Bildungsperspektiven der Sozialen Arbeit. Bildungsgerechtigkeit in der Kindertagesstätte im Kontext Differenzkategorie Geschlecht - Ute Novke - E-Book

Bildungsperspektiven der Sozialen Arbeit. Bildungsgerechtigkeit in der Kindertagesstätte im Kontext Differenzkategorie Geschlecht E-Book

Ute Novke

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  • Herausgeber: GRIN Verlag
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2015
Beschreibung

Fachbuch aus dem Jahr 2015 im Fachbereich Soziale Arbeit / Sozialarbeit, Note: 1,0, Alice-Salomon Hochschule Berlin , Sprache: Deutsch, Abstract: Der Bildungsbegriff hat sich auf Grund von Forschung und Wissenschaft stetig verändert und erweitert. Informelle Bildung als frühkindliche Bildung in den Tageseinrichtungen, Schulbildung, Berufsausbildung, berufliche Fortbildungen, lebenslanges Lernen sind genauso Bestandteil im Alltagsleben, wie das Denken von Bildung über die Schule hinaus. Der Begriff „Bildungslandschaften“ impliziert Bildung als Auftrag für kommunales Engagement und Auftrag zur nicht formellen Bildung im sozialen Raum. Diese nicht formellen Bildungsorte eröffnen den Zugang der Profession Soziale Arbeit. (vgl. ebenda: 108 f.) Sich daraus ergebende Bildungsziele und –inhalte werden in der Hausarbeit dargestellt. Nicht zuletzt mit Erscheinen der jeweiligen PISA-Studien wird über Bildungs- und Chancengleichheit diskutiert und als soziale Frage definiert. Bildungsgerechtigkeit herzustellen, wird eine zukunftsweisende Aufgabe der Gesellschaft und der Sozialen Arbeit, auch im Bereich der frühkindlichen Bildung in der Kindertagesstätte. (vgl. ebenda: 106) Bildung findet unter den Bedingungen von Ungleichheit statt (vgl. Braun/Wetzel, 2010a: 36). Verschiedene Differenzkategorien bestimmen den Zugang zu Bildungsmöglichkeiten. In der vorliegenden Arbeit wird speziell die Differenzkategorie Geschlecht im Bildungskontext untersucht. Meine These, dass in der Vorschulerziehung derzeit keine geschlechterdemokratische Bildung stattfindet, wird auf Richtigkeit geprüft. Ich gehe darauf aufbauend der Frage nach, wie es durch Soziale Arbeit in der Kindertagesstätte gelingen kann, geschlechtsspezifische Ungleichproblematiken zu erkennen, eigene Konstruktionen wahrzunehmen und kritisch zu hinterfragen. Es wird ausgeführt, welche Beachtung die Differenzkategorie Geschlecht in gesetzlichen Vorgaben und speziell im Sächsischen Bildungsplan findet. Weiterhin wird untersucht, welche Herausforderungen es für zeitgemäße Bildungsprozesse in den Kindertageseinrichtungen im Kontext der Differenzkategorie Geschlecht gibt. Die Wichtigkeit neuer pädagogischer Handlungsformen wird aus theoretischen Überlegungen abgeleitet und am Beispiel meines Arbeitsfeldes, einer Kindertagesstätte, untersucht und dargelegt.

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Inhaltsverzeichnis

 

1. Einleitung

2. Der Bildungsbegriff

2.1 Definition Bildung

2.2 Bildungsziele

2.3 Bildungsinhalte

3. Herausforderungen für zeitgemäße Bildungsprozesse in den Kindertageseinrichtungen im Kontext der Differenzkategorie Geschlecht

3.1 Biologisches und soziales Geschlecht

3.2 Herstellung von Geschlechtergerechtigkeit - der Weg vom Grundgesetz zum Sächsischen Bildungsplan

3.3 Soziale Ungleichheit als Lernprodukt

3.4 Konsequenzen für geschlechtergerechte pädagogische Arbeit in Kindertageseinrichtungen

4. Fazit

Literatur

Internetquellen

 

1. Einleitung

Das Thema Bildung ist in aller Munde. Aus Sicht der deutschen Bürger_innen wird vorrangig die Verantwortlichkeit im Bereich der Schule und ergänzend der Vorschuleinrichtungen angesetzt.

(vgl. Rauschenbach, 2006: 106) Was hat also Bildung mit Sozialer Arbeit zu tun? Muss Bildung als eine soziale Aufgabe betrachtet werden? Dieser Frage wird im ersten Teil der vorliegenden Arbeit nachgegangen.

Der Bildungsbegriff hat sich auf Grund von Forschung und Wissenschaft stetig verändert und erweitert. Informelle Bildung als frühkindliche Bildung in den Tageseinrichtungen, Schulbildung, Berufsausbildung, berufliche Fortbildungen, lebenslanges Lernen sind genauso Bestandteil im Alltagsleben, wie das Denken von Bildung über die Schule hinaus. Der Begriff „Bildungslandschaften“ impliziert Bildung als Auftrag für kommunales Engagement und Auftrag zur nicht formellen Bildung im sozialen Raum. Diese nicht formellen Bildungsorte eröffnen den Zugang der Profession Soziale Arbeit. (vgl. ebenda: 108 f.) Sich daraus ergebende Bildungsziele und –inhalte werden in der Hausarbeit dargestellt.

Nicht zuletzt mit Erscheinen der jeweiligen PISA-Studien wird über Bildungs- und Chancengleichheit diskutiert und als soziale Frage definiert. Bildungsgerechtigkeit herzustellen, wird eine zukunftsweisende Aufgabe der Gesellschaft und der Sozialen Arbeit, auch im Bereich der frühkindlichen Bildung in der Kindertagesstätte. (vgl. ebenda: 106) Bildung findet unter den Bedingungen von Ungleichheit statt (vgl. Braun/Wetzel, 2010a: 36). Verschiedene Differenzkategorien bestimmen den Zugang zu Bildungsmöglichkeiten. In der vorliegenden Arbeit wird speziell die Differenzkategorie Geschlecht im Bildungskontext untersucht.

2. Der Bildungsbegriff

Was ist unter Bildung zu verstehen? Oft wird der Begriff mit Schulbildung gleichgesetzt. Rückschluss dazu lassen Begrifflichkeiten, wie Bildungsplan, Bildungsabschlüsse, Bildungskanon und viele andere.

(vgl. Dörpinghaus, 2009: 20) Die Gleichsetzung ergibt sich vor allem daraus, dass Schulpflicht verbindlich als Bildung für Kinder und Jugendliche besteht, die außerschulische Bildung zum Beispiel im Bereich der Sozialen Arbeit, aber freiwillig erfolgt (vgl. Braun/Wetzel, 2010a: 7). Im Folgenden soll der Begriff Bildung definiert werden und Ziele und Inhalte eines zeitgemäßen Bildungsverständnisses aufgeführt werden.

2.1 Definition Bildung

Der Begriff Bildung unterlag einem häufigen Bedeutungswechsel, welcher in seiner Entwicklung sprachlich, kulturell und historisch bedingt ist

(vgl. Bildungsserver 2012: o. A.). Der klassische Bildungsbegriff, wie ihn Wilhelm von Humboldt geprägt hat, geht von Bildung als zukunftsoffene, lebenslange und nicht abschließbare Aufgabe aus. Humboldt sieht Bildung als Auseinandersetzung und selbstbestimmte Tätigkeit des Menschen mit der Welt. (Müller/Stravoravdis, 2007: 164) In der Auflage von 1997 wird im Großen Lexikon des Isis Verlages Bildung noch als „bewußte (sic!) Formung des menschl. (sic!) Leistungsvermögens durch Vermittlung von Kenntnissen und Fertigkeiten, auch Bez. (sic!) für das Ergebnis dieses Vorgangs“

(Grosses Lexikon, 1997: 108) beschrieben.

Klafki erweitert in den 90er Jahren den Bildungsbegriff um einige Grundelemente der Allgemeinbildung. Er benennt drei Grundfähigkeiten, die Selbstbestimmung, die Mitbestimmung und die Solidaritätsfähigkeit des Menschen (Klafki, 2007: 270). Weiterhin fordert er für die Bildungsarbeit eine Gegenwarts- und Zukunftsorientierung, zum Beispiel beim Umweltbewusstsein. Als „unbewältigtes Zentralproblem“ benennt er die Differenzkategorien in der Gesellschaft. (vgl. ebenda: 273)

Zwei Jahrzehnte später wird Bildung als Aneignung von Wissen und Fertigkeiten im sozialen, wirtschaftlichen und kulturellem Bereich betrachtet, welche die Selbstständigkeit und –bestimmung des Menschen fördert (vgl. Raithel/Dollinger/Hörmann, 2009:36).

Die Soziale Arbeit sieht sich hier in der Pflicht, Hilfe zur Lebensbewältigung in dem Sinne zu leisten, dass alle Teile der Gesellschaft in die Lage versetzt werden, einerseits ihre Entwicklungsaufgaben zu bewältigen, wie auch die Dimensionen der Sinnbildung zu unterstützen (vgl. Braun/Wetzel, 2010a: 10 f.) Hentig sieht parallel zur Schulbildung, als Bestandteil der Bildung, das Nutzen von außerschulischen Bildungsanlässen (vgl. Dörpinhaus, 2009: 38).

Diese Sicht von Bildung als Selbstbildung findet sich auch in den Zielstellungen der Bildungspläne für die Kindertagesbetreuungen in Sachsen wieder. „Bildung ist mehr als Lernen. Bildung beschreibt Prozesse und fragt zugleich nach den Zielen, Inhalten und Ergebnissen dieser Prozesse.“ (vgl. Sächsischer Bildungsplan,2011: 21) Im Bereich der Kindertagesstätte erhalten Kinder die Möglichkeit Sozial-, Sach- und Selbstkompetenzen zu entwickeln. Diese entwickeln sich nicht losgelöst voneinander, sondern finden ganzheitlich statt. (vgl. Krenz/Rönnau, 1986: 10) Bildung als Anregung aller Kräfte muss frühzeitig beginnen und ist somit auch öffentliche Aufgabe der Kindertageseinrichtungen, also der Sozialen Arbeit (vgl. Laewen/Andres, 2002: 38 f.). Das Kind soll „Subjekt der eigenen Entwicklung werden“ (Braun/Wetzel, 2010b: 11). Nur wenn Kinder die Möglichkeit erhalten, ihre eigenen Entwicklungsaufgaben zu erkennen und zu verwirklichen, wird die Bereitschaft für lebenslanges Lernen entwickelt und die notwendigen Fähigkeiten trainiert (vgl. ebenda). Aktivität ist das Grundprinzip der Bildung vgl. Krenz/Rönnau, 1986: 30).

2.2 Bildungsziele

Das Bildungsziel hat der Deutsche Bildungsrat 1972 folgendermaßen formuliert:

„Das umfassende Ziel der Bildung ist die Fähigkeit des einzelnen (sic!) zu individuellem und gesellschaftlichem Leben, verstanden als seine Fähigkeit, die Freiheit und die Freiheiten zu verwirklichen, die ihm die Verfassung gewährt und auferlegt.“ (Bildungsrat, 1970: 29)

Weiterhin wird betont, dass man Rangunterschiede setzt, indem man einer „volkstümlichen eine wissenschaftliche Bildung“ entgegensetzt. Dies soll zukünftig vermieden werden und allen Bürgern wissenschaftsorientierte Bildung zuteilwerden. (vgl. Dörpinghaus, 2009: 22) Weiterhin wird auf ein ganzheitliches Lernen abgezielt, in welchem der Mensch entscheidende Verhaltensweisen für das Zusammenleben mit Anderen erwirbt. Zugleich wird explizit auf die Wahrung der Chancengleichheit für alle Bürger hingewiesen. (vgl. ebenda: 23)

2.3 Bildungsinhalte

Die Verknüpfung von Bildung und Sozialer Arbeit ermöglicht ein Bildungsverständnis, das inhaltlich auf Lebensbewältigung abzielt

(vgl. Braun/Wetzel, 2010a: 10). Damit sind gesellschaftliche Anforderungen, wie Handlungsfähigkeit und soziale Integration der Menschen verbunden. Vermittelt werden können diese Werte durch die Bewältigung von Entwicklungsaufgaben und durch Sinn-Bildung.

(vgl. Braun/Wetzel, 2010a: 11) Auf diese beiden Kompetenzbereiche wird in den folgenden Kapiteln näher eingegangen.

Die Bewältigung von Entwicklungsaufgaben gekoppelt mit Sinnbildung finden sich deckungsgleich als Bildungsinhalte in der Frühpädagogik wieder. Im §2 Absatz 2 des Sächsischen Gesetzes zur Förderung von Kindern in Tageseinrichtungen wird der Bildungs-, Erziehungs- und Betreuungsauftrag dahingehend definiert, dass

1. soziale Kompetenzen, wie Selbständigkeit, Verantwortungsbereitschaft und Gemeinschaftsfähigkeit sowie Toleranz gegenüber anderen Kulturen und Lebensweisen und im Umgang mit Behinderten entwickelt werden,

3. Herausforderungen für zeitgemäße Bildungsprozesse in den Kindertageseinrichtungen im Kontext der Differenzkategorie Geschlecht

In jedem Kind steckt naturgemäß ein individuelles Potential an Chancen und Interessen. Dafür wie sich diese entwickeln, ist nicht nur das biologische Geschlecht ausschlaggebend, sondern auch das Konstrukt sozialer Zuschreibungen von Familie, sozialem Umfeld und nicht zuletzt der Kinderbetreuungseinrichtungen. (vgl. Walter, 2005: 220) Im Sächsischen Bildungsplan werden diese als Orte bezeichnet, „die bestehende Geschlechterverhältnisse sowohl reproduzieren als auch mitgestalten“ (Sächsischer Bildungsplan, 2011: 12). Auf diese Verantwortung der Beschäftigten in den Kindertageseinrichtungen soll im Weiteren näher eingegangen werden, weil es die Verbindung von Bildung und Sozialer Arbeit unter dem Aspekt der Differenzkategorie Geschlecht beleuchtet. Hierzu gehe ich speziell auf geschlechtergerechte Tätigkeit der Erzieher_innen in meinem Arbeitsfeld, der Kindertagesstätte, ein.

Im folgenden Abschnitt wird zunächst der Unterschied zwischen biologischem und sozialem Geschlecht erläutert. Danach wird am Beispiel der Vorschuleinrichtungen daraus resultierende unterschiedliche Bildungsbeteiligung dargestellt. Abschließend führe ich Lösungsperspektiven und Konsequenzen für geschlechterdemokratische Arbeitsweisen in der Kindertagesstätte auf.

3.1 Biologisches und soziales Geschlecht

Zur Unterscheidung des biologischen und sozialen Geschlechts begründete Stoller 1968 die Begriffe sex und gender. Mit sex wird die biologische Grundtatsache bezeichnet, dass es männliche und weibliche Menschen gibt, wobei es Ausnahmen wie zum Beispiel der, der Transsexualität gibt.

(vgl. Rohrmann/Thoma, 1998: 104) Für die Ausprägung der weiblichen oder männlichen Geschlechtsorgane sind rein biologisch betrachtet die

X- beziehungsweise Y-Chromosomen verantwortlich. Von den Geschlechtsorganen abgesehen, sind die tatsächlich erkennbaren körperlichen Geschlechtsunterschiede im Kindesalter gering, da sich diese erst in der Periode der Pubertät sichtbar entwickeln. Mit gender werden soziale und kulturelle Aspekte der Geschlechterunterschiede bezeichnet. (vgl. ebenda: 101) Gesellschaftliche Ungleichheit der Geschlechter ergibt sich nicht aus dem biologischen Unterschied (sex), sondern aus Zuschreibungen bezüglich der Geschlechterrollen und Geschlechterstereotypen (gender). Hier werden kulturelle Erwartungen, Verhaltensweisen, Einstellungen und Persönlichkeitseinstellungen für Männer und Frauen zugeordnet. Diese sind dabei nicht für alle Zeit festgeschrieben, sondern einem gesellschaftlichen Wandel unterworfen. (vgl. ebenda: 105) Geschlechtergerechtigkeit zielt deshalb als politischer Auftrag darauf ab, generell die ungleichen Lebenssituationen von Männern und Frauen zu berücksichtigen (vgl. Walter, 2005: 54).

Für die Beschäftigten in der Kindertagesbetreuung bedeutet dies in der Folge:

- Geschlechterstereotypen erkennen und abbauen,

- Bildungs- und Erziehungskonzepte kritisch auf Geschlechtergerechtigkeit prüfen,

- Erwartungshaltungen in Bezug auf Geschlechterklischees von „typisch“ weiblich oder männlich werden vermieden (vgl. ebenda).

3.2 Herstellung von Geschlechtergerechtigkeit - der Weg vom Grundgesetz zum Sächsischen Bildungsplan

Am 23. Mai 1949 wurde im Grundgesetz im Absatz 2 Artikel 3 formuliert:

1. Alle Menschen sind vor dem Grundgesetz gleich.

2. Männer und Frauen sind gleichberechtigt.

3. Niemand darf wegen seines Geschlechts, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauung benachteiligt oder bevorzugt werden. (vgl. Walter, 2005: 42)

In den 70er Jahren wurden einseitig Angebote für Mädchen und Frauen unter dem Stichwort Geschlechtergerechtigkeit ausgebildet. Mädchengruppen entstanden, in den Schulen wurde eine spezielle Methodik entwickelt, die den Zugang zu mathematischen und technischen Fächern erleichtern sollte. In den 80er Jahren wurden Gleichstellungsstellen in den Gemeindeverwaltungen installiert. Danach entwickelte sich die Idee des „Gender Mainstreaming“, in welcher jedem Mensch, gleich welchen Geschlechts, Chancengleichheit zugutekommen soll. Das Prinzip des Gender Mainstreaming wurde 1996 im Amsterdamer Vertrag der Europäischen Union als Grundsatzentscheidung, Leitbild und Selbstverpflichtung festgeschrieben. (vgl. Walter, 2005: 42 f.)

Im Kinder-und Jugendhilfegesetz der Bundesrepublik Deutschland wurde im § 9 Absatz 3 festgeschrieben, dass „die unterschiedlichen Lebenslagen von Mädchen und Jungen zu berücksichtigen, Benachteiligungen abzubauen und die Gleichberechtigung von Mädchen und Jungen zu fördern“ sind

(vgl. gesetze-im-internet.de).

Im aktuellen Sächsischen Bildungsplan von 2011 wird der Thematik ein eigener Abschnitt, „Gerechte Bildungschancen für alle sichern“, gewidmet. Hier wird darauf hingewiesen, dass die Sozialräume der Kindertagesstätte dazu beitragen, die Identität der Mädchen und Jungen zu entwickeln und auch „bestehende Geschlechterverhältnisse reproduzieren und mitgestalten“. Es wird als wesentlich betrachtet, sensibel mit den Differenzen umzugehen. Die Stärken von Mädchen und Jungen sollen wahrgenommen und gerechte Bildungschancen für alle gewahrt werden. Durch die Berücksichtigung von Unterschieden soll die Bildung und Erziehung auf gleichberechtigte Teilhabe ausgerichtet werden. (vgl. Sächsischer Bildungsplan, 2011: 12) Weiterhin wird auf die Entfaltung der geschlechtlichen Identität verwiesen. So heißt es

„Kinder entwickeln Vorstellungen von Weiblichkeiten und Männlichkeiten und setzen sich aktiv damit auseinander, ein Mädchen oder Junge zu sein. Die Ausprägung der Ich-Identität hängt von historischen und soziokulturellen Bedingungen ab, die unterschiedliche Wahlmöglichkeiten zulassen. In der Kindheit erhält das körperliche Selbst seine kulturelle Bedeutung, die notwendig ist, damit in der Phase des jungen Erwachsenenseins die Vielzahl sozialer Rollen zugänglich wird und zu bewältigen ist. Kinder können ihre Identität nur entfalten, wenn sie nicht von der Umwelt abgesondert werden; wenn sie nicht darauf verwiesen sind, das Groß-Sein lediglich zu spielen.“ (vgl. ebenda: 16).

Den Kindern sollen soziale Gestaltungsräume bereitgestellt werden, in welchen sie sich aktiv mit ihrer eigenen Geschlechtlichkeit auseinander setzen können (vgl. ebenda: 17).

3.3 Soziale Ungleichheit als Lernprodukt

Jungen und Mädchen haben als Babys bis zum fünften Monat die gleichen Bedürfnisse. Diese Phase wird als Zustand der Undifferenziertheit bezeichnet. (vgl. Walter, 2005: 192) Ab dem sechsten Monat verfügen Kinder über Wahrnehmungserfahrungen und beginnen zu differenzieren (vgl. ebenda: 193). Mit anderthalb Jahren erkennen Kinder die Geschlechter als Jungen und Mädchen und auch Erwachsene werden richtig unterschieden (vgl. Rohrmann/Thoma, 1998: 118). Der Prozess der Geschlechterdifferenzierung in Bezug auf Wünsche, Merkmale des äußeren Erscheinungsbildes oder spezifischer Handlungsweisen bildet sich im Vorschulalter heraus (vgl. ebenda). Im Alter von drei Jahren glauben Kinder noch daran, ihr Geschlecht nach Wunsch austauschen zu können, ein bis zwei Jahre später folgt die Erkenntnis, dass sie für immer männlich oder weiblich sind und die Suche „Geschlechtssicherheit“ beginnt.

(vgl. Meise, 2014: 15)

Kommerzielle Spielwelten prägen die Kindererziehung durch spezielles Mädchenspielzeug, wie Pferdchen und Prinzessinnen und solches für Jungen, wie Abenteuer- und Heldenspiele. Geschlechtertypische Bedürfnisse werden stark überzeichnet und klischeehafte Rollenzuschreibungen forciert.

(vgl. Winter, 2014: 15)

Trotz aller Gleichberechtigungsbestrebungen von Seiten der Eltern und Erzieher_innen werden soziale Differenzierungen projiziert. Jungen werden beispielsweise ermutigt, räumliche Umkreise zu erweitern, „mutig“ zu sein, sie dürfen sich schmutzig machen (vgl. Walter, 2005: 195). Mädchen werden in dieser Beziehung eher ausgebremst. Mit ihnen wird allerdings mehr gesprochen als mit Jungen. Dies bewirkt, dass sich bei Mädchen kommunikative Fähigkeiten stärker entwickeln können und Jungen sich selbstbewusster bewegen. (vgl. ebenda 196) Befragungen von Erzieherinnen durch die Autorinnen Permien und Frank zeigten, dass diese das Verhalten von Jungen und Mädchen auch unterschiedlich bewerten. Acht negative Aspekte der Verhaltenseinschätzung bei den Jungen stehen siebzehn positiven Aussagen gegenüber, bei Mädchen neunzehn zu siebzehn, also fast ausgewogen. Erzieherinnen äußern sich über Jungen also positiver als über Mädchen. Die Autorinnen schlussfolgern, dass wohl einerseits der Blick auf das eigene Geschlecht kritischer ist, andererseits aber verinnerlichte geschlechtsbezogene Minder- und Höherbewertung vorliegt. (vgl. Permien/Frank: 1995: 70 f.) Parallelen lassen sich auch in den Forschungen von Preissing und Best finden, die zu gleichen Ergebnissen kamen. Auch wenn diese beiden Studien nicht als repräsentativ gelten können, lässt sich doch daraus ableiten, dass Mädchen und Jungen nicht gleichberechtigt wahrgenommen werden. Trotz aller bekundeten Gleichberechtigungsbestrebungen wird vielen Erzieherinnen nicht bewusst, dass sie selbst stark auf Geschlechtszuschreibungen festgelegt sind und diese wiederum an die anvertrauten Kinder weitergeben.

(vgl. Permien/Frank: 1995: 72)

Geschlechtergerechtigkeit findet auch auf sprachlicher Ebene statt. In der Stockholmer Kindertagesstätte „Egalia“ werden deshalb Geschlechterunterschiede im kommunikativen Bereich ganz bewusst ausgeblendet. Die Kinder bezeichnet man dort als Freunde und nicht als Jungen und Mädchen. Handwerker, die in die Kindertagesstätte kommen werden als „es“ bezeichnet, um nicht den Anschein zu erwecken, Mädchen könnten so etwas nicht auch. Märchen und Geschichten mit überholten Geschlechterbildern gibt es in dieser Einrichtung nicht. Grundlage dieser Pädagogik ist die Erkenntnis, dass Jungen und Mädchen immer Anteile des anderen Geschlechtes in sich tragen und sich so gut ergänzen können. Kinder werden unabhängig von ihrem Geschlecht indem gefördert, was sie interessiert und was sie können möchten. (vgl. Winter, 2014: 18)

Ein weiterer Aspekt für soziale Ungleichheit als Lernprodukt ist, dass in Kindertagesstätten fast ausschließlich weibliche Bezugspersonen präsent sind. Dies macht sich in der Ausgestaltung der Räume und der materiellen Ausstattung bemerkbar. Auch die pädagogischen Angebote sind zumeist weiblich geprägt. (vgl. Rohrmann/Thoma,1998: 79) In der Ausbildung zum Erzieherberuf fanden und finden geschlechtsbezogene Fragen wenig Raum. So erkennen viele Erzieherinnen die Problematik kaum. (vgl. ebenda: 80)

In den Vorschuleinrichtungen sind über 90 Prozent des pädagogischen Personals weiblich. Auch im familiären Rahmen übernehmen immer noch vorrangig Frauen die Erziehungsaufgaben. Hierdurch fehlt den Kindern oft ein soziales Modell zum Aufbau einer männlichen Geschlechterrolle

(vgl. Hurrelmann/Schultz, 2012: 5). In Sachsen hat sich die Anzahl der in Kindertageseinrichtung beschäftigten Männer dank der Initiative „Männer in Kitas“ von einem Anteil von 1,5 Prozent auf 5 Prozent erhöht

(vgl. kita-bildungsserver.de). Diese haben aber in den Einrichtungen zumeist eine gesonderte Position. Schnell gelangen sie, nicht zuletzt oft auch auf Intervention des weiblichen Personals hin, in Leitungspositionen oder werden zu „jungentypischen“ Angeboten wie Sportspielen eingesetzt. Auch die vermehrte Erwartungshaltung, dass männliche Erzieher Hausmeistertätigkeiten erledigen, bekräftigt eher die Entstehung von Geschlechterstereotypen. (vgl. Rohrmann/Thoma, 1998: 86)

3.4 Konsequenzen für geschlechtergerechte pädagogische Arbeit in Kindertageseinrichtungen

Erzieher_innen müssen Geschlechterklischees bewusst wahrnehmen, analysieren und ausmustern. Das heißt für die Praxis in den Kindertagesstätten:

Das Alter und Geschlecht der Kinder findet Berücksichtigung und die verwendeten pädagogischen Methoden und Mittel werden auf geschlechtstypische Zuschreibungen und Erwartungshaltungen kontrolliert, um Stereotypen zu vermeiden. (vgl. Walter, 2005: 54)

Verwendete Medien und Spielzeuge werden auf Klischees und Auslassungen überprüft und geschlechtergerechtes Material eingesetzt (vgl. ebenda: 106).

Bewusst zeitgleich werden die Sportbereiche der Einrichtungen beiden Geschlechtern zur Verfügung gestellt und Mädchen werden darin unterstützt kraftvolle Sportarten auszuführen, in demselben Maße, wie Jungen beispielsweise zum Ballett ermuntert werden

(vgl. ebenda: 126).

Kindgerechte Angebote sollen auf eine Ausweitung des Geschlechtsrollenbildes zielen. Eltern müssen in diesen Prozess eingebunden, aufgeklärt und beraten werden. (vgl. ebenda: 220)

Im Abschlussbericht des sächsischen Modellprojektes „Vielfalt entdecken - MEHR Männer in Kitas" von 2011 bis 2013 wird als ein bedeutender Schwerpunkt des Projektes der reflektierte Umgang „mit personaler Verschiedenheit innerhalb der Teams“ bewertet

(vgl. Abschlussbericht des sächsischen Modellprojektes, 2013: 2) Weiterhin wurde als Maßnahme zur Gewinnung von männlichem Personal für die Kindertageseinrichtungen im genannten Projekt die Aufwertung des Erzieherberufes in Kampagnen gefördert und in Ausbildungsmessen gezielt propagiert (Abschlussbericht des sächsischen Modellprojektes, 2013: 3 f.) Auch die Möglichkeit des Quereinsteigens von Männern in den Erzieherberuf wurde in Sachsen propagiert und 500 Männer im Zeitraum des Projektes beraten(vgl. ebenda: 4). Der Einsatz von Männern in der Kindertagesstätte sollte in seinen Arbeitsaufgaben denen der Kolleginnen entsprechen und der Zugang zu Führungspositionen erfolgt nicht geschlechtsorientiert (vgl. Walter, 2005: 166).

4. Fazit

Kindertagesstätten sind ein zunehmend wichtiger Erfahrungsraum und Bildungsort für Kinder. Der neue Bildungsbegriff bedeutet einerseits das Herstellen einer bildungsfördernden Umgebung, um die Selbstbildungsprozesse der Kinder anzuregen, andererseits gezielter Impulse, um Kindern Erfahrungen zu gestatten, die der spezielle Bildungsraum Kindertagesstätte ermöglicht. Bildungsgerechtigkeit und Chancengleichheit für die Kinder herzustellen ist grundhafte Aufgabe der Sozialen Arbeit und spiegelt sich in den sächsischen Bildungsplänen, die daraufhin untersucht wurden, wieder. Im Zeitrahmen der Vorschulerziehung werden grundhafte Erfahrungen der Geschlechterdifferenzierung der Kinder gesammelt und der Grundstein für Rollenbilder gelegt. Daraus ergibt sich eine hohe pädagogische Verantwortung für die dort tätigen Sozialarbeiter_innen, Bildungsanlässe zu begleiten und zu schaffen, die das Selbstwertgefühl, das Selbstverständnis und erweiterte Verhaltensmöglichkeiten entwickeln.

Durch meine persönlichen Erfahrungen der geschlechterpädagogischen Arbeit in mehreren Vorschuleinrichtungen in Sachsen vermutete ich schon, das Geschlechtergerechtigkeit noch in den Kinderschuhen steckt, daher meine These, dass in sächsischen Kindertagesstätten noch nicht geschlechterdemokratisch gebildet wird. Zwar stellen offene Konzepte mit frei zugänglichen Bildungsmöglichkeiten für alle Kindern gute Ansätze dar, beleuchten aber unzureichend die Thematik der gesellschaftlichen Zuschreibungen, die Erzieher_innen zu häufig unbewusst bleibt. Klischees und Rollenzuschreibungen haben auch in einem Maße Einfluss auf meine eigene pädagogische Arbeit genommen, die mir in diesem Ausmaß vorher nicht bewusst war. Die grundlegende Erkenntnis, die sich mir bei der thematischen Erarbeitung erschlossen hat ist, dass meine Kollegen und Kolleginnen, einschließlich mir, nur scheinbar geschlechtergerecht arbeiten. Dass Jungen auch zum Tischdienst eingeteilt werden, ist noch keine Geschlechtergerechtigkeit. Mein Verständnis von Geschlechterdifferenz erweitert sich um die Erkenntnis, dass Geschlechterdifferenz im Wesentlichen konstruiert wird. In der Konsequenz bedeutet das für meine weitere Tätigkeit, dass ich mich im Kontext der Differenzkategorie Geschlecht immer wieder kritisch reflektieren muss. In Ansätzen legt der Sächsische Bildungsplan Rahmenbedingungen für geschlechtergerechte Betreuung fest. Alle Kinder sollen unabhängig von ihrem Geschlecht gleiche Bildungsmöglichkeiten erhalten. Geschlechtergerechtigkeit heißt nicht geschlechterneutrale Erziehung und Bildung, sondern die Berücksichtigung der geschlechtlichen Identität sowie der Bedürfnisse, Vorteile und Benachteiligungen von Jungen und Mädchen.

Literatur

 

Braun, Karl-Heinz/Wetzel, Konstanze (2010a): Bildungsperspektiven der Sozialen Arbeit. PDF-Text-Download von [basa-online]

 

Braun, Karl-Heinz/Wetzel, Konstanze (2010b): Ganztagsbildung. PDF-Textdownload [basa-online]

 

Dörpinghaus, Andreas et. al. (2009): Einführung in die Theorie der Bildung. Darmstadt

 

Großes Lexikon (1997): Großes Lexikon A-Z. ISIS Verlag Chur

 

Krenz, Armin/Rönnau, Heidi (1990): Entwicklung und Lernen im Kindergarten. Verlag Herder, Freiburg

 

Klafki, Wolfgang (1990): Abschied von der Aufklärung? Grundzüge eines bildungstheoretischen Gegenentwurfs. In: Krüger, H.-H. (Hrsg): Abschied von der Aufklärung. Perspektiven der Erziehungswissenschaft. Opladen 1990, S. 91-102

 

Laewen, Hans-Joachim/Andres, Beate (Hrsg.) (2002): Forscher, Künstler, Konstrukteure. Beltz Verlag, Weinheim, Berlin, Basel