Ballpeople - Stella van Aken - E-Book

Ballpeople E-Book

Stella van Aken

0,0

Beschreibung

Agnes, eine selbstbewusste Frau, Anwältin, verheiratet und doch ist sie anders. Sie träumt, manche Träume werden Realität. Seit Jahren träumt sie regelmäßig von Vaclav. Mit ihm war sie einige Jahre liiert. Eines Nachts träumt sie seinen Tod! In Briefen an Vaclav erzählt sie ihre Liebes - und Lebensgeschichte.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 197

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Sämtliche Handlungen, Charaktere und Dialoge in diesem Buch sind rein fiktiv. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen und deren Reaktionen sind rein zufällig.

Das Etwas, wonach fast alle Menschen suchen, ist vielleicht nur die Erinnerung an eine Liebe, die uns im Himmel oder in den ersten Lebenstagen zuteil ward.

Gustave Flaubert

Inhaltsverzeichnis

18. Juni 2016

10. Juni 1987

22 Juni 1987

25. Juni 1987

28. Juni 1987

01 Juli 1987

13 Juli 1987

17 Juli 1987

18. Juli 1987

18. Juli 1987, 18.00h

19. Juli 1987

24 Juli 1987

25. Juli 1987

27 Juli 1987

05 August 1987

09 August 1987

14. August1987

15. August1987

22. August 1987

24. August1987

26. August1987

01. September 1987

03. September1987

06. September 1987

04.12.1987

27.03.2022

18.Juni 2016

Mein lieber Vaclav,

Jahre sind vergangen, seit ich den letzten Brief an Dich geschrieben habe. Einer von vielen, welche ich nie abgeschickt habe. Sie lagen hier in meiner Schublade, eine Erinnerung, welche mir seltsamer Weise heilig war und ist.

Innerlich aufgewühlt sitze ich erneut hier, um Dir zu schreiben….Du wirst es erahnen, ich habe wieder von Dir geträumt!

Nicht, dass dies etwas Besonderes wäre, wie wir beide wissen……dennoch, dieser letzte Traum…er ist so real, so präsent…….ich werde diesen Traum nicht los! Aus diesem Beweggrund muss ich schreiben, muss es lesen können, muss es aus mir raus lassen, um den Schrecken daran zu verlieren!

Es war ein bedeckter, warmer Sommertag. Ich stand am Waldrand und sah in die Ferne. Vor mir befand sich eine hügelige Landschaft, in der der Raps gelb leuchtete. Ein skelettierter, grün fluorisierender Wolf lief auf mich zu.

Angst verspürte ich nicht. Vielmehr das Gefühl, ihm helfen zu müssen. Ich hatte das Bedürfnis, ihm Nahrung zu besorgen, damit er nicht stirbt. Der magere Wolf setzte sich zu meinen Füßen.

Ich sah ihn an und wusste sofort, wer er war. Dies ließ mich noch trauriger werden, doch der Wolf sprach zu mir: „Sei nicht traurig. Am Tage werde ich der Wolf sein, in der Nacht werde ich wieder zum Menschen.“

Plötzlich stand ich mit Dir vor einer kargen Berglandschaft, durch die ein Trampelpfad führte. Ich fragte mich, wieso ich nun mit Dir in den Pyrenäen stand. Du wurdest zum Mensch und sagtest: „Wir sind nicht in den Pyrenäen, Du musst mich da durchführen!“

„Wieso muss ich dich da durchführen“, erkundigte ich mich.

„Du bist die Begleiterin, nur du kannst mich dort durchführen!“

Nassgeschwitzt erwachte ich aus diesem Traum; ich hatte Deinen Tod geträumt!

Lieber Vaclav,

es ist über fünfundzwanzig Jahre her, dass wir uns gesehen und gesprochen haben; verblasst ist diese Erinnerung nicht, verschwommen ja, aber sie ist vorhanden.

Als Du mich besuchtest, ich war gerade verheiratet, hast Du meine Hand gehalten, mein Gesicht gestreichelt, mir die roten Locken hinters Ohr geschoben und sagtest, ich soll dich besuchen kommen, du hättest jetzt ein großes Sofa – ich fand das seltsam.

Du bist noch da, wie die Erinnerung, mal mehr, mal weniger.

Gemeinsame Freunde habe ich gefragt, ob sie sich gesehen haben, groß ist die Stadt nicht.

Keiner wusste jedoch etwas über Dich. Früher hat man Dich ständig in der Stadt getroffen. Es gibt Dich noch, davon bin ich überzeugt. Ich würde es spüren, wenn Du nicht wärest, weil ich Dich immer gespürt habe – bis heute! Du fragst Dich, warum ich, nach fünfundzwanzig Jahren schreibe?

Vielleicht weißt Du nicht mehr, wer ich bin, in all den Jahren gehen viele Menschen durch ein Leben. Da vergisst man den einen oder anderen leicht. Obwohl ich nicht glaube, dass Du Dich nicht mehr an mich erinnerst.

Ich glaube an diese Verbindung zwischen uns, es hatte etwas von Magie.

Wir konnten nicht miteinander, aber auch nicht ohne einander! Ich schreibe Dir, weil ich von Dir träume, nicht immer, aber ich träume von Dir. Von all den Männern, welche mich in meinem Leben begleitet haben, bist Du der Einzige, welcher mich in meinen Träumen noch besucht.

Du hast Spuren hinterlassen, auch wenn ich nicht weiß, welche es sind.

Wir hatten keine einschneidenden Erlebnisse, wir sind nicht durch Höhen und Tiefen gegangen, es war keine Jugendliebe - dafür waren wir zu alt - wir waren nie zusammen im Urlaub, wir haben nie eine ganze Nacht zusammen verbracht.

Was war das zwischen uns?

Wieso sehe ich Dich in meinen Träumen, in denen Du mir nah bist?

Vor einigen Monaten habe ich von Dir geträumt, Du warst auf einen Stock gestützt, weil Du Probleme mit dem Rücken hattest.

Im Traum hast Du mir versichert, dass es nichts Schlimmes sei und Du mir erhalten bleibst.

Schubladenpsychologisch gedacht, träume ich von Dir, um eine Erinnerung zu behalten, die nur mir gehört!?

Ach, das ist Blödsinn. Meine besten Freunde wissen von Dir, weil ich ihnen die Ohren vollgeheult habe.

Jetzt frage ich mich, warum ich anfange, Dir zu schreiben, nach all den Jahren?

Ist es nicht absurd?

Was soll das bringen, außer, dass mich in diesem Moment ein Gefühl wie ein schmachtender Teenager überkommt – furchtbar!

Ich muss erst darüber nachdenken, ob ich dir weiter schreibe, jetzt komme ich mir gerade blöd vor!

Agnes

Lieber Vaclav,

gestern habe ich nachgeschlagen, wann wir uns das erste Mal begegnet sind.

Jaja, ich habe bis vor fünfzehn Jahren Tagebuch geführt. An sich nicht die schlechteste Angewohnheit, es hat mir durch das Leben geholfen. Das Schreiben hat mir, neben meinen praktischen Erfahrungen, geholfen erwachsen zu werden. Wobei sich die Frage stellt, was heißt es, erwachsen zu werden? Arbeiten gehen? Verantwortung übernehmen?

In meinem Leben habe ich manchen Kampf ausgefochten, manche Feder gelassen, letztlich bereue ich nichts! Nicht einen Schritt. Ehrlich gesagt, habe ich mich schwergetan, erwachsen zu werden.

Ich habe mir die Neugierde auf das Leben bewahrt, aber, um mit den Worten Kunderas zu sprechen, die Leichtigkeit des Seins, ist mir teilweise abhandengekommen.

Versteckt ist diese noch vorhanden, zwischendurch lugt sie hervor. Dann sprühe ich innerlich wie äußerlich und gehe mit Leichtigkeit durch den Tag – bis mich der Alltag einholt. Ich handle rational, weitestgehend angepasst, der Gesellschaft und ihren Ansprüchen gehorchend und bin immer dennoch anders, als alle anderen. Ein Trost für mich, es gibt mir die Gewissheit nicht gesellschaftskonform und immer noch Ich zu sein.

Meine persönliche Freiheit habe ich mir bewahrt. Dies ist kein einfacher Weg, oft genug stoße ich andere damit vor den Kopf.

Ich möchte nicht zu den Lemmingen gehören, welche allem und jedem hinterherlaufen, um weiterhin daran zu glauben, sie könnten mit den großen Hunden pinkeln – ein Trugschluss!

Gut, ich habe nachgeschlagen, wann wir uns das erste Mal begegnet sind. Es war 1984 auf einer Party.

Gott, war diese Party furchtbar. Sie ist zwar schon lange her, doch ich kann mich noch immer daran erinnern.

Die Frauen hörten ihre biologische Uhr ticken und die Herren der Schöpfung übten sich noch wahlweise als Späthippie oder Motorradrocker. Sie hatten alle das Bedürfnis nicht zum Establishment zu gehören, dabei waren sie alle auf dem Weg dorthin.

Du saßest auf einer Holzkiste, hast lässig an deiner Zigarette gezogen, Deine Locken standen wirr vom Kopf ab und ließen leichte Segelohren erahnen. Ich fand Dich interessant, weil ein Hauch von Einsamkeit Dich umwehte. An diesem langweiligen Abend hatten wir viel Blickkontakt, miteinander gesprochen haben wir aber nicht.

Später habe ich Ulf gefragt, wer Du bist und was Du machst.

Viel konnte er mir nicht erzählen. Er teilte mir mit, dass Du Dein Studium zum Maschinenbauer abgebrochen hättest und nunmehr als freier Fotograph tätig wärest.

Und seit Jahren mit Lydia liiert bist.

Lydia war auf der Party, diese kleine Frau mit dem Kurzhaarschnitt. Sie wirkte wie ein kleiner Junge, sichtlich bemüht jedem zu gefallen. Dass Du mit ihr eine Beziehung hattest, empfand ich als seltsam, es passte nicht. Ich wusste nicht, warum. Es war ein Gefühl.

Ich bin davon ausgegangen, dass wir uns nicht mehr sehen würden, ich habe nicht mehr an Dich gedacht.

Keine zwei Tage später hast Du bei Ulf und mir angerufen, weil Du angeblich einen Heizstab brauchtest. Bei der Gelegenheit hast Du mich gefragt, ob ich mitfahren wollte zum Fotografieren.

Zu dieser Zeit hatte ich keinen Job, war gerade mit der Schule fertig. Man kann auch sagen, dass ich nicht den Hauch einer Ahnung hatte, was ich machen wollte und somit stand mir Zeit ohne Ende zur Verfügung.

Natürlich bin ich mitgefahren. Ich fand Dich interessant und in gewisser Weise aufregend. Du holtest mich mit Deinem Bulli ab. Kaum saß ich im Auto, erzähltest Du mir, dass Du mich gern hast, mit mir Zeit verbringen wolltest und hast mich direkt geküsst.

Ich konnte nicht reagieren.

Zum einen war ich zur damaligen Zeit schüchtern, zum anderen, traute ich gemurmelten Komplimenten nicht.

Weiterhin konnte ich mir nicht erklären, wieso Du mich nach einmal sehen, mögen konntest. Ich war anders als Lydia. Ich war groß, rothaarig, dünn wie eine Bohnenstange sowie vierzehn Jahre jünger als Du! Ich war das komplette Gegenteil von ihr.

An diesem Tag haben wir nichts fotografiert. Wir sind den ganzen Tag durch den Wald gelaufen und haben geredet. Nicht, dass ich mich daran erinnern könnte, über was wir geredet haben. An Deine Küsse hingegen erinnere ich mich. Oft bliebst Du stehen, nahmst mein Gesicht zwischen deine Hände und hast mich mit einer Sanftheit geküsst, dass ich mich noch heute an das Kribbeln auf meiner Haut erinnern kann.

In meiner Erinnerung sehe ich mich an diesem Tag sprachlos, was nicht sein kann, ich habe immer etwas zu sagen. Ich würde behaupten, dass ich innerlich sprachlos war, weil ein erwachsener Mann Gefallen an mir fand.

Andererseits, es gab vor Dir ältere Männer, welche mir Avancen gemacht hatten. Bei manchen siegte die Anständigkeit und sie hielten sich begründet in meinem Alter zurück (ich war noch minderjährig; die Liebesbriefe habe ich heute noch) andere gingen weiter, da setzte ich die Grenzen. Gerade bei älteren Männern muss ich etwas ausgelöst haben, obwohl ich über keinerlei feminine Formen verfügte.

Dünn, kaum Busen, keinen Hintern, groß und ein breites Kreuz.

Ich kann mich erinnern, als ich kellnerte. Ich schloss nachts die Kneipe ab und machte mich auf den Weg nach Hause. Hinter mir gingen zwei Männer, sagt der eine zum anderen: „Schau dir die an. Keinen Arsch in der Hose, aber ein Kreuz wie ein Preisboxer!“ Jahre später habe ich einen guten Freund gefragt, was es ist, dass mancher Mann anfängt zu sabbern, wenn er mich sieht.

Er sagte, ich hätte eine erotische Ausstrahlung, ich sei sinnlich.

Diese Aussage hat mich überrascht, nicht zuletzt, weil ich mich nicht so wahrnehme.

Was soll´s, Du hast mich intensiv geküsst, so dass ich auf Wolke sieben schwebte.

Als Du mich zu Hause absetztest, ereilten mich schlagartig sämtliche Schuldgefühle und Gewissensbisse, welche man, begründet in einer katholisch/protestantischen Erziehung, haben kann.

Du warst mit Lydia und ich mit Ulf zusammen; da konnte es nicht sein, dass wir etwas miteinander anfingen.

Ich war hin und her gerissen zwischen Lust, Aufregung und Schuldgefühlen gegenüber Ulf.

Aus der heutigen Sicht weiß ich nicht, ob ich in Dich verliebt war. Ich fand Dich aufregend, hatte ein Flattern im Bauch, wenn ich Dich gesehen habe.

Laut meinem Tagebuch muss ich verliebt gewesen sein, allerdings glaube ich heute, dass es mich gereizt hat, etwas Neues auszuprobieren. Jetzt sitze ich hier, schreibe Briefe an Dich, welche Du nie beantworten wirst, weil ich diese nicht abschicken werde. Und frage mich zum wiederholten Male, warum mache ich das?

Bis dann,

Agnes

Vaclav,

es sind Tage vergangen, ich hatte beschlossen, mit dieser Schreiberei aufzuhören. Nicht zuletzt, weil ich mich seltsam dabei fühle! Ich lebe ein zufriedenes Leben, ich bin glücklich, ich bin gesund – was will man mehr?

Ich treffe den Entschluss, Dir nicht mehr zu schreibenzack, bist Du wieder in meinen Träumen! Wenn es erotische Träume wären, könnte ich es noch nachvollziehen, diese wären ein Zeichen dafür, dass ich lustvollen Sex nachtrauere.

Aber da gab es andere Männer, mit denen der Sex besser war.

Na ja, von all den Männern, mit denen ich eine Liaison hatte, gab es zwei, mit denen es wirklich gut war.

Dieser kleine, knubbelige Chefredakteur, was die Lebenstüchtigkeit anging eine absolute Pfeife, aber der Sex war grandios! Und natürlich Rory, der schöne Ire, ihn konnte keiner diesbezüglich toppen – eigentlich sollte ich ihn nicht benennen, aber er gehört zu meinem Leben dazu, ob ich will oder nicht! Vaclav, in all den Jahren, in denen wir miteinander durch das Leben gegangen sind, hast Du irgendetwas in mir berührt, was mich heute noch von Dir träumen lässt.

Also was soll ich mir Gedanken machen, wie viel Sinn oder Unsinn diese Schreiberei macht. Ich werde weiter Schreiben bis mir die Erleuchtung kommt, warum Du, obgleich der Ferne, noch einen Platz in meinem Leben hast!

So manches fühle ich mich bei der Schreiberei an das Buch „Tod des Märchenprinzen“ erinnert – erinnerst Du Dich?

In den 80er Jahren die Bibel für jede Frau – auf der ersten Seite steht unter dem Titel „Frauenroman“ – würde heute keinem mehr einfallen!

Merian schildert in ihrem autobiographischen Roman die unglücklich verlaufende Liebe zu einem „Politmacker“ in der linken Szene und mit männlicher Dominanz. Seinerzeit ein guter Spiegel für alle Frauen, die sich neu definierten, ihren Platz in der Gesellschaft haben wollten und Ansprüche stellten – auch an Männer!

Möglicherweise fühle ich mich an das Buch erinnert, weil unsere Liaison hauptsächlich in den 80er Jahren stattfand.

Ich denke, zu dieser Zeit waren wir beide auf der Suche und vielleicht sind wir deshalb aufeinandergetroffen!?

Zwei Bedürftige, die ihren Platz im Leben suchten, nicht wissend wohin der Weg sie führen wird! Letztlich hatte ich einen entscheidenden Vorteil, ich war jung, gerade zwanzig Jahre alt.

Ich musste noch keine weitgreifenden Entscheidungen treffen, auch wenn das jeder von mir erwartete.

„Kind, du kannst nicht ewig in den Tag hinein leben. Du verschwendest deine Talente!“

Doch, konnte ich, weil ich es wollte. Ich wollte das Leben kennen lernen, ich war neugierig auch auf die Liebe.

„Kind, von Luft und Liebe kann keiner leben, so etwas macht eine Frau nicht!“

Wie oft habe ich gehört, dass eine Frau sich nicht den Mann aussucht, sondern vom Mann ausgesucht wird.

Nur dieser hatte das Recht sich Frauen auszuwählen, wie es ihm gefiel. Es ging nicht, dass sich eine Frau einen Mann für eine Nacht suchte, sofort gab es den Stempel der Promiskuität oder zumindest war man nymphoman!

So war das damals in der rheinischen Provinz.

In Großstädten, wie Berlin, war das anders. Dort waren die Frauen offener und selbstbewusster, zumindest kam es mir so vor.

Wenn ich in Berlin auf Hausbesetzungen war, war ich verblüfft, wie offen und locker alles war.

Ich gebe zu, manche Offenheit ging mir zu weit. Wie beispielsweise bei offener Klotür seine Geschäfte zu verrichten und die Liebste putzte sich daneben die Zähne – man kann es mit der Freizügigkeit übertreiben!

Auch hast Du mir gesagt, bei mir gäbe es keine Ausschließlichkeit.

Das fand ich interessant. Du hattest jahrelang eine Affäre mit mir, obwohl es Lydia und Euer Kind in Deinem Leben gab!

Ihr habt zusammen gelebt, seid gemeinsam in Urlaub gefahren – wieso hätte ich mich für Dich entscheiden sollen?

Was hast Du, vierzehn Jahre älter als ich, gesucht?

Ich weiß es nicht!

Loslassen konntest Du mich nicht. Du bist immer wieder gekommen und ich bin immer wie Butter in der Sonne geschmolzen!

Jetzt brauche ich frische Luft!

Bis dahin

Agnes

Mein lieber Vaclav,

Dank dieser selbst auferlegten Zeitreise, ist plötzlich alles wieder präsent! Weißt Du noch, dass wir in der ersten Zeit unserer Liaison nur geknutscht und gefummelt haben?

Das war nur ein wenig mehr, als bei Teenies, die sich dem ersten Petting hingeben.

Und der ganze Stress, dass niemand von uns wissen durfte; aus der heutigen Sicht ist dies lächerlich! In mein Tagebuch hatte ich geschrieben: „Ich sollte Vaclav aufgeben. Er besitzt eine gewisse Unfähigkeit, wenn nicht gar Feigheit! Wahrscheinlich erwarte ich zu viel!“

Diese Aussage verblüfft mich!!

Hatte ich damals schon eine gewisse Weitsicht?

Oder es war einer meiner klaren Momente, wenn ich mal nicht dahin schmolz?

Solche Momente gab es, wenn du in der Versenkung verschwunden warst, um Dich um Frau und Kind zu kümmern.

Erinnerst Du Dich, als wir zusammen in dieser Hausgemeinschaft gewohnt haben?

Die Neugierde hat mich Dinge machen lassen, welche ich heute nicht mehr machen würde. Dies ist leicht gesagt, jetzt habe ich die Erfahrung.

Ulf und meine Wenigkeit sind in die Hausgemeinschaft gezogen, weil die Bude billig war. Toilette eine Treppe tiefer und saukalt, keine Dusche, 50qm für 160,-DM und das in der Innenstadt.

Seine Ruhe hatte man in diesem Haus nicht. Entweder kam irgendwer auf einen Kaffee vorbei, parkte sein Kind bei mir oder, wenn es schlimm kam, erschien Lydia, um sich über Dich auszuheulen.

Allerdings hatte ich mir gedacht, dass sie dies bewusst gemacht hat, um mir gegenüber ein schlechtes Bild von Dir zu zeichnen. Anscheinend hatte sie die Hoffnung, dass Du für mich uninteressant wirst.

Ich habe mir alles angehört. So weltbewegend können die Geschichten nicht gewesen sein, weil ich mich an den Inhalt nicht mehr erinnere.

Du hast es in dieser Zeit vermieden, mit mir zu sprechen, geschweige denn mich anzuschauen.

Anfänglich fühlte ich mich gekränkt, dann wurde die Pragmatikerin in mir wach und ich habe gedacht:

„Brauche ich kein schlechtes Gewissen mehr haben!“

Alles in allem waren wir eine seltsame

Hausgemeinschaft, keiner von euch war in irgendeiner Form politisch.

Ihr wolltet cool und anders sein.

Erst die Katastrophe in Tschernobyl ließ euch zeitweise erwachen. Die Nachricht war gerade über den Äther, da stand Fritz in meiner Tür und sagte. „Ich glaube, ich habe geschwollene Lymphknoten!“

Ich bin in schallendes Gelächter ausgebrochen, Fritz, das erste Tschernobyl Opfer bei uns – unglaublich! Es herrschte der Golfkrieg im sechsten Jahr, Marcos wurde gestürzt, Palme wurde erschossen und Boris Becker wurde jüngster Wimbledonsieger.

Ihr hattet, wie meine Oma, Angst vor dem Russen. Die irrsinnigsten Verschwörungstheorien wurden preisgegeben, zuzüglich beginnender Hamstereinkäufe, aus Angst vor verseuchten Lebensmitteln.

Letztlich hat euch das Weltgeschehen, bis auf Tschernobyl, nicht interessiert. Tschernobyl habt ihr allerdings schnell vergessen und seid zurückgekehrt in euer Leben.

Und wir?

Wir haben uns gegenseitig beäugt und beobachtet, mehr nicht!

Wir haben nicht miteinander gesprochen, nichts zusammen gemacht – wir liefen aneinander vorbei, mehr nicht!

Zudem hatte ich andere Sorgen. Ulf hatte sich zunehmend in einen Patriarchen verwandelt. Er beschloss für sich, dass ich mir keine Gedanken über meine berufliche Zukunft machen brauchte. Ich bräuchte keine Ausbildung oder Arbeit. Er war der Meinung, ich solle zu Hause bleiben, den Haushalt machen und mich um ihn kümmern.

Zuerst war ich sprachlos, dann bin ich geplatzt. Ich habe mit ihm diskutiert, ihm erläutert, dass wir mittlerweile in anderen Zeiten lebten – es ist alles an ihm abgeprallt!

Er beendete jede Diskussion mit dem Satz, dass er eine Frau wolle, die zu Hause bleibt. Er würde mir zukünftig das Geld einteilen, bei der Gelegenheit teilte er mir gleich mit, dass ich keine Bücher mehr kaufen könnte.

Meine Leserei würde eh nichts bringen und außerdem würde er Akademiker verachten!

So war das, ich stand da und wusste erst mal nicht, wie ich damit umgehen sollte. Letztlich habe ich mich nicht dazu geäußert und gute Miene zum bösen Spiel gemacht.

In diesem Sinne,

Agnes

Guten Morgen Vaclav,

wieder sind ein paar Tage vergangen. Ich musste erst über Ulfs Handeln nachdenken. Dabei ist mir aufgefallen, dass ich nicht weiß, was aus ihm geworden ist.

Eine Freundin hatte mir vor Jahren erzählt, er habe sich sterilisieren lassen, alleine lebte und sich dem Alkohol zugewandt hatte – tragisch. Wundern tut es mich aber nicht.

Begründet in seiner damaligen Ansage, habe ich regelmäßig die Stellenanzeigen gelesen. Ich hatte beschlossen, dass ich mich von Ulf trennen musste, ich wollte nicht mit einem Patriarchen leben. Ich brauchte einen Job, um diesen Schritt gehen zu können.

Ich habe mich überall vorgestellt. Heute ist es nicht mehr nachvollziehbar, wie schwer es für eine junge Frau war, einen Job zu bekommen.

Den einen war ich zu hippiemäßig „Haschpuppies stellen wir nicht ein!“ Dem anderen hatte ich zu lange Haare und war zu vorlaut.

An ein Vorstellungsgespräch in einem Schuhladen erinnere ich mich gut. Hierzu hatte ich mir extra eine Bluse samt Rock von einer Bekannten geliehen.

Der Ladenbesitzer, er war Mitte fünfzig, machte mich direkt runter. Er fuhr mich an, was ich bei ihm wolle, wieso ich mich vorstellen würde. Ich erwiderte freundlich, dass ich arbeiten wolle.

Wieso ich arbeiten wolle, ob ich keinen Mann hätte.

Doch, erwiderte ich, ich würde mit einem Mann zusammen leben. Aha, sagte er, sie leben in einem sittenwidrigen Verhältnis, solche Leute würde er nicht einstellen.

Bemüht einen Job zu bekommen, beeilte ich mich, zu versichern, dass ich dieses sittenwidrige Verhältnis auflösen wolle. Er betrachtete mich lange, um mir mitzuteilen, wenn ich für ihn arbeiten wolle, müsste ich mir die Haare abschneiden lassen. Außerdem gäbe es einen Kleidungskodex, der aus einer Bluse samt Faltenrock bestehen würde. Darauf erwiderte ich meinerseits, nicht an dieser Stelle interessiert zu sein.

Beim Hinausgehen rief er noch hinterher, so etwas wie mich, hätte er nicht eingestellt.

Ein sittenwidriges Verhältnis, diese Begrifflichkeit wurde samt der Vermutung zur Kuppelei, Mitte der 70er Jahre verworfen. Aber anscheinend nicht in allen Köpfen, als ich Anfang der 80er mit Johannes zusammen ziehen wollte, wurden wir gefragt, ob wir verlobt seien und wann wir heiraten würden.

Die 80er Jahre waren Zeiten des Umbruchs und des Wandels, manch einer tat sich schwer damit!

Die Jobsuche war ausgesprochen schwer und hat dementsprechend lange gedauert. Nicht zuletzt, weil ich nach wie vor keine Ahnung hatte, was ich machen wollte.

Früher, als Kind und Teenager habe ich gesagt, ich will mal berühmt werden. Schnell habe ich erkannt, dass man dafür einigen Leuten zu Willen sein muss, dieser Preis war mir zu hoch!

Dies wurde mir besonders bewusst, als ich in der JUSOS tätig wurde.

Es hatte nicht lange gedauert, als man mich zum Ortsgruppenvorstand wählte. Unbekannt, aber eine gute Rednerin mit sozialistisch-marxistischer Gesinnung, dem Ziel verbunden, die gesamtgesellschaftlichen Rechte der Frau zu erreichen.

Plötzlich meinte jeder, mir sagen zu müssen, auf wenn ich zu achten hätte, wie ich was am besten machen sollte sowie, dass es dieses und jenes noch zu beachten gäbe. Diese Manipulation war mir ausgesprochen zuwider!

An sich hätte es mir gefallen, in der Politik tätig zu sein, etwas zu bewegen. Aber dieses Manipulieren, Gefälligkeiten zu gewähren und einzufordern lag mir nicht.

Von daher war es mit der politischen Berühmtheit nichts. Als ich mein Amt niederlegte, waren die Klagen groß. Ich hätte viel erreichen und bewegen können, sagte man mir.

Vielleicht hätte ich das, vielleicht nicht. Letztlich haben mich diese Mauscheleien gelangweilt und wenn mich etwas langweilt, gehe ich weiter.

Habe ich Dir erzählt, dass Möllemann mein direkter Nachbar war?

Wahrscheinlich nicht, wir haben nie über Politik geredet. Im Nachhinein finde ich das seltsam. Politik gehört zu meinem Leben, da ich die Meinung vertrete, dass Demokratie verteidigt gehört – heute übrigens mehr, denn je! Viel zu viele glauben, es würde so bleiben, wie es ist, weil es in den letzten Jahren auch schon so war. Dabei merken sie nicht, wie sie in den letzten fünfzehn Jahren ihre Freiheit und Demokratie ausgesprochen billig verkauft haben. Nur, um weiterhin an den Wohlstand glauben zu können.

Schon Voltaire sagte, der Durchschnitt der Bevölkerung ist dumm.

Wie erwähnt, die politische Berühmtheit habe ich mir verbaut, begründet im mangelnden Gehorsam.

Was blieb?

Träume hatte ich viele. Als Kind wollte ich Tänzerin werden, da ich Fred Astaire Filme liebte. Als ich vermehrt Bücher las, wollte ich Schriftstellerin werden, danach stand Fotografin ganz oben auf meiner Liste.

Meine beruflichen Träume hatten alle etwas gemeinsam – sie besaßen das Attribut der brotlosen Kunst!