Beim Sterben geht es um mehr als den Tod - Lama Shenpen Hookham - E-Book

Beim Sterben geht es um mehr als den Tod E-Book

Lama Shenpen Hookham

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Beschreibung

Dies sind die zeitlosen Unterweisungen der tibetisch-buddhistischen Lehrerin Lama Shenpen Hookham zum Umgang mit Sterben und Tod. Sie zeigt, wie wir uns darauf vorbereiten können, durch Meditation, in der Sterbebegleitung und mit ganz konkreten Vorbereitungen auf den Tod. Die Anregungen sind für alle hilfreich, die an einer Auseinandersetzung mit dem (eigenen) Tod und Sterben und damit auch an einer tiefen Erfahrung von Lebendigkeit interessiert sind.

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Lama Shenpen Hookham

Beim Sterben geht es um mehr als den Tod

Inspirationen aus der Weisheit des Buddhismus

Aus dem Englischen vonRenate Seifarth

Die englische Originalausgabe erschien unter dem TitelThere‘s More to Dying than Death2006 bei Windhorse Publications, 169 Mill Road, Cambridge CB1 3AB, UK

This translation of There‘s More to Dying than Death is published by arrangement with Windhorse Publications.

© 2006 Lama Shenpen HookhamCopyright der deutschen Ausgabe © 2007 Theseus in Kamphausen Media, Bielefeld

Neuauflage 2018

Übersetzung ins Deutsche: Renate SeifarthLektorat: Agnes Pollner, Lali Coll, Claudia Seele-NyimaGestaltung und Satz: Ingeburg Zoschke, BerlinUmschlaggestaltung: Morian & Bayer-Eynck, Coesfeld, www.mbedesign.deunter Verwendung eines Fotos von © Hildegard MorianeBook Herstellung: Bookwire GmbH, Frankfurt a. M.

www.kamphausen.media

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

ISBN Printbuch 978-3-95883-294-7

ISBN E-Book 978-3-95883-295-4

Alle Rechte der Verbreitung, auch durch Funk, Fernsehen und sonstige Kommunikationsmittel, fotomechanische oder vertonte Wiedergabe sowie des auszugsweisen Nachdrucks vorbehalten.

Inhalt

Zum Geleit

Vorwort

Dank

Einleitung

Die Bedeutung des Todes im Buddhismus

Über Geburt und Tod hinausgehen

Wer stirbt?

Die buddhistische Tradition

1Wie Meditation uns hilft, den Tod zu verstehen

Die grundlegende Natur des Gewahrseins

Sich in Gedanken verlieren

Das Kommen und Gehen des Gewahrseins

Vom Träumen lernen

Vertrauen als Hintergrundgefühl

Der Augenblick des Todes und was darauf folgt

Meditation zur Zeit des Todes

2Das Herz stirbt nie

Intuitives Wissen über das Herz

Wie wichtig es ist, das Herz zu betonen

Offenheit, Klarheit, Feinfühligkeit

Wie das Herz verwirrt wird

Dem Erwachten Herzen vertrauen, wenn wir sterben

3Die Stadien des Todes und der Wiedergeburt

Quellen und traditionelle Texte

Der Auflösungsprozess

Die äußere Auflösung

Die innere Auflösung

Der eigentliche Moment des Todes

Nahtoderfahrungen

Der Zwischenzustand

Der Tod fortgeschrittener Praktizierender

Der Angst begegnen

Die vielen Welten der Wiedergeburt

Wie Karma die Wiedergeburt prägt

Wie hilfreich ist die Karma-Vorstellung?

Karmische Schulden

4Dem Herzen vertrauen

Herzenswunsch

Sich mit dem Herzen verbinden

Entschluss

Güte

Meditationen der liebenden Güte

Geben

Annehmen

Herzensverbindungen mit anderen

Nicht in Panik geraten

5Die Beziehung zu unserem Geist in der Todeserfahrung

Gedanken und Emotionen

Einige Meditationsübungen

Gefühle und Empfindungen

Unsere blitzartigen Einsichten wertschätzen

Unser Todes-Dharma wählen

6Unserer Verbindung mit dem Pfad vertrauen

Ein Mittel gegen egoistisches Denken

Die Kraft unserer Verbindung mit dem Pfad

Sorgen über Karma

7Die Kraft des Erwachens anrufen

Sich im Angesicht des Todes dem Gebet zuwenden

Persönliches und unpersönliches Gebet

Wie können Erwachte Wesen uns zur Zeit des Todes helfen?

Zufluchtnahme und Bodhisattva-Gelübde

Erwachte Wesen anrufen

Mantras oder Namen des Buddha

Für die Geburt in einem Reinen Land beten

Powa, die Übertragung des Bewusstseins

Der eigenen Inspiration folgen

8Wie die Lebenden den Toten und Sterbenden beistehen können

Mit den Sterbenden sein

Sterbenden spirituellen Rat geben

Sterbenden Buddhisten beistehen

Wenn jemand den Verstand verliert

Denen beistehen, die einen geliebten Menschen verlieren

Um den Moment des Todes herum

Zu den Toten sprechen

Für das Wohl der Sterbenden oder Verstorbenen praktizieren

Traditionelle buddhistische Gebräuche

Wie viel sollte ich praktizieren?

Parinirvāṇa-Tag

Tiere

9Praktisches Vorausschauen auf den eigenen Tod

Für den eigenen Tod vorsorgen

Organspende und Obduktion

Schmerzmittel und lebenserhaltende Maschinen

Den Körper ungestört lassen

Was mit den sterblichen Überresten tun?

Die Bestattung

Ablauf der Trauerfeier

Das Herz-Sūtra lesen

Das Herz-Sūtra

Rezitation des Mantra

Die Kraft der Wahrheit anrufen

Die Übergabe der sterblichen Überreste

10Trauer

Der Schock des Todes

Durch Trauer spirituelle Weisheit entwickeln

Die Trauernden unterstützen

11Schon zu Lebzeiten über den Tod reflektieren

Die Notwendigkeit, über den Tod zu reflektieren

Die beste Vorbereitung auf den Tod

Den Geist vom Saṃsāra abwenden

Anmerkungen

Glossar

Literaturempfehlungen

Informationen

Über die Autorin

Für Michael

Möge die weite Offenheit des Unbekannten,

die vor dir aufzieht,

dich als die Freundin begrüßen, die sie immer war:

die unzerstörbare Essenz deines Seins.

Möge der wahrheitsgetreue Spiegel des Todes,

der vor dir glänzt,

durch seine Klarheit die eitlen Täuschungen des Lebens vertreiben

und die natürliche Weisheit deines Herzens erwecken.

Möge der dunkle Schatten des Todes,

der auf dich fällt,

dich im Schrecken mit allen Lebewesen vereinen,

die offene Wunde berührend, die im Herzen deines Wesens klafft.

Mögest du den Mut finden, willkommen zu heißen

den mächtigen Sturm der Wirklichkeit,

die dein Wesen ist,

und mit der Zuversicht eines uralten Kriegers

im geheimnisvollen Licht zeitloser Freude verweilen,

die weder Geburt noch Tod kennt.

Dieses Gebet schrieb Lama Shenpen Hookham für ihren Bruder, nachdem er gestorben war.

Zum Geleit

Das Leben ist kostbar.

Es bietet unzählige Möglichkeiten und Herausforderungen, um Frieden, Freude und Wahrheit in uns zu entdecken. Es hält auch zahlreiche Gelegenheiten bereit, anderen Wesen zu helfen und etwas Sinnvolles und Nützliches für die Welt um uns herum zu tun.

Vom buddhistischen Standpunkt aus bietet der Tod ähnliche Herausforderungen und Möglichkeiten. Er ist weder ein Ende noch ein letztendliches Gericht. Er ist ein weiterer Schritt auf der Reise mit vielen besonderen Gelegenheiten, unsere wahre Natur zu entdecken und dadurch dauerhaften Frieden und Glück zu finden.

Shenpen Hookham erklärt die Tradition und zeigt im Licht ihrer eigenen Erfahrungen in der modernen westlichen Welt, wie deren Lehren angewendet werden können. Ich hege keinen Zweifel daran, dass alle, die dieses Buch lesen, etwas Wertvolles darin finden werden, das sie mitnehmen können.

Ringu Tulku Rinpoche

Vorwort

Dieses Buch ist der Versuch, eine buddhistische Sicht des Todes aufzuzeigen, die für uns – Buddhisten wie Nichtbuddhisten – realistisch und tröstlich ist, wenn wir mit einem schmerzlichen Verlust oder dem eigenen Tod konfrontiert werden, und ebenso, wenn wir anderen helfen wollen, dem Tod ins Auge zu sehen.

Ich habe mich auf eine Sichtweise konzentriert, die ein westlich geprägter Mensch mit wenigen oder vielleicht keinerlei Kenntnissen der buddhistischen Lehren hilfreich und trostreich finden wird, und bin nicht davon ausgegangen, dass die Leserinnen und Leser dieses Buches erfahrene Praktizierende des Buddhismus sind oder sogar die gesamte buddhistische Kosmologie und Weltsicht übernommen haben.

In traditionellen buddhistischen Quellen können die Darstellungen des Todesprozesses sehr technisch klingen, und ihre detaillierten Anweisungen in Bezug auf die Art, wie man sterben soll, richten sich im Wesentlichen an sehr geübte Meditierende. Das kann leicht zu unrealistischen Erwartungen von Seiten praktizierender Buddhisten führen. Sie trauen sich vielleicht nicht zu, das erforderliche Übungsniveau zu erreichen, und werden mutlos. Andere ängstigen sich vielleicht angesichts der Warnungen und Beschreibungen, was alles während des Sterbens »schiefgehen« kann. Der Gedanke an den Tod versetzt sie in Furcht, und sie lernen daher nicht, wie man dem Tod mit Zuversicht begegnen kann.

Mir liegt deshalb daran, die buddhistische Sichtweise des Todes so darzustellen, dass sie die Zuversicht der Menschen stärkt, und ich möchte ihnen praktische Richtlinien an die Hand geben, was sie für sich und andere tun können, wenn die Zeit gekommen ist.

Will man in der Darstellung nicht allzu technisch werden, läuft man Gefahr, dass die buddhistische Sichtweise des Todes simpel klingt. Ich habe sogenannte buddhistische Abhandlungen über den Tod gelesen, die nahelegen, wir müssten einfach nur mit allem Frieden schließen und still und leise in das große, blaue Jenseits gleiten – als wäre alles, was wir brauchen, ein friedlicher Tod, und danach sei alles gut.

Das jedoch lässt offensichtlich die wesentliche Botschaft des Buddha außer Acht, nämlich, wie schwierig es ist, dem Leiden des endlosen Kreislaufs von Geburt und Tod zu entrinnen und wie furchterregend die Erfahrung dessen sein kann, was jenseits des Todes liegt.

Darstellungen wie die oben genannten vermitteln den Eindruck, der Tod selbst sei schon der Weg zur Befreiung vom Leiden. Doch in Wahrheit geht die buddhistische Sicht davon aus, dass wir immer wieder geboren werden und dass unser Zustand nach dem Tod sehr ungewiss ist, es sei denn, wir sind zur wahren Natur der Wirklichkeit erwacht. So wie ein Traum auf den anderen folgt – manchmal wunderbar, manchmal als Albtraum –, können wir nicht wissen, in welchen Zustand wir in unserem nächsten Leben hineingeboren werden. Ratschläge darüber, wie in diesem Leben das Leid im Moment des Todes verringert werden kann, können wichtig und hilfreich sein. Mir liegt aber noch mehr am Herzen, die buddhistische Sicht und ihre Hilfestellungen darzulegen, die sich auf das beziehen, was nach dem Ende dieses Leben hilfreich sein kann.

Meine Darstellung des Buddhismus

Die Art, wie ich die buddhistische Sichtweise darstelle, beruht auf der direkten Übertragung der Lehre, die ich innerhalb der tibetisch-buddhistischen Tradition des Mahāmudrā und Dzogchen von meinen Lehrern erhalten und aus meiner Meditationspraxis gewonnen habe. Diese beiden Traditionen kamen in Indien erst vor ungefähr tausend Jahren auf und verbreiteten sich in Tibet. Sie basieren aber auf den klassischen Schriften des Mahāyāna-Buddhismus, die sich bis in die ersten Jahrhunderte u. Z. zurückdatieren lassen und deren Lehren mehr oder weniger mit denen des Mahāmudrā und Dzogchen identisch sind. Im Prinzip finden sich die gleichen Lehren in den ältesten buddhistischen Schriften, die vor mehr als zweitausend Jahren entstanden sind. Auf diese Weise sind sie in allen Traditionen des asiatischen Buddhismus – wenn auch mehr oder weniger betont – gegenwärtig.

Im Allgemeinen habe ich wenig Quellenhinweise gegeben, und mancher Leser mag vielleicht meinen, ich würde nur meine eigenen Ansichten vertreten. Ich stütze mich aber auf die Lehren des Prajñāpāramitā-Sūtra über die Leerheit, die Lehre des Tathāgatagarbha-Sūtra über die Buddha-Natur, die jedem Wesen innewohnt, und die Lehren des Avataṃsaka-Sūtra über die unermessliche Weite und das gegenseitige Durchdrungensein aller Welten. All diese Lehren bilden die Grundlage der Dzogchen- und Mahāmudrā-Tradition des tibetischen Buddhismus. Meine Lehrer folgen diesen Lehren und haben sie mir über die Jahre hinweg übermittelt.

Dank

Viele meiner Schüler haben im Verlauf der letzten zehn Jahre zum Entstehen dieses Buches beigetragen. Ihnen möchte ich für all ihre Hilfe danken. Das Buch entstand aus den Antworten auf die Fragen der Schüler und Schülerinnen über den Tod und war zunächst ein Versuch, die verschiedenen einzelnen Ratschläge zusammenzufassen.

Der ursprüngliche schmale Band lautete Gateway of Death und erschien innerhalb der Awakened Heart Sangha im Jahre 2004. Ein Jahr darauf deutete Siddhisambhava, eine Schülerin, an, dass Windhorse Publications es vielleicht in einer erweiterten Fassung verlegen würde, da sie das Buch so hilfreich fand. Die Redaktion griff diesen Vorschlag sofort auf und schlug verschiedene Veränderungen vor, um es einem breiteren Publikum zugänglich zu machen. Die ursprüngliche Version war für Personen geschrieben worden, die bereits mit meinem Lehrstil vertraut waren – obwohl letztendlich sogar einige meiner Familienmitglieder das Buch hilfreich fanden, die nichts vom Buddhismus verstehen.

Da ich zunächst dachte, es würde nur wenig Mühe bereiten, den redaktionellen Wünschen von Windhorse Publications nachzukommen, begann ich mit der Arbeit an der Version für den Verlag, obwohl ich mich in Klausur befand. Mein Schüler Jonathan Shaw, ebenfalls gerade in Klausur – er nahm an einem einjährigen Gruppen-Retreat mit mir in der Hermitage of the Awakened Heart teil –, bot mir seine Hilfe bei dem Projekt an. Es ergab sich, dass wir immer mehr am Manuskript zu tun fanden, je genauer wir uns die Sache ansahen. So kam es, dass das Buch im Verlauf der Arbeit mehrere Male in seine Bestandteile zerfiel und neu zusammengesetzt werden musste. Ich hoffe, das Ergebnis ist nun all der Mühe wert. Wir haben auf jeden Fall viel gelernt, während wir uns durch die verschiedenen Aspekte des Materials arbeiteten.

Zu Dank verpflichtet bin ich insbesondere meinen Lehrern, vor allem Khenpo Tsultrim Gyamtso Rinpoche und Lama Rigdzin Shikpo. Besonders verzwickte Punkte diskutierte ich mit meinem Ehemann Lama Rigdzin Shikpo, mit dem ich seit vielen Jahren zusammen daran arbeite, wie man Menschen aus dem Westen Buddhismus in ihrer eigenen Sprache vermitteln kann. Kenpo Tsultrim Gyamtso hat uns dabei beraten und bestärkte uns darin zu versuchen, unser erworbenes Wissen um die Tiefgründigkeit der Lehren auch weiterzuvermitteln und dafür eine Sprache und Begrifflichkeit zu wählen, die anderen Menschen Zugang zu dieser Tiefe eröffnen kann. Ein Teil des Materials ist mehr oder weniger direkt seinen eigenen Belehrungen über den Tod und darüber, wie das Gewahrsein im Leben dem Tod gleicht, entliehen.

Zum Schluss las Ringu Tulku Rinpoche den Text. Er half mir bei einigen schwierigen Punkten, die den eigentlichen Todesprozess betreffen und thematisieren, inwiefern es wichtig ist, was mit dem Körper nach dem Tod geschieht.

So möchte ich nochmals allen danken, die an dieser Version beteiligt waren: Siddhisambhava, Erin Ferguson, Dayden Palmo, Alice Lear, Agnes Pollner und Cindy Cooper von der Awakened Heart Sangha sowie Jnanasiddhi, Shubhra, Shantavira und dem ganzen Team von Windhorse Publication.

Ganz besonders danke ich Jonathan Shaw, dass er einen Teil der wertvollen Zeit in Klausur aufgewendet hat, um mir zu helfen. Ich habe insbesondere seine unendliche Geduld schätzen gelernt, seine erkenntnisreiche Klarheit und seine unermüdliche Gründlichkeit. Obwohl ich ihm das Leben nicht immer leicht gemacht habe, hat er den Text immer und immer wieder durchgearbeitet und Schwierigkeiten und unnötige Komplikationen ausgebügelt.

 

Lama Shenpen Hookham

Hermitage of the Awakened Heart

Mai 2006

Einleitung

Die beste Zeit, sich mit dem Tod zu beschäftigen, darüber zu lesen und zu reflektieren, liegt vor dem Zeitpunkt, zu dem wir mit ihm konfrontiert werden – und zwar möglichst lange vorher. Dennoch tun das nur wenige. Unsere Situation als Mensch zeichnet sich dadurch aus, dass uns das, was uns im Leben in Anspruch nimmt, unbarmherzig antreibt und uns keine Zeit lässt, über den Tod nachzudenken. Auch ist das Nachdenken über den Tod im Allgemeinen nicht unbedingt etwas, was wir gerne tun. Dies ist einer der Gründe, warum wir den Tod dann, wenn er naht, meistens als einen Schock empfinden. Im unpassendsten Moment werden wir plötzlich mit der grundsätzlichen Frage, worum es im Leben geht bzw. ging, konfrontiert. Wir werden dann wahrscheinlich von Angst erfüllt sein und außerstande zu begreifen, was geschieht. Wir werden uns Sorgen machen, ob wir das Richtige tun, wie wir Schmerzen vermeiden und worauf wir hoffen können. Selbst wenn wir schon lange vorher versucht haben, uns auf den Tod vorzubereiten: Es liegt in seiner Natur, uns trotz alledem zu erschüttern, und er kann Emotionen auslösen, von denen wir kaum ahnten, dass sie möglich sind. Dies vor Augen, habe ich dieses Buch geschrieben. Ich hoffe, ich kann dadurch jenen, die im Sterben liegen, und den Menschen ihrer Umgebung raten und ihnen Mut machen, damit ihr Zutrauen zu sich selbst wachsen kann.

Mit diesem Ziel vor Augen habe ich versucht aufzuzeigen, wie aus buddhistischer Sicht den Problemen begegnet werden kann, die auf uns einstürmen, wenn wir mit unserem eigenen Tod oder dem einer uns nahestehenden Person konfrontiert werden. Ich befasse mich mit den Fragen, was wir tun können, um zu helfen; wie wir denken und uns verhalten könnten, um uns selbst und anderen beizustehen.

Obwohl sich der Buddhismus viel mit dem Tod beschäftigt, kann es dennoch sein, dass Buddhisten sich nicht sicher sind, was zu tun ist, wenn sie ihm begegnen. In diesem Buch möchte ich solche Empfehlungen weitergeben, die sich während der letzten Jahre, wenn ich um Rat gefragt wurde, als die wichtigsten und einfachsten erwiesen haben. Ich hoffe, dass Buddhisten durch dieses Buch wirksam daran erinnert werden, dass Gedanken an den Tod schon vor der Begegnung mit ihm zu einem guten Freund auf dem Pfad des Erwachens werden können, und ich möchte ihnen dazu Werkzeuge an die Hand geben.

Dieses Buch richtet sich auch an Nichtbuddhisten, die sich für eine buddhistische Sichtweise des Todes interessieren. Manchmal werde ich von Freunden oder Familienmitgliedern eines sterbenden Buddhisten angesprochen, die die Hintergründe für die Bedürfnisse und Sorgen der Person, die sie lieben, verstehen möchten.

Die Bedeutung des Todes im Buddhismus

Der Tod nimmt im Buddhismus eine zentrale Stellung ein. Es war der Gedanke an den Tod, der den zukünftigen Buddha bewegte, Heim und Familie zu verlassen und einen Weg zu suchen, sich vom Leiden zu befreien, mit anderen Worten: Er suchte einen Ort (oder Zustand) der Sicherheit, der vom Tod nicht erschüttert werden konnte. Man könnte also sagen, dass der Buddhismus vom Tod und dem Weg, der über ihn hinausführt, handelt. Es ist wichtig zu verstehen, dass Buddhisten üblicherweise jeden Aspekt des Buddhismus von diesem Denkansatz aus interpretieren, wie zum Beispiel, wer der Buddha war, welchen Zustand er erreichte und wie man selbst diesen Zustand erreichen kann.

Der Buddha wird nicht einfach als ein Heiliger gesehen, der schon lange tot ist, sondern als ein »Erwachter«, das heißt als jemand, der zu einer tiefen und zeitlosen Wirklichkeit erwachte, während unser gegenwärtiges Verständnis des Lebens im Gegensatz dazu etwa damit vergleichbar ist, einen Traum für Wirklichkeit zu halten. Der Buddha nannte die letztendliche tiefe und zeitlose Wirklichkeit Nirvāṇa, was Frieden bedeutet, das Ende des Leidens, die Befreiung des Herzens. Bezeichnenderweise wird sie auch das »Ungeborene« oder »Todlose« genannt.

Historisch gesehen war der Buddha jemand, dessen Reise zum Erwachen mit der Frage begann, warum wir eigentlich geboren werden, wenn wir doch sowieso wieder sterben müssen. Er entdeckte die verblüffende Wahrheit, dass es sich bei Geburt und Tod letztendlich nur um falsche Wahrnehmung handelt. Diese Erkenntnis wird Erwachen oder Erleuchtung genannt, da es dem Erwachen aus unseren Träumen gleicht, die wir vorher für wahr hielten. Der Buddha entdeckte, dass wir immer wieder aufs Neue geboren werden und sterben, Leben um Leben, solange wir die wahre Natur der Wirklichkeit auf diese Weise missverstehen. Es ist, als wären wir in Traumwelten gefangen und könnten keinen Weg hinausfinden. Dieser Zustand wird Saṃsāra genannt.

So wie man einen zugewachsenen Pfad im Dschungel entdeckt, fand der Buddha einen Weg, der aus der Täuschung des Saṃsāra in das Licht und die Freiheit von Nirvāṇa führt. Dieser Weg wird der Dharma genannt. Er umfasst auch das Zähmen des Herzens und des Geistes, um durch Meditation und Reflexion zu einem tieferen Verständnis von Leben und Tod durchzudringen.

Die Lehren des Buddha geben uns Inspiration oder Hoffnung auf ein Ziel, nach dem wir streben können, und sie zeigen uns, wie wir es erreichen können. Wollen wir dem Dharma bis zu seinem letztendlichen Ziel, Nirvāṇa, folgen, das außerhalb der Reichweite des Todes liegt, bedeutet dies allerdings einen langen und anstrengenden Kampf gegen unsere angesammelten Denk- und Verhaltensgewohnheiten, die uns im Saṃsāra festhalten.

Die gute Nachricht lautet, dass wir sowohl im Leben als auch zur Zeit des Todes sofortige und tiefe Linderung erfahren können, selbst wenn wir den Pfad des Dharma nur ein Stück weit gehen. Diejenigen, die dem Pfad folgen und uns eine lebendige Verbindung zu ihm ermöglichen, werden als Sangha bezeichnet. Dieser lebendigen Verbindung, die der Sangha mit dem Dharma hat, wohnt eine eigenständige Kraft inne, die im Leben wie im Tod all jene, die mit ihr in Kontakt stehen, beschützt, führt und Weisheit auf sie überträgt.

Buddhisten sind sich dessen gewiss, dass sowohl im Leben als auch im Tod Hoffnung und Sinn zu finden sind. Sie beziehen diese Gewissheit daraus, dass es das Ziel des Erwachens zu Nirvāṇa gibt; den Weg des Dharma, durch den das Ziel erreicht werden kann, und den Sangha, der den Weg zeigt. Buddhisten sehen in diesen dreien ihre zuverlässigen und treuen Schutzquellen, auf die sie sich verlassen können, indem sie zu ihnen »Zuflucht nehmen«. Die grundlegendste und am weitesten verbreitete buddhistische Praxis, die Zufluchtnahme, hat somit Freiheit vom Tod als letztendliche Hoffnung.

Über Geburt und Tod hinausgehen

Wer nicht an eine tiefere Wirklichkeit glaubt, die über dieses Leben und den Tod, der es beendet, hinausgeht, denkt verständlicherweise nicht gern über den Tod nach. Wenn Sie aber vermuten, dass es einen Weg gibt, der zu einer tieferen zeitlosen Wirklichkeit führt, die jenseits von Geburt und Tod liegt, dann gibt es nichts Faszinierenderes als das Reflektieren über den Tod. Inspiration und Freude können daraus erwachsen. Es führt die Gedanken vom Anhaften an allem Unwirklichen fort und lenkt sie auf das, was letztendlich wirklich und von bleibendem Wert ist – von bleibendem Wert deswegen, weil die wahre Natur unseres Seins, die der Buddha entdeckte, sich durch echte, unerschöpfliche Freude auszeichnet, durch Sinn und Freiheit, weil sie das Ende des Leidens bedeutet und die unendliche Kraft hat, spontan und mühelos andere von ihrem Leiden zu befreien.

Wir leben in einer sehr weltlichen Gesellschaft. Demzufolge sehen viele Menschen den Buddhismus lediglich als eine Methode, den Geist zu beruhigen und hier und jetzt ein friedvolleres und erfüllteres Leben zu führen. Die Menschen schauen sich nach Therapien und Selbsthilfeprogrammen um und stoßen häufig nur dadurch auf den Buddhismus. Die Versuchung ist daher groß, die Lehre des Buddha als eine Art Therapie darzustellen: als einen Weg, der uns lehrt, Leiden, Leben und Tod so anzunehmen, wie sie sind, ohne zu versuchen, ihnen zu entkommen. Das passt zur herrschenden Sichtweise unserer materialistischen Gesellschaft, in der die Furcht vor dem Tod und die Suche nach einem Weg, ihn zu überwinden, gemeinhin als eine Art Weltflucht interpretiert wird. Aus dieser Perspektive erscheint es sinnlos und sogar krankhaft, ein ganzes Leben lang über den Tod nachzudenken!

Es ist wahr, dass die Lehren des Buddha uns dabei helfen, ein glücklicheres Leben zu führen. Sie helfen uns, den Kampf aufzugeben, der darin besteht, an der Vergangenheit festzuhalten oder gegenwärtige Erfahrungen abzuwehren. Das ist erwiesenermaßen der beste Weg, um Stress und Angst abzubauen und ein gewisses Maß an geistigem Frieden zu finden. Der Nachdruck, den der Buddha auf das direkte Betrachten unserer unmittelbaren Erfahrung legte, könnte daher wie eine hedonistische Lebensformel klingen: Freu dich an dem, was hier und jetzt ist, und mach dir keine Sorgen über die Vergangenheit und die Zukunft.

Aus buddhistischer Sicht ist das jedoch eine kurzsichtige und unkluge Art, die Lehre des Buddha zu interpretieren, denn Sie bereitet uns nicht auf das Leiden und den Tod vor. Wenn das Leben zu Ende geht, werden wir wie der Buddha mit der Frage konfrontiert, was eigentlich der Sinn des Ganzen ist. Es ist wichtig zu verstehen, dass die Fragen des Buddha einer tiefen Liebe zum Leben und für seine Familie und Freunde entsprangen. Er war nicht jemand, der in seinem Leben versagt hatte und davonlaufen wollte. Er sah, dass ohne ein völlig neues Verständnis vom Wesen der Wirklichkeit universelles Leiden unausweichlich ist. Seine Suche bestand darin, dieser Wirklichkeit direkt zu begegnen. Er flüchtete vom Unwahren zum Wahren.

Was ihn bewegte, von zu Hause fortzugehen, um diese Wirklichkeit zu suchen, war der Gedanke, dass alle Menschen, die er liebte, altern und sterben würden. Das schien ihm unerträglich. Als er erkannte, dass alles, was geboren wird, sterben muss, fragte er sich, ob es denn irgendwo etwas von bleibendem Wert geben könnte. War alles nur ein bedeutungsloser Fluss flüchtiger Ereignisse, die nirgendwo anders hinführten als zu Zerfall und Tod? Wenn ja, was war dann der Schmerz in seinem Herzen, der ihm sagte, »nein, Leben ist mehr als das«?

Ist das nicht auch unsere Frage? Die Antwort des Buddha lautete, immer nach innen zu schauen; in die wahre Natur unseres Seins hineinzuschauen.

Natürlich lässt sich das Ganze mit der Antwort abtun, dass der Tod einfach Teil des Lebens ist und man nichts daran ändern kann. Die Erfahrung der buddhistischen Tradition zeigt jedoch, wie sinnvoll es ist, den Fragen, die der Tod aufwirft, nachzugehen.

Wer stirbt?

Wie im Falle des Buddha ist es meistens der Tod derer, die wir lieben, oder unser eigener bevorstehender Tod, der diese Fragen am dringlichsten aufwirft. Der Buddhismus sagt, alles ist vergänglich. Diese Aussage wird oft so interpretiert, dass dem Tod im Buddhismus keine Bedeutung beigemessen wird und wir ihn einfach annehmen sollen. In Wirklichkeit sagt die buddhistische Lehre jedoch das Gegenteil. Alles, woran wir hängen, als sei es wirklich, ist vergänglich und führt in den Tod. Also sollten wir es loslassen, um das zu finden, was von bleibenden Wert ist. Das, was letztendlichen Wert hat, kann zwar in diesem Leben gefunden werden, endet aber nicht mit dem Tod. Diese Feststellung wirft die Frage auf:Was ist es eigentlich, was stirbt, und was macht letzten Endes eine Person aus?

Der Buddhismus lehrt, dass das, was von letztendlichem Wert ist, die unfassbare, geheimnisvolle Essenz unseres Seins ist, die in jedem Augenblick gegenwärtig und uns zugänglich ist. Es ist diese Essenz in uns und in denen, die uns nahestehen, die letztendlich wirklich ist. Die Art, wie manche Menschen reden, zeugt von einem intuitiven Wissen davon, auch wenn sie nicht wissen, wie sie es logisch erklären können. Wenn wir zum Beispiel das tote Gesicht eines Menschen betrachten, der uns nahesteht, fällt es uns schwer zu glauben, dass dieser Leichnam die Person ist, die wir kannten und liebten.

Viele Menschen haben mir auch erzählt, sie würden fühlen, dass eine verstorbene Person, die ihnen nahestand und gestorben ist, noch immer auf eine tiefe und undefinierbare Art bei ihnen sei. Sie sagen vielleicht: »Sie sind immer in meinem Herzen.« Das wird dann manchmal so erklärt: »Na, sie leben in unseren Erinnerungen weiter.« Aber meiner Meinung nach trifft diese Aussage nicht wirklich den Kern. Erinnerungen leben nicht wirklich, und sie sind nur von kurzer Dauer. Ich glaube, damit ist gemeint, dass eine verstorbene Person in unseren Herzen weiterlebt als jemand, der präsent und lebendig ist – also viel mehr als eine einfache Erinnerung.

Natürlich könnte man dieses Gefühl als bloße Einbildung abtun, aber aus buddhistischer Sicht ist es einleuchtend. Es spiegelt eine tiefe und natürliche Ahnung davon wider, was wir sind und wie wir mit anderen verbunden sind. Es ist das, was uns das Gefühl einer erfüllenden, lebendigen Verbindung gibt und wovon der tote Körper vor uns nicht mehr als ein Abklatsch zu sein scheint. Das, was wir meinen, ist nicht dieser tote Körper.

Die Frage lautet also, was sind wir im tiefsten Inneren wirklich? Oder mit anderen Worten: Was macht eine Person zu einer Person? Selbstverständlich ist das schon jetzt wichtig, aber es ist noch wichtiger, wenn wir sterben. Wenn wir es zu Lebzeiten verstehen können, dann besteht die Chance, dass wir es vielleicht auch im Tod verstehen.

Die buddhistische Tradition

Manchmal sagen mir Leute, wie gerne sie glauben würden, dass wir mehr sind als das, was unter einem Mikroskop zu sehen ist. Aber sie betrachten religiöse Glaubensinhalte, die ein Leben nach dem Tod postulieren, mit Vorsicht. Sie begründen ihre Haltung damit, dass der Glaube an ein Leben nach dem Tod zwar tröstlich ist, aber dadurch nicht wahrer wird.

Ich bin beeindruckt davon, wie stark diese Menschen sich der Wahrheit verpflichtet fühlen, auch wenn sie unbequem ist, und denke, dass gerade das sie zu guten Buddhisten machen könnte. Der Buddha forderte uns auf, die Dinge nicht blind zu akzeptieren, sondern sie selbst zu erforschen, indem wir unsere Erfahrung direkt ansehen.

Zunächst wissen wir nicht, was wahr ist, und können daher leicht in die Irre geführt werden. Einiges von dem, was wir für Wissen halten, ist in Wirklichkeit eine Täuschung. Das Wichtigste, was es also zu erforschen gilt, ist, wie wir überhaupt etwas wissen. Der Buddha ist berühmt dafür, entdeckt zu haben, dass es eine tiefere Weise des Wissens in uns gibt als diejenige, die wir normalerweise beim Denken einsetzen. Es ist eine genauere und allumfassendere Art des Wissens, nicht bedingt durch Gedanken. Solange wir diese andere Weise des Wissens nicht gefunden haben, können wir nicht erkennen, was wir über die wahre Natur des Lebens und des Todes wissen können.

Wer hat diese Art des Wissens entdeckt, und wie können wir zu ihr finden? Aus buddhistischer Sicht führt uns diese Frage zu der Vorstellung, dass es eine Gemeinschaft von Übenden, die dem Buddha folgen, gibt, die diese Art des Wissens durch Meditation erlernen und die uns darin unterrichten können. Wir sind eingeladen, es auszuprobieren und selbst herauszufinden, ob es wahr ist. Am Anfang können die Wahrheiten, die wir auf diese Weise in uns entdecken, alles andere als beruhigend sein. Deswegen ist es wichtig, der Wahrheit verpflichtet zu sein – sei sie nun tröstlich oder nicht –, wenn wir letztendliche Befreiung suchen.

Da der Tod jederzeit eintreten kann, kann uns unter Umständen die Zeit fehlen, Genaueres über die tiefen Wahrheiten unseres Wesens oder des Universums zu entdecken. Hält der Buddhismus Methoden für den nahenden Tod bereit, unabhängig davon, ob wir in der Meditation bereits weit fortgeschritten sind und eine tiefe und stabile Verwirklichung der Natur der Wirklichkeit erlangt haben? Die Antwort lautet ja. Die buddhistische Tradition verfügt über eine Fülle von Methoden, um jedem zu helfen, ganz gleich, ob er oder sie dem Buddha vertraut oder nicht und an welcher Stelle auf dem Pfad die Person sich gerade befinden mag. Es gibt Übungen für alle Erkenntnisstufen und viele Denkansätze, um jedem Schutz, Mut und innere Kraft im Angesicht des Todes zu verleihen.

Umfassender betrachtet gilt dieser Pfad, den der Buddha entdeckte, als der sichere Weg zum Beenden des Leidens in diesem Leben wie auch in allen zukünftigen Leben, für uns selbst wie für alle Wesen. Dieser Pfad ist im Wesentlichen ein Übungsweg, um das zu entdecken, was von endgültigem und bleibendem Wert im Innersten unseres Wesens ist. Doch obwohl er ein Übungsweg ist, ist er auch eine lebendige Kraft, zu der wir bereits jetzt in der Tiefe unseres Herzens Zugang haben. Instinktiv und intuitiv wissen wir, wie wir dieser Kraft folgen können. Es muss uns nur jemand darauf hinweisen, und wir können uns ihr vertrauensvoll zuwenden, wenn der Tod kommt. Da es eine lebendige Kraft ist, hat sie die Macht, uns zu beschützen und uns selbst in das Unbekannte hineinzuführen, das jenseits des Todes liegt.

Mit Worten lässt sich das nicht beweisen, aber wohin sonst können wir uns wenden? Am Ende müssen wir einfach in unser eigenes Herz hineinschauen, jenseits der Täuschung oberflächlicher Gedanken, und selbst erkennen, was wirklich wahr ist.

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Wie Meditation uns hilft, den Tod zu verstehen

Meditation ist für viele eine Methode, sich zu entspannen und inneren Frieden und Ruhe zu finden. Vom buddhistischen Standpunkt aus handelt es sich aber nicht nur um eine ausgeklügelte Übung, die der Entwicklung von Ruhe dient, sondern Meditation ist ein Vorgang des genauen Sehens, so dass wir aus unserer grundlegenden Verwirrung heraustreten können. Unser ganzes Leiden, im Leben wie im Tod, geht auf diese grundlegende Verwirrung zurück, die uns davon abhält, unsere wahre Natur zu erkennen. Das Heilmittel besteht darin, uns mit unserer wahren Natur in Einklang zu bringen. Diese entdecken wir im Laufe der Meditation. Haben wir gelernt, sie vollständig und direkt zu erfahren, müssen wir lernen, ihr zu vertrauen und uns auf sie zu verlassen, So können wir mit Zuversicht und Leichtigkeit leben und sterben.

Folglich bilden Buddhismus und Meditation einen Weg, etwas zu entdecken, indem wir unsere direkte Erfahrung anschauen. Manch einer spricht gern von direkter Erfahrung, bei näherem Hinschauen stellt sich diese aber als nichts anderes als eine Art der Täuschung oder als bloßer Glaube an etwas heraus. Einige unterscheiden nicht zwischen ihren religiösen Glaubensvorstellungen und direkter Erfahrung und sehen Erstere dann als Beweis für ihren Glauben an.

Auch ich habe so gedacht, bis ich dem Buddhismus begegnete. Damals war ich nicht auf der Suche nach anderen religiösen Glaubensvorstellungen, denn ich hatte schon meinen christlichen Glauben. Ich war lediglich daran interessiert, verschiedene Aspekte zu vergleichen, und neugierig, wie sich buddhistische Glaubensvorstellungen mit meinen vergleichen ließen. Was mir aber von Anfang an auffiel, war, dass sich die buddhistische Sicht der Wirklichkeit nicht nur auf bloße Glaubensvorstellungen stützt, sondern auf die Wahrheit, die der Buddha selbst entdeckt hatte, indem er die Natur seiner direkten Erfahrung erforschte. Das, was mit »direkter Erfahrung« gemeint war, faszinierte mich. Am Anfang stand da etwas so Unmittelbares, Einfaches und Unwiderlegbares wie: »Der Geist ist unbeständig.« Das war etwas, was ich aus eigener Erfahrung tatsächlich kannte; mein Geist tat nicht immer das, was ich wollte.

Für mich war es bestechend, dass der Buddhismus solcherart mit der Wirklichkeit und der Wahrheit verbunden war, dass er von etwas so Einfachem wie meiner Erfahrung eines unsteten Geistes ausgehen konnte. In dem Moment, in dem ich davon hörte, wusste ich, dass es wahr war. Aber die wirkliche Bedeutung dieser Aussage entdeckte ich erst durch Meditation. Seitdem habe ich herausgefunden, dass jede Veränderung, jedes Flackern und jede Bewegung des Geistes uns etwas mitteilt und eine Möglichkeit in sich birgt, das Herz immer weiter zu öffnen. Die Herzensöffnung kann uns zeigen, was das Unwandelbare unseres Wesens ist: eine zeitlose Wirklichkeit, die nicht geboren wurde und die nie stirbt.

Bevor ich dem Buddhismus und der Meditation begegnete, war ich der Auffassung, dass niemand wirklich die Wahrheit über die letztendliche Natur der Wirklichkeit kannte oder kennen konnte. Doch als ich ihm begegnete, ahnte ich, dass diese Wahrheit vielleicht längst entdeckt worden war. Ich konnte jetzt zu jemandem hingehen und sie oder ihn darum bitten, mir zu zeigen, wie ich diese Wahrheit selbst für mich entdecken konnte. Als Christin war ich mir nie ganz sicher, ob ich eine Sünderin war oder ob es Gott wirklich gab. Es war immer Raum für Zweifel. Aber hier gab es dafür keinen Raum, denn ich konnte ja sehen, dass mein Geist in der Tat unbeständig war! Ich habe die Herausforderung, selbst nachzuforschen, angenommen und habe es nie bereut. Noch heute entdecke ich Neues in meiner Erfahrung. Es gibt noch viel Grundlegenderes als die Unbeständigkeit meines Geistes. Je elementarer die Entdeckung, desto tiefer und weitreichender sind meiner Erfahrung nach ihre Auswirkungen und ihre Bedeutung.

Ich finde das wunderbar. Wir wissen einfach nicht, was wir übersehen, bis wir hinschauen, und wir kommen nicht darauf hinzuschauen, bis jemand uns darauf hinweist, dass es etwas Bedeutungsvolles gibt, das sich anzuschauen lohnt.

Das Versprechen eines Weges, der auf vollkommener Ehrlichkeit beruht und darauf, meine Aufmerksamkeit auf die Genauigkeit meiner eigenen Erfahrung zu richten, hat mich sofort am Buddhismus angezogen und mich seither nicht mehr losgelassen. Es ist dieser Weg, der mich in den Buddha, den Dharma und den Sangha vertrauen lässt. Auf dieses Vertrauen möchte ich bauen, wenn ich sterbe. Ich folge damit den Fußspuren des Buddha und derjenigen, die ihm nachgefolgt sind. Sie lehrten aus Mitgefühl eine Generation von praktizierenden Buddhisten nach der anderen, wie man dem Pfad des Erwachens durch die Praxis der Meditation folgt.

Die grundlegende Natur des Gewahrseins

Meditation ist der Weg, der davon handelt, unsere direkte Erfahrung kontinuierlich und systematisch zu erforschen und darüber nachzudenken. Die Früchte dieses Forschens nehmen wir tief in unser Leben auf. Dadurch entdecken wir nach und nach unsere wahre Natur und bewegen uns auf dem Pfad des Erwachens zu ihr hin. In dem Maße, wie unsere Erkenntnis und unser Gewahrsein sich vertiefen, wächst das Vertrauen, das wir in sie, in die tiefgründige Natur unseres Seins, haben. Was immer wir erfahren, wie beunruhigend und erschreckend es auch sein mag, es wird uns durch dieses Vertauen besser gelingen, uns dem mit Gelassenheit zuzuwenden, statt zu versuchen, ihm zu entfliehen. Darin besteht das innere Vertrauen, das sich in der Furchtlosigkeit angesichts des Lebens wie des Todes ausdrückt.

In diesem Kapitel werde ich ergründen, wie Meditation uns helfen kann, das Wesen von Leben und Tod zu verstehen. Durch die Meditation beginnen wir zu begreifen, wie wir in unserem Leben unablässig Geburt und Tod erfahren. Das geschieht sogar von Moment zu Moment, wenn wir in Gedanken und Träume eintauchen und wieder daraus auftauchen. Der Tod des Körpers ist dann eine dramatischere Variante von dem, was wir eigentlich die ganze Zeit erfahren. Aus buddhistischer Sicht besteht der Hauptunterschied darin, dass wir bei unserem körperlichen Tod nicht wieder in einen anderen Moment dieses Lebens geboren werden. Stattdessen werden wir dieses Leben verlassen und uns in einem ganz anderen Leben wiederfinden.

Alles, was wir im Leben wissen, ist unsere eigene Erfahrung. Wenn wir über Leben und Tod sprechen, dann sprechen wir nur über Erfahrung. Der Tod ist die letzte Erfahrung in diesem Leben, und aus buddhistischer Sicht gibt es keinen Grund anzunehmen, dass Erfahrungen mit dem Tod aufhören. Die grundlegende Natur des Gewahrseins, die Basis all unserer Erfahrung, ändert sich mit dem Tod ebenso wenig, wie sie sich während dieses Lebens von Moment zu Moment, von einem Gedanken zum anderen, von Traum zu Traum verändert. Der einzige Unterschied liegt darin, was im Gewahrsein auftaucht.

In der buddhistischen Tradition erwächst dieses Wissen aus der Meditationspraxis und aus der Betrachtung unserer Erfahrung. Dadurch ist es möglich, die grundlegende Natur des Gewahrseins zu verstehen. Haben wir erkannt, dass Gewahrsein etwas Grundlegendes und Unveränderliches ist, können wir auch verstehen, dass Geburt und Tod lediglich Erscheinungen im Gewahrsein sind, ähnlich Bildern in einem Spiegel. Das eröffnet die Möglichkeit, problemlos vom Leben in den Tod hinüberzugehen. Wir können schon in diesem Leben flüchtige Einblicke in diese Wahrheit erhalten, und sie könnten ausreichen, um uns Vertrauen in den Pfad des Erwachens zu schenken. Dieses Vertrauen wiederum trägt uns dann durchs Leben wie durch den Tod.

Sich in Gedanken verlieren

Was geschieht eigentlich, wenn wir uns entschließen zu meditieren? Bei den Meditationsanweisungen, die wir erhalten, geht es im Wesentlichen darum, wach und bewusst bei unserer Erfahrung zu bleiben, ob es nun der Atem oder ein anderes Objekt ist. Warum? Weil wir naturgemäß abschweifen. Zu lernen, immer wieder zurückzukommen, ist daher eine gute Übung, um die direkte Erfahrung des Geistes zu bemerken. Wir stellen dann unweigerlich fest, wie wir uns in einen Gedanken nach dem anderen verwickeln lassen. Manche Gedanken sind glücklich und handeln von scheinbar nützlichen Dingen, andere sind wahrscheinlich unglücklich, erfüllt von Ärger oder Schmerz. Auf jeden Fall aber tauchen viele Gedanken auf. Wenn wir uns an diesen Prozess gewöhnt haben, können wir beginnen, uns zu entspannen und uns zu fragen, was das alles bedeuten soll. Was sind Gedanken? Was ist das für ein Prozess, der dazu führt, dass wir uns in ihnen verlieren?

Wenn wir in dieser Weise nachforschen, dann steigt eine Ahnung davon in uns auf, was das für die Frage nach Geburt und Tod bedeuten könnte. Wir sehen, dass jeder Gedanke, der auftaucht, einem Tor gleicht, das uns einlädt, in seine Welt zu einzutreten, ähnlich dem Sterben in der einen Welt und der Geburt in einer anderen.

Normalerweise ist mit einem Gedanken, der uns interessiert, ein Gefühl verbunden. Dieses Gefühl packt uns, und wenn wir nicht wach und entschlossen genug sind, gehen wir durch dieses Tor hindurch. Wir finden uns in der Welt wieder, die uns der Gedanke eröffnet hat, eine Welt, in die wir eintreten und die wir aber gleichzeitig selbst erschaffen. Diese Gedankenwelt hat ihre eigene Handlung mit Vergangenheit und Zukunft, ihr eigenes Wertesystem, ihren eigenen Charakter und ihre eigene Stimmung. Sie erzählt uns, wer wir sind, und wir stellen fest, dass wir uns damit identifizieren. Wir haben in ihr Geburt angenommen.

In jedem Augenblick können wir uns entscheiden, diese Welt zu verlassen, für sie zu sterben und zum Atem zurückzukehren, doch das fällt erstaunlich schwer. Es ist ein ziemlicher Kampf, uns wieder aus einer Welt herauszuziehen, nachdem wir in ihr geboren worden sind. Das ist ein bisschen wie sterben. Wenn schon ein Gedanke uns derart festhalten kann, dann ist es nicht verwunderlich, dass uns das Leben so fest im Griff hat. Natürlich ist das Sterben aus den Gedankenwelten während der Meditation keine perfekte Analogie für den Tod. Der Tod des Körpers ist offensichtlich weitaus traumatischer, als von einem Gedanken zum nächsten zu wandern. Es binden uns wesentlich mehr Bedingungen an dieses Leben als an einen Gedanken.

Hat uns eine Gedankenwelt erst einmal richtig gepackt (wie ein Tagtraum), dann vertiefen wir uns so sehr in sie, dass sie ganz zu unserer Welt wird, solange wir uns in ihr befinden. Dann, auf einmal, gelangt unsere Absicht zu meditieren irgendwie wieder in den Vordergrund. Wir merken, dass wir nicht meditieren, dass wir nicht aufmerksam und bewusst sind und dass wir etwas unternehmen müssen, um uns zurückzuholen. Es ist gar nicht leicht zu sagen, was wir in diesem Moment genau tun – vielleicht könnten wir es loslassen nennen. Es ist, als würden wir es geschehen lassen, dass wir für diese Gedankenwelt sterben. Wenn wir das tun, können wir uns entscheiden, Gedanken als Gedanken wahrzunehmen und uns nicht wieder von ihnen einfangen zu lassen, wie viele Gedankenwelten auch auftauchen mögen. Genauso können wir diese Welt im Tod loslassen und auch nicht nach einer nächsten auftauchenden Welt greifen, wenn wir erkennen, dass diese Welt nur etwas ist, was im Gewahrsein erscheint.

So betrachtet, sterben wir gewissermaßen jeden Augenblick. Wir müssen aus der Welt, in der wir waren, heraussterben und in der Welt unserer Meditation geboren werden. Vergangenheit und Zukunft ändern sich plötzlich, und wir denken: »Ah, ich war irgendwo anders in Gedanken, statt zu meditieren.« Aber eigentlich waren wir nirgendwo anders. Unser grundlegendes Gewahrsein ist niemals irgendwo hingegangen.

Dementsprechend geht nach buddhistischer Ansicht unser grundlegendes Gewahrsein ebenfalls nirgendwohin, wenn wir sterben und in einer anderen Welt geboren werden. Es ist von seiner Natur her nichts, das von einem Ort zum anderen geht. Es ist wie ein Spiegel, unbewegt von den Bildern, die in ihm erscheinen.

Das Kommen und Gehen des Gewahrseins