Bellbook University 3: Sugar & Cane - Penny Juniper - E-Book

Bellbook University 3: Sugar & Cane E-Book

Penny Juniper

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Beschreibung

**Prince Charming bei Nacht – Psychologie-Professor bei Tag**  Sugar Blacksmith ist sich sicher, ihren Mr. Right gefunden zu haben, als sie auf dem Maskenball der einflussreichen Fae-Familie Cane von einem attraktiven Mann gerettet wird. Doch die märchenhafte Nacht endet mit einem bösen Erwachen: Ihr Prinz ist nicht nur der Erbe der Canes, sondern auch ihr Professor an der magischen Bellbook University. Nathaniel ist zum ersten Mal im Leben sprachlos, als er die junge Frau, in die er sich Hals über Kopf verliebt hat, in seinem Hörsaal entdeckt. Um seine Karriere und ihr Studium nicht zu gefährden, schlägt er ihr eine Freundschaft vor. Vergeblich. Denn die Anziehung zwischen ihnen lässt nicht nach und so wächst ihre Beziehung im Geheimen. Bis der Cane-Klan Wind von der unerwünschten Verbindung zu einer menschlichen Frau bekommt ...  Besuche die magische Bellbook University, wo eine Forbidden Love Story zwischen einer Studentin und ihrem Fae-Professor die High Society und die Studierenden in Aufruhr versetzt.  //»Sugar & Cane« ist der dritte Band der »Bellbook University«-Reihe. Alle Bände der knisternden RomCom bei Impress: -- Ginger & Beast (Bellbook University 1) -- Honey & Trouble (Bellbook University 2)  -- Sugar & Cane (Bellbook University 3) Diese Reihe ist abgeschlossen.// 

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Impress

Die Macht der Gefühle

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Penny Juniper

Bellbook University 3: Sugar & Cane

**Prince Charming bei Nacht – Psychologie-Professor bei Tag**

Sugar Blacksmith ist sich sicher, ihren Mr. Right gefunden zu haben, als sie auf dem Maskenball der einflussreichen Fae-Familie Cane von einem attraktiven Mann gerettet wird. Doch die märchenhafte Nacht endet mit einem bösen Erwachen: Ihr Prinz ist nicht nur der Erbe der Canes, sondern auch ihr Professor an der magischen Bellbook University. Nathaniel ist zum ersten Mal im Leben sprachlos, als er die junge Frau, in die er sich Hals über Kopf verliebt hat, in seinem Hörsaal entdeckt. Um seine Karriere und ihr Studium nicht zu gefährden, schlägt er ihr eine Freundschaft vor. Vergeblich. Denn die Anziehung zwischen ihnen lässt nicht nach und so wächst ihre Beziehung im Geheimen. Bis der Cane-Klan Wind von der unerwünschten Verbindung zu einer menschlichen Frau bekommt …

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Vita

Playlist

Danksagung

© privat

Penny Juniper schreibt Geschichten, seit sie einen Stift halten kann. Als sie tippen lernte, war es endgültig zu spät für einen anständigen Beruf. Seitdem taucht sie ab in fantastische Welten und kommt nur ab und zu mal raus, um nach ihrer Familie zu sehen, einen Snack zu stibitzen oder ihre Katzen zu kraulen. Ihre Stories handeln von chaotischen Hexen, scharfen Dämonen, sarkastischen Fae und unwiderstehlich hotten Orcs, die alle eines gemeinsam haben — ihr Liebesleben ist eine Katastrophe und sie müssen ordentlich kämpfen für ihr Happy End. Dabei fliegen nicht nur magische Funken, es wird auch ganz schön heiß. Penny liebt Fantasy mit Humor und dem gewissen Etwas. Ihre Schreibvorbilder sind Roxie Noir, Leigh Bardugo, Rebecca Yarros, Terry Pratchett und Stephen King. Meist findet man sie mit einer Tasse Kaffee und ihrer Nase in irgendeinem Buch in ihrer Schreibhöhle, wo sie sich die nächste fantastische Geschichte ausdenkt.

Für meine beiden schnurrenden Engel, die ihr euch ständig auf meine Tastatur setzt. Ich hab euch lieb!

Playlist

The Bangles – Hazy Shade of Winter

Fall Out Boy – Sugar, We’re Goin Down

GusGus – Deep Inside

Our Last Night – Total Eclipse of the Heart

Dance With The Dead – The Man Who Made a Monster

Noel Gallagher’s High Flying Birds – In the Heat of the Moment

Crowded House – Don’t Dream it’s Over

Hozier – Too Sweet

Arankai – CONTORTIONIST

Coheed and Cambria – Island

The Pretty Reckless – Make Me Wanna Die

Gunship – Woken Furies

Muse – Verona

Midnite String Quartet – Wrecking Ball

Michael Gerow – Rewrite the Stars

Kapitel1

Sugar

»Hoffentlich kommen wir nicht zu spät.«

Flynn starrt angespannt zur geschwungenen Freitreppe, während ein Raunen durch die Menge geht. Am Fuß der Treppe schlägt der livrierte Herold einen langen, goldenen Stab auf den Marmorboden. Drei dumpfe, dröhnende Schläge lassen meine Haut prickeln, als sie im gesamten Saal widerhallen und das Stimmengewirr der Gäste übertönen.

»Wir präsentieren den jungen Master Scalanis, ältester Sohn des Clans Eccosel vom Hof des Winters und die Lady Lythonell, zweitälteste Tochter aus dem Clan Thyndell vom Hof der Immergrünen Baumwipfel!«, ruft der Herold. Gleichzeitig schwingen die gigantische Flügeltüren am oberen Ende der Freitreppe auf. Hand in Hand schreitet das soeben verkündete Verlobungspaar die Stufen hinab, während das Orchester etwas Süßliches von Vivaldi spielt. Höflicher Applaus brandet durch die Menge.

Die zukünftige Braut ist eine Licht-Fae in einem ätherischen weißen Kleid, ihr feines blondes Haar schwebt hinter ihr her wie Feenflügel. Ihre Maske, die Augen und Nase verdeckt, sieht aus wie gesponnener Zucker.

Mein Blick bleibt auf ihrem zukünftigen Bräutigam hängen. Ein Winter-Fae mit arktisblauem Haar und Teint. Er trägt einen Maßanzug mit roter Schärpe und eine schwarze Maske über den Augen,

»Ist er das?«, flüstere ich.

Flynn schüttelt den Kopf. »Adam ist Wald-Fae«, murmelt er und ich nicke. Wir halten also nach einem Gentleman mit lindgrüner Haut und grünen Haaren Ausschau.

»Wir finden ihn«, sage ich und drücke beruhigend Flynns Arm. Mein Freund atmet hörbar aus, spannt sich jedoch noch mehr an.

Keine Ahnung, woher ich die Zuversicht nehme. Wir sind seit zehn Minuten hier und meine Hoffnung, unseren Plan schnell und unauffällig durchzuziehen, schrumpft in Rekordgeschwindigkeit. Die Menge ist absolut unübersichtlich, ein Meer aus schimmernden Ballroben und Smokings, wedelnden Fächern und glitzernden Masken. Ich wusste, dass das Greencresting, der große Fae-Ball zum Frühlingsanfang, das wichtigste Event der Hohen Familien ist. Aber ich habe noch niemals so viele Fae auf einem Haufen gesehen. Lauter wunderschöne Wesen mit spitzen Ohren, bunter Haut und felinen Gesichtszügen, die entfernt an Raubtiere erinnern.

Der Plan, Flynns Ex zu finden, bevor dessen Verlobung offiziell bekannt gegeben wird, erschien sehr viel einfacher von zu Hause aus.

Flynn wirft mir einen Seitenblick zu. »Danke, dass du mitgekommen bist«, flüstert er. »Ohne dich würde ich durchdrehen.«

Ich schenke ihm ein aufmunterndes Lächeln, straffe die Schultern und kämpfe das Gefühl nieder, eine wichtige Regel zu brechen. Wir dürften eigentlich gar nicht hier sein. Der Kitzel des Verbotenen gleitet meine Wirbelsäule hinunter wie die Spitze einer Klaue.

Hallo, mein Name ist Anna-Rose Blacksmith, genannt Sugar und ich halte mich sklavisch an Regeln. Mir bricht schon der kalte Schweiß aus, wenn ich ein Buch zu spät in die Bibliothek zurückbringe. Ein personifiziertes Good-Girl wie ich crasht keine Bälle und schon gar nicht einen, auf dem Menschen sich besser nicht blicken lassen, wenn sie ihre Gesundheit wertschätzen.

Flynn und ich stehen selbstverständlich auf keiner Gästeliste. Doch Dank Flynns Kontakten zum Küchenpersonal stehen wir heute Abend hier, im Goldenen Saal von Direwood Hall, eine halbe Stunde westlich von Edinburgh, wo das obere Ein-Prozent der Fae-Gesellschaft Großbritanniens sein wichtigstes Event des Frühlings zelebriert.

Flynn als Nacht-Fae fällt wenigstens nicht auf, in einem schicken Anzug und mit stylisch gegelten Haaren. Seine schwarze Maske scheint in seinem mitternachtsblauem Teint zu verschwinden, doch sein goldener Lidstrich gibt ihm das gewisse Etwas. Er könnte total seriös aussehen, wenn er vor Aufregung nicht seine Fingernägel abkauen würde. Mein Mitgefühl für ihn mischt sich mit Ärger für seinen bescheuerten Ex.

Der Grund, warum wir hier sind: Flynn will einen letzten verzweifelten Versuch wagen, Adam davon abzuhalten, die hochwohlgeborene Fae-Tochter zu heiraten, die seine Eltern für ihn ausgesucht haben – und ihn zurückzugewinnen. Denn Flynn glaubt noch felsenfest an die wahre Liebe.

Im Gegensatz zu mir.

»Du siehst übrigens hinreißend aus«, sagt Flynn nun mit einem verschmitzten Lächeln, das ich erwidere.

»Es darf nur niemand zu genau hinsehen«, entgegne ich im Flüsterton.

In dem ausgestellten, hellblauen Ballkleid, das sanft an mir herabfällt und dessen Herzausschnitt meine spärlichen Boobs fantastisch pusht, fühle ich mich überhaupt nicht wie ich selbst. Aber auf eine gute Art. Als hätte ich die zwanghafte Version von mir durch eine glamouröse ausgetauscht und mit ordentlich Glitzer bestreut.

Wie jeder auf diesem Ball trage ich eine elegante Maske. Sie ist reinweiß und mit einem verschlungenen Muster aus Goldfäden verziert. Zusätzlich hat sie eine spitz zulaufende Verlängerung links und rechts über den Ohren, die es zumindest ein wenig so aussehen lässt, als gehörte ich zur richtigen Spezies. Das und meine magischen Haare sind der einzige Grund, warum ich überhaupt als Flynns Plus-One durchgehe.

Meine Tarnung ist allerdings hauchdünn. Menschen haben auf dieser exklusiven Veranstaltung absolut nichts verloren. Nicht auszudenken, was passiert, wenn ich auffliege. Allein der Gedanke lässt meine Haarfarbe flackern.

Ich atme tief durch und konzentriere mich, begebe mich innerlich in Berg-Position und werde sofort ein bisschen ruhiger. Meine Haarfarbe, die ein wenig ins Violette gekippt ist, fließt in ihr normales Zuckerwatterosa zurück.

»Adam müsste irgendwo im hinteren Saal sein«, sagt Flynn nun mit gepresster Stimme. Seine Anspannung ist spürbar. Wir sollten uns beeilen.

»Komm.« Ich ziehe ihn hinter mir her zum Ausgang des Saals, während die sieben Paare, deren Verlobungen in dieser Stunde verkündet wurden, auf der Tanzfläche in Formation gehen. Das Orchester spielt einen Tusch und wechselt in die süßen Klänge eines Walzers.

Ein bisschen wehmütig schaue ich über die Schulter auf das Parkett. Zu gerne würde ich ebenfalls tanzen, wenn ich schon mal hier bin und dieses atemberaubende Kleid trage. Doch wir haben keine Zeit für Sentimentalitäten.

Wir huschen in den Nachbarsaal. Ebenso wie im Hauptsaal tauchen zahllose Kronleuchter an der fernen Decke alles in sanftes Licht. Ein Hauch vom Grandeur vergangener Jahrhunderte liegt in der Luft, als die Fae noch die unangefochtenen Herrscher über alle Spezies waren. Zwischen dorischen Säulen, Springbrunnen und Statuen mäandern maskierte Ballgäste umeinander, nippen an Champagnerschalen, fächeln sich Luft zu und scheinen sich königlich zu amüsieren.

Natürlich drängt sich Dyne in meine Gedanken. Seine Verlobung ist vergangenes Jahr auf genau diesem Ball bekannt gegeben worden. Seine Abschiedsworte fallen mir wieder ein, mit denen er kurz vorher unsere Beziehung von heute auf morgen beendete.

»Es ist meine Pflicht, Anna-Rose. Du hast keine Chance.«

Mittlerweile ist er mit einer Licht-Fae verheiratet. Und es ist Nachwuchs unterwegs, wenn ich seinem Instagramkanal trauen kann. Ganz wie seine Familientradition es verlangt hat. Ich bin nicht mal mehr traurig, denn sosehr ich Dyne mochte, desto mehr bin ich mittlerweile davon überzeugt, dass ich für ihn nur eine Zwischenstation war.

Gegen den märchenhaften Reichtum der Alten Fae-Familien hatte ich tatsächlich keine Chance.

»Alles okay?«, fragt Flynn und ich nicke knapp.

»Denk nicht mehr an den Blödmann«, sagt er, als könnte er meine Gedanken lesen. »Man muss die Vergangenheit hinter sich lassen.«

»Sagt der Richtige.« Ich klammere mich an Flynns Arm, während wir uns durch die Menge schieben. »Immerhin sind wir nur hier, weil du mit deiner Vergangenheit noch nicht fertig bist.«

»Das ist was anderes«, entgegnet er. »Dyne war nur ein Fuckboy und du hast was Besseres verdient.«

Ich unterdrücke ein Schmunzeln.

Flynn und ich haben uns vor etwas mehr als einem Jahr auf meinem Auslandspraktikum in Singapur kennengelernt. Nicht nur, dass wir sofort klickten, wir wurden beide kurz vorher von unseren Fae-Boyfriends abserviert. Am selben Abend noch sangen wir lauthals in einer engen Karaokebar sämtliche Taylor-Swift-Songs im Duett. Seitdem sind wir unzertrennlich.

Meine Beziehung mit Dyne war gegen die Flynn-und-Adam-Seifenoper jedoch der reinste Kindergarten. Die beiden haben so oft Schluss gemacht und sich wieder versöhnt, dass man damit ganze Bücher füllen könnte.

»Da ist er!« Flynn bleibt so abrupt stehen, dass ich beinahe stolpere.

Eingezwängt zischen eine Säule und eine exotische Topfpalme steht ein hochgewachsener, athletischer Wald-Fae. Er trägt einen schwarzen Anzug und eine blutrote Schärpe quer über der Brust. Er umklammert ein Glas und sieht aus, als wollte er sich verstecken. Was ihm bei seiner Größe und Breite nicht besonders gelingt.

»Okay, Plan A«, flüstere ich und Flynn nickt gefasst.

Plan A lautet: Adam in ein leeres Seitenzimmer zu locken, das wir uns vorher ausgeguckt haben. Flynns Kontakt in der Küche hat uns einen Lageplan des Anwesens zugespielt, den wir uns im Vorhinein eingeprägt haben, als planten wir einen Einbruch. Auf diesem Ball sind Handys strengstens verboten und wir wollten nicht riskieren, vorzeitig aufzufliegen, nur weil wir auf einem Display herumwischen.

Flynn nickt, dann stiebt er davon.

Ich schleiche so unauffällig wie möglich durch die Menge, peinlich genau drauf achtend, niemandem aus Versehen in die Augen zu sehen. Dabei fühle ich mich wie ein Guppy in einem Becken voller Haifische und versuche gleichzeitig, meinen entrüsteten Schulterengel zu ignorieren.

Was machst du denn da, Anna-Rose?

Mein Schulterengel ist immer zur Stelle, wenn ich Mist baue. Was bei einem Good-Girl wie mir so gut wie nie vorkommt. Aber wenn er auftaucht, hält er mir gleich einen Vortrag.

Das bist doch nicht du! Du brichst keine Regeln! Du tust nie etwas Verbotenes! Was meinst du, was diese Leute mit dir anstellen, wenn sie dich erwischen?

Lieber nicht daran denken, dass die Klauen und Zähne der Fae lediglich unter einem dünnen Firnis der Zivilisation verborgen sind und jederzeit wieder hervorkommen können.

»Hey, psst!«, zische ich, als ich Adam erreiche. Der ruckt herum und blickt mich erst überrascht, dann misstrauisch an.

»Du bist Adam, richtig?«

»Kommt drauf an, wer fragt«, entgegnet er finster.

»Ich bin eine Freundin von Flynn.«

Adam spannt sich sichtbar an. Sein Blick verhärtet sich. »Flynn?«, wiederholt er mir brüchiger Stimme. »Ist er hier?«

»Er würde gern mit dir reden«, sage ich gedämpft.

»Jetzt?«

Ich nicke. Adam presst sichtbar die Kiefer zusammen. »Wo ist er?«

»Komm mit«, sage ich leise. Adam zögert, dann stellt er sein Glas auf dem Stehtisch ab und folgt mir. Wir verlassen wortlos den Saal, gehen ans Ende der Halle und dort eine geschwungene Treppe ins obere Stockwerk hinauf. Nur wenige Gäste verirren sich in diesen Teil des Anwesens, ganz wie Flynn und ich es gehofft haben. Allerdings ist der Flur nicht komplett leer, ein paar Damen in feinen Seidenkleidern begutachten die Wandteppiche, die den Flur säumen, als Adam und ich um die Ecke biegen.

Gott sei Dank beachtet uns niemand, als wir zur Tür des kleinen Salons schleichen, den Flynn für unseren Plan ausgeguckt hat.

Wir schlüpfen durch die Tür und in ein Zimmer mit antiken Sofas und dunkelblauen Brokat-Tapeten. In einem Kamin knistert ein kleines Feuer. Flynn steht vor den altmodisch geschwungenen Balkontüren und dreht sich abrupt um, als wir die Tür hinter uns schließen. Seine purpurnen Augen weiten sich, als er Adam erblickt. Beide starren sich an, als hätten sie eine Erscheinung.

»Flynn«, murmelt Adam mit tiefer Stimme.

»Adam …« Flynns Stimme macht einen verdächtigen Hüpfer. Die beiden haben sich seit über einem Jahr nicht gesehen. Die Spannung im Raum ist spürbar.

»Was machst du hier?«

»Ich musste dich noch mal sehen.«

Diskret schiebe ich mich rückwärts zur Tür zurück.

Flynn tritt auf Adam zu, während ich den Türgriff hinter mir zu fassen bekomme. Als ich die Tür aufschiebe, ertönen jedoch Schritte und lautes Gelächter. Erschrocken linse ich durch den Türspalt. Der Flur ist nicht mehr leer. Eine lärmende Traube Partygäste drängt sich nicht mal fünf Meter entfernt um einen Wandteppich. Sie scheinen irgendein Partyspiel zu spielen. Für einen diskreten Abgang ist es definitiv zu voll und gerade biegt eine weitere Gruppe schnatternder Balldamen um die Ecke. Ich ziehe die Tür wieder zu und presse mich rückwärts dagegen.

Adam und Flynn stehen sich mittlerweile gegenüber wie in einem romantischen Film und schauen sich tief in die Augen.

Verdammt, das war so nicht geplant. Ich sollte längst weg sein. Aber draußen zu warten ist keine Option. Nicht, ohne Gefahr zu laufen, die Aufmerksamkeit auf mich zu ziehen.

»Flynn«, murmelt Adam und schüttelt den Kopf, als wollte er sagen, dass sie an diesem Punkt schon so oft waren und es keinen Sinn hätte. Doch Flynn legt zärtlich eine Hand an seine Wange, schaut hoch zu Adam, der ein ganzes Stück größer ist als er und lächelt – und ich kam mir noch nie so unangebracht und fehl am Platz vor. Als würde ich einen intimen Moment stören.

»Äh …«, flüstere ich und winke. »Flynn?« Doch die beiden beachten mich gar nicht. Wahrscheinlich könnte um sie herum das komplette Anwesen in Flammen aufgehen, ohne dass sie es bemerken würden.

»Tu es nicht«, sagt Flynn leise zu Adam. Der schluckt sichtbar.

»Ich habe keine Wahl«, murmelt er, lehnt sich aber mit der Wange in Flynns Berührung. »Meine Familie …«

»Tu es nicht«, wiederholt Flynn. »Ich liebe dich, Adam.«

Ich presse mich mit dem Rücken gegen die Tür. Flynn und Adam schauen sich tief in die Augen und wäre das hier eine Folge meiner Lieblings-Seifenoper, würde jetzt das Orchester mit der schmalzigen Musik loslegen. »Ich liebe dich auch«, murmelt Adam leise und ehe ich auch nur blinzeln kann, küssen sich die beiden.

Aber wie. In einem Moment starren sie sich noch an, im nächsten Moment drehen sie ihren Kuss von Null auf Hundert, saugen sich aneinander fest, umklammern sich gegenseitig und es ist bestimmt ein super romantischer Moment, wenn man nicht direkt danebensteht und das alles mit ansehen muss.

Mein Gesicht wird heiß.

»Äh … Leute? Hallo …« Keiner beachtet mich. Die beiden sind absolut weggetreten und der Kuss wird um einiges inniger. Flynn umschlingt Adams breite Schultern, Adam gibt ein tiefes Grollen von sich – und das ist alles nicht für meine Augen und Ohren bestimmt! Ich sollte wirklich verschwinden, wenn ich nicht Zeugin von noch innigeren Zuneigungsbekundungen werden will.

Doch als ich die Tür erneut einen Spalt öffne, rauschen zwei lachende Ladies in ausladenden Ballroben direkt vor mir vorbei, gefolgt von einem Tross Fae-Gentlemen in Smokings und ich schließe die Tür schnell wieder. Zur Sicherheit drehe ich das Türschloss um.

Adam und Flynn sind mittlerweile knutschend auf das altmodische Sofa gesunken.

»Leute!«, zische ich, ohne Erfolg. Okay, das reicht. Ich muss hier raus. Kurz entschlossen durchquere ich den Raum, öffne die Balkontür, schlüpfe hinaus in die abendliche Kälte und ziehe die Tür mit einem Klacken hinter mir zu.

Ich atme auf.

Es ist bereits dunkel. Der Frühling in Schottland lässt auch dieses Jahr auf sich warten. Die Luft schmeckt nach Frost und auf meinen nackten Schultern bildet sich Gänsehaut, doch das ist mir im Moment lieber, als weiter im Salon herumzustehen, während Flynn und Adam Versöhnung feiern. Ich liebe Telenovelas und alle Arten von kitschigen Shows, aber das ist mir dann doch zu viel.

Ich lehne mich gegen die kalte Hauswand. Mein Atem steht als weiße, kalte Wolke vor mir in der Nachtluft.

Immerhin hat unser Plan glänzend funktioniert. Als wir die ganze Aktion vor ein paar Tagen in aller Eile planten, hatte ich nicht das Herz, Flynn zu sagen, dass er sich völlig umsonst Hoffnungen machte. Aber anscheinend wurde ich gerade eines Besseren belehrt.

»Romantik ist überall«, pflegt Flynn in solchen Situationen immer zu sagen. »Der ganze Alltag ist voll davon, Sugarlein. Du musst nur deine süßen Bernsteinäuglein offenhalten.«

Normalerweise entgegne ich darauf immer, dass ich mich lieber auf mein Studium konzentriere und das hier nicht das Staffelfinale von Orangen der Leidenschaft ist, sondern das echte Leben, woraufhin Flynn für gewöhnlich schnaubt und entgegnet: »Du wirst es erleben, Süße. Romantik ist überall. Punkt.«

Okay, zumindest heute Abend hat er recht behalten.

Ich gehe ein bisschen auf und ab, um warm zu werden, lehne mich gegen das Balkongeländer und überschaue den dunklen Park, der Direwood Hall umgibt. Die erleuchteten Fenster des Ballsaals werfen gigantische Rechtecke aus Licht auf den gepflegten Rasen und ich sehe die feiernden Silhouetten hin und her flattern. Das nagende Gefühl, dass ich die einzige Person hier draußen bin, während alle anderen drin sind und Spaß haben, wallt mal wieder in mir hoch wie ein unwillkommener Geist.

Schluss damit, Anna-Rose, sagt mein Schulterengel. Kein Grund, selbstmitleidig zu sein. Freu dich lieber, dass all deine Lieben glücklich sind.

Tatsächlich hängen in meinem Freundeskreis seit einer Weile sämtliche Himmel voller Geigen. Meine beiden besten Freundinnen Honey und Ginger, mit denen ich mir bis vor kurzem eine WG teilte, haben in den letzten anderthalb Jahren völlig unerwartet jeweils ihre große Liebe gefunden.

Unsere kleine Chaoshexe Ginger hat sich in einen etwas grummeligen Dämonen mit einem Faible für schwarze Kleidung verliebt. Und Honey, meine liebste schlechtgelaunte Licht-Fae, ist seit kurzem mit meinem Bruder Sam zusammen, dem ehemaligen Star der Orc-Rugby-Mannschaft der Bellbook University.

In beiden Fällen war ich mehr oder weniger daran beteiligt, dass alle meine Lieblingsidioten zueinander finden. Und jetzt habe ich – hoffentlich – dabei geholfen, Flynns und Adams Liebe wieder zu kitten.

Was mich angeht, bin ich mir jedoch sicher, dass es einen guten Grund hat, warum ich in diesem Moment allein auf einem Balkon in der Kälte stehe. Sowohl metaphorisch als auch buchstäblich.

Diesmal schüttele ich heftig meinen Kopf. So viel Selbstmitleid sieht mir gar nicht ähnlich. Im Gegenteil, mein Lebensmotto besteht darin, aus den ganzen Zitronen, die ich vom Universum bekomme, am laufenden Band Limonade herzustellen.

Dann habe ich halt Pech in der Liebe. Dann war Dyne eben ein gemeiner Fiesling, der mich nur benutzt und dann fallen gelassen hat. Auf der guten Seite habe ich umso mehr Zeit, mich auf mein Studium zu konzentrieren – und auf meinen Plan für danach. Denn ich habe immer einen Plan.

In ein paar Tagen startet mein letztes Semester an der Bellbook U. Und sobald ich meinen Master fertig habe, will ich einen Platz im prestigereichen SoulSpecies-Programm der UN ergattern. Seit Jahren arbeite ich darauf hin und die wichtigste Voraussetzung für eine Einladung zu dem Programm hat sich letzte Woche erfüllt – mit einer E-Mail, auf die ich wochenlang nägelkauend gewartet habe und die ich quietschend und mit weit aufgerissenen Augen wieder und wieder las, als sie endlich in mein Postfach poppte.

Sehr geehrte Ms Blacksmith,wir freuen uns, dass sie aus den zahlreichen Bewerber_innen am besten qualifiziert sind, die Assistenzstelle bei Frau Professor Flaherty anzutreten. Mit Ihren Fähigkeiten und Ihren Leistungen werden Sie eine Bereicherung für unser Team in diesem Semester darstellen. Wir freuen uns, Sie am Dienstag, den 08. März um 11 Uhr, in unserem Büro in der Fachschaft der Interspecies Psychology zu begrüßen. Insbesondere Frau Professor ist hocherfreut, Sie im Team zu haben.

HochachtungsvollMarcus MorrisonChefsekretariat

Studentische Assistentenstellen sind an der Uni ein begehrter und rarer Nebenjob. Mir geht es aber weniger um das schmale Gehalt, vielmehr um das Empfehlungsschreiben, das Professor Flaherty im Anschluss ausstellen wird – der Schlüssel, um in das UN-Programm hineinzukommen.

Jahre voll harter Arbeit zahlen sich endlich aus. Abgesehen von meinem nicht vorhandenen Liebesleben habe ich alles im Griff. Alles läuft wie geplant.

Ein merkwürdiges, trockenes Gefühl macht sich in meiner Kehle breit und für einen Moment wird mir unangenehm eng um die Brust.

Das passiert in letzter Zeit häufiger, wann immer ich an danach denke. Wahrscheinlich ist das völlig normal, immerhin wird ein wichtiger Abschnitt meines Lebens enden, in dem ich stets eine Glanzleistung nach der anderen vollbracht habe.

Und dann?

Ich zwinge das ungute Gefühl einmal mehr unter die Oberfläche, umklammere mit beiden Händen das kalte Metall des geschmiedeten Balkongeländers, das sich hart und eisig gegen meine Haut schmiegt.

Hör auf, dich verrückt zu machen, sagt mein Schulterengel streng. Du machst einen Schritt nach dem anderen und hältst dich an deinen Plan. Es gibt keinen Grund, hysterisch zu werden, Anna-Rose. Du hast alles im Griff.

Ich fröstele heftig, lasse das Geländer los und reibe mir die Arme. So langsam wird es draußen wirklich kalt. Ich sollte wieder reingehen. Hoffentlich sind Adam und Flynn fertig mit … was immer sie im Salon auf dem Sofa angestellt haben.

Vorsichtig schaue ich durch die Fensterscheibe. Der Salon ist leer, im Kamin flackert einsam das kleine Feuer und die Tür, die zurück in die Halle führt, ist angelehnt. Keine Spur von unserem Traumpaar. Offensichtlich haben sich Flynn und Adam bereits davongemacht, ganz nach Plan. Keine Ahnung, ob sie mitbekommen haben, dass ich mich auf den Balkon geschlichen habe. Womöglich denken sie, ich sitze längst in einem Taxi nach Hause. Nun, es wird Zeit, dass ich genau das tue. Ich öffne die Tür …

Oder versuche es, denn die Tür rührt sich keinen Millimeter. Irritiert rüttele ich am Griff, doch die Tür bleibt verschlossen.

»Bitte nicht …«, murmele ich und rüttele noch ein paar Mal sinnlos am Griff, ohne jedes Ergebnis. Leichte Panik kriecht in mir hoch. Niemand ist im Salon, der mich wieder hineinlassen könnte. Ich habe kein Handy dabei, mit dem ich Flynn alarmieren könnte. Um Hilfe rufen sollte ich auch nicht, denn dann wird unweigerlich auffliegen, dass ich auf diesem Ball absolut nichts zu suchen habe. Und ich befinde mich bestimmt fünfzehn Meter über dem Erdboden auf einem winzigen Balkon und der eisige Wind zerrt an meinem dünnen Ballkleid.

Okay, wahrscheinlich hat unser Plan mehr als nur ein paar Lücken.

Jetzt sitze ich wirklich in der Tinte.

Kapitel2

Nate

Die gekreuzten Schwerter an der Wand im Billardzimmer glänzen noch immer. Die Waffen sind alle uralt, doch Vater lässt sie nach wie vor vom Hauspersonal regelmäßig polieren und schärfen. Damit die Klingen zuverlässig schneiden, sollten sie jemals wieder zum Einsatz kommen. Eine schöne Analogie auf die Familie Cane: alt, aber noch immer gefährlich.

Die rechte Hand in die Tasche meiner Anzughose vergraben betrachte ich die antiken Erbstücke, die die Wände zieren – Schwerter, Degen, Musketen und altertümliche Gewehre sowie eine ganze Menagerie ausgestopfter Jagdtrophäen, die mit leeren Augen ins Nichts starren. Dabei nippe ich an meinem Drink und drücke mich davor, wieder da rauszugehen. Dieser Ball verursacht jedes Jahr wieder ein kaltes Gruseln, als würde jemand mit einem Gummihandschuh mein Rückgrat herabfahren.

Gerade als ich mein Glas leere, öffnet sich die Tür mit einem Krachen und Rafael stürzt herein. Wie immer sieht er aus, als würde er gleich vor Wut platzen.

»Hier steckst du«, knurrt er.

Ich unterdrücke ein entnervtes Seufzen. »Sag nicht, du hast mich vermisst.«

Rafa schlägt die Tür zu. »Du hast Nerven, hier aufzutauchen, du Arschloch.«

»Moment, ich hab ganz harmlos die Memorabilien unserer Vorfahren begutachtet«, entgegne ich und lasse seinen Zorn an meinem Lächeln abperlen.

Rafa marschiert wütend zur Hausbar, greift sich Vaters teuersten Whisky und füllt sich einen Tumbler.

»Du weißt genau, wovon ich rede«, stößt er hervor und leert den Tumbler in einem Zug, was geradezu eine Verschwendung ist, denn einen fünfzig Jahre alten Whisky stürzt man nicht herunter wie billigen Wodka. »Vater sucht dich. Alle suchen dich. Und natürlich machst du wieder der kompletten Familie das Leben schwer, indem du dich versteckst.«

»Dann herzlichen Glückwunsch, du hast mich gefunden«, entgegne ich strahlend. »Wie kann ich behilflich sein, Bruderherz? Was wünscht unser verehrter Erzeuger?«

»Keine Ahnung! Vielleicht will er dich zur Rede stellen, was du hier zu suchen hast«, presst er hervor.

Rafael ist zwei Jahre jünger als ich, doch niemand würde uns für Brüder halten. Er ist Feuer-Fae, hat die karminrote Haut und die purpurnen Haare meiner Stiefmutter geerbt. Ich komme nach unserem Vater mit seiner endlosen Ahnenreihe an Wasser-Fae mit dunkelblauem Teint und hellblauem Haar.

»Meine Anwesenheit auf diesem Ball ist lediglich eine vertragliche Verpflichtung«, sage ich in dem Erklärton, von dem ich genau weiß, dass Rafa ihn hasst wie die Pest. Schon als Kind konnte er es nicht ertragen, wenn ich ihm irgendetwas erklärt habe. Logisch, dass ich keine Gelegenheit dazu ausließ. »Wenn du dir die Mühe gemacht hättest, die Vertragsunterlagen zu lesen, wüsstest du das.«

Rafas Blick wird mörderisch und ich kann mein Grinsen nur mit Mühe unterdrücken.

Vor etwas mehr als zwei Jahren habe ich geschafft, was in Fae-Kreisen als unmöglich gilt. Ich habe mich rechtlich und finanziell von meiner Familie, dem einflussreichen Cane-Clan, eine der wichtigsten unter den Hohen Zehn Familien der Fae-Gemeinschaft, scheiden lassen. Wobei der korrekte juristische Terminus »Emanzipation« lautet, aber ich finde »Scheidung« hat den finalen Klang, den ich eigentlich anstrebe.

Meine Aktion ist ein nie dagewesener Skandal. Vater hat als Oberhaupt der Canes alle Hände voll zu tun, den Ruf der Familie zu retten. Das ist auch der einzige Grund, warum ich heute hier bin. In unserem Vertrag, den mein Erzeuger schließlich zähneknirschend und im Beisein diverser Anwälte unterschrieben hat, ist als einzige Bedingung vermerkt, dass ich der Familie für repräsentative Funktionen weiterhin zur Verfügung stehe. Auf expliziten Wunsch meiner Stiefmutter, die die Auswirkungen meines Weggangs irgendwie abzumildern versucht.

Dazu gehört auch, mich auf Bällen wie diesem blicken zu lassen, um der Fae-Öffentlichkeit zu zeigen, dass der Cane-Clan weiterhin zusammenhält. Blut ist dicker als Wasser und so weiter.

Abgesehen von dieser Klausel kann mir meine Familie allerdings gar nichts. Sowohl finanziell als auch rechtlich stehe ich auf eigenen Füßen – sehr zum Missvergnügen meiner Geschwister.

Rafa stürzt sich jetzt natürlich zuverlässig auf das rote Tuch, das ich ihm hinhalte.

»Warum sollte ich diesen Mist lesen?«, schnappt er. »Du bist doch nur hier, um meiner Demütigung beizuwohnen!«

Dabei zupft er an der Schärpe auf seinem Brustkorb, die sich blutrot von seinem schwarzen Smoking abhebt.

Wenn ich nicht wüsste, dass er ein eingebildeter Bastard ist, der mich nur zu gern bluten sehen würde, könnte er mir fast leidtun. Mein Bruder Rafael ist als Zweitgeborener der Ersatzmann der Familie. Da ich als Stammhalter nun wegfalle, muss er in die Bresche springen und in jeglicher Hinsicht meinen Platz einnehmen.

Ich gehe zur Bar, um meinen Drink aufzufüllen. »Deine Verlobung mit Lady Sarin soll eine Demütigung sein?«, entgegne ich und schraube den Gin auf. »Lass sie das bloß nicht hören, das könnte das Verhältnis zum Torell-Clan nachhaltig belasten.«

Ich ignoriere Rafas entrüstetes Schnauben und fülle konzentriert den Gin bis zum Eichstrich meines Glases. Schließlich wende ich mich um und proste ihm zu.

»Glaub mir, ich will genauso wenig hier sein wie du. Das geschieht alles nur auf Mutters Wunsch hin.«

»Sie ist nicht deine Mutter«, zischt Rafa. »Deine Mutter war erstens ein Dämon und zweitens ist sie tot.«

Das wieder. Meine Züge verhärten sich und zum ersten Mal, seit unsere Unterhaltung begann, grollt der monströse Schatten in mir drohend auf.

Ein Grund, warum ich so ungern mit meinem Bruder Zeit verbringe, ist seine Angewohnheit, mich daran zu erinnern, dass ich schuld am Tod meiner Mutter bin. Vater hat mit der Wiederheirat nicht lang gewartet, das Ergebnis war unter anderem Rafa. Der nie damit klarkam, dass sein großer Bruder ein Halbdämon ist, der die ach so reine Blutlinie der Canes verunreinigt. Seiner Ansicht nach bin ich nichts weiter als ein Monster.

Was Rafa nicht weiß und was niemand außer mir weiß – er hat absolut recht.

Der dunkle Schatten in mir grollt erneut bedrohlich auf, als Rafa zu einer weiteren Bemerkung ansetzt. Allerdings wird er durch die sich öffnende Tür unterbrochen.

»Ich hab doch gesagt, sie sind hier.« Meine Schwester Bethany klingt gelangweilt wie immer, als sie eintritt. »Zum Streiten gehen sie immer ins Billardzimmer.«

Hinter der kleinen Gestalt meiner Schwester tritt ein hochgewachsener Fae im dunklen Anzug durch die Tür. Ich spanne mich an, als Vaters Blick mich findet. Sein Gesicht ist hart und verkniffen und ich kann mich nicht erinnern, jemals einen Funken Wärme darin gesehen zu haben.

»Nathaniel«, sagt Caleb Thuridan Arwalior Cane mit einem Kopfnicken, das ich stumm erwidere. Mein Vater ist mittlerweile einen halben Kopf kleiner als ich, aber dennoch eine imposante Gestalt. Er sieht aus wie eine ältere Version von mir, nur dass sein blaues Haar langsam ergraut.

Meine Schwester Bethany steht stumm neben ihm, die Hände artig vor sich zusammengelegt. Sie sieht hübsch aus in ihrem hellen Ballkleid, das mit ihrer purpurnen Haut harmoniert. Alles an Beth wirkt perfekt, von ihrem kunstvollen Make-up bis zu ihrer Hochsteckfrisur. Sie wirft mir einen Blick zu, den ich nicht lesen kann. Sie ist die einzige in dieser Familie, der ich nicht an einem Pokertisch gegenübersitzen möchte.

»Wir haben nicht gestritten«, sagt Rafa trotzig und verschränkt die Arme vor der Brust. »Nate benimmt sich mal wieder absolut unmöglich.«

Vater bringt ihn mit einem Blick zum Schweigen und Rafa schaut wütend zu Boden.

»Was kann ich für dich tun, Vater?«, frage ich.

»Tanz um Mitternacht beim Großen Walzer mit«, sagt Vater ohne Umschweife. Ich unterdrücke ein Schnauben.

Der große Walzer findet um Mitternacht statt, der grauenhaft kitschige Höhepunkt dieser Veranstaltung. Sämtliche Verlobungspaare, die im Verlauf des Abends verkündet werden, und sämtliche Paare, die sich berufen fühlen, finden sich auf der Tanzfläche ein und beschließen mit einem rauschenden Walzer den Abend, bevor es endlich etwas zu essen gibt. Normalerweise sollte ich auch bei den verlobten Paaren sein, denn eigentlich bin ich schon seit Jahrzehnten der Tochter des Torell-Clans zur Ehe versprochen. Doch eher lasse ich mich ganzkörpertätowieren, bevor ich nach Vaters Pfeife diesen verdammten Walzer tanze. Die Zeiten sind vorbei.

»Es ist zum Wohl dieser Familie«, fügt Vater ungerührt hinzu, als wäre das ein Argument.

»Das steht nicht im Vertrag«, entgegne ich kühl.

Vaters linker Augenwinkel zuckt unmerklich. »Nathaniel. Schade der Familie nicht noch mehr, indem du dich benimmst wie ein trotziger Teenager.«

Rafa neben ihm funkelt mich triumphierend an. Ärger brodelt in mir hoch und mein dämonischer Schatten sträubt sein imaginäres Fell, während Vater und ich uns einige angespannter Sekunden anstarren.

»Ist das alles?«, frage ich schließlich.

»Das ist alles.« Vater wendet sich wieder ab, geht im Kopf bereits zum nächsten Tagesordnungspunkt über und wendet sich mit einem knappen Kopfnicken an seinen anderen Sohn. »Rafael, die Torells erwarten uns, bevor eure Verkündung beginnt.«

Rafas Miene verfinstert sich schlagartig, während Vater bereits zur Tür hinausgeht, ohne mich auch nur eines weiteren Blickes zu würdigen.

»Wären die Umstände anders, würde ich dich herausfordern«, zischt mein Bruder mir im Hinausgehen zu.

»Und ich würde dich wie immer besiegen, Bruderherz«, erwidere ich zuckersüß und winke ihm mit meiner rechten Hand zu, die in einem schwarzen Lederhandschuh steckt.

»Nenn mich nicht Bruderherz, du verkrüppelter Bastard!«, faucht er, bevor auch er verschwindet.

»Musst du ihn immer provozieren?«, fragt Beth gedehnt, kaum dass die Tür hinter ihnen zugefallen ist.

»Den verkrüppelten Bastard hätte er sich schenken können«, entgegne ich und betrachte meine rechte Hand und das schwarze Leder, das meine Finger umschließt. Darunter verborgen sind magische Finger aus Nifrith-Silber, drei meiner eigenen habe ich bei dem Unfall vor ein paar Jahren verloren.

Beth schnaubt und zieht aus dem Nichts einen silbernen Vaper hervor, nimmt einen Zug und pustet mir eine dichte, weiße Dampfwolke entgegen, die nach Apfel und Kaugummi riecht.

»Du weißt schon, dass das ungesund ist?«, frage ich und hebe eine Augenbraue. Beth erwidert meinen Blick ungerührt. Meine kleine Schwester mit dem perfekten Äußeren und dem perfekten Leben hat es doch tatsächlich fertiggebracht, mich zu überraschen.

»Du musst gerade reden. Du hast früher gekifft ohne Ende«, sagt sie.

Ich grinse. »Früher?«

Sie schmunzelt, zieht wieder an ihrem Mundstück. »Rafa ist seit Wochen auf dem Kriegspfad. Ich an deiner Stelle würde sehr vorsichtig sein. Er wartet nur auf eine Gelegenheit, dich fertigzumachen.«

»Das klingt nach einem Rafa-Problem«, entgegne ich. Und tatsächlich mache ich mir wenig Sorgen. Rafa mag toben, bis er violett anläuft, er kann mir gar nichts. Meine Trennung von der Familie ist absolut wasserdicht. Rafa weiß das. Und er hasst es.

Beth zieht nun ebenfalls eine Augenbraue hoch und pustet mehr Dampf aus. »Wäre es so schlimm, später den Großen Walzer zu tanzen?«

»Sag du es mir. Du hast letztes Jahr dort getanzt, als deine Verlobung verkündet wurde.«

Ihr perfektes Gesicht bleibt unbewegt.

Bethany hat ihre Pflicht für die Familie bereits erfüllt, ihm Gegensatz zu mir. Sie wurde im vergangenen Jahr auf diesem Ball mit einem schnöseligen Fae-Lord verlobt. Im Herbst haben sie geheiratet. Der funkelnde Diamantring an ihrem Finger zeugt von der Hochpreisigkeit der Transaktion. Keine Ahnung, ob es sie stört, dass Vater sie als politisches Pfand an den Höchstbietenden verschachert hat. Doch sie hat wie gesagt das bessere Poker-Face in dieser Familie.

»Tanz einfach mit einer der Höheren Töchter«, sagt sie. »Geh den diplomatischen Weg und alle sind happy.«

»Vielen Dank, nein«, entgegne ich. Wenn ich Vater diesen Gefallen tue, werden nur weitere folgen.

Beth zuckt mit den Schultern, als ich an ihr vorbei zur Tür hinaustrete und sie grußlos hinter mir schließe. Ich bleibe für einen Moment stehen, bevor ich den langen Flur hinabgehe mit einem bestimmten Ziel im Kopf. Bevor ich mich ins Vergnügen stürze und mich im Goldenen Saal blicken lasse, muss ich noch etwas Kraft tanken.

Hier im zweiten Stockwerk befinden sich die Privatgemächer der Familie. Der Ball beschränkt sich auf die unteren beiden Ebenen des Cane-Anwesens und hier oben ist es leer und ruhig. Von Fern dringen die Klänge des Orchesters und das gedämpfte Summen des Balls an meine Ohren. Der dichte, purpurne Teppich dämpft meine Schritte wie gefallener Schnee.

Den Abend hätte ich gern anders verbracht, zum Beispiel bei meinem besten Kumpel Colin auf dem Sofa, um ein paar Runden Jupiter Attacks auf der PlayStation zu zocken und Pizza zu mampfen. Oder aber im Phantom Club am Blackjack-Tisch. Oder von mir aus zu Hause in meiner sehr leeren Wohnung. Aber Vertrag ist nun mal Vertrag und so halte ich mich zähneknirschend an meinen Teil der Vereinbarung.

Ich bin froh, dass die Familienbibliothek leer ist, als ich eintrete. Schnell ziehe ich die Tür hinter mir zu, öffne das Fenster und zücke den Spliff, den ich für alle Fälle eingepackt habe, aus der Innentasche meiner Anzugjacke. Schneidend kalte Nachtluft schlägt mir entgegen, als ich mich hinauslehne.

Den Spliff zwischen die Zähne geklemmt angele ich mein Feuerzeug aus meiner Jackentasche, als ich ein Geräusch höre.

Ein Klappern. Dann ein unterdrücktes Fluchen. Ich blicke mich um, doch die Bibliothek hinter mir liegt nach wie vor leer und stumm da. Das Geräusch kommt von draußen.

Genauer gesagt von einem Stockwerk tiefer.

Blinzelnd schaue ich das Mauerwerk des Anwesens hinab. Schräg unter mir auf einem Balkon steht eine junge Frau in einem Ballkleid. Ihr pinkfarbenes Haar sticht durch die Finsternis hindurch in meine Augen wie ein fluoreszierendes Verkehrszeichen. Erneut flucht sie sehr unladylike und rüttelt dabei an der Balkontür, die offensichtlich nicht aufgeht.

Mein Mundwinkel zuckt. Eine Hohe Fae-Tochter hat sich anscheinend beim Rauchen ausgesperrt. Es wäre fast amüsant, wenn es nicht so verdammt kalt wäre.

»Hey«, rufe ich zu ihr herunter. Sie fährt heftig zusammen und wirbelt herum. Selbst auf die Entfernung erkenne ich, dass sie erschrocken die Augen aufreißt und mich anstarrt wie ein Reh einen heranrasenden LKW.

»Äh …«, bringt sie hervor.

»Alles okay da unten?«, frage ich.

»Ja, alles prima!«, entgegnet sie so hastig, dass ich die Stirn runzele.

»Sieht eher so aus, als hättest du dich ausgesperrt.«

»Ach, echt?«, fragt sie mit einem nervösen Lächeln, das eine Spur zu breit wirkt.

Ich lehne mich ein Stückchen weiter aus dem Fenster und nehme sie in Augenschein. Sie ist klein und zierlich und ihre pinken, schulterlangen Haare scheinen in der Dunkelheit zu schimmern. Sie kommt mir überhaupt nicht bekannt vor. Ich durchforste mein mentales Archiv nach den Mitgliedern der Fae-Familien, die heute Abend auf dem Ball sind. Kein Treffer.

Wer ist sie?

»Soll ich dir helfen, wieder reinzukommen?«

»Nicht nötig.« Ihre Antwort kommt schon wieder eine Spur zu schnell und spätestens jetzt ist klar, dass sie etwas zu verbergen hat.

Interessant. Dennoch macht sich Besorgnis in mir breit, denn der Wind ist wirklich kalt.

»Sicher?«

»Ich komm schon klar.«

»Es sind minus zwei Grad«, entgegne ich. Wie lang mag sie schon da draußen stehen? Sie hat nur ihre dünne Ballrobe an. Ich werde jedenfalls nicht zulassen, dass sie sich eine Lungenentzündung einfängt.

Ich stecke den Spliff und mein Feuerzeug wieder ein. »Ich bin sofort unten.«

»Das ist wirklich nicht notwendig …«, piepst sie, doch ich schließe schon das Fenster und mache mich mit schnellen Schritten auf den Weg ein Stockwerk tiefer.

Zielsicher finde ich den Blauen Salon, das kleine Kaminzimmer ein bisschen abseits des ganzen Balltrubels. Hier hat sich meine Mutter zu ihren Lebzeiten gerne aufgehalten, zumindest wenn man den wenigen Stories, die Vater von früher erzählt, auch nur das kleinste bisschen Glauben schenken mag.

Hinter dem Glas der geschwungenen Balkontüren erkenne ich die kleine Gestalt der jungen Frau. Sie rüttelt gerade wieder heftig am Türgriff, stoppt aber abrupt, als sie mich erblickt, und tritt einen Schritt von der Tür zurück.

Ihr Blick trifft mich unvorbereitet. Zwei weit aufgerissene, bernsteinfarbene Augen. Ich muss blinzeln, so überrascht bin ich, fange mich aber wieder.

»Hat das Schloss sich verklemmt?«, frage ich durch das Glas. Sie weicht meinem Blick aus, zuckt die Schultern. Wieder runzele ich die Stirn. Keine Ahnung, was hier los ist, aber ich hole sie lieber schnell hinein ins Warme. Ich ergreife den Türgriff und rüttele probehalber.

Er gibt keinen Millimeter nach. Es fühlt sich an, als hätte sich das Metall verzogen, als ich vorsichtig am Griff ziehe und das Schloss begutachte, das anscheinend das letzte Mal vor zwanzig Jahren ausgetauscht worden ist. Verdammtes altes Gebäude!

Ich rüttele noch eine halbe Minute erfolglos am Griff, ohne ein anderes Ergebnis zu produzieren. Ich werfe mich ein, zwei Mal mit der Schulter dagegen, doch das Schloss gibt nicht nach.

Die junge Frau draußen auf dem Balkon hat derweil fröstelnd ihre Arme um ihren Oberkörper geschlungen. Mein Blick verfinstert sich. Von wegen, alles in Ordnung.

Entschlossen trete ich von der Balkontür weg und öffne das Fenster links vom Balkon. Wieder strecke ich meinen Kopf hinaus in die kalte Nachtluft.

Die Frau auf dem Balkon sieht mich überrascht an.

»Hey«, sage ich wieder.

»Hey«, sagt sie mit aufeinanderschlagenden Zähnen. Verdammt, wie lange ist sie schon hier draußen?

»Sieht nicht so aus, als würde ich die Tür aufbekommen«, sage ich. »Ich muss Hilfe holen.«

»Nein!«, sagt sie heftig, tritt einen Schritt vor und hält sich am Geländer fest. Dann schaut sie verschämt zu Boden. »Ich meine … das ist nicht nötig.«

»Hör mal, ohne Hilfe bekommen wir die Tür nicht auf«, sage ich. »Ich werde den Haushofmeister holen, dann haben wir dich in Nullkommanichts wieder drin im Warmen.«

»Bitte nicht«, sagt sie und ich stutze erneut. Sie weicht meinem Blick schon wieder aus. Etwas Schuldbewusstes flackert darin auf. Als hätte ich sie bei etwas Unerlaubtem ertappt.

Mein Mundwinkel zuckt hoch.

Eines ist klar. Wer immer diese Frau ist, sie ist auf keinen Fall eine der Hohen Töchter und hat alles, bloß keine Einladung zu diesem Ball.

Äußerst interessant.

Kapitel3

Sugar

Verdammt, ich bin so was von aufgeflogen.

Der dunkelblaue Fae, der sich neben mir aus dem hohen, geschwungenen Fenster in die Nachtluft lehnt und mich mit gerunzelter Stirn mustert, hat definitiv Verdacht geschöpft. Jetzt muss ich hier noch dringender verschwinden als ohnehin schon.

Wie praktisch, dass er mir versehentlich einen Fluchtweg freigemacht hat. Ich scanne das Fenster, den weiß verputzten Fenstersims und die etwa dreißig Zentimeter breite Zierkante, die vom Balkon an der Hauswand entlang hinüber zum Fenster führt.

Das kann ich schaffen. Mein Plan ist mehr als riskant, aber besser, als erwischt zu werden. Drei Jahre Gymnastik-Team an der High School, sieben Jahre Yogapraxis und die ganzen Wochenenden in der Kletterhalle kommen mir jetzt endlich zugute. Kurz entschlossen gehe ich in die Hocke, raffe meinen ausladenden Rock hoch und löse die Schnallen meiner Pumps.

Er atmet hörbar ein. »Was hast du vor?«

Als ich seinen überraschten Blick auffange, wird mir klar, dass ich ihm gerade meine Beine präsentiere. Mir steigt unwillkürlich die Hitze in die Wangen, doch ich zwinge mich, es zu ignorieren. Ich muss dringend von hier verschwinden und wenn dieser irritierend gutaussehende Fae von ein bisschen nackter Haut abgelenkt ist, umso besser. Entschlossen schlüpfe ich aus meinen Schuhen, halte meinen Rock gerafft und richte mich wieder auf.

»Fang!« Ich werfe ihm meine Schuhe zu. Er fängt sie ungeschickt auf.

»Du hast nicht vor, was ich denke, oder?«, fragt er noch, da klettere ich bereits mehr oder weniger elegant über das schmiedeeiserne Balkongeländer.

»Wonach sieht’s denn aus?«, frage ich und sehe um Himmels Willen nicht nach unten, als ich meine nackten Fersen auf der Außenkante der Balkonplatte ansetze. Okay, das ist doch ziemlich hoch. Der kalte Wind zerrt mit einem Ruck an meinem Kleid, die Welt scheint plötzlich zu schwanken und ich kralle mich am Geländer in meinem Rücken fest.

»Als wolltest du hier rüberklettern«, sagt der Fae hektisch. »Davon rate ich dringend ab. Lass mich lieber Hilfe holen.«

»So geht es schneller.« Ich klinge sehr viel cooler, als ich mich fühle. Adrenalin pumpt durch mein Blut und mein Herz schlägt mir bis zum Hals. Nur nicht daran denken, dass mich lediglich fünfzehn Meter freier Fall von einem akkurat gepflegten Blumenbeet trennen.

Was machst du denn da?, quietscht mein Schulterengel. Der Arme muss heute Abend Überstunden machen, denn ich tue hier Dinge, an die ich normalerweise nicht mal im Traum denke. Wie auf einem Ball einzubrechen. Vor meinem Fremden meine Röcke zu raffen. Oder eine spontane Freeclimbing-Nummer in einem umständlichen Ballkleid. Das bin absolut nicht ich. Die Sugar, die alle kennen, tut niemals etwas Unüberlegtes, ist immer pünktlich in ihren Vorlesungen, hält ihr Sportprogramm ein, isst gesund und geht früh schlafen.

Sugar geht niemals ein Risiko ein.

Doch außergewöhnliche Situationen erfordern außergewöhnliche Maßnahmen.

»So bist du auf jeden Fall schneller unten«, sagt der Fae mit mehr als einer Portion Besorgnis in der Stimme.

Ich blende ihn aus und stoße mich mit dem linken Fuß vom Balkonsims ab. Er flucht, als ich nach vorne schnelle. Blitzschnell klammere ich mich mit der rechten Hand am Geländer fest und bekomme mit der freien linken Hand die steinerne Kante des Fensterrahmens zu fassen. Mein linker Fuß landet sicher auf dem steinernen Vorsprung. Wie eine Spinne hänge ich zwischen dem Balkon und der Hauswand, während mein Rock im Wind flattert wie ein Segel.

Im nächsten Moment packt mich etwas am Handgelenk – eine große, in einen Lederhandschuh eingehüllte Hand – und ich schreie überrascht auf.

»Vorsichtig«, zischt der Fae am Fenster und ich schlucke meine Überraschung mühsam herunter. Mit dem zusätzlichen Halt seiner Hand wage ich es, meinen rechten Fuß ebenfalls auf den Vorsprung zu ziehen. An die Hauswand gepresst, taste ich mich mit winzigen Schritten seitwärts zum Fenster.

Tatsächlich sind es wohl nur Sekunden, bevor ich das Fenster erreiche, aber sie fühlen sich definitiv länger an. Ich atme schon auf und mache den finalen Schritt in Richtung Fenster, als eine Windbö meinen Rock aufbauscht. Ich rutsche auf dem Vorsprung ab, verliere den Halt, keuche entsetzt auf, als die Schwerkraft mich gnadenlos nach hinten zieht.

Eine weitere Hand packt mich an der Hüfte und zerrt mich mit einem Ruck vorwärts. Mit einem gedämpften Schrei falle ich ins Fenster hinein.

Keuchend lande ich auf etwas Warmen und überraschend Hartem. Für einen Moment sehe ich Sterne. Erneut flucht jemand. Meine Maske rutscht mir vom Gesicht und alles, was ich sehe, ist ein Gewirr aus meinen eigenen pinken Haaren und dem raschelnden Stoff meines Ballkleides.

Als ich wieder etwas erkennen kann, befinde ich mich im Kaminzimmer auf dem altmodischen Perserteppich. Allerdings bin ich wie eine abgestürzte Taube mitten auf die breite Brust meines Retters gefallen. Er hat seine Arme um mich geschlungen, sodass wir in einer innigen Umarmung auf dem Boden liegen.

»Shit! Sorry!«, stoße ich hervor und versuche mich aufzurichten, als er aufschaut und mich sein goldener Blick trifft.

Die Zeit hält an.

Alle Geräusche verstummen, alle Uhren halten einen Schlag inne, als ich in einem Paar goldener Augen versinke, die mich mit einer Mischung aus Überraschung und Erstaunen anschauen.

Wow, was für Augen! Wie geschmolzener Sonnenschein.

»Alles okay?«, fragt er und seine tiefe Stimme vibriert in seinem Brustkorb gegen mich. Gänsehaut, die nicht von der Kälte stammt, läuft meinen Rücken hinab und für einen Moment vergesse ich, wie man wieder einatmet.

Ich nicke, unfähig mich zu rühren. Er scheint in derselben Trance gefangen zu sein, denn noch immer hält er mich in seinen Armen, halb auf sich drauf liegend, und starrt mich an, als hätte er gerade unverhofft einen Schatz gefunden.

Er sieht auch noch echt gut aus. Aus der Nähe sind seine Augenbrauen dicht und geschwungen, seine Gesichtszüge fein, fast katzenhaft und auf eine lässige Art gutaussehend. Die feinen, spitzen Ohren fallen mir auf. Seine Haut ist dunkelblau, sein dichtes und etwas verwuscheltes Haar hat einen helleren Ton. Er muss Wasser-Fae sein …

Fae …

Mir fällt dumpf wieder ein, dass ich ein Mensch auf einem Fae-Ball bin und dringend von hier verschwinden sollte. Aber ich bin wie gelähmt, kann weder wegsehen noch mich rühren.

Dann blinzelt er und seine Augen werden schmal.

»Du bist ja eiskalt.«

Jetzt, wo er es sagt, merke ich es. Mein ganzer Körper schmerzt von der beißenden Kälte, der ich auf dem Balkon ausgesetzt war. Meine Arme und Hände fühlen sich taub an und ein leichtes, aber deutliches Zittern lässt meine Schultern beben und meine Zähne aufeinanderschlagen.

Abrupt erhebt er sich, zieht mich mit sich auf die Füße und ich kann nicht mal blinzeln, da werde ich schon in den großen Ohrensessel neben dem Kamin gesetzt und er windet sich vor mir aus seiner Anzugjacke.

»Wir müssen dich warm kriegen.«

»Was …!?«, piepse ich und verstumme sofort wieder, als er mir mit einem sanften Schwung seine Jacke um die Schultern legt. Eine Wolke aus Wärme und männlichem Duft umfängt mich und ich weiß plötzlich nicht, ob mir noch kalt ist, oder ob ich von innen verbrenne.

»Wie lang warst du da draußen?«, fragt er mit einer leichten Schärfe in der Stimme. Seine goldenen Augen halten meinen Blick gefangen. Ich schlucke trocken, während ich ungeschickt mit meinen eiskalten Armen in die viel zu großen Ärmel seiner Jacke schlüpfe.

»Keine Ahnung«, antworte ich leise und wahrheitsgemäß und versuche den angenehmen Duft zu ignorieren, der mich mit seiner Jacke einhüllt wie eine warme Decke. Ich rieche Seife. Frische Wäsche? Irgendein Rasierwasser. Und noch etwas, das ich nicht definieren kann, in das ich mich aber hineinkuscheln möchte wie eine Katze in Katzenminze. »Vielleicht eine halbe Stunde. Vielleicht mehr …«

Ich verstumme erneut, als er beginnt, mit seinen großen Händen meine Arme auf und ab zu fahren. Wahrscheinlich ist sein Plan, mich warm zu rubbeln. Und es funktioniert, mir wird sehr warm. Allerdings aus einem anderen Grund.

Er kniet vor mir auf dem Boden, dennoch muss ich zu ihm aufsehen. Sein breiter Körper schließt mich ein, während seine Handflächen langsam meine Arme hinauf- und hinabgleiten. Der Stoff seiner Anzugjacke raschelt auf meiner Haut und eine plötzliche Wärme wallt in mir hoch, breitet sich von meiner Brust bis in meine Haarspitzen aus.

Schließlich stoppt er in seiner Bewegung. Sein Blick jedoch ruht noch immer mit einer Intensität auf mir, als würde er mir direkt in die Seele blicken. Mein Atem stockt, gleichzeitig trommelt mein Herz wie verrückt gegen meinen Brustkorb. Wie hypnotisiert starre ich zurück und so reagiere ich zu spät, als er eine Strähne meiner pinken Haare hinter mein Ohr streicht.

»Huh«, murmelt er. »Ich wusste es.«

Ich zucke von ihm weg und meine Haarsträhne gleitet von seinen Fingern. Mist! Ich habe bei meinem Sprung durchs Fenster meine Maske verloren. Die Maske, die unter anderem meine Ohren bedeckt hat.

»Was wusstest du?«, flüstere ich.

»Dass du was zu verbergen hast«, entgegnet er mit einem schiefen Lächeln und klingt viel zu fröhlich dabei. Erneut streicht er meine Haare hinter mein sehr rundes und menschliches Ohr, das nicht einmal ansatzweise als Fae-Ohr durchgeht. Dabei streifen seine Fingerkuppen meine Haut. Eine wahre Kaskade an Gänsehaut rollt meinen Rücken hinab und alle kleinen Haare in meinem Nacken stellen sich aufrecht.

Ich erwidere seinen Blick trotzig. Ich sollte abhauen, doch ich bin noch immer benommen von meinem Stunt am Fenster und der Biss der Kälte weicht nur langsam aus meinen Gliedern. Und er ist mir so nah, dass mir schwindelig wird. Wegrennen ist aktuell keine Option.

Der Fae erhebt sich und geht zwei Schritte zum Kamin, zieht an einer Kordel, die daneben von der Decke hängt. Na super, jetzt ruft er die Security. Wenn ich Glück habe, eskortieren sie mich nur vom Gelände. Mit Pech bringen sie mich gleich zur Polizei … Doch nur Momente später öffnet sich die Tür leise und ein Butler schiebt sich in den Raum.

»Bringen Sie uns bitte einen Tee, Johann«, sagt der Fae.

»Sehr wohl, Sir.«

Der Butler verschwindet. Der Fae und ich sind wieder allein im Kaminzimmer.

»Tee?« Ich blinzele verwundert, während er mit gemächlichen Schritten wieder auf mich zukommt, sich dieses Mal aber auf dem Sofa neben dem Sessel niederlässt. Ich bin fast enttäuscht.

Er nickt. »Wärmt von innen, hab ich mir sagen lassen.«

Ich ziehe seine Anzugjacke enger um mich und mustere ihn stirnrunzelnd. Warum schlägt er nicht Alarm? Immerhin hat er gerade einen Menschen in seinem heiligen Salon entdeckt.

Musik aus, Licht an, niemand bewegt sich! Ein Mensch ist unter uns! Zu den Waffen! Oder so ähnlich.

Stattdessen erwidert er meinen Blick neugierig, fast amüsiert.

»Deshalb wolltest du nicht, dass ich Hilfe hole.« Keine Frage, lediglich eine Feststellung. Als hätte er mich durchschaut. Da es sinnlos ist, zu widersprechen, nicke ich nur.

»Und du hattest wahrscheinlich vor, davonzulaufen, sobald du wieder im Haus bist, richtig?« Er legt den Kopf leicht schief. »Meine Überraschung ausnutzen und verschwinden, bevor dich jemand erkennt.«

Okay, vielleicht wartet er lediglich noch ein bisschen ab, bevor er mich von den Security-Trollen abholen lässt. Vielleicht spielt er auch einfach gern mit seiner Beute, bevor er sie erledigt.

»Bitte verrate mich nicht«, bringe ich leise hervor, woraufhin er schmunzelt.

»Gerade bin ich eher daran interessiert, wie du hier überhaupt reingekommen bist«, sagt er. »Die Gästeliste ist exklusiver als die für die Oscar-Verleihung. Wie hast du das hinbekommen?«

Ich ziehe seine Jacke noch enger um mich. »Das kann ich nicht sagen.«

Wenn ich es ihm sage, führt die Spur direkt zu Flynn. Und das kann ich nicht zulassen. Nur weil ich blöd genug war, mich erwischen zu lassen, muss Flynn nicht darunter leiden. Wenn er wirklich mit Adam heimgefahren ist, wird er ohnehin bald genug Ärger am Hals haben.

»Geheime Mission also?« Der Fae lacht leise. »Oder bist du hier, um dir die Fae-Prominenz aus der Nähe anzugucken? Bist du so was wie ein Fangirl?«

Ich ertappe mich dabei, wie ich auf seinen Mund starre, auf dieses schiefe Lächeln voller Belustigung, das ein seltsames Flattern in meinem Bauch auslöst.

Ich bereue meine Antwort, noch bevor ich sie ausspreche. »Es war einfach immer mein Traum, einmal in meinem Leben auf einem Fae-Ball zu sein.«

Das ist nicht mal gelogen. Und mag auch daran liegen, dass irgendwo in meiner Ahnenreihe eine Fae-Verwandte existieren muss, von der ich meine Stimmungshaare geerbt habe – die nutzloseste magische Fähigkeit ever.

Ich bin nicht unbedingt stolz darauf, aber Fae-Hochzeiten und sämtliche High-Society-Events haben auf mich schon immer eine starke Faszination ausgeübt. Wann immer ein Fae-Lord heiratet, sitze ich vor dem Fernseher und ziehe mir die Zeremonie rein und auch sonst alles, was mit Fae-Hochzeiten zu tun hat. Die beste davon ist allerdings nicht echt, sondern fiktional. In der fünften Staffel meiner Lieblingsserie Orangen der Leidenschaft heiratet Ernestine Greenleaf den reichen Fae-Erben Elendor Thúrien III. in einer opulenten Zeremonie, gegen den ausdrücklichen Wunsch ihrer Familien. Ich habe diese Folge mittlerweile so oft gesehen, dass ich sie auswendig mitsprechen kann und bekomme jedes Mal feuchte Augen, wenn Ernestine in ihrem wunderschönen weißen Kleid zum Altar hinabschreitet, wo lächelnd ihr Fae-Prinz auf sie wartet und sie zur Frau nimmt – nach fünf Staffeln Drama, Trennungen und komplett irren Wendungen bekommen sie endlich ihr Happy End.

Doch auch das ist nichts, was man verstörend gutaussehenden Fae-Typen in einem verlassenen Kaminzimmer erzählt, nachdem sie einen in luftiger Höhe davor gerettet haben, ein Eiszapfen zu werden.

Er lehnt sich vor, stützt die Ellbogen seiner langen Arme auf seine Knie und mustert mich erneut mit gutmütiger Belustigung.

»Und da suchst du dir ausgerechnet diesen Ball aus?«, fragt er. »Den schlimmsten von allen?«

»Den schlimmsten?« Jetzt bin ich diejenige, die leise auflacht. Er grinst noch breiter. Verdammt, jetzt hat er auch noch ein Grübchen!

»Ich war auf einer Menge Fae-Bälle und glaub mir, dieser hier toppt alles. Man verpasst nichts, wenn man einen großen Bogen um ihn macht.«

Ich bin nicht überrascht. Ein Spross der Hohen Zehn langweilt sich auf High-Society-Events wie diesem garantiert zu Tode. Er wuchs nicht wie ich in Armut auf und hat den Luxus, die Opulenz, die auf diesem Ball aus jeder Ecke des Gebäudes quillt, langweilig zu finden. Doch ich beiße mir auf die Zunge. Eine bissige Bemerkung wird meine Situation wahrscheinlich nicht verbessern.

In diesem Moment öffnet sich die Tür und der Butler erscheint mit einem Tablett mit einer Teekanne und einem feinen Porzellanservice. Er stellt es wortlos auf den kleinen Tisch neben dem Sofa, verneigt sich und verschwindet wieder. Kaum klappt die Tür hinter ihm zu, beginnt der Fae, Tee einzuschenken.

»Wie trinkst du ihn? Milch und Zucker?«

»Nichts davon«, murmele ich, verwirrt über die Absurdität der Situation. Er reicht mir eine feine, weiße Porzellantasse auf einer noch feineren Untertasse und einen kleinen, silbernen Löffel. Der kräftige Duft von einem ausgezeichneten Assam-Tee steigt mir in die Nase. Wie ferngesteuert trinke ich einen Schluck und mir wird sofort etwas wärmer.

»Macht man das so in Fae-Kreisen?«, frage ich, als er wieder auf dem Sofa Platz nimmt und seinerseits an seiner Tasse nippt. »Serviert ihr allen Einbrechern Tee?«

»Nur den hübschen«, erwidert er und seine Mundwinkel zucken, denn natürlich schießt mir sichtbare Hitze in die Wangen.

Das ist wieder typisch Anna-Rose Blacksmith. Ein winziges Kompliment reicht aus und meine Coolness bröckelt dahin. Das flattrige Gefühl in meiner Brust flattert munter weiter und ich versuche es mit einem weiteren Schluck Tee zu ersticken.

»Aber mal ernsthaft, was genau machst du hier?«, fragt der Fae etwas ernsthafter und ich spanne mich an.

»Ich wollte wirklich nur gucken«, entgegne ich und setze meine Tasse so ruhig wie möglich auf die Untertasse in meiner Hand. »Ich störe auch niemanden und wäre spätestens nach Mitternacht von hier verschwunden. Nach dem Großen Walzer.«

Er blickt mich prüfend an, als hätte er nur am Klang meiner Stimme erkannt, wie gerne ich diesen Walzer in echt gesehen hätte. Das Rascheln der wirbelnden Ballkleider. Die klangvolle Musik des Orchesters. Der Hauch von Magie, der in der Luft liegt, wenn die Schönsten der Fae-Gesellschaft den Frühling herbeitanzen. Anscheinend steht mir meine lächerliche Sehnsucht darüber deutlich auf der Stirn geschrieben.

»Deswegen bist du hier?« Er hebt eine sehr skeptische Augenbraue. So eindringlich wie er mich ansieht mit diesen umwerfenden goldenen Augen bin ich mir plötzlich nicht sicher, ob ich nicht vielleicht doch noch alles ausplaudere und Flynn und Adam auffliegen lasse. Doch dann lehnt er sich zurück und trinkt einen Schluck Tee.

»Keine Sorge, ich werde dich nicht verraten.«

»Wirklich?« Ich blinzele.

»Aber du könntest mir ein wenig helfen.« Er lächelt hinter seiner Teetasse.

»Wobei denn?« Ich lasse die Teetasse auf meine Knie sinken. Dabei rutscht mir seine Jacke ein wenig von den Schultern und ich zupfe sie hastig wieder zurecht.

»Mein Vater erwartet, dass ich mit einigen hochwohlgeborenen Ladies auf dem Ball tanze. Etwas worauf ich absolut keine Lust verspüre«, sagt er. »Wenn du für ein paar Stunden an meiner Seite bleibst, schlagen wir zwei Fliegen mit einer Klappe. Du kannst dir den Ball in Ruhe ansehen, ohne Gefahr zu laufen, doch noch als Mensch enttarnt zu werden.«

»Und du müsstest nicht tanzen?«, frage ich.

»Bingo.« Er lächelt mich strahlend an und ich muss schnell einen Schluck Tee trinken, denn sein Lächeln ist wieder absolut umwerfend. »Du spielst mein Date und hältst mir die Ladies vom Hals.«

Ich mustere ihn hinter meiner Teetasse. Er trägt keine rote Schärpe, wird heute Abend also nicht offiziell verlobt. Dabei müsste er mindestens Ende zwanzig sein, also weit über das übliche Heiratsalter der Fae hinaus. Wenn er zu einer der Hohen Familien gehört, müsste er doch längst irgendeiner Fae-Prinzessin versprochen sein. Arrangierte Ehen, die in Kindertagen beschlossen werden, sind in diesen Kreisen absolut keine Seltenheit. Dennoch sehe ich auch keinen Ring an seinem Finger aufblitzen …

Auf gar keinen Fall!, flüstert mein Schulterengel vehement. Schlag dir das gleich wieder aus dem Kopf, Anna-Rose.

Doch in mir meldet sich eine weitere Stimme. Eine teuflisch gut gelaunte Stimme, die verführerisch raunt: Warum nicht, Anna-Rose? Er ist offensichtlich Single …

Ich zögere. Ich würde wirklich gern den Walzer sehen. Und aus einem Grund, den ich nicht genau benennen kann, weiß ich, dass ich dem dunkelblauen Fae, der mir teetrinkend gegenübersitzt, vertrauen kann. Er wird mich nicht auffliegen lassen. Ich weiß nicht wieso, aber ich fühle mich sicher in seiner Gegenwart. Auch wenn meinem Schulterengel vor Aufregung beinahe der Miniatur-Kopf platzt.

Auf gar keinen Fall verliebst du dich in diesen Typen! Bild dir bloß nichts ein! Du weißt, wie so was endet!

»Wenn das alles ist«, sage ich und stelle meine leere Teetasse ab.