Erhalten Sie Zugang zu diesem und mehr als 300000 Büchern ab EUR 5,99 monatlich.
In Zeiten des Klimawandels stehen Mensch und Baum unter Stress. Was verbindet die beiden in dieser Situation? Können sie diese gemeinsam bewältigen? Das beantwortet Susanne Fischer-Rizzi in ihrem jüngsten Buch, einem Reiseführer zu neuen Klimabäumen in den Städten. Bäume wie Ginkgo, Blauglocken- und Amberbaum – ursprünglich in Westeuropa als Neophyten taxiert – können den veränderten klimatischen Bedingungen standhalten. Sie helfen aber auch, unsere Psyche zu regenerieren und unser Immunsystem zu stärken. Susanne Fischer-Rizzi verbindet neueste wissenschaftliche Erkenntnisse mit faszinierenden Geschichten voller Magie. Ausgefallene Rezepte wie Zürgelmilch, Schwarznuss-Kuchen und Maulbeer-Omelett runden das Buch ab. Die renommierte Heilpflanzenkundige präsentiert eine ganzheitliche Sicht auf den Klimawandel und die Verbindung von Natur und Mensch. Sehen Sie die Bäume Ihrer Umgebung mit ganz neuen Augen!
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Seitenzahl: 313
Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:
SUSANNE FISCHER-RIZZI
BAUM UND MENSCHIM KLIMAWANDEL
Vorwort: Ein Baum namens Leben
KLIMABÄUME: GEKOMMEN, UM ZU BLEIBEN
Wasser außer Reichweite
Die Eigenschaften der Klimabäume
Bäume, Wasser und Wolken
Stadtverwaldung statt Stadtverwaltung
BAUMPORTRÄTS
AMBERBAUM
BAUMHASEL
BLASENESCHE
BLAUGLOCKENBAUM
BLUMENESCHE
GEWEIHBAUM
GINKGO
GLEDITSCHIE
GÖTTERBAUM
HOPFENBUCHE
JAPANISCHE ZELKOVE
KOBUSHI-MAGNOLIE
MAULBEERBAUM
PARROTIE
PEKANNUSSBAUM
PERLSCHNURBAUM
ROBINIE
SCHWARZNUSS
TULPENBAUM
ZÜRGELBAUM
Weitere Klimabäume
DIE GESCHICHTE DER VERLORENEN WÄLDER
Spielball der Temperaturen
Ein Wald für die Seele
Was können wir tun?
Glossar
Anmerkungen
Literatur und Quellen
Bezugsquellen für Klimagehölze
Die Basilika Sagrada Família in Barcelona, »umarmt« von einem Baum.
Die Wälder der Erde verkörpern den Reichtum dieses Planeten. Jeder einzelne Baum ist ein Inbegriff dieser unermesslichen Fülle. Zwischen Menschen und Bäumen bestand schon immer eine enge Beziehung. Es sind besonders die alten Bäume, die uns berühren. Sie sind – wie wir Menschen – Individuen mit Charakter und über ein soziales Netz miteinander verbunden. Zu diesen Baumriesen spüren wir eine geheimnisvolle Verbindung – eine Magie, der sich kaum jemand entziehen kann.
Eine über vier Jahrzehnte lange Freundschaft verbindet mich mit einer monumentalen alten Eiche, einer beeindruckenden Baumpersönlichkeit, die bereits rund vierhundert Jahre zählt. Man könnte sie sich daher gut in einem der Märchen der Gebrüder Grimm vorstellen. Ihr Stamm ist hohl und weist eine große, runde Öffnung auf. Als wir uns kennenlernten, setzte ich mich in die geräumige Aushöhlung ihres mächtigen Stammes und fühlte mich von ihr wohlwollend willkommen geheißen. Ich nannte sie »Vita«, nach dem lateinischen Wort für »Leben«, denn hier spürte ich den uralten und immer wieder neuen Herzschlag des Lebens.
Mir wurde klar, wie wenig ich von unseren einheimischen Bäumen wusste. Ich wollte mehr über sie erfahren, ihre Geschichten hören, ihre Botanik studieren, ihre Heilkraft kennenlernen. Ein Buch über Bäume, wie ich es mir wünschte, gab es damals nicht, und so fasste ich den Entschluss, es für mich selbst zu schreiben, mich auf die Spur der Bäume zu begeben und alles, was ich über sie lernte, festzuhalten. Ich unternahm eine Art Pilgerreise quer durch Deutschland, zu den alten, sagenumwobenen Baumriesen meines Heimatlandes, die mich unter anderem auch zu der erwähnten Eiche im märchenhaften Urwald nahe dem Dornröschenschloss Sababurg in Hessen führte. Nach drei Jahren des Forschens, Studierens und Reisens war ein Buch entstanden: Blätter von Bäumen. Legenden, Mythen, Heilanwendung und Betrachtung von einheimischen Bäumen. Es erschien 1980, hat bis heute über zwanzig, immer wieder aktualisierte Auflagen erfahren und inspiriert weiterhin Baumliebhaberinnen und -liebhaber.
Bei meinen Erkundungsreisen begegnete ich vermehrt kahlen Bäumen und kranken Wäldern. Ich sah sie bedroht, sah sie sterben und war beunruhigt. Der saure Regen hatte ihnen enorm geschadet; der einst grüne Wald zeigte braune Baumspitzen und ausgedehnte kahle Flächen. Zum Glück erfolgte eine heftige Reaktion aus der Bevölkerung, später auch aus der Politik, und die Ursachen des Waldsterbens konnten behoben werden: Industrieabgase wurden entschwefelt, sodass weniger Stickoxide in die Luft gelangten, sich in Schwefelsäure verwandeln konnten und die Böden sauer werden ließen. Die Abgase der Autos wurden durch den Einbau von Katalysatoren gereinigt. Diese wirksamen Filtersysteme bremsten das Waldsterben, und der Wald erholte sich zusehends. Er atmete auf – und ich ebenfalls.
Immer wieder besuchte ich Vita, meine alte Eichenfreundin. Mächtig, gesund und stark stand sie da, verharrte in scheinbar unbeugsamer Entschlossenheit und zeigte mit zunehmendem Alter mehr und mehr ihre Persönlichkeit. Wenn ich sie besuchte, legte ich meinen Kopf gerne an die Runzeln ihrer Rinde und spürte ihren kraftvollen Stamm. Das Alter schien sie nicht zu beeinträchtigen, ihre faltige Rinde sah immer gleich aus. Durch die Jahrzehnte hindurch schien sie äußerlich fast unverändert, während die Zeit sich mit feinen Falten in mein Gesicht einschrieb.
Nun werde ich zum zweiten Mal in meinem Leben Zeugin dessen, wie Bäume ums Überleben kämpfen, wie der Zustand der Wälder schlechter denn je ist, mehr noch als in den Achtzigerjahren. Ein zweites Mal schreibe ich ein Buch über diese wunderbaren Gewächse. Ich musste es tun, nicht zuletzt um mir selbst Mut und Hoffnung zu geben – und vielleicht auch Ihnen. Wieder bin ich mit der Zerstörung der Natur konfrontiert, dies besonders nach den Dürresommern in den Jahren 2018, 2019 und 2022. Wieder sehe ich kranke Bäume, sterbende, kahle Wälder. Ich blicke in geschwächte Baumbestände, sehe lichte Kronen und entdecke kaum mehr einen älteren gesunden Baum.
Dieses Mal jedoch ist das Waldsterben weltweit und in unvorstellbaren räumlichen und zeitlichen Dimensionen wirksam. Der Klimawandel hat das gesamte Ökosystem des Planeten in Mitleidenschaft gezogen, es zum Kippen gebracht. Die Wälder sind tiefgreifenden und schnellen Veränderungen ausgesetzt – in zwanzig bis dreißig Jahren wird unser Wald ganz anders aussehen. Die Klimakrise ist vor unserer Haustür angekommen, die Bedrohung greifbar nah. Die bedrückende Faktenlage zwingt uns dazu, unsere Sicht der Natur, unseren Glauben an die Unerschöpflichkeit der Ressourcen, an unbegrenztes Wachstum radikal zu überdenken und neu auszurichten.
Heute sterben auch alte Waldbestände. So reiste ich wieder zu meiner Eiche, um nachzusehen, wie es ihr geht. Schon von Weitem bemerkte ich, dass sie schwächelte. Es ging ihr schlechter, als ihre noch immer imposante Gestalt glauben machte. Um sie herum – mit einigem Abstand – kahle, abgestorbene Fichtenbestände. Mir blutete das Herz. Ich setzte mich ins Gras an ihrem Stamm und fühlte mein Entsetzen und meine Trauer.
Doch dann erinnerte ich mich daran, dass es damals, in den 1980er-Jahren, möglich war, das Waldsterben zu stoppen. Viele Fragen wirbelten mir durch den Kopf: Ist das auch heute wieder möglich? Können wir die Bäume, die Wälder retten – und damit unser eigenes Überleben sichern? Können wir den Lauf der Dinge aufhalten, wirksame Maßnahmen gegen den menschengemachten Klimawandel finden? Schaffen wir es, unseren Lebensstil zu ändern? Welche Rolle spielen die Bäume und die Wälder der Erde in diesem Prozess? Was bewirkt der Klimawandel beim Menschen, was bei den Bäumen, und in welcher Wechselwirkung stehen die beiden?
Erneut machte ich mich auf die Suche, recherchierte und sammelte diesmal Informationen, Fakten und Zusammenhänge über den Klimawandel. Ich befragte Expertinnen und Experten zu diesem Thema. Aus dem Wissen über Klimawandel, Wälder, Wind, Wetter, Wasserkreislauf und Klimabäume setzte sich allmählich ein Verständnis für die Ursachen des Waldsterbens zusammen. Davon werde ich im ersten Teil des Buches berichten.
Was mir dieses Mal Hoffnung gab und gibt, waren die vielen Begegnungen mit Menschen, die sich für den Erhalt der Wälder, der Natur einsetzen, die beispielsweise Aufforstungsprojekte in verschiedenen Ländern initiiert haben und darin mitarbeiten.
Meine Recherchen und Reisen führten mich diesmal nicht nur in die Wälder oder zu einzelnen Bäumen wie für mein erstes Baumbuch, sondern ich verbrachte auch viel Zeit in Städten, um die dortige Situation der Bäume zu studieren. Städte sind besonders vom Klimawandel betroffen. Fast unbemerkt von der Bevölkerung gedeihen hier schon viele der sogenannten Klimabäume – einige wurden gepflanzt, manche verbreiten sich auch von selbst. Diese Bäume sind gekommen, um zu bleiben. Das sind gute Nachrichten, die Hoffnung schenken. Das Leben kehrt beeindruckend schnell zurück. In den durch den Klimawandel zerstörten Waldgebieten wie auch in Nischen in den Metropolen wachsen und gedeihen neue ebenso wie einheimische Pflanzen – wenn wir sie lassen.
Zwanzig neue Baumarten, die in unseren Städten und teilweise auch in den Wäldern wachsen, stelle ich Ihnen in diesem Buch vor. Ich möchte Sie dazu inspirieren, ihren Geschichten zu lauschen, sie kennenzulernen, über ihre Fähigkeiten zu staunen, künftig bei ihnen stehen zu bleiben und sie zu bewundern. Vielleicht wird dies Ihre Wahrnehmung der Bäume, der Natur, der Stadt verändern, sie erweitern. Um die neuen Klimabäume auch in ihrer ursprünglichen Heimat kennenzulernen, führten mich meine Reisen nicht nur durch Zentraleuropa, sondern auf verschiedene Kontinente. Am Rand der Steppe in Rumänien stand ich unter mongolischen Linden, in Städten des Mittelmeergebiets genoss ich den Schatten der Zürgelbäume, in Nordamerika bewunderte ich Tulpenbäume, in Südamerika Palo-Santo-Bäume, in Island beobachtete ich große Aufforstungsprojekte, im Norden von Skandinavien bestürzten mich riesige, flächendeckende Kahlschläge und die Abholzung der alten Naturwälder der Rentiernomaden.
Seit Jahrtausenden sind wir durch uralte Verflechtungen mit den Bäumen verbunden, und wir werden es auch künftig sein. Ihre Wurzeln ragen tief in unser Leben. Darüber berichte ich im abschließenden Teil des Buches. Ich möchte zu konstruktivem Tun anregen, das dafür sorgt, dass die Natur, die Wälder und einzelne Bäume gewürdigt und geschützt werden. Ich möchte ermutigen und aufzeigen, dass jede Aktion dabei zählt und zugleich Hoffnung schenkt. Das letzte Kapitel des Buches fragt deshalb: »Was können wir tun?« und führt uns zu einigen Menschen, die sich für die Rettung der Wälder einsetzen und uns zu eigenen Aktionen inspirieren und begeistern können.
Bäume machen unsere Städte lebenswert.
–
»Die einzige Autorität, die heute sagen darf: ›Du musst dein Leben ändern!‹ ist die globale Krise, von der seit einer Weile jeder wahrnimmt, dass sie begonnen hat (…) Sie besitzt Autorität, weil sie sich auf etwas Unvorstellbares beruft, von dem sie der Vorschein ist – die globale Katastrophe.«
– PETER SLOTERDIJK1
Was bedeutet der Klimawandel für Wälder und Bäume? Wie geht es dem Wald? Wie geht es Ihnen? Was empfinden Sie beim Anblick großflächigen Waldsterbens mit kahlen Baumkronen, ausgetrockneten Baumskeletten, bereits im Sommer fast entlaubten Bäumen oder solchen mit braungefleckten Blättern? Was geht in Ihnen vor, wenn Sie an abgestorbenen Nadelwäldern entlangfahren oder Ihren Lieblingsbaum besuchen, der sichtbar, spürbar geschwächt ist? Wie fühlt es sich an, wenn Sie unter einem Baum liegen und statt in ein Blätterdach in den Himmel blicken, da inzwischen jede zweite Buche oder Eiche gelichtete Wipfel (Kronenverlichtung genannt) aufweist?
Schneller als angenommen ändert sich das Klima. Wir nehmen es wahr, innerlich und äußerlich. Die zunehmende Hitze, die Trockenheit, die extremen Wetterphänomene üben einen destabilisierenden Einfluss auf die komplexen Ökosysteme der Wälder, ja, des ganzen Planeten aus. Sie sind gefährdet, und zunehmend wird uns bewusst, wie wichtig sie für unser Überleben sind. Ohne Wälder droht eine Zerstörung der Ökosysteme der Erde. Nach den Ozeanen hüten die Wälder die größte Artenvielfalt des Planeten, sorgen für den höchsten Umsatz an Biomasse und sind aktiver Teil des globalen und des regionalen Klimas. Sie halten die Welt zusammen.
Noch immer werden riesige Flächen von Urwäldern etwa am Amazonas, in Indonesien oder in Afrika zugunsten des Sojaanbaus für Tierfutter, von Palmölplantagen und zur Ausbeutung verschiedener Rohstoffe vernichtet. Dabei ist der Amazonas-Regenwald die grüne Lunge des Planeten. Dieses Ökosystem entnimmt der Luft besonders viel Kohlendioxid, kann es speichern und so als natürliches Reservoir für Kohlenstoff (Kohlenstoffsenke) dienen. Dieser Wald erfüllt eine wichtige geoklimatische Funktion und hat auch auf unser europäisches Klima einen bedeutenden Einfluss. Er ist wie die großflächigen Wälder des Nordens eines der wichtigsten Kippelemente, die, wenn sie stark gestört sind, den Klimawandel unumkehrbar beschleunigen können.
Nun hat sich das Gefüge des Klimas stark verändert. Neben den Wäldern tragen verschiedene weitere Faktoren dazu bei, die alle miteinander vernetzt sind. Von besonderer Bedeutung ist der Jetstream, ein dynamisches Starkwindband, das in acht bis zwölf Kilometer Höhe mit hoher Geschwindigkeit von Westen nach Osten schlangenförmig die Erdkugel umkreist. Er hat großen Einfluss auf das lokale Wetter und das globale Klima. Er wird von der Temperaturdifferenz zwischen dem Äquator und den Polen angetrieben. Durch die steigenden Temperaturen infolge der Erderhitzung wird die Dynamik des Jetstreams verlangsamt. Hoch- und Tiefdruckgebiete verweilen länger an Ort und Stelle als bisher; dadurch entstehen Extremwetterbedingungen wie lang anhaltende Kälteperioden, Hitzewellen oder Überflutungen.
Die Klimaerwärmung bewirkt Dürreperioden, der Wald durstet und wird trocken, verheerende Waldbrände nehmen zu, tropische wie boreale Wälder sind von Feuer bedroht. Satellitenbilder zeigen ausgedehnte Waldbrände, die im Süden Europas, in Kalifornien, Australien, Südostasien und Sibirien wüten. Die zunehmende Hitze erhöht aber auch in den Wäldern Mitteleuropas die Brandgefahr. Der Kohlendioxidgehalt der Luft (CO2-Gehalt) steigt durch die Brände, und der dadurch entstehende Feinstaub kann auch in weiter entfernte Gebiete verfrachtet werden und gesundheitliche Probleme schaffen.
Der Einfluss der Klimaerwärmung auf die heimische Baumwelt wird immer deutlicher sichtbar. Die heftigen Stürme der vergangenen Jahre haben die durch Trockenheit geschwächten Wälder teilweise großflächig zerstört, Bäume oft wie Streichhölzer umgelegt. Manche ehemalige Waldlandschaften ähneln nun Mondlandschaften. Dürresommer und heftige Stürme haben den Wäldern zu schaffen gemacht. Es waren vor allem die sturmanfälligen Fichten- und Kiefernmonokulturen, die unter diesen Wetterphänomenen zuerst gelitten haben. Der Klimawandel zeigt wie unter einem Brennglas auf jene Zustände, die nicht im Einklang mit der Natur vom Menschen geschaffen wurden. Die ursprünglichen alten Buchenwälder wurden schon Generationen vor uns gefällt. Mit schnellwachsenden Nadelbäumen wie Fichten und Kiefern wurde in Mitteleuropa plantagenmäßig aufgeforstet, da diese Baumarten schnell und gerade wachsen und gewinnbringend sind. Ihr Holz ist als Bauholz hoch begehrt. Doch die immer heißer und trockener werdenden langen Sommer setzen diese Bäume zunehmend unter Stress. Monokulturen sind für Schädlingsbefall viel anfälliger als Mischwälder. Außer in den Mittelgebirgszügen und wenigen Schluchtwäldern sind Nadelbaumarten bei uns ursprünglich nicht in großflächigen Beständen heimisch. In den borealen Nadelbaumgesellschaften besitzen sie ihr ökologisches Optimum, wachsen gut, wenn auch extrem langsam, und halten niedrigsten Temperaturen stand. Sie sind an die ökologischen Bedingungen in Gebieten wie Skandinavien, Sibirien oder Nordamerika angepasst und gedeihen in kalten Wintern mit kurzen Sommern gut. Als Teil des borealen Waldgürtels bevorzugen sie kaltes und feuchtes Klima. Mitteleuropa hingegen ist die Heimat der sommergrünen Laubwälder, die den Boden durch ein dichtes Blätterdach und höhere Verdunstung kühlen können. In einem Laubbaumwald kann es im Sommer bis zu sechs Grad kühler sein als in einem Kiefernwald.
Selbst auf engstem Raum schaffen es Bäume, in der Stadt zu überleben.
–
Unsere einheimischen Bäume, Nadelbäume wie Laubbäume, stehen unter Trockenstress, da der Klimawandel ihnen höhere Temperaturen und zugleich weniger Niederschläge beschert. Eine fortschreitende Erderwärmung bewirkt, dass viele der einheimischen Bäume nicht mehr gedeihen können. Besonders Flachwurzler wie Fichten leiden unter Wassermangel. Ihre Wurzeln reichen nicht tief genug ins Erdreich, um an Grundwasser zu gelangen. Der Grundwasserspiegel sinkt zudem immer weiter. Extremwetterlagen schwächen das Immunsystem der Bäume; sie können sich schlechter gegen Schwächeparasiten wehren. Baumschädlinge – Pilze und Insekten – haben dadurch leichtes Spiel und fallen über die Bäume her. Insekten können sogar von Wassermangel gestresste Bäume riechen und orten.2
In den Wäldern sterben die Fichten durch rindenbrütende Borkenkäfer. Der Buchdrucker ist einer von ihnen und ein gefürchteter Forstschädling, der hier jedoch nur seine ökologische Nische findet und aus der Balance geratene Ökosysteme befällt. Geschwächte Bäume ziehen ihn wie magisch an. Normalerweise sind Bäume in der Lage, sich gegen diesen Angreifer zu wehren. Bohrt sich das Insekt in den Baumstamm, produziert der Baum vermehrt Harz, das den Borkenkäfer außer Gefecht setzt und gleichzeitig die Wunde am Stamm verschließt. Wenn die Bäume durch Trockenheit und den gesunkenen Grundwasserspiegel nicht mehr über ausreichend Wasser verfügen, können sie nicht mehr genügend Harz produzieren, um sich zu wehren. So konnte sich der Borkenkäfer milliardenfach in den Fichtenwäldern einnisten. Dieses kleine Insekt kann riesige Waldflächen vernichten, indem es die lebenswichtige Kambiumschicht unter der Rinde der Bäume zerstört.
Auch andere Bäume und Mischwälder sind geschwächt und werden mehr als zuvor von Schwächeparasiten befallen. Eschen leiden durch einen aus Ostasien stammenden Parasiten, das Falsche Weiße Stängelbecherchen, einen Pilz, der von steigenden Temperaturen profitiert und das Eschentriebsterben verursacht. Eichen bedroht der Eichenwickler und in besonders wärmebegünstigten Gebieten der auch für den Menschen gesundheitlich bedenkliche Eichenprozessionsspinner. Kiefern werden vom Kiefernspinner befallen, Ulmen vom Ulmensplintkäfer, Berg- und Spitzahorn sind von der aus Nordamerika stammenden Rußrindenkrankheit bedroht. Diese zeigt sich an aufgeplatzter Rinde und der Absonderung von schwarzen Pilzsporen, die für den Menschen durch eine Reizung der Atemwege gesundheitsschädlich sind und starke allergische Reaktionen auslösen können.
Ebenso leiden die Buchen unter den Folgen des Klimawandels, besonders die wunderschönen alten Baumriesen sind betroffen. Es fehlt auch ihnen an Wasser. Buchenwälder sind eigentlich die Regenwälder Europas, und ausgedehnte Buchenwälder müssten den Kontinent bedecken. Zwei Drittel Deutschlands sind heute von Wäldern bedeckt, von Natur aus wären es hauptsächlich Buchenwälder.
Ich besuchte den Nationalpark Hainich im Nordwesten Thüringens, den größten zusammenhängenden Buchenwald Deutschlands, ein Unesco-Weltnaturerbe. Dort nahm ich am Stamm einer mächtigen Buche Platz, spürte ihre glatte Rinde an meinem Rücken und blickte hinauf in ihre Krone, die sich wie das Dach einer Kathedrale über mir wölbte. Buchen wissen, wie man Wasser sammelt: Ihre nach oben gerichteten Äste fangen das Regenwasser auf, das der glatte Stamm nach unten bis zu den Wurzeln rinnen lässt.
Vor einigen Jahren hatte ich diesen Zauberwald schon einmal besucht, um unter den wundervollen Bäumen in die Buchenzeit einzutauchen. Diese wunderschönen majestätischen Bäume sind nun geschwächt und leiden an Baumkrankheiten wie dem Buchenschleimfluss. Durch die steigenden Temperaturen wandern zunehmend neue Schädlinge ein, die die Bäume schädigen können. Die sterbenden alten Buchen, auch in meiner Heimat im Allgäu, lassen in mir ein beklemmendes Gefühl und Trauer aufsteigen. Nicht weit von meinem Haus entfernt sterben jahrhundertealte Buchen, die ich seit Jahrzehnten kenne und besucht habe, langsam ab. Oft saß ich an ihrem Stamm und genoss ihre Ausstrahlung. Nun befinden sie sich im Trockenstress. Ihre Blätter verfärben sich, fallen mitten im Sommer ab. Durch den vorzeitigen Laubfall versuchen die Bäume, Verdunstungsfläche zu reduzieren. Mächtige Äste brechen vom Stamm, die Krone ist schütter. Pilze besiedeln das geschwächte Holz des Baumes. Ich hoffe jedes Jahr von Neuem, dass nicht ein weiterer Dürresommer die Bäume quält und es möglichst vielen gelingt, sich einigermaßen an den Wassermangel anzupassen und sich die kargen Niederschläge einzuteilen.
Der Klimawandel verursacht auch extreme Stürme. Flachwurzelnde Bäume, wie hier Fichten in Monokulturen, sind besonders gefährdet.
Für das Gefühl des Verlustes und der Trauer, den emotionalen Schmerz, der entsteht, wenn wir miterleben, dass durch Umweltzerstörung Naturräume und so auch die eigene Heimat verschwinden, hat der australische Naturphilosoph Glenn Albrecht 2005 den Begriff Solastalgie geprägt. Das Wort setzt sich aus dem lateinischen Begriff für »Trost«, solacium, und der griechischen Wurzel algos für »Schmerz« zusammen. Es beschreibt das beklemmende Gefühl der Machtlosigkeit den großen Umweltveränderungen gegenüber und der Trauer über den Verlust von Heimat. Der Journalist und Riff-Reporter Christopher Schrader beschreibt den Angriff der globalen Erwärmung auf unsere psychische Gesundheit mit dem Satz »Klimawandel essen Seele auf«.3
Wie können wir mit Solastalgie umgehen? Wir können den Verlust der Natur, der Wälder und Bäume, nicht mehr leugnen, sollten uns aber von den damit zusammenhängenden Gefühlen nicht überwältigen lassen. Die Trauer über den Verlust anzuerkennen, sie jedoch konstruktiv zu verarbeiten und als Impuls zum Handeln anzunehmen, wäre ein guter Weg, mit diesen Gefühlen umzugehen.
Dass es den Wäldern schlecht geht, ist mittlerweile vielen bekannt. Aber wie geht es unseren Stadtbäumen? Es scheint, als wäre die Baumwelt in der Stadt noch in Ordnung. Es wird geradezu erwartet, dass Straßenbäume gesund sind, vital wachsen und einen ästhetischen Anblick bieten. Bevor den Bäumen die verheerenden Folgen des Klimawandels anzusehen sind, sie durch herabfallende Äste zur Gefahr werden oder umstürzen, werden ihre kranken Äste gekappt oder die Bäume durch den städtischen Baumpflegedienst gefällt. In den Städten werden die Straßenbäume kontrolliert. Sie sind meist in einem »Grünflächeninformationssystem« erfasst, sodass sie alle ohne Ausnahme beobachtet werden können. Trotzdem kommt es immer wieder vor, dass Bäume einfach umstürzen. Schon 1975 haben sich die Gartenamtsleiter in Deutschland zum »Arbeitskreis Stadtbäume« zusammengeschlossen, um gemeinsam nach Lösungen für die aktuelle Problematik der Stadtbäume zu suchen.
Nicht nur die Bäume in den Wäldern, auch unsere altbekannten Stadtbäume wie Linde, Ahorn, Esche, Eiche, Platane und Rosskastanie leiden unter Klimastress und kämpfen ums Überleben. Ende 2020 wurde in Frankfurt festgestellt, dass im stadteigenen Wald 98,9 Prozent der Bäume krank oder geschädigt sind.4 Wer genau hinschaut, entdeckt die geschwächten Bäume. Die beliebten Linden werden vom Stigmina-Triebsterben befallen, wodurch die Krone abstirbt. Auch die kraftvollen Platanen, die in den Städten großzügig für Schatten sorgen, zeigen besonders in Verbindung mit Trockenstress häufiger absterbende Astpartien, die vom Massariapilz befallen sind. Es kommt zu Astbrüchen, die besonders im Bereich von Straßen und öffentlichen Plätzen vermieden werden müssen, sodass die Bäume noch häufiger und aufwendiger kontrolliert und gepflegt werden und im schlimmsten Fall gefällt werden müssen. Auch viele der in Biergärten Schatten spendenden Rosskastanien sind krank. Sie werden von der Kastanien-Miniermotte befallen, wodurch ihre schönen großen Blätter sich braun färben, eintrocknen und abfallen. Und der Asiatische Laubholzbock, der mit Holzpaletten vorwiegend aus Ostasien eingeschleppt wurde, befällt weitere Laubbaumarten.
Wie wird es weitergehen mit den Bäumen in den Wäldern und in der Stadt? Das fragen wir uns besorgt. Wie können wir den bestehenden Bäumen helfen? Was können wir anpflanzen? Auch Gärtnerinnen und Gärtner fragen sich, welche Gehölze, die besser mit den bevorstehenden Klimaveränderungen zurechtkommen, sie in ihren Gärten pflanzen können.
Bäume machen das Leben in der Stadt erträglich. Oft bemerken wir sie nicht einmal, wie diese Robinie.
–
»Fremde Arten können uns gelegentlich Angst machen. Sie sind jedoch das Beste, was die Natur hervorbringt, und nach all den Schäden, die Menschen ihr zugefügt haben, verkörpern sie heute womöglich die Chance auf ihr Wiedererstarken.«
– FRED PEARCE5
Für die vielfältigen, oft schwierigen Anforderungen von Standort, Wetter und Klima haben die Bäume, die bei uns gedeihen, Lösungen gefunden. Viele sind nun jedoch an ihre Grenzen gekommen und können sich an die neuerdings herrschenden Bedingungen nicht mehr anpassen. Als Klimabäume bezeichnet man Baumarten, die meist schon durch ihre Herkunft die bei uns durch den Klimawandel neu entstandenen und für die einheimischen Arten problematischen Bedingungen kennen und mit ihnen vertraut sind: Trockenheit, Hitzestress, Wasserknappheit, Extremwetter, karge Böden. Je nach Baumart besitzen sie unterschiedliche Fähigkeiten, die ihnen helfen, diese Herausforderungen zu meistern. Dank dieser neuen Bäume können wir Zeit gewinnen für hoffentlich wirkungsvolle Maßnahmen, den Klimawandel aufzuhalten, uns an bevorstehende Extremsituationen anzupassen und aus den fossilen Energieträgern auszusteigen. Sie können Lücken füllen und die anfälligen heimischen Bäume teilweise ersetzen. Unter den in diesem Buch beschriebenen Klimabaumarten gibt es mehrere, die für Hitze und Trockenheit besonders gut gerüstet sind, wie der Lederhülsenbaum, die Blumenesche oder die Zelkove.
Die heute als Klimabäume bezeichneten Baumarten werden wahrscheinlich mehr und mehr zu einheimischen Bäumen werden. Bis dahin müssen sie in größerem Umfang gepflanzt und erprobt werden. So können sie ihre Anpassungsfähigkeit an extreme Klimaverhältnisse weiter unter Beweis stellen. Die Sichtungen und Erprobungen durch Anpflanzung werden bereits in vielen Städten Europas vollzogen. Kleinere Klimabäume wie der Amberbaum ‘Gumball’, die Blumenesche, die Kobushi-Magnolie oder der Maulbeerbaum eignen sich auch für Gärten. Der Maulbeerbaum kann sogar als Spalier oder Hecke geschnitten werden.
Schauen Sie sich in Ihrer Stadt, in Parks, in Gärten und im Wald um. Die neuen Bäume, die uns Lösungen anbieten, sind bereits da. Besuchen und bestaunen Sie diese botanischen Kostbarkeiten. Sie sind unsere Reisebegleiter durch die Klimakrise.
Klimabäume sollen helfen, die Biodiversität zu erhalten oder zu fördern und ein breites Spektrum an Baumarten zu bilden. Ökosysteme sind umso widerstandsfähiger, je mehr Arten sie enthalten. Bäume in der Stadt sind vor einem flächendeckenden Baumsterben auch deshalb besser geschützt, weil in der Regel im städtischen Bereich keine anfälligen Monokulturen gepflanzt werden. Die dortigen Bäume können nach und nach mit einheimischen, einigermaßen klimarobusten Bäumen – je nach Standort und Bedürfnissen – kombiniert werden. Sicherlich werden diese neuen Bäume in Zukunft noch häufiger gepflanzt und an der klimabedingten Umwandlung unserer einheimischen Vegetation einen großen Anteil haben. Die Klimabäume, die sich bewähren und sich ins Ökosystem integrieren, können dann bei uns heimisch werden.
Genauso wichtig, wie neue passende Bäume zu pflanzen und zu erproben, ist es, die heimischen Wälder zu schützen, zu stärken und einen Waldumbau vorzunehmen, um dem Klimawandel entgegenzuwirken. Dabei sollten bereits vorhandene Ökosysteme lokal gestärkt werden – auch durch die zusätzliche Pflanzung neuer resistenter Baumarten und -sorten. Mit diesen und einheimischen robusten Laubbäumen könnten die artenarmen und anfälligen Fichten-Monokulturen, die zudem leicht entflammbar sind, in artenreiche und resistente, feuchtere Misch- und Laubwälder verwandelt werden. Klimabäume bieten sich auch für die Pflanzung an Extremstandorten mit wenig Wasser und mageren Böden an. Sie bereichern teilweise das Nahrungsangebot der heimischen Tierwelt mit Nüssen, Früchten oder Blüten, und einige, die viel Nektar und Pollen bieten, werden als Bienenbäume geschätzt. In den Städten können Klimabäume helfen, widerstandsfähige Biotope neu zu erschaffen und Waldgärten aufzubauen.
Selbst in der desolaten Situation, in der sich unsere Wälder, unsere Bäume befinden, liegt Hoffnung. Bäume werden zu Verbündeten in Zeiten der Klimakrise, wir treten in eine neue Partnerschaft mit ihnen ein. Sie können helfen, die Ökosysteme der Erde zu erhalten oder sogar wiederherzustellen. Durch die Bäume drückt sich die Regenerationskraft der Natur sichtbar aus. Besonders in einigen Nationalparks oder in anderen Wäldern, wo nicht eingegriffen wird und die toten Bäume im Wald belassen werden, kann man beobachten, wie die Natur mit ihrer eigenen »Eingreiftruppe« auf natürliche Weise die Wunden heilt, einen Heilungsprozess und eine Wiederaufforstung in Gang setzt. Zu den ersten Bäumen, die sich ansiedeln, neue Waldgesellschaften schaffen und das Gelände für weitere Bäume vorbereiten, gehören Pionierbaumarten wie Birke, Zitterpappel, Eberesche, Erle und später die Buche.
Auch die Vegetation der Stadt zeigt den Überlebenswillen, die Regenerationskraft und die Anpassungsmöglichkeiten der Natur. Hier können auch Arten überleben, die im Umland durch die industrielle Landwirtschaft keine Überlebensmöglichkeit mehr haben. In den Städten ist eine artenreiche Lebensgemeinschaft aus Tieren und Pflanzen entstanden, auch ohne unsere Auswahl nach passenden und unpassenden Arten. Viele Pflanzen und insbesondere die Bäume helfen, die Natur immer mehr in die Stadt zu holen, um so unser aller Überleben zu sichern.
Die bei uns neuen Klimabäume stammen aus verschiedensten Ländern der Erde – man könnte anhand ihrer Herkunftsländer eine botanische Weltreise unternehmen. Ihre ursprüngliche Heimat ist zum einen der südliche und südosteuropäische Raum, bis weit in den Kaukasus und in den Himalaja hinein. Manche sind in Asien, beispielsweise in China, Japan und Korea heimisch, viele in Nordamerika, und einige stammen aus Nordafrika. Viele dieser Baumarten wachsen bereits seit Jahrzehnten oder gar seit einigen Jahrhunderten in Mitteleuropa, in Städten, in Arboreten, Parks und Gärten, und haben sich auch als Straßenbäume bewährt. Ihre Anpassungsfähigkeit an die zunehmende Hitze hat sie nun ins aktuelle Rampenlicht gerückt.
Einige dieser neuen Baumarten, die uns zunächst fremd erscheinen mögen und die wir als eine Art »Gastbäume« betrachten, sind eigentlich botanisch europäische »Ureinwohner«. Fossile Funde bezeugen, dass sie einst auch hier in Europa wuchsen. Sie haben eine lange Reise hinter sich und sind nun wieder in unseren Städten angekommen.
In Asien und Amerika, wo viele der Klimabäume herkommen, herrscht eine höhere Vegetationsvielfalt als in Europa. Hierzulande schoben sich die Gletscher der letzten Eiszeit über den Kontinent und drängten die Bäume zu den in West-Ost-Richtung verlaufenden Alpen hin ab, die ihnen wie ein Riegel die Verbreitung in den Süden verwehrten. Die Gebirgsketten anderer Kontinente verlaufen tendenziell diagonal zu den Küsten, sind in Längsrichtung orientiert und boten den Wäldern damals sichere Rückzugsgebiete im Süden. Nach dem Ende der Eiszeit konnten die Wälder dort ihre alten Verbreitungsgebiete zurückerobern. In Europa jedoch kamen nach der Eiszeit nur relativ frostharte Bäume und Sträucher wie Birken, Kiefern, Eichen, Buchen oder Haselnuss aus ihren südlich gelegenen Refugien zurück. Sie bildeten den europäischen nacheiszeitlichen Urwald, in dem viele der einst ursprünglichen Baumarten fehlen.
Diese Baumwanderung fand vor zwölf- bis sechzehntausend Jahren statt. Die Bäume wanderten zurück, indem sie ihren »Nachwuchs« in Form von Früchten, Nüssen und damit Samen über den Landweg, im Wasser oder über die Luft auf die Reise schickten. Manche Samen, wie die der Pappel oder der Weide, sind so leicht, dass sie von der Luft weit fortgetragen werden. Andere Samen haben kleine Luftpolster als eine Art »Schwimmweste«, die eine Reise zu Wasser in Flüssen und Seen ermöglichen. Schwere Samen lassen sich die Bäume von Vögeln wie dem Eichelhäher kilometerweit oder von Eichhörnchen einige hundert Meter weit befördern. Die Tiere vergraben die Samen in der Erde als Wintervorrat, vergessen einige der Verstecke und pflanzen so neue Bäume. Buchen können sich auf diese Weise pro Jahr zweihundert bis dreihundert Meter weit verbreiten. Auch Huftiere tragen Samen in den Zwischenräumen ihrer Klauen oder im Fell über große Strecken mit sich.
Die Natur ist ständig in Bewegung. Die Pflanzenwelt wandert und mit ihr die Bäume. Sie weichen nun dem wärmer werdenden Klima aus und wandern Richtung Norden oder in höhere Lagen der Bergwelt, wo sie kühlere Temperaturen vorfinden – die Vegetationsgrenzen verschieben sich. Die Hochgebirgsflora steht dadurch in Gefahr, von konkurrenzstarken Arten des Flachlands verdrängt zu werden. Viele endemische Pflanzenarten der Alpen sind bereits vom Aussterben bedroht, da sie sich nicht schnell genug an die sich verändernden Temperaturen anpassen können.
Ob die Pflanzen, die Bäume den Klimawandel überstehen, hängt davon ab, wie viel Zeit ihnen bleibt, um in für sie passendere Regionen auszuweichen. Für viele Baumarten scheint diese »Fluchtbewegung« zu langsam zu verlaufen; es steht ihnen zu wenig Zeit zur Verfügung, um mit dem immer schneller fortschreitenden Klimawandel mithalten zu können. Sie werden aussterben. Die Pflanzen und Bäume, die Hitze und Trockenheit standhalten, können den Wettlauf mit der Zeit gewinnen.
Viele der Klimabäume wurden im 18. und 19. Jahrhundert von sogenannten Pflanzenjägern nach Europa gebracht. Botaniker, Pflanzensammler, Abenteurer zogen aus, um seltene und noch unbekannte Pflanzen auf anderen Kontinenten zu entdecken, sie »einzufangen« und nach Europa zu verschleppen. Sie scheuten keine Mühen und Gefahren und brachten sich oft in Lebensgefahr, um botanische Schätze zu finden und sie auszugraben oder ihre Samen zu sammeln.6 Dann galt es, diese Pflanzen unbeschadet nach Europa zu bringen und mit viel gärtnerischer Raffinesse aufzuziehen und zu versorgen. Meist übernahmen dies botanische Gärten; das Ganze wurde von begüterten Privatleuten und anspruchsvollen Handelsgärtnern finanziert. Einige der tollkühnen Geschichten, die sich mit diesen botanischen Entdeckungsreisen verbinden, werde ich Ihnen bei den entsprechenden Klimabäumen vorstellen.
Heute werden viele Klimabäume sorgfältig und bedacht verbreitet, gepflanzt, geprüft und als passend befunden. Doch einige warten nicht darauf. Sie sind ausgerissen aus Gewächshäusern, Gärten oder Pflanzungen und breiten sich seither von selbst weiter aus. Sie erobern auf eigene Faust neue Räume. Oft werden sie argwöhnisch beobachtet, als invasive Arten und Neophyten bezeichnet. Zu diesen »neuen Wilden« gehören einige der hier beschriebenen Klimabäume wie der Götterbaum und der Blauglockenbaum. In ihren Ursprungsländern sind sie meist unproblematisch in die natürliche Vegetation und den Anbau integriert. Bei uns sollten sie, besonders im Freiland, beobachtet und gepflegt werden. Diese Veränderung und Erneuerung ist der Lauf der Welt. Der größte Teil unserer derzeitigen Vegetation, achtzig Prozent, besteht aus nicht einheimischen Arten. In der Permakultur, in Tiny Forests, im Agroforst und in Waldgärten schätzt man viele dieser Bäume. Richtig eingesetzt, leisten sie dort gute Dienste.
Ich bin immer wieder erstaunt und berührt davon, unter welch extremen Bedingungen Stadtbäume – einheimische wie nicht einheimische – gedeihen, wie sie eingequetscht zwischen Häuserschluchten, in dunklen Hinterhöfen, an viel befahrenen Straßen unverdrossen ihre Schönheit, ihren Lebenswillen und ihre Lebendigkeit entfalten.
Städte stellen besondere Anforderungen an (Klima-)Bäume. Sie müssen sich in einer vom Menschen bestimmten Umgebung anpassen können und überlebensfähig sein. Manche haben sich bereits gut bewährt, einige fremdeln und wachsen nicht wie vorgesehen. Die Bäume sind den Emissionen des Verkehrs und der Industrie ausgesetzt. Als Lebensraum steht ihnen manchmal nur eine kleine Baumscheibe, der unversiegelte Boden um ihren Wurzelansatz, zur Verfügung. Oft bedrängen sie nahegelegene Gebäude, in den Häuserschluchten finden sie wenig Platz, um ihre Äste auszubreiten. Sie erfahren kaum Wertschätzung, dienen als Fahrradständer, ihre Rinde wird beim Einparken oder durch Baustellenfahrzeuge verletzt, die Gurte der Slackliner schneiden sich in sie ein. Hunde erledigen ihre Notdurft am Stamm und im Bereich der Baumscheibe und können so den pH-Wert des Wurzelraums empfindlich stören. Bei der Reinigung der Gehwege wird oft Bodenmaterial aus der Baumscheibe abgetragen. Im Baumbereich werden Zigarettenkippen, Kaugummis, Bierdosen und allerlei anderer Müll entsorgt. Auch weitere unerwünschte Flüssigkeiten, für die ein Entsorgungsort fehlt oder nur mit Anstrengung zu erreichen wäre, werden in den Wurzelbereich der Stadtbäume gegossen. Nicht selten kann man Bauleute beobachten, wie sie Mörtelwannen unter Bäumen ausspülen, und nach Festivitäten werden oft Spülgeräte oder gar der Inhalt von Fritteusen unter Bäumen ausgegossen. Diese Respektlosigkeit macht den Bäumen in der Stadt das Leben schwer, auch ihre Geduld hat Grenzen. Nur die zähesten überleben den Giftcocktail.
Der Schatten der Bäume – besonders wertvoll in der Stadt.
Die Bäume leiden außerdem unter der Versiegelung und Verdichtung der Böden. Es fehlt an Feuchtigkeit, die zu ihren Wurzeln vordringen kann, und an Durchlüftung des Bodens. Ihre feinen Wurzeln werden gequetscht. Die in den Städten vorhandenen Böden sind oft humusarm und können kaum Wasser halten. Sind über den Wurzeln des Baumes Parkplätze angelegt, müssen sie zusätzlichen Druck aushalten.
Stadtbäume sind oft Solitärbäume, sie stehen allein, ohne die sich über das Wurzelsystem gegenseitig unterstützende Baumvergesellschaftung und ohne Windschutz von anderen Bäumen. Im Winter sind sie dem Streusalz ausgesetzt. Stadtbäume sollten industriefest sein, das heißt, dass sie die Abgase des Stadtverkehrs sowie die der ansässigen Industrie tolerieren. Selbst große Mengen Feinstaub dürfen sie nicht beeinträchtigen; sie sollten vielmehr fähig sein, tonnenweise Staub, Gase, Bakterien, Ruß und radioaktive Stoffe aus der Atmosphäre herauszufiltern. Welche Filterleistung ein Baum besitzt, hängt von der Art ab, von der Größe seiner Blatt- oder Nadeloberfläche. Kann ein Baum mit all dem umgehen, gilt er als »stadtklimafest«.
Durch den Klimawandel kommen nun aber noch erschwerte Bedingungen hinzu: lange Dürreperioden mit noch weniger Wasser. Den Bäumen wird der Spagat zwischen extremer Hitze im Sommer und kalten Wintern abverlangt. Auch Extremwetter wie Sturzregen, Stürmen, starkem Schneefall und späten Frösten sollen sie die Stirn bieten. Die Versiegelung des Bodens in den Städten kann zu Überschwemmungen führen. Die Bäume sollten zudem relativ resistent gegen Pilz- und Schädlingsbefall sein. Wegen erhöhter Bruchgefahr können Äste auf die Straße oder auf Gehwege fallen und Menschen oder den Verkehr gefährden. Daher sollten die Bäume sturmsicher und nicht anfällig für Schneebruch sein.
Ihre Wuchsform muss außerdem auch noch zum Standort passen: auf Verkehrsinseln und nahe der Straße nicht zu ausladend, hoch, niedrig oder schmal wachsend. Als Solitärbaum in Parks hingegen werden imposante Formen geschätzt. Manche Bäume sollen Gebäude beschatten, andere bei Kinderspielplätzen ein Dach bieten, und wiederum andere sollen wenig Schatten werfen, wo Sonne in Gärten oder Parks erwünscht ist. Auf Plätzen, die der brütenden Mittagshitze ausgesetzt sind, sollen die Bäume den Menschen Zuflucht bieten. In Biergärten ist ein dichtes Blätterdach gewünscht, das genügend Schatten spendet. Zudem stellt sich die Frage: Können die neuen Bäume geeignete Habitate und Nahrung für die städtische Insektenwelt und für andere Tiere bieten? Manche Klimabäume erfüllen viele dieser Anforderungen, andere sind nur unter bestimmten Voraussetzungen einsetzbar. Obwohl diese enorme Leistung von den Anwohnerinnen und Anwohnern meist nicht wahrgenommen wird, leben doch beide, Mensch und Baum, eng zusammen im Lebensraum Stadt.
In den letzten Dürresommern hat die Wassernot der Bäume die Anwohner in den großen Städten dazu bewogen, die Bäume zu gießen. Eine Geste aus dem Gefühl und dem Wissen heraus, dass Städte ohne Bäume in Zukunft kaum mehr lebenswerten Lebensraum bieten. Es ist wie eine nachbarschaftliche Fürsorge für die pflanzlichen Mitbewohner, die ihrerseits die Menschen mit Schatten, Sauerstoff und Lebensqualität versorgen. Der britische Biologieprofessor David George Haskell, der an der University of the South in Sewanee, Tennessee, lehrt, stellt fest, dass »eine Beziehung zwischen Mensch und Baum die Bäume eher überleben lässt. Neu gepflanzte Bäume wachsen sicherer an, wenn sie in ein menschliches soziales Netzwerk eingebunden sind. Wenn ein Baum von Menschen aus der Nachbarschaft und nicht von einem anonymen Gartenbaubetrieb gepflanzt wird, besitzt er höhere Überlebenschancen«.7 Unter diesem Gesichtspunkt ist es sinnvoll, sich an Baumpflanzaktionen in der Stadt zu beteiligen und die gepflanzten Bäume wie Familienmitglieder auch weiter zu betreuen.
Falls Sie während einer Trockenperiode mit akutem Wassermangel und trockenen Böden Bäume in der Stadt oder im Garten bewässern möchten, spenden Sie großzügig Wasser. Zu wenig davon erreicht nur die oberste Schicht des Bodens, die Wurzeln wachsen dann nach oben, wodurch die Bäume ihre ursprüngliche Stabilität verlieren können. Gießen Sie direkt in den Wurzelbereich und durchnässen Sie den Boden mindestens fünf Zentimeter tief. Das Wässern sollte alle paar Tage vorgenommen werden. Eine Mulchschicht aus Grasschnitt und Laub rund um den Stamm kann vor weiterer Austrocknung des Bodens schützen. In vielen Städten und Gemeinden dürfen die Baumscheiben, die offenen Flächen rund um die Straßenbäume, von Anwohnenden bepflanzt und gepflegt werden. Dazu erhält man beim Grünflächenamt einen Patenschaftsvertrag.
Interessant ist auch folgende Beobachtung des Biologen Haskell: Wenn Bäume eine Plakette tragen, auf der steht, um welche Baumart es sich handelt und was der Baum braucht, zum Beispiel Wasser, Mulch, lockere Erde und keinen Müll, steigt seine Überlebenschance schlagartig auf fast hundert Prozent. Ich stelle mir dazu vor, wie Kinder für die Stadtbäume in ihrer Umgebung Schilder mit diesen Angaben malen.
Bäume in der Stadt sind auch einer Flut von Geräuschen ausgesetzt, die sie in Form von Druckwellen erreichen. Der bereits erwähnte David Haskell hat im Rahmen seiner wissenschaftlichen Arbeit Bäume mit Sensoren ausgestattet, die mit einem Laptop verbunden waren. Er beschreibt seine Ergebnisse am Beispiel eines chinesischen Wildbirnbaums, der als Straßenbaum in Manhattan wuchs. Das »elektronische Ohr« nahm die akustischen Schwingungen im Baum wahr und zeichnete sie auf. Hier ein Teil von Haskells Bericht: »Das jedem U-Bahn-Gast vertraute Geräusch rumpelnder Räder, die über Eisenschienen fahren, dringt über die Wurzeln in den Baum und erschüttert ihn schon Sekundenbruchteile, bevor das Geräusch aus dem Entlüftungsgitter aufsteigt, Druckwellen setzen sich in Beton oder Holz zehn Mal schneller fort. In Graniteinfassungen wandern Geräusche noch mal doppelt so schnell (…) All diese Bewegungen fließen in den Baum ein. Der Birnbaum wird von der Stadt bewohnt.«8
Solche Studien zeigen, dass Bäume viel mehr wahrnehmen, als uns bewusst ist. Sie haben »gute Ohren«, die nicht nur Naturgeräusche, sondern auch menschengemachte Geräusche aufnehmen. Schon unser Vorbeigehen auf dem Gehweg nehmen sie über feine Druckwellen wahr. Das metallene Klacken von