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Finden statt erfinden – mit diesem schriftstellerischen Prinzip glaubte sich Thomas Mann in bester Gesellschaft und berief sich dabei auf Shakespeare, Goethe, Schiller, Turgenjew und Wagner. Dass ihm seine Technik, lebende Vorbilder zu porträtieren, nicht nur Freunde verschaffte, kalkulierte er ein. Doch als er mit dem Skandalautor Bilse auf die gleiche Stufe gestellt wurde und sich als Verfasser von Schlüsselromanen diffamiert sah, war der Moment für eine Abrechnung mit den Kritikern gekommen. Spitzfindig, spitzzüngig und nicht ohne religiöses Pathos erläuterte er sein künstlerisches Selbstverständnis. Diejenigen, die sich durch die Darstellung in seinen Werken persönlich beleidigt fühlten, wies er in ihre Schranken: »Nicht von euch ist die Rede, gar niemals, seid des nun getröstet, sondern von mir, von mir…«
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Seitenzahl: 28
Thomas Mann
Bilse und ich
Essay/s
Fischer e-books
In der Textfassung derGroßen kommentierten Frankfurter Ausgabe(GKFA)Mit Daten zu Leben und Werk
Zu Lübeck, meiner Vaterstadt, ist mir neulich übel mitgespielt worden. Gelegentlich eines Preß-Prozesses, einer literarischen Beleidigungssache, eines geräuschvollen, für uns aber unbeträchtlichen Handels, der dort zum Austrag gekommen und über welchem der Geist Bilses schwebte, ist viel und heftig von meinem Roman »Buddenbrooks« die Rede gewesen, einem Buche, das in jedem Skandalprozeß unbedingt zur Sache gehört und zwar darum, weil seine Figuren zum Teil nach lebenden Personen gebildet sind, weil ich Heimatserinnerungen verschiedener Art, ehrwürdige und skurrile, an Menschen und Verhältnisse, die auf meine empfängliche Jugend Eindruck gemacht, darin zu einigem Leben erweckt habe. Der Vertreter der Klage zumal hat meinen Namen und den meiner Erzählung beständig mit großer Strenge im Munde geführt; und in seinem Plädoyer hat er schließlich, indem er von »Bilse-Romanen« sprach, als Beispiel für diese neue und skandalöse literarische Gattung den Roman »Buddenbrooks« nachdrücklich namhaft gemacht.
Das wurde in offenem Gerichtssaal gesprochen und hatte also Resonanz genug, zusammen mit dem Namen des Sprechers zu mir zu dringen. Ich will ihn nennen, diesen Namen, er stehe hier. Einmal soll er in einer großen Zeitung stehen, ich will’s veranlassen. Er lautet: von Brocken. von Brocken sagte: »Ich stehe nicht an, laut und offen zu behaupten, daß auch Thomas Mann sein Buch à la Bilse geschrieben hat, daß auch »Buddenbrooks« ein Bilse-Roman ist, und ich werde diese Behauptung vertreten!« Hoch aufgerichtet stand er da.
Kommt, wir wollen ihm nicht böse sein. Wir wollen uns billigerweise ein wenig in seine Lage versetzen. Man verbringt {96}seine Tage als Rechtsanwalt in einer mittleren Hafenstadt, man fristet ein dürres, armseliges und völlig unbemerktes Dasein, man gäbe ’was drum, könnte man ein bißchen Aufhebens von sich machen. Beachte doch, guter Leser, das verzweifelt Herausfordernde in von Brockens Worten! »À la Bilse« schreiben, das heißt offenbar: Allerlei Unrat und persönliche Indiskretion zu einer Art von Roman zusammentragen, in der sauberen Absicht, vermittelst eines Skandals recht viel Geld zu verdienen, – eine Auslegung, mit der man vielleicht dem ehrlichen Bilse sehr unrecht tut; aber von Brockens Meinung war zweifellos diese. Würde ich das einstecken? Wie, wenn ich ihn verklagte, einen forensischen Waffengang mit ihm unternähme, von dem die Zeitungen sprechen würden? … Das ist mein Ernst. Ich glaube, daß dieser ausgezeichnete Rechtsgelehrte sich in der Hoffnung gewiegt hat, ich würde mir zumuten, mich mit einer Intelligenz, die nicht zwischen mir und Bilse unterscheiden kann, vor Gericht herumzuzanken. Ach, sein Blütentraum ist nicht gereift. Ich widme ihm diese freundlichen Zeilen – mehr kann ich nicht für ihn tun. Kann höchstens noch, zu seiner Ehre, meiner festen Überzeugung Ausdruck geben, daß er meint, was er sagt, daß er von Herzen und nach bestem Glauben gesprochen hat.
Er glaubt, daß die literarische Gattung, die er »Bilse-Romane« nennt, in unseren schlimmen Tagen entstanden, von ihm entdeckt und benannt worden sei. Der Bildungsgrad, den zu erwerben er Gelegenheit genommen hat, gestattet ihm nicht, zu wissen, daß stets neben der eigentlichen Literatur eine andere, bedenkliche, eine Bilse-Literatur, wenn man will, bestanden hat und zu gewissen Zeiten zu besonderem Flor gelangt ist, deren Erzeugnisse, künstlerisch wertlos, doch nicht ohne kulturgeschichtliches Interesse, sich den Nimbus des Skandalösen oft noch bewahren, wenn alles Persönlich-Kompro{97}