Bad Boy Stole My Bra - Lauren Price - E-Book

Bad Boy Stole My Bra E-Book

Lauren Price

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Beschreibung

Riley wacht mitten in der Nacht auf – und traut ihren Augen kaum: Vor ihr steht ihr neuer Nachbar Alec, der sich seelenruhig ihren Micky-Maus-BH schnappt und durchs Fenster wieder zu seiner Jungs-Party nach nebenan abhaut. Klar, dass Riley ihn nach dieser Aktion aus tiefstem Herzen hassen müsste – wenn er nur nicht so verdammt gut aussehend wäre! Ihr Kennenlernen geht stürmisch weiter: Nach einer Feier, auf der einfach alles schiefgeht, findet sich Riley in Alecs Bett wieder (immerhin voll bekleidet). Bei so viel (ungewollter) Nähe kann man der Sache fast schon eine Chance geben, findet Riley, zumal Alec hinter seiner ganzen Coolness durchaus tiefe Gefühle zu verbergen scheint. Doch dann funkt ausgerechnet Rileys Exfreund Toby dazwischen …

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DAS BUCH

Riley wacht mitten in der Nacht auf – und traut ihren Augen kaum: Vor ihr steht ihr neuer Nachbar Alec, der sich seelenruhig ihren Micky-Maus-BH schnappt und durchs Fenster wieder zu seiner Jungs-Party nach nebenan abhaut. Klar, dass Riley ihn nach dieser Aktion aus tiefstem Herzen hassen müsste – wenn er nur nicht so verdammt attraktiv wäre! Ihr Kennenlernen geht stürmisch weiter: Nach einer Feier, auf der einfach alles schiefgeht, findet sich Riley in Alecs Bett wieder (immerhin voll bekleidet). Bei so viel (ungewollter) Nähe kann man der Sache fast schon eine Chance geben, findet Riley, zumal Alec hinter seiner aufgesetzten Coolness durchaus tiefe Gefühle zu verbergen scheint. Doch dann funkt ausgerechnet Rileys Exfreund Toby dazwischen. Er wühlt Geheimnisse aus der Vergangenheit wieder auf, die Riley für immer vergessen wollte …

DIE AUTORIN

Lauren Price, Jahrgang 1999, ist im englischen Coventry, aufgewachsen. Sie studiert derzeit Film- und Medienproduktion an der Lincoln University. Ihren Debütroman BAD BOY STOLE MY BRA veröffentlichte sie zuerst auf Wattpad – der Erfolg und das Echo waren überwältigend. Wenn sie einmal nicht schreibt, liebt sie es, zu zeichnen oder mit ihrer kleinen Schwester zu spielen.

LAUREN PRICE

BAD BOY

STOLE MY BRA

Roman

Aus dem Englischen

von Bettina Spangler

Die Originalausgabe erscheint unter dem Titel

A BAD BOY STOLE MY BRA

bei Ink Road, Black & White Publishing, Edinburgh

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.

Copyright © 2018 by Lauren Price

Copyright © 2018 der deutschsprachigen Ausgabe

by Wilhelm Heyne Verlag, München,

in der Verlagsgruppe Random House GmbH,

Neumarkterstr. 28, 81673 München

Alle Rechte sind vorbehalten.

Redaktion: Steffi Korda

Umschlaggestaltung: Das Illustrat, München,

unter Verwendung von Motiven von © Shutterstock

(Antonio Guillem, paffy, MediaGroup_BestForYou,

Nik Merkulov, studioloco, Damir Khabirov, Ljupco Smokovski)

Satz: Leingärtner, Nabburg

e-ISBN: 978-3-641-22843-9V001

Kapitel  1

EIN WEITERER SIEG FÜR MARIO

»Mario gewinnt schon wieder!«

Während die alberne, viel zu oft gehörte Melodie aus dem Fernseher verstummt, lasse ich schicksalsergeben meinen Controller auf den Schoß fallen. Ob es an der stickigen Luft im Zimmer oder an der Tatsache liegt, dass das heute schon unser sechstes Rennen ist – jedenfalls habe ich das erste Mal seit Monaten ein Mario-Kart-Spiel verloren … gegen meinen Bruder, und der ist erst acht. Aus zusammengekniffenen Augen sehe ich zu, wie Jack ein Siegestänzchen durchs Zimmer hinlegt und freudig auf und ab hüpft. Dabei reißt er sich das T-Shirt über den Kopf und entblößt seinen bleichen Oberkörper. Also echt, was haben die Jungs bloß immer, dass sie sich ausziehen müssen, wenn sie irgendwas gewonnen haben? Ist das so ein komisches Überlegenheitsding, das noch von den Affen stammt? Ich schnaube verächtlich. Er ist so ein dämlicher, kleiner Angeber! Ich strecke die Hände aus, packe ihn und zerre ihn zu Boden, um ihn ordentlich durchzukitzeln.

»Das hättest du wohl gern, Affenjunge«, spotte ich. »Wir wissen doch beide, dass ich dich bei den anderen Rennen haushoch geschlagen habe.«

Jack windet sich aus meiner Umklammerung und wirft mir einen finsteren Blick zu, während er sich hochrappelt und sich die Hose abklopft. Er hasst es, wenn ich ihn kitzle. »Affenjunge? Ich habe dich bei Mario geschlagen, nicht bei Donkey Kong!«

Ich bin viel zu faul, um ihm meine Gedankengänge zu erklären, deshalb rolle ich bloß mit den Augen.

»Riley, kannst du bitte kurz kommen?«, ruft Mom von unten. Hätte sie nicht einen so dringlichen Unterton in der Stimme gehabt, hätte ich wohl erst mal gefragt, warum sie denn nicht zu mir raufkommt. Aber sie scheint wegen irgendwas ganz aufgeregt zu sein. Sie klingt so energiegeladen, wie ich es bei ihr schon lange nicht mehr gehört habe. Und das macht mich neugierig.

Ich murmele also ein paar schnelle Worte des Protests, schwinge mich aus dem Sitzsack hoch und werfe Jack einen warnenden Blick zu: Wenn du mir meinen Platz wegnimmst, bist du fällig. Natürlich hat er es sich schon gemütlich gemacht, bevor ich auch nur die Tür erreiche. Oh, wie ich die Zeiten vermisse, als ich noch eine gewisse Autorität über ihn hatte!

Als ich die Küche betrete, schlagen mir die herrlichsten Gerüche entgegen, der Duft von frisch gebackenen Cupcakes und Kaffee, wie in einem Starbucks, nur gemütlicher. So hat es bei uns schon lange nicht mehr gerochen! Und mit einem Schlag löst sich mein Missfallen, weil ich den weiten Weg die Treppe herunter auf mich nehmen musste, in Luft auf. Ich kann mir ein Grinsen nicht verkneifen, als ich Mom in Kochschürze hinter dem Küchentresen stehen sehe. Sie hebt den Blick und klopft sich die Hände sauber. Ihre Locken sind vom Zuckerguss ganz verklebt.

»Komm und sieh dir das an«, sagt sie und wendet sich von den halb mit Zuckerguss bestrichenen Cupcakes ab.

Hastig winkt sie mich ans Fenster und zieht die karierten Vorhänge ein kleines Stück auseinander, gerade so weit, dass ich hindurchlinsen kann. Mein Blick schnellt zu ihr, fragend starre ich sie an. Ob es mit den neuen Geranien zu tun hat, die sie gestern gekauft hat? Ich gehe näher ran und spähe hinaus auf die Einfahrt zum Nachbarhaus. Eigentlich hatte ich Topfpflanzen erwartet, deshalb überrascht es mich umso mehr, was ich stattdessen zu sehen bekomme.

Wir haben neue Nachbarn.

Vor dem Haus nebenan, das jetzt seit fast sechs Monaten leer steht, parkt ein riesiger Umzugslaster. Im Schatten des grünen Ungetüms steht ein Kleinwagen. Meine Augenbrauen wandern nach oben, als ich sehe, wie eine Familie aus dem Auto klettert. Als Erstes steigt eine Frau aus und beugt sich ins Auto, um einem kleinen Mädchen vom Rücksitz zu helfen. Die dunklen Locken der Frau werden von einer Klammer gehalten, ihre Gesichtszüge sind fein und feminin. Wie schön, dass jemand in Moms Alter nebenan einzieht: Sie könnte jemanden zum Reden brauchen, der nicht allzu weit weg wohnt. Das Mädchen, das die Frau jetzt auf dem Arm trägt, ist ungefähr vier oder fünf Jahre alt und hat das niedlichste Kleinkindgesicht, das ich je gesehen habe, mit zwei braunen Zöpfen links und rechts. Echt süß.

Ich bin mir nicht sicher, was ich als Nächstes erwartet habe – aber ganz bestimmt nicht den attraktiven, düster dreinschauenden Jungen, der jetzt aus dem Wagen auftaucht. Er sieht aus, als wäre er ungefähr in meinem Alter, und wie ich das aus der Entfernung so einschätze mit den rabenschwarzen Haaren und dem kantigen Kinn … ist er ein richtiger Hottie. Kein Zweifel: Er wird der größte Schwarm unserer Schule werden. Ich kann den Blick gar nicht mehr von ihm losreißen. Jetzt fährt er sich auch noch mit den Fingern durch die Haare. Ich bin wie hypnotisiert. Mit Leuten, auf die die Bezeichnung »Hottie« zutrifft, hatte ich bisher nicht allzu viel am Hut, deswegen kriege ich ein nervöses Flattern im Magen bei dem Gedanken, dass er jetzt gleich nebenan wohnt.

Ich ziehe den Vorhang noch ein Stück weiter auf, aber zu meinem Schrecken fährt der Kopf des Jungen herum, als er die Bewegung wahrnimmt. Er hat mich ertappt, wie ich ihn ungeniert anglotze. Autsch. Blitzartig weiche ich zurück und rempele Mom dabei an. Ich spüre, wie mir die Schamesröte ins Gesicht steigt. Der hält mich jetzt bestimmt für einen Psycho. Bis ich allerdings den Mut aufbringe, einen weiteren Blick auf ihn zu wagen, stelle ich zu meiner Verblüffung fest, dass ihn das nicht im Geringsten zu stören scheint. Er wirkt sogar fast gelangweilt.

Als mir klar wird, wie seltsam es aussehen muss, dass ich die Leute nebenan derart ausspioniere, ziehe ich mich endgültig vom Fenster zurück und schließe die Vorhänge. Es war nur eine Frage der Zeit, bis wir neue Nachbarn kriegen. Trotzdem trifft es mich jetzt ziemlich unvorbereitet. Das Nachbarhaus mit den zwei Stockwerken und dem cremefarbenen Anstrich ist relativ groß, es hat eine Veranda nach vorne raus und einen ziemlich verwilderten Garten. Eigentlich hatte ich mich daran gewöhnt, dass es leer steht; nie im Leben hätte ich gedacht, dass jemand in meinem Alter dort einziehen würde. Mom kichert vor sich hin, als sie meinen verdutzten Gesichtsausdruck registriert, und streift mir die langen Haare hinter die Schultern. Mir wird ganz warm ums Herz, weil sie sich so freut.

»Na, wie findest du das?«, fragt sie. »Neue Nachbarn!«

Ich ringe mir ein halbherziges Lächeln ab und gehe zum Kühlschrank. »Ich habe diese Leute in Lindale noch nie gesehen. Sie kommen anscheinend von außerhalb.«

Lindale ist eine von diesen überschaubaren, spießigen Kleinstädten, wo jeder jeden kennt. Es gibt eine Schule für jede Altersstufe, zahlreiche von der Gemeinde organisierte Wohltätigkeitsveranstaltungen, und man spürt unter den Bewohnern einen gewissen Stolz auf die Stadt, die abgesehen von der Uferseite in alle Richtungen von den dichten Wäldern Oregons umgeben ist.

Ich betrachte prüfend den Inhalt des Kühlschranks, werde aber enttäuscht. »Kein Orangensaft mehr«, grummele ich. Ich starre auf die kläglichen Lebensmittelreste – Schinkenscheiben, Wasser, das mit irgendwas aromatisiert ist, und ein alter, vergammelter Salatkopf. Da lässt sich leider nicht viel draus zaubern.

Von Mom ernte ich nur ein müdes Schulterzucken, und sie schlägt meine Hand weg, als ich mir einen Cupcake krallen will.

»Wir müssen einkaufen gehen, Ma«, murre ich. »Wir haben rein gar nichts Essbares mehr im Haus.«

»Ist schon bestellt, die Lieferung müsste bald eintreffen!«

Sie streckt mir ganz frech die Zunge heraus, und für einen kurzen Augenblick bleibt mir die Spucke weg, so sehr verblüfft mich diese Geste. Das hat sie ja schon eine Ewigkeit nicht mehr gemacht. Sieht so aus, als würde der heutige Tag optimal für sie laufen. Mom und ich sind uns in mehr als nur einer Hinsicht ähnlich. Nicht nur, was das Aussehen angeht – wir haben beide dunkle Locken und helle Haut –, sondern auch charakterlich: Wir sind beide ziemlich sarkastisch, reißen gern Witze und haben beide so unsere Eigenheiten. Mom zeigt ihre Schrullen in letzter Zeit allerdings nur noch, wenn sie gut gelaunt ist. Deshalb fällt es umso mehr auf.

»Dir war wohl heute nach Backen, wie?«, wage ich mich vor und spähe ihr über die Schulter, während sie die Cupcakes weiter mit Zuckerguss bepinselt.

Meine Frage lässt sie kurz innehalten, dann nickt sie. »Es hat mir gefehlt. Irgendwie dachte ich mir, dass ich ja nicht ewig Trübsal blasen kann.« Mit einem zaghaften Lächeln sieht sie zu mir.

»Gut«, sage ich. »Ich hab dich lieb. Jetzt gehe ich aber wieder nach oben, muss noch lernen.« Damit rausche ich ab und schnappe mir im Vorbeigehen einen Lolli aus dem Süßigkeitenglas, als plötzlich mein Handy in der Tasche zu vibrieren beginnt. Ich muss grinsen, weil auf dem Display dieses megagruselige Foto von Violet zu sehen ist. Wir beide machen uns immer einen Spaß daraus, wie wir ans Handy gehen, das hat fast schon Tradition. Ich überlege kurz, dann habe ich eine Idee, wie ich mich melden will.

»Jims Bordell, Sie haben die Kohle, wir haben die Mädchen, wie kann ich Ihnen behilflich sein?«

»Lass die doofen Witze, Riley, dafür haben wir jetzt keine Zeit!«, entgegnet Violet im Flüsterton. Erst da fällt mir wieder ein, dass sie heute ein Blind Date hat. Weil ich genau weiß, wie wählerisch sie ist, wenn es um Jungs geht, kann ich mir schon vorstellen, dass es nicht ganz so optimal läuft. »Ich bin gerade ins Mädchenklo geflüchtet. Ausgerechnet heute muss ich meine Tage kriegen, wo ich eine weiße Jeans anhabe! Außerdem hat er Manieren wie ein Schwein. Er hat mir Wasser über die Hose gekippt, dieser Volltrottel!«

»Okay«, antworte ich prustend. »Dann trockne dich eben ab. Hast du eine Jacke dabei? Dann binde sie dir um die Hüfte und erklär dem Typen, dass du Bauchweh hast. Wenn er nicht allzu schwer von Begriff ist, bringt er dich nach Hause.«

Das Rascheln in der Leitung verrät mir, dass Violet sich gerade ihre Jacke um die Hüften knotet. »Vielen Dank.« Sie seufzt erleichtert. »Ach übrigens, witziger Spruch. Ich geh jetzt besser wieder raus, bevor er sich noch wundert. Schreibst du mir später?«

»Mache ich«, verspreche ich und lege auf.

Violet und ich sind seit unserem ersten Tag an der Highschool beste Freundinnen. Wir saßen in der ersten Mathestunde nebeneinander, als sie einem von diesen supersportlichen Typen eine Ohrfeige verpasst hat, weil er sich über ihre lila gefärbten Haare lustig gemacht hatte. Von dem Moment an hatte ich höllischen Respekt vor ihr. Anders als ich redet sie gern, ist total lustig und strahlt großes Selbstbewusstsein aus – auf die Menschen um sich herum wirkt sie wie ein Magnet. Mich dagegen haben alle als Spinnerin abgestempelt. Weil ich eher schüchtern bin, übernehme ich in unserer Beziehung die Rolle der Beraterin im Hintergrund, während sie sich dem Grauen von Gesprächen mit anderen stellt.

Ich gehe schnurstracks zurück in mein Zimmer und mache die Tür hinter mir zu. Es ist so was wie mein sicherer Hafen: ein Ort, den ich mir im Laufe der Zeit so eingerichtet habe, dass er meine Persönlichkeit perfekt widerspiegelt. Die Einrichtung ist nichts Besonderes, weder teuer noch aufregend anders, aber dafür gemütlich, und ich fühle mich wohl hier. Die ganze hintere Wand ist mit Postern von Bands und TV-Serien zugeklebt. Alles in diesem Raum, von der wilden Mischung an Büchern bis zur kunterbunten Schallplattensammlung, ist ein Beweis dafür, dass er von einer introvertierten Person bewohnt wird, und das finde ich toll. Mein Skateboard und die alte Gitarre lehnen am Schrank, und mein großes, wie immer ungemachtes Doppelbett mit der Star-Wars-Bettwäsche steht direkt gegenüber vom Fenster – das wiederum witzigerweise direkt gegenüber vom Nachbarhausfenster liegt. Wenn man die Hand ausstreckt, kann man das Fenster nebenan fast berühren. Es ist einen Katzensprung entfernt, sozusagen.

Jetzt, wo wir neue Nachbarn haben …

Ach du Schande.

Auf Zehenspitzen schleiche ich zum Fenster und linse am Rahmen vorbei in das Zimmer gegenüber. Bei dem Megaglück, das ich immer habe, darf ich mich nicht vom Nachbarjungen erwischen lassen. Und tatsächlich, als mein Blick ins andere Zimmer fällt, muss ich mir ein lautstarkes Stöhnen verkneifen. Natürlich ist er es. Ich schätze, von jetzt an bleiben meine Vorhänge geschlossen. Ich ziehe trotzdem den lila Stoff ein Stück beiseite und sehe, wie er gerade seine Sachen in die Schränke räumt. Diesmal hat er mich nicht bemerkt, immerhin. Aber aus dieser kurzen Distanz erkenne ich erst so richtig, wie gut er aussieht. Mit dem markanten, wie gemeißelten Kinn und den hohen Wangenknochen wirkt sein Gesicht kantig, ich würde fast sagen, sexy. Rabenschwarze Locken kringeln sich in seiner Stirn, die Augen sind tiefblau.

Er schaut in die andere Richtung, und ich werde schlagartig aus meinem Tagtraum gerissen. Ein bisschen wundere ich mich über mich selbst, weil ich ihn so ungeniert anstarre. Ich muss zugeben, dass ich nicht gerade viel Erfahrung mit Jungs habe. Deshalb besteht ganz sicher keine Gefahr, dass ich mich in ihn verknalle oder so was. Gucken kann zwar nicht schaden, aber ich ziehe trotzdem lieber die Vorhänge zu und halte mich vom Fenster fern. Nur, um auf der sicheren Seite zu sein.

Ich lege Musik auf und mache es mir bequem, um für die Schule zu lernen. Meine Noten haben sich im vergangenen Jahr rapide verschlechtert, deshalb bin ich wild entschlossen, rechtzeitig zur gewohnten Topform zurückzukehren. Beim Lernen kann ich meine Energien auf eine Sache richten, dann habe ich das Gefühl, in meiner Freizeit richtig was zu leisten. Ein Song von Twenty One Pilots dröhnt aus den Lautsprechern meiner Dockingstation. Ich wippe im Takt der Musik mit dem Kopf und starre auf die Gleichungen auf dem Tisch vor mir, bis es mir vor den Augen flirrt und alles verschwimmt. Ich war noch nie gut in Mathe, und jetzt muss ich mich auch noch mordsmäßig anstrengen, um im Unterricht mitzukommen. Ich hoffe, mein Fleiß macht sich bei den Abschlussprüfungen im kommenden Jahr bezahlt.

Mein Telefon gibt ein Summen von sich.

VIOLET:Ich habe es geschafft, diesem beknackten Date zu entkommen! Am Montag erzähle ich dir alles haarklein. xx

Lass dich nicht von deinem Handy ablenken!

Ach, was soll’s. Warum nicht sofort zurückschreiben?

Ich tippe eine rasche Antwort, dann schalte ich mein Handy aus. Sonst spaziert Mom hier rein und erwischt mich garantiert dabei, wie ich daddele. Und dann denkt sie, ich hätte die ganze Zeit nichts anderes getan. Wir haben ein nicht ganz so vertrauensvolles Verhältnis, was in erster Linie an dem Topfhaarschnitt liegt, den sie mir als kleines Kind verpasst hat. Jep, das sah so gruselig aus, wie es sich anhört. Wenn nicht sogar schlimmer.

Nachdem ich eine geschlagene Stunde gebüffelt habe, klappe ich meine Bücher zu. Es ist schon spät. Ich unterdrücke ein Gähnen und will mich bettfertig machen, aber nicht bevor ich mich überzeugt habe, dass die Vorhänge fest verschlossen sind. Erst dann ziehe ich mich aus. Ich will ja nicht, dass der Nachbarsjunge mehr bekommt, als er sich erträumt hat, während er nebenan in dieses Zimmer gezogen ist. Das ist bestimmt nicht der erste Eindruck, den ich bei ihm hinterlassen möchte.

Ich schlüpfe im Pyjama-Oberteil unter die Bettdecke und runzele die Stirn, als ich merke, dass nebenan ziemlich laut Musik läuft. Und ich bin mir sicher, dass es nicht die Mutter von diesem entzückenden Kleinkind ist, die Heavy Metal hört. Nein, ich würde eher auf ihn tippen. Das würde auch erklären, warum ich das so extrem laut höre. Dem dreckigen Gelächter und der wummernden Rockmusik nach hat mein Herr Nachbar Freunde zu Besuch. Er wohnt noch nicht mal einen Tag hier, und schon schmeißt er eine Party?! Wenn das nicht die ersten Vorzeichen der Hölle sind, die mir bevorsteht, dann weiß ich es auch nicht.

Mit einem frustrierten Seufzen presse ich mir das Kissen übers Gesicht, um den Lärm zu dämpfen, kuschele mich ganz tief in mein weiches Bett und hoffe das Beste.

Zwanzig Minuten später bin ich immer noch hellwach.

Sieht ganz so aus, als hätte ich eine lange Nacht vor mir.

Ein schwaches Geräusch weckt mich und entlockt mir ein leises Ächzen. Die Musik nebenan läuft immer noch! Kriegt man neuerdings nicht mal mehr seinen Schönheitsschlaf? Ich blinzle, bis ich klar sehe, stemme mich hoch auf einen Ellbogen und knipse die Nachttischlampe an. Licht durchflutet das Zimmer. Rasch lasse ich den Blick umherschweifen. Plötzlich bin ich wie versteinert, und vor Verblüffung klappt mir die Kinnlade herunter.

Mit weit aufgerissenen Augen starre ich den Jungen an, der genauso baff zu sein scheint wie ich. Schockiert richtet er den Blick auf mich – und dann glotzen wir uns gefühlte Stunden gegenseitig an, ohne was zu sagen.

Er ist schon halb durchs Fenster geklettert, die Hand nach dem gegenüberliegenden Fensterbrett ausgestreckt, als ich sehe, dass an seiner geballten Faust mein Micky-Maus-BH baumelt.

Was zum Teufel soll das denn?!

Kapitel  2

KOMM UND HOL IHN DIR!

Mein erster Impuls ist es zu schreien.

Nur leider ist der Junge mir einen Schritt voraus. Bis ich wieder in der Realität gelandet bin, ist er bereits wie ein geölter Blitz am Fenster. Ohne einen Blick zurück klettert er trittsicher über das Fensterbrett.

Eben noch war ich wie gelähmt, jetzt tobt bestimmt eine Mischung aus völliger Verwirrung und Wut in mir.

»Was zum Teufel tust du da?«

Ruckartig schlage ich die Decke zurück und schwinge mich aus dem Bett, um ihm hinterherzujagen. Er wirft mir einen letzten, unergründlichen Blick zu, ehe er den entscheidenden Sprung auf das gegenüberliegende Fensterbrett wagt. Und er landet so grazil darauf, dass jede Katze neidisch wäre.

Eine Gänsehaut überzieht meine nackten Beine, so kalt ist die Luft von draußen. Als ich am Fenster stehe, verschränke ich die Arme vor der Brust. Im Zimmer gegenüber sehe ich eine Horde Jungs, die mich anstarren und verlegen kichern. Im schwachen Licht der Lampe sind sie kaum zu erkennen, aber ich weiß genau, wer sie sind.

Einer der Jungs kommt ans Fenster, und die frostige Luft lässt seine goldenen Locken hochwehen. Dylan Merrick. Er ist im selben Jahrgang wie ich, wobei ich noch nie ein Wort mit ihm gewechselt habe. Er ist einer von diesen Typen, die bei allen beliebt sind und die jeden kennen. Dylan wirft mir ein sanftes, aufmunterndes Lächeln zu, bei dem jedes Mädchen sofort schwach werden würde, auch ich, aber offenbar hat mein Zorn mich vorläufig immun dagegen gemacht. Ich reagiere nicht auf dieses engelsgleiche Grinsen.

»Du bist bestimmt völlig verwirrt«, sagt er, weil ihm mein Gesichtsausdruck nicht entgangen ist.

»Was du nicht sagst, Sherlock«, fauche ich. »Würdest du mir bitte erklären, was ihr euch dabei gedacht habt?« Ich schäme mich in Grund und Boden, dass sie meinen alten, ausgewaschenen BH da drüben in diesem Zimmer in ihrer Gewalt haben.

Dylan zuckt kaum merklich zusammen. »War bloß eine blöde Wette. Wir dachten nicht, dass du aufwachen würdest.«

»Er hat meinen verdammten BH geklaut!«, heule ich auf und balle die Hände zu Fäusten. »Ihr dachtet wohl, ihr könnt einfach so mitten in der Nacht bei mir einsteigen und meinen Büstenhalter mitgehen lassen? Wegen einer bekloppten Wette? Wir kennen uns noch nicht mal!« Ich sehe, wie Dylan wieder zusammenzuckt, weil ich nämlich schreie wie eine Irre. Aber ich habe ja wohl jedes Recht, sauer zu sein, oder nicht?

»Sehr hübscher BH übrigens.« Joe Travis’ Kopf taucht neben Dylan auf, die Haare ganz zerzaust und ein durchtriebenes Blitzen in den blauen Augen. An der Lindale High ist er einer von den vorlauten Witzbolden, typisch Klassenclown halt. Seine Beliebtheit verdankt er vor allem den vielen Streichen, die er dem früheren Direktor der Schule gespielt hat – Juckpulver in der Unterwäsche, Sekundenkleber auf dem Stuhl, solche Sachen eben. Dem jetzigen Direx hat er noch keins ausgewischt, aber ich glaube, er wartet bloß auf den richtigen Moment, dann schlägt er zu. Dieser Typ ist an unserer Schule eine Legende!

Spitzbübisch grinst er mich nun an. »Ich finde Mädchen toll, die Disney mögen.«

»Alter«, stöhnt Dylan und wirft ihm einen fast schon gequälten Blick zu. »Halt die Klappe.«

Die Röte schießt mir ins Gesicht. Warum muss dieser Kerl auch ausgerechnet meinen verdammten Disney-BH klauen! Hätte er nicht ein schlichtes Exemplar mitgehen lassen können oder einen von den hübschen rosafarbenen in meiner Schublade? Also, wenn ich ein Wörtchen mitzureden hätte, wäre mein alter Disney-BH echt die allerletzte Notlösung, so bequem er auch ist.

Zu meiner Überraschung ist der größte Ärger bei mir mittlerweile verflogen. Jetzt ist mir die Sache bloß noch peinlich, und ein bisschen überfordert bin ich auch von der ganzen Situation.

Eine blöde Wette.

»Hattet ihr wenigstens vor, ihn mir wieder zurückzugeben?«

Dylan wirft dem Nachbarsjungen einen nervösen Blick zu, doch der verhält sich während des gesamten Gesprächs erstaunlich still.

»Ist das euer Ernst?« Genervt stoße ich ein Ächzen aus. Ich will schon hinüberklettern zu ihnen, da erinnert mich ein weiterer eisiger Windstoß daran, dass meine Beine nackt sind und ich bloß das Oberteil von meinem Batman-Schlafanzug anhabe. Eine Gänsehaut kriecht über meine kreidebleiche Haut. Dann kriege ich ihn also nicht wieder. Ich kneife die Augen zusammen und richte den Blick auf meinen Nachbarn. Böse funkele ich ihn an. »Du, du bist das Barschloch, das ihn mir geklaut hat. Gib ihn zurück, aber schnell.«

»Barschloch?«

Chase Thatcher, der in der Ecke sitzt, springt auf und grinst übers ganze Gesicht, als er mich so fluchen hört. Ich richte meine Aufmerksamkeit auf ihn. Er ist bei den Mädchen an unserer Schule der am heißesten umschwärmte Junge. Ich weiß nicht viel über ihn, abgesehen von seinen vielen Dates und dem unzweifelhaften Charme. Wobei einmal das Gerücht die Runde gemacht hat, dass es bei ihm daheim nicht ganz so optimal läuft.

Drei von den vier Jungen in diesem Zimmer gehören zu den beliebtesten meines Jahrgangs – wie ist es meinem Nachbarn wohl gelungen, in weniger als einem Tag an die Spitze der sozialen Leiter von Lindale zu klettern?

»Also, ich würde sagen, Chase ist ein größeres Barschloch als Alec«, witzelt Dylan.

Alec. Er heißt also Alec.

»Sei bloß vorsichtig, Merrick, du verletzt meine Gefühle.«

»Quatsch, dafür ist dein Ego doch viel zu groß.«

Die Jungs ziehen sich vom Fenster zurück und schubsen sich zum Spaß gegenseitig. Ich fasse den Jungen ins Auge, der meinen BH gestohlen hat. Alec. Mein anfangs noch neugieriger Blick wird eisig. Dieser Typ kennt mich noch nicht mal, und da wagt er es, bei mir einzubrechen und meine Unterwäsche zu klauen? Sollte er sich nicht auf der Stelle entschuldigen und mir das Ding zurückgeben?

»Wer hat ihn?« Mein Ton klingt fordernd. Ich will nur noch zurück ins Bett, aber nicht, bevor ich meinen BH in die hinterste Schublade gestopft und das Fenster fest verschlossen habe.

Chase wirft einen Blick zu Alec und beißt sich auf die Fingerknöchel, um sich das Lachen zu verkneifen. Joe, der sich auf einem Schreibtischstuhl im Kreis dreht, schaut verlegen auf seine Knie. Damit bleibt nur noch ein Verdächtiger, und es überrascht mich nicht im Geringsten, dass es der Typ ist, der das Verbrechen begangen hat. Ich nehme Alec ins Visier und warte auf eine Antwort, die ich prompt bekomme … in Form eines Grinsens.

»Du hast meinen BH, nicht wahr?«, frage ich erschöpft und fahre mir mit der Hand durch meine zerzausten Haare.

»Ja.« Seine Stimme klingt völlig ungerührt. Der Typ hat echt ein Selbstbewusstsein!

»Gibst du ihn mir jetzt zurück, oder verschwende ich hier nur meine Zeit?«

Ich kann es nicht verhindern, dass ich genervt klinge. Das Ganze zieht sich schon viel zu lange hin, langsam werde ich so richtig müde. Aber vom Schlafentzug mal abgesehen könnte ich mich ohnehin nicht länger hier hinstellen und weiter mit diesen Typen reden. Denn plötzlich schäme ich mich.

»Tut mir leid, aber das geht nicht. Die Wette sieht vor, dass ich ihn behalte.«

»Wie heißt du denn, meine Schöne?«, mischt Chase sich ein.

»Riley Greene«, antworte ich zögerlich und versuche krampfhaft, nicht rot zu werden. Leider laufen meine Wangen beim kleinsten Kompliment knallrot an. Es ist fast so, als würde mein Körper sich dagegen wehren wollen.

»Du bist doch in unserem Jahrgang, oder?«, fragt Chase. »Ich glaube nicht, dass ich dich schon oft gesehen habe.«

Ich beiße mir leicht auf die Unterlippe. Logo, weil ich unter ihrem Radar durchgehe. Ich habe nur eine begrenzte Anzahl von Freunden und bin relativ unscheinbar, abgesehen von den gelegentlich geistreichen Kommentaren im Unterricht. Meine kleine Auszeit von der Schule im vergangenen Jahr und meine psychischen Probleme waren schuld, dass ich mich unwillkürlich vom Sozialleben an unserer Schule zurückgezogen habe. Es überrascht mich nicht im Geringsten, dass man sich da nicht groß an mich erinnert.

»Chase, hör auf zu flirten«, schnaubt Alec. Ein lässiges Grinsen umspielt seine Lippen, und für einen Sekundenbruchteil zuckt sein Blick zu mir. Genervt versteife ich mich.

»Da kann man ihn auch gleich bitten, nicht mehr zu atmen«, meint Joe lachend.

Chase macht ein finsteres Gesicht und wirbelt den Schreibtischstuhl herum, sodass Joe in die entgegengesetzte Richtung guckt.

»Viel besser.«

»Hör zu.« Ich wende mich an Alec, weil ich allmählich die Geduld verliere. »Ich kenne dich nicht, aber ich würde gerne wieder ins Bett gehen. Kann ich jetzt meinen blöden BH zurückhaben? Dann vergesse ich ganz schnell, dass das alles passiert ist!«

»Mein Name ist Alec Wilde«, sagt er ungerührt. Seine Mundwinkel zucken ganz leicht nach oben zu einem total süßen, schiefen Grinsen. Wie nervig! »Schön, dich kennenzulernen, Nachbarin.«

»Schade nur, dass wir uns unter solchen Umständen treffen«, gebe ich schnippisch zurück.

Alecs Augenbrauen zucken kaum merklich nach oben, aber er wirkt kein bisschen verärgert. Eigentlich sieht er fast aus, als wäre er beeindruckt. Mir entgeht das plötzliche Schweigen der anderen Jungs keineswegs: Sie lauschen ganz gebannt unserer Unterhaltung.

»Solche albernen Späße sind wohl nicht so dein Ding, wie?«, meint er leichthin.

Ich schnaube, weil ich mit meiner Geduld jetzt wirklich bald am Ende bin. »Gib ihn mir.«

»Wow, du kommst aber schnell zur Sache«, entgegnet Alec prustend.

Die anderen Jungen wirken verlegen, während sie uns beiden zuhören.

Verdammt, da bin ich ihm aber auf den Leim gegangen.

»Du weißt genau, dass ich das nicht so gemeint habe. Und eure bescheuerte Wette ist mir egal. Gib den BH zurück.«

Alec macht den Mund auf, um etwas zu erwidern, aber er bringt kein Wort heraus.

Plötzlich spüre ich, wie jemand am Ärmel meines Schlafanzuges zupft.

Ich wirbele herum und sehe zu meiner Überraschung meinen kleinen Bruder hinter mir stehen. Er reibt sich die Augen und reißt den Mund auf, weil er gähnen muss. »Riley, ich versuche zu schlafen«, grummelt er leise. Er versteift sich ein wenig, als er die Jungs nebenan bemerkt, und auf einmal reißt er die Augen ganz weit auf. »Du redest mit diesen Jungs?« Er wirkt völlig entgeistert, und ich zucke zusammen. Am liebsten würde ich vor Scham im Boden versinken, jetzt und auf der Stelle. »Warum unterhältst du dich mitten in der Nacht mit Jungs, Riley? Weiß Mom …«

Ich klatsche ihm die Hand vor den Mund und streiche mir die Haare vors Gesicht, damit keiner sieht, dass mir die Röte in die Wangen schießt. »Na schön, Zeit fürs Bett, Jack!«, flöte ich und tue so, als wäre alles in bester Ordnung. Dann scheuche ich ihn schleunigst zur Tür raus und fluche verhalten vor mich hin. Es kostet mich alle Mühe, meinen Kopf nicht gegen die nun wieder geschlossene Tür zu schlagen, ehrlich.

Noch ein kurzer Blick auf Alecs verdutztes Gesicht, dann ramme ich das Fenster zu und ziehe den Vorhang vor. Das war alles blamabel genug heute Abend. Ich werfe mich aufs Bett, vergrabe mein Gesicht im Kissen und stoße einen gedämpften Schrei aus. Ich brauche eine Weile, aber irgendwann gleite ich hinüber ins Land der Träume, und ich habe nur eins im Kopf, während ich langsam einnicke: Ich hole mir diesen BH zurück.

»Komm schon.« Mom zupft mich am Ärmel und zerrt mich in Richtung Haustür. »Es gehört sich einfach, dass man die neuen Nachbarn begrüßt.«

Sie gibt sich wirklich alle Mühe, es sich nicht anmerken zu lassen, aber sie hat tatsächlich ein leichtes Schmunzeln im Gesicht: Sie ist aufgeregt, was vermutlich der einzige Grund ist, weshalb ich das mit mir machen lasse. Misstrauisch beäuge ich das Haus, vor dem wir stehen. Mom weiß nicht, dass ich Alec bereits kennengelernt habe, und schon gar nicht, unter welch außergewöhnlichen Umständen. Ich bin noch völlig erledigt wegen gestern Nacht, trotzdem setze ich nun ein freundliches Lächeln auf. Mom klingelt an der Tür, auf dem Arm zwölf von den Cupcakes, die sie gestern gebacken hat, ordentlich in eine Schachtel verpackt. Ich klammere mich an der Hand meines Bruders fest, als ginge es ums nackte Überleben. Das wird grauenvoll! Aber wenigstens bekomme ich so Gelegenheit, meinen BH zurückzufordern.

»Riley, warum muss ich eigentlich an die Hand? Ich bin doch keine fünf mehr«, murrt Jack neben mir. Angestrengt versucht er, sich meinem eisernen Griff zu entziehen. Plötzlich schwingt die rotbraune Tür zu Hausnummer neunzehn auf, und vor uns steht die Frau, die wir gestern aus dem roten Auto haben aussteigen sehen. Ihr Mund verzieht sich schlagartig zu einem breiten Lächeln. Aus der Nähe sieht sie sogar noch hübscher aus.

»Herzlich willkommen! Ich bin Marie Wilde. Es ist mir eine Freude, Sie kennenzulernen!«

Sie bittet uns ins Haus, wo uns der Duft von Zimt entgegenschlägt, als wir den Flur betreten. Ihre wilden Locken, die genauso tiefschwarz sind wie die von Alec, umrahmen ein Gesicht, das aussieht wie aus Porzellan. Es ist nicht zu übersehen, dass er sein blendendes Aussehen von seiner Mutter geerbt hat, auch wenn seine Haut nicht ganz so blass ist.

Der Flur ist groß und leer, nur ein paar Kisten stehen ordentlich an der Wand gestapelt.

Mom sorgt mit ihrer überschwänglichen und wortreichen Begrüßung dafür, dass kein betretenes Schweigen entsteht – sie füllt den Raum komplett aus. »Wie schön, Sie kennenzulernen! Ich bin Ruby, und das sind meine Kinder Riley und Jack.«

Ich muss lächeln: Sie wirkt so glücklich. Es wäre wirklich schön für sie, wenn sie eine Freundin finden würde, die gleich nebenan wohnt. Dann hätte sie endlich jemanden zum Reden. Als meine Cousine Kaitlin starb … nun ja, wir haben danach jeglichen Kontakt zu Moms Familie verloren, vor allem zu meinem Onkel Thomas. Mom spricht nie darüber, aber ich weiß genau, wie einsam sie sich fühlt. Sie hat ihre Nichte und ihren Bruder verloren, und das im kurzen Zeitraum von nur einem Jahr. Das hat uns allen ziemlich zugesetzt. Allein der Gedanke an die Familie schmerzt, wir standen uns alle so nahe … sofort habe ich wieder einen Kloß im Hals, und mir dreht sich der Magen um.

»Hallo zusammen!« Marie schenkt uns ein warmherziges Lächeln. »Ihr wohnt also nebenan?« Als wir artig nicken, fährt Marie fort: »Ich habe auch zwei Kinder. Millie ist heute bei einer Freundin, damit wir in Ruhe auspacken können, aber Alec ist zu Hause. Er müsste ungefähr in deinem Alter sein, Riley. Ich rufe ihn gleich, damit er runterkommt. Immer hereinspaziert, ich hole was zu trinken.«

Ich gehe hinter meiner Mutter her ins Wohnzimmer und lasse mich vorsichtig auf der Kante eines Sofas mit dicken Polstern nieder. Dann sehe ich mich im Zimmer um. Alles in diesem Haus wirkt extrem gemütlich und einladend, und das, obwohl es noch nicht viele Möbel gibt. Kerzen und getrocknete Blumen stehen auf dem Kaminsims und strahlen große Behaglichkeit aus. Ansonsten ist alles wie bei uns daheim, nur genau andersherum. Nämlich spiegelverkehrt.

»Kaffee? Nehmen Sie ein oder zwei Stück Zucker? Milch?« Marie eilt geschäftig umher und fährt sich nervös mit der Hand durch die ungebändigten Locken. Ihre strahlenden Augen huschen zwischen Mom und mir hin und her.

»Ich komme mit und helfe Ihnen, wenn Sie möchten?«, schlägt Mom vor, und sofort zeichnet sich Erleichterung auf Maries Gesicht ab. Aber sie überspielt das schnell wieder.

»Sind Sie sicher? Sie sind doch mein Gast, ich …«

Mom unterbricht sie mit einem entschlossenen Nicken, und gemeinsam gehen die beiden hinüber in die Küche. Mich lassen sie mit meinem nervigen kleinen Bruder einfach sitzen. Ich werfe einen verstohlenen Blick zu Jack und sehe, wie er auf seinem iPad spielt.

»Jack«, zische ich. »Das ist unhöflich! Leg das weg, sofort.«

»Aber sie ist doch gar nicht hier!«, protestiert Jack, den Blick stur auf den grellen Bildschirm geheftet. Jack kann nicht ohne seine Geräte – ich schätze, er kommt mit der Realität nur klar, indem er sich in seine virtuellen Welten flüchtet. Und ich muss schon sagen, so verkehrt finde ich die Vorstellung auch nicht.

Sanft drücke ich auf den Ausschaltknopf am iPad. »Jack. Es ist unhöflich.«

»Na schön, ich lege es weg, Mom.«

So oft Jack und ich uns streiten – er ist schon manchmal echt süß. Sehr zu meinem Verdruss hat er die ganzen guten Gene abbekommen. Seine strubbeligen braunen Haare und die großen grünen Augen hat er von meinem Dad, wohingegen er Stupsnase und Sommersprossen von Mom geerbt hat. Selbst ich muss zugeben, dass er hinreißend aussieht, aber zu meiner Verteidigung möchte ich anführen, dass sich hinter dem niedlichen Gesicht der Teufel in Person verbirgt.

»Hier, bitte schön!« Marie stellt einen Teller Kekse auf den Wohnzimmertisch, dazu einen Krug mit Limonade. Ich bedanke mich artig, doch sie zuckt nur mit der Schulter und lächelt, ehe sie wieder losgeht, um Alec zu rufen. Anschließend setzt sie sich auf das Sofa gegenüber direkt neben Mom. »Im Moment sind wir nur zu dritt«, erklärt sie. »Meine bessere Hälfte ist bei der Army.«

»Was ist denn, Mom?«, höre ich Alec genervt rufen, dann kommt jemand die Treppe herunter.

Mir stockt der Atem, als Alec ins Zimmer spaziert. Er trägt eine ausgewaschene Jeans und ein schwarzes T-Shirt, das eng am Oberkörper anliegt. Sein Blick heftet sich auf mich, und sofort weiten sich seine Augen, als er mich erkennt. Er macht einen überraschten Eindruck. »Was tust du denn hier?«

»Ihr beide kennt euch?«, fragt meine Mom und lässt den Blick zwischen ihm und mir hin und her wandern.

»Nein!«, beeile ich mich zu sagen, gerade als Alec das Gegenteil behauptet.

»Wir haben uns gestern Abend kennengelernt«, erklärt Alec mit einem Blick zu mir. »Unsere Fenster liegen sich ja genau gegenüber.«

Ich werfe einen hastigen Seitenblick auf Mom, um ihre Reaktion abzuschätzen, aber sie scheint sich kein bisschen daran zu stören. Sie kriegt offenbar nicht allzu viel von unserem Gespräch mit, wo sie doch ganz gemütlich auf diesem eleganten, nerzfarbenen Sofa neben Marie sitzt. Ich glaube, sie ist viel zu sehr darum bemüht, einen guten Eindruck zu hinterlassen.

»Wie nett!«, flötet Marie. »Alec geht ab Montag auf die örtliche Highschool, es ist schön, wenn er noch ein Gesicht kennt. Ihr könntet zusammen zur Schule gehen.«

»Ich fahre mit dem Bike, Ma«, beeilt Alec sich zu sagen. »Es sei denn, Riley mag Motorräder.«

Ich merke, wie sich mehrere Augenpaare auf mich richten, und schüttle langsam den Kopf. Innerlich aber zucke ich zusammen. Ich sehe zu, wie Jack die Hand nach einem Keks ausstreckt, ein freudiges Lächeln auf den Lippen. »Ich laufe gern zu Fuß.«

Alec grinst. »Das dachte ich mir schon.«

»Trotzdem«, wendet Mom ein. »Es ist schön für euch beide, dass jemand Gleichaltriges in der Nähe wohnt. Vor allem, wenn ihr zusammen Unterricht habt. Das ist doch praktisch!«

Alec setzt sich neben mich auf die Sofakante und legt mir einen Arm um die Schulter. »Wir könnten Freunde werden, wie Micky und Minnie«, witzelt er.

Dabei sieht er mich nicht an, aber ich weiß natürlich haargenau, dass er auf meinen BH anspielt. Der ist nämlich rot mit schwarzen Punkten, und auf der linken Seite sind die besagten zwei Comicfiguren abgebildet. Die Röte schießt mir ins Gesicht, und ich drücke ihm ganz langsam und unauffällig den Ellbogen seitlich in die Rippen. Nicht zu fassen, dass er ihn geklaut hat! Zu seinem Pech aber hat er mich eben daran erinnert, dass ich mir den BH zurückholen wollte.

Marie und meine Mom unterhalten sich mittlerweile angeregt über Berufliches, und er nimmt den Arm ganz behutsam von meiner Schulter und schiebt meinen Ellbogen weg. Ich sehe, wie er grinst, doch er guckt mich immer noch nicht an.

»Wo finde ich denn die Toilette?«, frage ich und verpasse ihm noch einmal einen kräftigen Stoß in die Rippen. Ich weiß genau, wo sie ist, weil unsere Häuser ja wie gesagt fast identisch sind. Ich will ihn nur allein erwischen, damit er mir den BH zurückgeben kann.

»Möchtest du, dass ich dir den Weg zeige?« Er dreht sich zu mir. Sein Gesicht ist so dicht vor meinem, dass ich das Funkeln in seinen dunklen Augen wahrnehme. Fast könnte man es für ein amüsiertes Blitzen halten. Offenbar hat er mein Vorhaben durchschaut.

Ich überlege kurz, dann nicke ich. Er weiß, dass ich das Ding wiederhaben will. Bleibt nur zu hoffen, dass er es auch zurückgibt. Alec steht auf, schnappt sich blitzschnell meine Hand und zieht mich vom Sofa hoch. »Ich zeige Riley nur kurz, wo das Klo ist.«

»Seid artig, Kinder«, witzelt Marie, und Mom kichert.

Ich kämpfe gegen die schon wieder aufsteigende Röte an, aber es hat keinen Sinn.

Alec kneift mir auf dem Weg die Treppe hinauf, wo wir immer wieder vereinzelten Kisten ausweichen müssen, in die Wange, total nervig. Der Typ kennt echt keine Grenzen. »Da ist wohl jemandem was peinlich, wie?«

»Warum sollte mir das peinlich sein?« Hüstelnd wende ich mich ab, damit er meine glühenden Bäckchen nicht sieht.

»Ach so, klar, ist ja nicht so, als hätte ich dir deinen BH geklaut oder so.«

»Schon mal was davon gehört, dass Sarkasmus die niedrigste Form der geistreichen Bemerkung ist?«

»Eigentlich ist Sarkasmus doch die Fähigkeit, Idioten zu beleidigen, ohne dass sie was davon mitkriegen«, gibt Alec zurück.

»Willst du mich etwa als Idiotin bezeichnen?«

»Natürlich nicht.« Alec grinst so was von niedlich … Schon klar, dass ich nervig meine, wenn ich niedlich sage, ja?

Ich ziehe einen Schmollmund, als wir Alecs Zimmer betreten. Die Wände sind dunkelblau-weiß gestreift, ein paar vereinzelte Poster sind aufgehängt. Ich erkenne Metallica und ein paar andere Heavy-Metal-Bands. Abgesehen davon ist das Zimmer leer, fast schon gruselig. Überall stehen noch Kartons vom gestrigen Umzug herum. Das muss eine ziemlich heftige Party gewesen sein letzte Nacht. Ich entdecke eine Kiste leerer Cider-Flaschen.

Ich komme direkt zur Sache, schaue mich um und gehe zu einer einzelnen Kommode. »Okay, wo ist er?« Eigentlich würde ich so was nie machen, aber er ist gestern Nacht ja auch ohne zu fragen in meine Privatsphäre eingedrungen. Wenn er mir das jetzt vorwerfen will, ist er ein Heuchler. Die oberste Schublade ist vollgestopft mit Boxershorts, von denen ich mir schnell eine schnappe und sie ihm zuwerfe. »Soll ich mir als Ausgleich eine von deinen Shorts mitnehmen?«

»Wer sagt denn, dass ich ihn habe?«, entgegnet er vorsichtig. Er mustert mich mit völlig leerem Gesichtsausdruck, ein wenig zu unterkühlt für meinen Geschmack. Ich weiß doch genau, dass er ihn hat! Immerhin hat er es gestern selbst zugegeben, die Wette lautete, dass er das Ding stehlen muss und nicht nur kurz ausleihen.

»Ach, komm schon«, stöhne ich und werfe hilflos die Hände in die Luft. »Ich hab genug von diesen Spielchen.«

»Vielleicht solltest du mitspielen«, meint er achselzuckend. »Macht Spaß.«

»Ich hol mir meinen BH schon wieder.«

»Du scheinst dir ja ganz schön sicher zu sein. Hier drinnen ist er jedenfalls nicht, so viel kann ich dir verraten.« Damit lässt er sich aufs Bett fallen und sieht mich immer noch mit aller Seelenruhe an.

Ich dagegen koche innerlich vor Wut. Keine Ahnung, ob er die Wahrheit sagt. »Ich werde ganz bestimmt nicht zulassen, dass du ihn mir nichts, dir nichts behältst. Gib ihn sofort zurück, du Arsch!«

»Arsch!« Alec wiederholt das Wort und lässt es sich auf der Zunge zergehen. Er lehnt sich zurück gegen die Wand. »Ja, da ist wohl was dran. Aber Wette ist Wette, so leid es mir tut. Ich muss mich an die Regeln halten.« Dann klappt er die Augen zu, völlig entspannt.

»Wessen Idee war das mit der Wette?«

Er schlägt die Augen wieder auf. »Das geht dich nichts an.«

»Fick dich.«

»Ist das ein Angebot?« Er grinst anzüglich.

»Ich hol ihn mir zurück, und ich werde dir das heimzahlen, du wirst schon sehen.«

Auf Alecs Gesicht zeichnen sich Grübchen ab. Erneut schließt er die Augen. »Das kommt schon eher hin.«

Kapitel  3

ENTER SANDMAN

»Was ist dir denn heute für eine Laus über die Leber gelaufen?«

Mit einem zustimmenden Grummeln blicke ich Violet an, ehe ich den Kopf mit größerer Wucht als beabsichtigt gegen meinen Spind knalle. Ich jaule vor Schmerz auf. Sofort spüre ich eine Beule an meiner Stirn und hebe automatisch die Hand, um sie wegzumassieren. Habt ihr schon mal was so sehr gehasst, dass allein der Gedanke daran jedes Lächeln im Keim erstickt und eure Wut verhundertfacht hat? Okay, dann wisst ihr ja Bescheid, was ich von Montagen und insbesondere von Montagvormittag halte. Ich sag nur so viel: Es ist kompliziert.

»Du siehst beschissen aus, weißt du das?«, sagt Violet ganz unverblümt, während sie sich gegen das Schließfach neben meinem lehnt. Die Arme hat sie ganz lässig vor der Brust verschränkt. Sie hat sich die Haare frisch färben lassen, und ihre Haut ist makellos und braun wie Schokolade – anders als ich mit meinen Pickeln und den Hautunreinheiten. Ich funkele sie finster an. »Ist ja nicht meine Schuld, dass Alec Wilde, dieser verdammte Idiot, nicht weiß, zu welcher Zeit es okay ist, laut Musik laufen zu lassen.« Ich hole meine Bücher aus dem Spind und ramme die Tür dann mit einem befriedigenden Knall zu. Inmitten von lauten Gesprächen, dem Geklingel und Gepiepe von Handys und dem Geschrei der herumalbernden Schüler geht das Geräusch komplett unter. Ich freue mich schon richtig auf die Ruhe und die geordneten Strukturen des Unterrichts.

»Mal im Ernst, hast du heute in den Spiegel geschaut? Du hast dich wohl im Dunkeln angezogen?«

Ich blicke runter auf meine hellblaue Skinny Jeans und das Beatles-T-Shirt. Mein übliches Outfit, wenn ich daheim bin. Ich habe nichts dagegen – es ist bequem, cool und praktisch. Violet dagegen hat ihren ganz eigenen, unverwechselbaren Stil und scheint entschieden anderer Meinung zu sein, was meinen klassischen Kleidungsgeschmack betrifft.

»Nicht jetzt, Violet, ich bin nicht in Stimmung«, murmele ich und streiche über die Haut unter meinen Augen, ein kläglicher Versuch, die Tränensäcke loszuwerden. Klar, ich weiß nur zu gut, wie mies ich aussehe. Ich habe mir die Haare zu einem unordentlichen Knoten hochgebunden, und meine Converse sehen auch schon recht mitgenommen aus, so oft habe ich sie an. Aber ich gebe Alec die Schuld. Für mich ist Alec allein für alles verantwortlich. Und Metallica.

Plötzlich scheint das Geplapper der Schüler um uns herum zu verstummen. Mit einer schrecklichen Vorahnung fahre ich herum und stöhne auf. Wenn man vom Teufel spricht! Alec kommt mit Joe und Dylan den Korridor entlanggeschlendert, einen Ordner locker in der rechten Hand und eine Lederjacke lässig über den anderen muskulösen Arm gelegt. Fast glaube ich zu hören, wie sich in den Mundwinkeln der anwesenden Mädchen der Speichel sammelt, und ich beiße die Zähne fest aufeinander. Er ist so krass von sich eingenommen, so voller Selbstbewusstsein – und dabei ist er heute den ersten Tag hier. Ich kann mir echt nicht erklären, wie ein Mensch da so einen unbekümmerten Eindruck machen kann.

»Ich habe gehört, er soll von seiner letzten Schule geflogen sein.«

»Lisa hat mir erzählt, er ist schon öfter gewalttätig geworden. Sieh ihn dir nur an – man kriegt echt Angst.«

»Ja, weil er so scharf ist!«

Bei dem Gerede, das ich zufällig so mitkriege, rolle ich mit den Augen, und ich bin fast ein wenig erleichtert, als Alec um die Ecke biegt und verschwindet. War ja wohl klar, dass man auf ihn an der Schule so reagieren würde. Der neue scharfe Typ, selbstbewusst und geistreich, befreundet mit den drei beliebtesten Jungs unserer Jahrgangsstufe. Logisch sind auf den alle total gespannt, trotz der vielen Gerüchte, die in Umlauf sind. Dem steht der Weg ganz nach oben doch absolut frei!

»Sag mal, wusstest du, dass da ein unglaublich gut aussehender neuer Typ an unserer Schule ist?«, höre ich Violet in meinem Rücken sagen.

Ich drehe mich zu ihr um und sehe sie an.

»Angeblich wohnt er direkt neben dir, zumindest hat man mir das erzählt«, fährt sie fort. »Natürlich habe ich denen verklickert, sie sollen sich das sonst wohin schieben, weil ich doch genau weiß, dass meine beste Freundin das zumindest erwähnt hätte, wenn ein totaler Hottie bei ihr nebenan eingezogen wäre. Gehe ich recht in der Annahme?«

Ihr herausfordernder Unterton entgeht mir keineswegs.

Innerlich wappne ich mich, während wir uns langsam auf den Weg in den Matheunterricht machen. Dabei stecke ich mir hastig einen Kaugummi in den Mund, damit keiner merkt, dass ich heute Morgen vergessen habe, mir die Zähne zu putzen. Ich hatte einfach zu wenig Schlaf. Vielleicht hätte ich meine beste Freundin einweihen sollen, aber mal ehrlich, ich bin gar nicht erst auf die Idee gekommen. Es sind so viele krasse Sachen passiert an diesem Wochenende, das ging Schlag auf Schlag!

Violet, die mein Schweigen als Antwort nimmt, plappert munter weiter. »Okay, ich hab mich in dir getäuscht, aber egal. Ich fasse es nicht, dass du neben Alec Wilde wohnst und mir nichts davon sagst! Hammer, hast du ein Glück. Dir ist wahrscheinlich nicht mal bewusst, was für ein Glück du hast, oder? Du könntest …«

»Hör sofort auf!« Ich zwinge sie zum Stehenbleiben. »Es interessiert mich nicht die Bohne, dass dieser neue Typ neben mir wohnt, echt nicht.«

Sie zieht eine Augenbraue nach oben. »Sollte es aber. Dieser neue Typ ist offenbar ziemlich selbstbewusst und attraktiv. Das ist doch toll, oder nicht?«

»Nein, ist es nicht.«

Meine beste Freundin sieht mich eine ganze Weile entgeistert an und lacht dann. »Nur weil du auf Jungs allergisch reagierst.«

»Ich reagiere nicht allergisch auf Jungs!«

»Weißt du, Riley, ich bin fest davon überzeugt, dass es besser für dein körperliches und seelisches Wohlbefinden wäre, wenn du endlich mal wieder ein Date hättest.« Violet wird mit einem Mal ganz ernst. »Ich weiß, dass dich die Vorstellung von Verlieben und Beziehungen seit der Sache mit Toby schreckt, und das verstehe ich ja auch, aber du solltest dich nicht selbst bestrafen für das, was Kaitlin passiert ist …«

Sofort beschleunigt sich mein Puls, und ich merke, wie ich heftig mit dem Kopf schüttele. Ich will die Worte nicht in meinen Kopf lassen. Ich will nicht darüber reden. Ich hasse es, wenn sie damit anfängt, und ich weiß nicht, wieso sie mich immer wieder bedrängt.

»Ich weiß ja, dass ich endlich nach vorn schauen sollte, aber das ist nicht so einfach«, falle ich ihr rüde ins Wort. »Außerdem, das ist nicht der Grund, wieso ich es nicht gut finde, dass Alec nebenan wohnt … In der Hinsicht habe ich gar nichts gegen ihn.«

Dafür in jeder anderen Hinsicht.

»Was ist es dann?«

»Na ja, Samstagnacht wurde ich aus dem Schlaf gerissen, weil …«

»Riley!«

Mein Blick zuckt dorthin, wo die Stimme herkommt, und ich mache große Augen. Dylan Merrick steht ein Stück weiter den Flur runter, neben ihm Joe. Ihre Blicke sind auf mein missmutiges Gesicht gerichtet. Allein beim Klang seiner göttlichen Stimme schauen sofort alle zu mir. Und ehe ich mich’s versehe, verlasse ich die sichere Zone der Unsichtbarkeit und avanciere binnen Sekunden zum Klatschthema Nummer eins.

Als die beiden auch noch auf mich zukommen, ziehe ich den Kopf ein und würde mich am liebsten in einem der blauen, den Flur säumenden Schließfächer verkriechen. Dabei hoffe ich inständig, es möge eine andere Riley hinter mir stehen. Das wäre praktisch.

»Hey, du.« Dylan begrüßt mich mit einem zaghaften Lächeln, während er sich nähert. Lässig lehnt er sich gegen den Spind neben meinem. »Wie geht’s?« Merkt er denn gar nicht, wie komisch uns alle ansehen? Vielleicht ist er mittlerweile einfach schon so abgestumpft, dass er das nicht mitkriegt, wo er doch so beliebt ist und alles. Weil ich mich angesichts der vielen neugierigen Blicke plötzlich unwohl fühle, laufe ich wieder einmal knallrot an und streiche mir nervös die Haare hinters Ohr.

»Schon besser.« Meine Stimme klingt irgendwie erstickt und heiser, weil Joe mir den einzigen Fluchtweg verbaut. Ich brauche Hilfe und zwar schleunigst! Ich hasse es, wenn alle Aufmerksamkeit auf mich gerichtet ist.

»Dann hat Wilde ihn dir also zurückgegeben?«, erkundigt Joe sich und wirft einer völlig sprachlosen Violet einen kurzen Seitenblick zu. Sie hat verwundert die Stirn gerunzelt, und man müsste schon blind sein, wenn einem da nicht völlig klar wäre, dass mir ein ausgedehntes Verhör bevorsteht. Na toll.

»Nö«, murmele ich. Als ich gestern bei ihm daheim war, habe ich eine geschlagene Viertelstunde versucht, das Ding zu finden, während er mir amüsiert zugesehen hat. Irgendwann habe ich aufgegeben. Nerviges Barschloch.

»Ich könnte dir helfen, ihn dir zurückzuholen …« Ein aufgeregtes Funkeln blitzt in Joes Augen auf.

»Äh … nein danke.« Ich kichere verlegen. »Helfen ist nicht unbedingt deine Stärke. Du hast eher ein Talent für Feuer, Gefahr und vielleicht ein gewisses Maß für die Ausgrenzung anderer.« Verstohlen sehe ich mich um. Zum Glück schauen inzwischen nicht mehr viele Leute zu uns her.

»Es kostet mich nur einen Anruf, solltest du es dir anders überlegen.« Joe zwinkert mir verschmitzt zu.

Violet, die gegen das Schließfach gelehnt dagestanden hat, richtet sich jetzt auf. »Ich werde das Gefühl nicht los, dass meine beste Freundin mir etwas verschweigt. Und zwar ein ganz großes Ding«, sagt sie. »Kann mir bitte jemand erklären, was zum Teufel hier los ist? Denn soweit ich weiß, wusstet ihr bisher nichts von Rileys und meiner Existenz, und auf einmal flirtet ihr? Was ist denn Samstagabend passiert?« Ihr herausfordernder Blick wandert zwischen uns hin und her. Ich schaue hilfesuchend zu Joe und Dylan, aber leider vergebens.

Dylan tritt betreten von einem Bein aufs andere, und Joe grinst bloß. Wie es aussieht, amüsiert ihn die ganze Situation total.

Mann, alles muss man allein machen! Ich hole tief Luft. Auf ins Gefecht.

»Ach, weißt du, Chase, Dylan und Joe waren bei Alec daheim … Ich lag schon im Bett und habe geschlafen, aber auf einmal werde ich wach, und Alec steht bei mir im Zimmer … Er hatte meinen BH, Vi! Dann ist er wie der Blitz losgerannt, aber ich bin ihm hinterher ans Fenster, und dann … ähm … hab ich die Jungs gesehen. Er hat sich meinen Micky-Maus-BH geschnappt. Wenn du mich jetzt entschuldigen würdest …« Damit mache ich mich ohne ein weiteres Wort aus dem Staub und will in die Mathestunde fliehen.

Tja, zu früh gefreut.

»Was?!«, presst Violet hinter mir mit gedämpfter Stimme hervor. »Alec Wilde hat deinen BH geklaut? Warum? Aber was noch wichtiger ist: Wie kommt es, dass ich davon nichts weiß?«

»Ich beantworte dir alle deine Fragen in Mathe, aber reiß mir bitte nicht gleich den Kopf ab.« Ich ziehe den Kopf ein und hebe unterwürfig die Hände.

»Okay, wir reden im Unterricht darüber. Ich will jedes Detail hören.« Violets Augen verengen sich.

»Jedes Detail, jawohl, die Dame.«

»Und so endet meine unendlich betrübliche Geschichte«, schließe ich meinen Bericht mit gesenkter Stimme und linse verstohlen zur Lehrerin, um mich zu vergewissern, dass sie uns nicht gehört hat. Violet und ich sitzen zwar in der hintersten Reihe, am weitesten vom Lehrerpult entfernt, doch Ms. Thompson hat Adleraugen. Ich will mir gar nicht ausmalen, was wäre, wenn sie uns von ihrem riesigen, auf Hochglanz polierten Schreibtisch aus belauscht hätte. Aber sie hat kein einziges Mal aufgesehen von ihren Korrekturen, zum Glück, deshalb will ich erleichtert aufseufzen und mich wieder Violet zuwenden. Als ich ihren Gesichtsausdruck sehe, bleibt mir das Seufzen im Halse stecken.

Ich bin mir nicht sicher, was ich erwartet hatte. Wie sollte Violet reagieren, nachdem ich ihr von meinem Wochenende erzählt habe? Begeisterte Jubelrufe? Neugierige Fragen? Klar. Aber das, was ich jetzt erlebe, haut mich um. Sie tut nämlich etwas, das mir echt Angst macht: Violet denkt nach. Vielleicht klingt es eigenartig, dass ich mir deswegen einen Kopf mache, aber keiner außer mir weiß besser, wie stur Violet sein kann. Sie ist vorlaut, selbstbewusst und weiß genau, was sie will. Ich habe sie echt nur selten nachdenklich erlebt. Meistens redet sie drauflos, ohne lange zu überlegen. Daher erklärt sich dieses mulmige Gefühl, das ich im Bauch habe. Ich verschränke die Finger ineinander.

»Du willst deinen BH zurück, richtig?«, fragt Violet zögernd.

»Natürlich!«