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Distance means so little, when someone means so much. Authentisch, berührend und unwiderstehlich: eine Liebesgeschichte über eine Fernbeziehung und ihre Folgen. Ein Jahr. Ein ganzes Jahr war Harper von ihrem Freund getrennt, weil Sam zum Studieren nach Paris gegangen ist. Jetzt ist er endlich wieder zu Hause – und alles ist irgendwie seltsam. Früher hat sich ihre Beziehung so natürlich, so leicht angefühlt. Jetzt hingegen gehen sie vorsichtig, zögernd und steif miteinander um. Liegt es nur an der langen Trennung? Oder an dem Geheimnis, das Harper mit sich herumträgt? Sie kann sich nicht entscheiden, ob sie sich Sam anvertrauen soll. Und dann schlägt einer ihrer Freunde ein Spiel vor. Ein Spiel, in dem es um nichts anderes als Wahrheiten und Lügen geht … Dieses E-Book gehört zur «Because It's True»-Reihe. Darin erzählen die vier Bestsellerautorinnen Kelly Moran, Kira Mohn, Anya Omah und Nikola Hotel vier unabhängig lesbare Liebesgeschichten rund um eine Social-Media-Challenge: «Mach mit bei der Three-Things-Challenge. Erzähl jemandem drei Dinge über dich: eine Wahrheit, eine Lüge und etwas, von dem du dir wünschst, dass es wahr oder gelogen wäre. Findet dein Gegenüber heraus, was was ist?» Die «Because It's True»-Reihe als E-Books: Kelly Moran «Tausend Momente» Kira Mohn «Ein einziges Versprechen» Anya Omah «Tausend Gefühle» Nikola Hotel «Ein einziger Kuss» Die Geschichten sind auch im Print erhältlich, zusammengefasst zu zwei Bänden: Kelly Moran, Kira Mohn «Tausend Momente und ein einziges Versprechen» Nikola Hotel, Anya Omah «Tausend Gefühle und ein einziger Kuss»
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Seitenzahl: 149
Nikola Hotel
Distance means so little, when someone means so much.
Ein Jahr. Ein ganzes Jahr war Harper von ihrem Freund getrennt, weil Sam zum Studieren nach Paris gegangen ist. Jetzt ist er endlich wieder zu Hause – und alles ist irgendwie seltsam. Früher hat sich ihre Beziehung so natürlich, so leicht angefühlt. Jetzt hingegen gehen sie vorsichtig, zögernd und steif miteinander um. Liegt es nur an der langen Trennung? Oder an dem Geheimnis, das Harper mit sich herumträgt? Sie kann sich nicht entscheiden, ob sie sich Sam anvertrauen soll. Und dann schlägt einer ihrer Freunde ein Spiel vor. Ein Spiel, in dem es um nichts anderes als Wahrheiten und Lügen geht …
Dieses E-Book gehört zur «Because It’s True»-Reihe. Darin erzählen die vier Bestsellerautorinnen Kelly Moran, Kira Mohn, Anya Omah und Nikola Hotel vier unabhängig lesbare Liebesgeschichten rund um eine Social-Media-Challenge: «Mach mit bei der Three-Things-Challenge. Erzähl jemandem drei Dinge über dich: eine Wahrheit, eine Lüge und etwas, von dem du dir wünschst, dass es wahr oder gelogen wäre. Findet dein Gegenüber heraus, was was ist?»
Die «Because It’s True»-Reihe als E-Books:
Kelly Moran «Tausend Momente»
Kira Mohn «Ein einziges Versprechen»
Anya Omah «Tausend Gefühle»
Nikola Hotel «Ein einziger Kuss»
Die Geschichten sind auch im Print erhältlich, zusammengefasst zu zwei Bänden:
Kelly Moran, Kira Mohn «Tausend Momente und ein einziges Versprechen»
Nikola Hotel, Anya Omah «Tausend Gefühle und ein einziger Kuss»
Nikola Hotel hat eine große Schwäche für dunkle Charaktere und unterdrückte Gefühle, daher hängt ihr Herz vor allem am New-Adult-Genre. Und das merkt man ihren ebenso gefühlvollen wie mitreißenden Liebesgeschichten an. Seit 2020 gelang jedem ihrer Bücher unmittelbar nach Erscheinen der Einstieg auf die Spiegel-Bestsellerliste. Zudem sind alle ihre Romane besonders ausgestattet, seien es Handletterings in «It was always you» und «It was always love», ein Daumenkino und Origami-Faltanleitungen in «Ever» und «Blue» oder die Blackout Poetry in «Dark Ivy». Ihre Bücher lassen sich alle unabhängig voneinander lesen, auch innerhalb der Reihen, aber frühere Hauptfiguren tauchen immer wieder in kleineren Nebenrollen auf. Oder umgekehrt. So hatten Harper und Sam aus «Because It’s True – Ein einziger Kuss» ihren ersten Auftritt in «It was always you», der Liebesgeschichte von Ivy und Asher.
Nikola lebt mit ihrer Familie in der Nähe von Bonn und gewährt auf Instagram und TikTok allerlei Einblicke in ihren Schreiballtag. Mehr Informationen sind auf ihrer Homepage zu finden: www.nikolahotel.de
Veröffentlicht im Rowohlt Verlag, Hamburg, April 2023
Copyright © 2023 by Rowohlt Verlag GmbH, Hamburg
Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt, jede Verwertung bedarf der Genehmigung des Verlages.
Covergestaltung ZERO Werbeagentur, München
Coverabbildung Shutterstock; PixxWerk
Schrift Droid Serif Copyright © 2007 by Google Corporation
Schrift Open Sans Copyright © by Steve Matteson, Ascender Corp
Abhängig vom eingesetzten Lesegerät kann es zu unterschiedlichen Darstellungen des vom Verlag freigegebenen Textes kommen.
ISBN 978-3-644-01455-8
www.rowohlt.de
Alle angegebenen Seitenzahlen beziehen sich auf die Printausgabe.
Forget Somebody – Tom Gregory
Teenage Dream – Stephen Dawes
What We Had – Sody
Room for 2 – Benson Boone
Far Away – Peter Fenn
Bitch (I Said It) – Sody
You & Jennifer – bülow
Sweet Little Lies – bülow
I Guess I’m in Love – Clinton Kane
Work of Art – Benson Boone
Kiss Me – Dermot Kennedy
Ich habe Sam so vermisst. Meistens. Die ganzen Monate, in denen er in Paris war, habe ich fast durchgehend an ihn gedacht. Aber wenn er nicht bald auftaucht, werde ich ihn erwürgen.
Sein Flieger hat bereits anderthalb Stunden Verspätung, und ich stehe mir in der Ankunftshalle die Beine in den Bauch. Mit einem Plakat und Blumen. Wahrscheinlich kam ich mir noch nie in meinem Leben so blöd vor. Okay, das ist gelogen, ich kam mir schon mal so blöd vor. Als ich ihm an seinem Geburtstag mein Geschenk überreicht habe und er es schrecklich fand. Und zwar so, dass jeder unserer Freunde es mitbekommen hat. Ich habe mir wochenlang Gedanken gemacht und ihm alles für den perfekten Campingtrip besorgt, und alles, was er dazu gesagt hat, war: «Toll, Harper. Ganz toll, wirklich toll.» Und wer Samuel Guinyard kennt, weiß, was ein toll in Kombination mit diesem gequälten Gesichtsausdruck bedeutet. Er hat es gehasst.
Sein bester Freund Asher hat ihm nur eine Minute später ein altes Kinderbuch geschenkt, und das hat Sam Tränen der Rührung in die Augen getrieben. Das Gefühl, das mir jetzt durch den Bauch rumort, erinnert mich genau an diesen Moment.
«Hast du Sam gar nichts zur Begrüßung mitgebracht?» Zweifelnd mustere ich Asher, der auf einem der Metallstühle im Wartebereich sitzt, den Mund mit der kleinen Narbe zu einem dauerhaft spöttischen Grinsen verzogen. Ich kenne Asher seit Jahren, und trotzdem schafft es dieser Ausdruck immer noch, mich zu verunsichern.
Es ist verdammt heiß heute, aber Asher sieht mit seinem Designeranzug so frisch aus, als käme er gerade von einem Shooting für die Harvard Business Review. Na gut, hier drin läuft die Klimaanlage auch auf Hochtouren, und unter meinem Shirt trage ich deshalb außer der neuen Spitzenunterwäsche zusätzlich eine Gänsehaut.
«Wieso sollte ich ihm was mitbringen?» Er schlägt die Beine übereinander und legt einen Arm um Ivy, seine Freundin. Sie ist spätestens seit dem legendären Campingtrip, bei dem wir in der Dunkelheit vor einer Horde Kojoten geflüchtet sind, auch eine meiner absolut besten Freundinnen, mit der ich nicht nur ein Zelt, sondern auch jederzeit den Inhalt meines Kulturbeutels teilen würde. «Es gibt kein Geschenk. Wir sind das Geschenk», sagt Asher.
Sein Selbstbewusstsein hätte ich gerne.
Ivy zwinkert mir unter dem dunklen Pony erst zu, dann rollt sie wegen Asher mit den Augen. Sie weiß genau, wie es in mir aussieht. Ich habe Sam seit Monaten nicht gesehen. Ein einziges Mal war er im letzten Jahr hier, um Ashers Dad nach einer schweren Operation im Krankenhaus zu besuchen. Noch ein zweites Mal zu kommen, dafür fehlte ihm einfach das Geld. Das Leben in Paris muss irre teuer sein. Und ehrlicherweise konnte ich mich nicht dazu überwinden, nach Europa zu fliegen. Ich war noch nie außerhalb der Vereinigten Staaten, ich spreche nicht ein Wort Französisch außer bonjour und merde, und die Vorstellung, auf Sams Kommilitonen zu treffen, die sich wahrscheinlich nur über Kunst unterhalten würden – nicht dass ich das auf Französisch verstehen würde –, hat mich innerlich zu einer Rosine zusammenschrumpfen lassen. Ich verstehe nichts von Kunst. Obwohl ich Sam für seine Leidenschaft bewundere, habe ich keine Ahnung davon. Ich wollte nicht das Klischee der ungebildeten Amerikanerin erfüllen. Und so versauert das Geld, das ich für Europa angespart hatte, um Sam dort zu überraschen, auf meinem Konto.
Ich verlagere das Gewicht auf mein anderes Bein, versuche zu verdrängen, dass ein Schokomüsliriegel in meiner Hosentasche steckt, den ich heute Morgen vor Nervosität nicht runterbekommen habe, und lege die Blumen auf einem der Sitze ab. Das Plakat rolle ich zusammen. Die Flughafenanzeige wurde immer noch nicht aktualisiert – neben Sams Flugnummer steht unverändert «verspätet».
«Willst du dich nicht hinsetzen?» Ivy klopft mit der flachen Hand neben sich. Ihre Haarspitzen sind blond gefärbt und heben sich vom Rest ihres dunklen Bobs deutlich ab.
«Ich kann jetzt nicht sitzen.» Wenn ich meine nervöse Energie auf einen Sitz verfrachten muss, werde ich wahrscheinlich implodieren.
Seufzend steht sie auf und nimmt mich in den Arm. «Hey.»
Mit einem tiefen Ausatmen lasse ich mich gegen sie sinken. Und setze zu einer Minibeichte an.
«Hoffentlich hasst er es nicht, wieder hier zu sein», flüstere ich, damit Asher es nicht hört. «Das ist meine größte Angst.» Womit ich mich selbst belüge. Meine größte Angst ist etwas ganz anderes: dass Sam etwas herausfinden könnte. Etwas, an das ich nicht einmal denken möchte.
Ivy nickt, weil sie mich versteht. «Es ist ganz normal, dass du dir nach der langen Trennung Sorgen machst. Aber Sam freut sich, endlich wieder nach Hause zu kommen. Er liebt dich, und er hat dich so lange nicht gesehen. Und seine Mom auch nicht. Garantiert denkt er seit Wochen an nichts anderes als an diesen Tag.»
In meinem Brustkorb zieht es schmerzhaft, und ich löse mich wieder von ihr. «Klar. Deshalb hat er seinen Aufenthalt auch freiwillig um zwei Monate verlängert.» Ich schüttele den Kopf. Natürlich habe ich mich für Sam gefreut, dass sein Studium an der Kunsthochschule so erfolgreich gelaufen ist. Aber musste er deshalb noch zwei Monate für einen Kurs bei irgendeinem uralten Professor dranhängen? Waren zwei Auslandssemester nicht genug?
«Das war eine einmalige Gelegenheit, Harper», sagt Ivy, als wären meine Gedanken als Hologramm vor ihrem Gesicht erschienen. «So eine Chance muss man ergreifen.»
«Ich weiß.» Meine Unterlippe brennt bereits, so oft habe ich inzwischen draufgebissen. Ich weiß das wirklich. Ich habe Sam ermutigt, länger in Paris zu bleiben, auch wenn es mir schwerfiel. Aber diese beiden Monate sind schuld daran, dass ich solche Angst vor unserem Wiedersehen habe. Wenn diese verfluchten zwei Monate nicht gewesen wären, hätte ich niemals diesen schrecklichen Fehler begangen.
Mein schlechtes Gewissen meldet sich wie auf Knopfdruck. Ich liebe Sam. Er verdient die Welt! Und weil ihm Paris so viel bedeutet, bin ich die Letzte, die ihm das missgönnt. Es ist nur …
Sam und ich sind seit drei Jahren ein Paar, aber wir haben uns ein Drittel der Zeit nicht gesehen. Ich habe ihn vermisst. Seine Umarmungen, seine sanften Küsse. Seinen Humor, seine Begeisterung, wenn er malt oder schreibt. Ich habe es vermisst, sein konzentriertes Gesicht über ein Buch gebeugt zu sehen, und den Moment, wenn er verwirrt aufblickt, weil man ihn angesprochen hat. Und dann, wenn er mich angesehen hat – es war jedes Mal, als würde die Sonne aufgehen. Er hat mich angesehen, als wäre ich alles für ihn.
Aber das war, bevor er nach Paris geflogen ist.
Und es war auch nicht nur alles gut. Viel zu oft habe ich auf ihn eingeredet, dass er mehr am normalen Leben teilhaben muss, habe versucht, ihn zu verändern. Das war ein Fehler, denke ich.
Manchmal hat es mir Angst gemacht, wie in sich gekehrt er sein kann. Als wäre er aus der Welt gefallen. Wie albern das war im Vergleich zu jetzt. Ich vermisse Sams freundliches Gesicht mit den fast schwarzen Haaren und wie gut er riecht, wenn er mich an sich zieht. Nur dass ich … Ich glaube, ich habe vergessen, wie Sam riecht. Verdammt.
Ich schüttele verzweifelt den Kopf. «Ivy, ich weiß gar nicht mehr …» Meine Stimme wird noch leiser, weil es mir so unangenehm ist. Was für eine Freundin bin ich bitte? «Ich habe vergessen, wonach Sam riecht. Ich habe es einfach vergessen. Wie furchtbar ist das?»
Ivy presst die Lippen zusammen, und es dauert einen Moment, bis ich begreife, dass sie ein Lachen unterdrückt.
«Wenn du jetzt lachst, Ivy Blakely, töte ich dich! Mir ist klar, dass das eigentlich albern ist, aber es macht mich völlig fertig.»
«Sorry, ich lache nicht über dich. Glaub mir, es wird dir sofort wieder einfallen. Alles. Sobald er dich begrüßt und in den Arm nimmt, ist alles wieder da. Zu hundert Prozent. Als ich letztes Jahr zurück auf die Insel gekommen bin, ging es mir ganz genauso. Schon im Flugzeug …» Sie zögert. «In der ersten Sekunde war alles wieder da.»
Daran, wie sie schluckt, erkenne ich den alten Schmerz. Auch wenn sie mit Asher heute glücklich ist, hat alles, was sie zusammen durchgemacht haben, dennoch seine Spuren hinterlassen.
Ich drücke ihren Arm und flüstere ein «Okay».
Ivy hat eine wirklich harte Zeit hinter sich, und sie weiß genau, was es heißt, jemanden zu vermissen und gleichzeitig Angst vor einer erneuten Begegnung zu haben. Gott sei Dank gibt sie sich mit meinem Okay zufrieden und fragt nicht weiter nach. Sie ist niemand, der nachbohrt, wenn man nicht von sich aus erzählen will. Ich wünschte, ich wäre mehr wie sie. Und ich wünschte, ich hätte vor zwei Monaten nicht so einen schrecklichen Mist gebaut.
«Die Maschine ist gelandet.» Asher deutet auf die Anzeige, und mein Kopf ruckt so heftig herum, dass ich mir fast einen Muskel zerre. Tatsächlich. Hinter dem Flug steht «Arrival». Sofort spüre ich eine Mischung aus Beklemmung und Vorfreude.
Sam ist da.
«Gott», stößt Asher mit einem Seufzen aus. «Hillary hat mich schon dreimal angeschrieben. Sie ist total nervös.»
Hillary ist Sams Mom. Sie ist Haushälterin auf dem Anwesen von Ashers Vater und bewohnt das kleine Gästehaus auf der Insel. In den letzten Wochen habe ich bei ihr gewohnt, weil ich meine Prüfungen schon hinter mir habe und die Pferde der Blakelys bis zu den Semesterferien versorge. So lange, bis Ashers Bruder Noah wieder mehr Zeit für sie hat.
Asher schreibt schnell eine Nachricht an Sams Mom und schiebt das Mobiltelefon zurück in die Brusttasche seines Jacketts, während ich umständlich das Plakat wieder abrolle. Trotz meiner nicht existenten Französischkenntnisse habe ich auf das Plakat mit einem dicken Filzstift – Google-Übersetzer sei Dank! – Bienvenue à la maison geschrieben. Willkommen zu Hause. Auch wenn mich jetzt gerade Zweifel überkommen, ob das so eine gute Idee war. Sam ist nicht unbedingt der Typ für große Gesten.
Ivy hält kurz das andere Ende des Plakats fest, damit ich eine Hand frei habe, um die Blumen aufzuheben. Sie hängen jetzt schon schlaff herunter, aber daran kann ich nichts ändern.
Ich bin immer noch damit beschäftigt, das Plakat zu glätten, weil es sich von allein immer wieder einrollen will, als die ersten Menschen aus der Maschine in die Halle strömen. Plötzlich stößt Ivy neben mir einen überraschten Ausruf aus. «Da ist er!» Sie fängt an zu winken.
Ich recke den Hals, kann Sam aber nicht entdecken. «Wo denn?»
«Da vorne. Mit dem roten Koffer.»
Ich drücke die Blumen an meinen Brustkorb, hinter dem mein Herz zu rasen beginnt, als stünde ich an der Kante einer Klippe. Da ist ein großer, roter Koffer, ja, aber kein Sam. Nur ein sportlich-muskulöser Typ mit braun gebrannten Beinen in kurzen Shorts. Mein Blick gleitet über die anderen Menschen hinweg auf der Suche nach ihm. Meinem Sam. Dem Sam, dem das schwarze Haar immer etwas verträumt ins Gesicht fällt. Dem Sam mit der blassen Haut und den dunklen Ringen unter den Augen. Dem Sam mit der schlaksigen Gestalt, der immer so aussieht, als müsse er dringend mal an die frische Luft.
«Sam, hier!» Asher hebt eine Hand und lacht diesen sportlichen Typen an, den ich keines Blickes gewürdigt habe. Den Typ mit der unglaublich selbstbewussten Körperhaltung, der wirkt, als käme er gerade von einem Surftrip aus Biarritz zurück.
Oh mein Gott, es ist Sam!
Wahrscheinlich starre ich Sam an wie einen Alien. Aber … aber … wieso sieht er so anders aus?
Wir haben uns vor zehn Monaten getroffen, da war er noch derselbe schlaksige Kerl wie immer. Krampfhaft überlege ich, wann wir das letzte Mal gefacetimed haben. Ist es schon zwei Monate her? Etwas mehr? Zuletzt haben wir nur noch telefoniert, weil ich immer eine Ausrede gefunden habe. Es hat mich jedes Mal so runtergezogen, wie begeistert er von Frankreich war, und ich wollte nicht, dass er das in meinem Gesicht sieht. Ich meine: Wie viele Abhandlungen über Kunst und Architektur kann man über sich ergehen lassen? Das ganze Jahr über hat er mir von diesem Bild oder jenem Gebäude oder der tollen Diskussion in seinem letzten Kurs vorgeschwärmt, und ich habe mich dabei immer mieser gefühlt. Und dann ist es schließlich passiert. Die Sache, wegen der mich mein schlechtes Gewissen beinahe umbringt. Deshalb haben wir nur noch telefoniert, und selbst das wurde in den letzten Wochen immer weniger. Was hat Sam bitte in der Zwischenzeit getrieben? Er ist überhaupt nicht wiederzuerkennen.
Ich schlucke hart, als er auf uns zukommt, und bin fast erleichtert, dass Asher ihn zuerst begrüßt, sodass ich noch Zeit habe, mich darauf einzustellen, dass … das jetzt Sam ist. So muss man sich als Frau eines Soldaten fühlen, schießt es mir durch den Kopf, dann gebe ich mir selbst einen gedanklichen Fußtritt.
«Hey, Sam.» Im nächsten Moment halte ich den Atem an und spüre seine Wange an meiner, rau und kratzig. Er hat sich nicht rasiert, wahrscheinlich seit Tagen nicht, was total ungewöhnlich für ihn ist. Wie ferngesteuert gebe ich ihm einen Kuss auf die Wange.
Er riecht anders. Was auch immer in meiner Erinnerung hochkommen müsste, das ist nicht der Sam-Geruch, der etwas Vertrautes in mir anschlägt. Als wäre er ein lang verschwundener Zwilling. Ich wette, selbst Simon, der Hund der Blakelys, wird ihn nicht wiedererkennen.
Gott, Harper, reiß dich zusammen. Sam war nicht verschollen oder so. Das hier ist nicht Cast Away.
«Wow, Harper», sagt er und lächelt schief. «Das ist echt toll, großartig. Wirklich toll! Danke für das Willkommensplakat.»
Er hasst es. Er hasst mein Plakat.
«Willkommen zu Hause», bringe ich gepresst heraus. In meinem Hals hat sich ein monströser Kloß gebildet. Mit Gewalt dränge ich ihn zurück, genau wie das Brennen in meinen Augen. «Deine Mutter hat sich schon Sorgen gemacht, sie hat Asher dreimal geschrieben, um zu fragen, wo du bleibst. Chase konnte leider nicht kommen, er hat zu viel im Diner zu tun, aber ich soll dich von ihm grüßen und dir sagen, dass wir morgen bei ihm zu einem Filmabend eingeladen sind …» Mein Geplapper wird immer leiser und versandet schließlich. Was mache ich hier eigentlich? Anstatt Sam zu sagen, wie sehr ich ihn vermisst habe, quassle ich nur dummes Zeug. Als ob ihn interessieren würde, dass mein Bruder nicht da ist.
«Cool, danke. Mann, es ist so toll, euch zu sehen.» Er breitet die Arme aus, eine Geste, die Ivy und Asher mit einschließt. «Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll. Tut mir leid, dass ihr so lange warten musstet. Es gab beim Zwischenstopp in New York Probleme auf dem Rollfeld. Mein verdammter Handyakku ist leer, deshalb konnte ich euch nicht Bescheid sagen.»
«Hey, wir haben gerne gewartet.» Ivy zieht Sam in eine feste Umarmung, bei der ich mich seltsam ausgegrenzt fühle. Ich kann nicht mal erklären, warum. Ivy kennt Sam schon viel länger als ich. Sie sind beinahe zusammen aufgewachsen.