Bella und Joy. Zwei wie Pech und Schwefel - Sibylle Rieckhoff - E-Book

Bella und Joy. Zwei wie Pech und Schwefel E-Book

Sibylle Rieckhoff

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Beschreibung

Die Zwillinge Bella und Joy könnten unterschiedlicher nicht sein, doch gerade deshalb sind sie ein unschlagbares Team: gegen Zicken in der Schule, im Chaos zu Hause oder wenn es darum geht, das seltsame Verhalten der Jungen zu entschlüsseln.

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Als Ravensburger E-Book erschienen 2015Die Print-Ausgabe erscheint in der Ravensburger Verlag GmbHOriginalausgabe© 2015 Ravensburger Verlag GmbHLektorat: Emily HugginsUmschlag- und Innenillustrationen: Sabine GutschAlle Rechte dieses E-Books vorbehalten durch Ravensburger Verlag GmbH, Postfach 2460, D-88194 Ravensburg.ISBN 978-3-473-47595-7www.ravensburger.de

-Vorweg-

Joy:  Darf ich vorstellen?

Meine Schwester Bella. Genauso alt wie ich, fast dreizehn …

Stimmt nicht! Ich bin eine halbe Stunde jünger.

… ruhig, bescheiden – ein richtiger Gutmensch. Im Gegensatz zu mir! Ohne mich wäre sie aufgeschmissen, echt, weil sie viel zu lieb ist für diese Welt und …

Ist gut, Joy, hör auf.

Ihr einziger Fehler: Sie unterbricht mich dauernd. Dabei wollte ich noch sagen, dass Bella unglaublich schöne Gedichte schreibt. Die wird mal berühmt, jede Wette!

Bella:  Joy auch, aber anders. Sie spielt sensationell Gitarre und genau das wollte ich gerade erzählen …

Dann hör auf zu labern und fang an.

-1.-

Bella:  Ich hab gewonnen! Gewonnen, GEWONNEN, GEWONNEN! Ich bin ja so glücklich! Eigentlich hab ich nicht wirklich daran geglaubt, aber irgendwie auch doch, denn mein Gedicht ist gut, das weiß ich, nur hat an dem Wettbewerb die ganze Schule teilgenommen, das sind 800 Schüler – und jetzt bin ich von allen die Beste! Als der Moser in die Klasse kam, hab ich schon was geahnt. Man sieht ihm immer gleich an, wie er drauf ist, und heute war seine Laune bombig.

„Der Gewinner des Schreibwettbewerbs steht fest“, verkündete er. „Oder ist es vielleicht eine Gewinnerin?“

Bedeutungsvoll ließ er seinen Blick über die Klasse schweifen. Wir waren alle total gespannt.

Joy:  Die meisten waren doch nur scharf auf den Preis! Die Klasse des Siegers kriegt nämlich Freikarten für den Fun-Park, inklusive Achterbahn und Pommes. Dafür lohnt es sich schon mal, den Stift in die Hand zu nehmen, haben alle gedacht, und deshalb sind 800 mehr oder weniger bedeutsame Werke dabei rausgekommen.

Bella:  „Es ist jemand aus unserer Klasse“, fuhr der Moser fort. „Ich bin sehr stolz auf euch. Ihr habt kreative Höchstleistungen erbracht, in jeder Beziehung. Der kürzeste Beitrag stammt nämlich auch von hier. Gerade mal ein Satz: Vor fünfzig Jahren wurde mein Opa geboren. Punkt. Fertig.“

Wir lachten alle. Marcel, der mit Abstand faulste Typ der Schule, stand auf, verbeugte sich, schüttelte die Hände überm Kopf, als hätte er grad den New-York-Marathon gewonnen, und säuselte: „Autogrammwünsche bitte später.“

„Der längste Beitrag stammt ebenfalls aus unserer Klasse“, erklärte der Moser weiter. „Er hat den Umfang von Schillers ‚Glocke‘ und ich werde ihn später vorlesen, wenn wir eine Doppelstunde haben.“ Allgemeines Stöhnen. Dann machte er eine kunstvolle Pause. „And the winner is …“

Nun sag schon – los, sag’s!

„Annabell.“

Bin ich das? Das bin ich! Alle drehen sich zu mir um und klatschen und johlen und plötzlich reißt Joy mich vom Stuhl, um mich zu umarmen, und wir liegen beide am Boden, zappeln wie Käfer und schnappen nach Luft.

„Wow – Bella, einfach genial! … Aber hey, wieso freust du dich denn nicht?“

Ich freue mich ja, ich bin superoberglücklich. Aber jeder hat seine eigene Art, glücklich zu sein, hat mal ein kluger Mann gesagt, und ich freue mich eben am liebsten ganz still für mich.

Joy:  Wenn Bella nicht meine Schwester wäre, würde ich sagen: Die hat ’nen Knall. Hockt den ganzen Vormittag auf dem Schulklo und lässt sich nicht blicken. Ich dachte schon, da ist was passiert! Von wegen. Gar nichts ist passiert. Sie musste nachdenken. Worüber? Bella hat ein geniales Gedicht geschrieben. Den ersten Preis dafür abgeräumt. Und der Hammer ist: Beim Schulfest soll sie es vor versammelter Mannschaft vortragen. Was für ein Auftritt! Sogar ein Fernsehteam von SAT 1 wird da sein, um alles zu filmen! Ich werd grün vor Neid. Und was macht Bella? Freut sich darüber allein auf dem Klo. Das ist doch gestört!

Die Wahrheit ist ganz einfach: Sie will nichts abgeben von ihrem Glück. Teilen war noch nie Bellas Ding. Das fing schon bei den Schnullern an und setzt sich gnadenlos bis heute fort. Mensch, Bella, wir sind Zwillinge! Wir erleben alles zusammen. Und das Glück wird größer, wenn man es halbiert … oder wie war das?

Glück ist das Einzige, das sich verdoppelt, wenn man es teilt, hat Albert Schweitzer gesagt.

Kluger Mann! Ich kenn den zwar nicht, aber er hat Recht. Und dass du bald vor so vielen Leuten auf der Bühne stehen darfst, das ist nicht nur Glück, das ist riesig! Du wirst BERÜHMT! Ich finde, das sollten wir feiern. Na komm, du Spaßbremse, sei kein Lahmarsch!

Bella:  Wenn Joy nicht meine Schwester wäre, würde ich sagen: Die hat ’nen Knall. Sie denkt die ganze Zeit immer nur an sich.

„Wenn ICH auf der Bühne stehen darf, bin ich ja soo happy! Und das posaune ICH auch überall rum und alle müssen sich mit MIR freuen.“

Irgendwann schreibe ich ein Buch: „Die Kunst, anderen zuzuhören und sie wirklich zu verstehen.“ Das wird ein Bestseller, garantiert, und ich bekomme dafür den Nobelpreis und vorne steht als Widmung drin: Für meine liebe Schwester Joy, die immer sehr bemüht war, aber leider nie was verstanden hat.

Joy ist total anders als ich. Von außen sieht das zwar keiner, aber das war von Anfang an so. Wenn Joy etwas haben wollte, hat sie gebrüllt wie ein Löwe. Vor lauter Angst, dass die Nachbarn den Kinderschutzbund alarmieren, haben Matti und Dad ihr jeden Wunsch erfüllt. Ich hab still abgewartet. Denn ich hab genau gewusst, dass ich dasselbe kriege, schließlich waren Matti und Dad immer gerecht. Aber laute Auftritte habe ich seit jeher gehasst.

Dann lies das Gedicht eben leise vor.

Ist doch egal, ob laut oder leise. Ich mag einfach nicht vor vielen Leuten den Hampelmann machen. Mir wird jetzt schon schlecht, wenn ich nur daran denke!

Bella, ich weiß, was mit dir los ist: Du hast Lampenfieber, schlicht und ergreifend.

Lampenfieber – das klingt ja schrecklich! Wie eine ansteckende tropische Krankheit, wie ein bösartiger Virus, der durch nichts zu bekämpfen ist und unweigerlich zum Tod führt …

Joy:  Red nicht so ein Blech. Ich hab das mal gegoogelt, guck: Lampenfieber ist die Anspannung und Angst vor einem Auftritt. Symptome sind Herzklopfen, Erröten und Zittern. Manchen Leuten versagt plötzlich die Stimme, andere vergessen ihren Text. Das ist keine Krankheit und auch keine Macke, sondern ein „vorübergehender Gemütszustand“ bei klugen und sensiblen Menschen. Na bitte, klingt doch schon viel besser!

Und ich könnte dir helfen. Ich weiß auch schon, wie.

Ich brauche deine Hilfe nicht, danke.

Und ob du die brauchst! Dringend. Übrigens, schau mal, was hier noch steht: „Die Symptome von Lampenfieber ähneln denen der Verliebtheit.“ He, he …

Aber im Ernst, es gibt nur eine Möglichkeit: Ein knallhartes Anti-Lampenfieber-Training für mein Schwesterherz. Ein sogenanntes A-L-Coaching. Das Schulfest ist in drei Wochen, bis dahin bist du fit. Versprochen!

Bella:  Das ist kein Versprechen, das ist eine Drohung. Glaubt Joy wirklich, dass sie mir damit einen Gefallen tut? Aber ich tröste mich damit, dass drei Wochen eine lange Zeit sind und bis dahin kann viel passieren. Eine Sintflut zum Beispiel oder ich falle ins Koma. Dann muss der Moser das Gedicht eben selber aufsagen und kann sich im Glanz seiner begabten Schüler sonnen. Das dumme Gedicht ist wirklich nicht so wichtig. Matti sieht das jedenfalls so und wahrscheinlich hat sie Recht.

Quatsch – hat sie nicht! Und das weißt du ganz genau.

Joy:  Mattis Reaktion war so was von daneben! Ich gehe jetzt noch an die Decke, wenn ich nur daran denke. Die kam wie immer völlig platt von der Arbeit nach Hause und brauchte erst mal ihre Ruhe. Ihre Ruhe! Dass ich nicht lache. Wenn man wirklich seine Ruhe braucht, quasselt man nicht eine Dreiviertelstunde lang am Telefon, oder?

„Stör mich nicht, ich rede mit Brigitte!“, zischelte sie mir zu, als ich es wagte, ins Wohnzimmer zu kommen. „Ist nicht wahr!“, rief Matti ins Handy. „Hat der das wirklich gesagt? Und du? Was hast du gemacht?“

Ich hab genau gemerkt, dass Matti lieber in Ruhe gequatscht hätte, aber das war mir egal. Gespräche mit Brigitte dauern Stunden, wenn man nicht rigoros eingreift. Also habe ich mich Matti gegenüber in den Sessel geflätzt und ihr meine Füße auf die Knie gelegt. Schließlich wollte ich ja mit ihr reden.

Den ganzen Vormittag kümmert sie sich um ihre kleinen Kita-Scheißer und nachmittags ist der Problemspeicher plötzlich voll. Nicht mit mir! Wir sind ihre Kinder, wir haben ein Recht darauf, dass sie uns zuhört. Wann immer wir wollen. „Zufrieden?“, hat sie gefragt, als sie endlich das Handy weglegte. Dann ist sie in die Küche gegangen, ich gnadenlos hinterher.

„Wir haben heute das Ergebnis vom Schreibwettbewerb erfahren“, sagte ich.

Matti (räumte Geschirr in die Maschine): „Aha. Welcher Schreibwettbewerb?“

„Na, der zum Thema: Die Schule wird 50.“

Matti (setzte Teewasser auf): „Erst fünfzig? Die sieht älter aus.“

„Nein. Das haben wir doch neulich schon erzählt. Aber rate mal, wer den Wettbewerb gewonnen hat?“

Matti (fegte Krümel zusammen): „Herr Moser?“

„Falsch. Lehrer haben nicht mitgemacht. Aber ungefähr 800 Schüler. Und eine von deinen Töchtern hat tatsächlich gewonnen.“

Matti (guckte mich verständnislos an): „Du? Echt?“

„Nein, die andere.“

„Bella?“

„Treffer.“

Da nahm Matti Bella in den Arm. Sie drückte ihr einen Kuss auf die Stirn und rief: „Das freut mich aber! Herzlichen Glückwunsch, mein Engel. Und wer von euch beiden ist jetzt so lieb und kauft fürs Abendessen ein?“

Das glaubt man doch echt nicht, oder?

Bella:  Ich weiß nicht, warum ich so schnell weine, aber es ist eben so und dafür muss man sich auch gar nicht schämen, sagt sogar Joy. Joy heult fast nie. Bei mir fließen die Tränen oft, entweder weil ich traurig oder weil ich glücklich bin. Im Moment bin ich beides. Ich freu mich, dass ich gewonnen habe, und ich bin enttäuscht, weil Matti nicht mal fünf Minuten Zeit dafür hat und ihr der Käse fürs Abendbrot wichtiger ist als mein Gedicht.

Sie macht es bestimmt nicht absichtlich, sondern weil sie so abgehetzt und gestresst ist und für sich selber noch weniger Zeit hat als für Joy und mich. Und das ist überhaupt nicht ihre Schuld.

Nee, an der ganzen Misere ist Dad schuld. Wenn er nicht einfach abgehauen wäre …

Ist er gar nicht! Die beiden haben sich „einvernehmlich getrennt“ und ich bin heilfroh, dass der Zoff endlich vorbei ist. Aber trotzdem, er ist weg und Matti sitzt mit allem allein da und manchmal ist es eben ein bisschen viel für sie.

Oh Bella, du gütiger Engel der Barmherzigkeit. Du Mutter Theresa der traurigen Kinder. Sei doch irgendwann einfach nur mal SAUER!

Ich versuch’s ja, ehrlich, aber wenn ich sauer bin, muss ich auch weinen und dann merkt kein Mensch den Unterschied zwischen wütend und traurig sein, nicht mal ich selbst. Und Teller vor Wut an die Wand schmeißen ist nun mal nicht meine Sache.

He, he … :)

Wieso grinst Joy jetzt so dämlich? Und warum drückt sie mir ihren Puschen in die Hand?

Probier’s mal damit!

Na gut. Ich hole weit aus – nur Joy zuliebe! – und schmeiße das Ding mit Wucht durchs Zimmer.

„He, spinnst du?“

Matti konnte sich gerade noch ducken, sonst hätte sie den Schuh an den Kopf bekommen, weil sie genau in dem Moment reinkam, als das Teil Richtung Tür flog. So was nennt man eine Verkettung unglücklicher Umstände.

Aber Matti hatte zwei Becher Kakao in der Hand und kam in friedlicher Mission und da war es nicht nett, sie mit Gegenständen zu beschmeißen.

„Ich möchte mich entschuldigen“, sagte sie.

„Wofür?“, fragte Joy misstrauisch.

„Dafür, dass ich so gestresst war und keine Zeit für euch hatte. In der Kita ist heute alles blöde gelaufen: Erziehersitzung, motzende Eltern, Läuse … Es wird besser, das versprech ich euch, ich weiß bloß noch nicht, wann.“ Dann lächelte sie ihr Matti-Lächeln, das uns immer sagt: „Ihr seid doch meine beiden Engel und ich hab euch ja soo lieb!“ Und schon war der ganze Knartsch vergessen.

„Jetzt will ich unbedingt dein Gedicht lesen“, rief Matti und kuschelte sich zwischen Joy und mich. Meine Tränen hörten auf zu fließen. Ach Matti, liebe, gute Matti!

„Und danach überlegen wir, was du anziehst bei deinem großen Auftritt.“

„Oh …!“

Na, danke, Matti! Falsches Thema. Jetzt geht’s wieder los mit der Flennerei.

-2.-

Joy:  Wir sitzen in einem schwankenden Boot. Willenlos schaukelt es auf den Wellen, die Sonne brennt unbarmherzig auf uns herab. Da – eine Haifischflosse! „Festhalten!“, schreie ich, doch zu spät. Unaufhaltsam stürzt das Boot in die Tiefe. Ich reiße Prinzessin Bella an mich, denn sie ist zu jung, um so einen schrecklichen Tod zu sterben …

Aber es nützt gar nichts.

Bella hat beschlossen,

humorlos zu sein.

„Mann, das ist Jahre her! Inzwischen haben wir ganz andere Probleme.”

Stimmt. Beides.

Es ist Jahre her, dass wir im Bett Pirat und Prinzessin gespielt haben. Ich war der Pirat, na klar. Wir haben seit ewigen Zeiten ein Etagenbett, um das uns andere Kinder immer beneideten. Manchmal haben wir gelost, wer oben schlafen darf. Und dann haben wir die Schlafanzüge getauscht, Bella und ich. Wenn Matti und Dad uns beim Gute-Nacht-Sagen verwechselten, haben wir uns schlapp gelacht, alle zusammen. Davon ist nicht mehr viel übrig, außer dem alten Hochbett, auf dem Bella und ich gerade kuscheln.

Das Fenster steht offen und wir sehen die Sterne.

„Wenn du die Augen schließt, kannst du das Meer rauschen hören“, flüstert Bella.

„Quatsch! Das Meer ist achtzig Kilometer entfernt“, antworte ich. Ich höre nur den Bus um die Ecke quietschen und eine wütende Autohupe im abendlichen Parkplatzstress. Außerdem ein paar Leute, die aus der Kneipe gegenüber kommen und nicht wissen, ob sie friedlich nach Hause gehen oder sich lieber ein bisschen streiten sollen.

Aus, Fenster zu!

„Willst du ins Bett gehen?“, fragt Bella.

Ich hab jetzt nämlich mein eigenes Bett, sogar mein eigenes Zimmer: Dad braucht ja sein altes Arbeitszimmer nicht mehr.

„Es wurde höchste Zeit, dass jedes Mädchen ein eigenes Zimmer bekommt“, hat Matti gemurmelt, als Dad die Sachen rausschleppte. Aber deswegen ist er nicht weggegangen, bestimmt nicht! Das hatte andere Gründe.

Aber ich habe keinen Bock, immer wieder dran zu denken. Nee, lieber noch ein bisschen Gitarre spielen, scheißegal, wie spät es ist. Lauter als die grölenden Typen da draußen bin ich sowieso nicht.

Du spielst schon richtig gut, viel besser als noch vor ein paar Wochen. Nein, echt! Willst du es nicht mal bei den SHARkX versuchen?

Und ob ich das will! Und zwar gleich morgen. Wenn die beim Schulfest auftreten, MUSS ich dabei sein!

Stell dir vor: Ich da oben auf der Bühne, vor Hunderten von Leuten, vor den Kameras von SAT 1! Der Beginn einer Karriere. Der Anfang einer sensationellen Rockmusikerin. Dem Moser wird es noch leidtun, dass er mir eine Fünf in Mathe reingewürgt hat. Aber ich bin nicht nachtragend, er kriegt ein Autogramm. Glaub mir: In einem Jahr bin ich weltberühmt.

Willst du das denn wirklich?

Na klar! Du wirst geliebt, verehrt, bewundert. Du verdienst eine Menge Kohle. Denk an Angela Merkel. Oder Heidi Klum. Oder an Barbie.

Jetzt schmeißt du aber einiges durcheinander.

Und wenn schon! Mein Ziel steht fest. Und der erste Schritt auf diesem Weg ist der Auftritt mit den SHARkX. YEAH!

Joy, hör auf, nicht so laut!

Doch! E-Gitarren müssen schreien.

Was will Bella mir sagen? Ich verstehe kein Wort!

Oh Scheiße – Matti. Ay ay, Käpt’n, schon gut. Ich hör ja auf! Und ich geh rüber in mein eigenes Bett. Gute Nacht, Prinzessin! Denk dran: Der große Pirat beschützt dich. Wenn du Hilfe brauchst, klopf an die Wand.

Gute Nacht, Pirat, träum was Schönes.

Mach ich. Ich kuschel mich unter die Decke und verdränge, dass hier vor Kurzem Dads Schreibtisch stand.

Sein alter Bücherschrank ist noch da, ein Erbstück von Opa. Nur die Bücher hat er eingepackt.

„Das Monstrum kannst du auch mitnehmen“, hat Matti gesagt. Aber Dad hat nur gegrinst und erklärt, dass im Transporter leider kein Platz mehr ist und er den Schrank später holt.

Vielleicht hat er ihn ja absichtlich dagelassen, weil er zurückkommen will? Ich lasse ihn leer. Nur die Gitarre lehnt davor. Der Mond scheint drauf. Vollmond … Bei Vollmond kann man sich was wünschen, hat Matti uns früher erzählt. Das heißt, wünschen kann man sich immer was. Aber bei Vollmond geht es in Erfüllung.

Also, Film ab:

„Ladies and Gentlemen – and now the famous six: the SHARkX!”

Die Leute toben, die Halle bebt. Wir stürmen raus auf die Bühne, Lichtkegel streifen uns. Jeder weiß, wo sein Platz ist. Robbi zupft die ersten Töne auf dem Bass, Mick an den Drums gibt den Rhythmus vor. Moritz stimmt auf dem Keyboard die Melodie an. Chiara greift zum Mikro, sie wartet auf ihren Einsatz. Da kann sie lange warten … die Show gehört mir! Benji nickt mir zu. Ich bin der Boss an der Gitarre, er der perfekte Zweite.

Alle Blicke sind auf mich gerichtet. Ich schließe die Augen. Der erste Ton meiner Gitarre dröhnt durch die Lautsprecher wie ein Donnerschlag. Die Leute reißen die Arme in die Luft, die Party fängt an.

Aber verdammt noch mal, warum bin ich …

denn … soo …

müde …

-3.-

Bella:  Ich hab ein richtig schlechtes Gewissen. Wenn ich vorher ins Horoskop geguckt hätte, hätte ich Joy daran gehindert, heute bei den SHARkX vorzuspielen. Die Sterne haben davor gewarnt, gewohnte Pfade zu verlassen.

Zu spät!

Aber sie will ja partout nichts von den kosmischen Kräften wissen und warten kann Joy auch nicht und deshalb hat sie heute wild entschlossen die Gitarre mit in die Schule genommen.

„Um drei!“, sagte sie knapp.

Ab 15 Uhr proben die SHARkX immer im Musikraum und hängen das Schild an die Tür: BITTENICHTSTÖREN! Doch Joy ließ sich davon nicht abhalten und ich mich zwangsläufig genauso wenig, denn Joy bestand darauf, dass ich mitkam.

Als Joy den Kopf zum Musikraum reinsteckte, stand Chiara auf der Mini-Bühne, beide Hände in den Taschen ihrer Jeans, und guckte so wichtig, als sei sie nicht im Musikraum, sondern bei einem Rockfestival vor mindestens fünftausend jubelnden Leuten. Dann sah sie zur Tür und damit zu Joy und mir rüber und schnauzte los: „Könnt ihr nicht lesen? Da steht: Bitte nicht stören!“

„Das ist eine Bitte und kein Befehl“, erwiderte Joy. „Und von Störung kann keine Rede sein.“

„Sondern?“, fragte Chiara entgeistert.

„Ich will vorspielen.“

Und damit packte Joy ihre Gitarre aus. Oh Leute, ihr glaubt ja gar nicht, wie sehr ich sie bewundere, meine unglaubliche Schwester, für ihre sagenhafte Coolness!

Man muss sich eben trauen, Schwesterherz! Außerdem sind die SHARkX nicht die Stones, sondern nur eine Schulband. Die sind gut – zugegeben. Aber mit mir werden sie noch besser. Das müssen sie bloß noch kapieren.

Joy:  Trotzdem klopfte mein Herz wie wild, denn bei den SHARkX mitzuspielen, war schon lange mein Traum. Nun stand ich da und alle guckten.

Mick hinter den Drums taxierte mich von oben bis unten. Und er grinste dabei genauso unverschämt, wie er unverschämt gut aussah. Ich steh nicht auf solche Schönlinge, deshalb guckte ich einfach weg.

Benji zupfte an seiner Gitarre rum und streifte mich nur ganz beiläufig mit seinem Blick. Er ist groß und schlaksig und sieht wie ein gerupftes Vögelchen aus. Und er tut immer, als ob er total easy drauf ist. Aber neugierig war er schon, das merkte ich deutlich.

Moritz kam hinterm Keyboard hervor und rülpste. Auch eine Art von Begrüßung! Aber was sollte man von dem schon anderes erwarten. Moritz ist der kleine Bruder von Mick, was man absolut nicht sieht. Der kleine Bruder von Pippi Langstrumpf würde eher passen.

Und dann war da noch Robbi. Der heißt nicht nur so, der sieht auch wie eine Seerobbe aus. Er biss ungerührt in ein Leberwurstbrötchen. Mit seinen Fettfingern stützte er sich auf den Bass und musterte mich unverhohlen.

Ich ging um Chiara rum, stieg auf die Bühne, nahm die Gitarre und spielte ein weltbekanntes Riff.

Chiara stapfte energisch auf mich zu.

„So geht das aber nicht! Wir sind hier, um zu üben. Wir haben einen großen Gig vor uns!“

Ja, das weiß ich! Deshalb bin ich doch hier. Aber ich bin klug. Ich ließ mich auf keine Diskussion ein und spielte einfach weiter. Das konnte Chiara gar nicht verknusen. Sie ist nicht nur die Sängerin, sondern auch der Boss. Selbst wenn die Jungs das nicht zugeben würden. Ihre Stimme wurde lauter.

„He du, wie heißt du noch?“

Blöde Kuh – das weißt du ganz genau! Doch du bist in der Neunten, genau wie die Jungs, mit Ausnahme von Moritz. Und Leute in der Neunten behandeln die aus der Siebten wie namenlose Eintagsfliegen, schon klar.