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Georg Kühlewind fordert dazu auf, sich in aktivem Denken und meditativer Vertiefung der Substanz jenes wahren Selbstes zu nähern: der freien, nicht-geformten Aufmerksamkeit, die in jede Form einströmen, sich aber auch wieder aus ihr zurückziehen kann und somit jeglichen Vorgang des Verstehens veranlasst und trägt. Er macht in beeindruckender Klarheit deutlich, was es heißt, wenn die Aufmerksamkeit in sinnlosen Formen gefangen wird (Irrtum und Illusion, alle Formen von Sucht, Ärger, Hass) und wie in den Übungen der Konzentration und Meditation ein Schlüssel dafür liegt, sie wieder aus ihnen zu befreien.
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Seitenzahl: 130
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Georg Kühlewind
Die Wissenschaft des Ich
«Man muss schon sein Erden-Ich verlieren, um sein wirkliches wahres Ich in der Anschauung zu bekommen. Und derjenige, der nicht diese Hingabe entwickeln würde, der kann eben an dieses wahre Ich nicht herankommen. Man möchte sagen: Das wahre Ich will nicht gesucht sein, wenn es erscheinen soll, wenn es sich offenbaren soll; und es verbirgt sich, wenn es gesucht wird. Denn es wird nur in der Liebe gefunden. Und Liebe ist Hingabe des eigenen Wesens an das fremde Wesen. Daher muss das wahre Ich wie ein fremdes Wesen gefunden werden.»
Rudolf Steiner, Dornach, 22. April 1923
Vorwort zur Neuausgabe
von Wolfgang Tomaschitz
Einstimmung
1.Die Namen
2.Die Aufmerksamkeit
3.Die Hingegebenheit
4.Ich bin die Aufmerksamkeit
5.Die geteilte Aufmerksamkeit
6.Die Teilung der Aufmerksamkeit – die Egoität
7.Die Egoität
8.Empfindungsleib, Empfindungsseele, Ego-Leib
9.Das überbewusste Fähigkeitsgebiet der Seele
10.Die Lücke in der Vererbung
11.Die Welt der Bedeutungen – die geistige Natur der Aufmerksamkeit
12.Formen und das Reflektieren
13.Verständliche und unverständliche, sinnvolle und sinnlose Formen
14.Missverstehen im Denken und Fühlen
15.Die Entwicklung des Willens
16.Das Missverstehen im Willensbereich
17.Vorläufige Zusammenfassung und Ergänzungen
18.Die sinnlosen Formen
19.Das wahre Selbst
20.Die Leerheit
21.Das Schicksal der Aufmerksamkeit
22.Die allgemeine Erkrankung des Bewusstseins
23.Konzentration
24.Meditation
25.Das Selbst
Ausklang
Nachwort zur zweiten Auflage
Anmerkungen
Über den Autor
Hier spricht ein Meister der Geistesforschung, wie Rudolf Steiner sie erhofft hatte. Zwar liegt dies in Form eines Buches vor uns, was aber tatsächlich eröffnet wird, ist eine Praxis, ein Weg. Etwas, das sich – wie es in Georg Kühlewinds eigener Einleitung heißt – nur der Erfahrung erschließt.
Der Text ist meisterhaft komponiert. Er ist ein Musterbeispiel für das Wechselspiel von Studium und Meditation. Ein, zwei Seiten hinführende Überlegungen in präziser Sprache, in einer Art Übersetzung schon bekannter geisteswissenschaftlicher Begriffe, dann: eine Übung. Und nach jeder Übung, wenn sie ernsthaft versucht wurde, hört man Kühlewind fragen: Hast du gemerkt worauf es ankommt? In welche Richtung es geht? Und dieses «Aufmerken» ist dann die Basis für die nächsten Schritte und Themen.
Durch 25 knappe, extrem verdichtete Kapitel und 34 Meditationen werden wir geführt. Alle Schritte werden nüchtern und reflektiert gesetzt, sodass der Übende immer weiß, was er tut und worauf seine Praxis zielt. Die Kunst dieser verdichteten und instruktiven Sprache ist die Frucht vieler Jahre. Georg Kühlewind war unablässig bemüht, sich immer noch verständlicher zu machen, ohne aber der Bequemlichkeit der Leser entgegenzukommen. Nach Themen, die noch stärker philosophische oder auch theologische Interessen voraussetzten, hatte er sich in den Neunzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts Phänomenen zugewandt, die näher bei unserer Alltagserfahrung liegen und für die Qualität dieser Erfahrung maßgeblich sind: Aufmerksamkeit und Hingabe.
Der hier geschilderte Weg beginnt mit einer Erkundung, durch die verständlich wird, was wir selbst mit Aufmerksamkeit zu tun haben. Wie nahe uns diese ist und wie viel sie mit unserem Selbst-Sein zu tun hat. Durch dieses Beginnen erhält der Übende die Möglichkeit, sich auf die eigenen Beine zu stellen, ein neues Zentrum seiner inneren Tätigkeit auszubilden, das nicht (vollständig) von der Verfassung und den Stimmungen des Alltagsbewusstseins abhängig ist. Das eine Standbein ist dabei das Vertrautwerden mit der Natur der eigenen Erfahrung, man könnte sagen: mit den Urphänomenen des Denkens, des Fühlens, des schöpferisch Tätigseins, um dadurch die Selbstsicherheit zu gewinnen, die nötig ist, um sich auf ungewohnte offenere Erfahrungen einzulassen. Denn das andere Standbein, eigentlich das Spielbein, ist die freie oder wieder frei gewordene Hingabefähigkeit, die es erlaubt, unsere Aufmerksamkeitskräfte souveräner zu steuern und uns mit Dingen, Ereignissen und Menschen wirklich zu verbinden.
Bewusstsein und Wirklichkeit werden auf diesem Weg in einem bearbeitet. Denn hier sind die fundamentalen Elemente des Selbst- und Weltverstehens selbst das Übungsfeld. Wir lernen, wodurch unsere Sicht der Wirklichkeit und unser Selbstgefühl konstituiert sind und dass beides vorläufig und wandelbar ist. Die letzte Meditation, die in diesem Buch vorgeschlagen wird, ist die Frage: «Hast du dich verändert?»
Dass die nun vorliegende Neuausgabe die Beiträge Georg Kühlewinds zu diesen wichtigen Themen wieder zugänglich macht, kommt in doppelter Hinsicht zur rechten Zeit. Zu einem Zeitpunkt, an dem sich das Thema «Achtsamkeit» breite Anerkennung errungen hat, kann mit Kühlewind – einen Schritt weiter gehend – eine vertiefte Achtsamkeitserfahrung beschrieben werden. Man könnte sagen, eine Form von Achtsamkeit als einer Ich-Erfahrung, in der das Ich sich darüber aufklären kann, was in ihm durch Beschränktheit, Geformtheit, vielleicht sogar Deformation wirkt, und wo es schöpferisch, offen und sinnstiftend ist.
Und im Kontext der anthroposophischen Bewegung kommt das Buch zur rechten Zeit, weil nun seit einigen Jahren die «anthroposophische Meditation» als Thema und als Übungsfeld tatsächlich sichtbarer geworden ist. Was zu Beginn von Georg Kühlewinds öffentlicher Tätigkeit in den Siebzigerjahren und selbst noch zum ersten Erscheinen von Aufmerksamkeit und Hingabe Pionierarbeit einiger weniger war, ist heute durch die Bemühung und Kooperation vieler getragen. Für die Aufgabe, die anthroposophische Meditation aufzuschließen, für sie eine zeitgemäße Sprache zu finden und sie zu einer Praxis zu entwickeln, aus der Einzelne sich eine Richtung geben und sich reflektiert und selbstbewusst auf den Weg machen können, ist die Stimme Georg Kühlewinds unverzichtbar.
Hören Sie selbst!
Wien im Dezember 2018
Wolfgang Tomaschitz
Dieses Buch hat sich ohne Absicht des Verfassers einem allgemeinen Grundzug der modernen Kunst angenähert: Wie sie fordert es vom Rezipienten, in diesem Fall vom Leser, sehr viel Aktivität, wenn dieser – wie der Verfasser hofft – über das gewöhnliche Verstehen hinaus noch anderes vom Buch erwartet.
Es sind eine beträchtliche Anzahl von Meditationen im Text zu finden; auch außerhalb der so bezeichneten Sätze bietet sich der Text an vielen Stellen zum Meditieren an. Dies hängt mit dem Thema zusammen, das sich nur durch Erfahren und nicht durch rationales Denken allein enthüllt. Es geht nicht um Irrationales, sondern – mit einem Ausdruck Steiners – um Über-Rationales. Der aufmerksame Leser wird viel Unausgesprochenes bemerken und erfahren können.
Manche Motive treten wiederholt auf. Jedes Mal werden sie in einen neuen Zusammenhang gestellt, das Denken über sie wird weitergeführt, es geht um einen Prozess entlang des Textes, nicht um Informationen.
Jedes Wort ist Name oder Zeichen für ein Verständnis oder Verstehen, wenigstens aber für ein Gewahrwerden, und ebenso sind die grammatischen Wendungen, ja alle Elemente der Grammatik Zeichen für Verständnisse. Dass Substantive, Adjektive und so weiter Zeichen für Dinge, Begriffe, Verhältnisse seien, ist naiver Realismus, der auf dem Glauben beruht, dass dieselben Dinge, Begriffe, Verhältnisse auf dieselbe Weise auch ohne ein Verstehen existierten. Die Rolle des nennenden Subjekts bleibt dabei außer Acht.
Die Zeichen sind Zeichen für ein Verstehen, Letzteres nennt man auch die «Bedeutung» der Zeichen. Die Bedeutung eines Zeichens ändert sich meistens in der Geschichte der Sprache, und das Zeichen ändert sich auch. Die Veränderung der Bedeutungen in längerer Zeitspanne besteht meistens in einer Verengung, in einem Schrumpfen; dasselbe Wort hat heute eine viel ärmere, einseitigere Bedeutung als in früheren Zeiten. Wir können seine einstige Bedeutung nicht mehr erfassen, höchstens in der Versenkung können wir versuchen, die Vielfalt der Bedeutungen, Anwendungen eines altgriechischen Wortes auf intuitive Weise in eine Begrifflichkeit zusammenzufassen oder überhaupt zu erahnen. Diese wird mehr als die additive Summe der im Wörterbuch angeführten Bedeutungen sein.1 Deshalb ist die Übersetzung von älteren Texten in eine heutige Sprache im Prinzip unmöglich. Die intuitive, umfassende Kraft unseres Denkens hat erheblich abgenommen. Dies scheint eine der Ursachen dafür zu sein, warum wir für unser innerstes Wesen, für unsere freie Hinwendungsfähigkeit keinen ganz treffenden Ausdruck finden können. Es mag aber auch noch einen tieferen Grund dafür geben.2
Meditation: Was bedeutet es, wenn ich ein Wort ausspreche oder denke? Was alles geschieht dabei?3
In vielen Traditionen – so in der althebräischen oder altindischen – wurde das Selbst oder das Ich als etwas Göttliches angesehen, weil für die große Mehrzahl der Menschen die Bewusstheit, da sie unreflektiert blieb, keine Erfahrung war; und weil die sprachgegebenen, auf sich zurückweisenden Wörter wie «Selbst», da sie Erziehungsmittel auf dem Wege zur Selbstbewusstheit waren, ahnungsweise als zur Göttlichkeit gehörig empfunden wurden. Im partizipierenden Einheitsbewusstsein – nur wir nennen es «Bewusstsein», nicht diejenigen, die in diesem Zustand gelebt haben – war die Aufmerksamkeit der Menschen nicht frei, weil kein auch nur provisorisches Selbst oder Ich, kein selbstbewusster Mittelpunkt im Menschen vorhanden war, von dem aus die Aufmerksamkeit hätte gelenkt werden können. Sie war stets ungeteilt in der Hingabe an die Welt, an die geschaffene und an die schaffende Welt der Götter. Aus demselben Grund hatte man keinen Blick auf die Phänomene des Bewusstseins – auch auf das nicht, was wir heute Aufmerksamkeit nennen – und dadurch keine Begrifflichkeit.
Das Wort «Aufmerksamkeit» kann nur annähernd bezeichnen, was hierunter zu verstehen ist. «Aufmerken» ist zu sehr von außen bedingt, «Aufmerksamkeit» zu sehr von innen, als eigene Aktivität. Die Gebärden der Aufmerksamkeit sind mannigfaltiger, sie umfassen «Wahrnehmen», «Gewahrwerden» als empfangendes aktives Denken, Beobachten als intentionale, mehr vom Willen des Subjektes ausgehende Tätigkeit. Man könnte das Wort «Bewusstheit» (awareness) oder Wachheit verwenden, das ist aber im heutigen Gebrauch zu passiv. Auch fehlt allen Bezeichnungen der heilige oder religiöse Charakter, welcher im niederländischen Wort «aandacht» (besonders hörende Aufmerksamkeit) noch mitklingt und ebenso in dem einzigartigen Satz von Malebranche aus den Conversations chrétiennes: «Die Aufmerksamkeit ist das natürliche Gebet, das wir an die innere Wahrheit richten, damit sie sich in uns offenbare.»4 Diese Aufmerksamkeit ist die der Menschennatur gegebene Kraft, ohne die man nicht beten könnte und durch die man die Wahrheit, die Unverborgenheit sucht. Und die offenbart sich immer im Menscheninnern. Sätze wie der von Malebranche entstammen großen intuitiven Einsichten, darum sind sie auch sehr selten. Gewöhnlich denkt man über die Aufmerksamkeit gar nicht nach, umso weniger, als man sie weder jemals direkt erfährt noch beobachten kann – man bemerkt sie, wenn sie nach einer Abwesenheit zurückgekehrt ist, im Nachhinein. Weil wir alles durch sie erfahren – Wahrnehmungen, Gedanken, Erinnerungen –, bleibt sie selbst unerfahrbar. Sie scheint das Undurchsichtige, die ganze Objektwelt, das «Andere» zu vermitteln, indem sie zu ihren Objekten hin durchsichtig ist, und ist als Durchsichtiges nicht zu sehen. Auch alle innerseelischen Phänomene – Denken, Fühlen, Wollen – werden durch sie als Objekte beobachtet und wahrgenommen; als Objekte, eben weil diese seelischen Elemente immer schon vergangen sind, wenn sie in das innere Blickfeld gelangen, oder aber in einem schnellen Pendelschlag der Aufmerksamkeit zwischen Hingegebenheit und Bei-sich-Sein wahrgenommen werden, ebenso wie das im Sinneswahrnehmen geschieht. Nur die Aufmerksamkeit könnte auf sich selbst aufmerksam werden, soviel ist schon durch die vorangegangenen Beobachtungen klar.
Obwohl alle seelischen Elemente Prozesse sind, das heißt, sie sind nicht, sondern sie werden, sind sie für die Aufmerksamkeit immer nur als Vergangenheitsobjekte wahrnehmbar. Warum das so ist, bildet eine der Fragen, die uns beschäftigen werden; die andere Frage bezieht sich auf die Erfahrbarkeit der Aufmerksamkeit selbst. Die zwei Fragen hängen zusammen.
Meditation: Wem vermittelt die Aufmerksamkeit etwas?
Der Pendelschlag der Aufmerksamkeit ist gewöhnlich asymmetrisch: Die Phase der Hingegebenheit ist kurz, die des Bei-sich-Seins, in welchem außen oder innen Wahrgenommenes registriert, benannt, begrifflich identifiziert wird, ist lang. Es gibt aber Phänomene, bei denen die Hingabe lang dauern kann, und diese Fälle zu beobachten ist im Hinblick auf das Wesen der Aufmerksamkeit aufschlussreich. So zum Beispiel wird der Zuschauer im Theater – wenn gut gespielt wird – lange in der Hingabe an die Bühnenszene bleiben, ebenso der Zuhörer im Konzert in der Musik oder der Betrachter einer schönen Landschaft im Bild, der Lesende eines Romans im Text, in den Vorstellungsbildern, die er am Text entwickelt. In diesen Fällen ist erfahrbar, dass das Subjekt gänzlich identisch wird mit dem, was sonst als Objekt erscheint. In diesem Zustand ist es nicht möglich, sich auf sich selbst zu besinnen, sonst würde gerade der Zustand der Hingabe aufhören. Während der Hingegebenheit kann man nicht denken oder sagen, «ich sehe oder erlebe das oder jenes» – man wird zu dem, was man «erlebt», und dass man erlebt, wird daher auch bloß im nachhinein bewusst. Weil in der völligen und dauerhaften Hingabe keine Distanz zwischen Subjekt und Objekt besteht, haben wir kein Wort für ein solches «Erlebnis», denn für den Erwachsenen bezeichnen Worte etwas aus der Distanz, und sie erziehen auch zur Distanz von dem, was sie bezeichnen. Daher gibt es keine Worte und kann es sie auch nicht geben für das Erleben im archaischen, partizipierenden «Bewusstsein».
An das Phänomen der Hingegebenheit grenzen weitere beobachtbare Erfahrungen an. Erstens: Das Alltags-Ich, das wir als körpergebunden empfinden, aus dem heraus wir gewöhnlich sprechen, das wir als ein Mich-Fühlen erleben – als Objekt einer verborgenen Aufmerksamkeit –, scheint in der Hingabe zu verschwinden, samt kleineren körperlichen oder seelischen und eventuell auch größeren Schmerzen und Sorgen. Es kehrt plötzlich und meistens sofort bei Unterbrechung der Hingabe zurück.
Zweitens kann das Alltags-Ich über die «Erfahrungen» während seiner Vergessenheit oder Abwesenheit im nachhinein berichten, und zwar umso besser, je mehr es vergessen oder abwesend, das heißt je intensiver die Hingabe war. Das zeigt, dass die sich hingebende Aufmerksamkeit mindestens verwandt ist mit dem, woraus das Mich-Fühlen besteht, und dass Letzteres für die Zeit der Hingegebenheit seinen selbstempfindenden Charakter verliert und in der Hingabe in die empfangende Aufmerksamkeit eingeht. Das lässt schon ahnen, dass das Selbstempfinden aus Aufmerksamkeit besteht, die aber eine bestimmte Form angenommen und damit ihren freien Aufmerksamkeits-Charakter verloren hat.
Drittens wissen wir auch während der Hingabe und ohne darüber nachzudenken: Was auch immer wir erleben – es sind unsere Erfahrungen. So ist es im Hinblick auf jegliche Erfahrung, wir wissen unmittelbar, dass es unsere Gedanken, Wahrnehmungen, Emotionen, Gefühle, Erinnerungen und Willensimpulse sind. Dieses unmittelbare Wissen stammt nicht aus dem Mich-Fühlen, das gerade beim Erfahren meistens «vergessen» wird, sondern es fließt in der Aufmerksamkeit selbst, als ob ein verborgener Zeuge in ihr anwesend wäre – er versichert uns stillschweigend: Alles, was durch die Bewusstheit geht, ist unsere Erfahrung.5
Viertens kann man wenigstens als Hypothese annehmen, dass die Aufmerksamkeit nicht «vermittelt». Vermittlung würde bedeuten, dass auf beiden Seiten des vermittelnden Mediums Objekte zu finden wären; einerseits das Objekt, das vermittelt wird, andererseits ein Subjekt, das nicht die Aufmerksamkeit selbst wäre. Dieses «Subjekt» wäre aber seinerseits erst durch die Aufmerksamkeit zu finden und somit ein Objekt für sie. Die Erfahrung des Hingegebenseins zeigt vielmehr, dass das erfahrende Subjekt gänzlich mit dem «Objekt» identisch wird, wohingegen sich ein vermittelnder Charakter der Aufmerksamkeit durch keinerlei Erfahrung bestätigen lässt. In der Zeit der Hingegebenheit sind Aufmerksamkeit, Subjekt und Objekt zur Einheit verschmolzen. Die Aufmerksamkeit bedarf keiner Vermittlung und kann auch keine haben. Das Vermittelnde müsste auch durch die Aufmerksamkeit erfasst werden – damit schöbe man das Problem nur weiter. Wäre hingegen das Subjekt einer Erfahrung verschieden von der Aufmerksamkeit, so müsste es die Botschaften der Aufmerksamkeit (die in diesem Bild vermittelnd wäre) entgegennehmen. Aber was könnte eine Botschaft vernehmen, außer der Aufmerksamkeit?
Meditation: Es gibt nichts Näheres als die Aufmerksamkeit.
Das Ergebnis der letzten Versenkung kann kaum ein anderes sein, als dass die Aufmerksamkeit selbst die «Substanz» des Ich ist. Sollte man meinen, etwas anderes als Näherliegendes zu entdecken, so wäre es stets die Aufmerksamkeit, die jenes «Anderen» (Ich, Wille, Mittelpunkt usw.) gewahr wird und damit «näher» ist als das «Gefundene», das ein Objekt der Aufmerksamkeit wäre. Das ist der erste Beweis für die obige Behauptung.
Der zweite Beweis ist in der Erfahrung zu sehen, dass die Sinne ohne Aufmerksamkeit nicht funktionieren, auch wenn physikalisch-physiologisch-chemisch alles geschieht, was gewöhnlich zur Sinneswahrnehmung führt, falls die Aufmerksamkeit mitwirkt.