Baccara Exklusiv Band 249 - Barbara Dunlop - E-Book

Baccara Exklusiv Band 249 E-Book

Barbara Dunlop

0,0
5,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

REICH, SEXY – UND GEFÄHRLICH! von BARBARA DUNLOP Darby weiß, wie man mit mächtigen Männern umgeht: Um den Bau einer Eisenbahn zu stoppen, fordert sie sogar den smarten Bürgermeister Seth Jacobs zu einem Flirt heraus. Ein gewagtes Spiel, denn leider kämpft ihr liebster Feind nicht fair … KALTE SCHULTER – HEISSES VERLANGEN von DIANA PALMER Bei der Testamentseröffnung hört Jillian entsetzt, welche Bedingung ihr Großvater an das Erbe geknüpft hat: Sie soll den zweiten Ranch-Besitzer, Sheriff Theodore Graves, heiraten! Dabei sind Ted und sie wie Feuer und Eis – und bald Mann und Frau? DER MILLIARDÄR UND DIE SINGLEMOM von EMILIE ROSE Als seine Ex ein Baby bei ihm absetzt, engagiert Milliardär Pierce Hollister sofort eine Nanny. Doch Anna bringt ihr eigenes Kind mit und sorgt so für noch mehr Trubel. Warum nur begehrt Pierce ausgerechnet diese sexy Singlemom, die so gar nicht in sein Leben passt?

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 571

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Barbara Dunlop, Diana Palmer, Emilie Rose

BACCARA EXKLUSIV BAND 249

IMPRESSUM

BACCARA EXKLUSIV erscheint in der Verlagsgruppe HarperCollins Deutschland GmbH, Hamburg

Redaktion und Verlag: Postfach 301161, 20304 Hamburg Telefon: +49(0) 40/6 36 64 20-0 Fax: +49(0) 711/72 52-399 E-Mail: [email protected]
Geschäftsführung:Katja Berger, Jürgen WelteLeitung:Miran Bilic (v. i. S. d. P.)Produktion:Christina SeegerGrafik:Deborah Kuschel (Art Director), Birgit Tonn, Marina Grothues (Foto)

Neuauflage 2024 in der Reihe BACCARA EXKLUSIV, Band 249

© 2013 by Barbara Dunlop Originaltitel: „A Cowboy‘s Temptation“ erschienen bei: Harlequin Enterprises Ltd., Toronto Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l. Übersetzung: Anja Mehrmann Deutsche Erstausgabe 2015 by Harlequin Enterprises GmbH, Hamburg,in der Reihe BACCARA COLLECTION, Band 358

© 2010 by Diana Palmer Originaltitel: „Will of Steel “ erschienen bei: Harlequin Enterprises Ltd., Toronto Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l. Übersetzung: Friederike Debachy Deutsche Erstausgabe 2014 by Harlequin Enterprises GmbH, Hamburg,in der Reihe BACCARA COLLECTION, Band 337

© 2012 by Emilie Rose Cunningham Originaltitel: „The Ties that Bind“ erschienen bei: Harlequin Enterprises Ltd., Toronto Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l. Übersetzung: Andrea Greul Deutsche Erstausgabe 2014 by Harlequin Enterprises GmbH, Hamburg,in der Reihe BACCARA, Band 1833

Abbildungen: Harlequin Books S. A., alle Rechte vorbehalten

Veröffentlicht im ePub Format in 08/2024 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 9783751523264

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten. Jegliche nicht autorisierte Verwendung dieser Publikation zum Training generativer Technologien der künstlichen Intelligenz (KI) ist ausdrücklich verboten. Die Rechte des Autors und des Verlags bleiben davon unberührt. CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:BIANCA, JULIA, ROMANA, HISTORICAL, TIFFANY

Alles über Roman-Neuheiten, Spar-Aktionen, Lesetipps und Gutscheine erhalten Sie in unserem CORA-Shop www.cora.de

Werden Sie Fan vom CORA Verlag auf Facebook.

Reich, sexy – und gefährlich!

1. KAPITEL

Er sah eigentlich nicht aus wie ein Bürgermeister … In Jeans und mit einem verbeulten Stetson auf dem Kopf stand Seth Jacobs im beleuchteten Hof der Ranch. Sein Gesicht mit den dunklen Augen und der geraden Nase war tief gebräunt. Aus dieser Entfernung wirkte er wie der Cowboy, der er war, rau und kraftvoll.

Darby Carroll nippte an einem Wodka im Plastikbecher und drückte sich vor dem Tor der neu erbauten Scheune der Davelyns herum. Ein paar Meter weiter, auf der anderen Seite der schlammigen Baustelle, stand Seth mit einigen Cowboys am offenen Feuer. Die Männer unterhielten sich und ließen eine Flasche Jack Daniel’s kreisen. Seth lachte über etwas, das einer der Cowboys sagte, und seine weißen Zähne blitzten im Feuerschein.

Es ging auf zehn Uhr zu, und die meisten jungen Familien aus Lyndon hatten ihre Kinder bereits eingesammelt und sich auf den Heimweg gemacht. Übrig geblieben waren Singles, jüngere kinderlose Ehepaare und ein paar Mittfünfziger, deren Kinder inzwischen erwachsen waren, die sich aber noch zu jung fühlten, um nach einer Party gleich mit einer Tasse Tee zu Bett zu gehen.

Der Septemberhimmel war sternenklar und im Hintergrund wummerte Tanzmusik. Die laue Luft duftete nach Weizengras, und vom Fuß des Berges war das leise Rauschen des Lyndon Rivers zu hören. Fast alle Bewohner des westlichen Tals waren zum Bau der Scheune erschienen.

Familie bedeutete in diesem Tal alles, diese Tatsache verlieh Seth Macht und Ansehen. Die Jacobs hatten sich schon vor Generationen im Tal niedergelassen, während sie selbst nur eine Zugereiste war, die den Landbesitz ihrer Großtante erst drei Jahre zuvor übernommen hatte. Manche Leute hier waren der Ansicht, dass ihr überhaupt keine eigene Meinung zustand.

Darby trank noch einen Schluck von dem herben Whisky und beobachtete weiterhin die Männer. Unwillkürlich fragte sie sich, ob ein Gespräch unter vier Augen ihrer Sache förderlich sein könnte. Sie wollte Seth Jacobs so vieles sagen, konnte so viele Argumente vorbringen. Vorausgesetzt, er war bereit, ihr zuzuhören.

Ihre Blicke trafen sich, und plötzlich fühlte sie sich gefangen. Es war, als umklammerte er mit schwieligen Händen ihre Arme. Er neigte den Kopf und sagte etwas zu dem Cowboy neben sich, dann reichte er ihm die Flasche, löste sich von der Gruppe und kam auf sie zu.

Er hatte breite Schultern und schmale Hüften, und nun überwand er mit großen Schritten die paar Meter, die zwischen ihnen lagen. Darby zweifelte nicht im Geringsten, dass er bei der Wahl zum Bürgermeister hundert Prozent aller weiblichen Stimmen erzielt hatte. Na ja, nicht ganz, zumindest sie hatte seinen Gegenspieler gewählt.

Er blieb vor ihr stehen. „Sie sehen aus wie eine Frau, die etwas loswerden will.“

Sie warf das kastanienbraune Haar zurück über den Rücken. „Und sind Sie ein Mann, der bereit ist zuzuhören?“

„Darauf habe ich sogar einen Eid geleistet“, antwortete er leichthin und verlagerte das Gewicht, sodass er mit der Schulter am breiten Pfosten des Scheunentors lehnte. „Bei hübschen Frauen nehme ich ihn besonders ernst.“

„Ich bin nicht hier, um mit Ihnen zu flirten, Bürgermeister.“

Im Blick seiner dunkelblauen Augen lag aufreizende Wärme. „Schade eigentlich.“

„Ich will mich mit Ihnen streiten.“

Er seufzte. „Hm … Dann habe ich wohl Pech gehabt.“

„Wussten Sie, dass ein Zugsignal über hundertdreißig Dezibel laut ist?“

„Nein, das wusste ich nicht“, sagte er gedehnt.

„Die Schmerzgrenze liegt bei hundertfünfundzwanzig.“ Sie zeigte auf eins ihrer Ohren und zitierte die Statistiken, die sie gelesen hatte: „Hundertvierzig Dezibel können bereits bleibende Schäden verursachen.“

„Wissen Sie eigentlich, dass Sie absolut faszinierende Augen haben? Was für eine Farbe ist das? Türkis? Grün?“

Für den Bruchteil einer Sekunde war Darby verwirrt, dann fing sie sich wieder. „Im Augenblick geht es um meine Ohren.“

Grinsend legte Seth den Kopf schief. „Die sind auch interessant.“

„Und ich würde sie gern funktionsfähig erhalten. Meine Ohren und die aller anderen Bewohner von Lyndon, vor allem die der Kinder.“

„Also … dann rate ich Ihnen, Ihre schönen Augen, die niedlichen Ohren …“ Er lehnte sich leicht zurück, um ihre Größe abzuschätzen, „und Ihren zarten Körper von den Gleisen fernzuhalten.“

„Wie betrunken sind Sie eigentlich?“, fragte sie und überlegte, ob es sinnvoll war, das Gespräch fortzusetzen.

Noch immer grinste er. „Warum?“

„Weil Sie sich nicht wie ein Bürgermeister benehmen.“

„Oh. Wie dumm von mir.“

Er nahm den Stetson ab und strich sich mit den Fingern durch das Haar, um ihm den Anschein einer Frisur zu verleihen. Dann straffte er die Schultern und das großspurige Grinsen verschwand aus seinem Gesicht. „Besser so?“

„Ihr Entwurf sieht zwölf unbewachte Bahnübergänge in der weiteren Umgebung von Lyndon City vor.“

„Ja.“

„Das sind zwölf neue Möglichkeiten für die Bürger der Stadt, ums Leben zu kommen.“

„Glauben Sie nicht, dass die Leute die hundertdreißig Dezibel des Signals hören und sich aus dem Staub machen werden?“

Darby ließ sich nicht entmutigen. „Das bedeutet zwölf Signale von bis zu hundertfünfzig Dezibel pro Zug, vierundzwanzig Stunden am Tag, sieben Tage die Woche.“

Das Grinsen war wieder da. „Rechnen können Sie offenbar ziemlich gut.“

„Ja, allerdings. Und Sie werden diese Sache ernst nehmen müssen.“

„Die Firma Mountain Railway steckt zig Millionen Dollar in dieses Projekt. Glauben Sie mir, ich nehme es ernst.“

Sie leerte ihr Glas. „Geld ist nicht alles.“

„Die Bahnlinie kommt den Ranchern zugute“, entgegnete er und wirkte plötzlich völlig nüchtern.

In Gedanken stellte Darby weitere Berechnungen an. Vielleicht war es nicht besonders klug, diese Unterhaltung an einem Abend zu führen, an dem sie bereits drei Wodka Tonic getrunken hatte.

Seth war jedoch noch nicht fertig. „Rancher und Züge leben in diesem Land schon seit über zweihundert Jahren friedlich nebeneinander.“

„In Lyndon leben nicht nur Rancher.“

Wieder lächelte er, vielsagend diesmal. „Und das ist der Grund, warum Sie dagegen sind. Sie denken, dass die Stimmung in Ihrem Ruhesitz für Damen wichtiger ist als der Wohlstand von Lyndon City.“

„Mein Ruhesitz für Damen?“ Darby spürte, dass ihre Wangen vor Empörung rot wurden. „Glauben Sie, dass wir herumsitzen und Rezepte austauschen?“

„Was tun Sie denn dort?“

Das ging ihn überhaupt nichts an, und sie hatte nicht die Absicht, es ihm zu verraten. Es war zwar kein Staatsgeheimnis, aber ihre Arbeit trug durchaus zur nationalen Sicherheit bei. „Ich warne Sie, Bürgermeister. Ich werde einen Volksentscheid beantragen, um feststellen zu lassen, ob eine Bahnlinie durch Lyndon Valley verlaufen darf oder nicht.“ Sein selbstgefälliges Grinsen verriet, dass er ihr Ausweichen bemerkte.

„Das ist nicht nötig. Die Bahnlinie war das Herzstück meines Wahlkampfes. Sie gehören zu einer Minderheit, Darby. So funktioniert Demokratie eben.“

Sie lehnte sich zu ihm. „Die Demokratie gibt mir auch das Recht auf Redefreiheit.“

Lange blickte er ihr prüfend ins Gesicht. War er beeindruckt, verärgert, oder versuchte er, die Sache aus einem neuen Blickwinkel zu betrachten?

„Ihre Augen sind wirklich faszinierend“, sagte er.

Angesichts dieser unerwarteten Worte begann es in ihrer Brust leicht zu prickeln, doch rasch schob sie das Gefühl beiseite. „Reißen Sie sich gefälligst zusammen, Bürgermeister.“

„Redefreiheit, Ms Carroll. Das gilt für alle.“

„Wollen Sie mir allen Ernstes erzählen, dass es Ihnen als Bürgermeister zusteht, mit den Bürgerinnen zu flirten?“

„Im Augenblick bin ich nur Gast auf einer Party.“

„Dann sollten wir aufhören, über Geschäfte zu reden.“ Darby musste sich eingestehen, dass das kein besonders guter Vorschlag war.

„Sie haben angefangen. Ich wollte von vornherein nur flirten.“

Tapfer hielt sie seinem Blick stand. „Ich aber nicht.“

„Zu schade.“

„Bürgermeister“, sagte sie tadelnd. Es gefiel ihr überhaupt nicht, dass sie für seine Flirtversuche offenbar empfänglich war. „Ich bin die Opposition.“

„Nur bei einem einzigen Thema.“

„Bei dem ich zum Äußersten entschlossen bin.“

„Genau wie ich.“ Bekümmert schüttelte er den Kopf. „Trotzdem haben Sie unglaubliche Augen.“

Darby ließ sich nicht beirren. „Glauben Sie mir, ich habe noch viel mehr als das“, sagte sie mit warnendem Unterton in der Stimme.

Darby hatte einen Doktortitel in Psychologie, den schwarzen Gürtel in Karate und fünf Jahre Erfahrung beim Militär. Normalerweise war sie jeder Herausforderung gewachsen, doch gegen einen Politiker war sie bisher nie angetreten. Und schon gar nicht gegen jemanden wie Seth Jacobs.

In Lyndon City sprachen die Leute voller Ehrfurcht von ihm, und sie war noch niemandem begegnet, der sich offen mit ihm angelegt hätte. Er war ein beeindruckender Gegner, und er stand zwischen ihr und ihrem Traum.

Bei der Rückkehr in das Sierra Hotel, das ihr gehörte und in dem sie wohnte, ließ sie ihren Geländewagen auf der Zufahrt stehen und betrat das Foyer. Für die kommende Woche erwarteten sie neue Gäste, doch bis dahin hatten sie und ihre wenigen Mitarbeiterinnen den Zufluchtsort am Seeufer für sich allein.

„Wie ist es gelaufen?“, fragte Marta Laurent.

Marta war die Erste gewesen, mit der Darby sich in Lyndon angefreundet hatte, inzwischen war sie die Direktionsassistentin des Hotels.

Marta schaltete die Nachrichtensendung stumm, die über den Breitbildfernseher flimmerte. „Konntest du mit ihm reden?“

Darby ließ ihren kleinen Rucksack auf das Sofa fallen und setzte sich daneben. „Ja. Aber ich glaube, er nimmt mich nicht ernst. Hey, sind dir meine Augen schon mal merkwürdig vorgekommen?“

„Mit deinen Augen ist alles in Ordnung. Was hat er denn gesagt?“

„Dass die Bürger von Lyndon City ihn gewählt haben, weil sie wussten, dass er für die Bahnlinie ist.“

„Damit hat er recht“, sagte Marta sachlich wie immer.

„Ja, ich weiß.“ Darby gab es nur ungern zu.

„Hast du überprüft, ob es möglich ist, ihn zu einem Volksentscheid zu zwingen?“

„Dazu müsste ich bis nächsten Montag sechshundert Unterschriften für eine Petition zusammenkriegen.“

„Unmöglich ist das nicht“, sagte Marta nachdenklich und setzte sich neben sie. „Ich kenne eine Menge Leute. Wir könnten eine Kampagne starten und uns mit Unterschriftslisten vor Geschäfte stellen, deren Inhaber uns wohlgesinnt sind.“

Plötzlich empfand Darby so etwas wie Hoffnung. Sie würde alles tun, um das Sierra Hotel zu schützen, denn sie wusste, dass es vielen Frauen lebenswichtige Dienste leistete.

Am Ufer des Lake Berlynn gelegen stellte es einen vollkommenen Zufluchtsort für Frauen dar, die in anspruchsvollen Jobs bei der Polizei oder beim Militär arbeiteten. Sie brauchten einen Ort, an dem sie sich unter ihresgleichen erholen konnten. Zu den Dingen, vor denen sie flohen, gehörte auch die Belästigung durch Lärm.

So war das Sierra Hotel entstanden.

Angelockt vom großen Fenster und dem beruhigenden Ausblick dahinter stand sie auf. Ein abschüssiger, nachts beleuchteter Weg führte zu einem Sandstrand. „Wir dürfen das nicht zulassen“, sagte sie.

Marta stellte sich neben sie. „Und das werden wir auch nicht.“

„Seit Jahrzehnten bringen sie die Rinder problemlos in Trucks zum Endbahnhof“, überlegte Darby laut. „Die Bahnlinie ist nur eine Frage der Bequemlichkeit.“

„Und das Sierra Hotel ist unersetzlich“, fügte Marta hinzu. „Warum erzählst du dem Bürgermeister nicht, was du hier tust? Vielleicht versteht er es dann besser.“

Darby schüttelte den Kopf. „Diese Art von Aufmerksamkeit möchte ich nicht auf uns ziehen.“ Einige ihrer Gäste hatten in ihren Organisationen hohe Posten inne, ein gewisses Maß an Diskretion war unumgänglich.

„Klar, verstehe“, sagte Marta. „Ich könnte innerhalb einer Stunde eine Website gegen die Bahn anlegen.“

„Adresse: Stoppt-Laerm-in-Lyndon.org“, sagte Darby, der die Idee gefiel.

„Ja, nicht schlecht.“ Marta nickte zustimmend.

Eine Website war ein guter Anfang. Die Einwohner von Lyndon konnten keine sinnvolle Entscheidung treffen, wenn sie nicht genau informiert waren. Und wozu war Demokratie gut, wenn die Mehrheit keine Chance bekam, mitzuentscheiden?

„Wir führen alle Zahlen und Fakten auf“, sagte Marta. „Und wir können Prospekte drucken und sie in der Stadt verteilen. Nehmen wir die Frauen ins Visier, die Jacobs nahestehen. Seine Eltern sind weggezogen, als sie in Rente gingen, aber seine Schwestern leben noch in der Stadt. Abigail ist schwanger.“

Darby bewunderte Martas klaren Verstand. Egal, worum es sich handelte, sie begann automatisch zu analysieren und Vorhersagen zu treffen.

„Du meinst, sie ist schwanger mit einem Baby, das eines Tages womöglich vom Zug überfahren wird“, führte sie den Gedanken weiter.

„Oder dessen zarte Trommelfelle von hundertfünfzig Dezibel zerrissen werden.“ Marta nickte.

„Hat seine Schwester Mandy nicht einen kleinen Jungen im Babyalter?“

„Ganz genau.“

Darby ertappte sich dabei, dass sie grinste. „Das sind großartige Ideen.“

„Danke.“ Marta erwiderte ihr Lächeln.

„Seth Jacobs, wir kommen.“

Allmählich dämmerte es Seth, dass er Darby Carroll unterschätzt hatte. Dass eine so unglaublich gut aussehende Frau auch unglaublich tüchtig sein konnte, hatte er sich nicht vorstellen können.

Er starrte auf das Plakat gegen die Bahnlinie, das am Schwarzen Brett im Foyer des Rathauses hing, und musste an die Begegnung beim Scheunenfest denken. Darbys Augen waren beunruhigend faszinierend, groß und grün und mit dunklen Wimpern. Doch sie waren keineswegs das einzig Schöne an ihr. Ihre Haut war hell und glatt. Sie hatte seidiges kastanienbraunes Haar, das ihr über den Rücken fiel. Und ihr zierlicher Körper wirkte gesund und straff. Sie schien voller Energie und Tatendrang zu sein.

Er nahm das Poster ab und betrachtete es genauer. Es war empörend und gleichzeitig beeindruckend, denn es ermunterte die Einwohner von Lyndon, einen Volksentscheid zu verlangen.

„Ich glaube nicht, dass du das darfst“, sagte Lisa Thompson hinter ihm. Sie war seine Cousine, seine Beraterin und die Teamchefin.

„Das ist mein Schwarzes Brett.“

„Nein, es gehört der Stadt“, widersprach sie. „Und die Bürger dürfen ihre Mitteilungen dort sieben Tage lang aushängen. Es ist völlig legal, die Bahnlinie zu hassen.“

Widerwillig gestand er sich ein, dass sie recht hatte, und reichte Lisa das Poster. Sie wedelte tadelnd mit dem Zeigefinger vor seinem Gesicht herum.

„Heute Morgen hatten wir ein Dutzend Anrufe zu dem Thema“, sagte sie und pinnte das Poster wieder an das Korkbrett.

„Dafür oder dagegen?“

„Beides. Durchaus möglich, dass Darby Carroll genug Unterschriften zusammenkriegt. Die Frau ist bewundernswert hartnäckig. Ich finde, ihr seid euch ziemlich ähnlich.“

„Wie bitte?“

Lisa trat einen Schritt zurück. „Tod dem Überbringer der schlechten Nachricht, stimmt’s, Boss? Es ist allgemein bekannt, dass du zu manchen Themen eindeutig Stellung beziehst und dich weigerst, nachzugeben.“

„Das tue ich zum Wohl der Stadt. Und die Bahnlinie ist gut für die Stadt.“

„Da kann ich dir nicht widersprechen.“

„Worüber streiten wir uns dann?“

„Ich meine nur, dass sie eine würdige Gegnerin ist.“

Seth konnte keine würdige Gegnerin gebrauchen, schon gar keine schöne mit hinreißend grünen Augen. Seit einem Jahr war er nun Bürgermeister, und er hatte inzwischen gemerkt, dass buchstäblich jede Entscheidung Gegner auf den Plan rief.

„Wann tritt das Wegerecht in Kraft?“, fragte er.

„Die Bürger haben noch eine Woche Zeit, sich dazu zu äußern.“

Er richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf das Poster. „Und wenn sie für ihre Petition genug Unterschriften sammelt?“

„Dann dauert es sechzig Tage, bis der Volksentscheid durchgeführt ist. So lange würde sich das Inkrafttreten verzögern.“

Er sah bereits, wie sich all seine schönen Pläne in Luft auflösten. „Hat jemand mit Mountain Railway gesprochen? Weiß man dort Bescheid?“

„Gestern habe ich mit dem Geschäftsführer geredet“, sagte Lisa.

„Und?“

„Nun, einerseits sind sie diese Art von Protest gewöhnt. Andererseits befürchten sie, dass er ihnen diesmal gefährlich werden könnte.“

„Wenn wenigstens einmal – nur ein einziges Mal! – etwas einfach wäre“, schimpfte Seth, während sie die Marmortreppe zu seinem Büro hinaufstiegen.

„Armer Boss“, neckte Lisa ihn. „Hast du erwartet, dass sie dich lieben würden?“

„Ich habe erwartet, dass sie vernünftig sind.“

„Warum? Du weißt doch, wie der Wahlkampf gelaufen ist.“

Er rang sich ein Lächeln ab. „Ich weiß, dass die meisten Bürger von Lyndon vernünftige und hart arbeitende Menschen sind. Wieso kann keiner von denen mal anrufen oder zu einer Sitzung erscheinen?“

„Weil sie mit ihren Jobs und Familien beschäftigt sind. Sie erwarten, dass du die Geschicke der Stadt für sie lenkst. Dafür wirst du bezahlt.“

Er durchquerte das Vorzimmer und betrat sein Büro. Der Raum war groß und luftig. Ein Panoramafenster zeigte auf den Fluss, eins auf den Rathausplatz. Die Farben des Herbstes erstrahlten überall. Rot, gelb und grün erstreckten sie sich bis in die Rocky Mountains.

Er stellte sich ans Fenster und blickte hinaus.

Darby Carroll hatte sich auf einen lächerlichen Kreuzzug begeben. Hundertdreißig Dezibel. Die Zahl war bedeutungslos. Niemand außer den Gleisarbeitern würde sich in der Nähe des Zuges aufhalten, wenn er pfiff. Und die Männer würden Gehörschutz tragen.

„Vielleicht solltest du mit ihr reden“, sagte Lisa, die neben ihm auftauchte.

„Um ihr was zu sagen?“

„Okay, anders ausgedrückt: Vielleicht solltest du sie anhören.“

„Glaubst du, dass das meine Meinung ändern würde?“ Lisa redete Unsinn. Genau wie alle anderen in Lyndon befürwortete sie die Eisenbahnlinie, weil sie wusste, dass sie ein Segen für die heimische Wirtschaft war.

„Oftmals wollen die Leute nur, dass man ihnen zuhört.“

„Die ganze Stadt hört ihr zu, verdammt.“ Die Frau hatte sogar Werbespots im Radio senden lassen.

„Sie will, dass du ihr zuhörst“, sagte Lisa.

„Nein.“

„Doch.“

„Ich bin dein Boss.“

„Das heißt nicht, dass ich falschliege.“

„Du bist die aufsässigste Angestellte der Welt.“

Lisa grinste. „Ich dachte, das hätten wir schon vor Monaten geklärt.“

Seth ließ sich ihren Vorschlag durch den Kopf gehen. „Glaubst du, dass ich einen Fehler gemacht habe?“

„Weil du gegen Darby kämpfst?“

„Nein, indem ich als Bürgermeister kandidiert habe.“

Er hatte seinem Bruder Travis die Führung der Familienranch überlassen. Seine Entscheidung hatte er damit begründet, dass er als Bürgermeister in der Lage sein würde, die Dinge zugunsten der Rancher zu verändern. Doch bisher war er nur in Streitigkeiten verwickelt worden. Jede bedeutsame Veränderung, für die er sich eingesetzt hatte, war in Wortgefechten oder im Papierkrieg untergegangen.

„Du bist ein großartiger Bürgermeister“, versuchte Lisa ihn zu beruhigen.

„Ich möchte ein erfolgreicher Bürgermeister sein. Ich will die Bahnlinie nach Lyndon bringen, um unseren Nachbarn das Leben zu erleichtern.“

„Du tust, was du kannst.“

„Aber das reicht nicht.“

„Kopf hoch, Seth. Du hast einen Rückschlag erlitten. Und wenn schon. Was wirst du als Nächstes tun?“

Ungefähr zum tausendsten Mal musste er vor Lisas Argumenten kapitulieren. Wie üblich lag sie mit ihrem Rat genau richtig.

„Ich muss mit Darby Carroll reden“, gab er zu.

„Sag ich doch. Hauptsache, du vergisst das während des Gesprächs nicht.“

2. KAPITEL

Alles, was in Lyndon Rang und Namen hatte, erschien zum Herbstfestival im Stadtpark am Fluss. Es war gleichzeitig ein Kunsthandwerker- und Bauernmarkt, ein fröhliches Familien- und Sportfest.

Darby nahm zum dritten Mal daran teil, doch in diesem Jahr ging es um mehr als sonst. Sie unterhielt sich mit den Leuten und verteilte Flyer, die auf die Website Stoppt-Laerm-in-Lyndon.org verwiesen. Und vor allem sammelte sie möglichst viele Unterschriften für ihre Petition. Am kommenden Tag um Mitternacht lief die Frist ab.

Marta schlenderte zwischen den Ständen des Bauernmarktes umher, während Darby hoffte, auf dem schmalen Hauptweg mit fürsorglichen Müttern sprechen zu können, die ihre Kinder in ein Karussell oder ins Riesenrad gesetzt hatten.

„Etwas stärker. Etwas höher“, erklang eine vertraute tiefe Stimme.

Darby drehte sich um und entdeckte Seth Jacobs. Er saß auf einer Rampe über einem Wassertank und gab einem Jungen im Teenageralter Anweisungen. Der Junge versuchte, mit einem Baseball eine Zielscheibe zu treffen und Seth im Wasserbecken zu versenken. Noch war der Bürgermeister trocken, und die kurze Schlange von Frauen und Mädchen, die anstanden, um ebenfalls ihr Glück zu versuchen, stellte keine große Gefahr für ihn dar.

Wirklich schade. Zu gern hätte sie gesehen, wie er unterging.

Zehn Minuten zum Zuschauen würde sie sich jetzt einfach gönnen.

Wie von selbst trugen ihre Füße sie zum Wassertank. Sie zog einen Fünfdollarschein aus der Tasche ihrer Jeans und erhielt dafür von der Frau am Verkaufsstand drei Softbälle. Darby war zuversichtlich, dass sie nur einen einzigen Wurf brauchen würde. Sie reihte sich in die Schlange ein.

Gleich darauf entdeckte Seth sie. Er blickte auf die Bälle in ihrer Hand, und in seinen Mundwinkeln zuckte es.

Sie bedachte ihn mit einem selbstsicheren Lächeln, warf einen Ball in die Luft und fing ihn mit der anderen Hand wieder auf. Die Vorfreude jagte ihr das Adrenalin durch die Adern.

Seth biss die Zähne zusammen.

Der Junge, der als Nächster dran war, ging nahe heran, doch er traf die Mitte der Zielscheibe nicht. Dann unternahmen drei Frauen kichernd ihre Versuche, ebenfalls ohne Erfolg.

Nun war sie an der Reihe.

„Bürgermeister“, sagte sie.

„Ms Carroll.“

„Bereit zum Untergang?“

„Tun Sie, was Sie können.“

„Oh, das werde ich.“

Darby hatte oft Softball gespielt, wenn sie irgendwo in Übersee stationiert gewesen war. Aber vor allem konnte sie schon in der Grundausbildung hervorragend mit dem Gewehr umgehen.

Seth trug verwaschene Jeans und Sneakers statt der üblichen Lederstiefel, dazu ein blau kariertes Hemd, dessen Ärmel er aufgekrempelt hatte, sodass seine gebräunten Unterarme zu sehen waren. Er drückte sich den Stetson fester auf den Kopf, und ihre Blicke trafen sich.

Adios, Seth Jacobs.

Darby konzentrierte sich auf die Zielscheibe.

„Werden Sie jetzt bloß nicht nervös“, sagte er spöttisch.

Sie ließ sich jedoch nicht aus der Fassung bringen, zog den rechten Arm nach hinten und warf.

Der Ball traf ins Schwarze. Für Sekundenbruchteile riss Seth die Augen auf, dann tauchte er in den Tank ein.

Die Zuschauer kreischten und applaudierten.

„Nun, das war’s für unseren tapferen Bürgermeister“, ertönte blechern eine Frauenstimme aus einem Lautsprecher. „Applaus, Ladies und Gentlemen!“

Als Seth wieder auftauchte, warf er ihr einen finsteren Blick zu, bevor er seinen Hut schwenkte und unverzagt in die Menge lächelte.

Darby verließ den Hauptweg und ging zum Baseballfeld. Dort fanden alle möglichen Spaßwettkämpfe statt, vom Wettrennen auf drei Beinen bis zum Eierwerfen. Auch hier würde sie auf besorgte Mütter von Kleinkindern treffen, die ihre Befürchtungen bezüglich Sicherheit und Lärmbelästigung teilten.

„Guter Wurf“, hörte sie Seth hinter sich.

Er hatte sie eingeholt, und sie blickte ihn von der Seite an. Sie standen abseits des Geschehens in der Nähe eines niedrigen Drahtzauns, hinter dem die Generatoren summten, die die Stände mit Strom versorgten.

„Sie sehen mitgenommen aus, Bürgermeister.“

Das Hemd klebte ihm an der breiten Brust, unter dem durchnässten Stoff zeichneten sich die Umrisse seiner Muskeln ab. Sein Haar war feucht, und der nasse Glanz auf seinem Gesicht betonte seine herben männlichen Züge.

Ihr Mund war wie ausgetrocknet, und plötzlich hatte sie das Gefühl, dass die Sonne heißer schien. Ein Hormonstoß durchfuhr ihren Körper. Sie wagte nicht, mit einem Blick den Sitz seiner Jeans zu überprüfen.

„Aus gutem Grund“, sagte er gleichmütig. Mit einem Kopfnicken deutete er auf das Klemmbrett in ihrer Hand. „Wie läuft’s denn so?“

Seine Gelassenheit enttäuschte sie „Fast geschafft.“

„Morgen endet die Frist.“

„Ach wirklich?“, fragte sie ironisch. „Das hätte ich ja beinah vergessen.“

„Ich möchte mit Ihnen reden.“

Sie ließ den Blick über seinen Körper gleiten. Ups. Keine gute Idee. Er war ein verdammt attraktives Exemplar der Sorte Mann. Im Stillen wies sie sich zurecht. „Wollen Sie sich nicht umziehen? Das ist bestimmt ungemütlich so.“

„Ich werde es überleben.“

„Freut mich zu hören. Aber ich bin gerade ziemlich beschäftigt.“

„Habe ich reden gesagt? Ich meinte natürlich, ich möchte Ihre Sicht der Dinge verstehen.“

Darby blieb stehen, Seth ebenfalls. Argwöhnisch blickte sie ihm ins Gesicht. In seinem Fall stimmte der alte Spruch, nach dem etwas zu schön sein kann, um wahr zu sein.

„Warum?“

„Ihre Befürchtungen interessieren mich.“

„Tun sie nicht.“

„Dann interessieren Sie mich eben.“

„Nein“, sagte sie im Brustton der Überzeugung, „stimmt auch nicht.“

„Fangen Sie an. Ich will hören, was Sie denken.“

„Lieber spare ich mir den Atem.“ Wenn ihre Befürchtungen ihn im Geringsten interessierten, hätte er sie längst danach gefragt.

„Wie wollen Sie wissen, dass es sinnlos ist, wenn Sie es nicht mal versuchen?“

„Ich will Ihnen sagen, was ich weiß“, sagte sie. „Sie haben Angst, dass ich die Sache durchziehe. Ihnen ist klar, dass ich eine Menge Unterschriften habe, aber Sie wissen nicht, wie viele ich noch bis zu den sechshundert brauche. Also wollen Sie mich entweder aufhalten, damit mir am Ende eine, zwei oder zehn Unterschriften fehlen. Oder Sie wollen mir die gesamte Petition ausreden.“

Seine Miene verriet, dass sie recht hatte.

„Ich sagte, ich will Ihnen zuhören“, rief er ihr ins Gedächtnis.

„Dann trifft vermutlich Variante eins zu. Sie halten mich auf.“

Auf seinem Gesicht lag die Andeutung eines Lächelns.

„Ich möchte Ihnen wirklich zuhören.“

„Um mich zu verstehen oder um mich umzustimmen?“

Erneut zuckte es um seine Mundwinkel. „Beides“, gab er zu.

„Ich bewundere Ihre Aufrichtigkeit, Sir.“

„Nennen Sie mich einfach Seth, okay? Das machen hier alle.“

„Seth.“ In seinen Augen sah sie einen Funken Erregung aufblitzen. Oha. Nicht gut. Die Situation war schon kompliziert genug.

Andererseits … Vielleicht konnte ihr das von Nutzen sein. Womöglich ließ er sich ablenken, indem sie einen Schmollmund zog oder einen Augenaufschlag versuchte. Für ihre Mission hätte sie alles getan.

Sie schob sich eine Haarsträhne hinters Ohr, befeuchtete die Unterlippe und zog kaum merklich die Schultern zurück, um eine aufreizende Haltung einzunehmen. Wieder flackerte Erregung in seinem Blick aus dunkelblauen Augen auf, und sie wusste, dass er angebissen hatte.

Würde es ihr womöglich gelingen, den Mann zu überzeugen, der die Bahnlinie im Alleingang verhindern könnte?

„Okay“, sagte sie. „Ich höre Ihnen zu.“

„Nein, Sie werden mir etwas erzählen.“

„Einverstanden.“

Seth konnte sich nicht erinnern, je einer Frau begegnet zu sein, die so sexy war wie Darby Carroll. Dabei war sie sehr schlicht gekleidet … Jeans, ein weißes Top, dazu ein dunkelblauer Blazer. Sie trug nur wenig Make-up und hatte sich das Haar zu einem Pferdeschwanz gebunden. An ihren Schläfen lockten sich ein paar kastanienbraune Strähnen, die sich in der frischen Brise offenbar befreit hatten.

Ihre grünen Augen mit den goldenen Flecken darin wirkten klar und intelligent. Ihre Wangen waren rosig, die Lippen rot und voll. In ihren Ohrläppchen funkelten winzige blaue Stecker, sonst entdeckte er keinerlei Schmuck.

Sie saßen an einem Ecktisch in einem der Imbisszelte. Es hatte ihn überrascht, dass sie sich bereit erklärte, einen Kaffee mit ihm zu trinken und sich einen Teller Schmalzgebäck und Sirup mit ihm zu teilen.

Als sie sich ein Stück davon in den Mund schob, konnte er den Blick nicht vom winzigen Siruptropfen auf ihrer Unterlippe abwenden. Sie leckte den Klecks ab, und bei diesem Anblick zog sich etwas in seinem Unterleib heftig zusammen.

„Dekadent“, flüsterte sie und lächelte genüsslich. „Okay, was wollen Sie wissen?“

Er zwang sich, wieder sachlich zu werden. Schließlich war das hier kein Date, sondern ein geschäftliches Treffen. „Ich möchte Ihre Befürchtungen verstehen“, antwortete er und nahm ein Stück von dem Gebäck. „Warum lehnen Sie die Bahnlinie so entschieden ab?“

Sie kaute und schluckte. „Dann habe ich in den letzten drei Wochen also gegen die Wand geredet?“

„Wie bitte?“ Es würde schwieriger werden, als er erwartet hatte.

„Sie haben mir überhaupt nicht zugehört.“ Darby legte den Rest ihres Schmalzgebäcks auf den Teller zurück und wischte sich die Finger an einer Serviette ab. „Warum überrascht mich das eigentlich nicht?“

Seth merkte, dass er allmählich ungeduldig wurde. „Wollen Sie mit mir reden oder sich mit mir streiten?“

„Ich will Unterschriften sammeln.“

„Diese Option stand nicht auf der Liste.“

Sie bedachte ihn mit einem abschätzigen Blick.

„Kommen Sie eigentlich immer damit durch, den Trottel zu spielen?“

„Normalerweise schon“, sagte er und dachte, dass Lisa ihm für diese Antwort einen Tritt verpasst hätte. „Aber jetzt möchte ich hören, was Sie mir zu sagen haben.“

Es wirkte, als würden ihre grünen Augen sich verdunkeln, doch ihre Stimme klang ruhig, als sie sagte: „Das habe ich bereits auf jede erdenkliche Art getan. Züge sind laut und gefährlich. Sie werden den Charakter von Lyndon für immer verändern.“

„Zum Besseren“, sagte er, bevor er sich zurückhalten konnte.

Sie biss die Zähne zusammen.

„Sie fahren durch die Stadt, drei-, vier-, fünfmal am Tag“, fuhr er fort. „Für diese geringfügige Störung werden wir von sofortigem Profit und einem enormen Zukunftspotenzial entschädigt.“

„Nennen Sie das etwa Zuhören?“

Er schwieg. „Tut mir leid“, sagte er und setzte den dünnen Kaffeebecher aus Pappe an die Lippen.

„Der Zug fährt nicht nur dreimal am Tag. Und Sie wissen selbst, dass die Linie irgendwann bis nach Ripple Ridge führen wird. Dieser Versuchung werden die Betreiber nicht widerstehen können, denn das bedeutet eine Abkürzung von dreihundert Kilometern im Vergleich zur Autobahn im Nordwesten.“

Seth war überrascht, dass sie so tiefe Einblicke in die künftigen Möglichkeiten gewonnen hatte. „Das ist bisher nicht geplant“, konnte er nur erwidern.

Ungläubig starrte sie ihn an. „Sie werden doch wohl noch in der Lage sein, zwei und zwei zusammenzuzählen.“

„Für Züge gibt es Fahrpläne“, sagte er. „Können Sie Ihre Yoga- und Meditationskurse nicht in eine ruhige Zeit legen? Wenn Züge fahren, bieten Sie eben Korbflechten an.“

„Na so was! Dass ich daran noch nicht gedacht habe“, sagte sie voller Ironie. „Ich plane einfach mein ganzes Leben um die Züge herum.“

Einen Augenblick lang schwieg er und wünschte, sie hätte das ernst gemeint.

„Ihre Viehzüchter arbeiten auch ohne die Bahnlinie gewinnbringend. Sie ist eine Bequemlichkeit, keine Notwendigkeit.“

„Was ist mit Ihnen?“, sagte er. „Ihr Hotel würde auch mit der Bahn überleben. Hundertprozentiger Frieden und Stille sind bequem, aber nicht notwendig.“

„Sie sind notwendig.“

„Warum?“

„Die Frauen kommen in mein Hotel, um keinem Lärm mehr ausgesetzt zu sein.“

„Ach, stört das ihr Zartgefühl?“ Er wusste, dass er höhnisch klang, doch das Gespräch drohte ihm zu entgleiten, und das war er nicht gewöhnt. Zum ersten Mal breitete sich ein echtes Lächeln auf ihrem Gesicht aus. Sie lehnte sich auf dem Stuhl zurück.

„Oh ja. Meine Gäste sind von extremem Zartgefühl.“

„Vielleicht sollten sie daran mal arbeiten.“

„Ich werde Ihren Ratschlag weitergeben.“

Ungerührt blickte sie ihm in die Augen. Er spürte, dass sie ihm etwas verschwieg. Doch er konnte beim besten Willen nicht erraten, was das war. „Fazit, Darby: Der Zug ist gut für Lyndon.“

„Fazit, Seth: Der Zug ist schlecht für Lyndon.“

Ihre Miene verriet großes Selbstvertrauen, und ihm wurde klar, dass er seit Langem auf keinen so starken Gegner mehr gestoßen war. „Sie haben genug Unterschriften zusammen, stimmt’s?“

„Morgen werden es genug sein.“

„Ich könnte dafür sorgen, dass der Sheriff Sie heute Nacht einsperrt, wissen Sie das?“

„Warum sollte er?“

Offensichtlich nahm sie ihn nicht ernst. „Wegen Volksverhetzung.“

Wieder lächelte sie und schüttelte ihren hübschen Kopf.

„Und ich könnte Sie verklagen und bis zum Jüngsten Tag gegen Sie und die Stadt Lyndon prozessieren.“

„Schon möglich.“

„Und ob.“ Sie nahm das letzte Stück Gebäck vom Teller und blickte ihm in die Augen. „Sie sind ein cleverer Bursche, Seth. Sie sind der Herausforderung gewachsen. Sie müssen nicht mogeln, um Ihr Ziel zu erreichen.“

„Wollen Sie mir schmeicheln?“ Widerwillig gestand er sich ein, dass ihm an ihrer guten Meinung von ihm lag.

„Das ist mein Ernst“, sagte sie.

Es war lächerlich, doch vor lauter Stolz fühlte er sich zehn Zentimeter größer. „Ich mogle nicht.“ Das brachte ihm ein weiteres Lächeln ein.

„Und darum werde ich gewinnen.“

„Fünfhundertsiebenundneunzig“, sagte Darby zu Marta, die im Salon des Hotels am Computer saß. Es war 23 Uhr 50, und ihnen blieben noch zehn Minuten, um die Petition per Internet einzureichen. „Wie kann es sein, dass wir das Ziel so knapp verfehlt haben?“

Marta wirbelte auf dem Drehstuhl herum. Sie sah nachdenklich aus. „Wenn es nach mir ginge …“

Darby wartete.

„… würde ich einfach drei Unterschriften hinzufügen.“

„Du meinst, du würdest sie fälschen? Das ist illegal. Und obendrein unmoralisch.“

„Wir könnten uns bei sechshundert Unterschriften auch verzählt haben. Womöglich hast du eine oder zwei übersehen?“ Sie warf einen Blick auf ihre Armbanduhr. „Uns bleiben sieben Minuten. Keine Zeit, noch mal nachzuzählen. Bist du ganz sicher, dass die Zahl korrekt ist?“

Darby dachte nach. Okay, das klang einleuchtend. Eventuell hatten sie sich verzählt.

„Die Leute im Rathaus werden die Liste genau prüfen“, sagte sie.

„Stimmt. Aber wenn wir sie nicht abgeben, erreichen wir gar nichts. Und vielleicht …“ Sie ließ einen Finger über der Tastatur schweben. „… haben wir ja Glück.“

Marta lächelte sie verschwörerisch an.

„Das funktioniert niemals“, sagte Darby und erwiderte das Lächeln nur zögernd. Ob sie sich auf diese Weise durchmogeln konnten?

„Wird schon schiefgehen.“ Marta klickte auf die Senden-Taste.

Sie beobachteten, wie der Cursor über den Bildschirm flitzte. Um 23 Uhr 58 blitzte die Bestätigung „gesendet“ auf.

„Wein?“, fragte Darby und seufzte. Zumindest im Augenblick war sie erleichtert. Sie hatten getan, was sie konnten, und sie musste eindeutig ruhiger werden, bevor sie zu schlafen versuchte.

„Hört sich einfacher an, als Margaritas zu mixen“, sagte Marta.

Darby holte zwei Gläser aus der Vitrine und nahm eine Flasche Rotwein aus dem Weinregal daneben. In einer Schublade fand sie einen Korkenzieher, öffnete die Flasche, schenkte ihnen ein und reichte Marta ein Glas.

Mit spöttischer Miene stieß ihre Freundin mit ihr an. „Auf den Sieg über den Bürgermeister.“

Darby erwiderte den Toast und fragte sich, wie schwer dieser Sieg zu erlangen sein würde. „Wie lange kennst du ihn schon?“

„Solange ich denken kann. Ich war mal in seinen Bruder verliebt, Travis. Die meisten Mädchen in meinem Alter waren in einen von beiden verknallt. Oder in Caleb Terrell, zumindest, bis er von hier weggezogen ist.“

„Kann ich mir vorstellen“, gab Darby zu. In den vergangenen drei Jahren war sie sowohl Travis Jacobs als auch Caleb Terrell gelegentlich über den Weg gelaufen.

„Wenn wir mal für einen Moment vergessen, dass Caleb verheiratet ist“, fuhr Marta fort. „Welchen von ihnen findest du attraktiv?“

„Von den beiden?“ Die Frage erschien ihr merkwürdig und rein theoretisch.

„Von den dreien“, berichtigte Marta sie.

„Willst du wissen, ob ich mich zu Seth hingezogen fühle?“

Marta grinste. „Ich will wissen, wer dein Typ ist.“

„Seth ist eher mein Typ.“ Darby sah keinen Sinn darin, das zu leugnen. Seit langer Zeit schon vertraute sie Marta all ihre Geheimnisse an. „Ich meine, sie sehen alle gut aus, aber er ist intelligent, engagiert und kompromisslos.“ Sie zögerte. „Weißt du, ich glaube, ich würde ihn nicht halb so sexy finden, wenn er nachgeben würde. Ist das schlimm?“

„Du findest ihn sexy?“

Darby strich mit der Spitze ihres Zeigefingers über den Rand ihres Glases. „Ich fürchte, ja.“

Erneut erschien ein berechnendes Funkeln in Martas Augen.

„Was ist?“, fragte Darby.

„Vielleicht können wir das ja zu unseren Gunsten einsetzen. Denkst du, dass es auf Gegenseitigkeit beruht?“

„Na ja, am Abend des Scheunenbaus hat er ein bisschen mit mir geflirtet. Und auf dem Festival war es ähnlich. Aber ich wette, er flirtet mit jeder.“

„Das glaube ich nicht“, entgegnete Marta. „Ich habe ihn schon oft in weiblicher Gesellschaft gesehen. Er ist ziemlich zurückhaltend.“

„Hm.“ Darby rief sich die Begegnungen ins Gedächtnis zurück. Sie wusste, dass es ihr egal sein sollte, ob er sie attraktiv fand oder nicht, doch ihrem Ego schmeichelte die Vorstellung.

„Du könntest dich zum Volksentscheid flirten.“

„Dein Optimismus ist geradezu lächerlich. Aber zugegeben, daran habe ich auch schon gedacht.“

„Ein Versuch schadet nicht. Falls die Petition keinen Erfolg hat, kannst du seinen Verstand vielleicht mit Lust benebeln.“

„Würdest du so etwas tun?“ Es kam ihr nicht sehr anständig vor, doch sie wusste, dass es Frauen gab, die so vorgingen.

„Klar“, sagte Marta. „Wenn was Wichtiges auf dem Spiel steht …“

„Allerdings steht in diesem Fall kein Menschenleben auf dem Spiel.“

„Enttäuscht?“ Marta grinste.

„Nein.“ Energisch schüttelte Darby den Kopf. Na ja, ein bisschen vielleicht. Wäre jemand in Lebensgefahr gewesen, hätte sie eine prächtige Entschuldigung gehabt, um mit Seth zu flirten.

„Außerdem müsstest du wahrscheinlich mit ihm schlafen, damit es funktioniert.“

„Wie bitte?“ So weit war sie in ihrer Fantasie nicht gegangen. Jedenfalls nicht ganz. „Du machst wohl Witze.“

„Nein, eigentlich nicht. Wenn du ohnehin Lust dazu hast, dann lass den Dingen doch ihren Lauf.“

Darby versuchte, sich das vorzustellen. Unglücklicherweise gelang es ihr.

3. KAPITEL

Ausgedruckt und gebunden lag Darbys Petition im Amtssitz des Bürgermeisters auf dem Frühstückstisch. Während er seinen Orangensaft trank, starrte Seth auf die Papiere und fragte sich, was er als Nächstes tun sollte. Einige der Namen in der Liste hatte er erwartet, andere überraschten ihn. Im Geiste überschlug er seine Chancen bei einer Volksbefragung.

Lisa erschien, wie üblich in schwarzer Hose und dunklem Blazer. Sie durchquerte die Küche, setzte sich in der Essecke in den strahlenden Sonnenschein und goss sich eine Tasse Kaffee aus der Edelstahlkanne ein.

„Ich habe gute und schlechte Nachrichten für dich“, sagte sie.

„Die schlechten sehe ich mir gerade an.“

„Das war ironisch gemeint.“

„Verstehe ich nicht.“

Sie deutete auf die Petition. „Das da sind die guten Nachrichten.“

„Ich liebe Psychospielchen im Morgengrauen.“ Seth verdrehte die Augen. Er brauchte morgens mindestens eine Stunde, bis seine grauen Zellen richtig arbeiteten. Lisa hingegen konnte sich schon um diese Zeit mit Begeisterung auf alle möglichen Fragen stürzen.

„Sie haben nicht genug Unterschriften.“

„Wie bitte?“ Er setzte sich aufrechter hin und schüttelte den Kopf, um sicher zu sein, dass er sich nicht verhört hatte.

„Es fehlen drei Unterschriften. Wir haben es mehrfach überprüft.“

„Haben sie etwa gelogen?“ Er griff nach der Petition. In dem Fall wäre Darby mutiger, als er ihr zugetraut hätte. Er ertappte sich dabei, dass er in sich hineinlachte, denn er konnte es kaum erwarten, ihr das unter die Nase zu reiben.

„Jedenfalls haben sie die erforderliche Anzahl nicht erreicht.“ Zufrieden nahm Lisa einen Schluck von ihrem dampfenden Kaffee.

Seine Stimmung hellte sich beträchtlich auf. „Dann sind wir also startklar. Ab morgen gelten die Wegerechte.“

Endlich – endlich! – würde er etwas Wichtiges in seinem Amt erreichen. Die harte Arbeit bis spät in die Nacht, die Opferbereitschaft seiner Familie – all das würde endlich belohnt werden.

„Nicht so schnell“, sagte Lisa.

„Warum?“ Er versuchte, seine Aufbruchsstimmung zu beherrschen.

„Mountain Railway hat angerufen. Oder vielmehr einer ihrer Anwälte.“

„Sag nicht, sie haben ihre Meinung geändert.“ Er bemühte sich, gleichmütig zu klingen. Natürlich war das Geschäft nicht unter Dach und Fach, bevor nicht alle Verträge unterzeichnet waren. Und die negativen Schlagzeilen der letzten Zeit bereiteten ihm Sorge. Ließ die Eisenbahngesellschaft sich davon abschrecken?

„Nein, aber bei der juristischen Überprüfung ist ein Problem mit einem Grundbesitz aufgetaucht.“

Er beruhigte sich wieder. Das war etwas, das er lösen konnte. „Was haben sie gefunden?“

„Auf Darby Carrolls Besitzurkunde steht was anderes als im Grundbuch. Und in dem Fall gilt der Grundbucheintrag.“

Seth wartete auf die schlechte Nachricht.

„Ihr Grundbesitz grenzt nicht an die vorgesehene Trasse, wie wir zunächst geglaubt haben. Die Bahnlinie würde über ihr Land führen.“

Enttäuschung überwältigte ihn. „Du machst wohl Witze!“ Darby gehörte ein Teil des Bahngeländes? War diese Frau sein Fluch?

„Schön wär’s. Aber ihr Grund und Boden endet erst achthundert Meter jenseits der Trasse.“

„Achthundert Meter? Das ist ja lächerlich.“ Seth schob seinen Stuhl zurück. Er hatte die Karten hundert Mal gesehen.

„So steht es seit 1890 im Grundbuch.“

Lisa wirkte wesentlich ruhiger als er sich fühlte, und er hatte den Eindruck, dass sie bereits über eine Lösung nachgedacht hatte. „Okay. Gut. Wie gehen wir am besten vor?“

„Als Bürgermeister kannst du sie enteignen.“

Er war durchaus bereit, das zu tun. Schließlich hatte die Frau beim Einreichen der Petition gelogen. Jetzt würde er Ernst machen.

„Wie lange dauert so etwas?“ Er legte seine Serviette auf den Tisch und stand auf.

„Einige Wochen vermutlich“, sagte Lisa. „Hängt vom Richter ab.“

„Können wir das irgendwie beeinflussen?“

Mit aufgerissenen Augen wich Lisa zurück. „Du willst den Richter beeinflussen?“

„Nein.“ Unruhig lief Seth in der Küche auf und ab. Er hatte nicht bedacht, wie seine Worte wirken mussten. „Natürlich nicht. Aber ich finde, mit dieser Sache sollte sich der richtige Richter befassen.“

„Dann müssen wir geschickt terminieren.“

Seth trat wieder an den Tisch und trank den restlichen Kaffee. Das Koffein würde er dringend brauchen. „Sag all meine Termine für heute ab. Ich melde mich später bei dir.“

Darby hatte jetzt höchste Priorität. Nein, nicht ganz. Seine höchste Priorität war die Eisenbahn. Diese Frau war ein Hindernis auf dem Weg dorthin, und das musste er beseitigen.

Darby stand auf halber Höhe der Trittleiter und rollte eine Schicht Farbe, einen Pfirsichton, auf die Wand in der Frühstücksnische, als es heftig an der Haustür klopfte. Sie hatte den ganzen Morgen gearbeitet, um die Petition zu vergessen.

„Komme schon“, rief sie.

Sie stieg die Leiter hinab und legte die Farbrolle auf das Abstreichgitter. Dann wischte sie sich die Hände an einem Stofffetzen ab und ging in den Salon.

Wieder klopfte es.

„Kommen Sie herein“, rief sie und machte einen großen Bogen um die Möbel, um mit ihren farbverschmierten Klamotten nirgends anzustoßen.

Niemand antwortete und so öffnete sie die Tür. Seth stand ihr gegenüber.

„Kann ich Ihnen helfen?“, fragte sie und versuchte das Schuldgefühl zu unterdrücken, das sie wegen der gefälschten Petition empfand.

„Das hoffe ich sehr“, sagte er und schlug mit einem Bündel Papiere auf seine Handfläche.

Man musste kein Genie sein, um zu erraten, worum es sich dabei handelte. Sie setzte eine ausdruckslose Miene auf und bedeutete ihm, fortzufahren.

„Es scheint ein kleines Problem mit Ihren Unterlagen zu geben.“

„Was für ein Problem denn?“

Seine Augen wurden schmal. „Wollen Sie hier wirklich die Ahnungslose spielen?“

„Wie meinen Sie das?“

Er trat einen Schritt auf sie zu. „Sie sind eine kluge Frau, Darby. Und Sie wissen, wie man einer Herausforderung begegnet. Sie müssen nicht mogeln, um Ihr Ziel zu erreichen.“

Sie erkannte die Worte wieder, die sie selbst auf dem Festival zu ihm gesagt hatte. Jetzt fühlte sie sich noch schuldiger. Seine Augen funkelten triumphierend.

„Ich habe Sie erwischt, Darby. Geben Sie es zu.“

„Vielleicht haben wir uns ja verzählt“, sagte sie. „Das ist schließlich kein Verbrechen.“

Erneut dachte sie an ihren Plan, mit ihm zu flirten. Konnte das funktionieren? Würde es ihn von seinen eigenen Zielen ablenken? Es schien keine andere Lösung zu geben. Also warf sie ihr Haar über die Schultern zurück und setzte einen sanften Blick auf. „Was genau wollen Sie denn jetzt mit mir machen, Seth?“

Er blinzelte und als Zugabe lächelte sie kokett. Kaum merklich kam er näher.

„Glauben Sie wirklich, dass das funktioniert?“

„Dass was funktioniert?“

Er kam noch näher.

„Sie können die fehlenden Unterschriften nicht herbeizaubern, indem Sie mit mir flirten.“

„Davon träumen Sie wohl, Cowboy.“

„Mag sein. Trotzdem flirten Sie gerade mit mir, hier im wirklichen Leben.“

Beim Timbre seiner Stimme zog sich in ihrer Brust etwas zusammen. Ihr Herzschlag beschleunigte sich und ihre Haut prickelte plötzlich vor Hitze.

„Wie weit werden Sie gehen?“

Es klang nun wie ein leises Knurren.

Ausgezeichnete Frage.

Während sie nach einer vernünftigen Antwort suchte, kam er noch einen Schritt näher. Sie sagte sich, dass sie zurückweichen sollte, dennoch blieb sie regungslos stehen.

Frustriert murmelte er ihren Namen, dann senkte er seine Lippen auf ihren Mund.

Die glühende Intensität seines Kusses erweckte ihren Körper zum Leben. Seth legte einen Arm um sie. Der Türpfosten drückte sich in ihre Schulter, doch sie spürte es kaum. Sie fühlte nur noch Seth.

Er ließ nicht locker und lockte sie, bis sie den Mund öffnete und das Spiel seiner Zunge erwiderte. Ihre Brustwarzen richteten sich auf, Hitze durchströmte sie und ihr Widerstand schmolz dahin.

Als er seine Hände auf ihren Po legte und sie an seinen muskulösen Körper drückte, ließ sie es bereitwillig geschehen. Sie umschlang seinen Nacken und neigte den Kopf, als er den Kuss vertiefte. Mit gespreizten Fingern strich er ihr durchs Haar, und bei der Reibung an seinem Oberkörper prickelten ihre Brüste vor Verlangen.

Farben und Lichter explodierten vor ihren geschlossenen Augen. Der Boden unter ihren Füßen schien zu schwanken, und sie verlor das Gleichgewicht. Hätte Seth sie nicht gehalten, wäre sie vermutlich gestürzt.

Der letzte Rest an Vernunft, der ihr geblieben war, vermochte nichts auszurichten gegen die Lawine der Leidenschaft, die sie überrollte. Plötzlich empfand sie den Drang, sich auszuziehen und gleich hier auf der Veranda mit ihm zu schlafen.

Seth zog sich zurück, atmete tief durch und sah so benommen aus, wie sie sich fühlte.

„Noch ein bisschen länger, und ich schwöre, dass es doch sechshundert Namen waren.“

Noch ein bisschen länger, und ich setze mir eine Lokführermütze auf.

Er ließ die Arme sinken. „Das kann mir in meinem Amt jede Menge Probleme bereiten.“

„Es tut mir leid …“ Sie hielt inne. Was genau tat ihr eigentlich leid?

Er lachte. „Was? Dass ich gern flirte? Das Kompliment gebe ich zurück. Ich hätte nicht gedacht, dass du das mit dem Kuss durchziehen würdest.“

Nach wie vor fühlte sie sich wacklig auf den Beinen, doch sie rang sich ein Lachen ab, das ungezwungen klingen sollte. „Na ja, einen Versuch war’s wert.“

Seths Miene wurde ernst. „Versuche es wieder, wann immer du willst.“

„Wir werden weitere Unterschriften sammeln.“ Sie schenkte dem Drang, ihn gleich noch einmal zu küssen, keine Beachtung.

„Das könnt ihr nicht. Der Abgabetermin ist verstrichen.“

„Und wenn schon“, sagte Darby. „Falls du den Volksentscheid nicht genehmigst, sehen wir uns eben vor Gericht.“

„Starke Worte, Ms Carroll.“

„Sie haben Farbe auf der Jacke, Bürgermeister.“

Er folgte ihrem Blick zu den pfirsichfarbenen Spuren, dort, wo sie seine Arme umklammert hatte, und stieß einen tiefen Seufzer aus.

„Du bist wirklich eine Katastrophe auf zwei Beinen.“

Darby unterdrückte ein Lächeln. „Ich bezahle die Reinigung.“

„Die Jacke spielt überhaupt keine Rolle“, sagte er gleichmütig. „Vielmehr beschäftigt mich ein Problem mit dem Eintrag deines Grundstücks im Grundbuch.“

Der plötzliche Themenwechsel überrumpelte sie. „Was für ein Problem?“ Sie gab sich alle Mühe, seinen Worten zu folgen.

„Die Anwälte von Mountain Railway haben nachgeforscht …“

„Oh nein“, unterbrach sie ihn. „Du wirst keinen Unfug mit meinem Land anstellen …“

„Ich stelle keinen Unfug an …“

„Es ist mir egal, wer du bist, Seth Jacobs.“ Sie schloss die Lücke zwischen ihnen und stieß ihm mit dem Zeigefinger gegen die Brust. „Ich werde nicht …“

„Du besitzt mehr Land, als du weißt.“ Seth brüllte es beinah hinaus. Dann griff er nach ihrer farbverschmierten Hand und schob sie weg.

„Was?“

„Dieser Fehler ist schlecht für mich. Es hat sich herausgestellt, dass dein Besitz über die Eisenbahntrasse hinausreicht. Und weil das so ist, werden wir dich bitten, uns ein Wegerecht einzuräumen.“ Er verstummte.

Der Wind, der vom See kam, wurde böig und Singvögel flogen von Baum zu Baum.

„Ich besitze mehr Land, als ich dachte?“, fragte Darby ungläubig.

„Ja. Das Grundbuchamt wird den Plan für deine Unterlagen erneuern, damit er mit dem offiziellen Eintrag übereinstimmt.“

„Der Zug würde also über meinen Grund und Boden fahren?“

„Wenn du das Nutzungsrecht einräumst“, bestätigte er.

„Auf keinen Fall.“

„Das dachte ich mir. Und darum werde ich dich enteignen.“

„Das kannst du nicht.“ Wenn das Land ihr gehörte, hatte sie ein Wörtchen mitzureden.

„Oh doch, das kann ich.“

„Dann werde ich gegen dich kämpfen.“ Damit würde ihre Beziehung noch feindseliger werden.

„Du hast keine Chance. Und eine Petition nützt da auch nichts.“

„Macht es dir Spaß, der Böse zu sein?“

„Der bin ich nie gewesen. Die Leute wollen die Bahnlinie, Darby. Akzeptiere das endlich und kümmere dich um andere Dinge.“

„Ein Volksentscheid wird dir verraten, was die Leute wirklich wollen.“

Kopfschüttelnd trat er einen Schritt zurück. Er hatte sich vollkommen unter Kontrolle.

„Das hat mir schon das Wahlergebnis gesagt.“

„Was passiert, wenn sie damit Erfolg haben?“, fragte sein Bruder Travis ihn vom Beifahrersitz des Dienstwagens aus.

„Womit?“, erkundigte Seth sich zerstreut. Darby Carroll geisterte ihm ständig im Kopf herum, doch in seiner Funktion als Bürgermeister hatte er noch an vielen anderen Fronten zu kämpfen.

Sie fuhren die River Road entlang, unterwegs zu einem Dinner der Rodeo Association. Er saß am Steuer des Wagens und bemühte sich, die Schlaglöcher zu umfahren.

„Mit dem Referendum zur Bahnlinie.“

„Sie haben nicht genug Unterschriften.“

„Vielleicht spielt das keine Rolle“, sagte Travis. „Abigail hat die Satzung gelesen. Darby hat recht. Nichts hindert sie daran, weitere Unterschriften zu liefern, auch wenn die Petition schon eingereicht ist.“

„Richter Hawthorne wird darüber befinden.“

„Ach ja?“

„Ja. Er ist im Valley aufgewachsen. Seine halbe Familie lebt von der Viehzucht.“

Travis runzelte die Stirn. „Trotzdem ist er verpflichtet, das Gesetz zu befolgen.“

Seth jagte den Wagen durch eine schlammige Pfütze und wusste, dass er ihn nun gleich wieder waschen lassen musste. „Genau. Darauf verlasse ich mich.“

Rote und gelbe Blätter segelten von den Bäumen und landeten auf der Windschutzscheibe. Er lenkte um eine Kurve und an einer Wiese mit goldenem Weizengras vorbei, auf der Rinder grasten. In der Entfernung sammelte sich Schnee auf hohen Gipfeln, kühler Wind wehte von den Bergen.

Seth bog auf den Schotterplatz ein, der dem Klubhaus des Vereins als Parkplatz diente, und stellte den Wagen zwischen einem taubenblauen Pick-up und einem grauen Geländewagen ab.

„Kann ich dir irgendwie helfen?“, fragte Travis, als sie ausstiegen.

„Ich bin derjenige, der für dieses Amt kandidiert hat“, antwortete Seth.

„Ich habe versucht, es dir auszureden. Weißt du noch?“

„Ja, das stimmt“, gab er zu.

Er und sein jüngerer Bruder hatten wegen seines Vorhabens, Bürgermeister zu werden, einige heftige Streitgespräche geführt.

„Heißt das, dass ich recht hatte?“, fragte Travis weiter.

„Es heißt, dass wir Schwierigkeiten haben.“ Schöne, verlockende und sehr erotische Schwierigkeiten.

„Was ist das für ein komischer Gesichtsausdruck?“

„Wie meinst du das?“ Seth konzentrierte sich darauf, seine Mimik unter Kontrolle zu bringen.

„Du hast gerade irgendwie sentimental ausgesehen.“

„Ich bin nicht sentimental, sondern nervös. Gleich muss ich nämlich eine Rede halten.“

Travis schnaubte verächtlich. „Blödsinn. Du hast dich noch nie davor gefürchtet, am Rednerpult zu stehen.“

„Es war eine harte Woche.“ Er würde seinem kleinen Bruder ganz bestimmt nicht die Gründe dafür erklären. Also wandte er sich ab und begab sich mit großen Schritten in den überfüllten Raum.

Er entdeckte Darby sofort.

Im Klubhaus befanden sich ungefähr zweihundert Menschen, doch er richtete seine Aufmerksamkeit ganz auf sie. Er hatte nicht damit gerechnet, ihr hier zu begegnen.

Schlimm genug, dass sie ihn in seinen Träumen verfolgte, musste sie das auch noch im wirklichen Leben tun? Die Rodeoleute waren Rancher, Hardliner und würden ihren Kampf gegen die Eisenbahn niemals unterstützen.

Doch wagemutig hatte sie sich in die Höhle des Löwen begeben. Sie trug einen kurzen grauen Rock und einen glitzernden grauen Pulli, dazu schwarze Strümpfe und schwarze Stiefeletten. Das wellige kastanienbraune Haar hatte sie zurückgestrichen, sodass es den Blick auf ihre schwarzen Ohrringe nicht behinderte.

„Du wirkst schon wieder sentimental“, sagte Travis neben ihm.

Ohne seinen Bruder zu beachten, ging Seth weiter auf sie zu.

Als er sie fast erreicht hatte, näherte sich ihr von der anderen Seite ein Mann. Joe Harry war ein bulliger und gemütlich wirkender Cowboy, der die Highschool nur mit Mühe geschafft hatte. Er konnte tagelang arbeiten und nächtelang feiern, doch er war nicht gerade der Hellste, und die Feinheiten des gesellschaftlichen Umgangs waren noch nie seine Stärke gewesen.

Als er nun auf Darby hinabblickte, war er eindeutig aufgebracht und gestikulierte heftig. Seth beschleunigte seine Schritte.

„… keine Ahnung, was Sie damit bezwecken“, sagte Joe soeben, „dass Sie sich in die Angelegenheiten der Stadt einmischen. Meine Familie lebt hier schon seit hundert Jahren …“

„Hallo Joe.“ Seth versetzte dem Mann einen kräftigen Schlag auf die Schulter und hielt ihm die Hand hin. „Wie ich höre, hast du dir dieses Jahr beim Rodeo einen harten Kampf mit Reed Terrell geliefert.“

Die Unterbrechung schien Joe aus dem Konzept zu bringen. Er zögerte einen Augenblick, dann schüttelte er ihm die Hand.

„Insgesamt war ich Zweiter“, bestätigte er.

„Gut gemacht“, sagte Seth. „Ich bin beeindruckt.“ Er warf Darby einen flüchtigen Blick zu. „Tut mir leid, dass ich störe, aber ich muss mit Darby reden.“

Joe runzelte die Stirn. „Ich wollte ihr gerade …“

„Mach dir darüber keine Gedanken.“ Seth beugte sich zu ihm und senkte die Stimme zu einem verschwörerischen Flüstern. „Ich kümmere mich darum.“

„Ich habe dieser Frau ein paar Takte zu sagen.“

„Verstehe.“ Seth nickte, und drückte mit seiner Miene aus, dass er Joe ernst nahm. „Und du hast recht. In meinem Büro wird daran gearbeitet, die Dinge wieder ins Lot zu bringen. Geh doch schon mal zur Bar rüber.“ Er angelte in seiner Hosentasche nach den Getränkegutscheinen, die er mit der Einladung zum Dinner erhalten hatte, und überreichte Joe einen roten Zettel. „Hier, ein Bier auf meine Kosten.“

„Nett von dir, Bürgermeister.“

„Genieß den Abend.“ Seth wandte sich von Joe ab und sah, dass Darby gehen wollte.

„Hey.“ Mit schnellen Schritten holte er sie ein und berührte sie am Arm.

„Was zum Teufel sollte das?“ Sie schüttelte seine Hand ab.

Der Klang ihrer Stimme ließ ihn zurückweichen. „Joe hat dich offensichtlich belästigt.“

„Und da wolltest du mich retten?“

Sosehr er auch überlegte, ihre Worte ergaben keinen Sinn. Er hatte nicht unbedingt Dankbarkeit von ihr erwartet, aber er hatte ihr tatsächlich einen Gefallen getan. „Wäre es dir anders lieber gewesen?“

„Ein Kuss bedeutet nicht, dass du als mein Retter auftreten musst. Und mit Typen wie Joe Harry werde ich schon fertig.“

Er trat näher zu ihr und sagte leise: „Du wolltest diesen Kuss genauso sehr wie ich.“

„Ich habe nur so getan als ob.“

Vor Enttäuschung stockte ihm der Atem, doch er fing sich sofort wieder. Wenn sie ihm etwas vorgespielt hatte, handelte es sich um eine schauspielerische Leistung der Spitzenklasse. Aber jetzt war nicht der richtige Zeitpunkt, um über die Aufrichtigkeit ihres Kusses nachzudenken.

„Ich habe zu verhindern versucht, dass Joe dir eine Szene macht“, sagte er stattdessen.

„Ich hatte alles unter Kontrolle.“

„Glaubst du das wirklich?“

„Ja.“

„Und was hättest du gemacht, wenn die Sache dir entglitten wäre?“

„Das Gleiche wie mit dir, falls du aus dem Ruder laufen solltest. Ich hätte ihm mit einem Handkantenschlag die Nase gebrochen.“

„Hast du etwa einen Selbstverteidigungskurs absolviert?“ Er versuchte zu verbergen, wie amüsiert er war.

„Ja, habe ich.“

„Wo denn?“ Er fragte sich, ob solche Kurse im Ort überhaupt angeboten wurden. Er hatte noch nie davon gehört.

„Beim Militär der Vereinigten Staaten von Amerika.“

„Wie bitte?“

„Du hast mich schon verstanden. Ich bin Soldatin. Hauptmann der Reserve.“

„Du bist Hauptmann?“ Darum also war sie so fit, so wachsam und so unglaublich gesund. Er war beeindruckt.

„Ja.“

„Warst du auch auf Auslandseinsätzen?“

Sie nickte.

„Und wo?“

„Musst du nicht gleich eine Rede halten?“

„Du machst mich neugierig.“ Was gab es noch alles, was er nicht über sie wusste?

„Nun, dann musst du vorerst wohl neugierig bleiben.“

Ihm war klar, dass sie Gegner waren. Er sollte sich nicht zu ihr hingezogen fühlen und schon gar nicht mit ihr flirten, aber jedes Mal, wenn sie sich unterhielten, schienen zwischen ihnen die Funken zu sprühen. Und darum wünschte er sich, mit ihr allein zu sein, sie in die Arme zu nehmen und sie noch einmal zu küssen.

Natürlich war ihm bewusst, dass sein Wunsch völlig unprofessionell war, doch er konnte sich nicht dagegen wehren.

4. KAPITEL

Aufmerksam hörte Darby sich Seths Rede an. Er stand auf der Bühne und unterhielt die zweihundert Gäste der Rodeo Association, indem er Anekdoten von früheren Rodeos zum Besten gab. Sie gestand es sich ungern ein, aber sie verstand, wieso er gewählt worden war. Vor einer Menschenmenge hatte er eine elektrisierende Präsenz, während seine Geschichten so bodenständig waren, dass sie die Cowboys im Publikum offensichtlich begeisterten.

Als er seine Rede mit einem Plädoyer für die Bahnlinie abschloss, brachen alle in frenetischen Applaus aus.

Nach dem Dinner verabschiedete Darby sich von den Leuten an ihrem Tisch. Sie waren höflich, aber kühl zu ihr gewesen. Es bestand kein Zweifel daran, dass sie in der Debatte um die Bahn auf Seths Seite standen. Die meisten Einwohner von Lyndon wussten inzwischen, wer sie war, und was sie zu erreichen versuchte.

Als sie aufstand, lief sie Seth beinah in die Arme.

„Schon nach Hause?“, fragte er, ohne sich von der Stelle zu rühren.

„Nein. Ich bleibe noch und mische mich unter das Volk. Ein bisschen plaudern.“

Auch andere erhoben sich von ihren Stühlen und schlenderten durch den Saal, um miteinander zu schwatzen. Darby stand dicht am Tisch, während es hinter Seth vor Menschen wimmelte.

„Die Cowboys haben sich an der Bar bedient, du weißt hoffentlich, dass du ein rotes Tuch für sie bist.“ Er klang besorgt.

Sie schob sich den Träger ihrer Handtasche auf die Schulter und straffte den Rücken. „Ich habe dir schon mal gesagt, dass ich selbst auf mich aufpassen kann. Mach dir um mich keine Sorgen, Seth.“

„Mache ich aber. Und nicht nur wegen des Volksentscheids.“

„Bei dem ich gewinnen werde. Nichts und niemand wird mich aufhalten.“ Sie drückte sich an ihm vorbei, da er dicht vor ihr stand. Dann schob sie sich durch die Menge in den Innenhof. Die Türen des Saals waren weit geöffnet worden, um frische Luft hereinzulassen.

Plötzlich spürte sie, wie ihr jemand einen muskulösen Arm um den Nacken legte und sie in den Schwitzkasten nahm. Automatisch stieß sie einen Ellbogen zurück zwischen die Rippen des Angreifers. Der Mann ächzte zwar, doch sein Griff wurde nur noch fester. Er zog sie nach hinten, und sie verlor das Gleichgewicht.

„Joe!“, hörte sie Seth rufen.

Stiefelabsätze schlugen in kurzen Abständen auf den Boden.

Erneut stieß Darby dem Kerl einen Ellbogen in die Rippen, was ihr heftige Schmerzen im Arm einbrachte. Joe hob sie einfach hoch, und sie hatte Mühe, Luft zu bekommen. Sie trat nach hinten, doch ohne Sichtkontakt war es schwierig, einen Treffer zu landen.

Dann war Seth bei ihnen und drehte Joe den Arm um. Travis packte ihn von der anderen Seite.

„Lass sie los!“, befahl Seth, seine Stimme verriet kalte Wut. „Jetzt, Joe. Genau jetzt.“

Der Druck in Darbys Nacken ließ nach, doch Joe hielt sie weiterhin fest.

„Ruft den Sheriff!“, rief Travis.

„Darby?“, fragte Seth. „Alles okay mit dir? Sag was!“

Sie versuchte zu sprechen, aber sie brachte kein Wort heraus. Erneut stieß sie mit dem Ellbogen zu und trat nach Joe.

Plötzlich ließ er von ihr ab.

Sie stolperte und fing sich gerade noch. Dann blinzelte sie, um die Welt um sich herum wieder deutlicher zu sehen.

„Bist du okay?“, fragte Seth sie erneut.

Sie brachte ein Nicken zustande. „Ja, alles in Ordnung“, krächzte sie atemlos.

„Was ist nur los mit dir?“, brüllte Seth und richtete sich zu voller Größe auf.

Joe wich zurück.

„Ich bringe ihn nach Hause“, war eine andere Männerstimme aus der Menge zu hören.

„Bringt ihn zum Sheriff“, befahl Seth. „In der Zelle kann er seinen Rausch ausschlafen. Travis, du begleitest ihn.“

„In Ordnung.“

Seth kam zu ihr und legte ihr einen Arm um die Schultern. „Alles okay?“

„Äh … ja. Aber ich könnte etwas frische Luft gebrauchen.“ Sie spürte, dass Dutzende Augenpaare sie musterten. Sie wirkten nicht besonders freundlich, und Schwäche zu zeigen, war das Letzte, was sie sich leisten wollte. Sie richtete sich auf, schüttelte Seths Arm ab, setzte ein Lächeln auf und machte sich auf den Weg zur Tür.

Er folgte ihr.

„Es geht mir gut“, beteuerte sie, als sie nebeneinander hergingen.

„Was du nicht sagst.“

„Du kannst mich jetzt allein lassen.“

„Ich glaube nicht.“

„Oh doch. Joe ist auf dem Weg ins Gefängnis, und alle anderen sind wieder auf der Tanzfläche.“

„Du hast heute Abend nicht nur Joe verärgert. Wer weiß, was noch alles passiert.“