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»Sie alle sind ungeduldig, die goldenen Töne Mozarts aus dem Orchester aufsteigen zu hören, ungeduldig, daß dieser Vorhang sich öffne […] – und ich bin ungeduldig mit Ihnen.« Thomas Mann trug diese »ideelle[n] Ouvertüre« am 1. März 1922 anlässlich einer Festaufführung der ›Zauberflöte‹ in der Frankfurter Oper vor. Die Veranstaltung war Teil der Goethe-Woche, entsprechend hatte Mann bereits am Vorabend, in Anwesenheit des Reichspräsidenten Friedrich Ebert, seine Rede über ›Goethe und Tolstoi‹ gehalten, auf deren umfangreichen Notizen auch dieser Vortrag basiert. Folglich geht Mann hier weniger auf Mozart, sondern vor allem auf Goethe sowie Jean-Jacques Rousseau ein. Der Text wurde am darauffolgenden Tag in der Frankfurter Zeitung abgedruckt und in mehrere Werkausgaben aufgenommen.
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Seitenzahl: 17
Thomas Mann
[Bekenntnis und Erziehung]
Essay/s
Fischer e-books
In der Textfassung derGroßen kommentierten Frankfurter Ausgabe(GKFA)Mit Daten zu Leben und Werk
Meine Damen und Herren,
lassen Sie mich mit der Versicherung beginnen, daß ich in dem klaren Bewußtsein vor Sie trete, Sie nicht lange aufhalten zu dürfen. Sie alle sind ungeduldig, die goldenen Töne Mozarts aus dem Orchester aufsteigen zu hören, ungeduldig, daß dieser Vorhang sich öffne und die bunten, kindlichen und tiefsinnigen Gesichte des Werkes enthülle, dessen Aufführung uns für diesen festlichen Abend versprochen ist, – und ich bin ungeduldig mit Ihnen. Die ideelle Ouvertüre, die der musikalischen vorauszuschicken mein Auftrag ist, soll kurz sein, und sie kann es sein; denn ihr Zweck: Beziehungen herzustellen, oder vielmehr Beziehungen aufzuzeigen zwischen der Welt der »Zauberflöte« und dem Genius, dem zu Ehren wir auch heute, ohne daß er selbst zu Wort käme, versammelt sind, – dieser Zweck also ist leicht und bald erfüllt.
Man hat an diese Stelle, hat zu Vorredungen dieser Festabende nicht Gelehrte, Professoren, historische Menschen berufen, sondern Autoren im engeren Sinn des Wortes, Dichter, Schriftsteller; und so müssen Sie sich’s gefallen lassen, wenn die Vorreden nicht so sehr einen sachlich belehrenden als einen persönlichen und bekenntnishaften Charakter tragen. Zuletzt folgen wir in dieser Neigung nur dem Meister, Goethe selbst, der ja ein großer Bekenner war vom Anfang bis zum gesegneten Ende, ein Bekenner und ein Erzieher, – ja, dies beides! ein leidenschaftlicher Autobiograph und ein leidenschaftlicher Pädagog, und nicht zufällig beides zugleich, – und indem ich dies ausspreche: daß er beides war und daß er nicht zufällig beides auf einmal war, habe ich mein Thema angeschlagen, ein geliebtes, ein mir seit Jahr und Tag am Herzen liegendes The{483}ma: die Idee der organischen Zusammengehörigkeit von Bekenntnis und Erziehung.
Öffnet sich nicht bei diesen beiden Worten die Welt, in die zu blicken wir heute abend versammelt sind – die Welt der Humanität