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Dada, Antidada, Phantasten und Wunderdilettanten, sowohl miteinander verbundene als auch gegeneinander kämpfende Polemiker. Dieser Band versammelt klassische Texte Hugo Balls, Carl Einsteins und Ludwig Rubiners aus dem frühen 20. Jahrhundert, Zeit der ungeliebten Moderne, nach wie vor Phantasie und Geist aufrührend, die Vorstellungskraft inspirierend!
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Seitenzahl: 195
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Dada, Antidada, Phantasten und Wunderdilettanten, sowohl miteinander verbundene als auch gegeneinander kämpfende Polemiker. Dieser Band versammelt klassische Texte Hugo Balls, Carl Einsteins und Ludwig Rubiners aus dem frühen 20. Jahrhundert, Zeit der ungeliebten Moderne, nach wie vor Phantasie und Geist aufrührend, die Vorstellungskraft inspirierend!
Hugo Ball,
* 22. Februar 1886, Pirmasens - † 14. September 1927, Sant’Abbondio-Gentilino/Schweiz; Schriftsteller, Biograf, Mitbegründer der Dada-Bewegung, Pionier des Lautgedichts; detaillierter Lebenslauf, siehe Nachwort des Herausgebers, S. →.
Carl Einstein,
* 26. April 1885, Neuwied - † 5. Juli 1940, bei Pau / Frankreich; Kunsthistoriker, Anarchist, Kritiker, Schriftsteller; detaillierter Lebenslauf, siehe Nachwort des Herausgebers, S. →.
Ludwig Rubiner,
* 12. Juli 1881 in Berlin - † 27. Februar 1920, Berlin; Dichter, Literaturkritiker, Essayist des Expressionismus, mit seinen Kriminalsonetten (1913) Vorläufer des Dadaismus; detaillierter Lebenslauf, siehe Nachwort des Herausgebers, S. →.
Joerg K. Sommermeyer (JS), geb. am 14.10.1947 in Brackenheim/Heilbronn, 4. Kind des Physikers Prof. Dr. Kurt Hans Sommermeyer (1906-1969, Physikalische Grundlagen der Medizin, Biophysik, Radiologie, Quantenbiologie, Korpuskularstrahlung; auch bekannt wegen seiner abenteuerlichen Schleichfahrt mit U-537 im September/Oktober 1943 nach Nordamerika und der Aufstellung einer Wetterstation in Labrador). Kindheit in Freiburg i. Brsg. Studierte Jura, Philosophie, Germanistik, Geschichte und Musikwissenschaft. Klassische Gitarre bei Viktor v. Hasselmann und Anton Stingl. Unterrichtete in den späten Sechzigern Gitarre am Kindergärtnerinnen-/Jugendleiterinnenseminar und in den Achtzigern Rechtsanwaltsgehilfinnen in spe an der Max-Weber-Schule in Freiburg. 1976 bis 2004 Rechtsanwalt in Freiburg. Setzte sich für eine Verstärkung des Rechtsschutzes bei Grundrechtseingriffen ein (Unterbringungsrecht, vgl. Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 7.10.1981, BVerfGE 58, 208; Durchsuchungsrecht, strafprozessuale Überholung, u. a., vgl. BVerfGE 96,27; BVerfGE 96,44; BGHSt 44, 265). Zahlreiche Veröffentlichungen in juristischen Fachzeitschriften sowie Artikel in Musikblättern. Gründer und Vorsitzender der Internationalen Gitarristischen Vereinigung (1981-1988), Organisator und Künstlerischer Leiter der Freiburger Gitarren- und Lautentage, Herausgeber und Redakteur der Zeitschrift „Nova Giulianiad – Saitenblätter für die Gitarre und Laute“ (1983 ff.). Juror beim Schlesischen Gitarrenherbst in Tychy (Polen) 1988 und Internationalen Gitarrenkongress Freiburg/Basel/Straßburg 1987. Komponierte Songs, schrieb Liedtexte, u. a.: Immer Wieder, Schicke Kleinigkeiten, In Meinem Kopf Zuhaus, Weiss Nicht, Abschied. Arrangements, u. a.: El Noy De La Mare, Greensleeves, What Shall We Do With The Drunken Sailor, Saint James Infirmary, Sometimes I Feel Like A Motherless Child, Streets of Laredo, Carrickfergus. Instrumentalmusik, u. a.: Berlin Autum, Sunday Evening, Escape In The Land Of Mordor or Frodo And The Orks, Rocking Bachs Bourrée. Etliche CDs, u. a.: “Total Overdrive”, “Those Rocks & Lieders”, “Nel Cuore Romanzo Rock”, „Ergo”. Herausgabe des Lyrikbandes „Leben Will Ich“ von Josefa Gerhäuser (2002). "Anton Unbekannt, Pathoaphysischer Antiroman, Tragigroteskenfragment" (2008/2009). Edition der Abenteuererzählung „Nikunthas, König der Miami“ von Franz Treller in der Bearbeitung durch Georg J. Feurig-Sorgenfrei (2009/2010).
Orlando Syrg, Berlin, 11. Mai 2017
Über dieses Buch
Die Autoren
Der Herausgeber
Hugo Ball: Tenderenda der Phantast
O vous, messeigneurs et mes dames
Der Aufstieg des Sehers
Das Karussellpferd Johann
Der Untergang des Machetanz
Die roten Himmel
Satanopolis
Grand Hotel Metaphysik
Bulbos Gebet und der Dichter
Hymnus 1
Hymnus 2
Der Verwesungsdirigent
jolifanto bambla
Hymnus 3
Laurentius Tenderenda
baubo sbugi ninga
Herr und Frau Goldkopf
Sieben Ball (abundzu)gaben des Herausgebers
Der Henker
Dadaistisches Manifest
Wolken
Totenklage
Gadji beri bimba
Der Literat
Epitaph
Carl Einstein: Bebuquin oder Die Dilettanten des Wunders
Erstes Kapitel
Zweites Kapitel
Drittes Kapitel
Viertes Kapitel
Fünftes Kapitel
Sechstes Kapitel
Siebentes Kapitel
Achtes Kapitel
Neuntes Kapitel
Zehntes Kapitel
Elftes Kapitel
Zwölftes Kapitel
Dreizehntes Kapitel
Vierzehntes Kapitel
Fünfzehntes Kapitel
Sechzehntes Kapitel
Siebzehntes Kapitel
Achtzehntes Kapitel
Neunzehntes Kapitel
Ludwig Rubiner: Gedichte, Kritiken, Manifeste
Die Stadt
Geburt
Das Licht
Die feindliche Erde
Sieg der Trägheit
Die Ankunft
Eine Botschaft
Die Anonymen
Der Dichter greift in die Politik
Brief an einen Aufrührer
Zwei Feststellungen
Ursprache
Die zweite Erde
Organ
Nachwort des Herausgebers
Das freundliche Tier
O vous, messeigneurs et mes dames
Qui contemplez ceste painture,
Plaise vous prier pour les âmes
De ceulx qui sont en sepulture.
Saint Bernard
Man findet sich in die Aufregungen einer imaginären Stadt versetzt. Ein neuer Gott wird erwartet. Donnerkopf (der im Roman nicht weiter hervortritt) hat seinen Wohnsitz auf einen Turm verlegt und gibt von dort buntscheckige Bulletins aus, die über den Fortgang der Angelegenheit unterrichten sollen. Ein lauer Abend bricht an. Auftreten eines Scharlatans, der auf dem Marktplatz eine Himmelfahrt in Aussicht stellt. Er hat sich dazu eine eigene Theorie ausgedacht, die er weitläufig vorträgt. Scheitert jedoch an der Skepsis des Publikums. Was das für Folgen hat.
An diesem Tage war Donnerkopf verhindert, dem Festakte beizuwohnen. Siehe er saß vor Atlanten und Zirkeln und kündete Weisheit der oberen Sphären. Lange Papyrusrollen ließ er, mit Zeichen und Tieren bemalt, vom Turme herab und warnte damit das Volk, das unter den Nestern stand, vor den kreischenden Scharen der Engel, die wütend den Turm umflogen. Jemand aber trug an diesem Tage an langer Stange ein Schild durch die Stadt, darauf stand:
Talita kumi, Mägdlein steh auf;
Du bist es, du wirst es sein.
Gossentochter, Jubelmutter,
Die Erhangenen und die Verbannten,
Die Gefangenen und die Verbrannten
Rufen nach dir.
Befreie, o benedeie,
Du Unbekannte,
Tritt herfür!
Mit Fasten und Purgativen bereitete sich die Stadt auf eines neuen Gottes Erscheinen vor, und tauchten schon aus der Menge etliche auf, die im Gedränge Ihm wollten begegnet sein. Eine Warnung ward ausgegeben, besagend, dass, wer die Glockenräder und Lumpentürme besichtige oder betrete und ohne Ermächtigung abgefasst würde, bei lebendem Leibe solle des Todes sein. Frisch aufgeblasen ward der Kausalnexus und sichtbar vor aller Blicke den heiligen Spinnen zum Fraß ausgesetzt. Mit Klappern und Dudelsäcken bewegten sich händeringend die Bitt- und Kaffeeprozessionen der Künstlerschaft und der Gelehrten. Aus allen Lüften und Luken aber hingen die Wasserzeichen und ragten die gläsernen Spritzen. Da, über den Marktplatz, wie auf Verabredung, schritt violetten Gesichtes der Seher, gebot den lachenden Häusern, den Sternen, dem Mond und der Menge und sprach:
»Zitronengelb stehen die Himmel. Zitronengelb stehen die Felder der Seele. Den Kopf haben wir schief zur Erde geneigt und die Ohren weit aufgetan. Die Schürzen und Kutten haben wir ausgespannt und der Rücken aus Knallporzellan blinkt im Gefüge.
Wahrlich ich sage euch: meine Demut gehet nicht euch an, sondern GOTT. Jeder suchet ein Glück, für das er nicht ausreicht. Keiner hat Feinde, so viele er haben kann. Eine Schimäre ist der Mensch, ein Wunder, ein göttliches Ungefähr, voll Tücke und Zwielist.
Eines Tages kannt’ ich mich selbst nicht mehr aus Neugier und Argwohn. Siehe, da kehrte ich um und hielt Einkehr. Siehe, da brannte die Kerze und tropfte auf meinen eigenen Schädel. Meine erste Erkenntnis aber war: klein und groß, das ist Aberwitz. Groß und klein, das ist Relativismus. Siehe, da schnellte mein Finger hervor und verbrannte sich an der Sonne. Siehe, da ritzte der Zeiger der Turmuhr den Boden der Straße auf. Ihr aber glaubet zu fühlen und werdet gefühlt.«
Er machte eine Pause, um sich das Ohr zu scheuern, und warf einen Blick in das fünfte Stockwerk des vierten Gebäudes. Dort ragte Lünettes rosaseidenes Bein aus dem Fenster. Darauf saßen zwei geflügelte Wesen, die saugten Blut.
Und der Seher fuhr fort:
»Wahrlich, kein Ding ist so, wie es aussieht. Sondern es ist besessen von einem Lebgeist und Kobold, der steht still, alslang man ihn anschaut. So man ihn aber entlarvet, verändert er sich und wird ungeheuer. Jahrelang trug ich die Last der Dinge, die ihre Befreiung wollten. Bis ich erkannte und sah ihre Dimension. Da hob mich die Inbrunst. Entsetzliches Leben! Da breitete ich meine Arme, zur Abwehr, und flog, flog pfeilgerad über die Dächer.«
Hier konnte man sehen, dass der Seher, vom Brausen der eigenen Worte betört, nicht hatte unhaltbare Versprechungen ausgelassen. Mit beiden Händen laut flatternd, erhob er sich, flog wie zum Versuch ein gutes Stück Wegs in den Abend, neigte dann aber die Kurve und kam, unter einigem Hüpfen, leichthin wieder zu Stand.
Der Pöbel, der bis zu den Hüften allseits des Markts aus den Fenstern hing, war erschrocken, schüttelte aber, da ihn das Schauspiel befremdete, ungläubigen Missbehagens den Kopf, schwenkte aus Leibeskräften die Salztrompeten und mitgebrachten Papierlaternen und schrie: »Das Vergrößerungsglas! Das Vergrößerungsglas!«
Es war nämlich bekannt geworden, dass der Seher bei seinen Gängen des Öfteren sich eines solchen Glases bediente, und so glaubte man denn nichts anders, als dass das Ganze nur ein Schwindel des Sehers sei, der mit solchem Instrument seine Schliche bemäntle. Auch gab es ein Intermezzo, indem eine neugierige Frau, die heftig an einer Fahnenstange geflattert hatte, abriss und vom Abendwind über die Dächer nach Osten getrieben wurde. Item: es flog ein Hahn mit zerfederter Sichel hoch über die Fächer der Damen, das galt als Zeichen anschlägiger Eitelkeit.
In der Tat zog der Seher, bestürzt und entmutigt, den Vergrößerungsspiegel aus der Tasche. Einen Spiegel beiläufig vom Umfange einer russischen Schaukel, wie sie auf Jahrmärkten zu sehen sind. Außerordentlich fein geschliffen das Glas, silbern gefasst und an langem Holzstiele zierlich befestigt. Er hielt diesen Spiegel in tragischer Pose hoch über sich, stob plötzlich empor, zersprengte den Spiegel, die Trümmer klirrten, und er entschwand in die gelben Meere des Abends.
Die Glasscherben des zerbrochenen Wunderspiegels aber zerschnitten die Häuser, zerschnitten die Menschen, das Vieh, die Seiltänzereien, die Fördergruben und alle Ungläubigen, so dass sich die Zahl der Verschnittenen mehrte von Tag zu Tag.
Man schreibt den Sommer 1914. Eine phantastische Dichtergemeinde wittert Unrat und fasst den Entschluss, ihr symbolisches Steckenpferd Johann rechtzeitig in Sicherheit zu bringen. Wie Johann sich erst sträubt und dann einwilligt. Irrfahrten und Hindernisse unter Führung eines gewissen Benjamin. In fernen Ländern begegnet man dem Häuptling Feuerschein, der sich jedoch als Polizeispitzel entpuppt. Daran geknüpft historiologische Bemerkung über die Niederkunft einer Polizeihündin in Berlin.
»Eines ist gewiss«, sprach Benjamin, »Intelligenz ist Dilettantismus. Intelligenz blufft uns nicht mehr. Sie schauen hinein, wir schauen heraus. Sie sind Jesuiten der Nützlichkeit. Intelligent wie Savonarola, das gibt es nicht. Intelligent wie Manasse, das gibt es. Ihre Bibel ist das bürgerliche Gesetzbuch.«
»Du hast recht«, sagte Jopp, »Intelligenz ist verdächtig: Scharfsinn verblühter Reklamechefs. Der Asketenverein »Zum hässlichen Schenkel‹ hat die platonische Idee erfunden. Das ›Ding an sich‹ ist heute ein Schuhputzmittel. Die Welt ist kess und voll Epilepsie.«
»Genug«, sprach Benjamin, »mir wird übel, wenn ich von ›Gesetz‹ höre und von ›Kontrast‹ und von ›also‹ und ›folglich‹. Warum soll der Zebu ein Kolibri sein? Ich hasse die Addition und die Niedertracht. Man soll eine Möwe, die in der Sonne ihre Schwingen putzt, auf sich beruhen lassen und nicht ›also‹ zu ihr sagen, sie leidet darunter.«
»Also«, sprach Stiselhäher, »lasset uns das Karussellpferd Johann in Sicherheit bringen und einen Kantus singen auf das Fabelhafte.«
»Ich weiß nicht«, sprach Benjamin, »wir sollten doch lieber das Karussellpferd Johann in Sicherheit bringen. Es sind Anzeichen vorhanden, dass Schlimmes bevorsteht.«
In der Tat waren Anzeichen vorhanden, dass Schlimmes bevorstand. Ein Kopf war gefunden worden, der schrie »Blut! Blut!« unstillbar, und Petersilien wuchsen ihm über die Backenknochen. Die Thermometer standen voll Blut, und die Muskelstrecker funktionierten nicht mehr. In den Bankhäusern diskontierte man die Wacht am Rhein.
»Wohl, wohl«, sagte Stiselhäher, »lasset uns das Karassellpferd Johann in Sicherheit bringen. Man weiß nicht, was kommen mag.«
Auf himmelblauer Tenne, mit großen Augen, ganz in Schweiß gebadet, stand das Karussellpferd Johann. »Nein, nein«, sagte Johann, »hier bin ich geboren, hier will ich auch sterben.« Das war aber eine Unwahrheit. Denn Johanns Mutter stammte aus Dänemark, der Vater war Ungar. Man wurde sich aber doch einig und floh noch in selber Nacht.
»Parbleu«, sagte Stiselhäher, »hier hat die Welt ein Ende. Hier ist eine Wand. Hier geht es nicht weiter.« In der Tat gab es da eine Wand. Die stieg senkrecht zum Himmel.
»Lachhaft«, sagte Jopp, »wir haben, die Fühlung verloren. Ließen uns da in die Nacht hinein und haben vergessen, Gewichtsteine an uns zu hängen. Natürlich schweben wir nun in der Luft.«
»Paperlapp«, sagte Stiselhäher, »hier müffelt's. Ich gehe nicht weiter. Hier liegen Fischköpfe. Hier waren die Seekatzen am Werk. Hier hat man die Wellenböcke gemolken.«
»Weiß der Teufel«, sprach Runzelmann, »auch mir ist nicht recht geheuer. Man wird uns die Scharlatanenhemden über die Ohren ziehen!« Er schlotterte heftig.
»Das Ganze halt!« befahl Benjamin. »Was steht da? Ein Zeiserlwagen? Grün und mit Gitterfenstern? Was wächst da? Agaven, Fächerpalmen und Tamarinden? Jopp, sieh im Zeichenbuch nach, was das zu bedeuten hat.«
»Fatale Sache«, sprach Stiselhäher, »Ein Zeiselwagen zwischen Agaven. Schon faul. Weiß Gott, wo wir stecken.«
»Unsinn«, rief Benjamin, »wenn es nicht dunkel wäre, könnte man genau sehen was los ist. Der Quacksalber von Rossarzt hat uns den falschen Weg gezeigt.«
»Tatsache«, sprach Jopp, »wir stehen vor einer Wand. Hier geht es nicht weiter. Gundelfleck, steck die Laterne an.« Gundelfleck kramte in seiner Tasche, zog aber nur eine mächtige hellblaue Orgelpfeife hervor. Die trug er immerhin bei sich.
»Kommen Sie näher, meine Herren«, ließ sich plötzlich eine Stimme vernehmen, »Sie sind auf dem Holzwege.« Es war der Häuptling Feuerschein. »Wo tappen Sie nächtlicherweile herum? Und in welchem Aufzug? Nehmen Sie die Zelluloidnasen ab! Demaskieren Sie sich! Man kennt Sie! Was sind das für Schellenbäume, die Sie da bei sich tragen?«
»Das sind Pritschen und Klingelstöcke und Narrenpeitschen, mit Verlaub.«
»Was ist das für ein Blasinstrument?«
»Das ist der Nürnberger Trichter.«
»Und was ist das für ein Watteklumpen da an der Leine?«
»Das ist das Karussellpferd Johann, bestens in Watte verpackt.«
»Larifari. Was wollen Sie mit dem Karussellpferd hier in der Libyschen Wüste? Wo haben Sie das Pferd her?«
»Es ist gewissermaßen ein Symbol, Herr Feuerschein. Wenn Sie gestatten. Sie sehen nämlich in uns den sterilisierten Phantastenklub ›Blaue Tulpe‹.«
»Symbol hin, Symbol her. Sie haben das Pferd dem Heeresdienst entzogen. Wie heißen Sie?«
»Das ist ja ein entsetzlicher Kerl!« sprach Jopp, »das ist ja die glatte Robinsonade.«
»Mumpitz«, sprach Stiselhäher, »er ist eine Fiktion. Das hat dieser Benjamin angerichtet. Er denkt sich das aus, und wir haben zu leiden darunter ...«
»Sehr geehrter Herr Feuerschein! Ihr konföderiertes Naturburschentum, Ihre Latwergfarbe, das imponiert uns nicht. Noch Ihre entliehene Kinodramatik! Aber ein Wort zur Aufklärung: Wir sind Phantasten. Wir glauben nicht mehr an die Intelligenz. Wir haben uns auf den Weg gemacht, um dieses Tier, dem unsere ganze Verehrung gilt, vor dem Mob zu retten«
»Ich kann Sie verstehen«, sprach Feuerschein, »aber ich bin außerstande, Ihnen zu helfen. Steigen Sie ein in den Zeiserlwagen. Auch das Pferd, das Sie da bei sich haben. Vorwärts marsch, keine Umstände. Eingestiegen!«
Die Hündin Rosalie lag schwer in den Wochen. Fünf junge Polizeihunde erblickten das Licht der Welt. Auch fing man um diese Zeit in einem Spreekanal zu Berlin einen chinesischen Kraken. Das Tier wurde auf die Polizeiwache gebracht.
Wie schon sein Name besagt, ist Machetanz ein Wesen, das Tänze macht und Sensationen liebt. Er ist einer jener verzweifelten Typen ohne seelische Haltung, die sich dem leisesten Eindruck nicht zu entziehen vermögen. Daher auch sein trauriges Ende. Der Dichter hat das mit besonderem Nachdruck hierher gesetzt. Wir sehen, wie Machetanz Schritt für Schritt der Besessenheit, dann einer tiefen Apathie erliegt. Bis er schließlich nach fruchtlosen Versuchen, sich ein Alibi zu schaffen, in jene religiös gefärbte Paralyse versinkt, die, mit Exzessen verbunden, seinen völligen physischen und moralischen Ruin besiegelt.
Da spürte Machetanz plötzlich einen Druck an den Schläfen. Die Produktionsströme, die seinen Körper gewärmt und gewickelt hatten, starben ab und hingen wie lange Safrantapeten von seinem Leib. Ein Wind bog ihm Hände und Füße um. Sein Rücken, ein kreischendes Drehgewinde, stob als Spirale zum Himmel. Machetanz, hämisch, ergriff einen Stein, der eckwärts aus einem Gebäude schrie, und setzte sich blindlings zur Wehr. Blaue Gesellen zerstürmten ihn. Hell brach ein Himmel zusammen. Ein Luftschacht legte sich quer. Über den Himmel hinweg flog eine Kette geflügelter Wöchnerinnen.
Die Gasanstalten, die Bierbrauereien und die Rathauskuppeln gerieten ins Wanken und dröhnten im Paukengeschnatter. Dämonen, bunten Gefieders, beklackerten sein Gehirn, zerzausten und rupften es. Über den Marktplatz, der in die Sterne versank, ragte mit ungeheurer Sichel der grünliche Rumpf eines Schiffes, das senkrecht auf seiner Spitze stand.
Machetanz fuhr sich mit beiden Zeigefingern ins Ohrgehäuse und scharrte daraus den letzten schäbigen Rest von Sonne, der sich darin verkrochen hatte. Apokalyptischer Glanz brach aus. Die blauen Gesellen bliesen auf Muscheltrompeten. Sie stiegen auf Lichtbalustraden und stiegen herab ins Glänzige.
Übelkeit überkam Machetanz. Ein Würgen am falschen Gott. Er rannte mit hochgeschwungenen Armen, stürzte und fiel aufs Gesicht. Eine Stimme schrie aus seinem Rücken. Er schloss die Augen und fühlte sich in drei mächtigen Sätzen über die Stadt geschnellt. Saugrohre schlürften die Kraft der mystischen Behälter. Machetanz sank in die Knie, saladigen Messgewandes, und bleckte die Zähne zum Himmel. Häuserfronten sind Gräberreihen, übereinandergetürmt. Kupferne Städte am Rande des Monds. Kasematten, die auf dem Stiel einer Sternschnuppe schwanken bei Nacht. Eine aufgeklebte Kultur blättert ab und wird von Knäden zu Fetzen gerissen. Machetanz tobt, vom Veitstanz befallen. Eins, zwei, eins, zwei: Mittel zur Fleischabtötung. »Pankatholizismus«, schrie er in seiner Verblendung. Er gründet ein Generalkonsulat für öffentliche Anfechtung und legt dort als erster Protest ein. Kinodramatisch erläutert er die Zwangsphänomene seiner Exzesse und Wachtraummonomanien. In einer magnetischen Flasche wird er umhergewirbelt. Er brennt in den unterirdischen Röhren eines Kanalsystems. Eine schöne Narbe ziert Machetanz' Auge mit weißem Glanz.
In zickzackfarbigem Hemd balanciert er auf ragendem Ätherturm. Er mietet den großen Schwung und rattert im Aufstieg zerbrechend durch das Gespeiche imaginärer Gigantenräder. Es drohen ihm die Gesichter des raschen Entschlusses, der rührigen Kopfhaut, der meckernden Skepsis. Mit zerbrochenen Lungenflügeln hüpft er aus der Hand eines Kobolds.
Die Freunde verlassen ihn. »Machetanz, Machetanz!« kräht er von einem Kamin herab. Er entstürzt dem Konnex. Er zieht als Segment einer Sonnenfinsternis über schief hängende Kuppeln und Türme betrunkener Städte. Schlaflos und in ein Kinderwägelchen eingebettet wird er über die Straße gezogen. Es überschatten ihn die Landschaften des Errötens, der Trauer, der bräutlichen Seligkeit.
Machetanz faselt sich Dekadenzen zurecht. Er deponiert umfassende Angstkomplexe. Instrumentiert sich Hemmungen dazwischen. Falschmünzereien von seelischen Katarakten und Sensationen. Er rollt sich des Nachts zusammen im Leib einer Dirne. Die Angsthaut steht ihm steil hinter den Ohren. »Meint ihr vielleicht, ihr Tröpfe – « und schlägt auf den Boden, Schaum vor dem Mund, eine blaue Wolke. Er kriecht hervor in die Sonne. Er will das Erlebnis haben. Gras wächst missgünstig und treibt ihn zurück in die Finsternis. Vorhänge blähen sich auf und ein Haus entschwebt. Das ist die Katalepsie der Zerstörung. Zungen prallen in rotem Pfeilregen schräg gegen das Pflaster.
Gagny, die Bleierne, muss ihm den Scheitel kämmen, damit er nachdenken kann. Dagny, die Fischbraut, pflegt ihn, auf ihrer rechten Seite schillernd von Musikon. Machetanz hat einen Hauptmann erschlagen mit einem Gesangbuch. Er hat eine künstlich schwimmende Insel erfunden. Er stengelt in Bittprozessionen und verehrt Vagabunden-Jesus. Er hält die Laterne beim Totenamt, und so er sein Wasser abschlägt: es ist essigsaure Tonerde. Aber es hilft ihm nichts. Diesen Turbulenzen, Detonationen und Radiumfeldern ist er nicht gewachsen. »Quantität ist alles«, schreit er, »Syphilis ist eine schwere Geschlechtskrankheit.« Er nimmt ein Salzsäurebad, um seinen gefiederten Leib loszuwerden. Übrig bleiben: ein Hühnerauge, eine goldene Brille, ein künstliches Gebiss und ein Amulett. Und die Seele: eine Ellipse. Machetanz lächelt bitter: »Originalität ist ein Luftblasenkatarrh. Schmerzlich und unwahrscheinlich. Einen Mord begehen. Ein Mord ist etwas, was nicht geleugnet werden kann. Nie und nimmer. Schön Wetter machen. Immer die Armen lieben. Schon haben wir Gott als Supplement. Das ist fester Boden.« Und er blies Musikon ins Genick. Da zerwölkte sie sich.
Und er machte sein Testament. Mit Urintinte. Andere hatte er nicht. Denn er saß im Gefängnis. Er verwünschte darin: die Phantasten, Dagny, das Karussellpferd Johann, seine arme Mutter und viele andere Leute. Dann starb er. Auf einer Sodasuppe erwuchs ein Palmenwald. Ein Pferd bewegte die Beine und kam voran. Eine Trauerfahne wehte auf einem Krankenhaus.
Landschaftsbild aus dem oberen Inferno. Ein Konzert heilloser Geräusche, das selbst die Tiere in Erstaunen setzt. Die Tiere treten zum Teil als Musikanten (sogenannte Katzenmusik), zum Teil in ausgestopftem Zustand und als Staffage auf. Die Tanten aus der siebenten Dimension beteiligen sich in obszöner Weise am Hexensabbat.
Die roten Himmel, mimul mamei,
Gehen im Magenkrampf mitten entzwei.
Die rotem Himmel fallen in den See,
Mimulli mamei, und haben Magenweh.
Die blauen Katzen, fofolli mamei,
An einem rotzackigen Wellblech kratzen.
O lalalo lalalo lalala!
Da ist auch die schnurrende Tante da.
Die schnurrende Tante hebt aus Schnee
Ihre trällernden Hosen und Röcke in d'Höh.
O lalalo lalalo lalalo!
Da sagte der Flötenbock: „So wie so“.
Die tönerne Tuba fällt vom Dach.
Der doppelte Johann springt ihr nach.
O lalalo und mimulli mamei!
Auf eisernen Geigen kratzen zwei.
Das Pferd und der Esel schauten schief
Auf den Schneehahn, der aus der Tiefe rief.
Die blaue Tuba krachte sich eins –
Da sangen sie alle das Einmaleins.
O lalalo lalalo lalalo,
Der Kopf ist aus Glas und die Hände aus Stroh.
O lalalo lalalo lalalo!
Zinnoberzack, Zeter und Mordio!
Eine mystische Begebenheit, die sich in der untersten Tintenhölle ereignet. Tenderenda erzählt die Geschichte vor einem Publikum von Gespenstern und Abgeschiedenen, von satanopolitanischen Eingeweihten und Habitués. Er setzt eine Kenntnis der Personen und des Lokals, eine Vertrautheit mit unterirdischen Einrichtungen voraus.
Ein Journalist war entkommen. In grauer Gestalt überschattete er die Weideplätze von Satanopolis. Man beschloss, gegen ihn zu Felde zu ziehen. Das Revolutionstribunal versammelte sich. Man zog gegen ihn zu Felde, der sich in grauer Gestalt tummelte auf den Weideplätzen von Satanopolis. Aber man fand ihn nicht. Er hatte sich unterschiedlichen Unfug zuschulden kommen lassen, aber er weidete vergnügt und aß die spitzen Köpfe der Disteln, die blühten auf den Wiesen von Satanopolis. Da ward sein Haus ausfindig gemacht. Es lag auf dem 26 ½. Hügel, wo die Pfanne der Dreieinigkeit steht. Mit Stocklaternen umstellten sie das Haus. Ihre Mondhörner leuchteten falb in die Nacht. Alle liefen hinzu, Vogelkäfige in der Hand.
»Sie haben da einen schönen Kanidklopfer«, sagte Herr Schmidt zu Herrn Schulze. »Spinöser Affront!« sagte Herr Meyer zu Herrn Schmidt, setzte sich auf seine Schindmähre, die seine Krankheit war, und ritt verdrossen davon.
Unterdessen standen viele strickende Guillotinenfurien da, und man beschloss, den Journalisten zu stürmen. Das Haus, das er besetzt hielt, war das Mondhaus genannt. Er hatte es verbarrikadiert mit Matratzen aus Ätherwellen und hatte die Pfanne oben aufs Dach gesetzt, so dass er unter dem ganz besonderen Schutze des Himmels stand. Er nährte sich von Kalmus, Kefir und Konfekt. Auch hatte er um sich die Leichname der Abgeschiedenen, die in großen Mengen von der Erde durch seinen Schornstein herniederfielen, so dass er für einige Wochen bequem es aushalten konnte. Er sorgte sich deshalb nicht sehr. Fühlte sich wohl und studierte zum Zeitvertreib die 27 verschiedenen Arten des Sitzens und Spukens. Er hieß Lilienstein.
Eine Sitzung fand statt auf dem Rathaus des Teufels. Der Teufel trat auf mit Kis de Paris und Ridikül, sprach einiges unwirsches Zeug und sang den Rigoletto. Man rief ihm hinauf, er sei ein gespreizter Einfaltspinsel, er möge die Späße lassen. Und man beriet, ob man das Haus, das Lilienstein mit dem Kneifer besetzt hielt, durch Tanz einäschern oder aber von Flöhen und Wanzen verzehren lassen sollte.