Badische Blutsbrüder - Ralf Dorweiler - E-Book

Badische Blutsbrüder E-Book

Ralf Dorweiler

4,8

Beschreibung

Rainer Maria Schlaicher braucht Urlaub, aber Geld dafür hat er keines. Da passt es gut, dass in der Kasse eines Luxusreise-Anbieters 100.000 Dollar fehlen und Schlaicher in den USA ermitteln soll. Doch alles kommt anders: Nachdem ein Indianer ein unrühmliches Ende im Grand Canyon findet, geht es wieder zurück nach Südbaden, wo es Kommissar Schlageter mit den Tücken der späten Liebe und Dr. Watson mit einer bissigen Pudeldame zu tun bekommen. Gleichzeitig geht ein Postbote aus Schönau im 'Bermudadreieck' unter und Schlaicher auf die Suche nach einem Mörder, der skrupelloser ist als Billy the Kid.

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Ralf H. Dorweiler, geboren 1973, lebt mit seiner Opern singenden Frau, seinem Sohn, den Bassets Dr. Watson und Peppi und vielen weiteren Tieren seit acht Jahren in einem der südlichsten und wohl auch schönsten Zipfel Deutschlands, dem Wiesental. Er arbeitet als Redakteur für eine Tageszeitung. Im Emons Verlag erschienen »Mord auf Alemannisch«, »Ein Teufel zu viel«, »Schwarzwälder Schinken«, »Badische Blutsbrüder«, »Sauschwobe!«, »Zum Kuckuck!« und »111 Orte im Schwarzwald, die man gesehen haben muss«.

Dieses Buch ist ein Roman. Handlungen und Personen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen sind rein zufällig.

© 2013 Hermann-Josef Emons Verlag Alle Rechte vorbehalten Umschlagzeichnung: Heribert Stragholz Umschlaggestaltung: Tobias Doetsch eBook-Erstellung: CPI – Clausen & Bosse, LeckISBN 978-3-86358-345-3 Der Badische Krimi Originalausgabe

Für meine liebe Mutter Monika Dorweiler

 »Es ist besser, ein Unrecht erleiden,als eins begehen.« 

 Karl May: Winnetou II (Freiburg, 1893) 

Prolog

»Dudüdudüdudüdelidüli.

»Ja, Baby, gib’s mir!«

»Dudüdudüdudüdelidüli.

»Komm schon, komm schon, komm schon!«

»Dudüdudüdudüdelidüli.

Die Welt um Franco Deichsler war nur noch Glitzern, Flackern und Blinken. Ein akustischer Kokon aus piepsenden Fanfaren, dudelnden Melodien und blechernen Tuschen umgab ihn. Mit weit aufgerissenen Augen fixierte er den Monitor, auf dem sich fünf Walzen hypnotisierend drehten. Mit lumpigen hundert Dollar hatte er das Spiel an einem Automaten im Italian Indian Casino begonnen, jetzt standen weit mehr als tausend Dollar im Guthabenfeld. Viva Las Vegas!

Die Lämpchen um das Gerät herum blinkten noch aufgeregter, seit er den vierstelligen Betrag erreicht hatte, wodurch applaudierfreudiges Publikum angelockt worden war. Rund ein Dutzend Männer und Frauen umstanden ihn und seinen Automaten, der die Schätze Ägyptens versprach. Eine zwanzig Jahre jüngere Blondine war ihm seit ein paar Minuten so dicht auf den Pelz gerückt, dass ihr Busen ihn ab und zu berührte. Er spürte, dass der Druck größer wurde, wenn die richtigen Symbole auf dem Monitor auftauchten und sich sein Guthaben mit synthetischen Münzgeräuschen erhöhte. Er ließ es sich gefallen.

Sobald eine der kurzen Spielrunden vorbei war, tippte er wieder auf den Knopf, der so groß war wie eine Zigarettenschachtel und die virtuellen Walzen erneut in Bewegung setzte. Nachdem sicher zehn Spiele hintereinander keinen Gewinn gebracht hatten, ging ein mitleidiges Raunen durch das Publikum, und die Frau klopfte ihm aufmunternd auf die Schulter. Sie ließ ihre Hand dort liegen. Dann brachten drei Mumiensymbole Deichsler in die Schatzkammer des Pharaos. Der Monitor veränderte sich, die Walzen verschwanden und Deichsler wählte eine der drei Türen. Er wusste bereits, dass hinter einer Geld, hinter einer weiteren ein simulierter Einsturz der Pyramide und hinter der dritten eine weitere Tür auf ihn wartete. Die Leute um ihn herum riefen ihm in Englisch Zahlen von eins bis drei zu.

»One! One!«

»Middle door! Two!«

»Number three«, flüsterte ihm die Blondine ins Ohr, wobei ihr Haar seinen Nacken kitzelte. Deichsler entschied sich für die rechte Tür. Sie schwang auf, und erneut bauten sich unter musikalischem Getöse drei Türen vor ihm auf. Er wählte wieder die dritte Tür, während die mystische Musik seine Sinne benebelte, und wieder waren da drei Türen, diesmal in Gold. Jetzt konnte er den ganz großen Schatz finden. Die junge Frau rieb ihm aufgeregt über das T-Shirt, die Rufe des Publikums wurden lauter. Er entschied sich für die erste Tür.

Was jetzt folgte, hatte er noch nicht gesehen: Der Bildschirm zeigte eine Kammer mit zehn Sarkophagen. Als er den zweiten anwählte und mit der großen Taste bestätigte, öffnete sich der steinerne Deckel und eine verzerrt lachende Mumie kam hervor. Verloren, dachte Deichsler, aber dann sagte die Mumie etwas auf Englisch, was er trotz seiner schlechten Sprachkenntnisse verstand: »Ten Jackpot Games!«

Die Menge jubelte, die Blondine hüpfte aufgeregt herum, die tausend Lämpchen blinkten noch aufgeregter, und die Musik des Apparats wurde lauter. Weitere Casinobesucher strömten herbei, während die Grabkammer verschwand und die Walzen wieder auftauchten. Deichsler drückte den Knopf und gewann vierzig Dollar. Er drückte wieder, diesmal waren es zweihundertachtzig Dollar, die seinem Konto gutgeschrieben wurden. Deichsler schwor sich, nach der Bonusrunde aufzuhören. Er wollte sein Glück nicht überstrapazieren. Und die nächsten drei Spiele gaben ihm recht. Nichts, nichts, wieder nichts.

»Come on, come on, come on!«, feuerte die Blondine ihn, den Automaten und die Glücksgöttin Fortuna gleichzeitig an. Er drückte wieder und blickte starr auf die Walzen. Ein liegender schwarzer Schakal, Anubis. Noch ein Anubis, ein dritter, eine Dynamitstange und wieder ein Anubis. Der kurze Moment, den sie unbewegt blieben, kam Deichsler wie eine Ewigkeit vor. Er wollte schon die Taste für ein neues Spiel drücken, als die Dynamitstange explodierte und der ganze Bildschirm gleißend aufleuchtete.

Eine Sekunde war alles still. Sogar das omnipräsente Gebimmel und Rattern der Walzen war verschwunden. Der Kopf des Totengottes tauchte auf dem Bildschirm auf. Er sprach nur ein Wort.

»Jackpot«, dröhnte es aus dem Gerät.

Es brach eine Flut von Schreien los, ein Sturm des Jubels, die Lampen leuchteten alle gleichzeitig, eine gelbe Drehlampe lockte die durchs Casino streifenden Menschen zum Ort der Sensation. Der Lärm war ohrenbetäubend, und dann umschlangen ihn auch noch zwei Arme von der Seite. Drechsler wandte sich um, und schon trafen die pink angemalten Lippen der Blondine seinen Mund. Er hatte nichts dagegen. Jetzt quäkte sie etwas auf Englisch, was er nicht verstand. Genauso wenig verstand er, was hier genau vor sich ging. Die fünfstellige Guthabenanzeige ließ keine Zahlen mehr erkennen, sondern nur noch Sterne. Erst als er sich aus der Umarmung der Frau befreite und sein Blick nach oben ging, sah er dort auf einer Anzeige, die bisher schwarz gewesen war, in blinkenden Ziffern »$ 100.000« leuchten.

Das Chaos um ihn herum schwoll weiter an, wildfremde Leute klopften ihm auf die Schultern, das magische Wort »Jackpot« sauste wie eine Tsunamiwelle durch das ganze Casino und zog Spieler von ihren Automaten fort. Viele rannten herbei, um sich den Glücklichen anzusehen. Ganz nahe bei Deichsler stand noch immer die Blondine, die gerade ihren Busen, der in einem engen, im gleichen Pink wie ihr Lippenstift gehaltenen T-Shirt steckte, zurechtrückte. Deichsler wandte den Blick schnell von den handballprallen Brüsten der Frau ab. Er sah einen Indianer in einem schwarzen Anzug und mit weißem Hemd, der sich einen Weg durch die aufgeregten Leute bahnte. Der Mann trug trotz des gedimmten Lichts eine Sonnenbrille und hatte, wie Deichsler an einem Kabel erkannte, das in seinem Hemd verschwand, einen Knopf im Ohr. Am Anzug war ein Schild angebracht, dass ihn als Nohome Parker, Security Officer des Italian Indian Casino, auswies.

»Excuse me«, sagte der für seinen breiten Körperbau erstaunlich kleine Mann und drängte sich durch die Menge bis zu Deichsler vor, der, immer noch überrollt von den Ereignissen, auf seinem einbeinigen, drehbaren Lederstuhl saß.

»Congratulations, Sir«, sagte der Mann ohne jede Freundlichkeit. »May I ask you to follow me?«

»Äh«, antwortete Deichsler.

»Please follow me, Sir«, wiederholte der Indianer. Deichsler kannte die Worte aus Filmen. »Folgen Sie mir«, sollte das heißen.

»Yes«, antwortete er und stand auf, während sich die Blondine bei ihm unterhakte und mit ihrer quäkenden Stimme aufgedreht auf den Sicherheitsmann einredete. Deichsler verstand ihr Gespräch nicht, sah aber einen zweiten Indianer, ebenfalls mit dem Anzug des Casinos bekleidet, durch die Menge kommen, die sich am Rand bereits wieder auflöste. Die Leute setzten sich an die umstehenden Apparate und hofften, mit der richtigen Taktik ebenfalls Glück zu haben.

»Oh honey«, säuselte die Blondine und ließ ihn wieder los, »don’t forget your card!« Damit zog sie die Kreditkarte des Casinos, die Deichsler zu Beginn aufgeladen hatte, aus dem Schlitz des nun wieder stillen Automaten. Mit einem bezaubernden Lächeln reichte sie ihm die Karte.

»Married!«, sagte Deichsler, um der Frau klarzumachen, dass er verheiratet war. Aber sie sagte nur: »Yes, honey, let’s go« und strahlte ihn wieder an. Die beiden Sicherheitskräfte nahmen sie in die Mitte und führten sie an den einarmigen Banditen und den Black-Jack-Tischen vorbei zu einer Tür, die von einem weiteren Kollegen bewacht wurde. Sein langes schwarzes Haar, das zu einem Zopf gebunden war, hing seidig über das Jackett.

Fünf Minuten später war Deichsler froh, die junge Frau bei sich zu haben. Sie saßen einer indianischen Frau mit sehr mütterlichem Körperbau gegenüber. Der Raum war in amerikanischem Chic mit Holz vertäfelt, das wie Plastik aussah. Der Schreibtisch der Frau, auf deren Namensschild »Ireen Hunter« stand, wurde von zwei Flachbildmonitoren dominiert. Die Managerin des Casinos redete auf sie ein, während sie immer wieder ihren Blick auf die Monitore schweifen ließ. Die beiden Sicherheitskräfte hatten neben der Tür Stellung bezogen.

Tanny, wie die Blondine hieß, konnte ein paar Brocken Deutsch. Genug, um ihm zu erklären, dass die Schichtleiterin des Casinos ihm gratulierte und ihn zum Weiterspielen aufforderte. »Black Jack«, sagte sie immer wieder. Aber Deichsler hatte genug. Sowohl genug gewonnen als auch genug von der Aufregung. Sein Herz meldete sich, nicht mit den Sprüngen, die er sich gewünscht hätte, sondern mit den leichten Krämpfen, die er seit ein paar Monaten bekam, wenn die Aufregung zu viel wurde. Er schwor sich, nach der Reise endlich mit Dr.Sebarth zu reden.

»Sie sagen, Chance good mit Black Jack«, dolmetschte Tanny.

»No«, antwortete Deichsler zuerst in ihre Richtung, dann ein zweites Mal zu Ireen Hunter, die an seinem Tonfall hörte, dass es ihm ernst war.

»Okay«, sagte die Managerin und lächelte zum ersten Mal.

»Männer für Security«, sagte Tanny, als Deichsler besorgt die beiden Männer betrachtete, die das Büro mit ihnen verließen.

Draußen war wieder alles normal. Einsame alte Damen fütterten statt Tauben einarmige Banditen. Ein junger Kerl, der sich so schlaksig bewegte, dass es aussah, als habe er keinen einzigen Knochen im Leib, schob einen Kaffeewagen vor sich her und versuchte, die Damen mit dem schwarzen Gebräu zu beglücken. Manche Spieler bedienten zwei oder mehr Automaten gleichzeitig. Überall blinkte es, und Deichsler fragte sich, wie er dermaßen in einen Rausch hatte verfallen können.

Obwohl eine kleine Schlange von Glücksrittern am »Käfig«, einem vergitterten Bereich mitten im Casino, darauf wartete, ihre Gewinne abzuholen oder die Geldkarten wieder aufladen zu lassen, führten die beiden Sicherheitskräfte Deichsler und Tanny direkt nach vorne. Deichsler reichte das scheckkartengroße Ding durch einen Schlitz. Ein grimmig blickender Mann zog die Karte durch ein Lesegerät, und auf dem Display stand wieder die magische Zahl: »$ 100.000«. Tanny quiekte entzückt und hüpfte einmal auf und ab, begeisterte Worte sprudelten aus ihr heraus. Deichsler verstand nur »celebrate!«. Feiern.

EINS

Eigentlich war es ziemlich sinnlos, den Wüstensand, den der Wind aus dem Süden bis ins badische Wiesental trug, von den schrägen Dachfenstern zu putzen. Nur eine halbe Stunde später würde wieder eine Schicht feinsten Staubs auf den Scheiben liegen. Aber immerhin hatte Schlaicher so etwas zu tun. Wobei körperliche Arbeit, und dazu zählte er auch das Fensterputzen, bei der momentan herrschenden Hitze eine enorm schweißtreibende Angelegenheit war. Nachdem schon die Nacht kaum Abkühlung gebracht hatte, brannte die Sonne seit dem Morgen unerbittlich auf Maulburg, das Wiesental und ganz Baden-Württemberg herunter. Schon das Hochtragen des Wassereimers auf die Galerie brachte den Schweißfilm auf Schlaichers Stirn dazu, kleine Rinnsale zu bilden. Mit dem Ärmel seines T-Shirts wischte er sich den Schweiß ab, bevor er den Fensterwischer in das kalte Wasser tunkte, in dem vom Putzmittel bunt schillernde Bläschen schwammen.

Hinter ihm schnaufte Dr.Watson. Der dreiunddreißig Kilogramm schwere Basset hatte es nicht leicht bei diesem Wetter. Sein Fell, das für seinen Körper sowieso überdimensioniert war, wirkte wie ein Pelzmantel, den Schlaicher bei diesen Temperaturen nicht gerne tragen würde. Dem Hund blieb nichts anderes übrig, als in beständiger Regelmäßigkeit seinen Liegeplatz zu wechseln. Am beliebtesten war im Moment die Küche, wo die Fliesen wenigstens etwas Kühle boten. Jetzt lag er auf dem Laminat der Galerie, weil er trotz Hitze bei seinem Herrchen sein wollte. Schlaicher hatte ein Küchenhandtuch nass gemacht und es Dr.Watson zur Abkühlung über das Fell gelegt.

Am Fenster konnte Schlaicher über das Dach die andere Straßenseite und die Scheune seines Nachbarn Erwin Trefzer sehen. Wie so oft stand der Rentner vor seiner Scheune, dieses Mal hatte er ein tragbares Telefon am Ohr und sprach aufgeregt hinein.

Schlaicher drehte die Scheibe, um die Außenseite einseifen zu können. Er war nicht kleinlich mit dem Einsatz von Wasser, das unterhalb des Fensters schon eine Pfütze bildete. Das kalte Putzwasser fühlte sich gut an seinen nackten Füßen an. Mit dem Abzieher wischte er die Scheibe trocken, merkte aber schnell, dass immer mehr Wasser vom Glas auf den Fußboden lief. Er brauchte ein Tuch. Schlaicher ließ das Dachfenster in eine waagerechte Position gleiten und schaute sich um. Er wollte nicht extra nach unten, darum angelte er sich das Küchentuch von Dr.Watsons Rücken und hielt es an die Unterseite des Rahmens, bevor er das Fenster wieder kippte und weiterputzte.

»Rainer!«, schrie Trefzer über die Straße nach oben. »Solli, Rainer!«

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