Erhalten Sie Zugang zu diesem und mehr als 300000 Büchern ab EUR 5,99 monatlich.
Der Autor wuchs unter sehr schwierigen Bedingungen auf. Erst Jahrzehnte später wurden ihm angesichts eines zufällig entdeckten Folterberichts die Dimensionen seiner Gewalterfahrungen und dessen gravierenden Folgen bewusst, die er bis zu diesem Zeitpunkt noch als halbwegs normale Bestandteile seines Lebens verinnerlicht hatte. Im Zuge der darauf einsetzenden biografischen Aufarbeitung entdeckte er, wie auch unser Bildungswesen ursächlich an zahlreichen gesellschaftlichen Missständen beteiligt ist. Besonders Kinder haben unter den indirekten Auswirkungen zu leiden, von denen in unserem Land jede Woche 2- 3 Kinder unbemerkt von der Öffentlichkeit, durch Vernachlässigung und elterliche Gewalt ihr junges Leben verlieren. Um unseren Mitbürgern zu helfen, ein Gespür für die Notwendigkeit einer hilfreichen Neuorientierung hinsichtlich unseres Bildungswesens zu gewinnen, zeigt der Autor anhand seiner erschreckenden Biografie, die beispielhaften Folgen einer gewaltbetroffenen Kindheit auf, wie sie auch heute noch junge Menschen in ähnlichen Auswüchsen treffen können. Um der gesellschaftlichen Unbewusstheit von Ursachen und Wirkungen ein hilfreiches Ende zu setzen, stellt der Autor im 2. Teil, anhand zahlreicher Beispiele die Schwachstellen unseres Schulwesens und deren verheerenden Folgen für die gesamte Gesellschaft dar. Weiter bietet er alternative Ideen an, die zur Überwindung der bisherigen Missstände und damit zu einem freiheitlichen Miteinander in sich ruhender Menschen beitragen sollten. Darüber hinaus lädt, er auf seiner Webseite www.Bildungsnot.de alle Bürger ein, sich mit denkbar geringem Aufwand mit ihrer Stimmabgabe für einen sinnvollen Bildungswechsel einzubringen.
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Seitenzahl: 517
Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:
Damit das Schlechte in der Welt siegt, braucht es nur genügend guter Menschen, die nichts tun.
Edmund Burke 1729 - 1797
Liebe Leserinnen und Leser!
Mit diesem zweiteiligen Buch halten Sie ein in dieser Art einzigartiges Schriftwerk in Händen, indem ich einen symbiotischen Bogen zwischen meiner persönlichen Biografie und den daraus resultierenden Ansätzen eines Sachbuches gespannt habe.
Symbiotisch aus dem Grund, da ich ohne Entdeckung meiner Biografie nie zum Thema Bildung gefunden hätte, um mir die Mühe zu machen, mich mit so einem Werk an eine breite Öffentlichkeit zu wenden.
Natürlich dürfte erst einmal irritieren, wie man nur seine eigene Biografie entdecken kann, die normalerweise jedem hinreichend genug bewusst sein dürfte und wünschenswert mit angenehmen Erinnerungen verbunden ist.
Meine Vergangenheit war mir im Grunde auch bekannt, ich vermied aber wegen der überwiegend schmerzlichen Erinnerungen an meine enorm gewalttätige Kindheit und den damit verbundenen Demütigungen und familiären Ausgrenzungen den Blick zurück. Schließlich bin ich kein Masochist. Zudem entsprachen meine Erfahrungen meiner gewöhnlichen Normalität, die ich aufgrund verinnerlichter Schuldgefühle, nicht mal ansatzweise kritisch zu hinterfragen wagte.
Diese über Jahrzehnte in Watte gepackte Normalität, geriet Ende 2003 angesichts eines AI-Berichts (Amnesty International) über afrikanische Folterpraktiken völlig aus den Fugen, da ich mich darin erstmals als eines jener Kinder wiedererkannte, über die Medien der Gegenwart zuweilen skandalträchtige Berichte von schwer misshandelten, vernachlässigten oder gar missbrauchten Kindern veröffentlichen.
In der Folgezeit eröffneten sich mir immer tiefere Abgründe und Dimensionen einstiger Gewaltbetroffenheit, die ich bis dahin vollkommen als Bestandteil meiner Normalität verinnerlicht hatte. Eine einzigartige Katastrophe.
Zutiefst erschüttert begab ich mich auf Spurensuche, um Erklärungen zu finden, wie so eine familiäre Katastrophe entstehen konnte, wie sie in abgewandelten Formen auch noch in gegenwärtigen Familien wüten, um Kinder zutiefst zu schädigen oder gar zu Tode bringen.
Im Ergebnis habe ich in den ständig neu zu reflektierenden Fragen von Ursachen und Wirkungen eine Menge interessanter Fakten gefunden und zusammengetragen. Sie zeigen:
Dass meine Erfahrungen bei weitem nicht nur Relikte einer zurückliegenden Zeitepoche entsprechen, wenn man weiß, dass auch heute noch, nahezu unbemerkt, mitten unter uns, bald jeden 2. Tag ein Kind an den Folgen von Gewalt bzw. elterlichen Misshandlungen stirbt.
Habe ich in meinen analytischen Betrachtungen entdecken müssen, wie auch unsere gesamte Gesellschaft von massiven Schädigungen betroffen ist, sie aber gleichfalls kaum zu realisieren vermag.
Da ich nur zu gut weiß, wie sehr ich sowohl unter der Gewalt und deren Folgen gelitten habe und wie schwierig sich für mich der Weg gestaltete, um gesellschaftlich Tritt zu fassen, wurde es mir bald schon ein großes Bedürfnis, durch entsprechende Aufklärung, einen Beitrag zu einem effektiveren Kinderschutz zu leisten. Denn jedes Kind, das in ähnlicher Weise physischen und psychischen Schmerz wie auch Ausgrenzung ausgesetzt ist und in dessen Folge in jungen wie auch in älteren Jahren unter den Folgewirkungen in seiner Entwicklung und Lebensglück beeinträchtigt wird, ist in jedem einzelnen Fall, eine Menschenseele zu viel.
Deshalb war es mir mit diesem zweiteiligen Werk wichtig, Mitlesenden zunächst anhand meiner beispielhaften Biografie ein Gespür dafür zu vermitteln, wie verheerend gewaltbetroffene Kindheiten ausfallen können. Zudem war es mir mit dem biografischen Anteil wichtig, für Leser/innen den schwierigen Weg nachzuzeichnen, wie ich zu diesem wichtigen Bildungsthema gefunden habe.
Möglicherweise waren meine biografischen Erfahrungen besonders hart oder kaum mehr zeitgemäß, um aus dem üblichen Gewaltrahmen zu fallen. Vergessen Sie dabei aber bitte niemals, dass bereits ein Bruchteil dessen oder anders ausgedrückt, bereits der „übliche Rahmen“ von Gewalt und erniedrigenden Demütigungen ausreicht, um Kinder zeitlebens zu schädigen. Und gleichfalls nicht zu vergessen, zwischen 50 - 170 Kindern jährlich in unserem Land nicht mal das fragwürdige Glück vergönnt ist, ihr gewaltsames Leben weiter zu führen.
Im zweiten Teil werde ich Mitlesenden anhand zahlreicher Fakten, Beobachtungen und logischen Rückschlüssen vor Augen führen, wie stark nahezu jeder von uns bereits von destruktiven Zwängen und Gewalt betroffen ist und mit welchen verheerenden Folgen sich die allgemeine Unbewusstheit über diese Tatsache auf alle Mitbürger und im Besonderen auf unsere Kinder auswirkt. An deren Auswüchsen unser Bildungswesen meiner Überzeugung nach einen ausgesprochen unheilvollen Anteil hat.
Diese Erkenntnis eröffnete sich mir als Vater zweier inzwischen erwachsener Kinder und als Hausmeister eines großen Gymnasiums zu meiner eigenen Überraschung im Zuge meiner Suche, wie Kinder effektiv gewaltpräventiv zu erreichen sind, eher beiläufig. Wünschenswert werden sich Mitlesende in den zahlreichen dargelegten Einzelblickpunkten wiedererkennen und ein Gespür dafür entwickeln, in welch gravierender Weise unser Bildungswesen auch heute noch durch die systematische Ausbildung von Anerkennungsdefiziten und Vorenthaltung persönlichkeitsfördernder Inhalte wohl weniger direkt, aber dafür umso schlimmer, in indirekter Weise einen maßgeblichen Anteil zur Begünstigung von Gewalt und Überforderung gegenüber Kindern beiträgt.
Das Tragische daran ist die Tatsache, dass wir durch die erzwungenermaßen generationsübergreifende Teilhabe an unserem Bildungssystem nahezu jedes Gefühl für dessen schädigenden Charakter verloren haben. Und weil es mit all seinen beständigen Qualen, Zwängen und Demütigungen zu einem Teil unserer Normalität geworden ist, die nahezu jeder von uns systemkonform durchlaufen musste, wird es bis heute kaum mehr ernsthaft hinterfragt. Dieses Buch dient demnach dazu, unser Bewusstsein zugunsten eines effektiveren Kinderschutzes (= Gesellschaftschutz) zu schärfen und uns aktiv für erforderliche Korrekturen einzubringen.
Inhaltlich ist es an gegenwärtige als auch künftige Eltern, unsere Bildungsministerien, Pädagogen, sowie an alle Mitbürger gerichtet, die noch kein Gespür dafür entwickeln konnten, welchen tiefgreifenden Anteil unser bis in die Gegenwart veraltetes Bildungswesen in enorm destruktiver Hinsicht auf uns alle ausübt.
Wenn ich damit am Ende schon mal eine interessierte Betroffenheit wecken konnte, wäre damit ein erster wichtiger Schritt erreicht, um ernsthaft über zielführende Veränderungen nachzudenken.
Und nein, keine Bange, trotz aller beschriebenen Mängel besteht für niemanden Grund, um in resignierende Apathie zu versinken. Immerhin habe ich es nicht dabei belassen, nur den Finger in schwelende gesellschaftliche Wunden zu legen, sondern stelle am Ende zu allen angesprochenen Problempunkten alternative Ideen vor, wie ein wünschenswerter Wandel aussehen könnte.
Greifen Sie diese auf, organisieren Sie schulübergreifende Aktionen, um unseren Verantwortlichen in den Kultusministerien verständlich zu machen, dass wir nicht mehr bereit sind, unsere Kinder auf staatliches Geheiß hin persönlichkeitszersetzend verstümmeln zu lassen.
Als hochentwickeltes Land ist es längst an der Zeit, gemeinsam zu überlegen, wie auch unser Bildungswesen den Anforderungen des 21. Jahrhunderts angemessen angepasst werden muss, um nicht mehr nur einseitige Wirtschaftsinteressen zu bedienen, sondern in erster Linie daran gedacht wird, künftigen Kindern und Jugendlichen endlich jene fördernden Bildungsmöglichkeiten zu eröffnen, die ihre Entwicklung zu eigenständigen Persönlichkeiten unterstützen. Nicht zu verwechseln mit jenen mitleidlosen Egoisten, wie sie heute zu Hauf überall auf der Welt ihr Unwesen treiben.
Nein, viel wichtiger geht es darum, unseren Erwachsenen von Morgen ein nachvollziehbares Gespür um ihres eigenen, wie auch sozialen Wertes zu vermitteln, die für intakte Lebensgemeinschaften so immens wichtig sind und im Selbstvertrauen bestärkt werden, wer sie sind, was sie ausmacht, wo sie stehen und wohin es sie drängt. Dann denke ich, brauchen wir uns um unser aller Zukunft kaum mehr ähnliche Sorgen zu machen, wie sie unser aller Leben bisher generationsübergreifend beschwert haben.
Alles was ich hier niedergeschrieben habe, entspricht der ungeschönten Wahrheit und würde mir wünschen, dass meine nicht minder unmissverständliche Gesellschaftskritik von niemandem als persönlicher Angriff aufgefasst wird.
Angesichts der bedeutungsvollen Tragweite für unsere gesamte Gesellschaft hielt ich es für erforderlich, nicht nur freundlich um den heißen Brei zu reden, sondern an markanten Stellen auch etwas provokativ Klartext zu sprechen.
Denn nur wenn meine Botschaft angekommen ist und verstanden wird, dürfte sich die Bereitschaft entwickeln, über unsere gesellschaftlichen Missstände nicht nur teilnahmslos mit den Schultern zu zucken, sondern ich möchte am Ende Sie, als Leserin und Leser erreichen, gleichfalls ein wenig aktiv zu werden, um den längst überfälligen gesellschaftlichen Wandel in Bewegung zu setzen. So wäre zumindest sichergestellt, dass die für uns lautlosen Qualen, Tragödien und Verletzungen die gewaltbetroffene Kinder bis hin zu ihrem Tod zu ertragen hatten, nicht gänzlich umsonst geblieben sind.
In diesem Sinne wünsche ich Ihnen die Geduld und Zuversicht, mit der Beschäftigung meiner dargelegten Inhalte eine sinnstiftende Sensibilisierung gegenüber sich selbst und unsere umgebende Gesellschaft an die Hand bekommen zu haben.
Eine leichte Kost ist dieses Buch mit teils hohem Triggerpotential demnach gewiss nicht. Ich kann mir vorstellen, dass damit für manche Mitlesenden die Schmerzgrenze des emotional Zumutbaren enorm strapaziert werden könnte.
Aber manchmal hat Schmerz auch etwas Gutes. So auch hier?
Dies wird die Zukunft bringen, wenn wir gemeinsam den Mut und die Kraft aufbringen, unser aller Zukunft neu zu gestalten.
Dieses Werk, mit all der damit verbundenen Zeit und Mühen ist einzig geschrieben worden, um uns gemeinsam zu motivieren, für uns und unserer zukünftigen Kinder aktiv zu werden.
Um Ihnen die Möglichkeit zu bieten, Inhalte meiner vorgetragenen Aspekte weiter zu vertiefen und sich im geringen Umfang meinem Anliegen aktiv anzuschließen, finden Sie in diesem Buch immer mal wieder den einen oder anderen Verweis zu meinen Webseiten:
www.Bildungsnot.de - und - www.ex-Heimkinder.de
Deutschland gehört heute nach zwei verlorenen Weltkriegen zu einem der fortschrittlichsten Länder der Erde, um aus allen Teilen der Welt Menschen in Not und Perspektivlosigkeit anzuziehen. Insoweit ein sicheres Indiz für den hohen Lebensstandard, den unsere Eltern und Vorfahren bis heute mit Unterstützung der Weltgemeinschaft gemeinsam für unser Land und damit für uns alle erarbeitet haben. Ich denke, wir als gegenwärtige Bürger dieses Landes sind stolz und zufrieden, heute in relativ unbeschränkter Freiheit und Sicherheit ein von Wohlstand geprägtes Leben führen zu dürfen.
Ob dieser Wohlstand aber auch im gleichen Maße mit Glück und innerer Harmonie einhergeht, dürfte eine Frage sein, die nur jeder für sich allein beantworten kann. Bekannt ist hingegen, dass längst nicht alle Menschen vom allgemeinen Fortschritt profitieren, um sich so frei und unbeschwert zu fühlen, wie wir es gern jedem wünschen möchten.
Insbesondere Kinder genießen gewöhnlich unser Mitgefühl, deren Eltern, aus welchen Gründen auch immer, ihrer Verantwortung gegenüber dem eigenen Nachwuchs nur unzureichend nachkommen, sie vernachlässigen, misshandeln, missbrauchen und gar nicht mal so selten, ihrem eigenem Kind das junge Leben nehmen.
Mit aller Regelmäßigkeit schäumen landesweit wilde Gemüter auf, wenn Medien über aufgedeckte Gewalttaten gegenüber wehrlosen Kindern berichten. Damit erschöpft sich aber auch mit aller Regelmäßigkeit unser Interesse an solchen Skandalmeldungen, weil wir uns darauf verlassen, dass unsere staatlichen Schutzorgane ausreichend tätig werden, um derartige Spitzen gesellschaftlicher Verelendung aufzufangen, indem betroffene Kindern durch Inobhutnahmen, (= Heimeinweisungen) oder anderweitigen Hilfen beigestanden wird.
Kaum jemand, der über die berechtigten Entrüstungen hinaus die Ursachen hinterfragt, durch welche Umstände solche Tragödien ausgelöst werden oder wie die Kinder später als Erwachsene mit ihren frühen Kindheitserfahrungen fertig geworden sind.
Dabei wären gerade solche Fragen von existenzieller Bedeutung für unsere gesamte Gesellschaft, da meiner Überzeugung nach sowohl die Ursachen aus unserer Gesellschaft heraus entstehen, als auch deren Folgen einem nicht enden wollenden Perpetuum Mobile gleich auf uns alle zurückfällt, ohne dass wir uns deren Dimensionen auch nur ansatzweise bewusst werden.
Diese Unbewusstheit kostet Leben - früher genauso wie heute.
Wenn Sie dieses Buch im Tempo von 2-3 Tagen durchgelesen haben, werden im etwa gleichen Zeitraum weitere 1-2 Kinder in unserem Land aufgrund dieser angesprochenen Unbewusstheit innerhalb ihres familiären Umfelds gewaltsam zu Tode gekommen sein, sowie weitere 2-3 Kinder/Jugendliche sich selbst das Leben genommen und 50 - 75 Erwachsene Schluss gemacht haben.
Dabei spielt es kaum eine Rolle, ob es je nach Quellen im Jahr "nur" 50 oder 170 Kinder sind, die ihr häusliches Martyrium nicht überleben. Jedes einzelne Kind ist ein Kind zu viel, dem die Chance genommen ist, unsere immer noch schöne und facettenreiche Welt in Freiheit zu entdecken und sich an wärmender Liebe wie auch Lebensglück zu erfreuen.
Versuchen Sie sich mal vorzustellen, welch eine unbeschreibliche Tragödie mit dem Verlust so vieler Kinder verbunden ist, die an einer Schule etwa einer Größenordnung von 2 bis 7 vollständigen Klassen entsprechen würden. Die am Ende eines Schuljahres einfach nicht mehr da sind bzw. nicht mal eine abgebrannte Kerze hinterlassen haben.
Ich bin davon überzeugt, dass der damit verbundene Skandal auf allen gesellschaftlichen Ebenen einen umgehenden Aktionismus zum Schutz potenziell gefährdeter Kinder auslösen würde. Doch da diese angesprochenen Kinder mehr im Verborgenen über das ganze Land verteilt als Gewaltopfer versterben, nehmen wir diese Zahlen nur in Ausnahmefällen wahr, noch animieren diese Opfer Politik oder Sozialwesen zum Nachdenken, welche Ursachen dahinter stehen oder wie sie zu verhindern sind.
In ähnlicher Weise bekommen wir nichts von den Tragödien mit, die im bundesweit werktäglichen Durchschnitt etwa 180 Familien treffen, deren Kinder und Jugendliche zu ihrem eigenen Schutz vor überforderten Eltern oder zerrütteten Elternhäusern in staatliche Obhut genommen werden müssen.
Gleichfalls bekommen wir nichts davon mit, wie Jugendämter oder anderweitige Sozialverwaltungen täglich in rund 380 zerrütteten Familien zum Schutz von Kindern auf ambulanter Weise deeskalierend intervenieren müssen. Jeweils Stand aus dem Jahr 2014 mit seit Jahren steigenden Tendenzen, bei umgekehrt kontinuierlich sinkenden Geburtenraten, was an sich schon zu denken geben sollte.
Tragödien deshalb, weil für all diese Kinder und Jugendlichen die Trennung von ihren Elternhäusern stets mit einem schweren Verlust an Vertrauen, Liebe, Zuversicht und gravierender Bruch des sozialen Umfelds - sprich ihrer Heimat verbunden ist, die wir gemeinhin als Ort der Verbundenheit als auch Geborgenheit definieren.
Für Kinder/Jugendliche stellt die Trennung von ihren leiblichen Eltern in jedem einzelnen Fall ein schweres Trauma dar, sofern dieses nicht bereits zuvor durch gewalttätige Eltern hervorgerufen wurde, um diesen eklatanten Bruch einer familiären Trennung gar schon mit Erleichterung wahrzunehmen.
Normal und tragisch zugleich bleibt die bedingungslose Liebe von Kindern in Unkenntnis alternativer Lebensumstände auch gegenüber solchen Eltern bestehen, die ihre Kinder selbst in schwerer Form misshandeln. Damit ist bereits ein zerreißender Spagat zwischen ihrer suchenden Liebe und distanzierender Furcht verbunden, den Kinder ihr Leben lang bis zur Selbstverleugnung verkraften müssen, um an dem damit verbundenen Bindungsverlust nicht zu zerbrechen.
Vom strafmildernden Aspekt "schwerer Kindheit", wie uns gelegentlich aus Strafprozessen gebrochene Lebensläufe bekannt werden, bleibt uns das Woher und Wohin derart betroffener Menschen nahezu vollständig verborgen. Nicht zuletzt, da sich Menschen, die eine staatliche Inobhutnahme durchlaufen mussten, später häufig durch den Verlust ihrer angestammten Heimat und Familie dermaßen ausgrenzend stigmatisiert fühlen, um ihr durchlittenes Martyrium kaum jemals wieder zu thematisieren.
Insbesondere, wenn es sich um Kinder alter Prägung handelte, die vor Jahrzehnten in kirchliche und staatliche Fürsorgeeinrichtungen eingewiesen wurden, in denen sie kaum minder von brutalen Misshandlungen, persönlichkeitszersetzenden Demütigungen und teilweise sogar Missbrauchserfahrungen ausgesetzt waren. In denen mit stiller Duldung der Jugendamtsbehörden an Bildung gespart wurde, um ihre Arbeitskräfte zur gewinnträchtigen Selbstverwaltung der Heimeinrichtungen auszubeuten. Erst als in den 60er Jahren die späteren RAF-Aktivisten öffentlich auf die skandalösen Heimzustände aufmerksam machten, setzten sich ab den 70er Jahren langsam anspruchsvollere, pädagogische Heimerziehungsreformen durch.
Aber auch gegenwärtige Heimkinder dürften trotz fortschrittlichster sozialer Weiterentwicklungen kaum wirklich glücklich über die noch so begründete Trennung von ihren Familien sein.
Denn in ihrem tiefsten Inneren wird stets weiterhin der glühende Vulkan der naturgemäßen Suche nach liebevoller Zuwendung und Anerkennung durch ihre leiblichen Mütter und Väter brodeln.
Diese Feststellung kann ich aus meiner eigenen Betroffenheit heraus und Gespür darüber treffen, wie sehr ich mein Leben lang unter der Trennung von meiner gewalttätigen Familie gelitten habe. Da ich weiß, wie sich der Leidensweg vom gewalttätigen Elternhaus und stigmatisierenden Heimaufenthalten, wie auch Einsamkeit in der darauffolgenden Zeit anfühlen. Weiß, wie schmal der Grat ist, um anschließend noch gesellschaftskonform Fuß zu fassen, um nicht in fragwürdige Randgruppen abzugleiten.
Von daher habe ich dank meiner Schutzengel, noch sehr viel Glück gehabt, um Ihnen diese Zeilen und Gedanken darzulegen. Zahlreiche andere gewaltbetroffene Mitmenschen hatten da weniger Glück. Denn wenn sie nicht schon frühzeitig ihr junges Leben verloren, dürften sich sehr viele von ihnen im Drogensumpf, Gefängnisaufenthalten oder in verarmter Isolation verfangen haben.
Dass mein Lebensweg heute ein im weitesten Sinne glückliches Ende gefunden hat, ist da mehr dem Zufall, statt zielgerichteter Planungen meinerseits zu verdanken. Ähnlich wie ich 2003 mehr zufällig einen Jahresbericht von Amnesty International zu Gesicht bekam, in dem afrikanische Foltermethoden beklagt wurden und mir damit erstmals die Augen dafür eröffnete, wie verheerend weite Strecken meiner Kindheit verliefen, die mir bis zu diesem Zeitpunkt noch halbwegs normal erschienen.
Als Vorschulkind kannte ich ohnehin nichts anderes als mein Elternhaus, in der Furcht und Gewalt völlig normal zum Alltag gehörte. Aber auch meine anschließenden Heimerfahrungen waren kaum weniger furcht- und gewaltbesetzt, um schon eher ein Gefühl für die Unrechtmäßigkeit entwickeln zu können, mit dem mein früheres Leben nahezu beständig konfrontiert war.
Zudem wurde mir schon seit früher Kindheit durch Familie und Heimeinrichtungen schwere Schuldgefühle eingeimpft, um zuvor gar nicht erst auf die Idee zu kommen, die Vergangenheit oder meine Ursprungsfamilie kritischer zu hinterfragen. Ich war ja der Ausgeschlossene, dem sich meine Familie, insbesondere meine Mutter später konsequent verweigerte, auf Fragen zu unserer Vergangenheit einzugehen.
Umso größer fiel meine Bestürzung aus, als ich erstmals im Jahr 2003 angesichts des erwähnten AI-Jahresberichts zu realisieren begann, dass all die schweren Misshandlungen und Vernachlässigungen, denen ich innerhalb meiner Familie ausgesetzt war, niemals meiner Schuld entspringen konnten. Nein, einzig meine Eltern und teils auch älteren Geschwister hatten meine wahrlich qualvolle Kindheit und beschwerliche Leben danach zu verantworten.
Es folgte ein bitterer, über Jahre andauernder, Aufarbeitungsprozess, in dessen Verlauf ich nicht nur fassungslos registrieren musste wie fürchterlich lange ich quasi wie ein Blinder gelebt habe, sondern registrierte bald darauf wie auch unsere Gesellschaft, - wie nahezu jeder von uns in ähnlicher Weise blind für die zahlreichen Ursachen ist, mit denen wir unsere Kinder überwiegend unbewusst verletzten und damit ungeahnte gesellschaftliche Schäden verursachen. Diese fallen nur deshalb nicht sofort ins Auge, da wir, von Variablen abgesehen, seit Generationen nahezu das selbe System von Erziehung und Bildung durchlaufen haben und uns damit eine Normalität suggeriert wird, die besser nicht mehr als Normalität erachtet werden sollte, um mit ihrem Unheil weder wehrlose Kinder, noch unsere Gesellschaft als Ganzes zu verletzen, wie es gegenwärtig der Fall ist, aber kaum wahrgenommen wird.
Wenn Sie glauben, die angesprochene Thematik würde Sie nichts angehen, weil Sie dankenswerter Weise auf eine glückliche Kindheit zurückblicken dürfen oder Ihre Kinder bereits mit aller Liebe und Obhut umsorgen, dann lassen Sie sich überraschen, wie sehr jeder von uns von den folgenden angesprochenen Inhalten betroffen ist.
Ich werde Sie indes nicht in konsternierter Betroffenheit allein lassen, sondern habe mir zu fast allen Problembereichen alternative Lösungsansätze einfallen lassen. Mit meinen teils unorthodoxen Ideen dürfte es uns gemeinschaftlich möglich werden, um uns über unbewusste Vergangenheiten zu erheben und damit unseren Kindern und zukünftigen Generationen von Mitmenschen ein bewusst wertschätzendes und beschützendes Miteinander zu eröffnen.
Die Defizite unseres fragilen Miteinanders werden zwar schon länger unterschwellig wahrgenommen, aber weder unser Sozialwesen, noch Politik oder Kirchen, waren bislang bereit oder in der Lage, die Ursachen all der beklagenswerten Zustände kritisch zu hinterfragen und mit zielführenden Maßgaben zu beheben.
Es liegt demnach an jedem von uns, durch aufklärende Bildung ein Gespür über uns selbst im Spiegelbild unserer umgebenden Welt zu gewinnen. Denn erst mit einem wachen Bewusstsein sind wir in der Lage, uns nicht mehr passiv manipulieren zu lassen, um die Zustände wie sie sind, nicht mehr wie bisher hilflos, als unabänderlich hinzunehmen.
Nein, Bildung macht den Unterschied, der uns in den Stand erhebt, durch aktive Teilhabe, die Welt und unsere Gesellschaft in unserem Sinn, zum Vorteil unserer Kinder, Enkel und nachfolgenden Generationen positiv zu gestalten. Aufklärung ist der erste Schritt zur Veränderung. Daher baue ich darauf, mit diesem Werk einen wichtigen Schritt in diese Richtung anzustoßen, um auch Ihnen in den dargelegten Inhalten zu helfen, sich selbst in Ihren eigenen Stärken und Schwächen wahrzunehmen.
Ich bin gespannt, ob ich Sie am Ende mit meinen Ein- und Ausblicken erreichen und ein Stück weit zum Mitmachen begeistern konnte.
Bereits der Start in mein Leben stand 1957 wegen der frühen Geburt im 7. Schwangerschaftsmonat im Krankenhaus von Hohenlimburg bei Hagen in Westfalen unter keinem guten Stern. Lebensbedrohliche Atemprobleme machten gleich nach der Geburt die erste Trennung von meinen Eltern erforderlich. Ein Krankenwagen brachte mich mit Blaulicht in eine Bochumer Spezialklinik. Wann mich meine Eltern von dort aus nach Haus holen durften, weiß ich natürlich nicht mehr. Aber ich fürchte, dass dazwischen einige Wochen, wenn nicht sogar Monate der Trennung gelegen haben.
Vermutlich vollzog sich bereits zu diesem Zeitpunkt ein erstes Trauma. Schließlich wissen inzwischen die meisten Menschen, wie wichtig gerade in der ersten Phase des Lebens für Babys der enge Kontakt zu ihren Müttern und Vätern ist, der mir durch meine frühe Geburt bereits verloren ging. Ob in diesem Stadium der ersten Trennung bereits die naturgemäße mütterliche Liebe verloren ging, vermag ich nicht zu sagen, aber zumindest wurde mir bekannt, dass ich später meiner Familie daheim als ein strapaziöses Schreibaby in Erinnerung blieb.
Ein Baby, das nach Liebe und Aufmerksamkeit schrie? Gar nicht mal so undenkbar. Denn als erwachsener Mensch sind mir inzwischen schon länger Berichte und Studien bekannt geworden, die der Frage um die Folgen unerwünschter Schwangerschaften nachgegangen sind.
Aus diesen Studien, wie z.B. die der Bremer Professoren Amend und Schwarz sind beeindruckende wie auch beängstigende Ergebnisse hervorgegangen, die ich jedem interessierten Menschen nur zu gern zum Lesen empfehlen möchte.
Der Titel ihrer veröffentlichte Studie lautet daher auch pragmatisch: "Das Leben unerwünschter Kinder."
Vor- und nachgeburtliche Reifeverzögerungen, wie auch Frühgeburten gehören demnach gleichfalls zur umfangreichen Liste an Negativfolgen unerwünschter Schwangerschaften.
Tatsächlich hat mir meine Mutter in einem unserer wenigen ernsthaften Gespräche in späterer Jugendzeit mal bestätigt, dass keines ihrer 8 Kinder erwünscht war. Weder mein Halbbruder, der aus einem Techtelmechtel mit einem russischen Besatzungssoldaten hervorging, der meine Mutter im Alter von 19/20 Jahren schwängerte und sie anschließend sich selbst überließ.
Ein unheilvolles Drama, denn zur damaligen Zeit wurden uneheliche Kinder gemäß vorherrschender Terminologie, insbesondere innerhalb "christlicher" Kreise noch lange Zeit als Bastarde der Sünde und deren Mütter als unsittliche Huren geächtet. Zumal, wenn solch ein Kind, wie im Fall dieses Halbbruders, aus einer Verbindung mit einem russischen Besatzungssoldaten hervorging.
Die Eltern meiner Mutter (geb. 1927), eine kleinbürgerliche Beamtenfamilie, mit typisch nationalistischem Hintergrund, in dessen Rahmen sich auch meine Mutter im Bund Deutscher Mädchen glücklich und aufgehoben fühlte, kamen ursprünglich aus Breslau, um sich als Kriegsflüchtlinge in Münster anzusiedeln.
Kaum vorstellbar, dass sie das frühe "Mutterglück" ihrer jüngsten Tochter wohlwollend teilten. 1947 heimatlich entwurzelt, in einem Umfeld vorherrschenden Mangels, dürften Auflehnungsbestrebungen, wie sie Menschen oft im jungen Alter zu eigen sind, dazu geführt haben, dass meine Mutter damals mit ihren 19 oder 20 Lebensjahren ihre eigene Freiheit, Lebensfreude und Identität suchte. Nur halt mit dem fragwürdigen Ergebnis, dass mit der Geburt ihres ersten Sohnes die anfängliche Freiheit ein ebenso frühes Ende fand.
Im Gegensatz zu allen nachfolgenden Kindern, stand sie aber dennoch auffallend fürsorglich zu ihrem erstgeborenen Sohn. Die anderen 7 Kinder, allesamt unerwünscht, liefen demnach einfach so mit oder wurden, wie mir gegenüber, mit unverhohlener Ablehnung bedacht.
Ihr zweites Kind (Tochter geb. 1950), gleichsam unehelich eines unbekannten Erzeugers, gab sie wenigstens gleich nach der Geburt zur Adoption frei. Die großartigste Entscheidung, die meine Mutter jemals in ihrem Leben getroffen hat. Alle weiteren Kinder wurden von unserem gemeinsamen Vater (geb. 1920) gezeugt. Auch er, ein entwurzelter Mensch, wenngleich nicht primär als Kriegsflüchtling, sondern als Vertriebener seiner eigenen polnischen Familie. Über ihn gibt es kaum bekannte Hintergründe.
Bekannt ist lediglich, dass er in Bialystok geboren wurde und er gemäß Erzählungen meiner Mutter, im Alter von 14 Jahren, angeblich wegen einer Affäre mit einem jungen Mädchen von seiner Familie rausgeschmissen wurde und damit jeglicher familiäre Kontakt verloren ging. Wie und wo er danach lebte, blieb unbekannt. Bekannt ist lediglich, dass er so um 1950 in Deutschland als Maurer auftauchte, um bei einer Karnevalsfeier meine Mutter kennenzulernen.
Ich kann nicht beurteilen, ob es wirklich eine gemeinsame Liebesbeziehung war. Meinen Großeltern dürften über eine Beziehung ihrer Tochter, ausgerechnet mit einem Polen, doch recht wahrscheinlich alles andere als glücklich gewesen sein. Die gegenseitige Antipathie war in jedem Fall schon damals für uns Kinder ersichtlich, wenn wir von unserem Wohnort in Hohenlimburg aus gemeinsam unsere Großeltern in Münster besuchten.
Da kam unser Vater oftmals gar nicht in die Wohnung unserer Großeltern mit hoch, sondern blieb so lange im Auto sitzen, bis wir wieder die Heimreise antraten.
Darüber machten wir uns als Kinder damals natürlich noch keine Gedanken. Es war eben so wie es war. Unsere Normalität.
Darüber hinaus war unser Vater als ein ausgesprochen furchteinflößender, weil gewaltausübender Despot bekannt, der alles und jeden, insbesondere aber unsere Mutter zu beherrschen versuchte. Zumindest herrschte innerhalb der Familie, soweit ich dort noch wohnte oder später zu Besuch war, kaum ein entspanntes familiäres Klima. Insbesondere in späteren Jahren, so ab meinem Alter von 15/16 Jahren aufwärts, war die innerfamiliäre Spannung kaum zu ertragen. Unser Vater war ständig nervös gereizt und vor allem cholerisch aufbrausend. Ständig war eine Bedrückung spürbar, die zumindest ich zum damaligen Zeitpunkt nicht zu erklären vermochte.
Dass meine Mutter ausgerechnet einen Polen ehelichte, dürfte meiner Vermutung nach noch immer mit anhaltenden Auflehnungsbestrebungen gegen ihre Eltern zurückzuführen sein. Möglicherweise standen aber auch ganz banale Versorgungswünsche bei ihrer Hochzeit Pate. Denn eine alleinstehende Dame mit unehelichen Kindern, hatte damals mit dem gesellschaftlichen Ruf einer Hure zu kämpfen.
Egal, warum weshalb wieso. Mit dem Mann an ihrer Seite gebar meine Mutter 1952 meine älteste Schwester I. Sie war bereits genauso unerwünscht, wie alle anderen nachfolgenden Geschwister auch. So auch mein Bruder Leo in spe. Nur ein Jahr später folgte 1953 seine Geburt, um wiederum ein Jahr später an einer Lungenentzündung zu versterben.
Mit Blick auf Studien von unerwünschten Kindern drängt sich hier mein Verdacht auf, dass auch er ein Opfer von Ablehnung und Vernachlässigung seitens unserer Mutter geworden sein könnte.
Gab es vielleicht schon damals die gewalttätigen Spannungen zwischen meinen Eltern, wie sie später meinen Geschwistern in düsterer Erinnerung geblieben sind? Wurden damals schon die eigenen Kinder gegen die Ehepartner instrumentalisiert? Zumindest gibt es dahingehend genügend Anhaltspunkte, um diesen Verdacht als gegeben annehmen zu dürfen. Denn nachdem 1954 meine Schwester M. folgte, kam ich als erstlebender/ überlebender Sohn meines Vaters zur Welt.
In seinem archaisch geprägtem Weltbild, erhielt ich demnach als sein männlicher Stammhalter und Nesthäkchen zugleich seine wohlwollende Aufmerksamkeit. Nicht, dass ich dies als spürbare Erinnerung behalten hätte. Es waren vielmehr Aussagen meiner älteren Geschwister, die 2004 darin gipfelten, die mütterliche Gewalt mir gegenüber mit der vermeintlichen Beobachtung zu rechtfertigen, dass mich mein Vater bis zu meiner Heimeinweisung im Alter von fast 8 Jahren meinen Geschwistern gegenüber bevorzugt behandelt und mich gegen meine Mutter aufgehetzt haben soll.
Lächerlich, denn was hätte ich schon gegen den erdrückenden Fels Mutter ausrichten können? Diese Aussage zeigt indes, wie stark meine Geschwister selbst bis in die Gegenwart hinein in ihrer einstigen Feindbildinstrumentalisierung verhaftet geblieben sind.
Mit meiner Schwester In. (1960) und Bruder U. (1963) folgten zwei jüngere Geschwister, die im Gegensatz zu ihren älteren Geschwistern wenigstens vor allzu groben Behandlungen verschont blieben.
Ich vermag nicht zu sagen, wann oder durch welche konkreten Ereignisse das Unheil seinen Lauf nahm. Sicher ist nur, dass die umgebenden Bedingungen geradezu den idealen Nährboden lieferten, um abseits von rettenden Verwandten oder aufmerksamen Nachbarn eine düstere Spirale der Gewalt zu generieren.
Väterlicherseits gab es keine Verwandtschaft. Mütterlicherseits zwar schon noch Großeltern, Onkel und Tanten, doch die wohnten für uns unerreichbar in fernen Städten wie Münster, Essen oder Bochum. Zudem sorgte das Psychogramm meines Vaters als Mensch mit ausgeprägten Minderwertigkeitskomplexen im Nachhinein für eine erkennbare Einengung und Kontrolle der außerordentlich engen familiären Grenzen. Logisch, wenn man weiß, dass er bereits als Kind von seiner Familie ausgestoßen wurde. Woraus ich heute die Vermutung ableite, dass auch seine Kindheit wenn nicht gewalttätig, so doch wenigstens äußerst lieblos ausgefallen sein musste.
Ohne Zweifel dürfte ihm als Pole seitens seiner Schwiegereltern, meinen Großeltern, kaum Sympathie, wenn nicht sogar offene Ablehnung entgegen geschlagen sein. Seine einstige Trunksucht steht gleichfalls als klares Indiz eines Menschen, der zwar mit maskulinen Trinkgelagen um gesellschaftliche Anerkennung buhlte, auf der anderen Seite dürfte ihm dieses Mittel dazu gedient haben, seine eigene verletzte Seele wenigstens zeitweise wohlig zu betäuben. Wenn er in solchen Momenten der besoffenen Hilflosigkeit oder in Wort und Schrift auf die unterstützenden Hilfen meiner Mutter angewiesen war, dürfte diese unfreiwillige Abhängigkeit gleichfalls an seinem archaisch geprägten Weltbild genagt haben. So bleiben in der Rückschau auch die Versuche, die außerhäuslichen Kontakte oder gar Freundschaften meiner Mutter zu unterbinden, geradezu folgerichtig.
Auch die demütigende Gewalt gegen die Mutter vor den Augen der Kinder ein Zeichen seiner beherrschenden Dominanz. Dazu bediente er sich auch der finanziellen Abhängigkeit, indem er meiner Mutter nie mehr Haushaltsgeld zur Verfügung stellte, um kaum über die Runden zu kommen oder sich in Zeiten der Eskalationen eine räumliche Trennung leisten zu können. Bis zu seinem Tod hat sie nicht mal die Höhe seines Einkommens erfahren.
Zudem lag das Haus mit der gemieteten Dachwohnung, zwar an einer Hauptverkehrsstraße in Sichtweise von Rathaus und Polizei von Hohenlimburg, jedoch abseits der stadtabgewandten Uferseite der Lenne (Fluss durch Hohenlimburg) So wurde meine Mutter gleichfalls Gefangene ihrer eigenen, als auch ihres Mannes unseliger Umstände.
Wo hätte sie also, als ihre Ehe zu eskalieren begann, hin flüchten sollen? Schließlich gab es früher noch keine beschützenden Frauenhäuser oder ein reformiertes Scheidungsrecht, so dass Frauen in den meisten Scheidungsprozessen verlassen und ohne Versorgungsansprüche auf sich allein gestellt blieben. Wohin also mit all ihrem eigenem Lebensfrust und den Anteilen, die ihr durch den gewalttätigen Ehemann, dessen Demütigungen vor den Kindern, ihren Enttäuschungen, Ängsten, Entbehrungen, dem Zorn, der Arbeit einer Hausfrau und Mutter von zuletzt 8 Kindern zugefügt wurden?
Zu jener Zeit gab es bei uns noch kein Bad, von fließendem Warmwasser ganz zu schweigen. Keine Dusche/Badewanne, keine Wasch- oder Küchenmaschinen. Nicht mal ein Elektroherd. Kein Fastfood, den Konsumtempel um die Ecke, keine Ex- und Hopp-Mentalität, um beschädigte Wäsche durch von Kinderarbeit hergestellte Ramschklamotten auszutauschen. Selbst die Scheiße der Kinder musste noch in mühsamer Handarbeit aus Stoffwindeln ausgewaschen werden. Pampers (Einwegwindeln) waren zu dieser Zeit noch völlig unbekannt.
Einkaufen, Waschen, Kochen, Nähen, Stopfen, Stricken wie Kinderbeschäftigung/Versorgung, sexuelle Verfügbarkeit, gehörten zum ganz normalen familiären Selbstverständnis über die Aufgabenstellungen einer Ehefrau und Mutter, wie sie heute kaum mehr eine Frau unter solchen Zuständen auf sich zu nehmen bereit wäre. Von erholsamen Fernurlauben, wie wir sie heute als normal erachten, ganz zu schweigen. Urlaub gab es im gesamten Leben meiner Eltern nicht.
Zumal in Zeiten, als Gehorsam, Anpassung, Obrigkeitshörigkeit und verquerte Heilsdogmen der Kirchen noch das öffentliche Leitbild einer "gutbürgerlichen" Ehe bestimmten und somit derartige Tragödien mit heraufbeschworen. Aus dieser Perspektive betrachtet, empfinde ich heute sogar ein gewisses Mitleid mit meiner Mutter, deren Hass sich geradezu zwangsläufig aus der aufgehenden Saat zweier unglückseliger Biografien gegen ihre Kinder, bzw. im Besonderen gegen mich, richten musste.
Denn hier trafen zwei Menschen zusammen, deren Kriegsgeneration nicht nur den Verlust ihrer Werte-Identität zu verkraften hatten, sondern aller Wahrscheinlichkeit nach gleichfalls im Leben an liebevoller Zuwendung zu kurz kamen, um ein ausreichendes Fundament gegenseitiger Achtung und seelischer Anteilnahme verinnerlicht zu haben.
Meine frühe Kindheit besteht in meinem Rückblick zunächst einmal aus einem großen Nichts. Ich kann mich nicht einmal daran erinnern, ob mein Vater als polnischer Einwanderer die deutsche Sprache mit Akzent gesprochen hat, obwohl ich ihm ja noch bis zu meinem 18. Lebensjahr begegnete. Dieses Nichts wird bis heute von wenigen Ausnahmen abgesehen, an düstere Erinnerungen, wie Schmerz, Angst, Ausgrenzung, Einsamkeit, Entbehrungen und trostloser Lieblosigkeit überlagert. Wie weit diese von Angst geprägte Trostlosigkeit reichte, mag ein kleines Beispiel demonstrieren.
Zu unserer Dachwohnung eines alten Hauses, führte eine steile Holzstiege, dessen oberes Ende in einem verhältnismäßig großzügigen Dachboden mündete. Rechts vom oberen Abgang aus betrachtet befand sich ein freies Podest, welches zum Trocknen von Wäsche genutzt wurde. Dieser Bereich war jedoch vom seitlichen Treppenabgang nicht mit einem Geländer abgesichert, so dass stets die Gefahr bestand, in einem unachtsamen Moment von diesem Trockenpodest seitlich der Treppe in die Tiefe zu fallen.
So besteht eine Erinnerung darin, mit etwa 5-6 Jahren gemeinsam mit meinen beiden 3 und 5 Jahre älteren Schwestern auf diesem Podest und Flurbereich Fangen gespielt zu haben. Dabei wurde ich, wie das halt im Eifer mal passieren kann, etwas unglücklich von einer Schwester geschubst, um von diesem Podest auf den oberen Treppenbereich und von dort aus weiter die Treppe hinunterzustürzen. Mein Schutzengel, ja so einen, gar mehrere, muss ich wohl tatsächlich haben, bewahrte mich vor schlimmeren Folgen, so dass neben dem Schrecken nur ein paar später sichtbare Beulen bzw. blaue Flecken zurückblieben.
Das Besondere an dieser Episode besteht in der Erinnerung, bereits zu diesem Zeitpunkt als Kind zu wissen, von meiner später heimkehrenden Mutter kein Trost erwarten zu dürfen. Stattdessen beherrschte Angst mein Bewusstsein, die Mutter könnte von diesem Treppensturz erfahren, was unweigerlich eine "Wucht", wie sie es stets nannte, nach sich gezogen hätte. Womit deutlich wird, wie wenig Vertrauen als vielmehr tiefgreifende Angst schon damals mein Verhältnis zu meiner Mutter prägte.
Mir ist tatsächlich nicht eine einzige Erinnerung einer liebvollen Umarmung, weder durch meine Mutter noch Vater geblieben, die es aber bestimmt gegeben haben müsste. Dies erscheint mir heute umso erstaunlicher, da mir von meinem ältesten Halbbruder noch 2004 vorgehalten wurde, ich sei von meinem Vater in jeder Beziehung gegenüber meinen Geschwistern bevorzugt worden. War es wirklich so? Mir fehlt dazu jede konkrete Erinnerung.
Indes hatte ich über Jahrzehnte hinweg auch kein Bewusstsein für all die Qualen, denen ich in meinen ersten 8 Kinderjahren ausgesetzt war. Ich wusste es zwar schon noch irgendwie, aber diese frühen Erlebnisse waren für mich nicht mehr wirklich greifbar. Dass erscheint mir im Rückblick, selbst heute noch höchst sonderbar, da ich schon seit früher Jugend ein offenes Ohr für Themen entwickelt hatte, die sich mit Unrecht und Ungerechtigkeit befassten. Schließlich kann ich mich noch erinnern, mich bereits als 12/13 Jähriger mit Fragen beschäftigt zu haben, warum der angebliche liebe Gott zunächst mich nicht vor Leid bewahrte, wenn er mich fern der Familie den fürchterlichen Trennungsschmerz ertragen ließ. Denn ja, paradoxerweise litt ich außerordentlich stark unter der Trennung von meiner gewalttätigen Familie. Leidet nicht gar jedes Kind unter einer familiären Trennung?
Im Alter von etwa 15/16 Jahren befasste ich mich eingehend mit dem Unrecht des Nationalsozialismus und verschlang Biografien von Nazigrößen, um zu ergründen, wie Mitmenschen nur zu dermaßen gefühllosen Entscheidungen fähig waren, wie sie im Naziregime längst nicht nur in himmelweisenden Schornsteinen finale Höhepunkte unbarmherziger Gleichgültigkeit fanden.
Wenn man die Geschichte weiter verfolgt, dann bleibt festzustellen, dass sich an der Gewaltbereitschaft nichts Grundlegendes verändert hat, wenn unsere Nachkriegsgesellschaft bis in die Gegenwart noch immer massive Gewalt, Vernachlässigungen, Missbrauch, weitverbreitete Lieblosigkeit und Erziehung zur Unmündigkeit innerhalb unseres Bildungswesens gegenüber abhängigen Kindern toleriert. Denn so lange Tag und Jahr noch immer an die Hunderttausend Kinder und Jugendlichen von Gewalt und Vernachlässigung betroffen sind, um ihnen staatlicherseits beistehen zu müssen, mit deren Leidensverwaltung ein blühender Wirtschaftsbetrieb erhalten wird, soll mir niemand erzählen, dass es in unserem Land - von Ausnahmen abgesehen - glaubhafte Bemühungen gibt, um möglichst allen Kindern/Mitmenschen eine gewaltfreie und förderliche Kindheit zu ermöglichen.
So um die Zeit als ich 15/16 Jahre alt war, verbrachte ich ein paar Ferienwochen zu Hause. Statt draußen mit meinen Geschwistern herumzustromern, half ich meinen Eltern bei der Heimarbeit (Kartonagen zusammenstecken), wenn auch nur in der Absicht, mir das nötige Geld zu verdienen, um mir damals das gerade neu herausgegebene Buch von Alexander Solschenizyn "Der Archipel Gulag" kaufen zu können.
So habe ich auch später noch sehr viel vom Leid anderer Menschen erfahren, jedoch ohne mich dabei selbst jemals als ein Gewaltopfer wahrzunehmen. Dies änderte sich erst, als ich Ende 2003 im Internet zufällig einen Jahresbericht von Amnesty-International zu Gesicht bekam, in dem brutale Foltermethoden auf dem afrikanischen Kontinent öffentlich angeprangert wurden.
Ich war zutiefst erschüttert! - Denn was ich da las, war mir nur zu gut aus meiner eigenen frühen Kindheit bekannt, wenngleich ich die beschriebenen Prozeduren zuvor nie als Folter erachtet hätte, sondern lediglich als Teil meines NORMALEN Lebens verinnerlicht hatte und deshalb bis zu diesem Moment nie ein anderer Mensch von meinen Erfahrungen etwas wusste. Nein, nicht einmal meine Frau.
In einem dieser Berichte ging es um Delinquenten, denen mit Rohrstöcken die nackten Fußsohlen traktiert wurden, um ihnen mit dieser äußerst schmerzvollen Methode irgendwelche Geständnisse abzupressen. So im Nachhinein, frage ich mich immer noch, woher meine Mutter diese barbarische "Strafmaßnahme" kannte, denn mit Ausnahme dieses Amnesty-Berichts, habe ich bis zum heutigen Tag noch nie davon gehört, dass wer - und schon gar keine Kinder irgendwo auf ähnlich brutale Weise malträtiert wurden.
Abgesehen von üblichen Schlägen durch meine Mutter oder älteren Geschwistern, wurde ich einst als Kind in dieser Form von meiner Mutter schon aus nichtigen Anlässen behandelt. Etwa, wenn ich den Vater nur mal darum bat, eine verbogene Achse eines Spielzeugwagens gerade zu richten oder sie mich beim "Klauen" von Brot, Wasser oder anderer Nahrung erwischte.
Um meine Schmerzensschreie zu ersticken, steckte sie mich zu dieser Prozedur im elterlichen Schlafzimmer stets unter einen Berg von Bettdecken, so dass nur noch die nackten Füße herausragten und schlug dann mit einem Rohrstock wild auf meine Fußsohlen ein. Damit endete sie erst, wenn ich zu schreien aufgehört hatte. Offenbar lag ihr doch etwas daran, meine Misshandlungen gegenüber den Hausmitbewohnern unter uns zu verbergen, die bestimmt so schon oft genug mein Geschrei durch gewöhnlichere Misshandlungen mitbekamen und in einem dokumentierten Fall meinetwegen sogar mal die Polizei riefen.
Mit bedrohlichem Nachdruck wies mich meine Mutter nach solch einer Prozedur stets an, nur ja kein Wort davon an den Vater zu verlieren. Ein eindeutiges Indiz, dass sie ihre Handlungen im klaren Bewusstsein des himmelschreienden Unrechts, stellvertretend für ihren verhassten Mann, an ihrem wehrlosen Kind verübte. Ob es meinen Vater überhaupt interessiert hätte? Ich weiß es nicht einmal.
Wobei sich mir bis heute nicht erschlossen hat, wie ein Mensch mit einer so engelhaft sanften Stimme, wie sie meiner Mutter zu eigen war, andererseits so eiskalt und scheinbar ohne bleibende Gewissensnöte, über so lange Zeit hinweg, ihr eigenes Kind misshandeln und gleichzeitig nach außen hin die treusorgende Mutter zur Schau stellen konnte? Dabei erhob sie nicht einmal groß ihre Stimme, um mir mit den Worten: "Du kriegst gleich Deine Wucht", meine bevorstehende Marter anzukündigen.
Womit musste ich sie gereizt haben, um mich wiederholt in große Tüten/Säcke oder Wäschekörben verschwinden zu lassen, sowie mit Schmutzwäsche bedeckte, um mich derart von Dunkelheit umgeben, den eigenen Ängsten zu überlassen. Welche Verbitterung veranlasste sie mich ausgerechnet zum Geburtstag einer älteren Schwester, mit auf dem Rücken zusammengefesselten Händen und Füßen zu einem unbeweglichen Paket verschnürt, hinter ihrer Schlafzimmertür zu vergessen, während nebenan in fröhlicher Ausgelassenheit mit den übrigen Geschwistern der Geburtstag meiner Schwester gefeiert wurde? Wie immens hoch ihr Hass, um mich mal an den Beinen, aus dem Fenster unserer Dachwohnung zu halten? Darauf später von einer Therapeutin angesprochen, konnte ich mich wohl noch gut an die Lichter der gegenüberliegenden Stadt erinnern, nicht aber an die Angst, die mit diesem Ereignis einhergegangen sein müsste. Woraus die genialen Eigenschaften des Menschseins ersichtlich werden, um in der Milde einer schützenden Verdrängung irgendwie "heil" zu überleben.
Gewöhnlich wurde ich jedoch in einer kleinen Dachkammer, einer Dachschräge, hinter dem Treppenaufgang eingesperrt, in dem eine Dachluke genügend Licht spendete, um mich mit dem Ausreißen von Spinnenbeinen, Fliegen oder anderen Insekten zu beschäftigen, ohne dabei ihre Körper zu zerdrücken.
An Spielsachen kann ich mich nur vereinzelt erinnern. Insbesondere an eine Kiste, die zu öffnen ich mich kaum wagte, weil sich darin ein Ensemble von Kasperlefiguren befanden, vor dessen Teufel ich tatsächlich eine unheimliche Angst hatte. Noch heute ist mir der stechende Gummigeruch dieser Figur gegenwärtig.
Nachts durchlebte ich in dieser Kammer unzählige panische Ängste, von denen ich bis 2004 tatsächlich noch felsenfest überzeugt war, einst von Geistwesen heimgesucht worden zu sein. Heute noch befinde ich mich hier in einem Zwiespalt, ob ich das alles nur geträumt habe könnte, oder diese Begebenheiten doch so real waren, wie ich sie aus meiner Kindheit bis in die Gegenwart als äußerst lebhafte und wiederkehrende Erinnerungen im Gedächtnis zurückbehalten habe.
Diese bleibenden Erinnerungen hängen vermutlich mit der Intensität der Ängste zusammen, die durch die einstigen Geistererscheinungen hervorgerufen wurden. Denn kann sich wirklich jemand die Angst eines einsamen Kindes vorstellen, welches in die Stille der Nacht hineinhorcht, um mit allen Sinnen ein sich näherndes Knarren und Knacksen auf der Holztreppe und Bodendielen wahrzunehmen, über die sich jemand von draußen meiner Kammer näherte? Zu Schreien wagte und konnte ich auch nicht, weil mich die Angst in meinem Bett erstarren ließ und gleichzeitig den Hals zuschnürte, um kaum noch Luft zum Atmen zu bekommen.
Kann sich jemand vorstellen, wie irre sich Angst steigern kann, wenn man realisiert, wie mit kaum vernehmbarer Reibung langsam der äußere Türriegel zurückgezogen wird und im fahlen Schattenlicht der Dachluke eine konturschwache Gestalt erkennbar wird, die hereinkommt um sich seitlich des Bettes dunkel aufzubauen? Währenddessen ich längst schon die Bettdecke über dem Kopf gezogen, mit hämmernden Herzen hin und wieder durch ein geschaffenes Guckloch bestätigt bekam, dass die Gestalt noch immer anwesend war und aus nicht erkennbaren Augen auf mich herabzublicken schien. Dieses oder diese Wesen berührte mich nie, sondern verharrte einfach nur geräuschlos neben meinem Bett, bis ich irgendwann vor angstvoller Erschöpfung einschlief.
Derartige Szenarien wiederholten sich in dieser oder ähnlichen Beschreibungen und war deshalb davon überzeugt, dass sich mein Vater des Öfteren zu meinem Schutz zu mir ins Bett legte. Da er inzwischen als Glüher in einem Stahlwalzwerk Schichtarbeit leistete, musste er teils auch mitten in der Nacht aufstehen und mich allein zurück lassen. Und kaum, dass er hörbar die Treppe hinunter aus dem Haus war, kam es eben wiederholt vor, dass sich solch ein Spuk bemerkbar machte.
Einmal lagen wir wieder nebeneinander in meinem Bett. Ich hatte ein Kaugummi von ihm bekommen. Bevor ich einschlief, nahm ich es aus dem Mund und schlief mit dem Kaugummi in der Hand ein.
Irgendwann in der Nacht wurde ich wach. Es war Neumond, weshalb in meiner Kammer kaum einmal mehr Schatten erkennbar waren. Ich lag auf dem Rücken und spürte mein Kaugummi in der rechten Hand, die zwischen meinem Körper und der Wandseite ruhte.
Während ich links den ruhigen Atem meines Vaters hörte und sonst weder ein Rascheln des Bettzeug oder etwas anderes zu vernehmen war, spürte ich auf einmal, wie mir irgendwer/irgendetwas völlig geräuschlos den Kaugummi aus der Hand nahm. Sofort fing ich wild zu kreischen an. Obwohl mein erwachender Vater gleich darauf Licht machte und die Kammer absuchte, war weder das Kaugummi, noch das Wesen aufzufinden, welches es mir genommen hatte.
Übrigens erzählten meine Schwestern, die früher auch mit mir in dieser Kammer schliefen, ebenfalls von ungewöhnlichen Erscheinungen. Später schliefen sie im Gegensatz zu mir wohlbehütet im Schlafzimmer meiner Eltern, während ich in dieser Kammer oft allein ausgesetzt war. Schließlich schlief mein Vater nicht jeden Tag bei mir und hatte zudem Schichtdienst zu leisten. Daraus ergab sich auch folgende Bewandtnis.
Diesmal schlief ich mit ihm in einem anderen Bett, nicht wie sonst üblich hinten rechts, sondern diesmal vorn links neben der Tür. Auf einem Sims am Fußende des Bettes direkt neben der Tür stand sein Wecker, der ihn in der Nacht zur Arbeitsschicht weckte. So weckte uns eines Nachts wieder dieser Wecker mit seinem grässlichen Rasseln.
Wir setzten uns beide im Bett auf und erschraken. Denn im Zimmer stand mit dem Rücken zur geschlossenen Tür augenscheinlich ein Ehepaar mittleren Alters, deren Größe nur knapp über die halbe Türhöhe reichte. Sie waren in einer Tracht gekleidet, wie ich sie erst viele Jahre später als schwarzwaldtypisch kennen lernte und schauten uns schweigend und bewegungslos aus ausdruckslosen Gesichtern an.
Mein Vater bedeutete mir, mich gleichsam wie er wieder hinzulegen, während er uns dabei die Decke über den Kopf zog. Kurz darauf war der Spuk verschwunden. Mein Vater stand auf, zog sich an und ließ mich allein zurück, während ich ihn bald die Treppe hinunter steigen hörte.
Jahrzehnte später (2004) erhielt ich einen Hinweis darauf, dass dieser beängstigende Spuk möglicherweise etwas mit Missbrauchserfahrungen zu tun haben sollte. Doch obwohl es dazu erkennbare Indizien gibt, kann ich mir dennoch bis heute so eine irre Umdeutung kaum vorstellen. Zu real und wiederkehrend waren diese schaurigen Vorkommnisse.
Einmal erwachte ich aus meinem Schlaf und fand mich mit einem immateriellen Wesen konfrontiert, welches mit einem rötlich flimmernden Körper, ähnlich dem schwarz/weißem Rauschen eines Fernsehers schwerelos auf meinem Bauch saß. Kurz darauf erlebte ich mich mit diesem Wesen im anderen Bett im Raum ringen. Heißt, obwohl es immateriell war, hatte ich dieses Wesen niedergerungen und hielt dessen Hals/Kopf irgendwie im sogenannten Schwitzkasten fest. Letzteres könnte vielleicht auch ein Traum gewesen sein, da mir hierzu keine Erinnerungen gegenwärtig sind, wie dieses Ringen ausgegangen ist.
Aber kann ein Mensch wirklich so intensiv träumen, um solch einen Traum niemals mehr zu vergessen? Ich bin mir da nicht sicher, denn es gab einen Albtraum aus meiner Kinderzeit der sich in meiner späteren Kinderzeit sogar über viele Jahre wiederholte, indem ich mich immer wieder von oben durch ein Treppenauge fallen sah und kurz vor dem Aufschlag schweißgebadet erwachte.
So ein unvergesslicher Traum ist mir erst wieder 2004 widerfahren, als mir die zuvor bereits erwähnte Psychologin, innerhalb einer ersten Probesitzung, der ich gleichfalls von meinen Geistererlebnissen berichtete, mich mit ihrer überraschenden Frage außer Fassung brachte, was denn mein Vater nächstens in meinem Bett zu suchen hatte, statt bei meiner Mutter im Ehebett zu liegen? Ich glaube niemand kann sich meine Verwirrung vorstellen, die mit dieser überraschenden Fragestellung einherging. Schließlich hatte ich bis dahin die gemeinsamen Übernachtungen mit meinem Vater in meinem Bett als völlig normal und unverfängliche in Erinnerung. Aber wie die Therapeutin mich so unverhofft darauf ansprach, wusste ich auch keine Antwort darauf, warum mein Vater nicht bei unserer Mutter im gemeinsamen Schlafzimmer schlief, wenn nicht zu meinem Schutz.
In der darauffolgenden Nacht passierten tausende Gedanken und Bilder wie eine nicht enden wollende Filmspule in rasender Geschwindigkeit mein geistiges Auge, ohne tatsächlich etwas erkennen oder sie stoppen zu können. Sah im Traum meinen Vater in der Uferidylle eines friedsamen Sees sitzen, wie er an einer Art überdimensionierten Pfeife hantierte, aus der sich plötzlich ein Schuss löste und ihn vollkommen zerfetzte.
Das war Albtraum, hingegen weniger das reale Gefühl eines glühenden Stabes, der sich gleichzeitig durch meine Brust zu bohren schien. Ich hatte das Gefühl, meinen Verstand zu verlieren und suchte verzweifelt nach einer Möglichkeit, diese albtraumhafte Abfolge zu stoppen.
DAS war etwas Einmaliges, was ich nicht vergessen habe, weil es im Zusammenhang eines realen Ereignisses stand. Ähnlich wie ich diese Schreckenskammer, mein Gefängnis früher Kindertage, nie vergessen habe. Denn ja meine Kammer, war von außen meist mit einem Riegel verschlossen. Einmal um mich tagsüber in diesem Gefängnis zu halten und nachts, um mich daran zu hindern, mich am Kühlschrank oder anderen essbaren Sachen zu bedienen. Tatsächlich gelang es mir das eine und andere Mal, wenn vergessen wurde die Kammer zu verriegeln, mich über Ess- und Trinkbarem herzumachen. Noch heute kann ich mich an das elende Quietschen des einzigen Wasserhahns, für den gesamten Wohnbereich, der sich im Flur befand erinnern, wenn ich diesen mit angehaltenem Atem heimlich zu öffnen versuchte.
Diesen Ausflügen folgte jedoch meist nach der Entdeckung der Lebensmittelverluste am nächsten Tag durch meine Mutter die obligatorische Wucht. Diese war gleichsam fällig, wenn jemand meinen Kot entdecke, den ich gleich nach dem Ausscheiden an allen denkbaren Stellen zu verstecken versuchte. Heute weiß ich, dass dieses Phänomen, als Enkopresis bezeichnet, häufig bei Kindern mit psychisch belasteten Hintergründen auftritt.
Vermutlich trug zu dieser Handlungsweise der Umstand bei, weil es in unserer Dachwohnung, laut Jugendamtsakten eine Notunterkunft, keine Toiletten gab. Diese befanden sich mit ihrem erdigen Fäkalgestank im Halbdunkel eines dreckstrotzenden Kellerraums unseres bewohnten Hauses. Daher war es üblich, unsere Notdurft in Eimern zu verrichten. Warum ich dies nicht konnte oder wollte, weiß ich nicht mehr. Es dürfte aber nachvollziehbar sein, welche Reaktionen derartige Fundstücke in oder unter Schränken, Sofas und anderen unliebsamen Plätzen bei meiner Mutter und Geschwistern auslösten.
Wahrlich keine angenehmen Kinderjahre, die von Härte, Schmerz, Angst und Einsamkeit in der Abgeschiedenheit meiner Kammer geprägt wurden, mit der mich meine Mutter bis in die Gegenwart hineinreichend erfolgreich von meinen Geschwistern isolierte.
Es gab zwar Gelegenheiten, um mit meinen Geschwistern zu spielen, diese sind aber gleichsam so selten in meiner Erinnerung geblieben, um mich kaum mehr zu wundern, warum bis heute niemals einer meiner 5 Geschwister von selbst den Versuch unternahm, Kontakt zu mir herzustellen. Wenn ein solcher mal zustande kam, dann ausschließlich auf meine vorhergehenden Initiativen.
Zudem frage ich mich, wo mein Vater in all dieser Zeit blieb, dem mein Elend doch nicht völlig verborgen geblieben sein konnte, obwohl er mich doch angeblich so bevorzugt behandelt haben soll? Aber vielleicht bestand der Vorzug bereits darin, dass er seine cholerischen Zornausbrüche wiederum überwiegend an den Mädchen und unserer Mutter ausließ, an solche Vorkommnisse ich mich allerdings auch kaum erinnern kann, obwohl sicher ist, dass er besonders die beiden älteren Schwestern intensiv mit seinen Ledergürteln malträtierte. Einmal soll er unsere Mutter schwer misshandelt haben, indem er sie zu Boden warf, ein Sofa mit dessen Bein auf dem Bauch der Mutter platzierte und sie derart wehrlos mit Nadeln traktierte. Doch wie erwähnt, kann ich mich eigentlich auch kaum an Gewalthandlungen gegenüber meinen Geschwistern erinnern und schon gar nicht, dass mich der Vater nur einmal geschlagen hätte.
Nur Bruchstücke. Etwa stolze Freude, als er mit mir mal zum Einkaufen fuhr und mich in dem Kaufhaus eine Weile allein am Süßwarenstand warten ließ. Mit Absicht? Denn wie so kleine Kinder mit etwa 6/7 Jahren nun mal sind, erweckten die herrlich süßen Gerüche natürlich unwiderstehliche Begehrlichkeiten. Demzufolge ich mir die Taschen mit Bonbons und Dropsrollen füllte. Diese legte ich draußen im Auto meinem Vater vor, was er mit einem konspirativen Lächeln quittierte und sich gleichfalls an den Süßigkeiten bediente.
Meine Mutter ist mir dafür umso bedrohlicher in Erinnerung geblieben. Etwa, wie sie meinen geliebten Nuckelhasen, dessen Fell bereits großflächige Kahlstellen aufwies, zu meinem Entsetzen, aus irgendeinem nichtigen Ärgernis im Beisein eines fremden Besuchers, mir kurzerhand aus der Hand riss, um ihn von der Herdplatte herab, in den glühenden Kohleofen unserer Küche zu werfen. Da ich noch so klein war, konnte ich auf etwa gleicher Augenhöhe der offenen Ofenklappe ohnmächtig verfolgen, wie er sich vor meinen Augen in der Glut in Flammen auflöste. Noch heute kann ich mich an den Geruch seines verbrennenden Fells erinnern. Ja frage mich heute noch in der einen oder anderen stillen Stunde, was man ihr wohl früher alles angetan haben musste, um vor Hass gegenüber ihrem Mann, als Mutter dermaßen gefühllos zu werden, um mich an seiner statt so unbarmherzig zu behandeln. Ja, sich nicht mal zu schade war, selbst meine Geschwister zu ermuntern, gemeinsam mit Stöcken auf mich einzuschlagen? So beschränken sich die Erinnerungen meiner ersten 8 Lebensjahre vorwiegend auf die 6-8 Quadratmeter große Dachschräge hinter einer Treppe, während ich den Aufenthalt eines Wohnzimmers mit einer Hand abzählen kann.
Diese Erfahrungen spiegeln sich später im Aufnahmebogen meiner Heimakten folgendermaßen wieder:
Die sozialen Verhältnisse waren recht ungeordnet.
Erhebliche körperliche und geistige Entwicklungsverzögerung. (um etwa 2 Jahre)
Die Beziehungen zwischen Eltern und Kind sind nach Angabe des Vaters gut.
Nach Mitteilung der Mutter bestehen bei Klaus erhebliche Erziehungsschwierigkeiten; er zerstört häufig alles was er erreichen kann. Ermahnungen und Strafen nimmt er stumpf und ohne Reaktion hin.
Konnte erst mit 4 Jahren Sätze sprechen.
Sexuell auffällig
Nahm Gegenstände und Esswaren weg und log hartnäckig.
Hatte nur eine Spielecke. Spielte immer allein.
Fühlte sich zwischen seinen Geschwistern einsam.
Essen und Trinken bekam ich natürlich auch nicht ausreichend, zudem machten sich meine älteren Geschwister manches Mal einen Spaß daraus, um mir Dreck, Niespulver oder andere Sachen unter das Essen zu mischen. Natürlich nur bei Abwesenheit meines Vater und entsprechender Duldung durch die Mutter.
Ja beim Essen hielt sie mich schon ziemlich kurz, worüber es immer mal wieder laustarke Auseinandersetzungen zwischen meinen Eltern kam. Einmal gerieten sie wieder so heftig aneinander, dass mir meine Mutter den Mittagsteller mit Kartoffelbrei, Sauerkraut und einem Stück Fleisch, so heftig vor mir auf den Tisch knallte, dass er mitsamt seinen leckeren Inhalt in zwei Hälften zerbrach.
Ein andermal zwang er meine Mutter dazu, mir zum Abendessen so viel aufzutischen, wie ich essen wollte/konnte. Da habe ich mich so überfressen, dass mir wenig später vor lauter Schmerzen im Krankenhaus der Magen abgepumpt werden musste.
In welch bizarrer Weise meine Bindungssuche zwischen meinem Vater und Mutter zerrissen war, geht aus der Erinnerung hervor, wie ich später von meiner Mutter vom Krankenhaus abgeholt wurde und meinem Vater in mutterverbündenden Triumph mitteilte, dass der Arzt geschimpft hätte, nicht so viel essen zu dürfen. Und noch während ich diese Worte aussprach, fühlte ich mich innerlich bereits als Verräter an meinem wohlmeinenden Vater.
In Bezug aufs Trinken, sei noch angemerkt, dass ich froh war, noch den Wasserrest des ausgespülten Eimers trinken zu können, den mir meine Mutter abends für die Notdurft in die Kammer stellte. Dabei kam es mehr als einmal vor dass ich zu spät bemerkte, wenn der Eimer nach dem Leeren nicht nachgespült worden war.
Dass mein über neun Jahre älterer Halbbruder mit mir Fußball spielen durfte, indem er mich aufhob und im Herunterfallen nach mir trat, bis mein Hintern nur noch schwarz war, daran habe ich schon gar keine Erinnerung mehr und wüsste bis heute nichts davon, wenn mir eine ältere Schwester im Rahmen meiner Aufarbeitungen nicht von diesen Begebenheiten erzählt hätte. So wie auch ihr aufgefallen war, dass ich sehr oft ausgrenzend behandelt wurde, wie z.B. als einziger bei Schwimmbadbesuchen nicht auf mitgebrachten Decken sitzen zu dürfen. Denn dass ich stets als letzter aller Geschwister im dreckigen Badewasser unserer Zinkwanne gebadet wurde, das war für mich genauso normal, wie an sehr wenigen Gemeinsamkeiten beteiligt worden zu sein.
So entziehen sich mir bis heute die Gründe, die meine Mutter bewogen haben, mich immer mal wieder in den nahen Uferpark von Hohenlimburg zu bringen, um mir einzuschärfen, mich ja nicht von dort wegzubewegen. Da stand oder saß ich dann über lange Zeit allein und bangte darum, ob mich meine Mutter wieder abholen würde.
Einmal habe ich mich doch gewagt, meinen zugewiesenen Platz zu verlassen, um mit Steinen fantasiereiche Muster in den Lack von Autos zu ritzen, die am Straßenrand abgestellt waren. Ich weiß zwar nicht mehr, wer damals für den entstandenen Schaden aufkommen musste oder wie meine Strafe dafür ausfiel. Erinnere mich jedoch daran, wie mein Vater meiner Mutter wegen dieses Vorfalls lautstarke Vorwürfe machte.
Aber es gibt auch positive Erinnerungen, die jedoch weitgehend unwirklichen Fragmenten gleichen. Ein Tag im Wohnzimmer, während ein schwarz/weiß-Fernseher einen Rosenmontagszug übertrug, zu dem sogar ich Lakritzschnecken bekam.
Ein Weihnachtsabend, an dem ich auf dem Schoß von meinem Vater saß, nachdem mein älterer Bruder mir gerade zuvor mein Geschenk in Form eines kleinen Plastiklastwagens mit boshafter Absicht zertreten hatte.
Am tiefsten ist jedoch eine Szene in meiner Erinnerung geblieben, in der ich mich allein mit meinem Vater auf einer Wiese am Lenneufer von Hohenlimburg Ball spielen sehe, während die Abendsonne die Backsteinmauern der umliegenden Häuser in ein tiefes Rot tauchte und von der anderen Uferseite friedstimmende Kirchturmglocken herüber klangen.
Doch diese Idylle erwies sich lediglich als kurzes Zwischenspiel eines ansonsten überwiegend schmerzlichen Alltags, der sich gewöhnlich in der Einsamkeit meiner Dachkammer abseits meiner übrigen Geschwister abspielte.
Aus diesen Beschreibungen müsste eigentlich für jeden halbwegs gebildeten Menschen erkennbar werden, dass sich unter derart lebensfeindlichen Umständen kein Kind normal entwickeln kann.
Dieser unseligen Entwicklung meiner erkennbaren Vernachlässigung wurde bereits in einem Alter von vier Jahren mit einem einjährigen Kuraufenthalt in Bad Sassendorf Rechnung getragen. Was genau dort auskuriert werden sollte, entzieht sich meiner Kenntnis.
Genutzt hat es augenscheinlich nicht sehr viel, denn gemäß meinen anhaltenden Misshandlungen und Isolation wurde ich folgerichtig zunächst wegen geistiger und körperlicher Rückstände von der Einschulung zurückgestellt, um ein Jahr darauf im Rahmen der weiteren Vorschuluntersuchung wegen meines desolaten physischen und psychischen Zustands in eine Kinderpsychiatrie eingewiesen zu werden.
Ich hatte "Glück" im Unglück.
Glück, da ich 1965 als fast 8-Jähriger, als eines der ersten Kinder an einem Pilotprojekt zur individuellen Förderung milieugeschädigter Kinder innerhalb der Kinderpsychiatrie in Hamm teilnehmen durfte.
Bin ich tatsächlich hoch dankbar drum, da aus meinen vorliegenden Amtsakten Überlegungen hervorgehen, die vorsahen, mich im Falle einer stagnierenden Entwicklung von Hamm aus weiter in eine Einrichtung für geistig Behinderte auszugliedern. Doch gottlob bestätigte sich diese Prognose nicht.
Das Leben in dieser für damalige Verhältnisse hochmodernen und des frischen Farbgeruchs wohl noch neuen Einrichtung, war wie wohl überall im Leben von Licht und Schatten begleitet. Ich kann mich noch erinnern, wie mich auf der Zugfahrt zur Klinik eine mir fremde Dame vom Jugendamt begleitete und mir als Trostpflaster in einer kleinen Tüte zwei Apfelsinen und einen Apfel schenkte.
An den Abschied von Daheim kann ich mich hingegen gar nicht mehr erinnern, obwohl ich bereits Wochen zuvor von meiner Mutter und Bruder mit höhnischem Unterton auf diesen Tag vorbereitet wurde. Etwa mit Sätzen wie: "Warte nur, noch kurze Zeit und dann kommst Du nach Hamm". Damals konnte ich die Bedeutung solcher Sätze noch nicht mal ansatzweise ermessen. Wohl schon, dass ich irgendwohin kommen würde, aber das es quasi ein Abschied für immer werden sollte, dass konnte ich damals nicht mal erahnen.
Dies war auch insofern bedauerlich, weil wir wenige Monate zuvor, aus der düsteren Dachwohnung, ins Erdgeschoß einer neu erstellten 4-Zimmer-Sozialbauwohnung umgezogen waren.
Dazu gehörte ein Badezimmer mit einer richtigen Badewanne, fließendem heißen Wasser und einer separaten Toilette innerhalb unserer Wohnung. Wahnsinn, wenn wir dergleichen zuvor nur aus der Wohnung unserer Großeltern in Münster kannten. Während der große Halbbruder sein eigenes Zimmer bekam, durfte ich mit meinen zwei älteren und einer jüngeren Schwester gemeinsam in einem Zimmer mit zwei Stockbetten schlafen. Ich fühlte mich in der Mitte meiner Geschwister göttlich wohl und geborgen. Nie wieder wurde ich seitdem von irgendwelchen furchteinflößenden Geistwesen heimgesucht.
In unserem Kinderzimmer stand ein Kohleofen, dessen Knistern und Flackern, wenn wir im Bett lagen eine wunderschöne Stimmung zauberte und die älteren Schwestern uns jüngeren noch irgendwelche Schauergeschichten erzählten. Bis dann irgendwann Ruhe einkehrte und nur noch das typische Hin- und Her-Schaukeln des Kopfes meiner 10-jährigen Schwester Mo. zu vernehmen war, mit dem sie sich gewöhnlich in den Schlaf schaukelte.
Vor dem Hintergrund eines familiär erhellenden Lebensraums, müsste ich demnach Rotz und Wasser geheult haben, als es daran ging Abschied zu nehmen, nur wie angesprochen, fehlt mir dazu im Gegensatz zu anderen fokussierten Detailerinnerungen dieses Tages jedes Bewusstsein einer Abschiedsszene.