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Es geht auf dem buddhistischen Weisheitsweg darum, dass wir auf etwas neu schauen, was eigentlich ganz offen da liegt. Und dann lernen, dem zu vertrauen. Es ist so, als ob man einem Fisch das Wasser erklären möchte. Wie macht man das? Der Fisch kennt ja nur Wasser. Er kennt das Wasser so gut, dass er es nicht von der Essenz der eigenen Erfahrung unterscheiden kann. Der Fisch ist vielleicht nie wirklich zufrieden, er will immer etwas anderes, als das, was er hat, oder es handelt sich um einen Fisch, der alles daran setzt, an einem ganz bestimmten Ort im Fluss zu bleiben und nirgendwo anders. So ein Fisch kann nicht vertrauen, dass das Wasser da ist und ihn trägt, wo auch immer er ist. Er hat vielleicht vom Wasser gehört und sehnt sich danach, aber der Fisch kann nicht verstehen, dass er schon im Wasser lebt und sich nur zu entspannen braucht. Zu vertrauen bedeutet, das Wasser tun zu lassen, was Wasser natürlicherweise tut. Die englische Lehrerin Shenpen Hookham hat sich in über 50 Jahren buddhistischer Praxis und Lehre zur Aufgabe gemacht, die tiefgründigen buddhistischen Lehren westlichen Menschen nahe zu bringen. Sie tut das auf eine Weise, die spüren lässt, wie lebendig und relevant sie für unser Leben jetzt und hier sind.
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Seitenzahl: 94
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Vorwort von Sylvia Wetzel
Vorwort von Agnes Pollner
1 Beziehungen: Ich und Andere und das Mandala-Prinzip
2 Fischen das Wasser erklären – Ein Interview mit Lama Shenpen
3 Spirituelle Autorität. Eine buddhistische Perspektive
Anhang
Zum Wohle der Leserinnen wird in dieser Fassung häufig die grammatikalisch weibliche Form bzw. das große »I« in Pluralform verwendet.
Hinweise und Anmerkungen von Sylvia Wetzel sind in eckige Klammern gesetzt.
Mögen alle Fehler in diesem Buch keine Eindrücke im Geist der geschätzten Leserinnen und Leser hinterlassen.
Im Oktober 1993 begegnete ich Lama Shenpen zum ersten Mal im Sharpham Institut for Buddhist Studies im englischen Devon. Stephen Batchelor hatte eine Handvoll westlicher buddhistischer Lehrerinnen und Lehrer zu einer kleinen Tagung über Dharma im Westen eingeladen, an dem auch der kürzlich verstorbene Zen-Lehrer John Crook und Ajahn Sumedho teilnahmen. Ich mochte Shenpens feinsinnige und kluge Art auf Anhieb. Meine Hinweise auf patriarchale Strukturen im Buddhismus – ich war wie so oft in den 1990er Jahren als feministische Lehrerin eingeladen – fanden bei Shenpen allerdings kaum Resonanz. Das fand ich schade. Drei Jahre später sahen wir uns wieder auf der ersten europäischen Konferenz buddhistischer Lehrender auf Schloß Wachendorf, damals noch Sitz des Kamalashila Instituts. Zu diesem Treffen hatte die EBU eingeladen (European Buddhist Union), der Dachverband der buddhistischen Vereine und Gemeinschaften in Europa. Und zwar auf Vorschlag der DBU, des deutschen Dachverbandes, denn wir hatten 1994 und 1996 bereits zwei Treffen der deutschsprachigen Lehrenden – aus Deutschland, Österreich und der Schweiz – durchgeführt und fanden das äußerst wertvoll. Inspiriert dazu hatte uns die Erste Konferenz Westlicher Buddhistischer Lehrender in Dharmasala 1993.
Ein paar Wochen vor der Europäischen Tagung 1996 wurde mir die Teilnehmerliste zugeschickt, und darauf standen zwei Namen von Frauen (mein Name und der einer italienischen Pali-Gelehrten) und knapp dreißig von buddhistischen Lehrern. Ich rief sofort Shenpen an und bat sie, teilzunehmen, damit wir wenigstens zu dritt die Perspektive der Frauen vertreten könnten. Sie kam, und wir genossen den Austausch. Zur selben Zeit empfahl mir auch Lama Yeshe Udo Regel seine wunderbare Lehrerin Shenpen, die er immer wieder zu Kursen ins Kamalashila-Institut einlud. Als Lama Shenpen dann Ende der 1990er Jahre ein Wochenende in Berlin zum Mandala-Prinzip hielt, bot ich ihr an, ihren Kurs zu übersetzen und ihr zu helfen, Vorträge und Kurse in Deutschland zu halten. Aber es war wohl noch nicht die rechte Zeit dafür.
Ich freute mich daher sehr, als Lama Shenpen zustimmte, im Herbst 2009 in Berlin eine Seminar für die Tara-Libre-Sangha durchzuführen, und zwar zum Thema Zuflucht und Buddha-Natur, auf der Grundlage der wunderbaren Zufluchtsverse aus dem Ratnagotravibhaga. 2010 folgte dann das zweite Seminar zum Thema Beziehung zwischen Lehrerin und Schülerin, auf der Basis des Canki-Sutta, und 2011 das dritte Seminar zum Thema Formlose Meditation und zum Mandala-Prinzip.
Ich freue mich sehr, dass Agnes Pollner es durch ihre sorgfältige Übersetzung von drei Vorträgen möglich gemacht hat, dass wir Lama Shenpens Lehren auch auf Deutsch genießen können.
Mögen alle armen Seelen, die ihr wahres Wesen noch nicht kennen, es entdecken und aus der Fülle des Seins leben und zum Wohle aller Wesen wirken.
Jütchendorf, Allerseelen und Tara-Tag im November 2011, Sylvia Wetzel
»Heutzutage bist du entweder eine Wissenschaftlerin, die von einer Sprache in die andere übersetzt, oder eine Übende, die bei einer Lehrerin in Ausbildung ist.« schreibt Trungpa Rinpoche im Vorwort zur Lebensgeschichte von Marpa, seines Zeichens Übersetzer und Gründervater der Kagyu-Schule des tibetischen Buddhismus. Marpa wanderte im 11. Jahrhundert drei Mal von Tibet nach Indien, um dort die buddhistischen Lehren zu studieren, das Knowhow und die dazugehörigen Texte zurück in seine Heimat zu bringen. Trungpa Rinpoche. fährt fort: »Im Westen vertreten viele Wissenschaftler die Ansicht, dass man nur entweder das eine sein kann oder das andere, beides zusammen geht nicht. Bist du eine Übende, dann verlierst du den ›objektiven‹ Standpunkt, bist du eine Wissenschaftlerin, dann verlierst du den Zauber des Herzens. Das Leben von Marpa aber ist eine einzigartige Geschichte darüber, wie Übersetzen und Übung zusammenkommen. Die Tibeter haben immer beides getan, übersetzt und praktiziert. In ihrer Kultur geht man davon aus, dass es gar nicht möglich ist, richtig zu übersetzen, wenn man nicht auch übt.«
Lama Shenpen führt diese Tradition fort, sie ist, wie Marpa, Praktizierende und Übersetzerin zugleich. Als sie als junge Frau die tibetischen Lamas im indischen Exil aufsuchte, konnte niemand mehr als ein paar Worte Englisch. Es gab keine andere Möglichkeit, sich zu verständigen und mehr über Buddhismus zu erfahren, als selbst Tibetisch zu lernen. Einer der ersten Texte, die der 16. Karmapa Lama Shenpen zu dieser Zeit als Übersetzungsprojekt auftrug, war das große Wunschgebet des Samantabhadra. Seither hat sie viele Texte und Vorträge tibetischer Lamas übersetzt.
Doch für eine neugierige Übende und sprachgewandte Forscherin wie Lama Shenpen kann sich das Übersetzen nicht darauf beschränken, die beste Wiedergabemöglichkeit eines traditionellen Textes zu finden. Zurückgekehrt in den Westen lag es Lama Shenpen besonders am Herzen, die überlieferten Belehrungen, die in die tibetische Kultur eingebettet sind, Menschen der westlichen Welt leichter zugänglich zu machen. Ein Ausdruck davon ist ihre Doktorarbeit, mit dem Titel The Buddha Within (Der Buddha in uns). Hier erläutert sie den bis dahin im Westen wenig bekannten ›positiven‹ Strang der buddhistischen Lehren. Der erste Beitrag in diesem Buch – »Beziehungen: Ich und Andere und das Mandala-Prinzip« – handelt unter anderem davon.
Als sie Rigdzin Shikpo (Michael Hookham), ihren späteren Mann kennen lernte, begegneten sich auch zwei fähige westliche Praktizierende mit einem gemeinsamen Interesse. Beide suchten Wege, das Dharma so zu vermitteln, dass es westliche Menschen intellektuell und emotional in ihrer Kultur erreicht. Aus dieser Suche entstand die erste Version der Kursbücher Discovering the Heart of Buddhism und Trusting the Heart of Buddhism, die Lama Shenpen später für die Awakened Heart Sangha weiter entwickelte.
Ich habe Lama Shenpen 1998 bei einem Vortrag über das Mandala-Prinzip in Köln zum ersten Mal gesehen. Wie eine wundersame Sternschnuppe fiel sie mir vor die Füße. Nach Deutschland war sie schon vorher einige Jahre lang zusammen mit Rigdzin Shikpo gekommen, um für den kleinen, aber feinen, deutschen Ableger der gemeinsamen englischen Longchen Foundation Kurse zu geben. Damals kannten hier nur sehr wenige Leute Lama Shenpen. Zu ihrem Vortrag in Köln hatte sich nur eine Handvoll Interessierter verirrt. Mich hat das, was sie sagte und wie sie es sagte, tief berührt. Ich habe gestaunt. So wie sie über das Dharma redete, hatte ich es bis dahin noch nie gehört.
2003 bezog Lama Shenpen ›The Hermitage‹, ihr Haus und Seminarzentrum in Nordwales und hielt im Herbst desselben Jahres dort einen Monatskurs. Endlich bot sich die Gelegenheit für mich, dem Geheimnis dieser Art des Lehrens weiter auf die Spur kommen. Seit dieser Zeit sind ihre Lehren, sie selbst und die Gemeinschaft ihrer Schülerschar, die Awakened Heart Sangha, ein zweites buddhistisches Zuhause geworden, neben meiner Verbindung zu Sylvia Wetzel und dem TaraLibre Netzwerk.
Was ich an Lama Shenpen so schätze und bewundere, ist die Fähigkeit, traditionelle Belehrungen geduldig immer wieder zu befragen und abzuklopfen, ihre Neugier und Freude an kniffligen Fragen, bei denen das Nachdenken und Erforschen viel wichtiger ist, als die Lösung, ihre bedingungslose Hingabe an die Praxis der formlosen Meditation und das Ergründen der Natur des Geistes. In ihrem Beitrag über »Spirituelle Autorität. Eine buddhistische Perspektive« – dem dritten in diesem Buch – kann man ihrem Wissen über die buddhistische Tradition und ihrer Lust am Hinterfragen und Aufspüren von tieferen Zusammenhängen folgen.
2007 erschien ihr Buch There is more to death than dying (dt. Beim Sterben geht es um mehr als den Tod, Theseus Verlag). Wisdom Books, die ihr Buch u. a. vertrieben, führten daraufhin ein Interview mit ihr, das sie auf ihrer Website veröffentlichten. Eine der ersten Fragen an Lama Shenpen ist, was denn der besondere Ansatz ihrer Lehren, des Mahamudra, sei. Ihre Antwort: »Fischen das Wasser erklären«. Dieses Interview ist der zweite Beitrag in diesem Buch.
Lama Shenpen ist »very british«, wie ich finde, und das betrifft auch den sehr spezifischen Sinn für Humor, der auf dieser Insel gepflegt wird. Eine weitere, für mich sehr britische, Besonderheit sind die »Pilgrimages« zu den uralten walisischen Kultplätzen, oft Programmpunkt am Ende eines Kurses mit Lama Shenpen in der Hermitage. Sie sind beliebt und auch berüchtigt, denn sie finden bei jedem Wetter statt und in Wales ist es ein außergewöhnlicher Glücksfall, wenn es nur jeden zweiten Tag regnet. Das Girl-Scout-Training ist in der reifen Lehrerin noch sehr lebendig und anscheinend durchaus hilfreich für eine buddhistische Lebensweise in der weiten Wildnis Wales und auch sonst.
Nach einem Kurs mit ihr in Berlin, fuhren Shenpen und ich gemeinsam zum Flughafen Tegel. Mein Flugzeug nach München ging eine Stunde früher als ihres, und ich war wohl etwas zu offensichtlich besorgt, ob sie sich auch ohne mich in der Fremde zurechtfinden würde. Als ich sie zum Abschied umarmte, strahlte sie mich an und sagte: »Weißt du, ich kann auch bei strömendem Regen ein Feuer anmachen.« Und das stimmt, auch im übertragenen Sinn. Auch im strömenden Regen meiner Verwirrung gelingt es ihr immer wieder ein leuchtendes Feuer der Klarheit zu entzünden.
Köln, Ende August 2011 Agnes Pollner
Diesen Vortrag hielt Lama Shenpen bei der Konferenz »Frauen und Buddhismus«, die im April 2000 in Köln stattfand.
Ein Film über den Kongress kann u. a. hier erworben werden: http://www.frauen-und-buddhismus.de/
Das Shrimaladevi-Sutra überliefert uns die große Lehrrede, die die Königin Shrimala in der Gegenwart des Buddha hält. Als sie geendet hat, so berichtet das Sutra, bezeugt der Buddha ihre Worte als tiefgründig und wahr und preist Shrimala für ihre Ausführungen. Der Text vermerkt, dass der Buddha Shrimalas Lehren anschließend seinen Mönchen weitergibt.
Für mich ist die Königin Shrimala das perfekte Vorbild. Nirgendwo im Sutra drückt sich Erstaunen darüber aus, dass sie als Frau fähig ist, solch tiefe Wahrheiten zu verstehen. Ihr Frausein wird überhaupt nicht zur Sprache gebracht, nicht einmal ihre Schönheit wird erwähnt, was zu den üblicherweise aufgezählten Standardeigenschaften berühmter Frauen in buddhistischen Legenden gehört. Das Shrimaladevi-Sutra rückt ihre Intelligenz ins Rampenlicht. Am Anfang unterhalten sich Shrimalas Eltern über die außerordentliche Intelligenz ihrer Tochter. Sie glauben, dass ihre Tochter die Lehren des Buddha vollständig verstehen könnte und wollen sie darauf aufmerksam machen, dass es den Buddha in der Welt gibt.
Das Sutra wurde im dritten Jahrhundert nach Christus verfasst. Zu dieser Zeit förderten Frauen in der Andhra Region Indiens, wo das Sutra entstand, den Buddhismus maßgeblich. Heutzutage ist es immer noch mehr oder weniger unbekannt, dass die Lehren, die Shrimala im gleichnamigen Sutra verkündet, zum größten Teil mit den Hauptpunkten eines anderen richtungweisenden buddhistischen Textes, des Ratnagotravibhaga1, identisch sind. Dieser Text diente den Lehren des Mahamudra und Dzogchen in Tibet als Sutra-Quelle und damit als Zeugnis ihrer Verwurzelung in den Lehren des Buddha Shakyamuni. Ich finde es wichtig, darauf hin zu weisen und es auch in weiteren Kreisen bekannt zu machen, dass diese Sichtweise von einer Frau formuliert wurde, besonders wenn man bedenkt, wie männlich dominiert die Aufzeichnungen der Übertragungslinien auch in der tibetischen Tradition sind.