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Der siebte Sammelband der atemberaubenden Science-Fiction-Serie jetzt zum Supersparpreis
Eine Botschaft aus der Vergangenheit - sind die Virgh besiegt?
Die Jaroviden und Jeltos Krise scheinen überwunden und die SESHA nimmt endlich wieder ihren ursprünglichen Kurs auf die Randzone der Großen Magellanschen Wolke auf. Dieser vorgelagert existiert eine beispiellose Sternansammlung, die zugleich Quelle eines mysteriösen Dauersignals ist - in foronischer Sprache. Was hat es damit auf sich?
Die SESHA macht sich auf, die sonderbare Konstellation zu untersuchen ...
Bad Earth - das spektakuläre Weltraum-Abenteuer in die Zukunft der Menschheit. Ein atemberaubender Trip in fremde Galaxien, zu epischen Raumschlachten und inmitten eines intergalaktischen Konflikts voller Intrigen.
Die digitale Neuausgabe der Space Opera von Manfred Weinland jetzt endlich auch im Sammelband.
Dieser Sammelband umfasst die Folgen 31 - 35 der Serie Bad Earth.
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Seitenzahl: 601
Marc Tannous, Alfred Bekker, Marten Veit, Manfred Weinland, Michael Marcus Thurner
Bad Earth Sammelband 7 - Science-Ficiton-Serie
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Über diese Folge
Über die Autoren
Was bisher geschah
Impressum
Der Ruf der Schwarzen Sonnen
In der nächsten Folge
Folge 31: Der Ruf der Schwarzen Sonnen
Eine Botschaft aus der Vergangenheit – sind die Virgh besiegt?
Die Jaroviden und Jeltos Krise scheinen überwunden und die SESHA nimmt endlich wieder ihren ursprünglichen Kurs auf die Randzone der Großen Magellanschen Wolke auf. Dieser vorgelagert existiert eine beispiellose Sternansammlung, die zugleich Quelle eines mysteriösen Dauersignals ist – in foronischer Sprache. Was hat es damit auf sich?
Die SESHA macht sich auf, die sonderbare Konstellation zu untersuchen …
Bad Earth – das spektakuläre Weltraum-Abenteuer in die Zukunft der Menschheit. Ein atemberaubender Trip in fremde Galaxien, zu epischen Raumschlachten und inmitten eines intergalaktischen Konflikts voller Intrigen.
Manfred Weinland schrieb bereits für renommierte Serien wie Perry Rhodan Taschenbuch, Ren Dhark, Maddrax, Dino-Land, Jerry Cotton, Gespenster Krimi, Professor Zamorra u.a., ehe er das Konzept für die Serie Bad Earth ausarbeitete. Zusammen mit Erfolgsautoren wie Alfred Bekker, Luc Bahl, W. K. Giesa, Peter Haberl, Horst Hoffmann, Claudia Kern, Achim Mehnert, Susan Schwartz, Conrad Shepherd, Marc Tannous, Michael Marcus Thurner und Marten Veit, die ebenfalls alle bereits jahrelange Erfahrung im Schreiben von Science-Fiction-, Action- und Abenteuer- oder Horrorromanen haben, gelang eine ebenso spannungsgeladene wie komplexe Science-Fiction-Serie, die sich einem Thema widmet, das alle interessiert: Der Zukunft der Erde und der Menschheit.
Die SESHA hat den Aqua-Kubus – die Geburtsstätte einer ganzen Flotte von Foronen-Raumschiffen – verlassen. Ihr Ziel: die Große Magellansche Wolke, aus der Sobek und Siroona einst, vor Jahrzehntausenden, mit ausgewählten Angehörigen ihres Volkes vor den übermächtigen Virgh flohen.
Existieren die Eroberer des Foronen-Reiches noch? Was ist aus der ursprünglichen Heimat der Kubus-Erbauer geworden?
John Cloud und seine Gefährten sind gezwungen, sich der Expedition zur Nachbargalaxis anzuschließen.
Die rochenförmige SESHA bricht auf, um die Verhältnisse im Alten Reich zu sondieren. Die baugleichen Giganten bleiben in der Milchstraße zurück, schwärmen mit unbekannten Befehlen aus.
Doch bereits im Halo der Milchstraße endet die Reise der SESHA beinahe. Das Volk der Jaroviden versucht, sich in den Besitz des Schiffes zu bringen – ein Übergriff, der von Sobek auf grausamste Weise geahndet wird. Danach nimmt das Schiff seinen ursprünglichen Kurs wieder auf und erreicht die Randzone der Großen Magellanschen Wolke. Hier existiert eine beispiellose Sternansammlung, die zugleich Quelle eines mysteriösen Dauersignals ist …
Marc Tannous
Eine Botschaft aus der Vergangenheit - sind die Virgh besiegt?
Gedankenverloren bewegte sich John Cloud durch das schummrige Zwielicht der ehemaligen Marsstation, begleitet von den Blicken mehrerer Hundert Toter.
Sie sind nicht tot!, widersprach er sich sofort selbst. Sie schlafen …
Natürlich …, höhnte der rationale Teil seines Denkens. Und der Mond der Erde besteht zu neunzig Prozent aus Weichkäse …
Cloud blieb einen kurzen Moment stehen, schloss die Augen und drängte die Wut zurück, die er urplötzlich in sich aufsteigen spürte.
Weshalb sollte er sich etwas vormachen? Er wusste doch genau, wie fragil die Existenz jener war, die ihn zu beiden Seiten flankierten. Ihn aus ihren Staseblöcken heraus hilflos anstarrten, wie Fische in einem Aquarium.
Sicher, sie lebten noch, doch es war, als würden sie über einem gähnenden Abgrund schweben, nur noch gehalten von einem dünnen Seil.
Ein weiterer Schauer kroch über seinen Nacken, als er einen leeren Sockel erblickte. Unweigerlich erinnerte er sich daran, was Jarvis ihm erzählt hatte. Was passiert war, als er und Resnick versucht hatten, zwei der Schläfer zu wecken.
Sie hatten sich aufgelöst, waren verrottet und in Sekundenschnelle zu Staub zerfallen, kurz nachdem sich der Wahnsinn, der ihren Geist befallen hatte, in einem letzten verzweifelten Aufschrei entladen hatte.
Der Bericht des GenTec ging konform mit den Bildern, die seit geraumer Zeit in Johns Kopf herumspukten.
Seit damals, als Scobee und er in der Foronenstation in der Nähe von Peking auf ebensolche bernsteinfarbenen Blöcke gestoßen waren.
Wie Jarvis und der inzwischen verstorbene Resnick hatten auch sie versucht, einen der darin eingeschlossenen Asiaten zu »wecken« – und waren ebenfalls gescheitert.[1]
Noch heute erinnerte sich Cloud mit Schrecken daran, wie sich der Mann unter spasmischen Zuckungen und mit einem markerschütternden Schrei auf den Lippen aufgebäumt hatte, und dann in einem unheimlichen Tempo zu Staub zerfallen war.
Kurz darauf waren auch alle anderen Schläfer erwacht und auf ebenso absonderliche Weise verendet. Männer, Frauen, Kinder, 27 an der Zahl.
Cloud war der festen Überzeugung, dass er diese Bilder nie würde vergessen können.
Inzwischen war er sich jedoch nicht mehr so ganz sicher, ob der Tod nicht sogar eine Erlösung für diese bedauernswerten Geschöpfe war.
Denn selbst falls es gelang – und Sobek, dem obersten der Foronen würde es gelingen – einen Schläfer so zu wecken, dass ihm kein körperlicher Schaden entstand, war es mehr als fraglich, in welchem geistigen Zustand er die restlichen Jahre seiner Existenz verbringen würde.
War es tatsächlich so, wie Jarvis es vermutete? Waren die Schläfer während der ganzen Zeit bei Bewusstsein? Bekamen sie mit, was um sie herum geschah, und das schon seit Jahrhunderten, wenn nicht gar Jahrtausenden?
Und, falls dem so war, wie gefestigt musste dann der Charakter desjenigen sein, dessen Geist diese Zeit unbeschadet überstand?
So wie der von Dad vielleicht?, blitzte es kurz in seinen Gedanken auf.
Unsinn!
Zweifellos war Nathan Cloud eine starke Persönlichkeit gewesen, körperlich und geistig fit, und so charakterfest wie kaum ein anderer Mann, den John jemals kennen gelernt hatte.
Trotzdem. Er war kein Übermensch, auch wenn John ihn in seinen Kindheitserinnerungen stets idealisiert hatte. Seit Nathan Cloud an Bord der ARMSTRONG zur ersten Marsmission aufgebrochen und seitdem verschollen gewesen war. Bis heute.
John seufzte.
Glaubte er wirklich, dass es genügte, einen Knopf zu drücken, und sein Vater würde vor ihm stehen, ganz so, wie er ihn bei seinem Abschied im Gedächtnis behalten hatte?
So war es vielleicht in seinen Träumen immer gewesen. Die Realität sah anders aus.
Oder doch nicht?
Was, wenn doch die Möglichkeit bestand, ihn vollständig wieder herzustellen. Ihm ein neues Leben zu schenken.
Seit er denken konnte, hatte sich John nach einer zweiten Chance gesehnt. War denn nicht allein schon die Möglichkeit, dass es klappen könnte, Grund genug, um nach diesem Strohhalm zu greifen – und dafür auch die möglichen Konsequenzen in Kauf zu nehmen?
Nicht zuletzt dieser innere Widerstreit war es, was ihn immer wieder hierher trieb. Es war fast so, als würde er auf irgendein Signal seines Vaters hoffen. Auf eine stumme Aufforderung in seinen Augen, die ihm seine Entscheidung erleichterte.
Unwillkürlich blieb Cloud ein weiteres Mal stehen und wandte sich wahllos einem der Blöcke zu. Der Mann, der darin eingeschlossen war, war deutlich kleiner als er selbst und hatte einen kleinen Spitzbart, der wie ein Stachel von seinem Kinn abstand.
Es war schwer zu sagen, aus welcher Epoche er stammte, da nur Fetzen seiner Kleidung übrig geblieben waren. Erst bei genauerem Hinsehen entdeckte John einige kleinere Objekte, die wie Edelsteine aussahen.
War da nicht auch so etwas wie der Teil einer Feder, schockgefroren und für die Ewigkeit konserviert?
War der Mann gar ein mittelalterlicher Adliger gewesen?
Ein hoher kirchlicher Würdenträger?
Ein Dieb?
Oder am Ende gar ein Zuhälter im New York des 21. Jahrhunderts?
Und was waren die genauen Umstände seines Verschwindens gewesen? Womit hatte er sich gerade beschäftigt, als es passiert war?
Cloud war sich sicher, dass es ihn ziemlich überraschend getroffen haben musste. Seine Augen waren zwar geweitet, doch der Zug um seinen Mund ließ darauf schließen, dass er im Augenblick seiner Entführung noch nicht vollends verstanden hatte, was da mit ihm geschah.
Mühsam widerstand Cloud der Versuchung, sich nach dem Sockel des Kubus zu bücken, an der kleinen grünen Kugel zu drehen und damit den Weckmechanismus einzuleiten.
Er hatte nicht das Recht, mit dem Leben anderer zu experimentieren. Auch wenn »Leben« ein Begriff war, der sich ihm beim Anblick des kleinen Mannes nicht als Erstes aufdrängte.
John Cloud drehte sich wieder um und ließ seinen Blick an der Phalanx der Schockgefrorenen entlanggleiten.
Knapp Tausend Menschen aus den unterschiedlichsten Zeitaltern. Konserviert und aufgereiht, wie seltene Insekten in den Schaukästen eines Museums. Und jeder von ihnen hatte seine ganz eigene Geschichte zu erzählen.
John fiel es noch immer schwer, einen Sinn hinter diesem Aufwand zu erkennen. Welchen Zweck verfolgten die Foronen mit dieser Anlage, die sich bis vor Kurzem noch unter der Oberfläche des Mars befunden hatte, und erst kurz vor ihrem Aufbruch geborgen worden war?
Sobek und Siroona, zwei der sieben foronischen Oberhäupter und die Oberbefehlshaber an Bord des Rochenraumers SESHA, hatten sich bisher äußerst bedeckt gehalten. John hatte die Hoffnung mittlerweile begraben, ihnen in naher Zukunft mehr Details entlocken zu können.
Derzeit konzentrierte sich die Aufmerksamkeit der Hirten, wie die Vaaren des Aqua-Kubus sie religiös verklärt nannten, auf dringlichere Angelegenheiten. SESHA war im direkten Anflug auf die Große Magellansche Wolke – von den Foronen Samragh genannt –, wohin sie von der Milchstraße aus gestartet waren.
Auch Cloud bewegte ungemein die Frage, was sie dort wohl vorfinden würden.
Schon aus einer Entfernung von hundertausend Lichtjahren hatten sie im Grenzbereich der GMW eine Reihe von Objekten geortet, die nicht nur von immenser Größe, sondern zudem foronischen Ursprungs zu sein schienen.
Waren sie das wirklich?
Oder war es ein Trick der Virgh, jener ominösen Rasse, über die Cloud bisher kaum mehr wusste, als dass sie die schlimmsten Feinde der Foronen und ihnen an technologischer Entwicklung und Skrupellosigkeit noch überlegen waren.
Bald würde er es wissen. Spätestens dann, wenn sie die Zielkoordinaten erreichten, was nach Sobeks Angaben kurz bevorstand.
Doch Cloud kam nicht umhin, sich zu fragen, ob ihnen dieses Wissen dann noch etwas nützen würde.
Seine Gedanken konzentrierten sich wieder auf die unmittelbare Gegenwart, als er sich dem Bereich der Marsstation näherte, dem sein hauptsächliches Interesse galt.
Obwohl ihn sein Weg in den vergangenen Tagen und Wochen häufig hierher geführt hatte, wuchs seine Nervosität mit jedem Schritt.
Manchmal wünschte er sich, sein Vater wäre tatsächlich nicht mehr am Leben, wie er es all die Jahre geglaubt hatte.
Und irgendwie hatte er auch in diesem Moment den Eindruck, dass es ihm um so vieles leichter fallen würde, zu wissen, dass ihn am Ende seines Weges nur ein Grab mit einem Granitblock und irgendeinem frommen Spruch darauf erwartete und nicht dieses leblose … Ding. Nackt und entblößt, seiner Würde beraubt, den Wahnsinn in den funkelnden Augen.
Clouds Herz klopfte und Schweiß bedeckte seine Handflächen, als er die Stelle mit Nathan Clouds Staseblock erreichte.
Das Erste, was er empfand, als er auf den vollkommen leeren Sockel starrte, war Unglauben.
Er musste sich verzählt, musste sich in der Reihe geirrt haben. Hektisch flog sein Blick über die benachbarten Staseblöcke.
Zu seiner Linken sah er eine üppige blonde Frau, die den Mund weit geöffnet hatte und ihn an die Hauptakteurin einer Wagneroper erinnerte.
Zur Rechten stand ein kleiner Mann mit dunkler Haut, bei dem es sich dem Aussehen nach um einen australischen Ureinwohner handeln konnte.
Es waren dieselben beiden Menschen, die immer an dieser Stelle gestanden hatten.
Und diese Erkenntnis erschreckte John Cloud weitaus mehr, als es der Anblick seines Vaters je vermocht hätte, erlaubte sie doch nur eine einzige Schlussfolgerung:
Nathan Cloud war verschwunden!
***
Denkst du, sie sind noch da? Nach all den Jahren?
Sobek hörte eine Spur von Unbehagen aus Siroonas Worten heraus.
Er sah sie an, obwohl sein Blick scheinbar nach vorn, auf die Holosäule in der Mitte der Zentrale gerichtet war, wo unablässig neueste Ortungsdaten in Form endloser Zahlenkolonnen aufblitzten. Die Verteilung seiner optischen Sensoren über den gesamten Kopf erlaubte dem Foronen und obersten der Sieben Hohen einen nahezu lückenlosen Rundumblick.
Wir waren so lange fort. Ich glaube, sie haben die Suche nach uns aufgegeben, antwortete er, ebenfalls auf telepathischem Wege.
Glaubst du es, oder hoffst du es?
Spielt das eine Rolle? Wir können uns nicht ewig verkriechen. Jahrtausende hielten wir uns versteckt. In einem Würfel voll Wasser!
Die Art und Weise, wie er ihr das letzte Wort mental entgegenschleuderte, verriet, wie sehr er dieses Element verabscheute.
Die Foronen stammten von einer sehr heißen und wasserarmen Wüstenwelt und hatten sich bei ihren Expansionsbestrebungen stets Planeten ausgesucht, die ebenfalls diese Voraussetzungen erfüllten. Dass ausgerechnet sie gezwungen gewesen waren, ein Versteck wie Tova’Zarah, den Aqua-Kubus, zu ersinnen und zu erschaffen, um darin die lange Zeit der Stase zu überdauern, war eigentlich mit einer Demütigung dieses Volkes gleichzusetzen.
Man konnte es aber auch als brillante Finte bezeichnen, mit dem sie die Virgh auf eine falsche Fährte gelockt hatten.
Ihr Plan war aufgegangen. Während der letzten Jahrtausende hatte niemand ihre Ruhe in der Luftblase der Ewigen Stätte gestört. Bis ein Mann namens John Cloud und seine Gefährten gekommen waren und sie erweckt hatten. Einige Jahre zu früh zwar, was angesichts der immensen Zeitspanne, die seit ihrer Flucht vergangen war, jedoch zweitrangig schien. Wenn sich die Virgh jetzt noch nicht aus Samragh zurückgezogen hatten, würden sie es auch in naher Zukunft nicht tun.
Weißt du, was ich mich am häufigsten frage?, sagte Siroona nach einem Moment des Schweigens.
Sobek wartete ab was sie zu sagen hatte.
Wir waren so lange im Exil. Jahrtausende des Stillstands in der Entwicklung unseres Volkes. Jahrtausende, die unsere Feinde sicher nicht untätig verstreichen ließen. Wie weit mag ihr technischer Fortschritt inzwischen gediehen sein? Welche Evolutionssprünge mögen sie seitdem vollzogen haben?
Sobek konnte Siroonas Sorgen nur zu gut nachempfinden. Es war geradezu beängstigend, wenn man sich vor Augen führte, wozu ihre schlimmsten Feinde schon damals fähig gewesen waren. Sollten sie sich wider Erwarten nicht aus dem Alten Reich zurückgezogen haben, würde den Foronen auch die beste List nicht mehr dabei helfen, sich ihrem Zorn zu entziehen.
»Es ist müßig, sich in Spekulationen zu ergehen«, sagte Sobek laut, um seinen Worten mehr Ausdrucksstärke zu verleihen. »Wir müssen einfach abwarten und …«
Der Forone verstummte, als eine weitere Meldung der Schiffs-KI durch die Holosäule in der Mitte der Zentrale geisterte.
Es gab eine Neuigkeit in Bezug auf die Signale, die permanent aus der Nähe von Samragh ausgestrahlt wurden und die sie bereits kurz nach ihrem Aufbruch aus Bolcrain, der großen Galaxis, geortet hatten.
Hatte es sich bei den bisherigen »Rufen« noch um einfache Ortungssignale gehandelt, so transportierten die zuletzt empfangenen Signale eine konkrete Botschaft.
Die KI projizierte sie direkt in Sobeks Gedanken.
Der Wortlaut war in foronischer Sprache abgefasst.
Und ihr Inhalt war von weit reichender Bedeutung …
***
Je länger John Cloud die Tiefen der Station durchkämmte, desto offensichtlicher wurde es, dass tatsächlich nur ein einziger Schläfer verschwunden war.
Alle anderen, an denen er vorbeikam, ruhten steif und unbeweglich in Blöcken.
Wieso ausgerechnet Dad? Wer konnte ein Interesse daran haben, ihn aufzuwecken?
Noch mehr als die Frage, wer seinen Vater geweckt hatte, interessierte ihn, wohin dieser Jemand ihn gebracht hatte. Und in welcher Verfassung er sich befand.
Zumindest deutete nichts darauf hin, dass Nathan Cloud das Schicksal derer teilte, die Jarvis und Resnick versucht hatten aufzutauen. Auf dem Boden rund um den leeren Sockel waren keinerlei Rückstände feststellbar gewesen. Wäre er zerfallen, so wäre zumindest Staub übrig geblieben.
Wer auch immer dafür verantwortlich war, er musste sich mit der Funktionsweise des Weckmechanismus sehr gut auskennen.
Bei Tausend Foronen an Bord, schränkte das die Zahl der Verdächtigen jedoch nicht sehr ein …
Außerdem scheute er noch davor zurück, das Verschwinden seines Vaters an die große Glocke zu hängen. Er war sich noch immer nicht sicher, inwieweit er den Foronen trauen konnte. Wenn tatsächlich einer von ihnen Nathan Cloud erweckt hatte, ohne ihm etwas davon zu sagen, war es höchst unwahrscheinlich, dass er nachträglich mit der Sprache herausrückte.
Vielleicht gab es ja doch eine Chance, auf eigene Faust herauszufinden, was passiert war. Die technischen Möglichkeiten dazu waren vorhanden. Er musste sie nur richtig nutzen.
Mit klopfendem Herzen trat er vor das zentrale Schaltpult der Station, das sich etwas abseits der Kuben befand, und von Dutzenden großer und kleiner Monitore umgeben war.
Einige zeigten Bilder aus der Station selbst, andere überwachten die Außenbereiche.
Insgesamt erlaubten sie einen hervorragenden Überblick über die weitläufige Anlage. Es musste doch mit dem Teufel zugehen, wenn sich damit nichts anfangen ließe.
Vielleicht, so hoffte er, existierten ja sogar Aufzeichnungen der letzten Stunden.
Cloud sank in die Sitzmulde vor den Armaturen und betätigte einen Schalter, um dessen Funktion zu testen.
Einer der Bildschirme zu seiner Rechten veränderte sich, zeigte jetzt ein anderes Motiv, als noch kurz zuvor.
Mit Hilfe einer golfballgroßen Kugel, die über dem Pult schwebte und frei beweglich war, veränderte er die Perspektive. Die Kamera schwenkte herum, kreiste langsam über die Reihen der Schläfer.
Cloud war zufrieden. Er hatte offensichtlich nichts von seinem instinktiven Verständnis für die Foronen-Technologie eingebüßt.
Fast sah es aus, als würde sich die Kamera aus ihrer Halterung lösen und frei im Raum schweben. Cloud erschien das umso seltsamer, als er bisher keine einzige Kamera bemerkt hatte.
Er betätigte einen weiteren Schalter. Das Bild veränderte sich erneut und zeigte einen Raum, der etwas weitläufiger zu sein schien.
Wieder ließ er seine Handfläche über die Steuerungskugel kreisen, wieder geriet das Bild in Bewegung.
Es war schwer zu erkennen, um welchen Raum es sich dabei handelte. Der Bildausschnitt zeigte weitere Staseblöcke, wie sie fast überall in der Station vorzufinden waren.
Cloud verengte die Augen, suchte nach irgendeinem Hinweis. Etwas, das er wiedererkannte.
Völlig unbedacht, so als würde er über Wissen verfügen, dessen er sich selbst erst in diesem Moment bewusst wurde, betätigte er eine bestimmte Tastenkombination.
Er wich erschrocken zurück, als etwas dicht vor ihm aus einem kleinen Loch in der Schaltfläche hervorgeschossen kam. Ein Lichtstrahl, der sich vor seinen Augen entfaltete und einen holographischen Aufriss einer Ebene der Station zeigte.
Cloud stieß zischend Luft durch seine Lippen, beeindruckt von ihrer Größe.
Doch es waren nicht nur die schieren Ausmaße, die ihn überraschten. Viele der Räume der Korridore waren so unförmig und seltsam verzerrt, dass es sich dabei eigentlich nur um eine fehlerhafte Darstellung handeln konnte.
Und noch etwas fiel ihm auf.
Während das Gesamtbild in einem unaufdringlichen Blau schimmerte, leuchtete einer der Räume in einem hellen Rot. War das der Raum, den er vor sich auf dem Bildschirm sah?
Cloud betätigte den Schalter ein weiteres Mal.
Das Bild sprang um.
Gleichzeitig veränderte sich auch das Hologramm, und ein anderer Raum war rot erleuchtet.
Cloud benötigte noch einige Minuten, bis er die Steuerung einigermaßen verstanden hatte. Im Grunde war sie sehr benutzerfreundlich gestaltet und kinderleicht zu bedienen, wenn man erst einmal mit den einzelnen Funktionen vertraut war.
Nach einer Weile bereitete es ihm keine große Mühe mehr, sich ganz gezielt durch die einzelnen Bereiche zu arbeiten, während er mit Hilfe des Hologramms versuchte, den Weg vom Ausgang bis zu dem Raum nachzuvollziehen, in dem sein Vater bis vor Kurzem untergebracht war.
Dabei stellte er zu seiner Enttäuschung fest, dass höchstens die Hälfte der Station überwacht war. Das System wies zahlreiche Lücken auf, möglicherweise hatte es während der Jahrtausende, die die Anlage unterhalb der Marsoberfläche überdauert hatte, einige Schäden davongetragen.
Wenn Cloud versuchte, besagten Raum auf den Bildschirm zu holen, war jedes Mal stattdessen ein benachbarter Bereich zu sehen.
Nach zahlreichen vergeblichen Versuchen lehnte sich Cloud zurück und verschränkte die Hände im Nacken.
Wie es aussah kam er nun wohl doch nicht darum herum, Sobek um Rat zu bitten.
Im Grunde war das ohnehin die naheliegendste Lösung. An Bord der SESHA geschah nichts, ohne dass der oberste Forone davon erfuhr. Sobeks Bewusstsein war unmittelbar mit der KI des Rochenraumers vernetzt, und er war in der Lage, seine inneren und äußeren Funktionen allein mit der Kraft seiner Gedanken zu steuern.
Gezeigt hatte sich das zuletzt, als er die KI gegen Jelto »aufgehetzt« hatte, nachdem sich der Florenhüter meditativ in das Erste Korn versenkt und damit ein unkontrolliertes Wachstum einiger Pflanzensamen ausgelöst hatte. Erst in letzter Sekunde, und nicht zuletzt durch das beherzte Eingreifen der zehnjährigen Aylea, war gerade noch das Schlimmste verhindert worden.[2]
Das Problem dabei war, dass sich Cloud nicht sicher sein konnte, inwieweit das Oberhaupt der Foronen seine Finger im Spiel hatte. Wenn er nicht von sich aus bereit war, ihm zu helfen, würde er sich die Zähne an ihm ausbeißen. Wenn Cloud eines über diese fremdartigen Wesen gelernt hatte, dann, dass sie anderen nur halfen, wenn sie sich selbst einen Nutzen davon erhofften.
Cloud erhob sich und verließ die Schaltzentrale. Er wollte noch einmal an der Position des Stase-Blocks seines Vaters vorbeigehen.
Er hatte die Stelle gerade passiert, als er unwillkürlich stoppte.
Er ging drei Schritte zurück und blieb vor einem Staseblock stehen, den er im Vorbeigehen aus dem Augenwinkel bemerkt hatte.
Mit einer Mischung aus Ehrfurcht und Ekel stellte er fest, dass er sich nicht geirrt hatte.
Der Mann, der da nackt und bloß vor ihm stand, hieß Jeunet und war einer der Wissenschaftler, die seinen Vater auf der legendären ersten Marsmission im Jahre 2019 begleitet hatten. Er hatte die Augen geschlossen und seine Arme hingen schlaff an seinem Oberkörper hinab.
Fröstelnd wandte sich Cloud dem Schläfer neben Jeunet zu.
Es war Alexej Wolinow. Der Russe war zweiter Kommandant an Bord der ARMSTRONG gewesen. Jetzt deutete nichts mehr darauf hin, dass es sich bei dem langen, struppig behaarten Mann um einen angesehenen und mit Auszeichnungen überschütteten Wissenschaftler handelte.
Sein Mund stand offen, seine Hände waren ausgestreckt. Und im Gegensatz zu Jeunet hatte er die Augen weit geöffnet. Der Ausdruck darin schnürte John Cloud die Kehle eng. Es war dasselbe Glitzern, das John in den Augen seines Vaters gesehen hatte.
Unwillkürlich trat er einen Schritt zurück, als müsse er damit rechnen, dass Wolinow sich jeden Moment von seinem Sockel erhob und auf ihn stürzte.
Verdammt, zuckte es durch seine Gedanken. Die Atmosphäre an diesem Ort brachte ihn noch um den Verstand.
Er fuhr herum und eilte weiter in Richtung Ausgang, ohne sich auch nur ein einziges Mal umzudrehen.
Und ohne die Blicke zu bemerken, die ihm aus dem Dunkel heraus folgten …
***
Wider Erwarten schien Sobek überrascht, als Cloud ihn zur Rede stellte.
Ganz sicher war sich der Ex-Kommander jedoch nicht. Schließlich war es so gut wie unmöglich, die Mimik eines Foronen, deren Physiognomie nur rudimentär der eines menschlichen Gesichts entsprach, exakt zu deuten. Dennoch bildete er sich ein, dass es ihm zunehmend leichter fiel, die geringen Nuancen in der Vibration der Sprechmembran zu unterscheiden, und sie ihren Pendants auf der menschlichen Emotionsskala zuzuordnen.
»Ich werde mich darum kümmern«, sagte Sobek schließlich. »Sobald …«
Cloud hatte den unbestimmten Eindruck, dass der Blick des Foronen in Siroonas Richtung wanderte. Doch auch das konnte er nicht mit letztgültiger Bestimmtheit sagen, da sich Sobeks Kopf nicht bewegte.
»Sobald – was?«, fragte er betont ungeduldig.
Beide Foronen schwiegen, doch Cloud war sich sicher, dass sie sich gerade auf mentalem Wege berieten.
In solchen Momenten fühlte er sich wie ein kleiner Junge, dessen Eltern in eine Fremdsprache verfielen, um ungestört ihre Probleme zu erörtern.
»SESHA hat einen Funkspruch empfangen«, erklärte Sobek nach einer Weile. »Er kommt aus genau jenem Bereich, von dem aus uns die ersten Ortungssignale erreichten.«
»Heißt das, es gibt tatsächlich weitere Überlebende eures Volkes?«, fragte Cloud.
»Nicht unbedingt. Es handelt sich dabei um eine knappe und in einer Endlosschleife ausgestrahlte Nachricht in foronischer Sprache. Und niemand kann sagen, wie lange schon.«
»Wie lautet sie?« Cloud konnte seine Neugier kaum noch zügeln.
»Auch das lässt sich nicht mit letzter Gewissheit sagen, da sie nur aus einzelnen Wortfetzen besteht. Hör am Besten selbst.«
Ohne dass es ein eindeutiges äußeres Anzeichen dafür gab, ahnte Cloud, dass der Hirte in diesem Moment mit der Schiffs-KI in Verbindung trat. Kurz darauf knisterten aus verborgenen Lautsprechern abgehackte, foronische Sprachfetzen durch die Zentrale.
»… besiegt … Virgh … vernichtet … zurück … Samragh … besiegt … Virgh …«
»Interessant«, murmelte Cloud, nachdem die Botschaft dreimal wiederholt worden war und dann abrupt abbrach. »Wenn auch nicht ganz eindeutig.«
Er überlegte kurz, versuchte sich dann an einer Interpretation.
»Wir haben den Feind besiegt«, schlug er vor. »Die Virgh sind vernichtet. Kommt zurück nach Samragh« Er wiegte den Kopf und runzelte die Stirn. »Genauso gut könnte es aber auch heißen: Wir wurden besiegt. Die Virgh haben uns vernichtet. Kommt niemals zurück nach Samragh … Oder etwas in der Art.«
»Du verstehst also unser Dilemma«, sagte Siroona. »Es könnte sich bei der Botschaft durchaus um ein Lebenszeichen der Letzten unseres Volkes handeln. Foronen, die nicht mit uns in der Arche geflohen sind«
»Genauso gut«, fügte Sobek hinzu, »könnte es eine Falle sein.«
»Ist inzwischen geklärt, worum es sich bei diesen, am Ursprungspunkt der Signale georteten Objekte handelt?«, fragte Cloud.
Und wieder hatte der Ex-Kommander den Eindruck, als würden die beiden Foronen mehr wissen, als sie ihm gegenüber preisgeben wollten. Das Schweigen, das sekundenlang zwischen ihnen hing, deutete jedenfalls auf eine erneute Verlagerung ihres Gesprächs auf eine mentale Ebene hin.
»SESHA nimmt derzeit eine Analyse ihrer Beschaffenheit vor. Endgültige Ergebnisse liegen noch nicht vor.«
Cloud glaubte ihm nicht.
Er war sich jetzt fast sicher, dass Sobek irgendetwas vor ihm zurückhielt.
Tat er es, um ihn vor einer erschreckenden Wahrheit zu schützen? Ihn nicht zu beunruhigen?
Oder führte er etwas ganz anderes im Schilde? Etwas, das er um jeden Preis vor ihm geheim halten wollte?
»Du hast Recht«, sagte Sobek, bevor Cloud ihm eine weitere Frage stellen konnte. »Ich sollte mich bis dahin um das Problem kümmern, dessentwegen du mich aufgesucht hast. Ich werde dich informieren, sobald ich Näheres über den Verbleib deines Erzeugers in Erfahrung bringen konnte.«
Mit diesen Worten verschwand er in einem Lichtblitz. Seine auf Nanotechnologie basierende Rüstung hatte ihn fortteleportiert.
Cloud wollte aufbegehren. Wollte sich nicht damit abfinden, auf diese Weise abgespeist zu werden. Er drehte sich um, um in die ehemalige Marsstation zu eilen.
Doch Siroonas Worte bannten ihn am Fleck. »Du musst lernen, dich in Geduld zu üben, John Cloud. Es ist nicht gut, die Dinge zu überstürzen.«
Cloud schüttelte den Kopf, suchte vergeblich nach einem überzeugenden Einwand.
Was konnte man einem Wesen, das die letzten Jahrtausende mit Warten verbracht und dabei eine geradezu übermenschliche Geduld bewiesen hatte, denn schon entgegnen?
***
Auch wenn er es in Gegenwart des Menschen Cloud niemals zugegeben hätte, so beunruhigte Sobek die Nachricht von Nathan Clouds Verschwinden zutiefst.
Diese Unruhe verstärkte sich, nachdem ihm auch die KI auf eine erste kurze Anfrage keine Antwort geben konnte.
Obwohl die ehemalige Marsstation nun ein Teil der SESHA war, sich nahtlos in sie eingefügt hatte, hatten die Überwachungssysteme des Rochenraumers nach wie vor nur beschränkten Zugriff auf sie.
Wie bei einem abgetrennten und später wieder angenähten Gliedmaß würde es eine Weile dauern, bis die entsprechenden Verbindungen wieder hergestellt waren.
Außerdem galt es, einige Schäden und Störungen zu beseitigen, die sich während eines so langen Zeitraums, in dem die Station in Betrieb gewesen war, unweigerlich ergaben.
Umso unabdinglicher war es, dass er selbst nach dem Rechten sah.
Die Tatsache, dass sich jemand ohne seine Erlaubnis an den Schläfern zu schaffen gemacht hatte, untergrub bei weitem nicht nur seine Autorität.
Sie implizierte vielmehr, dass sich jemand an Bord befand, der ganz offen entgegen seiner eigenen Ziele und Pläne agierte.
Und der dritte Punkt, der ihm zu schaffen machte, war der, dass keinem Mitglied seiner Besatzung ein solcher Verrat zuzutrauen war.
Foronen stellten sich nie gegen die Interessen der Hohen ihres eigenen Volkes. Mochten sie sich anderen Völkern gegenüber noch so rücksichtslos verhalten, so stand an erster Stelle ihres Strebens stets das Wohl aller Foronen.
Wenn es also kein Forone gewesen war, der den Schläfer geweckt hatte, musste er daraus schließen, dass noch jemand anders an Bord war. Ein blinder Passagier, von dessen Existenz bisher noch nicht einmal die nahezu allwissende Schiffs-KI etwas gemerkt hatte.
Ein ungeheurer Vorgang, dem es mit aller Entschlossenheit entgegenzutreten galt.
Er würde alles daran setzen, den Eindringling aufzuspüren. Und wenn er ihn gefunden hatte, würde er ihn wie einen Wurm zertreten …
Sobek drängte seine Rachegelüste zurück, als er die Stelle mit Nathan Clouds leerem Sockel erreichte. Bevor er die Klauen wetzen konnte, war erst einmal kühles Nachdenken gefordert.
Der Hohe schaute sich um.
Sein Blick fiel auf die Reihen der Schläfer. Und da kam ihm auch schon ein interessanter Gedanke.
Ja, so könnte es klappen.
Und falls nicht, war es zumindest ein interessantes Experiment …
***
»Irgendwann erwürge ich ihn mit bloßen Händen«, knurrte John Cloud und ließ sich in einen der Schalensessel in Scobees Kabine fallen.
Die GenTec musterte ihn mit einer Mischung aus Verwunderung und Amüsement. »Ich bezweifle, dass du diesen Kampf für dich entscheiden würdest.«
Scobee musste nicht nachfragen, um zu wissen, wem die Wut des Ex-Commanders galt. Es gab nur ein Wesen an Bord des Rochenraumers, das die Gabe besaß, den sonst so beherrschten Raumfahrer derart zur Weißglut zu treiben.
Scobee konnte ihm diese Gefühle durchaus nachempfinden. Sie ärgerte sich selbst immer wieder über die herablassende Arroganz des Foronen, die nur noch von seiner erdrückenden Autorität übertroffen wurde.
Diese Eigenschaften, gepaart mit seiner imposanten Statur und einer Körpergröße von knapp zweieinhalb Metern, machten es jedoch nicht gerade leicht, sich ihm zu widersetzen. Ganz davon abgesehen, dass der Hirte die absolute Befehlsgewalt über die KI des Rochenschiffs besaß und nicht zögerte, sie gegen jeden einzusetzen, der sich seinen Zielen in den Weg stellte.
»Was ist passiert?«, fragte Jarvis, der in dem Schalensitz rechts von Cloud saß. Sein amorpher, quecksilberartiger Körper, der einst dem verstorbenen Hirten Mont als Rüstung gedient hatte, bildete wie fast immer den ursprünglichen Körper des GenTec nach.
»Sobek und Siroona wissen bereits, was es mit diesen riesenhaften Objekten am Rande der Großen Magellanschen Wolke auf sich hat«, sagte Cloud mit grimmigem Blick. »Dennoch halten sie uns hin. In ihren Augen sind wir nur eine Hand voll Unmündiger. Nicht reif genug, um uns an einer Entscheidungsfindung zu beteiligen.«
In knappen Worten berichtete Cloud von seiner Unterredung mit den Foronen und erwähnte dabei auch den Wortlaut des mysteriösen Funkspruchs.
Scobee zog ihre verschnörkelten Tatoos in die Höhe, die bei ihr an der Stelle der Augenbrauen saßen.
»Könnte eine Falle sein«, mutmaßte sie.
»Allerdings. Es macht mich wahnsinnig, dass Sobek nicht mit der ganzen Wahrheit herausrückt. Außerdem …« Er verstummte, während ihn die beiden Freunde erwartungsvoll ansahen.
Über die Aufregung der letzten Minuten war das plötzliche Verschwinden seines Vaters kurzzeitig seinen Gedanken entrückt. Mit einem Schlag kehrte die Erinnerung zurück. Und mit ihr der Schmerz.
Rasch erzählte er den GenTecs davon.
Beide zeigten ganz offen ihre Bestürzung.
»Dein Vater ist verschwunden?«, fragte Scobee mit belegter Stimme. »Wie kann das sein?«
»Ich nehme an, dass irgendjemand ihn … aufgetaut hat.«
»Wer sollte soetwas tun?«, fragte Jarvis.
Cloud schwieg und blickte ihn nur viel sagend an.
»Du denkst, Sobek könnte etwas damit zu tun haben?«
»Wieso nicht? Wir wissen doch, dass an Bord dieses Schiffes nichts geschieht, ohne dass unser Gastgeber Wind davon kriegt. Wahrscheinlich weiß er sogar, worüber wir in diesem Moment sprechen.«
Jarvis senkte den Blick. Ihm war klar, worauf Cloud anspielte. In letzter Zeit hatten sich die Hinweise verdichtet, dass der GenTec nicht ganz uneingeschränkt über seinen neuen Körper verfügte, sondern dass Sobek nach wie vor die Möglichkeit hatte, ihn in seinem Sinne zu manipulieren.
War Sobek am Ende sogar in der Lage, mit Jarvis’ Augen zu sehen, mit seinen Ohren zu hören? Diente der ehemalige GenTec ihm unbewusst als Späher? Als Maulwurf, der ihn stets über die Vorgänge im Lager der Menschen informierte?
Jarvis selbst hätte einiges gegeben, um Antworten auf diese Fragen zu erhalten. Mehr denn je fühlte er sich wie ein Objekt. Wie ein Werkzeug, nur dazu geschaffen, um einem anderen zu dienen.
Unwillkürlich musste er an seinen Freund Resnick denken, der auf dem Mars sein Leben ausgehaucht hatte. Vielleicht, ging es ihm für einen schrecklich langen Moment durch den Kopf, hatte es sein Partner ja am Ende doch besser getroffen als er …
»Jedenfalls hat Sobek versprochen, Licht ins Dunkel zu bringen«, sagte Cloud.
»Wenn es ihm ernst damit ist, wird er deinen Vater auch finden«, meinte Scobee. Und als sie John Clouds ernsten Blick bemerkte, fügte sie hinzu: »Lebend.«
Cloud räusperte sich, um den Kloß in seinem Hals zu lockern. »Ich weiß nicht, ob das so wünschenswert wäre …«
»Du denkst, er …?« Jarvis war taktvoll genug, um das letzte Wort unausgesprochen zu lassen.
»Er war über zweihundert Jahre wach, hat wahrscheinlich seine Umgebung wahrgenommen, konnte aber nichts tun. Es ist zumindest wahrscheinlich, dass Dad einen irreparablen psychischen Schaden davongetragen hat.«
Scobee und Jarvis tauschten einen kurzen Blick. Die erschreckende Deutlichkeit von Johns Worten überraschte sie. Aber wahrscheinlich manifestierte sich darin der Versuch, den Schmerz, der in seinem Innern wühlte, zu überdecken.
»Habt ihr den Ausdruck in seinen Augen gesehen?«, fragte Cloud, während sein eigener Blick ins Leere driftete. »Das waren nicht die Augen eines geistig gesunden Menschen.«
Sekundenlang schwebte eine unheilsschwangere Stille im Raum.
Scobee fragte sich unwillkürlich, wie sie sich an Johns Stelle verhalten würde. Würde sie sich dafür entscheiden, einen geliebten Menschen um jeden Preis zurück ins Leben zu holen? Selbst wenn er den Rest davon in einem Zustand geistiger Umnachtung verbringen müsste?
Freilich war es müßig, darüber zu philosophieren, angesichts der Tatsache, dass John Cloud diese Entscheidung möglicherweise bereits abgenommen worden war.
Scobee wollte zu einer tröstenden Bemerkung ansetzen, als sich eine Stimme aus den verborgenen Lautsprechern des Kommunikationssystems meldete.
»Mensch John Cloud, unverzüglich in die Steuerzentrale der Marsstation kommen!«
Die Anspannung auf Clouds Zügen verhärtete sich.
»Dann wollen wir unseren knöchernen Freund mal nicht warten lassen«, murmelte er und erhob sich schwerfällig.
Trotz seiner Erleichterung darüber, dass die Zeit des Wartens ein Ende hatte, war ihm die Sorge um seinen Vater noch deutlicher ins Gesicht gemeißelt, als jemals zuvor.
»Ich komme mit dir«, erklärte Scobee in einem Tonfall, der keinen Widerspruch zuließ.
Jarvis schloss sich ebenfalls an.
Es war, als wollten ihm die GenTecs zeigen, dass er immer, auch in seinen möglicherweise schwersten Stunden, auf sie zählen konnte.
Er dankte es ihnen mit einem Lächeln …
***
Sobek erwartete sie in Gesellschaft von zwei weiteren Foronen, die beide etwas kleiner als der Kommandant der SESHA waren und ihn regungslos einrahmten.
»Handelt es sich bei dem Namen ›John Cloud‹ neuerdings um einen Sammelbegriff?«, fragte Sobek.
Cloud war wieder einmal überrascht über die Selbstverständlichkeit, mit der sich der Forone den menschlichen Sinn für Sarkasmus zu Eigen machte.
»Freunde stehen einander bei«, entgegnete Scobee schnippisch. »Aber ich nehme nicht an, dass du das verstehst.«
Sobek ließ einige Sekunden verstreichen, bevor er übergangslos fortfuhr. »Du hattest Recht, John Cloud. Wie es scheint, existieren keinerlei Aufzeichnungen, die Aufschluss über den Verbleib deines Vaters geben könnten. Die Station ist nur unzureichend überwacht und weist zudem etliche Schäden auf. Ich musste daher zu anderen Mitteln greifen, um mich der Lösung unseres Problems zu nähern.«
Cloud blickte Scobee an, und eine böse Ahnung manifestierte sich in seinem Gesicht. Was hatte der Forone nur getan?
Sobek drehte sich um und setzte sich in Bewegung. Die beiden anderen Foronen ließen Cloud, Scobee und Jarvis den Vortritt. Dann erst folgten sie dem Tross auf seinem Weg durch die weitläufigen Gänge.
»Mangels einer lückenlosen, technischen Überwachung der Station«, setzte Sobek schließlich an, »begab ich mich auf die Suche nach einem geeigneten Augenzeugen …«
Die böse Ahnung, die Clouds Denken vereinnahmt hatte, verfestigte sich.
»Ich musste nicht lange suchen«, fügte der Hirte hinzu, und blieb vor einer schweren, silbern schimmernden Tür stehen, die wie der Zugang zu einem Tresorraum aussah.
Durch eine kurze Berührung des Foronen öffnete sich eine kleine Luke in der so massiv wirkenden Oberfläche der Tür.
»Tretet näher und seht ihn euch an!« Sobek selbst trat einen Schritt zur Seite.
Zögernd nahm Cloud seinen Platz ein. Da die verglaste Öffnung für die über zwei Meter großen Foronen gemacht worden war, musste er sich auf die Zehenspitzen stellen, um hindurchblicken zu können.
Zunächst sah er nur einen vollkommen leeren, quadratischen Raum und wollte sich schon wieder zurückziehen, als urplötzlich ein Schatten von unterhalb der Luke kommend in die Höhe schoss.
Cloud wich erschrocken zurück.
Kurz darauf erschien ein Gesicht in der Öffnung, nur wenige Zentimeter von seinem Eigenen entfernt.
Der Atem des anderen ging so hektisch, dass das plexiglasartige Material beschlug. Daher dauerte es eine Weile, bis Cloud das Gesicht erkannte.
Es gehörte Alexej Wolinow, dem russischen Wissenschaftler.
Doch der Ausdruck in seinen Augen hatte nicht mehr das Geringste mit dem eines brillanten Kopfes zu tun.
Er war der eines Geisteskranken …
***
Sie haben die Verfolgung aufgenommen, sind mir auf den Fersen.
Noch sind sie ahnungslos.
Sie hetzen vorbei an meinem Versteck, wie Jäger, die einer falschen Fährte folgen.
Doch auch wenn sie einen Umweg gewählt haben, tasten sie sich langsam näher heran.
Sie haben einen der Schläfer geweckt. Hoffen, dass er ihnen dabei hilft, mich … uns zu finden.
Er sieht nicht aus, als ob er dazu in der Lage wäre.
Sein Blick ist so leer und kalt wie ein sternenloser Nachthimmel.
Dennoch muss ich mich vorsehen.
Der Boden, auf dem ich mich bewege, ist ungewohnt.
Das hier ist nicht mein Revier. Hier regieren andere.
Vielleicht haben sie ihre Fallen bereits ausgelegt.
Genau weiß ich es nicht.
Diese fremde Umgebung schwächt meine Instinkte und lähmt meinen Geist.
Ich muss mich vorsehen …
***
»Mein Gott, Sobek! Was habt ihr mit ihm gemacht?« John Cloud war einen Schritt zurückgetreten, doch sein Blick war weiterhin auf die verzerrte Grimasse des Russen gerichtet, der kaum noch etwas Menschliches an sich hatte. Er erinnerte mehr an ein eingesperrtes Tier.
»Ich habe ihn ins Leben zurückgeholt«, sagte Sobek trocken.
»Wie konntest du das tun? Du musstest doch wissen, dass …«
»Ich wusste, dass der Freund deines Erzeugers irgendetwas gesehen haben muss. Sein Blickfeld reichte bis zu der Stelle, an der bis vor Kurzem Nathan Clouds Staseblock stand. Allerdings …«
Cloud ließ sich von Sobek zur Seite drängen und sah dabei zu, wie der Forone den Öffnungsmechanismus der Tür betätigte.
Im selben Moment, in dem das Schott in die Höhe glitt, warf sich der Russe nach vorn, um sich durch die immer größer werdende Öffnung zu stürzen.
Cloud, Scobee und Jarvis wichen zur Seite.
Im selben Moment flammte der gesamte Türausschnitt in einem grellen Orange auf, und Wolinow prallte zurück, als wäre er gegen ein Hindernis gerannt.
»Ein Kraftfeld«, murmelte Jarvis, der sich als Erster wieder gefangen hatte.
Cloud wagte sich langsam wieder vor und betrachtete den rücklings auf dem Boden liegenden Russen genauer.
Sein Körper war seltsam verkrümmt, seine Arme wie mit einer Fessel um seinen Körper geschlungen. Er sah aus, als würde er eine unsichtbare Zwangsjacke tragen. Und dann entdeckte Cloud winzige, grelle Entladungen, die immer wieder um seinen Oberkörper herum aufblitzten.
»Wir mussten ihn in eine energetische Zwangsjacke stecken. Eine notwendige Maßnahme, die nicht zuletzt seinem eigenen Schutz dient. Die Gefahr einer selbst zugefügten Verletzung ist zu groß.«
Noch während Sobek sprach, richtete sich Wolinow bereits wieder auf und blieb im Schneidersitz auf dem Boden hocken. Sein Oberkörper wippte unstet vor und zurück und aus seinem rechten Mundwinkel löste sich ein dünner Speichelfaden.
»Ihr hättet ihn niemals wecken dürfen«, ächzte Cloud, während er dicht vor dem unsichtbaren Energiefeld stehen blieb.
Sofort schob sich wieder das Bild seines Vaters vor Johns inneres Auge. War es diesem genauso ergangen wie Wolinow? War auch er nur noch ein sabberndes, sinnlos vor sich hin brabbelndes Bündel, das man an erster Stelle vor sich selbst schützen musste?
»Du wolltest wissen, was aus deinem Vater geworden ist«, sagte Sobek, ohne auf Clouds anklagende Worte einzugehen. »Vor dir sitzt der Mann, der es dir möglicherweise sagen kann. Na los! Frag ihn!«
John Cloud warf einen Blick über die Schulter. Scobee und Jarvis standen wenige Schritte hinter ihm. Beide wirkten ähnlich entsetzt wie er selbst, dennoch nickten sie aufmunternd.
Cloud atmete tief durch und wandte sich dem Russen zu.
»Hallo Alexej!«, sagte er leise, aber mit fester Stimme.
Der Russe zeigte keine Reaktion. Er saß einfach auf dem Boden, starrte stur ins Leere und bewegte sich wie ein nervöses Kleinkind vor und zurück.
»Ich bin’s, John Cloud. Nathans Sohn. Ich war noch ein kleiner Junge, damals …«
Keine Reaktion.
»Du erinnerst dich doch an Nathan, nicht wahr? Ihr wart zusammen auf der ARMSTRONG. Habt als erste Menschen die Oberfläche des Mars betreten.«
Jetzt hielt Wolinow in seinen Bewegungen inne und hob den Kopf. Cloud glaubte, einen Funken von aufkeimendem Interesse in seinen Augen zu erkennen.
Und dann, urplötzlich, spalteten sich seine rissigen Lippen und ein einziges Wort rollte heiser aus seiner Kehle.
»Nathan …«
Cloud nickte. »Nathan braucht deine Hilfe. Weißt du, wo er ist? Hast du gesehen, was mit ihm geschehen ist?«
Mit einem Mal verdüsterte sich Wolinows Gesicht, wurde zu einer Grimasse der Angst, während sein Körper von spastischen Zuckungen durchgeschüttelt wurde.
Eine Reihe keuchender Laute quoll über seine Lippen. Einige dieser Laute ähnelten durchaus Wörtern der englischen Sprache, ohne jedoch einen rechten Sinn zu ergeben. Cloud bildete sich ein, neben dem Vornamen seines Vaters die Begriffe »Monster« und »Phantom« herauszuhören.
»Er scheint tatsächlich etwas gesehen zu haben«, flüsterte Scobee und trat neben ihren ehemaligen Kommandanten. »Ich bezweifle jedoch, dass er in der Lage ist, uns davon zu erzählen.«
»Wir müssen vielleicht nur ein wenig Geduld aufbringen«, meinte Cloud. »Vielleicht gelingt es uns, zu ihm vorzudringen, wenn wir den richtigen Ton anschlagen.« Er wandte sich wieder an den Russen. »Alexej. Hörst du mich?«
Falls er es tat, gab er es mit keiner Reaktion zu erkennen.
»Was genau hast du gesehen? Es ist wichtig, dass du uns alles erzählst. Wichtig für Nathan.«
Der ehemalige Biologe hielt abrupt in seinem Gebrabbel inne und schaute zu Cloud auf. Was folgte, war eine Flut von scheinbar zusammenhangslosen Wörtern. Es hörte sich an, als würde er nur wiederholen, was ihm eine irre Stimme in seinem Kopf soufflierte. Und wieder waren es die Worte »Phantom« oder »Bestie«, die sich in auffälliger Häufung wiederholten.
»Offenbar ist dein Vater vom Schwarzen Mann geholt worden«, versetzte Scobee trocken. »Mehr ist wohl nicht aus ihm herauszubekommen.«
Cloud zuckte mit den Schultern. »Vielleicht haben wir nur noch nicht die richtigen Fragen gestellt.« An Wolinow gerichtet sagte er: »Wie sah dieses Monster aus? Kannst du es beschreiben?«
Irres, hohes Gelächter war zunächst Wolinows einzige Antwort auf Clouds Frage. Doch ganz plötzlich verstummte er, als habe jemand einen Schalter in seinem Kopf umgelegt.
Er beugte sich vor und nuschelte etwas, das Cloud zunächst nicht verstand. Erst als er es einige Male wiederholte, glaubte er zu verstehen.
»Katzenmann …«, murmelte John und wandte sich Scobee zu. »Ist es das, was er gesagt hat?«
»Könnte hinkommen«, meinte die GenTec mit ratlosem Blick.
»Stimmt das, Alexej? Wurde Nathan von einem Katzenmann geholt?«
Völlig unerwartet rollte sich der Russe auf den Rücken und begann wild mit den Beinen zu strampeln. Und diesmal hatten weder Cloud noch Scobee den geringsten Zweifel daran, was Wolinow dabei rief, geradezu schrie.
»Ein Katzenmann mit Stacheln auf dem Rücken?«, knurrte Cloud. »Was, zum Henker, hat das zu bedeuten?«
»Keine Ahnung. Ich …«
Scobee verstummte, als Jarvis neben sie trat. Bisher hatte er sich im Hintergrund gehalten, doch jetzt brach er sein Schweigen.
Das eine Wort, das er flüsternd aussprach, dabei jede Silbe einzeln betonte, trug jedoch nicht gerade dazu bei, Johns und Scobees Verwirrung zu mindern.
»Boreguir …«
***
Sie kommen näher.
Ich kann den Atem der Verfolger bereits in meinem Nacken spüren.
Der Silberhäutige.
Er kennt meinen Namen.
Er … erinnert sich an mich.
Wie kann das sein?
Nie zuvor habe ich davon gehört, dass sich jemand an einen Vergessenen erinnert.
Dieses Wesen muss etwas Besonderes sein.
Ich muss auf der Hut sein, muss schlauer vorgehen.
Es ist so, wie ich es befürchtet habe.
Meine Gegner sind mächtige Zauberer.
Ich muss ihnen immer zwei Schritte voraus sein, wenn ich mich ihrem Zugriff entziehen will.
Dieser Kampf lässt sich nicht mit dem Herzblut-Schwert führen.
Ein scharfer Verstand und ständige Wachsamkeit sind die einzigen Waffen, die mir jetzt noch helfen können …
***
»Was hast du da gesagt?«, fragte Cloud und hätte den amorphen Körper am liebsten durchgeschüttelt.
Der GenTec wirkte im ersten Moment völlig abwesend.
Cloud wollte seine Frage wiederholen.
Doch Jarvis kam ihm mit seiner Antwort zuvor. »Boreguir. Der Saskane.«
Er betonte die beiden Worte wie Vokabeln einer fremden Sprache, die er in diesem Moment zum ersten Mal aussprach.
»Wer oder was ist ein Saskane?«, fragte Scobee.
»Ich … bin mir nicht sicher«, gab Jarvis stockend zurück. »Es kommt mir vor, als würde sich ein Vorhang in meinem Bewusstsein öffnen. Eine Sperre in meinem Gedächtnis, die bis zu diesem Moment einen bestimmten Bereich meinem Zugriff entzogen hat. Nur ganz langsam fließt die Erinnerung in mich zurück. Ich sehe ein Bild vor mir. Doch es ist verschwommen …«
»Lass dir Zeit!«, flüsterte Cloud eindringlich. »Versuch einfach, dich zu erinnern!«
Jarvis nickte.
Sein amorpher Körper sah einen Moment lang so aus als würde er zerfließen. John bemerkte einige kleine Auswüchse, die sich auf dem Oberkörper bildeten. Offenbar ein Zeichen höchster Erregung.
»Da ist ein seltsames Wesen. Auf dem Mars, etwas abseits des Kristallturms. Ich glaube, dort sind wir ihm begegnet. Einem katzenartigen Krieger, mit ausfahrbaren Stacheln auf dem Rücken. Er rettete Resnick vor dem Incus und …«
Jarvis hielt inne, als müsse er erst über die Konsequenzen dieses plötzlichen Erinnerungsschubs nachdenken.
»Was ist mit ihm geschehen?«, wollte Scobee wissen.
»Er …« Der GenTec schüttelte den Kopf, als könne er selbst nicht daran glauben, was ihm sein wiederkehrendes Gedächtnis weiszumachen versuchte. »Er kam mit mir an Bord der SESHA!«
»Wie ist das möglich?«, fragte John. »Wieso hat niemand etwas davon bemerkt?« Sein Blick glitt in Sobeks Richtung, doch der Forone ließ mit keiner Regung erkennen, was er von Jarvis’ Worten hielt.
»Ihr alle habt Boreguir bemerkt«, sagte der GenTec voller Überzeugung. »Ihr habt ihn nur … vergessen …«
Scobee runzelte die Stirn und widerstand ihrem ersten Impuls, der sie aufforderte, Jarvis zu widersprechen.
Auch John Cloud hielt sich zurück, obwohl seine Neugier kaum noch zu zügeln war.
»Genauso war es«, sagte Jarvis, als fühlte er sich aufgefordert, noch etwas zu sagen.
»Fragt mich nicht, wie er das gemacht hat. Aber ich denke, er hat das Wissen um seine Existenz aus unserer Erinnerung getilgt. Das ist die einzige Erklärung.«
Johns Blick schweifte erneut zu Sobek.
Doch der Forone gab sich ahnungslos. »Ich habe noch nie von einer solchen Fähigkeit gehört. Doch wenn es stimmt, was dein Freund sagt, werden wir den Eindringling bald aufgespürt haben. Zweifelsohne befindet er sich noch an Bord. Und nun wissen wir von ihm …«
Sobek hielt plötzlich inne und senkte den Kopf. Er sah dabei aus, als habe er eine Nachricht erhalten, die nur er hören konnte.
Genau das war offenbar auch der Fall, denn er sagte: »Ihr werdet allein suchen müssen. Ich werde vorerst an anderer Stelle benötigt.«
Er drehte sich um und wollte gerade gehen, als John ihn fragte: »Hat es etwas mit dem Signal aus der Großen Magellanschen Wolke zu tun?«
Sobeks Schweigen war ihm Antwort genug.
»Falls dem so ist, haben wir dasselbe Recht zu erfahren, was los ist, wie jeder deiner Foronen. Wir haben nicht darum gebeten, euch auf eurer Reise begleiten zu dürfen. Du allein hast diese Entscheidung für uns getroffen. Lass uns wenigstens an den Ereignissen teilhaben, die möglicherweise unser aller Schicksal bestimmen!«
Mit welcher Reaktion Cloud auch gerechnet haben mochte, die folgenden Worte des Foronen überraschten ihn dann doch.
»Ich hätte ohnehin von euch erwartet, dass ihr mich begleitet«, sagte Sobek, ohne sich umzudrehen. Und nach einer kurzen Pause fügte er hinzu: »Was hat dir Siroona in Bezug auf Geduld geraten? Denk darüber nach!«
***
Die Atmosphäre in SESHA’s Zentrale glich der in einer Kirche.
Neben Cloud, Scobee und Jarvis hatte sich ein gutes Dutzend Foronen eingefunden, die allesamt zum Führungskader der Schiffsbesatzung gehörten. Obwohl die meisten von ihnen vermutlich bereits wussten, was die beiden Hohen in den nächsten Minuten mitzuteilen gedachten, sprach keiner ein Wort – aber vielleicht unterhielten sie sich ja auch telepathisch.
Während die Mienen der Foronen kaum zu deuten waren, war die Anspannung auf den Gesichtern der Menschen nicht zu übersehen.
Jetzt, da sie nach schier endlosen Tagen und Wochen im All endlich ihr Ziel erreicht hatten, erklomm die Spannung allmählich ihren Höhepunkt.
Vermutlich, dachte Cloud, war ihre bisherige Reise nicht mehr gewesen als ein Picknick, im Vergleich zu den Dingen, die noch vor ihnen lagen.
Was würde sie im ehemaligen Herrschaftsbereich der Foronen erwarten? Welche Geheimnisse, welche Gefahren?
Waren die Virgh nach der Flucht der Foronen weitergezogen, oder hatten sie ihre Herrschaft über das Alte Reich in den letzten Jahrtausenden zementiert?
Die Existenz einer offenbar foronischen Hinterlassenschaft im Grenzgebiet der GMW ließ noch einen anderen Schluss zu.
War es am Ende tatsächlich einigen foronischen Rebellen gelungen, den Feind zurückzudrängen, wie es eine Interpretation des Funkspruchs suggerierte?
Zumindest Sobek schien sich an diese Hoffnung zu klammern.
Siroona wirkte auf Cloud dagegen ungleich pessimistischer. Ihm war nicht entgangen, dass sie von Anfang an dagegen gewesen war, die georteten Objekte, über die sie nicht das Geringste wussten, anzusteuern.
Ahnte sie etwas?
Cloud hoffte inständig, dass sie sich irrte, dass sich Sobeks Instinkt als der Bessere herausstellte. Denn für eine schnelle Flucht, davon musste er ausgehen, war es möglicherweise zu spät.
Nachdem er sich der Aufmerksamkeit aller versichert hatte, begann Sobek zu sprechen: »SESHA hat die Objekte im Grenzgebiet unseres Reiches eindeutig identifiziert. Es handelt sich dabei um ein Phänomen, dessen Tragweite sich auch uns noch nicht ganz erschließt.«
»Die Giganten, mit denen wir es hier zu tun haben, ähneln in ihren Eigenschaften den erkalteten Kernzonen früherer Sonnen, so genannten Schwarzen Zwergen«, übernahm Siroona das Wort. »Sie sind vollkommen dunkel, strahlen kein noch so schwaches Licht aus. Allerdings«, es schien, als müsse sie sich noch einmal mit der KI des Schiffes kurzschließen, um sich der Richtigkeit ihrer Angaben zu versichern, »weisen sie ein Vielfaches an deren üblicher Masse auf. Demnach müsste man sie eher als Schwarze Riesen bezeichnen.«
Cloud schüttelte den Kopf und warf Scobee einen raschen Blick zu. Auch die GenTec runzelte ungläubig die Stirn.
Nach allgemeiner Lehrmeinung der Menschen des 21. Jahrhunderts hatte die Existenz Schwarzer Zwerge als äußerst ungewiss gegolten. Man hatte damals geschätzt, dass eine alte, fast erloschene Sonne, also ein Weißer Zwerg, bis zu seiner vollständigen Erkaltung gut 50 Milliarden Jahre benötigen würde. Das Universum wäre demnach noch viel zu jung für eine derartige Erscheinung gewesen – auch wenn sich ihre Entstehung angesichts der Existenz zahlreicher Weißer Zwerge und deren allmählicher Erkaltung, irgendwann in ferner Zukunft unweigerlich ergeben würde. Für Objekte der Größe, wie sie Siroona beschrieben hatte – jene Schwarzen Riesen –, hatte dagegen noch nicht einmal eine brauchbare Theorie existiert.
»Die Konstellation dieser Objekte erscheint wahllos und ungeordnet«, fuhr Sobek fort. »SESHA konnte keine zugehörigen Planeten orten. Allerdings stehen sie in einer Art Wechselwirkung zueinander. Ihre Ausrichtung ist stabil. Die Gesamtkonstellation vollzieht jedoch eine Eigenbewegung, in der sie stets dieselbe Position zu Bolcrain einnimmt, sodass die Schwarzen Sonnen in dem wahrscheinlichsten Anflugwinkel liegen.«
Sobek ließ seine letzten Worte verklingen, als wolle er den Anwesenden die Möglichkeit geben, das Gehörte zu verarbeiten.
Cloud war der Erste, der die Stille brach. »Glaubt ihr, es handelt sich bei dieser Formation um eine natürliche Erscheinung?«
»Nein«, entgegnete Sobek. »Zu Zeiten des Alten Reiches der Foronen gab es diese Konstellation nicht.«
»Wenn sie künstlichen Ursprungs ist«, sagte Scobee ehrfurchtsvoll, »wer hat sie dann erschaffen?«
»Vermutlich dieselben, die auch für die Ausstrahlung dieses Signals verantwortlich sind«, sagte Cloud. »Ich würde jedenfalls zur Vorsicht raten. Es könnte sich um eine Falle handeln. Und nach allem, was ihr uns bisher über die Virgh erzählt habt, wäre es ihnen wahrscheinlich sogar zuzutrauen, ein solches Kolossalbauwerk zu erschaffen.«
Zu Clouds Überraschung pflichtete Sobek ihm bei. »Auch wir haben uns dafür entschieden, vorerst abzuwarten und noch weitere Analysen durchzuführen. Vor allem unsere Messungen aus dem Innern des Sonnenhofs sind bisher sehr ungenau. Dies sind die Aufzeichnungen unserer ersten Sonden.«
Gebannt beobachtete Cloud, wie sich der riesige Hauptschirm am gegenüberliegenden Ende der Zentrale in vier gleichgroße Teilbereiche aufspaltete. Jeder von ihnen zeigte jene Aufnahmen, die eine der vier entsandten Sonden übertrugen.
Viel zu sehen war jedoch nicht. Lichtlose Schwärze füllte den Schirm aus und lediglich die Positionsangaben, die am unteren Rand jedes Bildausschnitts entlangrauschten, zeigten, dass die Übertragung einwandfrei funktionierte.
Mehrere Erdstunden waren vergangen seit die Sonden auf die Reise geschickt worden waren. Unwillkürlich war Cloud doch erleichtert, nicht daran beteiligt gewesen zu sein. Das Warten wäre gewiss nervenaufreibend gewesen.
»In wenigen Augenblicken nähert sich Sonde Eins der äußeren Tangente der beiden nächstgelegenen Sonnen«, gab Sobek bekannt.
Clouds Blick wanderte zu dem Bildausschnitt im linken, oberen Eck des Hauptschirms. Zu sehen war dort noch immer nicht mehr als tintige Schwärze.
Doch!
Auf einmal überzog ein leichtes Flimmern den Schirm. Es sah aus als würde die Sonde durch eine Wolke aus feinem weißen Staub fliegen.
Cloud wandte sich Sobek zu, doch der Forone zeigte keine Reaktion.
»Sonde Eins befindet sich im Anflug auf den Grenzbereich des Sonnenhofs«, vermeldete er kurz darauf roboterhaft.
»Jetzt bin ich mal gespannt«, murmelte Cloud mehr zu sich selbst. Er war nur froh, dass Sobek die Menschen endlich einweihen würde.
Gleichzeitig fiel ihm auf, dass das Flimmern, das kurzzeitig aufgehört hatte, nun nicht nur zurückgekehrt, sondern sogar stärker geworden war.
Irgendetwas schien die Übertragung massiv zu stören. Auffällig war vor allem, dass die Störung erst in unmittelbarer Nähe des Sonnenhofs begonnen hatte.
Existierte zwischen den Himmelskörpern eine Art Kraftfeld, das sie miteinander verband, sie auf ihre Position fixierte?
»Sonde Eins erreicht die Tangente – jetzt!«
Als habe Sobek damit das Stichwort gegeben, explodierte der zugehörige Bildschirmausschnitt in einem weißen Rauschen und wurde kurz darauf wieder völlig dunkel. Doch nicht nur das. Auch die Positionsdaten erloschen. Der Kontakt zur Sonde war komplett ausgefallen.
»Das«, murmelte Cloud und verschränkte die Arme vor der Brust, »ging in die Hose.«
Sobek blieb ruhig, er kannte das Ergebnis des Sondenvorstoßes schließlich bereits. »Sonde Zwei im Anflug.«
Dort zeigten sich schon ähnliche Störsignale wie bei ihrer Vorgängerin.
Der Forone machte dieses Mal keine vorherige Ankündigung, bevor die zweite Sonde in den Grenzbereich des Sonnenhofs eintrat.
Cloud ahnte bereits, was passieren würde.
Tatsächlich brach die Übertragung so abrupt ab, als habe jemand einen Schalter umgelegt.
Blieben Sonde Drei und Vier.
John wagte kaum noch hinzusehen, doch den Blick abwenden konnte er auch nicht.
Man musste wahrlich kein Hellseher sein, um zu ahnen, wie das Experiment enden würde.
Die beiden verbliebenen Bildausschnitte hatten bereits zu flackern begonnen.
Nur wenige Minuten später brach zunächst die Verbindung zu Sonde Drei, kurz darauf auch die zu Sonde Vier ab.
Die vollkommene Schwärze, die den Schirm jetzt ausfüllte, sprang auf Cloud über und brachte auch noch seinen letzten Hoffnungsfunken zum erlöschen.
»Es war ein Versuch«, versetzte Sobek trocken und fügte überflüssigerweise hinzu: »Er ist gescheitert. Wir haben den Kontakt verloren.«
Damit wollte sich Cloud nicht zufrieden geben. »Was genau ist passiert?«
Er nahm an, dass der Forone, der das Ergebnis ja längst kannte und mit der KI in ständiger Verbindung stand, vielleicht mehr über die Hintergründe der gescheiterten Mission erfahren hatte, als es für ihn selbst ersichtlich gewesen war.
»Könnte der Ausfall auf einen Angriff zurückzuführen sein?«, setzte er nach, nachdem er auf seine erste Frage nur Schweigen geerntet hatte.
»Das ist nicht auszuschließen«, sagte Siroona an Sobeks Stelle.
»Unwahrscheinlich!« Der Widerspruch erfolgte in einer Schärfe, wie Sobek sie im Umgang mit Seinesgleichen nur selten zeigte. »Da alle vier Ausfälle beim Überschreiten einer unsichtbaren Grenzlinie erfolgten, sind sie mit aller Wahrscheinlichkeit auf die Bedingungen im Innern des Sonnenhofs zurückzuführen. Ich werde die Arche nicht mutwillig riskieren. Doch wenn weitere Scans kein Ergebnis bringen«, er zögerte, »dann haben wir wohl keine andere Wahl.«
Dann werden wir zwischen die Schwarzen Sonnen vorstoßen, überlegte Cloud. In eine Falle?