dem spitzen Dach ragte. Es sah aus, als ob es in einem früheren Leben ein Rathaus gewesen sein könnte.
Alles sah sehr gepflegt aus. Der Rasen war gemäht, der Garten makellos, und die Inneneinrichtung warm und einladend. Die Lobby war in beruhigenden Burgunder- und Cremetönen gehalten, mit einem großen Kamin, in dem ein kleines Feuer flackerte und gemütliche Wärme verbreitete. Geschmackvolle Sofas und Sessel waren über den großen Raum verteilt.
„Kann ich Ihnen helfen?“, ertönte eine angenehme weibliche Stimme.
Ruby schenkte der jungen Frau, die auf sie zukam, ein freundliches Lächeln. „Ich bin mir nicht sicher, wer mein Ansprechpartner ist.“
„Geht es darum, was wir mit den Donuts machen sollen?“, fragte die Frau grinsend und deutete auf die große Schachtel in Rubys Hand.
Ruby lachte. „Ja, genau.“
„Da helfe ich gern. Ich bin Kiera Brooks, zuständig für das Freizeitangebot hier.“
„Ruby Monaco. Ich bin Geschichtsprofessorin an der Universität in Boston.“ Ruby reichte der anderen ihre Visitenkarte. „Ich recherchiere über die Geschichte der Rinderzucht im Hochland von Colorado, vor allem über die Viehbetriebe, die bis heute erhalten geblieben sind.“
Kiera wirkte fasziniert und neugierig, und Ruby nahm das als ein gutes Zeichen. „Ich werde eine Weile in der Stadt sein“, fuhr sie fort. „Und ich hoffe, dass ich mit Leuten sprechen kann, die in diesem Bereich gearbeitet haben.“
„Da sind Sie bei uns genau richtig.“
„Wunderbar! Das freut mich sehr.“
„Sind die Donuts als Bestechung gedacht?“
Ruby lachte. „Ich wollte nicht mit leeren Händen ankommen.“
„Maggie’s Donuts sind hier legendär. Sind da zufällig auch Zimtschnecken dabei?“
Ruby hielt der anderen lächelnd die Schachtel hin. „Natürlich. Bitte nehmen Sie sich eine.“
Kiera schnappte sich grinsend eine Zimtschnecke. „Lassen Sie uns den Rest ins Wohnzimmer bringen. Ich bin sicher, sie werden dort sehr gut ankommen. Übrigens duzen wir uns hier alle – also, wenn du will… wenn Sie wollen.“ Sie lachte fröhlich.
„Gern! Und danke.“ Ruby konnte ihr Glück kaum fassen. „Glaubst du, die Leute hier hätten etwas dagegen, wenn ich ihnen ein paar Fragen stelle? Oder gibt es irgendwelche Regeln dagegen?“
„Regeln gegen Besucher und Gespräche?“ Kiera schüttelte den Kopf und ging Ruby voraus in Richtung Wohnzimmer. „Im Gegenteil! Der örtliche Kindergarten kommt am Dienstagmorgen zum Spielen vorbei, und der Kirchenchor probt hier am Donnerstagabend. Je mehr Geselligkeit es gibt, desto besser.“
Sie betraten das Wohnzimmer, und Ruby sah drei Frauen in einer der gemütlichen Sesselgruppen in der Nähe des Fensters sitzen. Zwei Männer spielten an einem Tische Backgammon.
Kiera nahm Ruby die Donut-Schachtel ab und stellte sie mit ein paar Servietten auf einen Tisch. „Mimi – die Frau mit der grünen Bluse – ist in Jagged Creek aufgewachsen. Als sie jung war, hat sie auf einer der Ranches gearbeitet und für die Arbeiter gekocht. Und sie erzählt gern. Und Cloris, die neben ihr sitzt und strickt … ihr Vater war Ranch-Arbeiter auf der Hawkes Cattle Ranch.“
Aufregung und Vorfreude machten sich in Rubys Brust breit.
„Ich weiß nicht, ob du schon von dieser Ranch gehört hast“, fuhr Kiera fort. „Aber das ist einer der größten Viehbetriebe der Gegend.“
„Ich habe von ihr gehört. Meinst du, Cloris wäre zu einem Gespräch bereit?“
„Fragen wir sie einfach.“
„Sind die etwa von Maggie’s?“, wollte jetzt einer der beiden grauhaarigen Männer wissen. Er deutete augenzwinkernd auf die Donuts.
„Das sind sie, Fred“, antwortete Kiera.
Ruby lächelte ihn an. „Bitte bedient euch.“
Fred und sein Backgammon-Partner standen langsam auf und kamen auf sie zu. Freds Gesicht war mit Altersflecken übersät, aber seine hellblauen Augen leuchteten, und sein Lächeln war ansteckend.
„Das sind Fred und Oscar. Und das hier ist Ruby“, sagte Kiera. „Sie ist gekommen, um sich über die Geschichte unserer Ranches zu unterhalten.“
Fred nahm sich einen Donut mit Vanillecreme und seufzte. „Ich bin seit Jahren nicht mehr geritten.“
Oscar grinste. „Du weißt nicht mal mehr, wie ein Pferd aussieht, Fred. Gibt es Schokolade?“ Ruby reichte ihm einen mit Schokolade überzogenen Donut, und alle setzten sich gemütlich zusammen.
„Wart ihr damals Cowboys?“
Fred aß genüsslich seinen Donut. „Damals war jeder hier Cowboy. Mächtig gute Donuts. Dankeschön!“
„Ich würde wahnsinnig gern eure Geschichten hören“, sagte Ruby. „Ich arbeite an der Uni in Boston und forsche zu dem Thema.“
Oscar legte fragend seinen Kopf zur Seite. „Was hat sie gesagt?“
„Boston“, sagte Fred laut.
„Ah! Stadtmensch“, brummte Oscar.
„Erwischt“, sagte Ruby fröhlich. „Bist du in Jagged Creek aufgewachsen?“
„Geboren und aufgewachsen“, sagte er. „Damals gab es noch kein Krankenhaus.“
„Wie sah die Stadt damals aus?“, fragte Ruby. „Ich nehme an, ruhig und klein?“
„Klein, ja“, sagte Oscar. „Ruhig, nein.“
„Der Ort war voll von großen, starken Cowboys“, sagte Fred.
„Erinnerst du dich an Lucky Luke Scranton?“, fragte Oscar und stieß Fred in die Seite.
Fred grinste. „Der Mann konnte im Stehen reiten.“
„Er schlief jahrelang auf einem Heuboden. Bis er eine Frau aus Denver geheiratet hat. Dann wars vorbei mit der Freiheit.“
Beide Männer lachten laut.
„Sie hat Lucky gezwungen, ein richtiges Haus zu bauen“, sagte Oscar.
Fred schüttelte den Kopf. „Solche gibt es heute nicht mehr.“
„Ja, sie war unglaublich stark.“
„Ich meinte Lucky.“
„Der auch.“
Die beiden Männer tauschten weiter Erinnerungen aus, und Ruby versuchte sich alles zu merken. Sie hoffte, sich irgendwann Notizen machen zu können, aber vorerst wollte sie den Gesprächsfluss nicht unterbrechen. Sie hatte die Erfahrung gemacht, dass die Leute oft davon eingeschüchtert wurden, wenn man Gespräche aufnahm oder mitschrieb.
Austin hörte eine weibliche Stimme durch das offene Fenster seines Büros im Hauptgebäude der Hawkes-Ranch. Er erkannte sie gleich, das war diese Ruby Monaco. Seine Stimmung hob sich sofort – was unerwartet war. Und unerwünscht.
Es war mehr als eine Woche her, dass sie auf der Hochzeit von Dallas und Sierra aufgekreuzt war. Austin hatte sich in der Zwischenzeit einige Gedanken über sie gemacht. Er hatte sogar ihren Namen in den sozialen Medien gesucht – natürlich nur, um sich zu vergewissern, dass sie die Person war, für die sie sich ausgab. Heutzutage konnte man nie wissen.
„Ich warte gern, bis er Zeit hat“, sagte Ruby jetzt.
Austin stand auf. Er wusste, dass er die Sache ein für alle Mal klarstellen sollte. Die Familie Hawkes war kein Forschungsobjekt, das sie unter dem Mikroskop betrachten konnte. Er würde diese Frau in die Wüste schicken.
Ja, sie mochte hinreißend und faszinierend sein, mit einem schnellen, scharfen Verstand … Und sein Bruder Dallas hatte vielleicht nicht komplett danebengelegen, als er Austin vorgeschlagen hatte, sie um ein Date zu bitten. Aber das würde er auf keinen Fall tun, nicht unter diesen Umständen.
Doch als er sie im Foyer des Hauses auf ihn warten sah, hielt er unwillkürlich den Atem an. Seine Erinnerung an sie wurde ihrer Erscheinung nicht gerecht.
Ihre Augen waren dunkel und unwiderstehlich, und ihre Gesichtszüge waren weich und fein gezeichnet, mit einer angeborenen Kultiviertheit und Intelligenz. Ihre schlanke Gestalt wurde von einem weichen cremefarbenen Pullover und einer schmalen Designerjeans betont. Ihre Stiefel waren flach und im Western-Stil, aus braunem Leder und mit kreuzweiser Schnürung an den Außenknöcheln. Sie waren hübsch – und offensichtlich brandneu. Es wirkte, als bemühe sie sich ein wenig zu sehr, sich der Umgebung anzupassen.
„Ruby. Kann ich dir helfen?“
Sie zog ein kleines Notizbuch aus einer Ledertasche, die mit winzigen Nieten und geflochtenen Schnüren verziert war.
Er musste grinsen. „Hast du die auch in der Stadt gekauft?“
Sie sah ihn verwirrt an.
Er warf einen vielsagenden Blick auf ihre Stiefel. „Boots and Blues, oder?“ Das war der örtliche Laden für Westernbekleidung.
Sie lächelte verlegen, und er wusste, dass er ins Schwarze getroffen hatte.
„Kiera hat mir davon erzählt.“
„Kiera?“
„Sie arbeitet im Topaz House.“
Misstrauisch fragte er: „Was hast du im Topaz House gemacht?“
„Mich unterhalten.“ Sie öffnete das Notizbuch und klickte auf die Spitze ihres Kugelschreibers.
„Worüber?“
„Dies und das“.
Das hier gefiel ihm ganz und gar nicht. Es gab Leute im Topaz House, die eine Menge über seine Vorfahren wussten – vielleicht sogar mehr als er selbst.
Sie blätterte ein paar Seiten um und schaute ihn erwartungsvoll an. „Vielleicht kannst du ein paar Dinge bestätigen.“ Sie hielt inne. „Natürlich könntest du auch leugnen.“
Leugnen? Was zum Henker hatte sie entdeckt?
„Mit wem hast du gesprochen?“, fragte er barsch.
„Mit Mimi Richardson, Fred Wylie, Oscar Maddock und einigen anderen.“
Austin hätte sich selbst in den Hintern treten können. Als er ihr eine Abfuhr erteilt hatte, hätte er ahnen müssen, dass sie sich nach anderen Quellen umsehen würde. Und es gab so einige andere Quellen da draußen, so viel war sicher.
„Was haben sie dir erzählt?“
„Dass dein Ururgroßvater Winston seine Frau Lillian beim Pokern gewonnen hat.“
Austin presste die Kiefer zusammen. Das stimmte zwar nicht ganz, aber es war auch nicht ganz falsch. Es hatte ein Pokerspiel gegeben, und die Bekanntmachung mit Lillian – neu in der Stadt und die glamouröseste Frau, die man in dieser Gegend je zu Gesicht bekommen hatte – war gewissermaßen Teil des Einsatzes gewesen. „Es war eine andere Zeit damals.“
„Wow! Ich war mir sicher, du würdest die Story leugnen.“
Er war die Sache komplett falsch angegangen, als er sie neulich so schnell weggeschickt hatte. Das war ihm jetzt klar. Wenn sie schon in der Stadt war, war es am besten, wenn er Kontrolle darüber hatte, was sie fragte und wer ihr antwortete.
„Du willst also ein Buch voller Klatsch und Tratsch veröffentlichen?“, fragte er provokant.
„Ich will Erinnerungen veröffentlichen.“
„Alte Cowboys sind dafür bekannt, dass sie ihre Geschichten ausschmücken.“
„Sie waren nicht meine erste Wahl. Du warst meine erste Wahl.“
„Ich bin ein viel beschäftigter Mann.“
Sie warf ihm einen skeptischen Blick zu.
Er versuchte, sich nichts anmerken zu lassen, aber sie wussten beide, dass sie gewonnen hatte. Es war das Beste für ihn und seine Familie, wenn er mit ihr kooperierte.
Einige Sekunden verstrichen.
„Wonach suchst du?“, fragte er schließlich.
Es war ihr hoch anzurechnen, dass sie keine triumphierende Miene aufsetzte. „Ich bin Geschichtsprofessorin. Das heißt, ich bin auf der Suche nach geschichtlichen Fakten. Egal, ob gut, schlecht, spannend oder langweilig – ich will wissen, was in der Vergangenheit passiert ist.“
„Aber spannend würdest du vorziehen.“
Sie lächelte verschmitzt und sah dabei viel zu sexy aus für seinen Seelenfrieden.
„Spannend würde mehr Bücher verkaufen.“
„Und genau das ist mein Problem mit dir. Ich habe kein Interesse daran, dass du irgendwelche Familiengeheimnisse für dramatische Effekte und bessere Verkaufszahlen verdrehst.“
Jetzt sah sie neugierig aus. „Geheimnisse?“
„Wir waren keine Mörder und Diebe. Falls du darauf gehofft hattest.“
„Das wäre allerdings toll gewesen.“
Er musterte sie finster.
„Nur wegen der Spannung“, fuhr sie fort. „Aber nein, das ist nicht das, was ich mir erhoffe.“
„Was dann?“
„Du bist derjenige, der von Geheimnissen gesprochen hat.“
„Ich habe übertrieben. Es gab Ehen, Kinder, Krankheiten, Tod, Dürren. Und natürlich ein ständiges Auf und Ab des Marktes.“
„Gut. Das ist alles, wonach ich suche.“
Das bezweifelte er ernsthaft. „Ich habe wirklich keine Zeit für so etwas.“
„Es wird dich nicht viel Zeit kosten. Ich werde dich bei deiner Arbeit begleiten und ein paar Fragen stellen. Ich werde dir so wenig wie möglich im Weg sein.“
„Du willst mich bei der Arbeit begleiten? Den ganzen Tag?“ Er hasste die Idee – und gleichzeitig gefiel sie ihm ungemein. Auf jeden Fall wäre das der beste Weg, um zu kontrollieren, was sie herausfand.
Sie zuckte mit den Achseln. „Warum nicht?“
„Ich fange um sechs Uhr morgens an.“
„Okay.“
„Ich arbeite lange.“
„Ich auch.“
„Du müsstest reiten.“
Ihre Augen verengten sich. „Ich sagte, ich bin dabei. Ich werde alles tun, was nötig ist.“
„Du müsstest auf die Ranch ziehen.“
Das überraschte sie ganz offensichtlich. Aber sie erholte sich schnell. „Auf jeden Fall.“
Er verzog keine Miene. Er wollte nicht, dass sie merkte, dass sie ihm genau das gegeben hatte, was er wollte.
Solange sie hier wohnte, konnte sie niemanden in der Stadt ausfragen.
Ruby lehnte sich zurück und betrachtete die große, detaillierte Karte an der Wand von Austins Büro. Sie wusste, dass die Ländereien der Ranch achtzigtausend Hektar groß waren, aber als sie jetzt die Details sah – Flüsse, Seen, Berge und endloses Weideland – war sie doch beeindruckt. „Die Ranch ist riesig.“
„Wir haben im Moment dreißigtausend Tiere“, sagte Austin. „Aber das wird sich über den Winter reduzieren.“
„Wie lange hat es gedauert, die Ranch so groß zu machen?“
„Sieben Generationen.“
„Habt ihr die Originalurkunden? Kaufverträge?“ Ruby würde diese Originaldokumente liebend gern in die Hände bekommen, die Daten, die Grundstücksbeschreibungen, die historischen Unterschriften.
„Ich werde sehen, was ich finden kann.“
„Es macht mir nichts aus, selbst zu suchen. Zeig mir einfach die Schubladen oder Kisten oder was auch immer.“
Er lachte hart. „Sicher. Und wenn wir schon dabei sind – warum gebe ich dir nicht einfach den Zugang zu unserer Buchhaltung?“
„Warum nicht? Ich bin nicht vom Finanzamt.“
Er sah beleidigt aus. „Wer sagt, dass wir Angst vor dem Finanzamt haben?“
„Du klangst sehr defensiv.“
„Ich bin nicht defensiv.“
„Okay, okay.“ Sie glaubte ihm nicht, aber sie hatte keine Lust, sich mit ihm anzulegen. „Ich habe nur versucht, Rücksicht auf deine knappe Zeit zu nehmen.“
„Gut, dann lass uns aufbrechen.“
Sie schaute ihn überraschte an. „Wohin?“
„Arbeiten. Zuallererst in die Hauptscheune. Du glaubst doch nicht, dass ich den ganzen Tag im Büro herumlungere.“
„Natürlich nicht.“
Allerdings hatte sie nicht wirklich eine Vorstellung davon, wie sein Arbeitstag aussehen mochte. Vielleicht Zäune reparieren, Rinder zählen oder Heuballen von der Ladefläche eines Pick-ups kippen. Sie hoffte, dass sie keine Rinder mit dem Lasso einfangen würden oder ähnliches.
„Du musst diese Tasche loswerden“, sagte er, als sie den Flur hinunter Richtung Eingangstür gingen. „Viel zu groß. Außerdem brauchst du eine warme Jacke. Und vernünftige Schuhe.“
Sie hatte ihre flachen Stiefel eigentlich für sehr vernünftig gehalten. „Die sind ziemlich bequem.“
„Dort, wo wir hingehen, gibt es eine Menge Kuhmist.“
„Oh.“ Das war natürlich etwas anderes. Sie wollte ihre neuen Westernstiefel nicht ruinieren – schließlich waren sie nicht billig gewesen.
„Sollen wir dir Sachen leihen?“, fragte er. Er wirkte, als versuche er es mit Fassung zu tragen, dass sie ihn schon wieder wertvolle Zeit kostete.
„Nein, nein.“ Sie hasste es, so unvorbereitet zu sein. „Gibst du mir eine Minute?“ Sie zeigte auf die Haupttreppe, die zum Gästezimmer hinaufführte.
Er wirkte nicht besonders begeistert. „Sicher.“
Sie rannte schnell die Treppe hoch zu dem geräumigen Gästezimmer, das ihr zur Verfügung gestellt worden war. Dort zog sie Stiefel und Hose aus, schlüpfte in ihre älteste Jeans, stopfte die Taschen ihrer Steppjacke mit ihrem Handy und einem Mini-Notizbuch voll und zog dann mit leisem Bedauern ihre Wanderschuhe an. Auch die waren eigentlich zu schade, um sie mit Kuhmist zu ruinieren.
In weniger als fünf Minuten war sie wieder unten. Austin sah immer noch genervt und ungeduldig aus – und gleichzeitig auf beunruhigende Weise sexy.
Sie musterte ihn und versuchte herauszufinden, was sich in den letzten fünf Minuten an seinem Aussehen verändert hatte. Natürlich, jetzt war er eindeutig bereit für die Arbeit – und zwar für die Art von harter, schweißtreibender Arbeit, die einen Mann auf die Titelseite eines Männer-Magazins bringt.
Er trug eine dicke Jacke aus hellbraunem Drillich, die seine breiten Schultern betonte. In der Hand hielt er einen Stetson und ein Paar Lederhandschuhe, und Ruby fiel es schwer, zu ignorieren, wie seine abgenutzten Jeans sich an seine muskulösen Oberschenkel schmiegten. Und dann war da noch dieses kantige Kinn und der lässige Blick seiner mokkabraunen Augen …
Sie schluckte.
„Fertig?“, fragte er. Die abgehackte Frage war absolut nicht sexy.
Ruby nickte. Sie fühlte sich fehl am Platz. Und inkompetent. Sie redete sich ein, dass man von ihr nicht erwartete, Rinder zu treiben. Sie war mitgekommen, um sich Notizen zu machen. Viehzucht mochte Austins Fachgebiet sein, aber Forschung und Schreiben waren ihres. Sie konnte nicht weniger als er – nur andere Dinge.
Sie betraten die Veranda, und wieder war Ruby beeindruckt von der Schönheit der Landschaft um das Haus herum. Neben dem Bach und dem Wasserfall gab es einen wunderschönen Teich, der von großen Espen umstanden war. Die Auffahrt bestand aus sauberen, weißen Kieseln und führte zu drei befestigten Feldwegen, die alle sanft bergab führten.
„Wir nehmen den blauen“, sagte Austin und deutete auf drei neuwertige Pick-ups, die auf einer Fläche vor der Einfahrt geparkt waren. Jeder von ihnen trug das Hawkes-Ranch-Logo auf der Vordertür.
Ruby kletterte auf den Beifahrersitz und war froh, dass Austin keine Anstalten gemacht hatte, ihr die Tür zu öffnen. Sie wollte ihm zeigen, dass sie eine professionelle, unabhängige Frau war. Außerdem waren sie schließlich nicht auf einem Date.
„Ist es weit?“, fragte sie.
„Nein.“ Er startete den Motor und fuhr los. Drei Minuten später fuhren sie zwischen zwei eingezäunten Koppeln hindurch und parkten vor dem offenen Tor einer großen Scheune.
„Hätten wir nicht zu Fuß gehen können?“, fragte sie. Er sollte wissen, dass sie nicht aus Zucker war – auch wenn sie kein Cowgirl war.
„Das hätten wir tun können“, antwortete er.
Er ließ die Schlüssel im Pick-up stecken und stieg aus.
Sie folgte ihm.
„Dachtest du, ich könnte nicht so weit laufen?“
„Nein. Ich dachte, dass jemand hier den Pick-up brauchen könnte. Es macht keinen Sinn, sämtliche Fahrzeuge ordentlich geparkt vor dem Haus stehen zu haben.“
„Ja, das macht wirklich Sinn.“ Darauf wäre sie nicht gekommen.
„Oh, vielen Dank!“
„Machst du dich über mich lustig?“
„Ich mache mich nicht über dich lustig.“ Aber in seinen mokkafarbenen Augen blitzte es.
„Ich war nur neugierig“, verteidigte sie sich.
„Und ich habe nur deine Frage beantwortet.“
„In einem spöttischen Ton.“
„Du bist zu empfindlich.“
Das sah sie anders, aber sie würde sich mehr Mühe geben. „Ich werde versuchen, mich weniger aufzudrängen.“
„Bin gespannt, ob du das schaffst …“
„Moment mal, du hast mich schließlich eingeladen, auf der Ranch zu wohnen.“ Sie war dankbar dafür, aber es war nicht ihre Idee gewesen.
Sie betraten die Scheune. Der Ort fühlte sich riesig und hohl um sie herum an. Der süße Duft von Wiesengras in der Brise draußen wurde zu dem erdigen Geruch von Vieh.
„Ich denke einfach, in Boston bist du besser aufgehoben“, fuhr er fort, und seine Stimme veränderte ihr Timbre in dem hallenden Gebäude.
„Du kannst mir helfen, schneller dorthin zurückzukommen“, bot sie ihm pragmatisch an, während sie ihm neugierig folgte, als er die Reihen der Pferdeboxen zu beiden Seiten des Hauptgangs entlangging. Es war Jahre her, dass sie in einer winzigen Reitschule ein paar Stunden Unterricht genommen hatte.
Die meisten Ställe schienen leer zu sein, aber ein hübsches braunes Pferd steckte seinen Kopf aus seiner Box, als wäre es neugierig auf Austin und Ruby.
„Und wie mache ich das?“, wollte Austin wissen.
Für sie war die Sache ganz einfach. „Gib mir alle Infos. Verschweige nichts, und du bist mich in Windeseile wieder los.“
Er zögerte einen Moment und antwortete dann wenig überzeugend. „Klar.“
Sie verdrehte im Geist die Augen.
Er schaute sie an. „Was ist?“
„Das klang alles andere als ehrlich.“
Sein Blick war durchdringend. „Sag mir, was du wissen willst.“
„Die spannenden Sachen, Austin. Ich will, dass du mir von all den Familiengeheimnissen erzählst.“
Austin hatte nicht erwartet, dass das Haus so still sein würde.
Dallas und Sierra bauten momentan ihr eigenes Haus in der Nähe der White Foam Falls und wohnten in einem Wohnmobil auf der Baustelle. Sein Vater und seine Schwester McKinney waren für ein paar Tage in Denver. Und der Koch der Familie, Victor, war am Nachmittag zu seiner Familie gefahren, weil seine Tochter in den nächsten Tagen ein Kind erwartete.
Austin hatte Ruby heute abwechselnd extrem gefordert und dann wieder geschont, wenn ihre Erschöpfung ihm ein schlechtes Gewissen bereitete. Er war sich sicher, dass sie wie jeder andere auf der Ranch behandelt werden wollte. Sie war gut in Form, und es schien ihr nichts auszumachen, sich die Hände schmutzig zu machen. Das hatte er nicht erwartet.
Die medizinischen Untersuchungen der Tiere schienen sie zu faszinieren, und sie hatte dem Tierarzt unzählige Fragen gestellt. Es war nicht gerade so, dass das Eifersucht in Austin weckte – doch es war ihm sehr bewusst gewesen, dass Dr. Miller Single war und eher die Art von Mann, für die sich Ruby wahrscheinlich interessierte.
Jetzt kam sie die Treppen hinunter, frisch geduscht und bekleidet mit einer engen schwarzen Hose, einem bunten Pullover und weinroten flachen Schuhen. Ihre Wangen waren gerötet, ihre Lippen voll und rosa, und ihr Haar war noch feucht.
Sie sah fantastisch aus. Vor allem, wenn man bedachte, dass sie kaum länger zum Duschen und Umziehen gebraucht hatte als er.
„Willst du einen Drink?“
„Klar. Was hast du denn?“ Sie folgte ihm ins Wohnzimmer, stellte sich neben ihn an die Bar und musterte die aufgereihten Flaschen.
„Irgendwas davon?“ Er machte eine unbestimmte Geste. „Oder Wein aus dem Keller.“
Ihr Gesichtsausdruck hellte sich auf. „Ihr habt Wein?“
„Oh ja, wir haben Wein.“ Das war die Untertreibung des Jahrzehnts. „Willst du probieren?“
„Auf jeden Fall.“
Als sie ihm voraus in Richtung Keller ging, fragte er sich, ob sie wohl wund war von den Ausritten heute. Es war nicht viel gewesen, aber vielleicht zu viel für eine Anfängerin. Plötzlich fühlte er sich schuldig, weil er sie so gefordert hatte.
Aber ihr Gang war locker, ihre Oberschenkel fest und schlank und ihr Hintern sexy und wohlgeformt in der figurbetonten Hose. Er redete sich ein, dass sein Interesse an ihrer Rückseite rein fürsorglicher Natur war. Diese Lüge hielt etwa zehn Sekunden stand, dann zwang er sich, mit dem Starren aufzuhören.
„Wie fühlst du dich?“, fragte er. „Steif? Wund?“
„Nicht so schlimm“, rief sie über die Schulter.
Das überraschte ihn. Sie hatte behauptet, in der Vergangenheit nur ein paar Mal geritten zu sein. Für jemanden, der so wenig Übung hat, hatte sie scheinbar einen ungewöhnlich guten Sitz. Entweder war sie ein Naturtalent, oder sie hatte ihren Zustand beschönigt. Doch warum würde sie das tun?
„Wow“, sagte sie, als sie im Weinkeller ankamen.
Acht Hocker aus Holz und Leder umgaben eine Bar aus Naturstein und Marmor. Dahinter erstreckten sich endlose Reihen mit Weinregalen.
„Das ist …“ Sie hielt inne und blickte sich um.
„… der absolute Overkill“, beendete er ihren Satz. Sein Vater war ein obsessiver Weinkenner und außerdem ein Sammler. „Also, die europäischen Weine befinden sich auf der linken Seite, die nordamerikanischen auf der rechten Seite und einige australische und südamerikanische Jahrgänge im hinteren Teil.“
„Ich liebe Chardonnay“, sagte sie abwesend, während sie staunend an den Regalen entlangging.
„Wie wäre es mit einem weißen Burgunder?“, fragte er.
„Habe ich noch nie getrunken.“
„Gut. Dann ist das hier deine Chance.“
Er nahm eine Flasche aus dem Regal, und sie beugte sich zu ihm, um das Etikett zu lesen. „Ist das ein Wein, den du magst?“
Er zuckte nur mit den Achseln. Der Keller seines Vaters enthielt nur gute Weine, und sie schmeckten ihm alle.
Sie nahm eine andere Flasche aus dem Regal und las die geschwungene Schrift auf dem schlichten weißen Hintergrund. Ein goldenes Wappen oberhalb des Schriftzugs war die einzige Verzierung.
Austin erkannte das Weingut. Es hatte einen hervorragenden Ruf. „Du hast guten Geschmack.“
„Klingt teuer.“ Sie legte die Flasche zurück.
„Mach dir darüber keine Sorgen“, sagte er lächelnd.
Sie legte den Kopf schief. „Ich will die Situation nicht ausnutzen.“
Ihre Blicke trafen sich, und einen Moment lang schauten sie sich in die Augen, ohne etwas zu sagen.
Sie war schön, mehr als schön. Ihre dunklen Augen leuchteten, ihre Lippen waren voll, ihr Kinn perfekt geformt und ihr Hals schlank und anmutig über dem Kragen ihres Pullovers.
Verlangen schoss durch seinen Körper. Er wollte sie unbedingt in seine Arme ziehen, ihr leise Worte ins Ohr flüstern und diese so unglaublich zarten Lippen küssen.
Sie blinzelte, was ihre dichten Wimpern nur noch mehr betonte. Eine verirrte Haarsträhne lag auf ihrer Wange. Fast hätte er ihr das Haar aus dem Gesicht gestrichen.
Aber er riss sich zusammen.
Sie stützte sich auf das Weinregal, als wolle sie sich dran festhalten.
Ohne nachzudenken, berührte er ihren Ellbogen. Wärme strömte durch seine Handfläche, seinen Arm hinauf und direkt in seine Brust.
Ihre Brüste hoben und senkten sich mit einem unwillkürlichen Atemzug, ihre Lippen öffneten sich leicht.
Er gab dem Drang nach und strich ihr sanft das Haar aus dem Gesicht.
Ihre Haut war unendlich zart, und er hätte sich fast entschuldigt für seine rauen Arbeiterhände.
Aber sie schloss nur die Augen und lehnte sich fast unmerklich in seine Richtung.
Sein Unterbewusstsein übernahm die Kontrolle. Er beugte sich zu ihr hinunter und küsste sie sanft. Sie kam ihm entgegen, und er legte einen Arm um ihre Taille und zog sie noch dichter an sich heran, Brust an Brust, Schenkel an Schenkel.
Ihr Kuss vertiefte sich. Er streichelte ihre Wange und fuhr mit den Fingern durch ihr noch immer leicht feuchtes Haar.
Ihre Hände legten sich um seinen Bizeps und glitten dann zu seinen Schultern und seinem Nacken.
Er wollte sie hochheben, wollte sie die Treppe hoch und direkt in sein Bett tragen.
Seine Gedanken rasten der Situation voraus, malten sich aus, was sie alles miteinander tun würden.
Er wollte sie gerade hochheben, als sie sich von ihm löste und einen Schritt zurücktrat.
„Whoa“, sagte sie und blinzelte verwirrt.
Er zwang sich, wieder zu Sinnen zu kommen. „Habe ich da etwas falsch gedeutet?“ Vielleicht sollte er sich bei ihr entschuldigen.
„Nein.“ Sie schüttelte den Kopf. „Wir haben beide …“
Er nickte, nicht sicher, wohin dieses Gespräch führen würde. „Und wie hast du dich dabei gefühlt?“
„Unprofessionell. Und du?“
Wenn er ehrlich wäre, würde er sagen, dass er noch immer unglaublich erregt war. Aber glücklicherweise konnte er sich zurückhalten. „Überrascht.“
„Ja, geht mir auch so.“ Sie hob abwehrend die Handflächen und trat einen weiteren Schritt zurück. „Das darf nicht wieder passieren. Ich bin hier, um zu forschen, nicht um … du weißt schon.“
Er atmete tief ein und aus und kämpfte damit, sein Verlangen wegzudrängen. Schließlich schaffte er es, seine Aufmerksamkeit wieder auf die Weinregale zu lenken.
„Château Mormont Grand Cru?“ Er nahm eine weitere Flasche aus einem Regal.
Sie musterte das Etikett. „Solange der nicht zu teuer ist.“
Darüber musst du dir keine Gedanken machen. „Ich glaube, du wirst ihn mögen.“
„Gut. Wenn du dir sicher bist, dass wir ihn wirklich trinken dürfen.“
Der Kuss schien sie weniger beeindruckt zu haben als ihn – ein harter Schlag für sein Ego.
„Wir könnten die ganze Woche Wein trinken, ohne dass der Vorrat schrumpft.“
Sie runzelte die Stirn. „Ich bin nicht hier, um mich zu betrinken.“
„Schon gut, ich wollte nur veranschaulichen, wie viel Wein es hier gibt. Na, komm, lass uns nach oben gehen.“
Die Erinnerung an Austins Kuss kreiste noch immer in ihren Adern, kribbelte in ihrer Brust, verursachte ein rosiges Glühen in ihrem gesamten Nervensystem.
Er hatte ein Holzfeuer im Kamin entfacht, und das Knistern und die Wärme der Flammen gaben dem riesigen Raum ein behagliches Gefühl.
Sie war schon eine Weile nicht mehr geküsst worden, vielleicht war das der Grund. Andererseits ließ sich nicht leugnen, dass es ein fantastischer Kuss war. Ein außergewöhnlicher Kuss. Die Art von Kuss, die eine Frau all die Küsse vergessen ließ, die vor ihm gekommen waren.
Sie schüttelte sich innerlich – es war nichts Besonderes. Nur ein Kuss, gefolgt von einem Glas fabelhaften Weins, den sie viel zu schnell getrunken hatte und der ihr zu Kopf gestiegen war.
„Ich will ja nicht unbescheiden rüberkommen …“, begann sie.
„Bitte. Schmeiß alle Bescheidenheit über Bord“, sagte er locker.
„Ich sollte wohl etwas essen, bevor mir der Wein zu Kopf steigt.“
Sein Gesichtsausdruck wurde sofort schuldbewusst.
„Das sollte keine Kritik sein“, fügte sie schnell hinzu.
„Unser Koch hat heute frei.“ Er erhob sich. „Wir können in die Küche gehen und nachschauen, was es dort gibt.“
„Ich bin dabei.“
Wie alle Räume des Hauses war auch die Küche riesig.
„Wir können es einfach halten.“ Austin öffnete die Tür eines der zwei Kühlschränke. „Normalerweise gibt es hier kaltes Roastbeef.“ Er kramte in den Fächern herum, aber er schien nichts zu finden.
Ruby stellte ihr Weinglas ab und schaute an ihm vorbei in den Kühlschrank. „Es gibt Eier.“
Er verzog das Gesicht. „Eier zum Abendessen?“
„Und Schweizer Käse.“ Sie drängelte sich an seine Seite und öffnete die Gemüse-Schublade. „Frischer Spinat und Tomaten. Wie wäre es mit einer Quiche?“
Er runzelte die Stirn. „Klingt nicht besonders sättigend.“
Sie ignorierte seinen Einwand und nahm die Lebensmittel aus dem Kühlschrank. „Ich mache uns eine große Portion.“
Er musterte sie skeptisch, nickte aber.
„Setz dich einfach“, sagte sie. „Unterhalte mich mit Geschichten über die Tapferkeit von Cowboys, wenn du dich dann männlicher fühlst.“
Ihr Scherz entlockte ihm ein Lächeln. „Die Quiche bedroht nicht meine Männlichkeit – nur meinen Magen.“
„Du hast mir erzählt, dass das originale Ranch-Haus abgebrannt ist?“
„Es hatte nur zwei Zimmer, aber damals war das ein großer Verlust“, sagte er. „Die Familie zog dann in den Hühnerstall.“
Sie rümpfte die Nase bei dem Gedanken. „Sie lebten in einem Hühnerstall?“
Austin lächelte. „Er war brandneu. Also, die Hühner waren zum Glück noch nicht eingezogen. Oma Alice – sie war meine Urururururgroßmutter – war trotzdem nicht gerade begeistert von dem Arrangement. Das Feuer war eine Woche vor der Hochzeit ausgebrochen, und Opa Clem hatte ihr nichts davon erzählt. Er hatte Angst, dass sie sich weigern würde, ihn zu heiraten.“
Ruby schnitt kalte Butter in eine Schüssel mit Mehl und lächelte vor sich hin.
„Ich hätte es Oma Alice nicht verübelt. Andererseits muss ich auch den Mut von Opa Clem bewundern.“
„Er ließ nicht zu, dass irgendetwas dieser Ehe im Wege stand. Alice war die Liebe seines Lebens, zumindest behauptete er das immer.“
Ruby trank einen Schluck Wein und tauchte dann ihre Hände in die Schüssel, um den Teig zu kneten. „Und sie ist geblieben.“
„Sie ist geblieben. Aber ich glaube, den Streit hat man noch in Jagged Creek gehört.“
„Wie war es damals?“, fragte sie. „Ich meine, die Stadt?“
„Ein großer Platz an einer Straße. Ein paar Häuser. Ein Geschäft. Ein Postamt, eine Bank und ein Schulgebäude mit einem einzigen Raum. Außerdem ein Saloon und die meiste Zeit des Jahres reichlich Schlamm.“
Sie bemehlte die Arbeitsplatte und legte die Teigkugel in die Mitte. „Wo bewahrst du das Nudelholz auf?“
Er hob amüsiert eine Augenbraue. „Ich bewahre es nirgendwo auf.“
Ruby hatte für einen Moment vergessen, dass Austin in einem Haus mit Küchen- und Putzpersonal lebte. „Hast du schon mal ein Nudelholz gesehen?“
„Nur auf Bildern“, scherzte er.
Sie durchsuchte ein paar Schubladen und wurde schließlich fündig.
„Wie viele Kinder hatten sie?“, setzte sie das Gespräch über seine Vorfahren fort.
„Zwei.“ Er hielt inne. „Nein. Drei. Einer ihrer Söhne ist als Kind gestorben.“
„Das ist sehr traurig.“ Ruby versuchte sich vorzustellen, wie es sich anfühlen musste, ein Kind zu verlieren. Sie wusste, dass das Leben damals viel härter war, aber sie stellte sich die Trauer trotzdem unerträglich vor.
„Weißt du, wie er hieß?“
Austin schüttelte den Kopf. „Mein Urururgroßvater war der überlebende Sohn. Sie nannten ihn Gunner. Seine Schwester hieß Franny. Ich weiß, dass sie sehr jung nach Boston gezogen ist. Sie war eine der ersten Frauen an der Universität.“
„Yeah, Franny!“ Ruby machte ein Victory-Zeichen. Sie mochte die weibliche Seite von Austins Vorfahren.
Vielleicht könnten die Hawkes-Frauen einen Schwerpunkt ihres Buches bilden. Möglicherweise waren es gar nicht die Cowboys und die Rinder, um die es in Wirklichkeit ging. Vielleicht ging es um die Frauen, die das alles erst ermöglicht hatten.
Austin schwieg, während sie den Teig zu einem Kreis ausrollte und über die Generationen von Hawkes-Frauen nachdachte, die auf dieser Ranch gekocht und geputzt hatten. Und die vor über hundert Jahren in der einsamen Wildnis von Colorado Kinder geboren und aufgezogen hatten.
Als sie den Teig in eine Backform legte, schaute sie in seine Richtung. Sein Blick ruhte auf ihren Händen. Die Intensität, mit der er ihre Arbeitsschritte beobachtete, hatte etwas Sinnliches an sich.
Ihr wurde warm, und in ihren Adern begann es erneut zu pulsieren.
„Hast du irgendwelche Fotos?“, fragte sie, um sich selbst abzulenken. „Von der Familie?“
„Nein. Wir reden vom neunzehnten Jahrhundert.“
Er beobachtete weiterhin ihre Hände, und ihr Herzschlag wurde zu einem harten Pochen.
Sie musste sich irgendwie beruhigen. Aber sie konnte die Erinnerung an den Kuss einfach nicht auslöschen.
Entschlossen ging sie zum Waschbecken, um sich die Hände zu waschen und sich mit kaltem Wasser in die Realität zurückzuholen.
Der erste Bissen der Quiche überraschte ihn. Er hatte etwas langweilig Schmeckendes erwartet. Aber sie war köstlich. Der Teig war zart, aber herzhaft, und die Füllung aus würzigem Käse und Spinat war gut genug gewürzt, um seinen Geschmacksnerven etwas zu bieten.
„Wir findest du es?“, fragte sie.
„Sehr gut.“
„Du klingst überrascht.“
„Ich hatte erwartet, dass es … milder schmeckt.“
„Es ist das Chilipulver, das den Ausschlag gibt. Ich experimentiere gern.“
Er verschluckte sich fast. Ihre letzten Worte ließen sehr explizite Bilder vor seinem inneren Auge erscheinen. Und als wäre ein Schalter in seinem Kopf umgelegt worden, nahm er plötzlich intensiv die Nähe ihrer Lippen wahr, das Heben und Senken ihrer Brust gegen die Weichheit ihres Pullovers, die leichte Bewegung ihres Haars, das sich unter seiner Berührung so zart wie Daunen angefühlt hatte …
„Ich hätte dich nicht küssen sollen“, flüsterte er unter angehaltenem Atem.
Ihre plötzliche Stille verriet ihm, dass sie es gehört hatte.
„Wir können es nicht mehr rückgängig machen“, sagte sie leise.
„Es muss nicht zwischen uns stehen.“
„Da stimme ich dir zu.“ Sie trank einen Schluck Wein. „Die Fotos in deinem Büro … Wer sind die Menschen darauf?“
„Ich kann mich nicht erinnern.“ Es war Jahre her, dass er sich diese Fotos genau angesehen hatte.
„Wirklich?“ Sie klang skeptisch.
Er dachte nach. „Ich weiß, dass es ein paar Hochzeitsfotos gibt. Angefangen mit Winston und Lillian, glaube ich. Das sind meine Ururgroßeltern.“ Er nahm noch einen Bissen von der Quiche.
Ruby schenkte ihnen beiden Wein nach. „Und was ist ihre besondere Geschichte?“
„Sie haben damals diesen Ort für das Haus ausgesucht“, antwortete er. „Für eine kleinere Version von dem jetzigen Gebäude. Winston hat die Ländereien vergrößert, von fünftausend auf fünfzigtausend Hektar. Das meiste davon bekam er von der Regierung. Nach allem, was man hört, war er sehr gut im Verhandeln.“
„Was ist mit Lillian?“
„Ich weiß nicht viel über sie, außer dass sie zu glamourös für diesen Ort war. Sie hatte zwei Söhne. Und Zwillingstöchter. Die Mädchen starben vor ihrem ersten Geburtstag an einer Art Fieber“.
„Das ist tragisch.“ Rubys Augen verdunkelten sich. Ihre verletzliche und weiche Seite zu sehen, zerrte an seinen Gefühlen. Er wollte sie in seine Arme schließen und sie trösten. Stattdessen senkte er den Blick und aß schweigend weiter.
„Was ist mit den Söhnen?“, fragte sie nach einer Pause.
„Der Älteste, Roy, hat nie geheiratet. Er arbeitete bis in seine achtziger Jahre als Cowboy. TJ war mein Urgroßvater.“
„Kommst du mit und siehst dir die Fotos mit mir an?“, fragte sie. „Vielleicht erinnerst du dich dann an mehr.“
Die zwei Worte mit mir erregten ihn sofort – wider besseres Wissen.
„Sicher“, sagte er betont lässig.
Es war einfach Zweckmäßigkeit, sagte er sich. Je schneller sie genug Geschichten gesammelt hatte, desto schneller konnte sein Leben wieder normal werden. Er musste sich auf seine Ranch und seine Arbeit konzentrieren – statt an den Geschmack von Rubys Lippen, den Duft ihres Haares und die Weichheit ihrer Haut zu denken.
Er begegnete ihrem Blick. Das sanfte Glühen ihrer Augen stellte seine Selbstdisziplin auf eine harte Probe.
„Schau mich nicht so an“, sagte er heiser.
„Wie denn?“
„So.“
Sie blinzelte langsam. „Es ist keine Absicht.“
„Keine Absicht?“ Er glaubte ihr nicht, aber er wandte den Blick nicht ab.
Aufgeladenes Schweigen breitete sich zwischen ihnen aus.
„Wir hätten uns wirklich nicht küssen sollen“, flüsterte sie schließlich.
Er selbst hatte eine lange Liste von Gründen, die dagegen sprachen, aber er fragte sich, was ihre waren.
„Warum nicht?“
„Es verkompliziert … die Dinge.“
„Du meinst die Ausbeutung meiner Familiengeschichte für deine Wissenschaft?“
Sie schenkte ihm ein halbes Lächeln. „Ich rede von meiner Objektivität.“
„Die wichtig ist …“ Er beugte sich vor, und seine eigenen Bedenken lösten sich in Luft auf. Es war schließlich nicht so, dass er in Momenten der Leidenschaft Familiengeheimnisse ausplauderte.
„Ja, die ist wichtig.“ Sie war ihm nah, so nah.
„Aber der Schaden ist bereits angerichtet“, sagte er und näherte sich ihr noch mehr.
„Wir könnten es noch schlimmer machen“, warnte sie.
„Ich bin bereit, das zu riskieren.“
„Es geht ja auch nicht um deine Karriere.“ Doch sie wich nicht zurück.
„Es geht um mein Leben.“
„Wir sind uns also einig.“
Er war verwirrt. Einig darüber, dass sie sich wieder küssen sollten? Oder dass sie den ersten Kuss bereuten?
„Einig worüber?“
Wieder schenkte sie ihm dieses sexy halbe Lächeln. „Was meinst du?“
Also küsste er sie. Er küsste sie tief und lange. Es war genauso gut wie der erste Kuss, sogar noch besser, falls das überhaupt möglich war. Er umfasste ihr Gesicht mit seinen Händen, genoss die Sanftheit ihrer Wangen, ihres Haares, ihres Nackens.
Ihre Brüste schmiegten sich an seine Brust, und ihre Lippen öffneten sich und luden ihn ein, diesen Kuss niemals enden zu lassen. Er zog sie in seine Arme, genoss ihren süßen Geschmack, den Hauch von Wein, die erhitzte Zärtlichkeit ihrer Lippen. Schließlich hob er sie hoch und trug sie zum Küchentresen, wo er sich zwischen ihre Knie schob und mit den Händen unter ihren Pullover glitt.
Sie atmete scharf ein, als seine Hände die nackte Haut ihres Rückens berührten. Dann lehnte sie sich zurück, um ihn anzuschauen. Zerzaustes Haar umrahmte ihr Gesicht. Ihre sonnengebräunten Wangen waren auf eine Weise gerötet, die er liebte, und ihre Lippen waren geschwollen von seinen Küssen.
„Ich glaube, wir haben es gerade schlimmer gemacht“, sagte sie atemlos.
„Vielleicht können wir es so aus unserem System bekommen“, murmelte er, wobei er kein Wort von dem glaubte, was er sagte. Er konnte nicht anders, als ihr wieder eine verirrte Haarsträhne aus dem Gesicht zu streichen.
Sie ergriff sein Handgelenk. „Wir müssen unsere Energie umlenken. Weg von Küssen – hin zu Arbeit.“
Er lächelte. Ihr etwas schräger Sinn für Humor gefiel ihm. Er trat einen Schritt zurück und brach so den letzten Körperkontakt zwischen ihnen ab. „Verstanden.“
Sie schob sich an den Rand der Theke. Instinktiv wollte er eine Hand ausstrecken, um ihr herunterzuhelfen, aber er schaffte es, seine Hände bei sich zu behalten.
„Du führst deine Ranch“, sagte sie, als ihre Füße den Boden berührten.
„Und du schreibst dein Buch“, antwortete er.
Die Vereinbarung gefiel ihm nicht, aber er musste sie respektieren.
„Deal.“
Nachdem Newt Candor, der Vorarbeiter der Ranch, Austin unerwartet vom Frühstückstisch entführt hatte, sagte Ruby sich, dass es wahrscheinlich das Beste so sei. Sie konnte nicht erwarten, ihn jeden Tag als eine Art Tourguide an ihrer Seite zu haben. Außerdem war es nach dem, was gestern Abend zwischen ihnen passiert war, wahrscheinlich besser, wenn sie beide Zeit für sich hatten, damit sich die Spannung zwischen ihnen etwas abkühlen konnte.
Es wäre gestern das Einfachste der Welt gewesen, ihrem Verlangen nachzugeben und mit ihm zu schlafen. Und ihr Bauchgefühl sagte ihr, dass es fantastisch gewesen wäre.
Aber sie war nicht hier, um fantastischen Sex zu haben. Austin Hawkes zu begehren, war eine unglaublich schlechte Idee. Also zog sie sich ein paar schöne Schuhe und eine schicke Jacke an und fuhr mit ihrem Mietwagen nach Jagged Creek. Sie hoffte, Kiera würde es nicht stören, wenn sie wieder unangemeldet vorbeikam. Ruby hatte es genossen, sich mit den Bewohnern des Topaz House zu unterhalten, und sie vermutete, dass diese noch eine Menge Geschichten zu erzählen hatten.
Kiera befand sich im Empfangsbereich, als Ruby eintraf. Sie schenkte Ruby ein strahlendes Lächeln. „Ich habe mich schon gefragt, ob wir dich wiedersehen würden.“
„Ich war zu Besuch auf der Hawkes-Ranch. Ich hoffe, es ist okay, dass ich schon wieder vorbeikomme.“
„Wir sind froh, dass du hier bist. Aber Moment mal – du warst zu Besuch auf der Hawkes-Ranch?“
„Ja.“
„Eingeladen?“
„Ist das so seltsam?“
Kiera verzog das Gesicht. „Diese Familie ist nicht besonders gastfreundlich.“
Ruby wurde neugierig. Sicher, Austin hatte seine Momente, und alle anderen schienen ständig beschäftigt zu sein. Aber sie hatten sie eingeladen, bei ihnen zu wohnen. Das erschien ihr mehr als gastfreundlich.
Kiera schüttelte ernst den Kopf. „Versteh mich nicht falsch, sie unterstützen die Gemeinde bei Veranstaltungen und so, aber meistens bleiben sie unter sich.“
Die beiden betraten das Wohnzimmer des Pflegeheims. Heute hielten sich etwa zehn Menschen in dem Raum auf. Einige sahen sich auf dem großen Bildschirm ein altes Musical an, andere dösten in den Liegesesseln. Cloris schlief in ihrem Sessel, den Kopf zur Seite geneigt, das Strickzeug noch immer locker in den Händen haltend.
Ruby hielt nach weiteren bekannten Gesichtern Ausschau, in der Hoffnung, jemanden zu finden, der wach und gesprächsbereit war.
„Es schien keine große Sache zu sein“, sagte sie zu Kiera. „Ich habe Austin erzählt, was ich vorhabe, und er hat mir angeboten, mir die Ranch zu zeigen.“
„Und was genau hast du ihm gesagt?“ Kiera setzte sich an einen Platz, von dem aus sie die Lobby im Blick behalten konnte.
Ruby setzte sich zu ihr. „Dass ich für ein Buch recherchiere.“
„Hm.“ Kiera trommelte nachdenklich mit den Fingern auf dem Tisch.
„Was?“
„Ich bin mit den Hawkes-Jungs zur Schule gegangen. Ich bin im gleichen Alter wie Tyler.“
„Du kennst sie also alle?“ Ruby hatte gar nicht in Erwägung gezogen, dass auch Kiera eine Informationsquelle sein könnte.
„Vor allem aus der Ferne. Wie ich schon sagte, sie sind – und waren – nicht besonders zugänglich.“
„Als Kinder und Jugendliche auch nicht? Warum?“
Kiera war eine kluge, freundliche und hübsche Frau, und Jagged Creek war eine sehr kleine Stadt. Die jugendlichen Hawkes-Jungs hatten sich doch mit Sicherheit für sie interessiert.