Besser Krebs als Liebeskummer - Ann-Marie Elkoven - E-Book

Besser Krebs als Liebeskummer E-Book

Ann-Marie Elkoven

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Beschreibung

Die plötzliche Erkrankung an Brustkrebs und dessen Behandlung geben der Autorin einen Einstieg, sozusagen einen Startpunkt, um über ihr Leben zu reflektieren. Dies geschieht in einem Tagebuch. Den Schreckensbildern, die diese Diagnose hervorruft, begegnet sie mit einer bewusst pragmatischen Haltung. Sie will einfach weiterhin ihr Leben leben mit Aktivitäten und Kontakten - soweit dies eben geht. Im Verlauf der Behandlung beobachtet und reflektiert sie diese und beschreibt dabei ihre Empfindungen, Gefühle, Ängste, als auch ihr übergeordnetes Lebensthema: die Suche nach Liebe. Dabei überdenkt sie ihr Leben, ihre familiären Beziehungen, Freundschaften und ihre "Lieben". Sie überwindet den Krebs und geht gestärkt aus dieser Phase ihres Lebens. Keinesfalls ist sie Opfer.

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Besser Krebs als Liebeskummer

Ann-Marie Elkoven

Das Buch:

Die plötzliche Erkrankung an Brustkrebs und dessen Behandlung geben der Autorin einen Einstieg, sozusagen einen Startpunkt, um über ihr Leben zu reflektieren. Dies geschieht in einem Tagebuch. Den Schreckensbildern, die diese Diagnose hervorruft, begegnet sie mit einer bewusst pragmatischen Haltung. Sie will einfach weiterhin ihr Leben leben mit Aktivitäten und Kontakten - soweit dies eben geht.

Im Verlauf der Behandlung beobachtet und reflektiert sie diese und beschreibt dabei ihre Empfindungen, Gefühle, Ängste, als auch ihr übergeordnetes Lebensthema: die Suche nach Liebe. Dabei überdenkt sie ihr Leben, ihre familiären Beziehungen, Freundschaften und ihre "Lieben". Sie überwindet den Krebs und geht gestärkt aus dieser Phase ihres Lebens. Keinesfalls ist sie Opfer.

Die Autorin:

1958 in Arnsberg geboren, zieht sie nach Scheidung und erneuter Heirat ihrer Mutter mit sechs Jahren in eine Kleinstadt am Niederrhein. Mit 16 Jahren verlässt sie diesen Ort und irrt für einige Jahre ohne dauerhaft festen Wohnsitz und nur mit gelegentlichen Aushilfsjobs durch die Welt.

Sie lebt auf Kreta am Strand, in Amsterdam und London in besetzten Häusern und für ein Jahr in Neuseeland. Nach dieser harten Schule im Kampf ums Überleben entscheidet sie danach eine Ausbildung zu machen. 1988 beendet sie das Studium der Sozialpädagogik mit Diplom. Danach zieht es sie wieder hinaus in die Welt und in Israel lernt sie ihren späteren Ehemann kennen, mit dem sie zwei (mittlerweile erwachsene) Söhne hat. Die Ehe funktioniert nicht und wird geschieden.

Das Nicht-Gelingen von Liebesbeziehungen durchzieht wie ein Muster ihr Leben und brachte sie oft zur Verzweiflung. Zusammen mit der Therapie der Krebserkrankung kommt sie gestärkt zu einer neuen Haltung in ihrem Leben.

Inhaltsverzeichnis

Diagnosefindung «Krebs»Vorbereitungen zur KrebsbehandlungChemo-TherapieAuch das noch - CoronaZurück zu den Wurzeln der Kernfamilie - die IsraelreiseBrust-OperationBehandlungspause - Vorbereitung der BestrahlungBestrahlungReha-MaßnahmeNachspüren - Neu-Orientierung

Diagnosefindung «Krebs»

März 22

Wie fange ich diese Geschichte an... mit einem Tag im März 2022. Der Tag fängt an mit der Bewegung meiner Hand zu meiner linken Brust. Arm hoch, überm Kopf, flacher Busen. Ja, da ist er noch, der Knubbel in meiner Brust. Vor ein paar Wochen habe ich es zufällig bemerkt, weil es schmerzte beim Entlangstreifen mit dem Arm. Als dann später noch ein Brennen in der Brust dazukam, wurde es mir unheimlich. Seitdem ein Schritt nach dem anderen. Gynäkologie, Mammografie, Ultraschall. Beim Radiologen können sie nicht ausschließen, dass es Krebs ist. Also Biopsie. Zuerst bin ich so überrascht, dass es jetzt ernst wird, dass ich die Biopsie zu einem späteren Zeitpunkt machen möchte. Ich bin doch noch für die Arbeit bei der Schwimmgruppe eingeplant. Nein, schwimmen darf ich nicht mehr nach der Gewebeprobe. Im Nachhinein wird's mir aber doch mulmig und ich vereinbare doch einen früheren Termin. Die Sprechstundenhilfe meinte, meine Reaktion habe sie sehr gewundert.

Vor einer Woche wurde es gemacht. Der junge Arzt nimmt fünf Stanzen. Jede fühle ich, als wenn eine Heftklammer in den Busen gejagt wird. Anschließend fordert er mich auf, den Busen festzuhalten und aufzustehen, um mich dann in einen Druckverband fest um die Brust einzuwickeln. Es tut schon ziemlich weh und ich warte auf den Verlauf der Schmerzentwicklung. Werde ich ein Schmerzmittel nehmen müssen... Nein, es geht. Die Nacht ist unruhig, die Brust schmerzt. Schmerzt auch ein paar Tage. Der Eingang für die Schiene der Stanze ist winzig. Ein winziges Eintrittsloch. Und dort verfärbt sich der Busen in den Regenbogenfarben. Und der Knubbel tut wieder mehr weh nach dem ganzen Rumgeporkel.

Eigentlich ist es schönes Wetter, Sonne und blauer Himmel. Ich möchte Sommerleichtigkeit. Vor allem nach zwei Jahren Corona-Beschränkungen, aber die ersehnte Leichtigkeit will sich einfach nicht einstellen.

Ich merke, mir ist die Jacke näher als die Hose. Meine eigene Gesundheit. Der Krieg in der Ukraine weit weg. Die täglichen Nachrichten darüber empfinde ich voller Abwehr als ein regelrechtes Reinreiben. Die hochgelobte Solidarität und angebliche Menschlichkeit ist doch nur Egoismus. Was ist mit all den anderen Kriegsflüchtlingen, den Millionen Menschen, die zu verhungern drohen. Wo ist da unser Mitgefühl? Es wird doch mit zweierlei Maß gemessen! Schauen wir mal, wie es mit der hohen Solidarität ausschaut, wenn wir aus unserer Komfortzone geschubst werden.

Irgendetwas an dieser Geschichte ärgert mich maßlos. Seitdem ich Angst habe, Krebs zu haben, kommt so eine gewisse Radikalität in mein Denken. Eine Lust, in die Verlogenheit zu pieksen und die «Seifenblase» zum Platzen zu bringen. Ich will etwas «Echtes». Oder bin ich nur wie mein Kater Felix, der bei Schmerzen auch faucht und beißt?

Meine derzeitige Lebenssituation beinhaltet auch Schmerz. Schmerz in Kontakten. Und vor allem eine große Verlorenheit. Mein Leben erscheint mir hohl. Ich bin unzufrieden. Da sitze ich mit meinem kleinen Leben und trauere um den Verlust des «nahen» Kontaktes zu meiner vormaligen Busenfreundin und vor allem Reisegefährtin Sarah. So viele Kontakte sind jetzt dünn geworden oder ganz weg. Mein einst dichtes, soziales Netz hat Löcher bekommen.

Ich will unbedingt etwas ändern in meinem Leben. Aber ich kenne die Stoßrichtung noch nicht. Ich bin in so einer seltsamen Blase von Grautönen. Nicht froh, nicht direkt traurig. Muss anstrengend meine Sehnsucht unterdrücken. Es geht auch... irgendwie. Aber es fühlt sich so leblos an. Beim Witzeln mit Goren bin ich lebendig. Seine letzten Nachrichten waren nicht un-nett, aber nur winzige Krümel, über die ich mich freudig her mache. Ich entwickel' mehr Verständnis für das Doppelte und dann auch irgendwie Belastende einer angebotenen Liebe, die man nicht beantworten will und kann.

Aber die Besorgnis über diese seltsamen Empfindungen im Busen, manchmal «brennt» er regelrecht, nimmt mehr Raum in meinen Gedanken. Zuerst als dramatisch-effekthaschender Aufschrei-Blick zu Goren... Hilfe... meine nicht gelebte Liebe wird zu einem Krebsgeschwür...! Es ist fast, als ob ich Drama übe. Aber ich glaube es nicht wirklich. Kann es aber auch nicht ausschließen. Ich merke, wie sich mein Denken in diesen engen Kanal verengt... was ist nicht in Ordnung und was folgt für mich daraus. Diese Unsicherheit und Warterei zieht Zeit unglaublich in die Länge. Schrecklich...

4. April 22 - Das Fallbeil fällt

Heute erfahre ich, dass meine Beunruhigung begründet ist. Zehn Tage warte ich nun schon auf das Ergebnis der Biopsie. Am Wochenende war ich noch gut abgelenkt. Betriebsfest und mit der Arbeit ins Theater. Ich genieße diese Zeit mit einem Gefühl von «Jetzt bist du noch frei, hast noch Energie - nutze diese Zeit. Carpe Diem». Heute früh wach geworden aus einem Alptraum, in dem ich zu ertrinken drohte. Auf meinem Handy eine Sprachnachricht von einem jungen Kollegen, der mir liebevoll die Daumen für heute drückt. Ich bin gerührt und es verschlägt mir die Stimme. Musste direkt heulen. Bin anfällig für liebevolle Aufmerksamkeit. Eigentlich schon immer. Jetzt eben besonders.

Gegen Mittag noch immer keine Antwort von der Gynäkologin. Ich gehe zur Praxis. Noch kein Fax. Die Angestellte fragt nach, kommt nach einer Zeit mit einem Blatt Papier heraus, das sie sofort knickt und der Ärztin zeigen will. Es sind keine guten Nachrichten. Sie darf mir den Befund nicht einfach zeigen. Mir wird heiß. Ich schwitze tierisch unter den Achseln. Am Vormittag hatte ich schon zweimal Durchfall.

Die Mitarbeiterinnen rennen hin und her. Nach einigen Minuten werde ich ins Sprechzimmer gebeten. Die Ärztin sitzt am Schreibtisch hinter ihrer Maske. Ich sehe nicht ihr Gesicht. Sie sagt, dass es bösartige Zellen sind und sie mich hier ins Brustzentrum im Klever Krankenhaus überweist. Der Knoten muss heraus operiert werden und untersucht werden. Leicht zittrig und wild entschlossen, die Fassung zu bewahren, nehme ich die Papiere entgegen und verlasse auf wackligen Beinen die Praxis. Laufe nach Hause, wie betäubt. Ab und zu eine einzelne Träne. Zu Hause rufe ich sofort im Brustzentrum an und erhalte einen Termin für den nächsten Tag. Ich soll noch die CD der Mammografie vom Radiologen besorgen. Ich trinke einen kräftigen Schluck Brandy und gehe durch den kalten Regen mit einem größer werdenden Gefühl von Irreal. Ich informiere meinen ältesten Sohn Ori und meine langjährige Lebensbegleiterin Beate, die ich schon über 40 Jahre kenne und mit der ich am Morgen verabredet bin. Am frühen Nachmittag öffne ich mir ein Bier. Schreibe verschiedene Whatsapp. Nehme manche Telefonate an, andere nicht. Will kein Gejammer. Down-sizing. Bloß nichts dramatisieren. Meine immer noch «sinnlose Liebe», der Herr Goren, schickt mir ein Foto mit medizinischem Personal in den Startlöchern und wünscht mir für morgen alles Gute. Das reicht. Was soll er auch sagen... Was soll man überhaupt sagen in einer solchen Situation...

Ori kann mich morgen zum Krankenhaus begleiten. Vielleicht auch Sigmund mit seiner medizinischen Kompetenz. Beate bietet sich auch an. So gleite ich mit einem zweiten Bier durch den regnerischen Nachmittag. Schalte mein Handy auf lautlos und hole mir eine CD von Goren aus dem Briefumschlag, in dem seine CDs stecken. Fertig - fertig für die Rücksendung. Zu schmerzlich die lebendige Erinnerung an diesen schrägen Vogel. Die Musik macht mir gute Laune. Ich tanze auf dem Teppich. Fühle mich fast euphorisch. Merkwürdig. Ich lebe und bleibe am Leben! Und heute ist heute. Und heute habe ich keine Schmerzen, keine Beeinträchtigungen und muss mich nicht ins Elend vorausschauend denken. I start to feel mellow-yellow mellow. Ich werde meinen Weg finden und in Krankheit ist man letztendlich doch allein. Und noch geht's mir gut. Namaste Ann-Marie.

5. April 22 - Eigensinn

Nach dem Termin beim Brustzentrum. Die Oberärztin eröffnet mit sachlichen Worten, dass dieser Krebs in meiner Brust ein sehr aggressiver sei, der aber gerade deswegen sehr gut auf Chemo reagiert. Von Anfang an ist klar: erst ca. 5 Monate Chemo, dann OP vom Tumor, dann Bestrahlung. Sie spricht sehr bestimmt «matter of fact» und redet über mich hinweg. Meine erschrockene und wunde Seele kommt nicht hinterher. Aus ihrer Sicht ist der Verlust meiner Haare ein geringfügiges Problem. Es gäbe ja super Perücken.

Sie redet und redet und in meinen Ohren klingelt ihre Stimme hart und herzlos. Sie will auch nicht, dass Ori das Gespräch aufnimmt. (was er dann aber ohne mein Wissen doch tut - good boy!) Ich schrumpfe und werde klein. Fühle mich wie ein Mühlstein im Räderwerk der medizinischen Maschinerie. Ich bin Patientin Nr. soundso und dies ist der Baustein für diese Art von Krebs. Ich fühle mich meiner Persönlichkeit beraubt. Entmenschlicht. Eigentlich irgendwie Scheiße und möchte heulen. Ich greife nach der Hand von meinem Sohn, während im Kopf Nebel entsteht. Die Ärztin rät mir dringendst davon ab, im Internet in Foren zum Brustkrebs zu gehen. Benommen nicke ich und mache Termine für das «staging», um zu checken, ob Metastasen gebildet wurden.

Durch den kalten Regen fahren wir mit dem Rad zu Ori, der auch schockiert ist. Wir haben beide Tränen in den Augen. Wir trinken einen Kaffee zusammen, essen ein Häppchen, dann geht jeder seinen Weg. Ori muss ja noch arbeiten. Er muss ja weiter funktionieren. Unterwegs nach Hause kurzer Stopp bei der Gynäkologin. Blutentnahme und die ganzen Überweisungen. Aktiv sein zu können, im Handeln zu sein, tut gut.

Zu Hause: Tee trinken, whatsappen. Ich telefoniere mit A. in der Eifel. Sie kann mich sehr gut da abholen und begleiten, wo ich derzeit emotional stehe. Wir berichten einander von unseren Erlebnissen mit Krebs. Sie hatte auch Krebs und 2014 die Chemo verweigert. Ich erinnere mich, dass sie damals schon sagte, dass man sich auch nicht von der Angst der anderen anstecken lassen darf. Es geht um Eigenverantwortung, Risikoabwägung, den Stellenwert von Tod, der mit dieser Erkrankung in den Raum kommt.

Dazu fällt mir ein, dass ich früher als Kind, wenn von Krebs die Rede war, es als absolut fatal wahrgenommen habe. Da wurde von den Frauen hinter vorgehaltener Hand getuschelt: «Haste gehört... die hat Krebs. Die machtet nicht mehr lang.» Krebs steht in meiner Erinnerung auf der gleichen Stufe von Desaster wie Krieg. Auch so ein Satz aus der Kindheit: «Die Russen kommen». Und das bedeutete absoluten Schreck und Terror. Ich erzähle A. davon und es entstehen Bilder in unseren Köpfen, die wir uns mitteilen und befreit darüber lachen. Diese Gefahr besteht aktuell nicht.

Ich merke deutlich inneren Widerstand gegen den Behandlungsplan. Die Ärzte wollen die größtmögliche Sicherheit, um den Krebs zu eliminieren. Ich aber will leben und diesen Sommer genießen. Habe nie auf ein Sicherheitsnetz geachtet. «Better safe than sorry» war noch nie mein Motto. Es steigt so eine Widerborstigkeit in mir auf. Nein, ich bin nicht nur ein Rädchen in diesem Laufwerk. Ich will mein Leben nicht leichtfertig wegwerfen oder riskieren, aber ich will eine Zweitmeinung, nachdem die folgenden Untersuchungsergebnisse da sind.

6. April 22 - What a difference a day makes

Heute kommt Sigmund. Von Beruf «Seelenklempner». Aber eben auch Arzt und jemand, der mich über die Hälfte meines Lebens kennt. Wir treffen uns, um den Termin in der Brustklinik zu besprechen. Schon wieder erbost in der Erinnerung ereifere ich mich erneut über die Kühle und die Schnodderigkeit der Ärztin. Sigmund gibt zu, dass das kein guter Start sei. Lenkt aber meine Gedanken auf den Fakt, dass es hier nicht darum geht, ob sie meine Freundin wird, sondern, ob ich ihrer Fachlichkeit vertraue. Er nimmt Partei für die Ärzte, die täglich diesen Frauen diese niederschmetternde Nachricht überbringen müssen und dennoch auch ihr Leben weiterleben müssen und wollen und den Einzelfall einfach nicht an sich ran lassen, weil sie vielleicht der nächsten Patientin genau diese schlechte Nachricht wieder überbringen. Dieser Blick auf die Situation von gestern stimmt mich schon um einiges milder und weniger kratzbürstig. Sigmund guckt sich meinen Laufzettel für die nächsten Untersuchungen an. «Da haben die ja einige Schritte schnell auf den Weg gebracht», lautet sein Kommentar. Dann erklärt er aus seinen Erfahrungen mit Leuten, die an Krebs erkrankt sind, dass jeder Krebs einem bestimmten Protokoll folgt. Es gibt tausende Untersuchungen dazu. Von daher stimmt mein Gefühl von einem Rädchen im Räderwerk. Er gibt zu bedenken, wenn ich den Knoten großzügig herausschneiden lasse, käme es einer Amputation der Brust gleich. Das finde ich eine erschreckende Vorstellung. In meiner Jugend hörte ich von Amazonen, die sich die Brust amputieren ließen, um besser den Bogen spannen zu können. So eine wollte ich damals auch sein. Stark und unabhängig. Wozu braucht man, oder die kleine Ann-Marie, denn einen Busen? Ich wäre eh lieber ein Junge gewesen. Heute sehe ich das ganz anders. Auch wenn sie schon länger hängen, will ich meine Brüste behalten. Sie sind ok., sie gehören so zu mir.

Ein anderer Aspekt ist, dass dieser Krebs enorm streut und selbst wenn jetzt bei den kommenden Untersuchungen keine Metastasen gefunden werden, bedeutet es nicht, dass sie nicht im Keim schon da sind und nach ein paar Jahren unkontrolliert an anderen Stellen ausbrechen können, die weniger gut therapierbar sind, wie z.B. das Gehirn. Dort könnten sie Epilepsie, Persönlichkeitsveränderungen etc. hervorrufen. Bei Gehirn zucke ich zusammen. Ich bin selbstverständlich davon ausgegangen, dass der Krebs, falls er zurückkommt, sich wieder in der Brust manifestiert. Sigmund berichtet von Fällen, in denen die Chemo nicht zwingend zu Haarverlust führte und auch nicht zu absoluter Schlappheit. Es wäre eben nicht vorhersehbar, wie ich auf die Chemo reagieren werde.

Mittlerweile bin ich ruhiger und entschlossen, nach den ausstehenden Befunden den zukünftigen Behandlungsplan erst einige Tage in mir nachwirken zu lassen, bevor ich mich entscheide. Mit etwas Abstand sieht man manchmal etwas deutlicher.

Abends

Nach dem Telefonat mit meinem zweiten Sohn Benny wird mir super deutlich, dass diese Diagnose Kreise zieht. Benny sagt, er möchte mich nicht schon in den nächsten Jahren verlieren. Ich darf nicht ein zu hohes Risiko nehmen, denn ich lebe in Verbindung mit anderen. Mit meinen Söhnen, die mich lieben und gerne noch weiter im Leben haben wollen. Es wirft plötzlich eine neue Dimension von Verantwortung auf.

7. April 22 - Es gärt in mir

Heute treffe ich mich mit Iris und später Joachim. Sie baut auf Schulmedizin, ist froh, dass diese ihre Tochter von der Leukämie geheilt hat. Die schmerzlichen Erinnerungen werden bei ihr nach oben gespült durch meine Erkrankung. Aber zum Glück erkennt sie dies. Ich will mich nicht von der Angst der anderen anstecken lassen. Aber auch nicht leichtfertig mit meinem Leben spielen. Ihr Credo: mach die empfohlene Therapie. Die Aussage von Benny wirkt noch in mir und ich glaube, dass er mich als Mutter noch braucht. Das fragt nach Risikominimierung. Joachim ist den Anthroposophen zugeneigt und dennoch kein «Losgelöster», sondern mit den Füßen auf der Erde. Er glaubt, dass neben der Chemo eine geistig-seelische Begleitung bzw. Unterstützung nötig ist, um zu gesunden. Im Gespräch merke ich wieder, dass ich kein Opfer sein will. Dass mir die Krebserkrankung zu einem Zeitpunkt in mein Leben kommt, an dem ich richtungslos und verloren durchs Leben trudel'. Jetzt hat es plötzlich eine Richtung... den Krebs besiegen. Es hat einen Inhalt, einen Rahmen durch die zukünftige Behandlung. Fast, als ob ein Teil von mir sich diesen Krebs gewünscht hat. Auch das Plakative, das Aufschrei-mäßige dieser Erkrankung. Plötzlich bin ich interessant. Dass ich mich vorher oft allein und verlassen gefühlt habe, ist längst nicht so «grell», wie der Krebs. Dabei hatte ich da auch Impulse diesen Lebenskampf, dieses Aushalten von Sehnsucht nicht mehr mitzumachen und aus dem Leben zu gehen. Allerdings wusste ich, dass diese Impulse vorübergehend sind und ich nur diese dunklen Stunden durchstehen muss. Zum Glück habe ich die Rasierklingen nach der letzten derartigen Entgleisung weggeworfen. Vorher war ich einfach Ann-Marie, jetzt bin ich Ann-Marie mit Krebs. Das ist auch etwas anderes in der Wahrnehmung der anderen. Alle wollen Trost geben und mir die Daumen drücken. Und es fühlt sich dabei an, als ob jeder seinen eigenen Film laufen hat. Und wo bin ich dabei?

8. April 22

Heute mit Beginn des Tages aufgewacht und schnell Gedanken an die Verabredung mit Annet später am Morgen.

Letzte Woche hatte sie mich mit einem vorwurfsvollen Blick angeklagt, ich wäre nicht genug für sie da gewesen als sie letztes Jahr ihre Krebsbehandlung hatte. Im Rahmen meiner Arbeit im betreuten Wohnen hatte ich sie zu diversen Therapien gebracht und mich auch privat mit ihr zu Spaziergängen getroffen. Und sie kündigt nun an, dass sie jetzt sehr wohl für mich da wäre. Diese Aussage hat mich Schritte zurücktreten lassen. Auch ihre Reaktion auf meine Erkrankung ist heftig. Sie ist zu Tränen betroffen gewesen. Irgendetwas stimmt hier nicht... Ich überlege gründlich.

Und ich komme zu dem Schluss, dass es bei den Menschen um mich herum verschiedene Kreise gibt. Den inneren Kreis mit meinen nahen Freunden und meinen Söhnen. Und dann andere mehr in der Peripherie. Und vor allem im letzten Jahr hing mein Herz ganz doll an Goren und der Sorge und der Sehnsucht nach diesem schrägen Vogel. Annet ist nicht im inneren Kreis. Das macht sie nicht weniger Wert. Aber ich teile mit den Menschen unterschiedliche Schnittmengen mit verschiedener Aufladung.

Ich nehme mir vor, das Thema heute zu benennen. Zu oft war ich konfliktscheu und habe Dinge einfach geschehen lassen. Diese Krebserkrankung macht mich kompromissloser. Ich will «Echtes» und dazu gehören einfach auch Unterschiede und sich reiben können.

Als wir uns treffen, benenne ich meine Gedanken und wie zu erwarten stand, ist sie verletzt und es fließen Tränen. Mit tränenerstickter Stimme sagt sie, dass sie doch nur lieb gehabt werden möchte. Das berührt mich. Ich erkenne das Thema absolut wieder. Und doch merke ich, dass ich die Menschen um mich herum nicht gleich lieb habe oder wertschätze. Ich verstehe erneut, dass auch Gefühle von Zuneigung oder gar Liebe, die einem entgegengebracht werden, nicht nur positiv sind, sondern einen auch in Stress bringen können. Vor allem, wenn es kein Match ist, kein Gleichgewicht.

Ich erahne, dass ich auch bei anderen Menschen in meinen Kreisen nicht unbedingt im «inneren» Kreis stehe. So ist einfach das Leben. Ich erkenne auch den Schmerz, zu merken, dass ich nicht an der Stelle stehe und eine Präsenz im Leben von jemandem innehabe, auch wenn ich gerne wichtiger wäre.

Aber Zuneigung, Gefühle von Zuwendung sind nicht mathematisch zu dosieren und funktionieren einfach nicht nach dem Gerechtigkeitsprinzip. Ich verstehe plötzlich, dass die Gefühle von anderen auch eine Last sind. Ich will jetzt zum Beispiel nicht die Traurigkeit von Annet spüren. Ich verstehe Goren, der zu mir sagte, warum belastest Du dich mit meiner Krankheit und weinst um mich.

11. April 22 - Staging

Heute verschiedene Untersuchungen im Krankenhaus, um zu sehen, ob der Krebs gestreut hat. Insgesamt bin ich sechs Stunden damit beschäftigt.

Draußen lacht die Sonne, es ist Frühling und ich bewege mich in einer Parallelwelt. Relativ schnell zu Anfang Ultraschall vom Abdomen, EKG. Dann im Keller eine Stunde auf den Arzt gewartet für das Echo vom Herzen. Resultat: mein Herz ist gut. Mit einem Scherz sage ich fragend zum Arzt: «Habe ich ein gutes Herz?» Und wir lachen beide, als er antwortet: «Ja, Sie haben ein gutes Herz!»

Danach muss ich ganz viel Kontrastmittel trinken, und zum CT für Thorax und Bauchraum. Das zieht sich endlos in die Länge und ich verfalle, wie so oft in lang andauernden Wartesituationen in eine Art von dumpfem Stupor. Bis dahin, dass ich vergesse, warum ich überhaupt da sitze. Und ich merke, dass ich irgendwie klein werde. so als wollte ich verschwinden, um dem Ganzen zu entgehen. Das habe ich schon als Kind gemacht. Mich weg gebeamt. Im CT kriege ich über den Zugang ein Kontrastmittel gespritzt. Es wird wohlig warm, bis hin zur Blase. Das CT ist harmlos, wenig laut.

Anschließend folgt das MRT der Brüste. Ich muss auf die Liege klettern, in der Aussparungen für die Brüste sind. Bäuchlings liege ich da, die Brüste in den Öffnungen, der Kopf ruht mit der Stirn auf einer Stütze, mein Gesicht ist frei. Die Arme seitlich neben mir. Ich habe Kopfhörer auf. Ich komme mir vor, wie in einer Flugposition bei einem Comic. Rocket man, ready for take-off. Aber es kommt keine Musik. Nur das laute Knattern und Brummen der Maschine wird gedämpft.

Es tauchen science-fiction-Assoziationen in meinem Kopf auf. Space-oddity, starman. Diese unirdischen Geräusche! Intensiv denke ich an Goren, der eh in einem anderen Universum lebt und wie er wohl diese Untersuchung erlebt hat. Die Geräusche scheinen aus dem All zu stammen oder dahin zu passen. Das MRT dauert endlos. Die Stirn schmerzt durch den Druck schon. So ein schwerer Kopf. Ich liege ganz still und lasse es über mich ergehen. Irgendwann höre ich im Hintergrund eine Tür aufgehen und jemand berührt mich und zieht mich aus der Röhre. Dann wieder warten, ob die Aufnahmen ok. sind. Die Braunüle ziehen lassen.

Nach sechs Stunden: raus in die Freiheit, Luft schnappen, Bewegen. Diese nervige Warterei macht mich immer ganz angespannt. Nach einem langen Spaziergang habe ich mir die Spannung abgelaufen.

15. April 22 - Karfreitag

Diese Ostern sind bisher überhaupt nicht fröhlich oder gesegnet.

Zum einen nehmen viele Menschen Anteil an meiner Diagnose. Manchen fällt regelrecht das Lächeln aus dem Gesicht, ein fassungsloser, geschockter Blick, wenn die Bedeutung über die Ohren über das Gehirn einsickert und es sich erschließt. Sie hat Krebs, hat sie gerade gesagt. Tja, tut mir leid, dass ich keine besseren Neuigkeiten für euch habe.

Manchmal fühle ich nach meinem Knoten in der Brust. No Way, dass er von selbst geht. Manchmal streichele ich ihn fast mit böser Rachsucht. «So so, da sitzt du in mir, Du gefräßiges Biest. Einfach raus schneiden, weg damit, dir den Boden entziehen.» Und ich stelle mir vor, mit einer Rasierklinge ins Fleisch zu schneiden und es raus zu holen und es wegzuwerfen. Aber so etwas tun ja nur Verrückte. Ich bin ja nicht verrückt... May be a bit peculiar.

Ich bin im Allgemeinen gefasst. Denke oft an den Herrn Goren, der ganz ohne Vorbereitung aus seinem gewohnten Leben katapultiert wurde. Und er sagt, der alte Goren ist kaputt.

Vielleicht steige ich ja wie Phönix aus der Asche... werde eine andere Ann-Marie. Weiß endlich, welchen Sinn mein Leben hat und wohin die Reise geht.

Vordergründig beschäftigt mich Sorge und Mitgefühl für Ori. Nach seinem Motorradunfall auf der Rennstrecke wurde er gestern am Schlüsselbein operiert und liegt mit extremen Schmerzen im Krankenhaus. Wir können nichts tun. Diese Hilflosigkeit ist schwer auszuhalten. Die Erinnerung an die starken Schmerzen nach meiner Schulteroperation. Dieses Schlecht-aus-der-Narkose-kommen. Kommt voll auf mich dieser Sohn. Zumindest an dieser Stelle...

18. April 22 - Ostermontag

Vorhin ist Benny über Blablacar wieder zurück nach Köln gefahren. Ein dicker schwarzer Audi mit röhrendem Auspuff entführt mir meinen geliebten Sohn.

Für mich waren es eigenartige Tage. Rückblende zu vor einem Jahr. Da hatte ich ihn gerade zur Entgiftung gebracht. Und da wegen Ostern kaum etwas passierte in der Klinik, haben wir Benny, der sich ganz klein und verloren fühlte, oft auf Spaziergänge mitgenommen und ihm Rückenstärkung gegeben für das, was vor ihm liegt. Wir, das sind Ori und ich gewesen.

Benny stand damals total unter Strom. Und als bei der Anmeldung die Krankenhaus-Einweisung fehlte und die Bürotussi ihn nicht aufnehmen wollte, ist er total ausgerastet und hat sie als doofe Fotze beschimpft und sie drohte ihm, die Aufnahme zu verweigern, da er so aggressiv sei. Voll lodernder Wut und Frust wollte Benny damals alles hinwerfen und sich erstmal einen Joint durchziehen. Mit Engelszungen habe ich auf ihn eingeredet, sie habe ja nur ihr begrenztes Sichtfeld: eben Büroangestellte. Er solle nicht die Vorbereitung von einem Jahr für die Therapie in einem Moment wegwerfen. Seine geballte Anspannung bekam ich dann über geschüttet. Statt der Sekretärin schrie er mich nun an und argumentierte, dass ihm das vorher nicht gesagt wurde. «Aber Benny, es ist doch egal, jetzt brauchst Du diese Einweisung.»

Dann war auch noch unser Hausarzt im Urlaub. Die Vertretung hat ohne Probleme die Papiere ausgestellt. Puhh! Viel Fahrerei, viel Ruhe ausstrahlen und nicht die verbalen Angriffe von Benny annehmen. Diese fiese Fratze der Sucht, die mich anstarrt und ich muss meine eigene Anspannung unterdrücken. Ein paar Stunden später war er auf der Station. Und ich - völlig ausgelaugt.

Seit dem habe ich dieses Gesicht bei ihm nicht mehr gesehen. Im Verlauf des Jahres und der Therapie kam immer mehr der eigentliche Benny zum Vorschein. Der Benny, zu dem ich eine Seelenverwandtschaft spüre. Jetzt, ein Jahr später, ist er auf einem guten Weg und ich bin die «Schwachstelle». Noch bin ich nicht schwach. Aber die Diagnose «Krebs» ist schon die Hintergrundmusik.

Einerseits will ich Normalität, habe am Samstag auch gearbeitet, und war nach sechs Stunden absolut fertig. Konnte keinerlei Input mehr vertragen. Hatte dann Zweifel, ob ich unter Chemo weiter Freizeiten machen kann.

Benny hatte sich mit Kumpels getroffen und gegrillt und ging dann noch feiern. In den frühen Morgenstunden um 4.30 Uhr treffen wir uns im Flur. Dementsprechend war unser geplanter Osterspaziergang erst am Nachmittag möglich. Das hat mich schon geärgert. Es war so, wie ich es viele Jahre von ihm kannte und es triggerte die alten Erfahrungen von seiner Unzuverlässigkeit und Ignoranz gegenüber meinen Wünschen.

Zusätzlich hat seine Sucht und das Verhalten eines Süchtigen in meinem Vertrauen zu ihm eine Kerbe hinterlassen. Während seiner Sucht hat er mich belogen und bestohlen. Jeden Abend musste ich daran denken, mit meinem Portemonnaie unterm Kissen zu schlafen, weil er sich sonst daraus bedient hätte. Verstecktes Geld hatte er gefunden und geklaut und mich dennoch um Geld gebeten für einen Urlaub. Das hat mich damals zutiefst erschüttert, das hätte ich nie von ihm gedacht. Totaler Vertrauensbruch! Im Streit, wenn ich in meiner Ratlosigkeit die Polizei rufen wollte, hat er mehr als einmal das Telefon zerdeppert, so dass ich in meiner Not zu den Nachbarn geflohen bin und von dort die Polizei gerufen habe. Die Polizei riet mir auszuziehen, da ich anders aus dem Zusammenleben mit diesem Sohn nicht herauskommen könnte. Es war eine fürchterliche Zeit damals. Auch wenn er jetzt anders ist, ist das ungetrübte Vertrauen beschädigt.

Und da kommt dieses andererseits: Kannst Du nicht wenigstens jetzt, wo ich in ein paar Wochen nicht mehr «die Alte» sein werde, mich nicht einfach an erste Stelle setzen? Jetzt war ich einfach nur Basislager. Es entstand auch nicht wirklich dieser «Flow», den wir sonst haben. Gleichzeitig war aber auch viel Vertrautheit da. Vielleicht war Benny im Alten, im Bekannten, wie es sonst so war Mama zu besuchen. Halt wie immer. Ich sehe ja auch noch aus wie sonst.

Nur ich bin innerlich auf einer anderen Spur. Manchmal vergesse ich kurz die Diagnose und gehe auf im Jetzt. The actual Here and Now... wie in der Gestalttherapie. Es darf nur niemand an der Hülle kratzen, dann muss ich sofort heulen.

Ich habe vorhin Benny bei der Verabschiedung ganz lange fest gehalten, bevor ihn dieser röhrende, schwarze Wagen entführt hat. Dieser große, kräftige Kerl. Kurz streicht er mir über den Rücken. Er steigt nicht mit ein in mein Gefühl von Abschied. Schwer wie brauner Lehm. Ich fühle Drama. Er ist auf einer anderen Spur. Soll er auch. Hauptsache es hilft ihm, stabil zu bleiben.

19. April 22 - Zutrauen

Heute sollte eigentlich Besprechung sein. Ich sitze mit Ori eine geschlagene Stunde im Wartezimmer und im Verlauf des Wartens steigt Angst in mir hoch. Einfach Angst und trockene Kehle. Als ich nervös nachfrage, heißt es, dass ein Teil der Befunde noch nicht da ist. Dennoch werden wir kurz darauf ins Sprechzimmer gerufen. Es stellt sich der Chefarzt vor.

Mit ruhiger Stimme erklärt er ausführlich, was wir bisher wissen. Leider sind die Bilder vom MRT und CT noch nicht da. Somit kann er nichts zur Ausbreitung sagen. Dafür entschuldigt er sich. Menschlich ein Pluspunkt. Aber er erklärt, worauf dieser Tumor anspricht und worauf nicht. Außerdem wird meine Erkrankung in der Tumor-Konferenz besprochen, an der 10 Fachärzte teilnehmen. Radiologen, Onkologen, Gewebefachleute, die dann meine Bilder besprechen. Es berührt und beruhigt mich ungemein, zu hören, dass so viel fundiertes Fachwissen mit mir beschäftigt ist. Ich fühle mich weniger klein gemacht. Der Arzt erklärt, warum zuerst Chemo gemacht wird. Meist wird eine Kombination von zwei Mitteln gegeben, mit der Absicht, den Tumor im Wachstum zu stoppen, ihn zu zerkleinern oder aufzulösen, wie einen Schweizer Käse. Der Tumor wird beobachtet, wie er auf die Chemo reagiert. Nach der zweiten Chemo wird beurteilt, ob die Medikamente richtig wirken. Das sei eine weltweite Strategie.

Er schlägt vor, schnellstmöglich den Port für die Chemo zu legen. Ich brumme Zustimmung, nicke: Ori auch. Dann sagt der Arzt zu meiner Erleichterung, dass neben der Nebenwirkung Haarausfall bisher Übelkeit eine häufige Nebenwirkung gewesen sei. Aber jetzt gäbe es wirksame Medikamente, die dass Gefühl von Übelkeit direkt im Gehirn blockieren.

Ich hatte schon befürchtet, mich nach der Chemo kotzend und auf dem Boden windend zu sehen. Der Arzt gibt mir ein Gefühl von Vertrauen. Fachlich sehr kompetent und eben auch menschlich. Ich bitte darum, weiter von ihm begleitet zu werden. Fühle mich vermessen, denn er ist der Chefarzt und ich bin kein Privatpatient. Aber er sagt nur: das können wir so machen.

Nach dem Gespräch bin ich wesentlich ruhiger und zuversichtlich. Ori hat es ähnlich wahrgenommen, gibt aber zu bedenken, dass der erste Schock auf die schlechte Nachricht sich ja nun auch abgesetzt hat.

20. April 22 - Rückenstärkung von meiner Psychiaterin

Heute hatte ich einen Termin bei Frau K. Sie wirkte sichtlich betroffen und gab mir sehr viel Raum zu sprechen. Ich war selbst verblüfft über mich, wie abgeklärt ich die derzeitige Situation geschildert habe. Dieses Nicht-Wissen und Nicht-Einschätzen-können, wie es mir demnächst geht. Ich habe erwähnt, dass ich eine unbestimmte Angst spüre. Angesichts dieser Situation ein Zeichen, dass ich lebe und fühle, meint sie.

Ihre Zusicherung, mich zu stützen, freut mich. Ihr Angebot mir jetzt ein paar Tavor mitzugeben für den Notfall. Dankend lehne ich ab. Ich habe noch welche. War zum Glück nicht häufig in großer seelischer Not in der letzten Zeit. Sie verspricht einen engmaschigen Kontakt. Wir können nun noch keine Termine machen, da so vieles nicht absehbar ist. Ich soll in der Praxis anrufen und sie ruft dann zurück. Und falls ich vor lauter Elend nicht kommen kann, wird sie mich telefonisch unterstützen. Wir sprechen wie zwei Erwachsene und ich bin super gefasst. Nicht einmal bricht mir die Stimme. Auch keine einzige Träne.

Ich merke ihre Sympathie und ihr Mitgefühl und wie lange wir uns schon kennen. Ungefähr 28 Jahre. Damals war Benny noch ein Krabbelkind. Sie hat mich schon in manch schwerer Phase erlebt und begleitet. Hat mir vertraut auch bei Suizidneigung. Wo mir dann auch ohne Krebs nicht nach «daily struggle for life» war. Heute umarmt sie mich zum Abschied in der Praxis vor den Augen der Mitarbeiterinnen an der Anmeldung. Irgendwie fühle ich das als eine Ehre.

Abends

Ich neige fast dazu, den Herrn Goren zu kontakten. Ich brauche eine Reaktion von ihm. In einer Woche bekomme ich das «toxische» Medikament. Das Gift, welches die Krebszellen abtöten soll.

Aber ich nehme ja im Alltag auch das «toxische» Mittel Alkohol zu mir, das macht meine Ecken rund. Nimmt mir die Angst ein wenig. Nimmt die Schärfe aus der Sehnsucht. Der Sehnsucht nach Verbindung. Ein bisschen Liebe. Ich möchte, dass Goren reagiert. Mir vielleicht eine CD macht, mir mit seinen Möglichkeiten zeigt, dass er Anteil nimmt. Ich prüfe gedanklich, ob ich den richtigen Moment dafür finde. Will mich schützen vor Ignoranz. Seinem Innehalten, weil ihm nichts mehr einfällt, was in sein System passt. Und das wäre noch eine milde Reaktion. Warum hänge ich nur an einem Kerl, der ein psychiatrischer «Nutcase» ist und dabei so ein bunter Vogel, der mir unter die Haut gegangen ist.

Letztendlich habe ich ihm doch eine Whatsapp geschickt und einen Wunsch geäußert. Am nächsten Morgen sehe ich dann seine Reaktion. Ein Foto von sich in der Rolle als Priester und dem Text: «Das schaffst Du... » Ich habe laut losgeprustet. Ja, das ist er, das kann er mir geben. Und ich bin erleichtert, dass diese dünne Verbindung doch irgendwie besteht.

22. April 22

Ich warte auf die Sendung von DJ Bar-A-Bass und will mit der Musik neben mir die Geschichte mit dieser Erkrankung fortsetzen. Es fällt mir schwer, den Faden zu finden. Gestern war so ein voller Tag mit sehr viel Informationen.

Am besten fange ich beim Körper an. Der linke Busen schmerzt. Warum? Weil dort gestern ein winziger Clip in den Tumor gesetzt wurde, damit, falls der Tumor durch die Chemo schrumpft oder sogar schwindet (was ja Absicht ist), sie ihn für die spätere Operation noch lokalisieren können. Der Tumor und das umgebende Gewebe müssen wie eine Spindel gut herausgeschnitten werden. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass auch nur eine einzige Zelle überlebt und ein neuer Tumor daraus entsteht. Mit Hilfe dieses sogenannten «Marker» soll die richtige Stelle in der Brust wieder gefunden werden. Die gute Nachricht ist, dass CT und MRT zeigen, dass der Krebs nicht gestreut hat. Der Tumor wird an der Brustwarze vorbei raus geschnitten und das entstehende Loch mit Gewebe aus der Brust gefüllt. So kann brusterhaltend operiert werden.

Nach dem Einsetzen des Clips muss ich noch einmal zur Mammographie. Dort wird genau vermessen, wie und wo der Clip im Tumor sitzt. Mit den Fotos davon gehen Ori und ich zurück zum Arzt. Alles läuft jetzt seinen Gang. Wenn ich die ganze Behandlung durchlaufe, habe ich eine mehr als 90%-ige Chance auf Heilung.

Aber es ist vor allem dieser Arzt, dem ich mich anvertrauen möchte. Er ist älter und ruhig und wirkt auf mich sehr kompetent und empathisch. Ich frage, ob er mich weiter betreuen kann und er sagt: «Das können wir so machen.» Will keine Erklärung von mir. Sagt einfach nur wieder: «Das können wir so machen».

Ich will eifrig meine Bereitschaft zur Mitarbeit zeigen, deswegen nicke ich viel und versuche seinen Ausführungen entgegen zu kommen. Ori nimmt diese Gespräche und Untersuchungen heimlich mit dem Handy in der Hosentasche auf. Als ich mir das später anhöre, finde ich mich fast doof. So übereifrig und klein. Irgendwie mickrig. So will ich gar nicht klingen. Nach zwei Stunden Krankenhaus bin ich froh, raus in die Sonne zu gehen um mich zu bewegen.

Als ich dann später Hackfleisch anbrate, ekle ich mich plötzlich vor dem Fleisch. Es kommt mir fast wie Maden vor. Erinnerungen an Erlebnisse auf LSD-Trip, da waren die Spaghetti auch lange Würmer. Und mein Kopf verwandelte sich zum Totenkopf, den ich fasziniert im Spiegel angestarrt habe. Vielleicht erlebe ich den Haarverlust ja auch mit einer gewissen morbiden Faszination.

Ich koche und esse zwar das gebratene Fleisch, habe aber das Gefühl, zukünftig lieber vegetarisch essen zu wollen und verstehe Goren, der auch kein Gehacktes mochte und auch eine Drogenvergangenheit und -gegenwart hat.

Noch später... Termin bei meinem Hausarzt, der die alternative Medizin praktiziert. Diesen Arzt kenne ich seit 33 Jahren und sein alternativer Ansatz, die homöopathischen Medikamente, haben mir «eigentlich» immer geholfen. Außer bei psychischen Problemen. Da hat Johanniskraut oder Passiflora nichts gebracht.