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Bahnbrechender Erstling Mit dieser 1976 erschienenen Sammlung von Aufsätzen, Aphorismen und Meditationstexten etablierte sich Georg Kühlewind als Vorreiter einer modernen Spiritualität, in der die meditative Praxis und die selbst errungene Erkenntnis wichtiger sind als die Lektüre autoritativen Schrifttums.
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Seitenzahl: 146
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Georg Kühlewind
Georg Kühlewind
Meditationenüber die Grenzen der Seele
Verlag Freies Geistesleben
Die Kapitel 4, 5 und 8 erschienen als selbstständige Aufsätze in der Zeitschrift die Drei, 42. und 43. Jahrgang, Stuttgart 1972 und 1973.
Vorwort von Laszlo Böszörmenyi
Vorbemerkung
Die zwei Bewusstseinsstufen in der Philosophie der Freiheit
Das Grunderlebnis des Geistes
Konzentration und Kontemplation
Die Grenzen der Seele
Vom Geheimnis des Wahrnehmens
Die geistige Kommunion des modernen Menschen
Über den Sinn des Seins
Das Licht der Erde
Über den Autor
Dies ist das erste Buch von Georg Kühlewind. Seine erste Auflage erschien 1976 (die Kapitel 4, 5 und 8 waren schon 1972/73 in der Zeitschrift die Drei veröffentlicht worden). Damals war Kühlewind 52 Jahre alt; im Jahr des Erscheinens dieser Neuausgabe – 2024 – wäre er 100 Jahre alt geworden. Zuvor hatte Kühlewind eine der wichtigsten Phasen seines Lebens durchgemacht: Mit einer beispiellosen Intensität und Reinheit hatte er jahrelang den anthroposophischen Übungsweg von Grund auf erarbeitet und dabei die Ebene des lebendigen Denkens und Wahrnehmens sowie des erkennenden Fühlens und Wollens betreten. Er hatte sich in der Stille sozusagen selbst neu erschaffen – und erst dann angefangen, zu publizieren.
Kühlewinds Erscheinen bezeichnet für mich die Geburtsstunde einer neuen Generation der anthroposophischen Bewegung. Die Schülerschaft Rudolf Steiners konnte sich lange Zeit nur wenig von ihm emanzipieren, weil man den Schulungsweg eher nebenbei, als Ergänzung praktiziert hatte. Kühlewind stellt diesen in den Mittelpunkt und ermutigt damit die nächste Generation: Geht Euren eigenen Weg! Im Stil des Buches ist noch der Einfluss des genialen und radikalen Erneuerers Massimo Scaligero (1906–1980) spürbar, aber Kühlewind emanzipiert sich hier auch von ihm. So ertönt die neue, frische Stimme eines Menschen, der innerlich weitgehend frei ist. Das heißt nicht, dass er sich gegen seine Meister wenden würde – gerade im Gegenteil. Sowohl Steiner als auch Scaligero sind selber völlig freie und individuelle Wege gegangen, und ihre besten Schüler sind eben die, die ihnen darin folgen. «Die Anthroposophie ist ein Erkenntnisweg», schreibt Steiner im ersten seiner Anthroposophische Leitsätze. Es handelt sich darum, diesen Weg aktiv zu gehen. Es geht nicht um Wissen, sondern um Können, um das Entwickeln neuer Fähigkeiten. Der Mensch muss sich ändern, damit ihn sein Weg zum Geistselbst führe.
Im ersten Kapitel betrachtet Kühlewind die Philosophie der Freiheit von Rudolf Steiner und holt eine grundlegende Einsicht heraus: Auf dem Weg der Spiritualität geht es an erster Stelle nicht um die Erkenntnisse, nicht um das Erkannte, sondern um die Erfahrung des lebendigen, zeitlosen Prozesses des Erkennens, dessen Produkte die Erkenntnisse erst sind. Diese Erfahrung wird durch Übungen der Konzentration und Meditation möglich. Dabei erfährt der Meditierende auch das lebendige Subjekt dieser Prozesse. Das ist die erste höhere ICH-Erfahrung, die Begegnung der Aufmerksamkeit mit sich selbst, das «Grunderlebnis des Geistes». Im Kapitel ‹Konzentration und Kontemplation› führt Kühlewind am Beispiel einer einzigen Übung (der Gegenstandskonzentration oder Gedankenkontrolle) vor, wie die Konzentriertheit eine solche Intensität erreichen kann, dass sie zur Kontemplation führt:
Man soll sich durchaus nur auf das Thema konzentrieren. Der Gedanke «jetzt beobachte ich meine Denktätigkeit» darf nicht aufkommen, denn sonst ist es kein Denken des Themas mehr. Folglich wäre nichts mehr da, was man beobachten könnte. Es geht einem mit der Zeit von selbst auf, dass dieses Konzentrieren zugleich die Erfahrung, das Erleben des Denkvorganges ist. «Beobachtung» ist es nur in einem uneigentlichen Sinne; es ist nicht eine Beobachtung von außen her, kein Gegenüberstehen. Das Thema und das Denken selbst sind kein «Gegenstand». Es ist ein Erleben des gegenwärtigen Denkens und zugleich die Geburt des eigenen wahren Ich oder des eigenen geistigen Selbstes: des Geistselbstes. (S. 57f.)
In den zwei folgenden Kapiteln tastet der Autor die Grenzen der Seele – die Seele selbst ist ja die Grenze des Geistes im Menschen – und das Mysterium des Wahrnehmens ab. Es heißt da:
Die Grenzen der Seele behindern, die Grenzen der Seele ermöglichen das Erkennen. Die Seele stellt sich zwischen Welt und Geist, also zwischen Geist und Geist. So stiftet sie die Grenzen. Der einheitliche Strom des Erkennens wird unterbrochen, zweigeteilt. Das universale Weltgeschehen erscheint von «innen» als Denken, von «außen» als Wahrnehmung. Die Seele hat die Offenbarung des Begrifflichen ausgesondert – «herausgeboren». Sie hat aus diesem Teil eine Innenwelt gebaut. (S. 79)
Das folgende Kapitel ‹Die geistige Kommunion des modernen Menschen› ist ein fast beispielloses Wagnis, wie es Kühlewind in seinen späteren Werken immer wieder unternimmt. Es besteht fast ausschließlich aus Meditationen. Ist der Leser bis jetzt den Ausführungen des Autors innerlich gefolgt, dann kann er schon meditativ lesen und in diesem Kapitel die Quelle tiefster Weisheit und Intensität finden. Ansonsten bleibt es höchstens ein kaum verständliches Prosagedicht.
Die letzten zwei Kapitel ‹Über den Sinn des Seins› und ‹Das Licht der Erde› setzen den meditativen Stil fort und führen zu weiteren, völlig neuen Einsichten. So zum Beispiel:
Die Gottheit des antiken Menschen war noch Geist: wahre Gottheit also. Die Gottheit des modernen Menschen, die er gar nicht als ein Numinoses [Heiliges, Göttliches] durchschaut, ist von ihm selbst aufgerichtet: ein Idol. Er gibt ihm Leben – sein eigenes. Er verleiht ihm Geist – seinen eigenen. Aber er bemerkt es nicht.
Diese Idolatrie der objektiven Wirklichkeit ist ein erster Schritt.
Es folgt die Anbetung des Bösen.
[…]
Jeder Mensch hilft mit. Jeder baut an der technischen Welt weiter, produzierend oder konsumierend. Er kann nicht anders.
Er weiß aber aus Erfahrung, dass ihm aus dieser Welt der Technik nichts Gutes zukommt. Indem er in dieser Welt lebt, bejaht er sie und ihr böses Idol, wenn er sie nicht gleichzeitig mit ihrer Bejahung durchleuchtet: als dasjenige erkennt, was sie in Wahrheit ist, wenn er also nicht die Kunst des Erkennens ausübt.
Die ganze Welt wartet auf diese Gebärde, auch die Welt der Technik.
Das Erlösen der Welt ist ihr Erkennen in der Wahrheit. (S. 109f.)
Der Aufbau des Buches ist selbst eine Lehre, vielleicht die wichtigste. Jeder meditative Text stellt den Anspruch an den Leser, dass er sich selbst während des Lesens ändere, dass er mit dem Text «steige». Wenn man diese Steigerung übersieht, verschläft, dann verliert man irgendwann den Faden. Wenn es aber dem Leser gelingt «mitzufliegen», so fängt er an, nicht nur ein Buch, sondern auch sich selbst, sein eigenes Leben und die ganze Welt «zu lesen».
«Erkennen ist Lesen, Lesen in der Physiognomie des Erkannten, nicht Reibung.» So heißt es im 2. Kapitel (S. 69). Und im 6. Kapitel: «Erkennen gehört zur Welt. Nichts ist außerhalb. Die Kunst gehört zur Welt. Wirkliches Erkennen ist Kunst. So natürlich wie jede Kunst.» (S. 103) Diese Kunst, die Kunst des Lesens, gilt es zu lernen. Und am Ende des Buches:
Die Welt zu besiegen, heißt: die Welt zu schauen vor ihrem Totwerden in uns, in ihrer Lebendigkeit als Himmel. Die Welt zu besiegen, heißt: die Erde in den Himmeln zu schauen und die Himmel auf die Erde zu bringen. Die Welt zu besiegen heißt: die Erde so zu schauen, wie sie im Geiste schon ist – seit Golgatha. Seitdem hat sie neues Licht. Seitdem ist sie aufgehende, gerade entzündete Sonne.
«Solches habe ich mit euch geredet, dass ihr in mir Frieden habet. In der Welt habt ihr Bedrängnis; aber habet Mut, das Ich hat die Welt besiegt.» (Joh 16,33) – «Denn alles, was von Gott geboren ist, besiegt die Welt; und unser Glaube ist der Sieg, der die Welt besiegt.» (1 Joh 5,4).
Den Glauben zu erringen und die Welt zu besiegen: das ist ein und derselbe Sieg. (S. 129f.)
Nun ist die nächste, auf Georg Kühlewind folgende Generation auch schon betagt. Ich hoffe leise, dass inzwischen eine neue Generation herangewachsen ist, in der es immer mehr Menschen gibt, die dieses Buch richtig lesen und grundlegende Impulse daraus erhalten können. Das Zeitalter des Geistselbstes kommt nicht automatisch – nichts Gutes kommt automatisch. Der Mensch wird nicht mehr von oben her beschenkt – es sei denn, er holt die Geschenke des Geistes selbst, aus Freiheit und Liebe, von oben herab. Der Mensch muss die Umkehr tun wie der verlorene Sohn. Dann erhält er wieder Geschenke von oben her, dann wird das Freudenfest von Menschen und Göttern gefeiert. Der Mensch muss das Zeitalter des Geistselbstes selbst herbeiführen. Dazu ist dieses wunderbare Buch ein ganz grundlegender Beitrag.
Laszlo Böszörmenyi, im Dezember 2023
Es ist die größte Schwierigkeit des modernen Menschen, die Schwelle des gespiegelten Bewusstseins zu bemerken, zu sehen, zu überwinden. Wie dazu in Rudolf Steiners Philosophie der Freiheit hingeleitet wird, versucht der erste Aufsatz zu zeigen. Die Besinnung auf diese Schwelle, die zwischen dem Denken und dem Gedachten liegt, führt den Experimentierenden zum «Grunderlebnis des Geistes». Im dritten Aufsatz wird versucht, zu den ersten Schritten im Bereich der Konzentration und Kontemplation eine Methodik zu entwickeln. Die zwei letzten Aufsätze bringen Ergebnisse: wie beim Betrachten der Grenzen der Seele diese Grenzen durchsichtig und durchlässig werden. Die Form der Mitteilung ist eine solche, dass der Leser, die Linien der Denkbewegung nachzeichnend, in das Wehen des Denkens eintritt.
Für den heutigen Menschen ist es verhältnismäßig leicht, die Grenzen des Denkens und damit auch die seines Bewusstseins in den Erfahrungsbereich zu bringen, und das sogar auf verschiedene Weise. Man braucht nur zu fragen: Warum ist etwas evident? Woraus besteht die Evidenz? Warum ist das Logische logisch? Das Denken weiß keine Antwort auf diese Fragen, beziehungsweise es müsste das In-Frage-Gestellte für jeden Antwortversuch voraussetzen. Deshalb das Unbehagliche solcher Fragen. Oder man geht ihnen, wo man kann, aus dem Wege, wodurch ungewollt das Heruntersinken des denkenden Bewusstseins auf eine vorkritische, naive Ebene, auf diejenige der unreflektierten Verwendung des Denkens gefördert wird. Deshalb die halbdurchdachten Versuche zur Regelung oder Schematisierung des Denkens, damit es «richtig» sei, – ohne zu bemerken, dass die Regelung doch wieder durch ein Denken geschieht, durch ein Denken verstanden und bewertet werden muss, das noch nicht «geregelt» ist. Man ist sich oft nicht bewusst, dass die Logik aus dem Denken kommt, nicht umgekehrt. Erst denkt man logisch, dann schafft man oder versteht man die Logik als beschreibende, nicht normative Wissenschaft. Diese setzt das logische Denken immer voraus.1
Das Hinführen an die Grenze kann aber auch andere Formen annehmen. Dass die «Sprache» nur für die einfachsten Aussagen eindeutige Ausdrucksformen liefert, hat schon Wittgenstein festgestellt. (Er meint eigentlich nicht die Formen der Sprache, sondern des Denkens.) Es kann aber leicht gezeigt werden, dass der einfachste Satz – etwa: Hier ist der Tisch – Elemente enthält, welche eigentlich nicht durchschaut, ja sogar nicht durchdacht werden können. In dem angeführten Satz ist offenbar das Wort und der Begriff «ist» ein solcher, dem man nicht auf den Grund gehen kann, denn wer könnte seine Bedeutung erklären? Das Kind erfasst diesen Begriff – wie auch alle anderen – intuitiv-unbewusst, verwendet ihn ohne Fehler, und dabei bleibt es beim Erwachsenen. Ebenso «unerklärlich» ist der Begriff «hier». Zur Klärung ist mindestens der Begriff «dort» nötig. Jeder dieser Begriffe ist für sich allein unerklärlich. Zum Verstehen beider ist die Intuition «hier-dort» notwendig, und zu dieser kann man hinführen, sie jedoch nicht hervorrufen oder «verständlich machen» durch andere Begriffe. Wort und Begriff «Tisch» scheint uns am ehesten zugänglich zu sein. Versuchen wir aber, ihn zu erklären oder zu definieren: Die unwesentlichen Merkmale beiseite lassend (Werkstoff, Anzahl der Beine, Form usw.), bleiben horizontale Fläche, Härte, begrenzte Größe und Höhe. Es kann aber leicht gezeigt werden, dass auch diese nicht zwingend sind. Man kann auf einem liegenden Bierfass «tischen». Es ist modern, auf dem Fußboden zu tischen, und bei einem Ausflug kann ein Tuch, hingelegt auf den Abhang eines Hügels, als Tisch dienen. Alle als wichtig erkannten Eigenschaften hat also der «Tisch» eingebüßt. Es bleibt bei dieser völligen Entmaterialisierung und Entkleidung der Form allein die «Funktion», das Dienende des Tisches. Worin besteht aber die Funktion? Zum Essen, Schreiben, Kartenspielen, Schachspiel etc. zu dienen – das alles und noch weiteres kann nicht definiert oder begrifflich genau angegeben werden. Es bleibt wieder die Intuition: Ein jeder «weiß» doch, was eigentlich ein Tisch ist oder als Tisch dient, unter allen Umständen. Es ist nur ein Schritt weiter zu tun, um einzusehen, dass die Festlegung der «Bedeutung» von einzelnen Worten auf rationellem Wege ohne Berufung auf die Intuitionsfähigkeit einfach nicht möglich ist. Sehr klar kommt das zum Ausdruck bei Begriffen, die nicht aus der Wahrnehmungswelt stammen. Der wirtschaftswissenschaftliche Begriff «Arbeit» ist stark umstritten und kann nur erklärt werden, wenn man weitere Begriffe zu Hilfe nimmt. Wenn man das Verfahren auch auf diese hin fortsetzt, also diese wieder festlegen will durch «Konvention», muss man von Neuem weitere Begriffe verwenden, und es ist offensichtlich, dass dieser Versuch in eine nicht zu beherrschende Divergenz einmündet. Letztlich ist es doch das Vertrauen auf «Das versteht sich sowieso», was die Kommunikation ermöglicht.
Es ist aus den wenigen obigen Beispielen klar, dass die paradoxe Situation in Bezug auf die wohl verwendeten, aber hinsichtlich ihres Ursprungs unklaren Begriffe daher stammt, dass das Bewusstsein immer nur das Schon-Gedachte «mit-erlebt», der Vorgang des Denkens aber vor dem Gedachten liegt und dieser Vorgang – das Werden des Gedachten – demnach vorbewusst ist. Ohne Gedachtes, Vorgestelltes gibt es kein gewöhnliches Bewusstsein. Ein «leeres» Bewusstsein herzustellen ist gewöhnlich nicht möglich. Wir geraten bei dem Versuch in eine Art Träumen oder Schlafen.2
Die erste Hälfte der Philosophie der Freiheit Rudolf Steiners bezieht sich auf eine Bewusstseinsstufe, die dadurch charakterisiert werden kann, dass auf ihr die Inhalte des Bewusstseins durch Beobachtung gegeben sind und insbesondere als ausgezeichnete Beobachtung auf diesem Bewusstseinsfelde die des Denkens, genauer ausgedrückt: des Gedachten, gemacht werden kann. In den ersten sieben Kapiteln des Werkes wird unter «Denken» nicht der Vorgang selber, sondern, wie im gewöhnlichen Sprachgebrauch, das in das Bewusstsein fallende Ergebnis dieses Vorganges verstanden. Es wird dies dort besonders klar, wo Steiner über die Beobachtung des Denkens spricht: «Ich bin sogar in demselben Fall, wenn ich den Ausnahmezustand eintreten lasse und über mein Denken selbst nachdenke. Ich kann mein gegenwärtiges Denken nie beobachten; sondern nur die Erfahrungen, die ich über meinen Denkprozeß gemacht habe, kann ich nachher zum Objekt des Denkens machen. Ich müßte mich in zwei Persönlichkeiten spalten: in eine, die denkt, und in die andere, welche sich bei diesem Denken selbst zusieht, wenn ich mein gegenwärtiges Denken beobachten wollte. Das kann ich nicht. Ich kann das nur in zwei getrennten Akten ausführen. Das Denken, das beobachtet werden soll, ist nie das dabei in Tätigkeit befindliche, sondern ein anderes».3 –«Zwei Dinge vertragen sich nicht: tätiges Hervorbringen und beschauliches Gegenüberstellen».4
Der intuitive Charakter des Erscheinens des Gedachten tritt uns klar entgegen in den folgenden Aussagen. «Was ein Begriff ist, kann nicht mit Worten gesagt werden. Worte können nur den Menschen darauf aufmerksam machen, daß er Begriffe habe».5 – «Im Gegensatz zum Wahrnehmungsinhalte, der uns von außen gegeben ist, erscheint der Gedankeninhalt im Innern. Die Form, in der er zunächst auftritt, wollen wir als Intuition bezeichnen. Sie ist für das Denken, was die Beobachtung für die Wahrnehmung ist.»6 Die «Form», die Art und Weise, wie wir Begriffe «bilden», wird hier Intuition genannt. Wir «erleben» dieses «Bilden» aber zunächst nicht, sondern nur das Ergebnis der Intuition, weil wir nicht fähig sind, die Geistes-Gegenwart im Bilden der Begriffe zu erleben; wir erleben allein den ständigen Verlust der Gegenwärtigkeit,7 d.h. das in die Vergangenheit fallende, das Vergangene, den fertigen Begriff. Versuche das Gegenwärtige zu fassen: jetzt! – es ist schon vorbei.
«Der Mensch nimmt, indem er denkt, eigentlich nur die letzten Phasen seiner denkerischen Tätigkeit, seines denkerischen Erlebens wahr».8 Es folgt der zitierten Stelle eine ausführliche Beschreibung der verschiedenen Phasen des Denkvorganges. Ähnliche Feststellungen in Bezug auf das Wahrnehmen stehen zum Beispiel in der ersten Meditation des Büchleins Ein Weg zur Selbsterkenntnis des Menschen.9
Die Möglichkeit, das gedachte Denken zu beobachten oder über das Gedachte zu denken, war vor dem Zeitalter der Bewusstseinsseele nicht gegeben. Die Verstandesseele verwendet zwar scharfsinnigst das Denken, dieses ist aber immer Ancilla eines anderen Prinzips, heute Ancilla Technicae, Ventris, um anderes nicht zu erwähnen, jedenfalls Ancilla Corporis (Magd der Technik, des Magens, des Körpers). Über das Denken zu denken, fängt man in der Scholastik an, ein Vorspiel der Bewusstseinsseele. Typisch für die Bewusstseinsseelen-Art ist Descartes’ «Cogito ergo sum», bei aller Unzulänglichkeit dieser Aussage. Offensichtlich ist es die Fähigkeit des reinen, wahrnehmungsfreien, abstrakten Denkens, das diese Reflexion auf das Denken ermöglicht. Damit aber kommen auch alle Zweifel über das Denken, über das Erkennen, es kommt das Zeitalter der Erkenntnistheorie. Das Erkennen wird nicht mehr naiv hingenommen. Man denkt über das Erkennen nach. Da man dies mit denselben Erkenntniskräften tut, die auch sonst im Erkennen wirken, kommt die erkenntnistheoretische Bestrebung bald zu einem sich selber widersprechenden Agnostizismus, und bald danach wird das Unternehmen aufgegeben. Das Denken sieht ein – wenn das auch nicht bewusst im Denkenden geschieht –, dass jede Aussage des Denkens über sich selbst keinen anderen Wert haben kann als jede andere Aussage – das Denken «sieht» sich nicht beim Denken, nur nach dem Denken, nachdem schon gedacht wurde; denn die Ebene des Denkens, des Erkennens ändert sich nicht dadurch, dass das Denken über das Gedachte denkt. Vor der Jahrhundertwende wurden die erkenntnistheoretischen Bestrebungen im Grunde genommen aufgegeben. Ausnahme bilden zwei Philosophen: Hegel und Gentile. Beide haben die Intuition des Denkvorganges und setzen diesen in den Mittelpunkt ihres Forschens, ohne aber diesen Vorgang wirklich zu erfahren und eine Anleitung zu solcher Erfahrung geben zu können. Diese Aufgabe greift Rudolf Steiner in seinem ganzen Lebenswerk auf.