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**Zwischen Gut und Böse** Seit zehn Jahren wird die junge Hexe Umbra in Gefangenschaft für die Taten ihrer Mutter bestraft, die einst furchteinflößenden Kreaturen Zutritt in ihre Heimat Panaha ermöglichte. Als Umbra eines Tages nicht in ihrer einsamen Zelle, sondern in einem prächtigen Palastzimmer aufwacht, ist der Schock groß: Vom König befreit, soll sie sich einer Einheit ausgewählter Krieger anschließen, die sich dem Ziel verschrieben haben, die unheilbringenden Risse in ihrer Welt zu verschließen – eine Aufgabe, die einzig eine Magiebegabte zu lösen vermag. Als letzte Hexe Panahas erfährt Umbra jedoch von allen Seiten nur Argwohn. Vor allem dem gut aussehenden Gildenführer Grayson fällt es schwer ihr zu vertrauen. Doch nur gemeinsam haben sie eine Chance gegen das wahre Böse … Zwei Herzen im Schatten Eine begabte junge Magierin und ein attraktiver Gildenführer, die lernen müssen, dass die Liebe jenseits von Gut und Böse liegt. Eine magisch romantische Liebesgeschichte, bei der die Funken nur so sprühen. //»Bad Witch. Befreite Magie« ist ein in sich abgeschlossener Einzelband.//
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Impress
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Impress ist ein Imprint des Carlsen Verlags und publiziert romantische und fantastische Romane für junge Erwachsene.
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Tanja Penninger
Bad Witch. Befreite Magie
**Zwischen Gut und Böse**
Seit zehn Jahren wird die junge Hexe Umbra in Gefangenschaft für die Taten ihrer Mutter bestraft, die einst furchteinflößenden Kreaturen Zutritt in ihre Heimat Panaha ermöglichte. Als Umbra eines Tages nicht in ihrer einsamen Zelle, sondern in einem prächtigen Palastzimmer aufwacht, ist der Schock groß: Vom König befreit, soll sie sich einer Einheit ausgewählter Krieger anschließen, die sich dem Ziel verschrieben haben, die unheilbringenden Risse in ihrer Welt zu verschließen – eine Aufgabe, die einzig eine Magiebegabte zu lösen vermag. Als letzte Hexe Panahas erfährt Umbra jedoch von allen Seiten nur Argwohn. Vor allem dem gut aussehenden Gildenführer Grayson fällt es schwer ihr zu vertrauen. Doch nur gemeinsam haben sie eine Chance gegen das wahre Böse …
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Vita
Danksagung
© privat
Tanja Penninger wurde 1992 in Ried im Innkreis (Oberösterreich) geboren, hat Lehramt für Volksschule studiert und arbeitet nun als Lehrerin. In ihrer Freizeit spielt sie Querflöte in einem Musikverein und schreibt Geschichten. Derzeit wohnt sie im Bezirk Braunau (Oberösterreich).
Ich schlug die Augen auf.
Wo bin ich? Das ist nicht Vankila, nicht meine Zelle!
Meine Arme ruhten über einer weichen altrosa Decke, die wiederum Teil eines Kolosses von Bett war.
Mir entglitt ein Keuchen. Ein richtiges Bett …
Ich hob den Kopf, entdeckte einen weiß glitzernden Kamin – und mein entsetztes Gesicht.
Ich wusste, dass ich es sein musste und kein Gemälde einer bleichen, dunkelhaarigen Frau, da mir ein Aufseher einmal einen Spiegel vorgehalten hatte. Mein knochiges, schmutziges Gesicht war von einer zerzausten Mähne umgeben. Zwei große braune Augen starrten mich fragend und unverwandt an.
In meiner Vorstellung sah ich anders aus: gesund und kräftig. Schnell schaute ich weg.
Rechts von mir befand sich eine Glastür, die von protzigen Vorhängen umgeben war und einem kurzen Blick nach zu urteilen ins Freie führte. Ins Freie …
Und dann erinnerte ich mich. Es war, als würde der Wind Wolken davonwehen, die Sicht auf den Himmel freimachen. Nur, dass an dem, was da in meinem Kopf auftauchte, gar nichts himmlisch war.
»Komm!«, hatten die Soldaten gebrüllt, die mitten in der Nacht mit Fackeln in Vankila einmarschiert waren. »Der Großkönig will dich sehen, Hexe.«
Sie hatten mich gepackt und aus meiner Zelle gezerrt. Ich hatte um mich geschlagen, geschrien – mich nach Leibeskräften gewehrt. Ich war mir sicher gewesen, dass sie mich nun doch wie meine Mutter am Scheiterhaufen verbrennen lassen würden, bis einer der Soldaten mich angeschrien hatte:
»Nun gib schon Ruhe, Mädchen, scheinbar ist deine Magie unsere einzige Hoffnung, die Welt zu heilen …«
Ruckartig riss ich meine Arme hoch. Nach wie vor trug ich die Grausilber-Handschellen, die meine Kräfte bannten. Sie sahen aus wie glänzende Armreifen und schmiegten sich so eng an meine Haut, dass ich sie nicht einmal hin und her schieben konnte.
Plötzlich hielt ich es keine Minute länger in diesen schweren Decken- und Kissenbergen aus. Mit einer kräftigen Bewegung schlug ich das Federbett zur Seite und erschrak.
Anstelle meiner grauen, zerlumpten Gefängniskleidung trug ich ein knielanges weißes Nachthemd, das am Saum mit Spitze verziert war.
Ob mich einer der Soldaten umgezogen hatte?
Bei dem Gedanken daran wurde mir schwindlig. Wäre das Sonnenlicht, das durch die Glastür fiel, nicht just in diesem Moment stärker geworden, hätte ich mich zusammengerollt und unter der Decke versteckt. Am liebsten hätte ich mir vorgestellt, ich wäre wieder in meiner Zelle in Vankila. Das Gefängnis, in das mich die Soldaten des Königs vor zehn Jahren gebracht hatten, war ein Koloss aus dunklem Stein. An manchen Tagen durfte ich nach draußen, um die Sonne zu sehen. Doch mehr als Felsen und totes Ödland hatte ich nie zu Gesicht bekommen. Die einzigen anderen Lebewesen – außer mir und den Wächtern – waren pechschwarze Raben gewesen, die über den Zinnen Vankilas ihre Runden gedreht und laut gekrächzt hatten.
Jetzt wurde ich neugierig, was es außerhalb dieses weiß und altrosa vertäfelten Raumes noch zu entdecken gab.
Ich lief hinüber zur Glastür. Das Sonnenlicht blendete. Mit einem Ruck zog ich an den goldenen Knäufen. Die Flügel öffneten sich nach innen.
Frischer Wind fuhr mir ins Haar. Die Luft roch salzig und verursachte ein angenehmes Pickeln auf meiner Haut. Möwen kreischten.
Wind … Salz … Wieder erfasste mich eine Brise und ich bekam eine Gänsehaut. Anstatt aber die Flügeltür zu schließen, wagte ich mich weiter vor und stand wenige Herzschläge später barfuß auf einem kleinen, golden umzäunten Balkon.
Staunend hielt ich den Atem an. Vor mir lag das Meer. Nun, zumindest irgendein Meer in dieser Welt. Die Sonne ließ es glitzern, sodass es aussah, als würden abertausende kleine Kristalle darin schwimmen. Ich wagte mich weiter vor, trat an das verschnörkelte Goldgeländer heran und schirmte die gleißenden Strahlen mit einer Hand ab. Ich kniff die Augen zusammen und mein Blick wanderte nach rechts. Neben mir stand eine Steinmauer, aus der wiederum einzelne Erker und Türme herausragten. Diese waren so hoch, als wollten sie den Himmel berühren und so weit, dass unter ihnen bereits das Meer tanzte.
Jetzt schlang ich beide Hände ums Geländer, beugte mich darüber und schaute in eine unendliche Tiefe. Mir klappte der Mund auf. Es musste ein Schloss sein, das hier an der Kante eines Felsens stand.
Ich betrachtete den dunkelgrauen Stein, der dort, wo er vom schäumenden Wasser umspült wurde, glattgeschliffen worden war. Anschließend blickte ich nach links und sah, dass das Gestein abflachte und die Wellen hier sanft ans Ufer rauschten.
Mir entfuhr ein Laut, der eine Mischung aus Lachen und Unglauben war. Und das, obwohl ich mich innerlich wie gelähmt fühlte. Gelähmt vor der Angst, frei zu sein.
Aber war ich das überhaupt?
Es klopfte und ich fuhr herum. Da die Möwen so laut kreischten, trat ich wieder ins Innere, schloss die Glastür und starrte auf die hohe, mit weißen Blumenmustern veredelte Tür. Zuvor war sie mir gar nicht aufgefallen, da sie sich kaum von den Wänden abhob.
Wieder klopfte es.
Meine Euphorie flaute ab. Auf den schmutzigen Fingernägeln kauend sondierte ich das Zimmer erneut und blieb schließlich bei dem Morgenmantel hängen, der über einem altrosa Sessel hing.
Ich griff danach, schlüpfte hinein und als das Klopfen zum dritten Mal erklang, rief ich: »J…Ja?«
Die Tür ging auf und eine Gestalt schlüpfte zu mir in den Raum.
Meine Knie gaben nach. Ich landete im Sessel hinter mir.
Die Person, die eingetreten war, war kein Gefängnisaufseher,
kein Soldat und kein Mensch.
»Mein Name ist Tebea«, stellte sich die junge Frau mit den schulterlangen kobaltblauen Haaren vor. Doch die ungewöhnliche Farbe war es nicht, die meine Aufmerksamkeit auf sich zog. Es waren die schwarzen schneckenförmigen Hörner, die rechts und links aus ihrem Kopf herauswuchsen.
Ich schnappte nach Luft. Und da ich offensichtlich nichts sagte, fuhr Tebea fort. »Ich bin die Halbschwester von Dorian und Grayson.«
Dorian … Ich überlegte einen Moment und erinnerte mich daran, dass der erstgeborene Sohn unseres Großkönigs so hieß. Herrschte er inzwischen über unsere Welt?
Ich musterte Tebea, deren Körper anders als meiner war. Und obwohl mir meine Mutter früher oft von andersartigen Wesen erzählt hatte, war es doch seltsam, plötzlich eines gegenüber zu haben.
Tebeas Stimme klang unbeschwert. Sie machte ein paar Schritte auf mich zu, woraufhin ihr luftiges Seidenkleid sanft raschelte. Es war mit etlichen Silberketten und Pfauenfedern verziert und schimmerte in den verschiedensten Blautönen.
»Wer ist Grayson?«, erkundigte ich mich, obwohl mir tausend andere Fragen im Kopf herumschwirrten.
Tebea kicherte. »Mein Halbbruder, hörst du nicht zu?« Sie fuhr sich durchs Haar. Dabei drang der Geruch von saftigem Moos und allerlei Kräutern in meine Nase.
Ich blinzelte, senkte den Blick. Da entdeckte ich Tebeas Beine, die durch einen Schlitz im Kleid zum Vorschein kamen. Sofort zuckte ich zusammen und zog automatisch meine Knie an die Brust. Wie ein Häufchen Elend kauerte ich auf dem Sessel, obwohl ich vor ein paar Minuten noch die Welt hatte entdecken wollen. Jetzt war mein Forscherdrang klitzeklein geworden und kurz wünschte ich mir sogar meine Zelle herbei. Meine Zelle, die mir zwar die Freiheit genommen, dafür aber eine seltsame Art der Sicherheit gegeben hatte.
Irritiert starrte ich auf die haarigen, krummen Unterschenkel und die Hufen, die in den weißen Fransenteppich vor mir einsanken.
»Oh«, hörte ich Tebea da sagen und merkte, wie sie ihr Kleid raffte, damit ich einen besseren Blick auf ihre Beine bekam. »Falls es dir nicht schon an den Hörnern aufgefallen ist: Ich gehöre zu den Ziegenwesen, genauer gesagt zu den Faunen. Nicht zu verwechseln mit den uns verwandten Satyrn!«
Ein Faun? Aber wenn sie die Halbschwester von Dorian war, wie konnte das denn sein? In meiner Erinnerung war unser Großkönig ein Mensch gewesen.
»Ich komme nach meiner Mutter«, erklärte sie da auch schon kichernd. »Sie lebt bei unseresgleichen in Magdásos’ Wäldern, am südlichsten Ende Panahas. Nur die einsamen Inseln befinden sich noch südlicher.«
Panaha … Erst jetzt wurde mir klar, dass ich den Namen unseres Kontinents zuletzt vor zehn Jahren gehört hatte.
Langsam gewöhnte ich mich an den Anblick der Ziegenbeine, sodass ich meinen Kopf wieder hob, um Tebea ins Gesicht zu schauen. Lächelnd ließ sie ihr Kleid los und schritt hinüber zu einem kleinen Tischchen, dem ich bisher keine besondere Aufmerksamkeit geschenkt hatte.
»Ich war vorher schon da als du noch schliefst und habe dir Essen gebracht«, trällerte sie freundschaftlich und griff nach dem geflochtenen weißen Korb. Damit kam sie zu mir zurück und setzte sich vor mich auf den Boden.
»Hunger?«
Sie hielt mir das Behältnis empor. Der süßliche Geruch verriet, dass es sich um Obst handelte. Ich entdeckte sogar einen Apfel und etwas, das Ähnlichkeit mit den Früchten hatte, die mir dann und wann durch die Essensklappe in die Zelle geschoben worden waren.
Mein Magen knurrte.
»Dorian meinte, Insassen würden so was zu sich nehmen.«
Insassen, Häftlinge, Gefangene, …
Ich schluckte und musterte Tebea. Tebea, ein Mädchen mit Ziegenbeinen, das ihr ganzes bisheriges Leben in Freiheit verbracht hatte. Unter buschigen Brauen leuchteten mir zwei kugelrunde blaue Augen entgegen. Ihr Blick war so arglos und unschuldig.
Hatte sie keine Angst vor der »bösen Hexe«?
Denn genau das war ich doch in den Augen der Leute! Damals, vor zehn Jahren, hatten mir die Soldaten gesagt, dass es eine »gute« und eine »böse« Blutlinie gäbe und ich zu der »bösen« gehörte. Sie hatten mir erzählt, dass meine Mutter am Untergang dieser Welt schuld sei. Sie hatte ein »Portal« in eine »Finsterwelt« geöffnet und damit dämonische Wesen freigesetzt. Wesen, die nun durch sogenannte »Risse« in unsere Welt wollten, um alles und jeden zu zerstören.
Ich blinzelte und schaute Tebea nachdenklich an.
Warum war ausgerechnet sie zuerst zu mir geschickt worden?
War ihr eigentlich klar, wer ich war und wusste ich das selbst überhaupt noch?
»Ich bin Umbra«, sprach ich meine Gedanken laut aus und langte dabei in den Obstkorb. Um für den Anfang auf Nummer Sicher zu gehen, entschied ich mich für den gelbroten Apfel.
Tebea nickte grinsend und stellte das Behältnis neben sich auf den weißen Fransenteppich.
»Umbra Debelle, ich weiß. Das klingt so magisch.«
Ungewollt musste ich schmunzeln und biss anschließend in die Frucht. Sie schmeckte besser, als ich erhofft hatte. Süßer und saftiger als das Obst in Vankila.
Ich betrachtete den frischen Apfel in meiner schmutzigen Hand. »Warum bin ich hier?«
Tebea langte nun ebenfalls in den Korb. Sie entschied sich für ein rundes violettes Stück Obst.
»Dir wurde vor deiner Gefangennahme sicher von den Rissen erzählt«, fing Tebea an. »Von den Rissen, durch die Dämonen in unsere Welt eindringen. Ich habe die Gabe, ihr Erscheinen zu fühlen. Aber nur eine Magierin kann die Spalte ein für alle Mal schließen. Wenn sie stark genug ist.«
Sie wandte den Blick ab und biss in die violette Frucht. Kohlrabenschwarzes Fruchtfleisch kam zum Vorschein. Ich hob überrascht die Augenbrauen, hatte irgendwie mit einem hellen Innenleben gerechnet.
Interessanter als das violette Obst war jedoch Tebeas Gesichtsausdruck. Ein Schatten hatte sich über ihr Strahlen gelegt.
»Ich habe meine Kräfte seit zehn Jahren nicht benutzt«, sagte ich und betrachtete das Grausilber an meinen Handgelenken. »Bin ich hier, um das zu lernen? Um die gute Hexe zu unterstützen?«
So musste es sein. Bestimmt war das Mädchen aus der »guten« magischen Blutlinie allein nicht mächtig genug. Ob auch ihre Mutter inzwischen tot war?
Tebea reckte das Kinn, schaute mich wieder an. Sie schob sich die zweite Hälfte der seltsamen Frucht in den Mund und erwiderte mit vollem Mund: »Du sollst die Gilde unterstützen, ja.«
»Gilde?«
»Graysons Gemeinschaft«, erklärte Tebea, stand auf, raffte ihr Kleid und ließ sich wieder nieder. Scheinbar in eine Art Schneidersitz, der jedoch aufgrund ihrer krummen Ziegenbeine etwas ungelenk aussah. »Seine Gilde besteht aus zwei Kriegern, einem Weber, einem Heiler, einer Sirene und einer Magierin. Die Magierin bist von nun an du, nachdem Raffaela, die gute Hexe …«
»Zu alt wurde?«
Vielleicht hatte das »gute« Pendant zu meiner Mutter nie ein Kind bekommen.
»Vor zwei Jahren starb.«
Ich zuckte zusammen. Plötzlich hatte ich keinerlei Appetit mehr. Gedankenverloren legte ich den angebissenen Apfel auf ein Tischchen neben dem Sessel und zupfte an meinem Morgenmantel herum.
Nach einer Weile schaute ich wieder zu Tebea, die die ganze Zeit über geschwiegen hatte.
»Woran ist sie gestorben? Altersschwäche?«
»Raffaela war einundzwanzig. Die Kóstoren haben sie getötet. Das Dämonenvolk aus der Finsterwelt. Die Wesen, die deine Mutter …«
Tebea presste die Lippen zusammen, doch ich wusste, was sie hatte sagen wollen. Die Wesen, die meine Mutter auf unsere Welt losgelassen hatte, weil sie angeblich böse gewesen war … wie ich es vielleicht auch war.
Meine Nackenhärchen richteten sich auf und mein Mund wurde trocken. Hatte mich Großkönig Dorian also herbringen lassen, damit ich den Platz der »guten« Magierin einnahm?
»Und jetzt soll ich …« Die Frage wollte nicht mal über meine Lippen. Plötzlich kam mir all das so unwirklich vor. Als hätte sich ein Traum in einen Albtraum verwandelt.
Tebea nickte. »Raffaela ersetzen. Seit wir vor etwa einem Jahr Vater zu Grabe trugen, spielt Dorian mit dieser Idee.«
Diese Aussage war Antwort genug. Der junge König von Panaha und seine Faunschwester wollten, dass ich mit ihrem Bruder und dessen Gilde gegen Dämonen kämpfte.
Auf einmal hatte ich das Gefühl, nicht mehr richtig atmen zu können und legte beide Hände an meinen Hals.
»Du hast Angst«, stellte das Faunmädchen fest, kaum dass mein Blick wieder auf ihr ruhte. Ihre Augen waren noch größer geworden und ihr Mund blieb offen stehen. Sie sah überrascht aus.
»Grayson und du seid ja nicht allein. Ihr habt fähige Leute an eurer Seite«, erklärte sie mir daraufhin, »Der Heiler ist – wie der Name schon sagt – dazu da, um die Verletzungen nach oder während eines Kampfes zu behandeln … mit seinen speziellen, magieähnlichen Kräften.«
Ihr war wohl mein verwirrter Blick aufgefallen.
»Die Sirene«, fuhr sie fort, »tötet die Kóstoren mit ihrem tödlichen Gesang. Und die Aufgabe des Webers kannst du dir vielleicht zusammenspinnen.«
Tebea grinste, freute sich sichtlich über ihren Wortwitz. Leider war mir schleierhaft, weshalb eine Kampftruppe einen Weber benötigte. Ihre Gewänder würden sie ja wohl nicht selbst herstellen.
»Er hilft, das Portal zu schließen, webt den Riss zusammen«, verriet sie, da ich nicht reagierte. »Jedoch nur vorübergehend. Nur die Kräfte einer Magierin können die Weltenspalte für immer schließen. So, dass sich auch nirgends ein neuer auftun kann.«
Heiler, Weber, Sirenen … für den Moment hatte ich genug gehört. Schon jetzt fühlte ich mich wie ein überlaufendes Fass. Es war sicher klüger, mir weitere Informationen erst nach und nach einzuflößen. Außerdem kitzelte es schon in meinen Fingern. Ich wollte alles, was mir Tebea mitgeteilt hatte, aufschreiben und bat sie daher um Tinte.
Die Jahre in Vankila waren einsam gewesen. In all der Zeit hatten mir nur meine Gedanken Gesellschaft geleistet. Gedanken, die mich manchmal in den Wahnsinn getrieben hatten und nur verstummt waren, wenn ich sie zu Papier gebracht hatte oder an die rauen Zellenwände …
Papier, so hatten mir die Aufseher erklärt, war kostbar und viel zu wertvoll für mich. Es hatte Tage und Nächte gegeben, an denen ich ihren Worten geglaubt hatte. In diesen Stunden hatte ich mir die Seele aus dem Leib geschrien und mit allen Mitteln und Wegen versucht, meinem erbärmlichen Leben ein Ende zu setzen. Aber warum auch immer, ob es der tiefsitzende Wunsch, doch weiterzuleben oder mein magisches Blut war, ich war immer wieder aufgewacht.
Und dann hatte es Tage und Nächte gegeben, an denen mich die Stimme meiner Mutter leitete. Besonders ihre letzten Worte an mich hallten in mir nach:
Du bist nicht böse.
Du verdienst Respekt.
Du darfst Fragen stellen.
Du bist es wert, geliebt zu werden.
Und genau diese Sätze kratzte ich mit Steinchen an die Zellenwände und sagte sie mir wieder und wieder vor. Dadurch hoffte ich, sie eines Tages auch wahrhaft glauben zu können.
Als ich Tebea später nach einer Kerze für die Nacht fragte, klärte sie mich über die sogenannten »Lichtsteine aus den Minen Silbersteins« auf. Ich brauchte nur den durchsichtigen Kristall neben meinem Bett zu berühren und schon leuchteten sämtliche Lichter am Lüster, am Schreibtisch, rund um den Spiegel und am Balkon.
Meine Anmerkung, dass ich damit ja die Bewohner der Nebenzellen stören könnte, brachte sie zum Lachen.
»Nein«, erklärte sie mir. »All die Lichtfragmente in deinem Gemach sind Bruchstücke aus einem Stein und reagieren nur auf ihn. So ist es auch in den anderen Räumlichkeiten.«
Noch war heller Tag, weshalb ich die Lichter wieder löschte, beziehungsweise »abglühte«, wie Tebea es nannte.
Inzwischen hatte ich mich an mein »Gemach« gewöhnt und auch die meisten Informationen verdaut. Nun ließ Tebea nach einer Zofe schicken, die mir ein Bad bereiten sollte. Denn laut dem Faunmädchen stank ich »schlimmer als Drachenmist«.
Ich bestand darauf, dem Dienstmädchen zu helfen und folgte ihr drei Stockwerke hinab, wobei wir hauptsächlich durch schmale Dienstbotengänge marschierten. Über einer prasselnden Feuerstelle wurde das Wasser in einem riesigen Topf erhitzt. Die vier anderen Mädchen – zwei Elfen, eine Zwergin und ein Mensch – bedachten mich mit einer ähnlichen Skepsis wie Tebeas Zofe, als ich einen Eimer ergriff und ihn volllaufen ließ.
Zugegeben, ich bekam Kreuzschmerzen beim Schleppen, dachte aber gar nicht daran, den Kübel abzustellen und die Mädchen alleine werken zu lassen. So erreichten wir zu sechst schließlich den Hauptgang, der zu meinem Gemach führte.
Und gerade als ich als Letzte durch die Tür verschwinden wollte, kam Großkönig Dorian um eine Kurve. Ich erkannte den blonden jungen Mann deshalb, da überall an den Wänden beschriftete Portraits von ihm hingen. Als er mich sah, wurden seine Augen groß.
»Wie konnte Tebea das zulassen?«, rief er aus.
»Ich habe nicht zu fliehen versucht«, flüsterte ich und stellte den Kübel ab. »Ich wollte helfen …«
Der König war nähergekommen, woraufhin ich verstummt war. Sein Lächeln war genauso warm wie sein Blick.
»Warum solltest du auch fliehen?«, fragte er da mit sanfter Stimme.
Ich runzelte die Stirn. Ja, warum…? Warum sind mir ausgerechnet diese Worte in den Sinn gekommen?
Der junge Mann schaute mir intensiv in die Augen. »Du bist jetzt frei!«
Erst als ich seine gepflegten Nägel betrachtete, fiel mir auf, wie schmutzig meine Finger tatsächlich waren. Und nicht nur meine Finger waren es. An meinem Körper und in meinen zerzausten langen Haaren klebten Schweiß, Dreck und getrocknetes Blut. Außerdem musste ich einen fürchterlichen Geruch abgeben. Der König hingegen war stattlich gekleidet und duftete nach Limetten. Er musterte mich, als würde er auf etwas warten. Doch worauf? Nachdenklich kniff ich meine Augen zusammen. Wollte er, dass ich ihm vor die Füße fiel und mich für die Freilassung bedankte? Aber in Wahrheit war ich doch gar nicht frei! Und ich war hier auch nicht in Sicherheit! Ich war hergebracht worden, um gegen Dämonen zu kämpfen. Ich war nur befreit worden, um zu töten oder zu sterben.
Das ist keine richtige Freiheit …
Schnaubend trat ich einen Schritt zurück und sah den Großkönig misstrauisch an.
»Hab keine Angst vor mir«, bat dieser da. Zu meinem Erstaunen war sein Blick schmerzerfüllt. »Ich bin ein Freund, möchte …«
»Ihr seid der Großkönig«, unterbrach ich ihn da barsch. »Kein Freund!«
Natürlich war es riskant und unangebracht, den Großkönig derart harsch zurechtzuweisen. Doch plötzlich tobte ein Feuer in mir, schmolz das Eis in meinen Adern, das mich bisher gelähmt hatte.
»Euer Vater hat meine Mutter verbrennen lassen. Er ist zwar inzwischen tot, doch wäre er es nicht …« – ich reckte das Kinn und funkelte den überraschten jungen Mann herausfordernd an – »wäre er es bald.«
Ich nahm an, dass mich der Großkönig nun zurück hinter die vertrauten Mauern von Vankila schicken würde.
Doch stattdessen erwiderte er: »Nur weil deine Mutter vielleicht eine böse Hexe war, musst du keine sein. Und nur weil mein Vater vielleicht ein schlechter Mensch war, muss ich keiner sein. Wir können selbst entscheiden, wer wir sind, Umbra. Und ich«, – der Großkönig bückte sich und ergriff den Eimer, den ich zuvor am Boden abgestellt hatte –, »möchte Dorian sein, ein Freund, dein Freund, wenn du mich lässt.«
Mit diesen Worten wandte er sich von mir ab und trug den Eimer den Dienerinnen ins Bad nach. Mit offenem Mund schaute ich ihm hinterher. Und kaum hörte ich, wie er das Wasser in eine Wanne goss, war es, als hätte er damit gleichzeitig die Flammen des Zornes in meinem Inneren gelöscht.
Nachdem sich der Großkönig verabschiedet hatte, bat ich auch die Zofen, zu gehen. Anschließend entkleidete ich mich und stieg in das dampfende Wasser, das sich sofort dunkel färbte. Ich war nackt bis auf das Grausilber, das sich noch immer um meine Handgelenke schmiegte.
Die Mädchen hatten mir Seifen, Salze, Öle und alle möglichen Zusätze an den Rand der Wanne gestellt. Fasziniert roch ich daran. Mir wurde fast schwindlig von den vielen blumigen Gerüchen. Aber auch frische Düfte waren dabei. In einem länglichen Gefäß glaubte ich den Limettengeruch zu erkennen, den Dorian soeben verströmt hatte. Neugierig schraubte ich noch drei weitere Flaschen auf und entschied mich schließlich für ein Öl, das mich an den Duft von Kokosmilch erinnerte.
Mit einem Schwamm rieb ich mir über Schultern, Arme und Beine, wusch mir den Schmutz der letzten Wochen vom Körper. In Vankila hatte ich selten baden dürfen. Und wenn, dann in einem rauen Fass mit eiskaltem Wasser.
Mein Haar schäumte ich mit einer Seife ein, die vom Geruch her ebenfalls an Kokos erinnerte.
Und plötzlich stiegen mir Tränen in die Augen. Nicht, weil das Wasser zu heiß oder die Düfte zu intensiv gewesen wären. Mit einem Mal fühlte ich mich überwältigt und verloren.
Ich dachte an Tebea, das Faunmädchen, und an Dorian, den Großkönig. Sollte ich sie hassen? Ihnen die Schuld an der Ermordung meiner Mutter geben? Sie für ihr Blut zur Rechenschaft ziehen?
Ich schluckte. Nein. »Wir können selbst entscheiden, wer wir sind«, hatte der König gesagt. Worte, die mich irgendwie an jene meiner Mutter erinnerten …
Du bist nicht böse.
Du verdienst Respekt.
Du darfst Fragen stellen.
Du bist es wert, geliebt zu werden.
Tief ausatmend blinzelte ich meine Sorgen fort. Das Wasser war inzwischen eiskalt geworden. Ich stieg aus der Wanne und band das für mich zurechtgelegte Badetuch mit einem behelfsmäßigen Knoten über meiner Brust fest. Nachdem ich mir mit einem zweiten das Haar trocken gerubbelt hatte, schlich ich hinüber in mein Gemach.
Der Geruch von Moos lag in der Luft.
»Tebea?«, fragte ich daher, kaum dass ich eingetreten war.
Tatsächlich saß das Faunmädchen im altrosa Sessel, zeigte auf einen Berg an Kleidung auf einer Kommode und sagte: »Schau, was ich dir herausgesucht habe!«
Schon beim Näherkommen fiel mir auf, dass die Stoffe aus robustem Material waren. Ich griff nach der dunklen Hose, die an den Seiten mit Bändern verschnürt war. Auch gegen die weiße Bluse und das dazugehörige tannengrüne Korsett konnte ich nichts einwenden. Passende braune Lederstiefel hatte mir Tebea auch zurechtgestellt.
»Zieh sie an!«, forderte sie mich da auch schon auf, schritt hinüber zu der Kommode und zog einen Paravent vor, der bisher zusammengeklappt an der Wand gelehnt hatte. Da auch dieser Sichtschutz weiße und altrosa Muster sein Eigen nannte, hatte er sich vor mir wie ein Chamäleon getarnt.
»Gut«, wisperte ich, trat dahinter und zog mich um. Überraschenderweise passte mir die Kleidung wie angegossen.
»Sind das deine Sachen?«, fragte ich scheu, zurrte die Bänder der Korsage an der Brust zurecht und trat hinter dem Paravent vor.
In Tebeas Gesicht lag ein Ausdruck, den ich nicht so recht zu deuten wusste. War es Traurigkeit? Bitterkeit?
»Sie gehörten Raffaela«, erklärte sie.
Einer Toten! Ich trug das Gewand einer Toten! Eben hatte ich mich noch wohlgefühlt, jetzt bekam ich eine Gänsehaut. Ich schluckte, strich bedächtig über den leichten Blusenstoff an meinen Armen.
Als ich wieder aufsah, merkte ich, dass sich Tebea bemühte, ihre Schwermut zu überspielen. Doch das Lächeln ihrer mit blauer Farbe geschminkten Lippen erreichte ihre Augen nicht.
»Es ist gut, dass dir ihre Gewänder passen. So brauchst du nicht warten bis wir für dich eine eigene Garderobe anfertigen lassen können«, meinte sie. »Außerdem wäre es schade um die vielen wunderhübschen Sachen.«
Ich nickte nur, wusste nicht was ich sonst sagen oder tun sollte.
Um nicht verloren herumzustehen, schritt ich hinüber zum Spiegel. Ich betrachtete mein fahles Gesicht und mein braunes Haar, das einem regennassen Vogelnest glich. Der Schmutz war aber immerhin fort.
»Hier findest du alles, was du brauchst«, sagte Tebea da und zog die oberste Kommodenlade neben dem Paravent auf.
Ich schaute zu ihr und studierte die geordneten Schminkutensilien im Inneren der Lade.
»Gehörte das auch …«
»Jetzt ist es dein«, unterbrach mich das Faunmädchen. Wohl, um nicht abermals ihren Namen hören zu müssen. Tebea und Raffaela – die »gute« Hexe – waren sicherlich Freundinnen gewesen. Vielleicht würde ich sie später einmal danach fragen.
Da mein Haar dringend unter Kontrolle gebracht werden musste, langte ich nach der Bürste und machte mich an die Arbeit. Tebea schaute mir zu, bewunderte meine »seidigen Strähnen«, die ich eben noch ein Vogelnest genannt hatte. Es war leicht, das verspielte Faunmädchen ins Herz zu schließen.
Kaum merkte sie, dass ich mein Haar zu einem hohen Zopf zusammenfasste, kramte sie in einer anderen Schublade nach einem Band.
»Wundervoll«, kommentierte sie anschließend mein Ergebnis. Zugegeben, Raffaelas Kleidung stand mir und meine Frisur sah passabel aus.
Mein Blick fiel auf die magischen Grausilberarmreifen, die Handschellen an meinen Gelenken, die wie glänzender Schmuck aussahen.
»Keine Sorge«, meinte Tebea da und griff nach meiner Hand. »Dorian wird sie dir gleich abnehmen.«
***
Ich folgte Tebea, die mich durch die Gänge von Schloss Silberstein lotste. Dabei hatte ich Mühe, mit ihrem Tempo mitzuhalten. Nicht, weil ich langsam lief, sondern weil ich all die Eindrücke um mich herum wahrnehmen wollte, die mir beim Schleppen des Eimers zuvor entgangen waren.
Der rote Teppichboden unter meinen Lederstiefeln verschluckte meine Schritte, sodass Tebea in diesem Gang nicht merken würde, wenn ich plötzlich nicht mehr hinter ihr war. Ohne stehen zu bleiben legte ich den Kopf in den Nacken. Florale Verzierungen in den Farben Rot, Grün und Silber schlängelten sich als Stuckmuster an der Decke entlang und in regelmäßigen Abständen passierten wir Säulen. An Fenstern kamen wir zu meinem Bedauern nicht vorbei, dabei brannte ich darauf, mehr von Panahas Landschaft wiederzusehen. Winzige Kristalle erhellten die Gänge. Lichtsteine, wie ich inzwischen wusste.
Ich rechnete damit, dass mich Tebea in den Thronsaal oder einen Besprechungsraum bringen würde. Jedenfalls stiegen wir so viele Steintreppen hinab, dass ich irgendwann zu zählen aufhörte.
Umso entspannter waren dann meine Gesichtszüge, als uns zwei menschliche Wachposten eine breite Flügeltür aus silbrig-weißem Stein öffneten und ich nach draußen, ins Freie trat.
Eine sanfte Brise schlug mir entgegen und das bereits bekannte Kreischen der Möwen drang an mein Ohr. Wir befanden uns auf einer gepflasterten Terrasse direkt an der Klippe des Felsens. Ich konnte das Meer einige Meter unter uns gegen den Felsen schlagen hören. Es war fast so, als würde es mehr Raum für sich fordern, die Welt erobern wollen.
Am Goldgeländer stand ein mir abgewandter Mann in aufrechter Haltung, die Arme am Rücken verschränkt. Er blickte zur See hinaus, das schulterlange weizenblonde Haar wehte im Wind. Seine Oberbekleidung war aus silbern glänzenden Stoffen gemacht und die dunkle Hose verschwand in Lederstiefeln, die den meinen ähnlich waren.
Tebea trat an ihn heran und bedeutete mir, ein paar Schritte entfernt zu warten. »Dorian?«
Ich hielt die Luft an, als sich der König zu uns umdrehte. Zuvor waren mir die dunkelblauen Augenringe in seinem blassen Gesicht gar nicht aufgefallen.
Der Großkönig bedachte erst seine Halbschwester. Seine Stirn lag in tiefen Sorgenfalten. Kaum aber wanderte sein Blick zu mir, umspielte ein ehrlich wirkendes Lächeln seine Lippen.
»Umbra«, sagte er.
Umbra … wie liebevoll mein Name mit seiner weichen Stimme klingt!
»Du siehst erholt aus. Hast du dein Bad genossen?«
»Sehr«, erwiderte ich zaghaft lächelnd und trat neben ihn, um über das Goldgeländer schauen zu können. Wie erwartet donnerten ein paar Meter unter uns die Wellen gegen den Felsen. Das Wasser klatschte mit einer solchen Wucht gegen den Stein, dass es nach oben spritzte, wieder nach unten fiel und sich in Schaum verwandelte. Kaum löste sich das letzte Schaumkrönchen knisternd auf, rollte die nächste Welle heran.
Ich hätte ewig zusehen können.
Dorian stand seitlich zum Geländer. Ich spürte seinen Blick auf mir, aber ich wollte mich nicht zu ihm wenden, denn ich fürchtete, Erwartungen in seiner Miene zu lesen, die ich nicht würde erfüllen können. Tebea und er wollten eine furchtlose Magierin, dabei war ich bloß eine verstörte Hexe. Ich war eine Hexe, die nicht einmal wusste, wie ihre Kräfte funktionierten.
Ich löste den Blick vom Meer und schaute zu Dorian. Tebea war inzwischen verschwunden. Kurz wünschte ich, sie hätte uns nicht allein gelassen.
»Ich habe unendlich viele Fragen«, platzte es da aus mir heraus.
Dorian schmunzelte. »Dann beginne bei der ersten.« Sofort fielen mir die süßen Grübchen auf, die ihm trotz seines müde wirkenden Gesichts einen Hauch von Fröhlichkeit verliehen.
Um ehrlich zu sein, wusste ich gar nicht, wo ich anfangen sollte. Es gab so Vieles, das ich in den letzten zehn Jahren verpasst hatte. Dinge über unsere Welt, die ich hätte lernen können und lernen wollen!
Tebea hatte zum Beispiel von Heilern gesprochen. Konnte ich ebenfalls heilen? Oder wo lebten die Sirenen, die mit ihrem Gesang töten konnten? Wo lag dieses Magdásos, das die Heimat von Tebeas Mutter war? Existierte meine einstige Heimat noch und …
Ein Lachen rüttelte mich wach. Es klang hell und amüsiert, was so gar nicht zu seinen dunklen Augenringen und der aschfahlen Gesichtsfarbe passte.
»Du weißt nicht, wo du beginnen sollst, richtig?«
Ich nickte nachdenklich. Überhaupt löste das Wort »Beginn« etwas in mir aus. Denn wieder dachte ich daran, dass ich kaum Erinnerungen an die Zeit vor meiner Gefangennahme hatte. Auch das war einer der Gründe gewesen, warum ich in Vankila beinahe dem Wahnsinn verfallen wäre. Hatte ich wesentliche Geschehnisse aus der Vergangenheit verdrängt? Ich wusste nur, dass ich in einfachen Verhältnissen aufgewachsen war. Genau wie die anderen Einwohner des Bergdorfes Trago besaßen meine Mutter und ich nicht viel, doch das kleine Häuschen und die Wiese mit den Bergziegen reichten uns. Unter der Woche besuchte ich mit den anderen Kindern die Schule, in der wir Lesen, Schreiben und Rechnen lernten. Meine Mutter arbeitete zusammen mit den meisten Männern und Frauen des Dorfes in der Silbermine. Ihre Hexenkraft war dafür äußerst nützlich, da sie das Gestein schneller und präziser als jedes Werkzeug sprengen konnte.
»Alle sprechen von meiner Mutter, der Hexe Saradis«, setzte ich da zaghaft an, »aber wer ist eigentlich mein Vater? Lebt er noch?«
Dorian seufzte. »Eine Frage, deren Antwort auch mein Vater nicht aus Saradis herausholen konnte.«
Herausholen. Ich schluckte schwer und spürte, dass sich mein Magen krampfhaft zusammenzog.
»Ihr habt sie gefoltert«, zischte ich bitter.
Das war keine Frage gewesen. Und dass Dorian das auch wusste, sah ich in seinem kummervollen Blick.
»Verzeih mir«, sagte Dorian da und schaute mir tief in die Augen. »Ich war ein Kind, zu jung, um meinen Vater infrage zu stellen. Aber jetzt ist es Zeit«, – er griff in die Tasche seines Silbergewands –, »dir die hier abzunehmen.«
Das Klimpern von Schlüsseln ließ mich nach Luft schnappen. Gleich darauf streckte der König seine Arme aus. »Gib mir deine Hand.«
Ein Teil von mir konnte es gar nicht erwarten, endlich diese Silberfesseln los zu werden. Der andere Teil erinnerte mich daran, dass ich mit meiner Hexenkraft noch nicht umzugehen wusste und das magische Grausilber ein wichtiger Schutz war.
Außerdem hatten mich diese Ketten zehn Jahre lang begleitet. Sie waren mir zwar verhasst, doch irgendwie ein Teil von mir.
Ich holte tief Luft und streckte Dorian meine Handgelenke entgegen. Im Nu schloss er einen Ring auf, infolgedessen auch der zweite mit einem »Klick« aufsprang. Er griff nach den Armreifen und verstaute sie zusammen mit dem Schlüssel in seiner Hosentasche.
Ich verharrte in der Position, rechnete damit, dass jeden Augenblick Funken oder Blitze hervorkommen konnten. Erst nach drei festen Herzschlägen atmete ich erleichtert aus und senkte meine Arme.
Da schnellte Dorians Hand hervor. »Warte.«
Er umschlang meine Linke. Mit großen Augen sah ich zu, wie er eine weiße Creme rund um das geschwollene Handgelenk verteilte.
»Weißbuschkraut«, erklärte er. »Grausilber sollte nicht zu lange auf der Haut getragen werden.«
»Sind zehn Jahre zu lang?«
»Eigentlich nur wenige Stunden«, ergänzte Dorian. Er klang deprimiert. »Ein Glück, dass deine Kräfte wohl inaktiv waren. Es scheint, als hätten sie in all der Zeit geschlafen und nichts von dem Magiegift in den Armreifen gespürt. Ansonsten wäre deine Haut …«
Er brach ab.
Ich runzelte die Stirn, reichte Dorian auch bereitwillig die andere Hand, als er darauf zeigte. Was er tat, fühlte sich gut an, denn die Salbe zog schnell ein und kühlte die strapazierten Stellen. Dennoch war es seltsam, so von einem fast Fremden berührt zu werden. Verlegen stieg ich von einem Bein auf das andere.
»Nun denn«, sagte Dorian, kaum dass die Prozedur vorüber war. »Dann lass uns sehen, was in dir steckt.«
Seine grauen Augen ruhten erwartungsvoll auf mir. Das Gekreische der Möwen erhöhte den Druck.
»Gut«, machte ich und holte tief Luft. Anschließend drehte ich mich zum Meer, um meine … was auch immer gleich hervorkommen würde, dort hinauszuschicken.
Mutters Magie war ein weißer Lichtschleier gewesen, die Zauberkraft der damaligen »guten« Hexe – Raffaelas Mutter –laut Erzählungen ein gelber Funkenregen. Gleich würde sich meine offenbaren, denn die silbrigen Strahlen, die ich als Kind einst fabriziert hatte, konnten sich im Laufe der Jahre gut und gerne in etwas völlig anderes verwandelt haben.
Ich streckte meine Arme aus, starrte auf meine Hände.
Aber nichts passierte.
Meine Augen zu Schlitzen zusammengekniffen, richtete ich alle Konzentration auf die Magie, die irgendwo in mir schlummerte.
»Bitte«, sagte ich laut. »Zeige dich!«
Es war ein Befehl.
Aber die Kräfte in mir ließen sich nichts befehlen.
Schweiß brach mir aus, ich fühlte ihn auf der Stirn und in meinen Händen. Ich knirschte mit den Zähnen, wollte es so sehr! Wollte das Unrecht meiner Mutter sühnen. Wollte die Heldin sein, die Tebea und Dorian brauchten.
Aber das war ich nicht. Ich war nur eine kümmerlich schwache »böse« Hexe. Meine Finger zitterten.
Raffaela war die Heldin, die »Gute«, gewesen. Jene verstorbene Magierin, deren Gewänder ich nun am Leib trug. Aber Kleider machten nun mal keine Leute. Ich musste selbst zeigen, was in mir steckte.
Langsam aber glaubte ich, dass in mir lediglich gähnende Leere herrschte: nichts Gutes, nichts Böses, nur Leere.
Wieder traten Tränen in meine Augen. Ich war enttäuscht und frustriert, hatte erwartet, meine Hexenkraft nicht im Zaum halten zu können. Stattdessen war sie weg. Sie war wohl über die Jahre hin verkümmert. Wie ein Ast, der kein Wasser aus dem Stamm hatte ziehen können, hatte die Magie aus meinem kraftlosen Körper und verzweifeltem Geist nichts holen können. Sie war tot, wie meine Mutter.
»Nein«, schrie ich zum Meer hinaus und ließ meine Hände sinken.
»Es tut mir leid«, zischte ich dann, mich mit einem Ruck dem König zuwendend, »meine Magie ist tot. Ich bin nutzlos.«
Mein Atem ging schnell, unrhythmisch. Ich verstand selbst nicht, warum ich mich plötzlich so in diese Sache hineinsteigerte. Eigentlich sollte ich froh darüber sein, nicht den Erwartungen zu entsprechen, vielleicht durfte ich dann meine Tage irgendwo in Frieden ausleben, ohne je wieder einen Gedanken an »Gut« oder »Böse« verschwenden zu müssen.
Das Zucken meiner Schultern wurde langsamer, auch mein Herzschlag mäßigte sich. Es waren Dorians graue Augen, die eine beruhigende Wirkung auf mich hatten.
»Danke«, sagte er da.
Ich stieß ein deprimiertes Schnauben aus. »Wofür?«
»Dafür, dass du es versuchst«, erklärte er ruhig. »Dass du willens bist, eine Welt zu beschenken, die dir zehn Jahre geraubt hat.«
»Nicht die Welt hat mich beraubt«, erinnerte ich Dorian. »Und ich würde weitere zehn Jahre geben, wenn ich dafür meine Mutter wiederbekäme.«
»Denkst du oft an sie?«
»Jeden Tag.«
Neue Energie flutete meinen Körper. Prickelnd rauschte sie durch mich hindurch.
»Umbra?«
Wieder klang mein Name so sanft und lieblich, wie eine Zauberformel.
»Sieh’ doch!«
Ich senkte den Blick und schnappte nach Luft.
Funken!
Sofort richtete ich meine Finger wieder zum Meer aus. Hellblaue Blitze zuckten darum herum, gaben sogar ein knisterndes Geräusch von sich. Zusammen mit dem Donnern der Wellen und dem Geschrei der Möwen klang es wie Musik in meinen Ohren.
Ich lachte. Und daraufhin wurde der gleißende Lichtschauer stärker. Einzelne Blitze schossen aufs Wasser hinaus.
Ob ich einen Schlag bekam, wenn ich es mit den Funken berührte?