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Hi, ich heiße Susannah, bin 29 ¾ und IMMER NOCH Single. Ich habe eine Pferdemähne wie ein Haflingerschweif, einen Hintern so groß wie ein Mini-Ufo-Landeplatz und als schnöde Wollverkäuferin bin ich das schwarze Schaf der Familie. Obwohl ich mir im Zeitalter von Google meinen Traummann BASTELN könnte, probiere ich es stets auf die herkömmliche Art; doch leider versagt mein männliches Checkerprogramm STÄNDIG und so jagt ein Beziehungsdesaster das nächste. Also habe ich mich kurzerhand von meinem Sandkistenfreund Nick überreden lassen, meinen Traummann im UNIVERSUM zu bestellen und bin ins Land der Wolle abgedüst: nach AUSTRALIEN, der Heimat von Rumpelstilzchen. Ich frage mich allerdings, WOMIT der Mitarbeiter im Universum beschäftigt ist, denn auch in Australien lässt mein Traummann auf sich warten. Ich finde, jemand sollte ganz dringend eine App erfinden, die einem den Bestellstatus im Universum mitteilt, dann wüsste ich zumindest, wie viel Wolle ich noch verkaufen muss, bis meine Bestellung endlich eintrifft! Und bis dahin spinne ich weiter Schokolade ...
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Seitenzahl: 430
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Meine Traummannliste
Australien, ich komme!
Willkommen im Wollparadies
Tausche Koffer gegen Eiskrem
Ein Drachenweib auf zwei Beinen
Ein Schnösel, Black Beauty und Walrossküsse
Alien-Mütter und Drachenschnepfen
Hilfe, ein Walross-Date
Pinkel niemals vor Rumpelstilzchens Tür!
Na, da brat mir doch einer ‘n Storch!
Neuseeland
Auch das noch!
Wofür Vitamin B alles gut ist…
Nie ist Rumpelstilzchen da, wenn man es braucht!
Ich glaub‘, ich bin im Film!
Kalorien und schlaue Zehen
Mr McWaschlappen und Sohn
Clown oder Schnösel?
Hilf‘ dem Universum auf die Sprünge…
…und promptamente flattert dir ‘ne Bewerbung ins Haus!
Ur-Alte-Schachtel mit Aussicht auf Happy End
ENDLICH ist Samstagabend.
Aber es ist nicht irgendein Samstagabend.
Auf meinem Kalender steht eine fette zweiundzwanzig.
Ich habe doch glatt den Weltuntergang verpasst.
(Oder habe ich ihn überlebt?
Ich.
Und der Rest der Menschheit.)
Jeder hat in der letzten Woche auf den einundzwanzigsten Dezember 2012 hingefiebert oder ängstlich aufs Datum geschielt und sich ausgemalt, was alles Schreckliches passieren würde.
(Kommen die Außerirdischen und erobern unseren Planeten, indem sie ihre Ufos auf jedem unserer Kontinente landen, um uns zu überwältigen?
Oder leben einige Aliens bereits unter uns, lassen die Hosen runter, reißen ihre Verkleidungen von ihren hässlichen Körpern und nehmen uns mit mindestens fünf laserfähigen Augen gefangen?
Vielleicht wachsen auch überall grünschleimige Tentakel aus dem Boden und ziehen uns in den Erdkern, und nur die Guten, die Schlauen und die Schönen überleben am Mittelpunkt der Erde zur Nachzucht der Menschheit.)
Hallo, ich bin Susannah, 29 3/4 und was meinen Hintern und meinen Haarschweif anbelangt, könnte man mich glatt mit einem Pferd verwechseln.
Zumindest behaupteten das einige bösen Zungen zu meiner Schulzeit und wenn ich mich im Spiegel so betrachte, befürchte ich, dass sie Recht hatten.
Und ja, ich habe nicht nur zu viel Phantasie, ich habe vor allem zu viel Star Trek- und Raumschiff Enterprise-Filme geguckt. Zusammen mit Nick, meinem besten Freund, oder auch Captain Kirk und meine Wenigkeit als Lieutenant Uhura.
(Ich WEISS, dass ich mit meiner kalkfarbigen Haut nicht annähernd so farbig war, wie die ECHTE Uhura, aber ich hielt sie damals für die coolste Frau an Bord der Enterprise.
Und wer will im Alter von 10 Jahren nicht cool sein?
Etwas Theaterschminke im Gepäck und schon konnte die Entdeckungstour durchs Universum als Helden des Erdballs losgehen.)
Natürlich bin ich auch Realist!
Und so fragte ich mich die letzten Wochen, was die Menschheit macht, wenn die Erde tatsächlich auf andere Weise vernichtet werden würde?
(Zum Beispiel durch den Ausbruch eines Supervulkans.
Oder das erloschene Tamu-Massiv am Pazifikboden östlich von Japan erwacht zum Leben.
Der größte aktive Vulkan, der Mauna Loa auf Hawaii, könnte die amerikanischen Kontinente vernichten und die gewaltigen Wassermassen ertränken den Rest der Welt.
Oder der Hot-Spot des Vulkankomplexes Yellowstone im Nationalpark von Wyoming, USA, der seit siebzehn Millionen Jahren aktiv ist, öffnet seine acht Kilometer tief liegende Magmakammer und speit seinen Kladderadatsch auf alles, was sich bewegt.)
Sowohl die Neugierigen, die Emmerichs Film 2012 im Kino gesehen, als auch diejenigen, die sich eher auf den Maya-Kalender verlassen haben, konnten eine gewisse Furcht mit Blick auf den gestrigen Tag nicht leugnen.
(Ich auch nicht.)
Neulich habe ich in der U-Bahn ein paar besonders schlaue Akademiker belauscht.
(Die haben so laut gesprochen, dass man zuhören MUSSTE.
Echt!)
Die meinten, dass es gar keinen Weltuntergangstag geben soll, sondern im Kalender der mesoamerikanischen Ureinwohner nur ein neuer Zyklus beginnt.
(Können die Leute nicht fremdwörterfrei reden, wenn sie sich schon in öffentlichen Verkehrsmitteln unterhalten müssen?
Wer sagt schon MESOamerikanisch?
[›Mittelamerikanisch‹ hätte es doch auch getan, oder?]
Ich konnte dem Gespräch kaum noch folgen, weil ich das Wort nicht vergessen wollte, bevor ich es gegoogelt hatte!)
Die Anzugträger meinten, es soll gar nicht so einfach sein, die vielen Zyklen im Maya-Kalender richtig auszurechnen, denn dazu müsste man den MayaCODEX kennen.
(Ich habe gar nicht gewusst, dass die Mayas einen Codex hatten!
[Aber Zyklen kenne ich zur Genüge.
Manchmal sind die zuverlässig, vor allem, wenn man einen RICHTIG coolen Typen an der Angel hat und manchmal könnte man sie auch an die Wand klatschen, weil sie einen glauben lassen, man sei schwanger, obwohl der Typ, mit dem man wirklich nur eine Nacht {eine winzige, miniklitzekleine Nacht} verbracht hat, echt kein ehetauglicher Kandidat ist.])
Zur Zeit quäle ich mich mal wieder durch den Zyklus des Singledaseins.
Ich habe eine verdammt lange Arbeitswoche hinter mir und obwohl sie nicht länger war als die anderen davor, ist sie mir unendlich vorgekommen.
(Ich weiß, das ist bisher wissenschaftlich nicht belegt worden, aber wenn man Single ist, läuft die Zeit LANGSAMER.
Echt!
Die ganzen Theorien, die Einstein über die Zeit aufgestellt hat, gelten für Singles NICHT.
Als Single muss man seine Zeit nämlich TOTSCHLAGEN, als Frischverliebte krampfhaft festhalten.
Sehr, SEHR ungerecht und darüber hat Einstein hundert pro keine Theorie aufgestellt!
[Ob der jemals verliebt war?])
Erschöpft betrete ich meine kleine, bescheidene (einsame) Wohnung im tiefsten Langenhorn, etwa zwanzig Bahnminuten von Hamburgs Innenstadt entfernt und werfe alle Sachen von mir. Bewaffnet mit einer großen Tasse heißen Tees gehe ich wenige Minuten später ins Wohnzimmer an mein geheimes Süßigkeitenversteck und gönne mir eine extra große Tafel Schokolade mit Knisterfüllung.
(Dieses entsetzlich leckere Knisterzeugs gab es schon zu meinen Kindertagen, nur mit dem Unterschied, dass man nach dem Knistern [wozu man den Mund möglichst weit aufriss] noch auf einen Kaugummi stieß.
Und natürlich sprang auf der Verpackung ein leuchtend grüner, grinsender Alien herum!
Ich war also nicht die einzige, die damals schon an Außerirdische glaubte.)
Zusammen mit meiner Schokolade falle ich aufs Sofa.
Ein Blick auf die Fernsehzeitung genügt und ich weiß, es gibt nichts Aufregendes im Fernsehen.
Dennoch schalte ich die Kiste ein und lege mein Nagelset zurecht.
Obwohl auf dem Sender Nachrichten kommen, schalte ich nicht um.
(Nachrichten gucke ich schon seit Jahrhunderten nicht mehr.
Echt!
[Außer Wetternachrichten, damit ich weiß, was ich am nächsten Tag anziehen kann.
{Und ja, ich WEISS, dass es KEINE WetterNACHRICHTEN gibt, aber ich finde, das Wort hätte längst erfunden werden müssen.}]
In den Nachrichtensendungen bringen sie auch heute mal wieder Täglich grüßt das Murmeltier.
[Irgendwelche Volksvertreter, die sich mit saudummen Äußerungen profilieren müssen, um nicht übersehen zu werden.
{Welches Volk vertreten die eigentlich?}
Bundestagsabgeordnete, die sich irgendwelche Vorteile verschafft haben.
Mord und Totschlag irgendwelcher Durchgeknallten.
Preisverleihungen.
Ach, und Kriege hormonbelasteter Männer in beneidenswert sonnigen Gebieten nicht zu vergessen.])
Ich quetsche mir also gelangweilt das dicke Moosgummi zwischen die Zehen, damit der Nagellack nicht ungewollt auf Wanderschaft geht.
(Das Sofa ist zwar ein Geschenk meines Nachbarn, aber auch Präsente soll man in Ehren halten und es ist weiß und äußerst schmutzempfindlich.)
Eine hübsche Nachrichtensprecherin um die Vierzig spricht lächelnd in die Kamera.
»…Die Massenpanik vor dem Einundzwanzigsten Dezember 2012 ist Vergangenheit, der Weltuntergang ist ausgeblieben. Einige behaupten, es läge ein Rechenfehler vor, andere wiederum haben das magische Zeitalter eingeläutet.« Ich erinnere mich, dass so ein paar Esoterikfreaks im Reformhaus um die Ecke davon gesprochen haben, dass nun IHR Zeitalter anbrechen würde.
Wie man sich das genau vorstellen soll, haben sie nicht gesagt.
(Dazu hätte ich länger stehenbleiben und lauschen müssen, aber ich hatte Angst, dass sie mich zu ihrer nächsten Séance einladen und ich dann auf die geistigen Überreste meiner biestigen Ur-Oma stoßen würde.)
Zugegeben, mit Magie habe ich nie viel am Hut gehabt.
Dabei ist es nicht so, dass ich mich nicht dafür interessiere. Magie ist toll, geheimnisvoll und äußerst praktisch.
(Wenn man sie beherrscht.)
Außer Nick kenne ich allerdings niemanden, der sich mit Magie auskennt.
(Und Harry Potter natürlich.)
Natürlich reizt mich die Mystik, die sich dahinter verbirgt.
(Und wie gerne hätte ich schon den einen oder anderen mit dem Zauberstab verhext oder wäre ganz galant mit Flohpulver per Kamin in den Urlaub gerauscht.
Doch leider bin ich weder auf einer Schule für Zauberei gewesen, noch habe ich magisches Blut in meinen Adern.
[Wenn ich ehrlich sein soll, bin ich mir nicht einmal sicher, WAS überhaupt durch meine Adern fließt.
Blaues Blut ist es auf jeden Fall nicht!
Ich schätze, mein Blut ist eher zuckrig klebrig und schokoladenbraun, darum muss ich auch immer zur Schokolade greifen.
Um meine BRAUNEN Blutkörperchen bei Laune zu halten.])
Seufzend greife ich zur Schokolade und reiße meinen Mund möglichst weit auf, auch wenn nur meine Staubmäuse Zuhörer dieses einmaligen Knisterkonzerts werden.
Seit der Trennung von Tim schreit mein Körper nach Glückshormonen und die brauchen meine braunen Blutkörperchen, damit sie die tiefe Wunde der Demütigung in meinem Herzen schließen können.
(Klar, ich könnte stolz darüber hinwegsehen, dass ich nach nur sechs Wochen betrogen worden bin, aber ehrlich gesagt, war die Situation so beschämend, dass ich mich krankgemeldet und tagelang verkrochen habe, als könnte man mir an der Nasenspitze ansehen, dass ich so verarscht wurde.)
»Das Leben ist Bewegung«, hat Nick am Telefon gesagt, als ich ihm von meinem erneuten Beziehungsreinfall berichtet habe.
»Und wo bin ich stehengeblieben?«
»Du bist nicht stehengeblieben, Süße! Du bist einfach am falschen Ort.«
»An welchem Ort bin ich denn richtig?«, habe ich frustriert gefragt, »etwa bei dir in Australien?«
»Genau! Sehr gute Idee übrigens, hätte von mir sein können. Komm zu mir, sobald du Urlaub hast.«
»Ich denke darüber nach.«
Und wie ich darüber nachdachte!
(Ich habe praktisch an nichts anderes mehr gedacht.
[Außer vielleicht noch an Schokolade.
Okay, vielleicht auch noch an weiches, fruchtiges Weingummi, an meine Anti-Baby-Pille und an ein paar andere unwichtige Kleinigkeiten.])
Vor allem denke ich aus einem einzigen Grund (dem wichtigsten überhaupt) über eine Flucht in das Land meiner Väter nach: Dezember 2012 bedeutet für mich, dass sich das Jahr 2013 nähert.
[Ich WEISS, das ist allgemeingültig, aber ich war ja auch noch nicht fertig mit meiner Erzählung.]
Und das wiederum heißt, dass ich ganz hart auf meinen dreißigsten Geburtstag zusteuere und das (mal wieder) als Single.
Besonders viel Geld habe ich nicht angespart.
(Wie auch?
Ich arbeite seit Jahren bei Herrn Meyer im Wollladen um die Ecke und mein Chef ist so geizig wie er alt ist.
[Natürlich weiß ich nicht genau, wie alt er ist, aber er hat sehr, SEHR viel Stacheldraht im Portemonnaie.])
Nach einem kurzen Kassensturz (oder vielmehr einem Blick auf meinen Kontoauszug) habe ich festgestellt, dass ein Hinflug nach Australien durchaus drin ist.
Das würde vor allem bedeuten, dass mir das lästige Schachtelfest erspart bleibt, das einige meiner ›Freundinnen‹ für meinen Dreißigsten geplant haben.
(Ich setze die Freundinnen absichtlich in Anführungszeichen, denn wahre Freunde unterliegen dem Freundinnen-Codex, der besagt, dass man nichts tut, was die andere nicht will.
Noch immer bekomme ich eine Gänsehaut, wenn ich an meine alte Schulfreundin Maike denke, die an ihrem fünf- undzwanzigsten Geburtstag nach der Arbeit nichtsahnend nach Hause kam und bereits die Haustür mit Schuhkartons zugeklebt war.
Doch der Schreck wartete erst noch IN ihrer Wohnung auf sie.
Überall lagen kleine und große Schachteln herum und als sie die endlich weggeräumt hatte und ein Entspannungsbad nehmen wollte, ist sie beim Anblick der Badewanne fast in Ohnmacht gefallen.
Sie war gefüllt mit HUNDERTEN von Zigarettenschachteln und das Badezimmer stank so entsetzlich nach Nikotin, dass sie tagelang lüften musste.
Geplatzt war der Traum von einem heißen Bad.
Und ihren fünfundzwanzigsten Geburtstag verbrachte sie mit Aufräumen und Putzen.
Auf diese Art der Geburtstagsüberraschung kann ich wirklich gut verzichten.
[Okay, ich weiß, ich bin als Neunundzwanzigjährige bereits eine alte Schachtel, aber ich hatte mich zu meinem fünfundzwanzigsten Geburtstag mit meiner derzeitigen Liebe Max nach Gran Canaria verdrückt und meine Haustür durch ein lichtsensorisches Hochsicherheitssystem vor ungewollten Streichen abgesichert.
Sobald jemand weniger als einen Meter von meiner Tür entfernt war, explodierten kleine Schwarzpulversäckchen, die mir Max als Pyrotechniker zur Verfügung gestellt hatte.
Genialer Schachzug!
Sehr genial.
Echt!]
Damals haben meine Freundinnen geschworen, das Schachtelfest an meinem dreißigsten Geburtstag nachzuholen.
Schöne Freundinnen habe ich da an der Backe!
Ich sollte dringend an meinem Auswahlverfahren arbeiten!)
Nachdenklich starre ich auf meine Fußnägel, die mittlerweile regenbogenfarben glitzern. Während die Farbe trocknet, muss ich stocksteif sitzen bleiben, also angele ich nach Nicks Brief, der heute im Briefkasten gelegen hat und lächele beim Anblick des Umschlages: Er ist mit dutzenden, verrückten Smileys verziert.
Neugierig falte ich das Schriftstück auseinander und beginne zu lesen.
Liebe Susannah,
unterhalte dich nur mit Menschen in punkto Beziehung, die auf demselben Weg wandeln, wie du selbst. Das ist wichtig, denn dein Herz wird sonst kirre und du brauchst viel Ruhe, um endlich den Richtigen zu finden. Deine Mutter ist also die Letzte, auf die du hören solltest!
Mach es wie ich! Nimm dir Zettel und Stift und wünsche dir deinen Traummann herbei. Hast du alles für das Liebesritual beisammen? Hast du rosafarbene Kerzen und dein Lieblingsöl besorgt? Wenn nicht, hast du nur noch ein paar Tage Zeit!
Warte auf den Vollmond und reibe die Kerzen dann mit dem Öl ein. Zünde sie an mit dem Wunsch, endlich deinen Traummann zu finden. Nun schreib die Eigenschaften deines Traummannes auf, den du finden willst – ich schreibe absichtlich »finden«, denn die Liebe sucht man nicht ;).
Lege deinen Wunsch in eine Wunschbox und stelle die Box auf deine Fensterbank. Öffne das Fenster und bitte das Universum, dir den für dich perfekten Mann zu schicken.
Ich wünsche dir Kraft und Geduld für dein Abenteuer, freue mich auf unser baldiges Wiedersehen und sende dir magische Grüße, Nick
Voller Vorfreude reiße ich das Kalenderblatt ab.
ENDLICH schreiben wir den Fünfundzwanzigsten Februar 2013.
(Es ist Vollmond!)
Natürlich habe ich rosa Kerzen besorgt.
(Durchgefärbte, darauf hat Nick bei unserem letzten Telefonat bestanden.)
Aufgeregt wie eine Schulanfängerin vor dem ersten Schultag frühstücke ich im Eiltempo, bringe irgendwie den Arbeitstag hinter mich und kündige drei Minuten vor Feierabend.
(Das war gar nicht so einfach, denn Herr Meyer ist so griesgrämig wie er alt ist.
Klar, ich liebe meine Arbeit im Wollladen, aber keine meiner Ideen durfte ich bisher umsetzen, und ich sprudele über vor guten Ideen.
Ich fühle mich wie ein ungezähmtes Alpaka, das man an einer viel zu kurzen Leine ohne Auslauf hält.)
Herr Meyer hat meine Kündigung mit Fassung getragen, irgendetwas Unverständliches vor sich hingemurmelt und mich schließlich für den Rest der noch verbleibenden drei Wochen freigestellt.
Die Idee, meinen Job an den Nagel zu hängen, kam mir, als ich im Reisebüro ein Ticket nach Australien gebucht habe.
(Flugtickets für Reisen über den großen Ozean sind ja SO WAS VON unverschämt teuer geworden!
So als Ottonormalwollverkäuferin sind schlappe tausend Euro pro Flug kein Pappenstiel.
[Das sind mindestens siebenhundert Tafeln medizinisch notwendige Schokolade!])
Der Preis ist also so hoch gewesen, dass ich spontan entschieden habe, nur den Hinflug zu buchen.
(Okay, vielleicht hätte ich noch einen Rückflug buchen können, aber irgendwie gefiel mir der Gedanke, länger in Australien zu bleiben.
Oder FÜR IMMER?
Oder zumindest solange wie ein Visum gilt, was im Grunde genommen auch schon eine Wissenschaft für sich ist.
[Es ist nicht so, dass ich der englischen Sprache nicht mächtig bin, immerhin bin ich zweisprachig aufgewachsen, aber es gibt so viele verschiedene Arten von Visa, dass ich echt verwirrt bin.
{Wieso heißt es eigentlich nicht Visums?
Einfach ein ›s‹ hinten ans Wort und fertig ist der Buchstabensalat.
Ist doch viel logischer!
Aber mit Logik darf man den Herrschaften der Rechtsschreibreform nicht kommen, denn wer erklärt mir sonst, warum es gesunken, gestunken, getrunken und GEWINKT heißt?}])
Nach der Arbeit bummele ich noch ein wenig durch die Läden und fahre dann nach Hause.
Ungeduldig warte ich auf die eintretende Dämmerung.
Heute ist der Tag X.
Der Tag, der in meinem Kalender rot angestrichen ist.
(Der Tag, an dem Susannah Johnson zu einer Hexe werden sollte und jeder, der meinen Kalender später einmal finden wird, wird sich denken: »Das war also der entscheidende Moment, an dem die Magie durch die gute, alte Hexe Susannah wiederbelebt wurde.« Ich werde Geschichte schreiben.
Ich – moi!)
Gegen zwanzig Uhr koche ich mir eine Kanne Tee, hole meinen alten Füllfederhalter heraus, kuschele mich in meine Wolldecke und nehme das Lavendelöl zur Hand.
Die beiden Kerzen habe ich vorher anweisungsgemäß in heißes Wasser gelegt, um sie wie zwei Giraffenhälse miteinander verschlingen zu können.
Nun stecken sie in den beiden Messing-Kerzenleuchtern vom Flohmarkt und warten auf das Ritual.
(Okay, wenn ich ehrlich sein soll, kann ich eine gewisse Skepsis nicht leugnen.
Wenn wirklich ein Liebesbote im Universum sitzt und Bestellungen entgegennimmt, dann könnten wir Menschen uns doch eine ganze Menge Enttäuschungen sparen!
Die Bestellungen flattern dann einfach auf den wolkigen Schreibtisch, an dem der Sachbearbeiter für Herzensangelegenheiten sitzt und sie mit einem erstaunten »Ah!« liest und sich denkt: »Mensch, hätte ich diese Bestellung schon früher bekommen, hätte ich Susannah nicht all diese Nieten geschickt!«) Aber es kann ja vielleicht nicht schaden, der Liebe etwas auf die Sprünge zu helfen.
(So ein klitzekleines bisschen zumindest.)
Ich betreibe schließlich kein Voodoo.
(Oder ist es doch Voodoo, wenn man irgendeinen armen Schropf versucht an sich zu binden, der eigentlich eher für eine andere bestimmt ist und nun gegen seinen Willen an MEINE Haustür klopfen muss?)
Ich denke lieber nicht weiter darüber nach und reibe die Kerzen ein.
Dann ritze ich meinen Namen in die eine Kerze und ›Traummann‹ in die andere.
Schnell das Feuerzeug ergriffen und schnapp, brennen die Kerzen.
Ehrfurchtsvoll greife ich nach Zettel und Stift und beginne, hochkonzentriert auf meiner Unterlippe kauend, Eigenschaften in meinem Kopf hin und her zu wälzen, die auf gar keinen Fall fehlen dürfen.
Schließlich starte ich mit meiner Liste…
Meine Traummann – Liste
- Humorvoll
Ich lache für mein Leben gern und die Chinesen sagen, das Leben meistert man lächelnd.
Ein Mann ohne Humor kommt mir nie wieder in die Stube.
(EINE düstere Erfahrung reicht mir.
Echt!
Ich bin auch überhaupt kein Freund von Kellern.
[Und ich will niemandem mehr dorthin folgen müssen, der sich an diesen Ort verzieht, um sich heimlich ein Lachen abzuringen.])
Ehrlich, Kevin war ein gaaaaanz wichtiger Geschäftsmann.
Superoberwichtig sogar.
So wichtig, dass er tagsüber (und meistens auch abends) gar nicht bis selten zum Lachen kam. (Dabei ist es ja bekannt, dass Erwachsene nur noch bis zu maximal fünfzehn Mal am Tag lachen.
Ein Kind lacht ungefähr VIERHUNDERTFÜNFZIG MAL am Tag.
Was passiert bloß mit dem Lachen?
Sitzt da jemand im Universum und entzieht es den Achtzehnjährigen, damit es an die Neugeborenen verteilt werden kann, die {bekanntermaßen ja ohne Lachen} geboren werden?
[Wirklich, ein Mensch wird ohne die Fähigkeit zu Lachen geboren und alle, die bei den Wölfen aufgewachsen sind, können das bestätigen.])
Für Kevin gilt die fünfzehn-Mal-Lach-Regel allerdings NICHT.
Er ist sozusagen die Ausnahme.
Kevin lacht maximal fünfzehn Mal IM JAHR und das auch nur, wenn ihm eine dicke Provisionszahlung winkt.
(Ich bin da eher die Ausnahme von der Ausnahme.
Schon als Sechsjährige habe ich mindestens SECHSHUNDERT MAL am Tag gelacht und als Teenager war ich gar nicht mehr zu bremsen.
Ich war die größte Lachschnepfe der ganzen Schule, wenn nicht sogar der ganzen Stadt.
Es gab keinen Witz, der nicht vor mir Halt machte.
Ungelogen.
Das ging auch gar nicht, denn Witze habe ich mir damals reingezogen wie heute Schokolade.
[Ich schätze, der Sachbearbeiter im Universum hat mir aus Versehen bei meiner Geburt die doppelte Dosis Lachpulver verabreicht und an meinem achtzehnten Geburtstag hat er mich glatt übersehen!
{Ich schätze, der war mit all den Liebesbestellungen beschäftigt!}])
In der Bahn habe ich neulich gehört, dass es LACHKLUBS in Indien geben soll.
Welcher Erwachsene fährt nach Indien (was sicherlich auch nicht billig ist, wenn ich mein Ticket nach Australien so betrachte) und begibt sich freiwillig in einen Lachklub?
Natürlich habe ich das zuhause sofort gegoogelt.
Es gibt mittlerweile sogar Lachklubs in Deutschland.
Die Leute schämen sich echt nicht, sich so einen Mist auszudenken und auch noch Geld dafür zu verlangen!
Okay, zugegeben, ich habe erst noch überlegt, ob ich mich zu einem Lach-Yoga-Leiter ausbilden lasse, nur so zum Spaß.
(Kostet aber zweihundertsechzig Euro, der Spaß.
[Oder einhundertdreiundsiebzig Tafeln Schokolade.]
Vielleicht ein BISSCHEN teuer.
Andererseits ist es fast geschenkt, wenn man überlegt, dass man dann ein Diplom an der Wand hängen hat.
[Ich habe ja keins, so als Wollverkäuferin.]
Es würde sich also ganz gut an meiner Wand machen.
Und meiner Mutter könnte ich endlich mal zeigen, dass auch ich für eine Führungsposition geeignet bin.)
Vielleicht mache ich das, wenn ich die dreißig hinter mich gebracht habe.
Die Option halte ich mir in jedem Fall offen, denn ich gehöre zu den Erwachsenen, die mindestens zwanzig Mal am Tag lachen.
(Ich bin also geradezu prädestiniert für diesen Job.)
- Rücksichtsvoll und aufmerksam
Vor zwei Jahren hatte ich einen sehr, SEHR rücksichtsvollen Freund.
Andreas verstand es, mir die Welt zu Füßen zu legen.
Es gab keine Tür, die er nicht vor mir ersprintete, um sie mir galant zu öffnen.
Auch im Restaurant hat er mir den Stuhl zurechtgerückt und mit der Bestellung gewartet, bis ich mich für ein Gericht entschieden habe.
(Und das war gewiss NICHT einfach.
Ich bin kein entscheidungsfreudiger Mensch.
Erst recht nicht, wenn es ums Essen geht.
[Essen hält ja Leib und Seele zusammen, hat schon meine Oma gesagt.
Und da meine Seele sehr anspruchsvoll ist, verlangt mein Körper auch sehr, SEHR anspruchsvolles Essen.])
Aber Andreas war auch in anderen Dingen sehr aufmerksam.
Er wartete im Bett immer ab, bis ich meinen Höhepunkt erreicht hatte.
(Das kann ich wirklich nicht von jedem behaupten.)
Tom zum Beispiel war ein gaaaaanz Schneller.
Und Türen waren für ihn nicht geschaffen.
Ich schätze, das lag daran, dass er in einer U-Bahn geboren worden ist.
(Sein persönliches Trauma.
Kein Scherz.
Echt!)
Tom blieb grundsätzlich vor jeder Tür stehen, als wenn sich diese automatisch öffnen würde.
Ich hatte schon fast den Eindruck, der Ärmste sei im Knast aufgewachsen, aber seine Mutter hat meine Frage sehr, SEHR verärgert dementiert.
(Ich glaube, danach war ich nicht mehr so gerne bei ihr gesehen.)
- Treu
Dieser Punkt ist heutzutage nicht zu unterschätzen, denn was nützt ein Freund, der mit anderen Röcken herumpimpert und einem multiresistente oder andere tödliche Viren einschleppt?
(Ist ja nicht so, dass Männer sonderlich scharf auf Gefühlskiller sind und gerne zum Gummi greifen.)
Und mir reicht der hohe Schokoladenanteil im Blut wirklich aus.
(Klar, ich weiß, dass an der Treue immer zwei beteiligt sind.
Dennoch bin ich für die ehrlichere Variante der Trennung.
Wenn es nicht mehr passt, kann man es eben NICHT alles passend machen.
Lieber ein mutiger Schnitt.
Aus.
Schluss.
Vorbei.
Aber bitte nicht fremdpimpern!
[Womöglich noch ohne Gummi und mit Achtzehn-Jahre-Alimenten.])
- Beziehungsfähig
Die letzten fünf Freunde waren durch die Bank weg beziehungsUNFÄHIG.
Was ich schon daran zu spüren bekommen habe, dass sie sich allesamt eingeengt fühlten, wenn ich sie mehr als einmal am Tag per WhatsApp angeschrieben habe.
(Dabei ist diese App so unglaublich praktisch und spaßig.
Hey, man kann sich Smileys und Herzen nach Lust und Laune in Sekundenschnelle hin und herschicken!
Sogar Fotos muss man nicht mehr entwickeln lassen.
Man macht sie einfach mit dem Handy und schwupp, sind sie mit einem Klick von Hamburg nach Australien verschickt.
Sehr genial und absolut kostengünstig.
[Hätte glatt von mir sein können.]
Ich finde, der oder die Erfinder sollten einen FreundschaftsNOBELPREIS dafür bekommen.
Echt!
[Okay, ich WEISS, dass die Leute tuscheln, WhatsApp-Mitarbeiter könnten Millionen von Fotos und Nachrichten der vielen Nutzer mitlesen.
Aber gönnen wir den Aliens unter uns doch auch ein wenig Vergnügen, wenn Lieschen Müller ihrem Hansi ein heißes Foto mit der Bemerkung schickt ›Heute schon gepoppt?‹]) Bernd (klitzekleiner, dreiwöchiger Ausrutscher) schrieb ganz schnell zurück, dass das Klingeln seines Handys seine Kollegen im Büro störe.
(Stummschaltung ist ja bekanntermaßen kein technisches, sondern eher ein soziales Problem.
Dann verpasst man nämlich ALLE Nachrichten.
Nicht nur die ungeliebten!)
Max hatte plötzlich keine Zeit mehr.
Kevin fühlte sich jedes Mal gleich angesprochen, Cybersex zu starten.
(Wobei er für private Termine am Abend grundsätzlich Geschäftstermine vorschob.)
Kim wollte nach sechswöchiger ›Vögelkunde‹ keinen vertiefenden Kontakt und Sam hatte gaaaaanz schnell deutlich gemacht, dass ich fürs Bett ausreichte, aber im wirklichen Leben keinen Platz an seinem Tisch fand.
- Kinderlieb
Ich bin nun fast schon eine uralte Schachtel, meine ehemaligen Klassenkameradinnen haben alle mindestens ein Kind, nur ich bin noch auf der Suche nach dem Vater meiner Kinder.
(Dabei gibt es so viele [überflüssige] Apps!
Kann nicht mal einer eine erfinden, wo man per Knopfdruck den Vater seiner Kinder an der Strippe hat?
Als verlängerter Arm des Universums sozusagen.
[Ich meine, die Leute erfinden Bad-Lüfter fürs Handy, damit die peinlichen Blähungen ihren Weg auch dann nach draußen finden, wenn man auf einer öffentlichen Toilette ist oder wenn man einen ganz heißen Lover ergattert hat, der um Gottes Willen NICHT hören soll, dass man vor oder nach dem Sex vor lauter Aufregung {oder zu gutem chinesischen Essen} dringend etwas Luft loswerden muss.
Es gibt sogar eine Pfeifhilfe, damit der sabbernde Bauarbeiter, der vor lauter Spucke nicht mehr pfeifen kann, die Aufmerksamkeit der wohlgeformten Nymphe doch noch erhascht.
Wie peinlich ist das denn!])
Eine Vater-Such-App dagegen wäre DER Hit.
Echt!
Und natürlich will auch ich mich fortpflanzen, kleine rosa Röckchen und Glitzerkettchen kaufen, auf Autos ausrutschen und Kinderzimmer aufräumen, damit das Spielzeug nicht irgendwann von alleine aus dem Haus marschiert.
Und genau hierfür benötige ich Mr Kinderlieb.
- Heiratswillig
Natürlich träume auch ich von einer schnulzigen, vollkommen übertriebenen Hochzeit in Weiß mit Pferdekutsche, roten Rosen und Schmetterlingen im Bauch.
(Meine Eheschließung soll so prunkvoll sein, dass selbst Hollywood-Stars erblassen.)
Klar, eine weniger pompöse Hochzeit wäre auch akzeptabel, aber wirklich nur im Notfall!
- Hobbys
Auch das ist nicht zu verachten.
Ich liebe Bücher, Handarbeiten (mit Wolle), Wandern und die Natur.
Vorlieben, die in heutiger Zeit auf wenig Beachtung stoßen, denn in der Natur findet man weder Computer, noch überall GPS-fähige Orte, um sein Handy uneingeschränkt nutzen zu können.
(Klar, ich bin auch abhängig von meinem Handy, aber kann man das Handy als Hobby betrachten?)
Was haben Männer für Hobbys?
(Außer Fußball und Internet-Surfen!)
Es muss ja nicht gleich stricken sein.
(Wirklich nicht.)
Ein strickender Mann ist eher unmännlich.
Ich denke da nur an Bernd.
Der konnte tanzen wie ‘ne Eins.
UND stricken.
(Und das besser als ich!
Unmännlich.
Echt!)
Aber einen ohne Hobbys will ich auch nicht an der Backe haben.
Er muss sich schon alleine zu beschäftigen wissen.
- Intelligent
Bei diesem Punkt darf ich nicht an meine Mutter denken.
(Was natürlich schon zu spät ist.)
Sobald meine Mutter auf dem Plan steht, weiß ich nicht einmal mehr, wie viele H’s in meinem Namen vorkommen.
Mein Gehirn schaltet einfach auf Leerlauf.
Puff, und alle grauen Gehirnzellen streiken.
(In Wirklichkeit sind die ja rosa.
Echt!
Aber wenn ich von meinen ROSAFARBENEN Gehirnzellen rede, hält mich doch jeder für plemplem.)
In Gegenwart meiner Mutter muss man sich dumm-dämlich fühlen, zumindest, wenn man nicht studiert hat.
(Allerdings glaube ich auch, dass sie es sogar schafft, einen Professor glauben zu lassen, er hätte nie seine Professur geschafft.
Meine Mutter ist sehr, SEHR speziell!)
Ich persönlich habe ja nur eine Ausbildung als Einzelhandelskauffrau gemacht, ohne Titel und sonstigen akademischen Firlefanz.
(Ist ja auch Quatsch, wenn wir Frauen ehrlich sind.
Es werden noch tausend Jahre und mindestens drei Weltuntergänge nötig sein, bis man minderbemittelte Männer gegen intelligente Frauen austauscht.
Da nützt auch keine gesetzlich verankerte Frauenquote in Führungspositionen.
[Vermutlich würden die Männer selbst das schamlos ausnutzen und die Frauen mit einem Drittel des Männerlohns abspeisen und Frauen akzeptieren das notgedrungen, weil sie froh sind, überhaupt einen Job zu haben.
Die Arbeitnehmerwelt ist ein undankbares Terrain für Frauen, vor allem, wenn sie Kinder haben.
Zumindest, wenn sie in Deutschland leben.
In Frankreich zahlen sie ab dem dritten Kind ja nicht einmal mehr Steuern!
Ich schätze, unsere Volksvertreter haben definitiv zu wenig Kinder!]
Wozu also soll eine Frau ein Studium absolvieren und einen Titel erkämpfen, wenn man dann Frau Doktor Herd & Haushalt wird?)
Ich bin ganz gewiss nicht elitär (bin ja nur Zahnarzttochter OHNE Studium), aber einen gewissen Anspruch interessanter Kommunikation kann auch ich nicht leugnen.
Max, der Lagerarbeiter vom Baumarkt um die Ecke, hat mich einmal zum Mittagessen ausgeführt.
Unser Gespräch war recht schleppend.
(Einfachste Wörter waren für ihn Fremdwörter, obwohl die weiß Gott NICHT im Fremdwörterlexikon zu finden sind.
[Ich habe sie extra im Nachhinein gegoogelt.]
Das war kein Amüsement.)
Ich hätte also gerne einen halbwegs intelligenten Mann.
- Arbeitsam, aber kein Workaholic
Nachdem Martin locker sechzehn Stunden am Tag gearbeitet und kaum Zeit gefunden hat, um über seinen Schreibtisch hinwegzugucken, habe ich das Faultier Kim kennengelernt.
Kim hat sich damit begnügt, dem Staat auf der Tasche zu liegen und nebenbei gelegentlich zu jobben, um seinen Partykonsum zu finanzieren.
(Das war SO WAS VON unsexy.
Echt!)
Perfekt wäre ein Mann, der morgens zur Arbeit geht und abends wieder zuhause ist, um die Kinder zu bespaßen, seiner abgöttisch geliebten Ehefrau (also mir!) die Füße zu massieren und das Schnulzenprogramm im ZDF mit anzugucken.
(Diese ganzen Weltuntergangs- und Actionfilme sind doch echt nur was für Machos und Männer, die zu dicke Eier haben.
Sie fördern weder die Romantik, noch das Verständnis für die Rolle der Frau.
Brauch ich nicht!
Als ich diese Ansicht allerdings mal in einer Kneipe anbrachte, erntete ich nur Gelächter.
»Such dir eine Frau als Mann oder den Mann im Mond, wenn du solche Eigenschaften haben willst«, war die Antwort einiger pikierter Männer.)
Nachdenklich lege ich meinen Füller beiseite.
Soll ich auch Angaben zum Äußeren machen?
(Dunkle Haare, eine unbehaarte Brust, ein knackiger Hintern und ein durchtrainierter Körper wären schon nicht schlecht.
Andererseits will ich mit ihm keinen Schönheitswettbewerb gewinnen, sondern einen Mann an meiner Seite haben, mit dem ich Spaß haben, mich fortpflanzen und harmonisch zusammenleben kann.
[Und ich will einen Mann, der auch noch meinen Rollator schiebt, wenn ich mit achtzig einen Gentleman brauche und vor lauter Falten ganz schrumpelig bin.])
Ich verzichte also auf Äußerlichkeiten und gehe meine Liste noch einmal durch.
Susannahs Traummann-Liste
Humor
Rücksichtsvoll und aufmerksam
Treu
Beziehungsfähig
Kinderlieb
Heiratswillig
Hobbies
Intelligent
Arbeitsam, aber kein Workaholic
Vollständig.
Perfekt.
Sorgsam falte ich meinen Wunschzettel zusammen und lege ihn in die selbstgebastelte Pappschachtel.
Dann öffne ich das Fenster, stelle meine Wunschbox auf das Fensterbrett und puste rosafarbene Rosenblätter mitsamt meiner Wünsche ins Freie.
Wie kleine farbige Schneeflocken werden sie vom Wind davongetragen.
Seufzend schaue ich den Blüten hinterher und schließe das Fenster wieder.
(Hoffentlich zeigt sich der Sachbearbeiter im Universum gnädig und bearbeitet meinen Wunsch, BEVOR ich in die Wechseljahre komme!
[Hier habe ich vergessen, Nick zu fragen.
Muss man dem Universum eine Frist zur Bearbeitung setzen oder gibt es keinen Lieferverzug?
Was mache ich, wenn die Sachbearbeiter streiken?
Kommt es dann zu jahrelanger Verzögerung oder gibt es Tricks, um sich an oberster Stelle der Rangliste zu platzieren?
Wie bezahle ich das Universum?
Reicht Dankbarkeit aus?])
Gott, ich habe Fragen über Fragen.
Wer kann die bloß alle beantworten?
(Ich finde, das ganze Universumsthema ist auch eine App wert!
Könnte da mal jemand mit der Entwicklung anfangen?
Vielleicht die Erfinder von WhatsApp?)
»Kind, bist du sicher, dass du den langen Flug auf dich nehmen willst?« Meine Mutter verzieht zum hundertsten Mal das Gesicht und lässt mich spüren, dass sie überhaupt nicht mit meinen Reiseplänen einverstanden ist.
»Susannah kann auch das Boot nehmen«, witzelt mein Vater.
Lächelnd beugt er seinen 1,90-m-Körper vor und umarmt mich. »Grüß meine Heimat, Kleines!« »Das mache ich, Papa«, erwidere ich genauso leise, damit sich meine Mutter nicht noch mehr aufregt.
Sie reagiert hochallergisch auf das Thema ›Australien‹ und bekommt überall rote Stresspusteln, wenn sie auch nur im Entferntesten daran erinnert wird, dass es das Land mit diesen entzückenden Beuteltieren noch gibt.
(Nein, der Weltuntergang ist auch hier nicht eingetreten.
Das ist rein theoretisch auch nur schwer möglich, denn Australien ist so wunderschön, dass selbst Außerirdische den Atem anhalten und sich heimisch fühlen, sobald sie die rote Erde betreten.)
»Was trägst du bloß für eine merkwürdige Kette, Kind?« (Darauf habe ich gewartet!
Ich hätte den Schmuck verstecken sollen, genauso wie meine heilige, geheime Süßigkeitenbox im Wohnzimmer.)
Es gibt nichts in meinem Leben, was dem Adlerauge meiner Mutter entgeht.
(Und nicht wenigstens einen bissigen Kommentar aus ihr herauslockt, was fast noch schlimmer ist, als die demütigende Entdeckung selbst.
Wenn es einen Nobelpreis für den bissigsten Kommentator gäbe, würde meine Mutter ihn gewinnen.
Jedes Jahr und immer wieder in Folge.
All die Menschen da draußen, die denken, sie haben eine gespaltene Zunge, haben meine Mutter noch nicht kennengelernt.
Echt!
Sie hat ihre Zunge mit bloßer Hand in vier Spalten geteilt, um selbst die Gottesanbeterin noch zu toppen, die bekanntermaßen das Männchen nach dem Sex auffrisst.
[Okay, ich muss zugeben, meine Mutter frisst ihre Opfer nicht, aber wenn sie es könnte, weil es moralisch wie gesetzlich erlaubt wäre, dann würde sie das hundertprozentig tun.])
Unwillkürlich fasse ich an das Amulett, das Nick mir zum neunundzwanzigsten Geburtstag geschenkt hat.
Er hat es vorher mit Kampfer gereinigt und mit Weihrauch behandelt, damit es mir (wo auch immer) Schutz und Liebe bringt.
»Es ist ein Geschenk von Nick.«
»Von deinem schwulen Schulfreund?« Die Augenbrauen meiner Mutter heben sich so bedrohlich, dass es ein Wunder ist, dass sie sich nicht von ihrem zickigen Wirt losreißen.
(ICH hätte das als IHRE Augenbraue getan.
Echt!)
Ich stöhne innerlich.
Nick ist mein längster und bester Freund.
(Und der einzige Mann, der es seit zweiundzwanzig Jahren immer noch schafft, in meinem [zugegeben altmodischen] Adressbuch zu stehen, ohne durchgestrichen worden zu sein.)
Nick war damals der einzige, der mich nach dem plötzlichen Umzug von Australien nach Deutschland nicht wie eine Aussätzige behandelt hat, zumal ich trotz meiner zweisprachigen Erziehung eher schlechtes Deutsch gesprochen habe.
Stundenlang haben wir nach der Schule wilde Landschaften in der Sandkiste des Wohnanlagenspielplatzes gebuddelt.
Damals dachte ich, er gräbt Australiens Landschaft mit mir, damit ich meine Heimat nicht so sehr vermisse, heute weiß ich, dass er schon als Junge ein kleiner Archäologe war.
Nick wuchs im Waisenheim auf, weil seine Eltern bei einem Autounfall ums Leben gekommen waren und so war er der einzige, der Verständnis für mein Heimweh hatte.
Vollkommen schüchtern und voller Schmerz habe ich damals das neue Klassenzimmer betreten und wurde von Frau Schulte neben Nick gesetzt, neben dem niemand sitzen wollte, weil er aussah wie Huckleberry Finn.
Bereits im ersten Augenblick ist mir klar gewesen, dass Nick mein Seelenverwandter war, auch wenn er überhaupt kein Interesse an weiblichen Rundungen hatte.
(Das hat mich später einige Tränen gekostet, denn natürlich habe ich mich im Laufe der Jahre in meinen aufmerksamen, romantischen und äußerst intelligenten Freund verliebt.
Er liebt mich auch, gar keine Frage, nur leider auf eine andere Art und Weise, als ich es mir gewünscht hätte.)
Heute weiß ich seine Liebe zu schätzen, denn er ist der einzige Freund aus Schulzeiten, der mir erhalten geblieben ist.
»Ist das ein Judenstern?«
»Nein, Mama, das ist ein Pentagramm.«
»Und wozu soll das gut sein?«
»Es ist hübsch anzusehen«, sage ich eine Spur zu freundlich.
Mir fehlt jegliche Lust, meiner Mutter die magischen Fähigkeiten eines Pentagramms zu erklären.
(Falls man davon ausgehen kann, dass ein Gegenstand FÄHIGKEITEN besitzt, noch dazu magische.)
»In der Antike war es das Symbol der Venus«, erklärt mein Vater emotionslos.
»Zählst du dich jetzt etwa zu den Konkubinen?« Meine Mutter ist entsetzt.
(Was schon Normalzustand ist und daher wenig bedenklich.
Ich bleibe also ruhig.)
»Also, Ilse…« Kopfschüttelnd betrachtet mein Vater seine Frau. »Das Kind weiß nicht einmal, was das ist.« (DAS KIND wird dreißig und weiß ganz genau, was eine Konkubine ist!
Und wenn DAS KIND ehrlich ist, ist die Idee mit dem Konkubinat sicherlich nicht die schlechteste.
So ist man zumindest nicht alleine und wenn eine Beziehung beendet ist, widmet man sich einfach dem nächsten Kerl in der Gruppe.
Das Konkubinat ist eine echte Gesetzeslücke, was mich gleich zu der Frage führt, warum es nur weibliche Konkubinen gibt.
[WER hat sich das schon wieder ausgedacht?]
Ich habe mir wirklich mal die Zeit genommen zu googlen, wie eine männliche Konkubine heißt.
DIE GIBT ES GAR NICHT – oder vielmehr IHN gibt es gar nicht.
Der Mann, der die Frauen um sich schart, heißt WEIBERHELD oder SCHÜRZENJÄGER, aber nicht Konkubiner oder so.
[Kann ich mir das Wort patentieren lassen?])
»Was ist denn eine Kon…kubine?«, frage ich scheinheilig lächelnd, wohlwissend, dass ich meine Mutter mit dieser Frage in Verlegenheit bringe.
Prompt errötet sie wie ein Feuerball und lässt Luft ab, als hätte jemand in ihren knöchernen Leib gestochen.
»Also…«
»Die fünf Ecken des Pentagramms sind der Geist und die vier Elemente, Feuer, Wasser, Luft und Erde. Bei den Freimaurern zeigten sie zudem unverzichtbare Tugenden.
Klugheit, Gerechtigkeit, Stärke, Mäßigkeit und Fleiß«, erklärt mein Vater, der meine Mutter nicht leiden sehen kann.
(Nicht, dass das oft vorkommt, denn meistens ist meine Mutter diejenige, die andere quält.)
Staunend betrachte ich meinen Vater.
(Mir ist ja bekannt, dass er gebildet ist, immerhin ist er Zahnarzt a.D., aber dass er sich mit Pentagrammen auskennt, überrascht mich.)
»Da staunst du, was, Kleines?« Mein Vater grinst. »Im Mittelalter wurde es gegen das Böse eingesetzt.«
»Okkultismus«, raunt meine Mutter bestürzt, »das wird ja immer schlimmer. Gehörst du jetzt zu den Friedhof-Freaks?«
Ich verdrehe die Augen.
(Am liebsten würde ich bejahen, aber die Furcht vor ihrer Explosion hindert mich daran.
Also unterlasse ich diese Art von Scherzen.)
»Papperlapapp«, antwortet mein Vater, »dann müsste das Pentagramm mit der Spitze nach unten zeigen. Nick hat dir das Amulett also zum Schutz vor dem Bösen geschenkt? Das ist gut, dann sieh zu, dass du deinen Flieger nicht verpasst und pass gut auf dich auf!« Eilig scheucht er mich zum Schalter und schiebt meine Mutter in die entgegengesetzte Richtung, bevor sie mich mit Vorwürfen ersticken kann.
(Ja, ja, mein Vater, mein Held und Ritter.)
Dankbar lächele ich ihm hinterher und werfe ihm einen Luftkuss zu.
»Ihr Ticket bitte!« Eine junge Frau in Uniform streckt mir die geöffnete Hand entgegen.
Ich zeige brav mein Flugticket und lasse mein Handgepäck durchleuchten.
Eine Viertelstunde später plumpse ich nervös auf den Sitz am Fenster des Flugzeuges.
Ich habe einen nicht stattgefundenen Weltuntergang UND die tentakelartigen Fänge meiner Mutter überlebt.
(Nur gut, dass sie nix vom fehlenden Rückflugticket weiß, sonst wäre ich gar nicht erst bis ins Flugzeug gekommen!)
Still lächele ich vor mich hin.
Ich habe die wohl aufregendste Reise meines Lebens vor mir.
Als das Flugzeug in Adelaide landet, bin ich ausgeschlafen.
Voller Vorfreude nehme ich mein Handgepäck und verlasse das Flugzeug.
Am Ausgang verabschiede ich mich von der Flugbegleiterin.
(Die Ärmste muss hunderten von Passagieren »Auf Wiedersehen« sagen und stammelt nur noch ein »Au-wieschön«.
Wahrscheinlich hat sie schon Fransen am Mund, die die Silben verschlucken, ähnlich wie bei den fadenähnlichen Barten eines Wals.
Das sollte aus arbeitsmedizinischen Gründen verboten werden.
Echt!
Ich meine, wie viele Gäste passen in so ein Flugzeug?
Hunderte!
[Und es sind ständig nur die unverschämt gut bezahlten Piloten, die streiken, dabei hätten die Flugbegleiter eher einen Grund dazu, vor allen Dingen, wenn ich höre, dass die armen Mädels auf eigene Kosten in Frankfurt und Düsseldorf anreisen müssen, obwohl auch andere Großstädte hübsche Flughäfen haben.])
Ich warte eine gefühlte Stunde auf meinen Koffer, dann kann ich endlich in die Ankunftshalle gehen, wo Nick auf mich warten wollte.
Während seines Archäologiestudiums hat er sich in den australischen Austauschstudenten Joshua verliebt, auf den sämtliche Kommilitoninnen scharf waren.
(Hat er doch unglaubliche Ähnlichkeit mit Hugh Jackman.
[Ich konnte also ihre Euphorie durchaus nachvollziehen.])
Die beiden haben kurzerhand in Deutschland geheiratet, um dann New South Wales zu erobern, einem der wenigen Bundesstaaten Australiens, wo die gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaft erlaubt ist.
(Warum es dann ein Marriage Act gibt, wonach die gleichgeschlechtliche Ehe in Australien verboten ist, verstehe ich nicht.
Aber ich bin auch nur eine Wollfachverkäuferin.)
Meinen Blick in die wartende Menge gerichtet, betrete ich die Halle.
Doch kaum passiere ich das Gate, erschlägt mich ein riesiger Strauß Blumen.
(Das überrascht mich, ehrlich gesagt, denn Nick weiß, dass ich Schnittblumen verabscheue.
Ich sehe Blumen lieber im Blumenbeet wachsen.
Ich vermute daher, dass er irgendeinen magischen Akt geplant hat, zu dem ich dringend rote Rosenblüten benötige.)
Zwei starke Arme packen und wirbeln mich durch die gesamte Ankunftshalle, was die Aufmerksamkeit von mindestens hundert Neugierigen erregt, die nun natürlich darauf warten, dass Nick mir bei der stürmischen Begrüßung (und dem Bouquet!) einen Heiratsantrag macht. Die Umstehenden bilden umgehend einen Kreis und eine Frau mittleren Alters fängt auch noch an zu klatschen.
Binnen Sekunden hat sich das dumpfe Geräusch verhundertfacht.
Nun ist alles zu spät.
»Ich schätze, du musst wohl oder übel niederknien, mein Schatz!«, sage ich grinsend.
Nick begreift sofort.
Er knöpft seine schwarze Anzugjacke auf und lächelt bescheiden in die Runde, bevor er sich theatralisch auf die Knie fallen lässt und einen erwartungsvollen Aufschrei der Schaulustigen provoziert.
Ein Mann zückt seine Kamera und hält diesen sagenumwobenen Moment fest.
(Ich kann nur hoffen, dass ich uns nicht bei YouTube wiederfinde.
Ich würde vor Scham in der Unterwelt versinken wollen.
Oder mich von einem Außerirdischen entführen lassen.
Oder vielleicht vom australischen Rumpelstilzchen.
Mit dem habe ich ohnehin noch ein paar Takte zu reden.)
Ich schätze, ich bin mittlerweile rot wie eine Tomate und danke dem Universum, dass kein attraktiver Mann im heiratsfähigen Alter in der Runde steht und dieses peinliche Theater mit ansieht.
Wie auf Kommando unterbrechen die Leute ihr Klatschen und halten gespannt den Atem an. Niemand spricht ein Wort.
»Meine Liebste«, sagt Nick augenzwinkernd, »seitdem ich dich damals mit Zahnspange und weißem Kleid aus den Klauen wilder Sandräuber gerettet habe, die sich zum Glück nur als poplige Schüler entpuppten, wusste ich, du bist die einzige Frau, die je in meinem Herzen Platz haben wird…«
Die Frauen schreien begeistert auf, eine von ihnen zückt ihr Taschentuch, um sich die Tränen aus den Augenwinkeln zu tupfen.
(Ich bin die einzige hier, die weiß, dass Nicks Worte nicht gelogen sind.
Dennoch habe ich Mühe, ein spöttisches Grinsen zu unterdrücken, denn die Tatsache, dass ich die einzige Frau bin, ist eher seiner sexuellen Neigung als seiner grenzenlosen Liebe zu mir geschuldet.)
»…wenn ich zum tausendsten Mal keine Hausaufgaben hatte, hast du mich abschreiben lassen…«
Nun nicken sich die Männer verständnisvoll zu und schieben mir ihre Mundwinkel anerkennend entgegen.
»…du warst mein Zuhause, hast immer zu mir gehalten und es war dir egal, dass ich ein verlotterter Waisenjunge war, der kein Geld hatte, um sich so schick anzuziehen, wie die übrigen Jungs in unserer Klasse…«
Nun muss ich die Tränen wegblinzeln.
(Ich habe so sehr unter der Tatsache gelitten, dass Nick in seinen erbärmlichen Klamotten frieren musste, dass ich ihm heimlich warme Kleidung gekauft habe.
Das Geld dafür habe ich fürs Gärtnern von meinen Eltern bekommen, denn netterweise hatte sich unser Gärtner damals einen sehr komplizierten Beinbruch zugezogen.
Natürlich habe ich Nick gegenüber stets behauptet, es handele sich um Pullover, die meinem stämmigen Bruder William zu klein geworden waren.
Er hätte sie sonst nie angenommen.)
»…und ich danke dir in diesem Zusammenhang für deine zauberhaften Lügen, die mich warmgehalten haben…«, fügt er so leise hinzu, dass ich mich fast an meinem Speichel verschlucke, der durch die Tränen gleich mit produziert wird.
(So ein Schlawiner!
ER HAT GEWUSST, dass die Pullover nicht von William waren und hat mich in dem Glauben gelassen, er sei ahnungslos?)
Ich muss noch mehr blinzeln und schniefe, da sich nun auch noch lästiges Nasensekret anmeldet.
Nick benötigt ebenfalls ein Taschentuch, welches ihm sofort von einer älteren Dame überreicht wird.
Dankbar nickt er ihr zu und schnäuzt sich trompetend die Nase.
Heimlich, still und leise fische ich ein altes Taschentuch aus meiner Hosentasche und tupfe meine Nase geräuschlos trocken.
Nick atmet kurz durch, dann fährt er fort, »…du hast in mir die Liebe zu diesem Land geweckt, einem Land, welches ich nun seit einigen Jahren schon meine Heimat nennen darf. Und obwohl du bis vor kurzem noch in Deutschland gearbeitet hast und wir tausende von Meilen voneinander entfernt waren…«
Vor meinem geistigen Auge taucht der kleine Wollladen auf, der die letzten Jahre mein Zuhause gewesen ist.
(Susannah, reiß dich zusammen!
Werd‘ jetzt nicht sentimental!
Wie oft hast du versucht, Mr. Griesgram zu kleinen Änderungen zu überreden!
Und wie oft hat er dir mitgeteilt, dass du zum Arbeiten und nicht zum Ausleben wilder Ideen dort angestellt bist!
Keine Träne solltest du dem Laden nachweinen!)
Ich straffe meine Schultern.
(Ich muss mir Recht geben.
Herrn Meyer zu Änderungen zu überreden ist ungefähr so einfach, wie einem Wollschwein Schal und Mütze zu verkaufen.
Das ist letztlich auch der Grund gewesen, warum mir die Kündigung so leicht gefallen ist.
Ich platze vor kreativer Energie und irgendwann werde ich meinen eigenen Wollladen eröffnen.
Vielleicht sogar hier in Australien.)
»…hat das meine Liebe zu dir nie geschmälert…«
Ein paar Damen seufzen.
»…darum frage ich dich nun…« Nick macht eine künstlerische Pause, während die Schaulustigen den Atem anhalten, »…willst du die einzige Frau in meinem Leben sein?«
Die letzten Worte gehen im Aufschrei der Menge unter.
Somit schäme ich mich auch nicht im Geringsten, ihm kopfnickend um den Hals zu fallen.
Nick erdrückt mich fast, während die Leute laut Beifall klatschen.
Dann liegen sie sich ebenfalls in den Armen.
(Es ist doch wirklich erstaunlich, was so ein ‚Heiratsantrag‘ an energetischer Aufladung nach sich zieht!
So ein romantischer Akt weckt offenbar Urinstinkte im Menschen.
Umarmungen, nette Worte und Zärtlichkeiten werden hervorgekramt und ausgetauscht.
Einige spüren den sehnsuchtsvollen Druck nach Romantik und Geborgenheit, der sich langsam ihre Speiseröhre empor kämpft wie Gase, die unausweichlich ihren Ausgang suchen.
Gott, wie oft habe ich mir schon bei YouTube Heiratsanträge angeguckt, um anschließend hochdeprimiert zur Schokolade zu greifen.
[Was ja eigentlich nur ein medizinisch notwendiger Schritt für meine braunen Blutkörperchen ist.]
Wie oft habe ich mir ausgemalt, wie ich selbst eines Tages in der glücklichen Situation der Angebeteten sein würde!
[Okay, zugegeben, viele der Heiratsanträge sind echt nur schwache Darstellungen von profilneurotischen YouTube-Horsts.
Und ich möchte in diesem Leben nicht mehr dazugehören.]
Aber angeguckt habe ich sie mir trotzdem.)
Ich schaue mich um und fühle mich plötzlich wie in dem Buch Die Prophezeiungen von Celestine.
Über den Köpfen der Anwesenden fliegen kleine energetische Sternchen.
(Nick hat mit seiner Rede dem einen oder anderen echt den Tag versüßt und die Herzen geöffnet.)
Einige der Anwesenden gratulieren uns überschwänglich und nach einer guten halben Stunde schaffen wir es endlich, die Flughafenhalle zu verlassen.
Zielstrebig manövriert Nick meinen Koffer auf die Ausgangstüren zu, die lautlos auseinandergleiten.
Augenblicklich werde ich von einer Wärme empfangen, die mich schon fast erschlägt.
Der Himmel ist strahlendblau, nicht ein Wölkchen ist zu sehen.
Eine sanfte Brise weht.
Das Glücksgefühl in meinem Bauch verstärkt sich.
(Falls das überhaupt noch möglich ist.)
Ich habe mich selten so vogelfrei gefühlt.
»Willkommen in Australien«, sagt Nick lächelnd und legt einen Arm um meine Schultern.
Er drückt mich kurz an sich. »Es ist toll, dass du da bist.
Joshua wäre gerne mitgekommen, aber er musste an der Ausgrabungsstelle bleiben, bis James ihn ablöst. Wir haben derart wertvolle Stücke altaustralischer Geschichte gefunden, dass wir es schon mehrfach mit Schatzräubern zu tun hatten.«
»Schatzräuber? Wie aufregend.«
(Ich WUSSTE es!!!!!
Das Abenteuer wartet auf mich.
Echte Schätze und Piraten.
Ich werde mir den Häuptling schnappen oder, wenn er mich nicht will, ihn und seine Gefährten wie ein Ninja in die Flucht schlagen.
[Okay, weibliche Ninjas heißen eigentlich Kunoichi, aber das Wort kann ich echt nicht aussprechen und zum Schreiben benötige ich mein mobiles Fremdwörterlexikon bei Google.])
»Na, ich weiß nicht. Ein bisschen weniger abenteuerlich wäre nicht schlecht für Freizeit und Liebesleben!« Nick lässt meine Schulter los und widmet sich wieder meinem schweren Koffer.
»Mann, das Ding ist echt schwer, Süße!«
(Dabei habe ich schon auf meine Bücher verzichtet.
Meine Mutter war so freundlich und hat mir ihren eBook-Reader für zwei Wochen geliehen, damit ich mich bilden kann.
[Gute Güte, ich bin ja höchstwahrscheinlich viiiiiel länger hier!
Ich hoffe, sie kann auch länger als zwei Wochen auf ihren Kindle verzichten!]
Sonst kommt sie vielleicht noch persönlich, um ihn abzuholen.)
Auf den Bäumen am Rande des Parkplatzes entdecke ich ein paar aufgeregte, bunt schillernde Wellensittiche.
Fast sieht es so aus, als würden sie sich über die dummen Touristen lustig machen, die gerade versuchen, Massen an Gepäck in einen viel zu kleinen Bus zu verfrachten.
Wir lassen die Buszone hinter uns und nähern uns den parkenden Autos.
Es riecht nach Liebe und Abenteuer.
Ich strecke die Arme aus und tanze um Nick und meinen Koffer herum.
Doch mein Tanz ist nicht von langer Dauer!
Hart stoße ich mit Speedy Gonzales, der schnellsten Maus von Mexiko zusammen.
(Und die schnellste Maus hatte weniger Hektik im Blut als das Ding, das mich gerammt hat!)
Schmerzerfüllt reibe ich mir die ramponierte Schulter, während mein Unfallopfer mit einem Berg Koffer kämpft, der schließlich dumpf polternd zu Boden fliegt.
»Crap!«
(Oje!)
Reumütig verziehe ich den Mund und versuche so unschuldig wie möglich aus der Wäsche zu gucken.
Der Mann ist jedoch mit seinem Gepäck beschäftigt und sieht mich gar nicht.
Ich versuche mich zu entschuldigen, aber er hört mir nicht zu und schimpft stattdessen wie ein Rohrspatz auf Italienisch.
(Grumpf!)
Langsam werde ich wütend.
(Kann der Kerl mal die Klappe halten, damit ich mich entschuldigen kann?)
Die Beleidigungen, die ich mir jetzt im Kopf zurechtlege, werden allerdings nur bis zur oberen Zahnreihe geschleudert und bleiben dort hartnäckig hängen, so dass ich mich zu allem Übel auch noch verschlucke.
Dann endlich hält er den Schnabel und sieht mich an.
(Gott, hat DER blaue Augen!
[Wenn er allerdings ETWAS freundlicher gucken würde, würde ich mich wohler fühlen.
Ich bin über so viel Feindseligkeit ganz erschrocken.
Echt!])
Der Schreck rutscht mir glatt vom Bauch in die Knie, die sich augenblicklich anfühlen wie Wackelpudding.
Mein Herz pocht wie verrückt.
Jeder Atemzug rasselt.
Ich bin noch immer schwer bemüht, meine Lungen zu beruhigen.
Der Typ widmet sich wieder seinen Koffern, die er mühsam sortiert, damit sie nicht wieder vom Gepäckwagen rutschen.
Verärgert schimpft er erneut los.
Ich verstehe zwar kein Italienisch, aber am Tonfall erkenne ich, dass es böse Worte sind, die seinen Mundraum verlassen.
(Ob ich ihn warnen soll?
Ich hoffe wirklich, dass er keine Karies hat, denn diese sind ja bekannt dafür, sich an schlechten Wörtern zu ergötzen.
Echt!
Und wenn man dazu noch über Amalgamplomben verfügt, ist das gaaaaanz fatal.
[Sie sind sozusagen der Klebstoff schlechter Energie.
Und eben von Karies.]
Ich habe aufgepasst, wenn mein Vater in den langen Jahren seiner Praxis mit seinen Anekdoten geglänzt hat.
Meine Mutter hat zwar jedes Mal die Augen verdreht und versucht, ihn davon abzuhalten, uns so viel Blödsinn zu erzählen, aber ein Fünkchen Wahrheit steckt doch in jeder Geschichte, oder?)
Ich selbst habe keine Plomben.
Als Kinder waren mein Bruder und ich gezwungenermaßen enthaltsam.
Zucker gab es bei uns zuhause nicht.
Echt nicht!
(Nicht einmal Puderzucker oder Honig!
Meine Mutter war der Meinung, Honig ist das süße Pech des Teufels!
Nun ja, sie ist vielleicht doch ETWAS spezieller als speziell!)
Wir hatten also keine Bonbons, keine Schokolade und erst recht keine verteufelten Dauerlutscher.
Kindergeburtstage von Klassenkameraden waren immer ein Highlight für mich, denn dort bin ich heimlich von den anderen Kindern mit Süßigkeiten versorgt worden.
(Auch wenn meine Mutter den Gastgeber-Müttern stets eingebläut hat, dass ich keinen Zucker essen darf.
Die Mütter hatten Todesängste, wenn meine Hand auch nur weniger als zwanzig Zentimeter an diesen geilen, fluffligen, süßen Negerküssen entlangschrubbte.
[Man möge mir verzeihen, dass ich diesen Begriff noch immer verwende, und das ist auch überhaupt nicht schlimm, denn die Umbenennung in Schokoküsse war aus rein kommerziellen Gründen, nicht aus politischen erfolgt, denn schließlich heißt ›negro‹ nix anderes als ›schwarz‹.]
Echt!
[Gott, noch heute würde ich mir einen Mann wünschen, der sich von oben bis unten mit Negerküssen vollmatscht!
Nicht einen Winkel würde ich auslassen!
Nicht einen!])
Ich bin also auf Geburtstagen heimlich von empathischen Kindern mit Bonbons und Negerküssen versorgt worden, was insgesamt aber nicht ausreichte, um Karies zu verursachen, denn ich habe Zähne wie ein Elefant.