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Im Jahr 2012 wurde der Autor aufmerksam auf einen Autorenwettbewerb. Bei diesem vom "Return of Rock Radio" aus Schwelm ausgelobten Wettbewerb namens "Black Tales of Rock" ging es darum, eine düstere Kurzgeschichte zu erfinden, die einen Bezug zu Rockmusik hätte. Dem Gewinner winkte unter anderem die Möglichkeit, sein Werk, von einer Redakteurin des Senders eingelesen und mit passender Musik unterlegt, live im Radio hören zu können.Im Verlauf meiner Überlegungen hierzu kam ihm die Idee von einem Menschen, der andere dazu bringt, ihre Träume bei vollem Bewusstsein erleben zu müssen. Eine Idee, die tatsächlich dafür gesorgt hat, dass er den Autorenwettbewerb gewann. All die Jahre über hat ihn das grandiose Konzept der "Black Tales of Rock" nicht losgelassen. Zusammen mit einigen Lesern hat er dreizehn düstere Ideen in Kurzgeschichten verwandelt und sie mit dem Rocksong, der als Inspiration dafür diente, betitelt. So ist das Buch gleichzeitig eine Tracklist, die einen wilden Ritt durch verschiedene Unterkategorien der Rockmusik darstellt.
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Seitenzahl: 184
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ls ich im Jahr 2012 gerade meinen ersten Roman bei Amazon hochgeladen hatte, wurde ich, ganz durch Zufall, aufmerksam auf eine besondere Art von Autorenwettbewerb. Bei diesem vom »Return of Rock Radio« aus Schwelm (http://www.return-of-rock-radio.de) ausgelobten Wettbewerb namens »Black Tales of Rock« sollte es darum gehen, eine düstere Kurzgeschichte zu erfinden, die möglichst sogar noch einen Bezug zu Rockmusik hätte. Dem Gewinner winkte unter anderem die Möglichkeit, sein Werk, von einer Redakteurin des Senders eingelesen und mit passender Musik unterlegt, live im Radio hören zu können.
Das war eine Chance, die ich mir nicht entgehen lassen wollte. Also zermarterte ich mir das Hirn auf der Suche nach einer Idee, die mir möglichst den Platz ganz oben auf dem Treppchen einbringen würde.
Sie kam, als ich es am wenigsten erwartete. Ich war gerade dabei, mich im Bett hin und her zu drehen und auf den Sandmann zu warten, als mir die Stimme eines Kindes, begleitet von seinem Vater, beim Aufsagen eines Nachtgebets, durch den Kopf ging.
Das ist aus dem Song, der im gerade von mir veröffentlichten Roman eine Rolle spielt. In dem ist doch auch von Dingen die Rede, die im dunklen Schrank hausen oder unter dem Bett. Dinge, die kratzen und beißen. Was wäre denn, wenn ...
Und schon war da diese Idee von einem Menschen, der andere dazu bringt, ihre Träume bei vollem Bewusstsein erleben zu müssen. Eine Idee, die tatsächlich dafür gesorgt hat, dass ich den Autorenwettbewerb gewann. Vielen Dank noch einmal an das Team vom Radio.
***
All die Jahre über hat mich das, wie ich finde, grandiose Konzept der »Black Tales of Rock« nicht losgelassen. Zusammen mit einigen LeserInnen habe ich dreizehn düstere Ideen in Kurzgeschichten verwandelt und sie, zusammen mit einem Rocksong, der als Inspiration dafür diente, betitelt. So ist das Buch gleichzeitig eine Tracklist, die einen wilden Ritt durch verschiedene Unterkategorien der Rockmusik darstellt.
Hier kommen sie nun. Teilweise haben sie durchaus fantastische Elemente, teilweise können sie auch direkt in der Nachbarschaft geschehen sein. Allen voran steht die Geschichte, die Ursprung aller anderen Ideen ist.
allo … träumen Sie? Haben Sie mir zugehört?«, schallte es aus Tims Headset.
Tim fuhr zusammen.
Verdammt.
Es war schon wieder passiert.
Er hatte gehofft, dass er sich endlich wieder unter Kontrolle bekommen hätte – hatte sich so gewünscht, dass die Diagnose, die ihm vor zwei Monaten gestellt worden war, nicht zuträfe oder dass er es durch gesunde Ernährung und einen ordentlichen Schlafrhythmus ausgleichen könnte, damit es ihn wenigstens nicht bei der Arbeit beeinträchtigte. Inzwischen ließ es sich kaum noch leugnen: Er hatte Narkolepsie, eine neurologische Erkrankung, die dazu führen konnte, dass er mitten am Tag plötzlich in einen REM-Schlaf verfiel. Tim hoffte, dass es sich diesmal nur um eine kurze Zeitspanne gehandelt hatte.
»Oh nein, natürlich nicht Herr …«, ein hektischer Blick auf seinen Monitor, »Schneider«, sagte er in einem möglichst unbekümmert klingenden Tonfall. »Ich musste mich nur gerade vergewissern, dass Ihr Vertrag tatsächlich dafür qualifiziert ist, den Nachlass zu erhalten, den wir für …«, ein weiterer hektischer Blick – ein Glück, das Datum passte, »langjährige Kunden reserviert haben.«
»Ach, deshalb habe ich doch gar nicht … aber … danke«, erklang die Stimme eines überraschten Herrn Schneider.
Shit, dachte Tim. Doch länger, als ich vermutet hatte.
Nach außen setzte er wieder seine Call-Center-Stimme auf: »Freut mich, dass ich Ihnen behilflich sein konnte. Gibt es noch etwas, das ich für Sie tun kann?«
»Eigentlich … aber ist auch egal ... danke noch mal«, kam es von Herrn Schneider zurück.
»Ich habe zu danken«, flötete Tim in sein Mikro und atmete innerlich auf.
Das hat wohl doch noch hingehauen.
Jetzt musste nur noch das leise »Blip« ausbleiben und alles war in Butter.
Aber das »Blip« war doch zu hören, kurz bevor er die Auflegen-Taste an seiner Telefonanlage drückte.
Tim schloss kurz die Augen.
Natürlich, es wäre auch wirklich zu viel verlangt gewesen, wenn seine Aktion vollkommen unbemerkt geblieben wäre. Also hatte Gabler, sein Supervisor, zumindest einen Teil des Gespräches mitgehört. Tim zuckte für sich mit den Schultern und nahm den nächsten Anruf an, bevor seine Erreichbarkeitsquote Anlass zu Klagen geben würde.
***
Im weiteren Verlauf des Vormittags gab es glücklicherweise keine ähnlichen Zwischenfälle, und so hakte Tim den morgendlichen Vorfall innerlich ab. Es war kurz vor der Mittagszeit, als auf seinem Display plötzlich das Wort »Supervisor« angezeigt wurde. Sofort lief ihm ein kalter Schauer über den Rücken. Er widerstand dem Impuls, sich zu der Kabine umzudrehen, in der Gabler jetzt gerade saß. Das würde nur schuldbewusst aussehen.
»Hallo, Herr Gabler«, meldete Tim sich betont entspannt. »Was kann ich für Sie tun?«
»Tag Herr Somnifer. Kommen Sie doch bitte im Anschluss an Ihre Pause mal zu mir ins Büro. Danke.«
»Gut, das mach …«, setzte Tim an, doch die Leitung war schon wieder getrennt.
Als es Zeit für die Pause war, ging Tim stattdessen direkt in das Büro des Supervisors.
»Mensch Somnifer, Pause schon zu Ende?«, fragte Gabler.
»Ich brauch’ nicht so viel Pause«, sagte Tim und winkte ab. »Ich habe mir gedacht, dass es besser ist, wenn ich gleich zu Ihnen komme, weil die Quote sonst in den Keller geht, wenn ich nicht am Platz bin.«
Gabler blickte Tim mit einem Lächeln im Gesicht an, das sich nicht auf seine Augen erstreckte.
»Guter Teamgeist, Somnifer. Setzen Sie sich doch.«
Tim tat wie ihm geheißen.
Aber bevor er richtig saß, legte Gabler auch schon los: »Tja, und da sind wir auch gleich beim Thema. Ihre Zahlen sind ganz ordentlich, auch von den Kollegen höre ich kein böses Wort über Sie, aber ich habe da vorhin ein Gespräch mitbekommen, das mich zu der Frage bringt, ob Ihr Wert für unser Unternehmen sich eventuell in ganz anderen Zahlen ausdrückt.«
Tim starrte ihn wortlos an.
»Erinnern sie sich noch an das Gespräch mit Herrn … Schneider von heute Morgen? Ich habe mich zu spät aufgeschaltet, um es komplett mitzubekommen, aber insgesamt hat sich mir die Vermutung aufgedrängt, dass Sie nicht ganz bei der Sache waren und dies dadurch zu kaschieren versuchten, dass Sie den Kunden durch einen Rabatt abgelenkt haben.«
Tim versuchte weiterhin, ein Pokerface zu bewahren.
Also weiß Gabler tatsächlich nicht, wie lange genau die Pause in diesem Gespräch gedauert hat.
Das war gut. Jetzt musste er nur noch sein Geschick in Verhandlungsgesprächen dazu benutzen, um die Kuh wieder vom Eis zu bekommen.
Er setzte zu einer eloquenten Antwort an, aber in diesem Moment bemerkte er zu seinem Entsetzen, dass sich die im Normalfall kaum wahrnehmbaren Anzeichen eines Anfalls um ihn herum zu verdichten begannen.
Reiß dich zusammen und schlaf jetzt bloß nicht ein!, brüllte er sich von Panik erfüllt innerlich selbst an. Hol dir die Kraft, um das Gespräch hier durchzustehen.
Unendlich mühsam konzentrierte Tim sich auf Gabler und darauf, jetzt nicht in der Dunkelheit zu versinken, die bereits tastende Finger nach ihm ausstreckte. Er zwang sich dazu, den Mund zu öffnen, um zu sprechen, als die sirupähnliche Konsistenz seiner Umgebung sich plötzlich auflöste und er einen Strom frischer Kraft in sich hineinfließen fühlte.
Begeistert davon, den Anfall überwunden zu haben, wollte Tim sich endlich rechtfertigen, aber in diesem Moment sackte Gabler in seinem Sessel zusammen. Mit einem Satz hechtete Tim um den Schreibtisch herum und beugte sich über den Supervisor.
Schnell stellte sich heraus, dass Gabler noch lebte. Allerdings fühlte sich sein Körper unnatürlich schlaff an. Man hätte denken können, dass er ohnmächtig wäre. Nur die angstvollen Blicke, die er aus seinen weit aufgerissenen Augen sandte, ließen erkennen, dass er alles mitbekam, was um ihn herum vorging.
Tim schnappte sich den Telefonhörer und rief den Notarzt.
***
Gabler wurde abgeholt und in das nächste Krankenhaus gebracht. Fassungslos sah Tim der Trage hinterher, auf der sein Chef zum Lift getragen wurde.
Er ließ sich auf den Sessel sinken, ohne darauf zu achten, wo er sich befand. Dabei streifte seine Hand die direkt an der Schreibtischkante liegende Computermaus, und der Monitor erwachte aus dem Standby-Modus. Erstaunt stellte Tim fest, dass sich nicht etwa der Sperrbildschirm öffnete, sondern direkt zwei geöffnete Schriftstücke zu sehen waren.
Kopfschüttelnd darüber, wie sträflich Gabler mit dem Thema Sicherheit umging, wollte er aufstehen und zu seinem Terminal gehen, aber in diesem Moment erkannte Tim, dass es sich bei einem Schriftstück um eine interne Belobigung und bei dem anderen um eine Abmahnung handelte, in denen nur noch ein Name fehlte.
Zwei Minuten später setzte er sich mit einem zufriedenen Lächeln wieder an seinen Platz.
***
In dieser Nacht schlief Tim so tief und fest, wie er es seit langer Zeit nicht mehr gekonnt hatte. Am Morgen war er sogar noch vor dem Wecker wach und ausgeruht. Daher beschloss er, gleich zur Arbeit zu gehen, um vielleicht schon etwas über Gablers Gesundheitszustand zu erfahren. Auf eine seltsame Art und Weise fühlte Tim sich für ihn verantwortlich.
Gabler selbst war natürlich nicht da, aber er erfuhr von der Direktionssekretärin, dass es ihm den Umständen entsprechend gut gehe. Also machte Tim sich beruhigt an die vom vorigen Tag liegen gebliebene Arbeit. Er war noch nicht ganz damit fertig, als sein Telefon einen internen Anruf anzeigte.
»Somnifer?«, meldete er sich mit klopfendem Herzen.
»Tach, Krause hier vom Personal. Hamse mal kurz Zeit?«
»Ähm, klar. Wo soll ich hinkommen?«
»Nee, ick komm’ vorbei. Wir treffen uns im Supervisor-Büro.«
»Okay«, bestätigte Tim und legte mit noch stärker klopfendem Herzen auf.
***
Krause erschien wenig später und machte die Bürotür hinter sich zu. Tim blickte ihn beklommen an.
»Nu’ mal keene Angst Junge«, beschwichtigte Krause. »Sie wissen ja, dass Gabler jetz’ erst mal ne Weile ausfällt. Und da brauchen wa nen Vertreter. Sie warn ja jestern bei ihm, als er zusammenjeklappt is’ und weil er Sie wohl sowieso n’bisschen pushen wollte, ham wa uns jedacht, det könn’ och Sie machen.«
»Okay?«, sagte Tim mit einem Kloß im Hals. »Hat er das so gesagt?«
»Nee, jesagt hatter det nich, aber Sie warn ja bei ihm, und er hatte noch so’n Schreiben für Belobigungen offen, als er weg jebracht worden is’. Da liegt det ja wohl auf der Hand.«
»Oh. Ach so. Wenn das so ist, dann freue ich mich, dass Sie mir das anbieten. Versuchen will ich’s gern.«
»Na prima«, freute sich Krause. »Dann gehnse mal zu Krüger von Team 2 in der dritten Etage. Der kann Ihnen bestimmt sagen wat so zu tun is’. Ick sage den Leuten hier Bescheid.«
Damit wuselte er aus dem Büro und ließ Tim darin stehen.
***
Der Rest des Tages verlief für Tim wie im Rausch. Er wurde von Herrn Krüger empfangen, der ihm einen Überblick darüber verschaffte, was er als Supervisor zu tun hätte. Das war in Tims Augen erstaunlich wenig, denn er war an die Tretmühle des Call-Center-Ablaufs gewöhnt. Während des Gesprächs hatte Tim einmal das Gefühl, dass sich wieder ein Anfall anbahnte und er verfuhr so, wie er es am Vortag erfolgreich getan hatte. Diesmal musste er sich nicht so sehr anstrengen, und auch der Kraftstrom war nicht so immens, aber immerhin genügte es, um weiterhin wach zu bleiben.
Wieder zurück in seiner Abteilung, machte er zunächst eine kurze Runde durch die Räumlichkeiten und wurde insgesamt recht warm empfangen. Vermutlich hofften die Kollegen, dass Tim sich nicht als ein solcher Schinder herausstellen würde, wie Gabler es war. Dann begab er sich in »sein« Büro und ging die Unterlagen durch, die er von Krüger bekommen hatte. Als es Zeit für den Feierabend war, fühlte Tim sich großartig und hatte zu seiner eigenen Überraschung bereits ein paar Ideen entwickelt, wie man das Arbeitsklima und vielleicht auch die Effektivität erhöhen könnte. Eine davon war ein gemeinsamer After-Work-Treff in einer Kneipe um die Ecke gewesen und sie war von den meisten Kollegen begeistert angenommen worden.
***
Ein neuer Tag dämmerte heran, und Tim konnte es kaum fassen, dass er sich noch besser fühlte, als tags zuvor. Voller Elan begab er sich zur Arbeit und teilte dort den Kollegen mit, dass die Reservierung für den Abend geklärt wäre.
Als er dann in der Kneipe auf das Eintreffen der Kollegen wartete, fühlte Tim sich ein wenig so, wie bei einem Blind Date – er wollte, dass alles perfekt war.
Und es wurde perfekt.
Den ganzen Abend über feierten sie ausgelassen, da der folgende Tag ein Samstag war. Schließlich war es fast Mitternacht und nur noch wenige Kollegen waren übrig geblieben. Tim hielt seine Pflichten als Gastgeber für beendet und ging zur Bar, um seine Getränke zu bezahlen.
»Herzlichen Dank für den schönen Abend, Herr … wie heißt du eigentlich? Oder soll ich jetzt ‘Sie’ sagen?«, sagte plötzlich eine dunkle Stimme in sein Ohr.
Tim drehte sich überrascht um und sah in das Gesicht einer Kollegin.
Martha.
Sie hatte zwar bisher immer die Box direkt neben seiner gehabt, aber zu einem privaten Wortwechsel war es trotzdem nie gekommen.
»Oh, bitte, nein, ähm …«, stotterte Tim. »Okay. Jetzt noch mal: Bitte, gern geschehen wegen des Abends. Und nein, du musst mich nicht siezen. Aber ich heiße Somnifer.«
Martha lächelte und sah ihm noch einmal in die Augen.
»Interessanter Name – Som-ni-fer«, sagte sie gedehnt. »Hat der was zu bedeuten?«
»Keine Ahnung«, antwortete Tim achselzuckend.
»Ach, ist ja auch egal«, kam es von Martha zurück. »Hast du jetzt noch was vor?«
»Ähm, na ja, schlafen gehen denke ich.«
»Allein?«, fragte Martha.
Tim wurde abwechselnd heiß und kalt. Die Kinnlade klappte ihm herunter, und er sah die Frau, die vor ihm stand, verdattert an. Sie war zweifellos eine Schönheit, mit einer schwarzen Lockenmähne, einem leicht dunklen Teint und den großen wasserblauen Augen.
Wenn du jetzt ‘Ja’ sagst, dann tret’ ich dir in den Hintern, sagte eine Stimme in seinem Hinterkopf, und wie als Antwort darauf schüttelte Tim stumm den Kopf.
»Fein«, sagte Martha fröhlich und hakte sich bei ihm unter, als wäre damit etwas abgemacht.
***
Die Fahrt nach Hause bekam Tim eigentlich gar nicht mit. Er stellte nur irgendwann fest, dass sie vor seiner Wohnungstür standen. Dann ging alles ziemlich schnell.
Kaum, dass sie die Tür hinter sich geschlossen hatten, sprang Martha ihn an und hielt sich mit beiden Beinen an Tims Hüften fest, während sie ihm die Arme um den Hals schlang und sein Gesicht mit Küssen bedeckte.
»Ich … hab’ dich … schon länger … im Auge«, keuchte sie zwischen den Küssen. »Aber du … warst immer so … abwesend. Aber … jetzt … bist du … irgendwie … da.«
Tim sagte nichts, sondern gab sich nur den Umarmungen und Liebkosungen hin. Zusammen schafften sie es bis ins Schlafzimmer, wo sie sich gegenseitig die Kleider vom Leib rissen und dann eng umschlungen aufs Bett sanken. Schließlich kam Martha auf ihm zu sitzen und gab mit ihrem Becken einen Takt vor, der sie beide binnen kürzester Zeit zur Ekstase bringen würde.
***
Und genau in diesem Moment bemerkte Tim es wieder.
Das inzwischen altbekannte Gefühl, dass er jeden Moment einschlafen würde.
Er riss die Augen auf und konzentrierte sich mit aller Macht auf Martha.
Es darf nicht sein, dass der beste Sex meines Lebens damit endet, dass ich einschlafe, noch bevor ich ihn überhaupt auskosten kann.
Es funktionierte.
Genau in dem Moment des gemeinsamen Höhepunkts hatte Tim das Gefühl, dass er mit Martha auf mehr als nur der körperlichen Ebene verbunden wäre und zwischen ihnen ein gewaltiger Energiefluss stattfände.
Danach lagen sie beide noch eine Weile schwer atmend nebeneinander, bis sie zufrieden einschliefen.
***
Das Zwitschern der Vögel draußen vor seinem Fenster weckte Tim auf, als die ersten Sonnenstrahlen sein Schlafzimmer mit Helligkeit zu füllen begannen.
Zufrieden lächelnd drehte er sich zu Martha um und prallte zurück.
Mit einem panischen Aufschrei stieß er sich rückwärts, fiel vom Bett und blieb an der nächsten Wand liegen, die Augen immer noch auf das gerichtet, was eben noch neben ihm im Bett gelegen hatte.
Die Gestalt hatte noch entfernte Ähnlichkeit mit Martha, glich aber ansonsten eher dem Bild »Der Schrei« von Edvard Munch. Mit weit aufgerissenen Augen und Mund lag dort eine totenblasse Person, die beide Hände in das schlohweiße Haar krallte, das ihr wirr um den Kopf stand.
Als hätte Tims Aufschrei sie geweckt, bewegte die Figur nun leicht ihren Kopf und fixierte ihn mit trüben, rotgeäderten Augen.
Dann begann sie krächzend zu sprechen: »Was hast du mit mir gemacht? Ich konnte nicht schlafen, aber die Träume kamen trotzdem. Kannst du dir vorstellen, wie das ist? Alles ist … anders … Und da sind Dinge … Da im Schrank und unter dem Bett … Dinge die kratzen … und beißen …«
Wimmernd presste Tim sich an die Wand und hauchte dann: »Martha?«
»NEIIIIIN«, kreischte sie. »Sie kommen wieder … Ich kann nicht mehr.« Und dabei krallte sie ihre Finger ins Gesicht, bis Blut dazwischen hervorquoll.
***
Zitternd und weinend hockte Tim in seinem Bad.
Vor einer Weile hatte das Kreischen von Martha aufgehört. Auch ihr Stöhnen und Röcheln war verstummt, aber er traute sich nicht, das Zimmer wieder zu betreten.
Tim wusste inzwischen, dass es seine Schuld gewesen war.
Gabler, Martha und wer weiß sonst noch.
Und er wusste, dass es sein Blick gewesen sein musste, der dies bewirkt hatte.
Dann spürte er wieder die verräterischen Anzeichen – er hatte hier auf sie gewartet.
Als es kaum noch auszuhalten war, stand er auf, öffnete seine Lider und blickte sich im Spiegel fest in die Augen.
ür Adam begann der Tag wie immer damit, dass er zum Briefkasten ging, um die Post und seine Tageszeitung daraus hervorzuholen. Ein Morgen ohne Kaffee wäre zwar schwierig, aber zu überleben. Ein Morgen ohne Zeitung hingegen war undenkbar. Er öffnete die hintere Klappe des Kastens und staunte nicht schlecht. Der Briefträger schien es an diesem Tag besonders gut mit ihm gemeint zu haben, denn er war so voll, dass sowohl die Zeitung als auch einige Briefe direkt daraus hervorquollen. Man hätte fast glauben mögen, dass sie mit dem restlichen Inhalt des Briefkastens nichts zu tun haben wollten.
Dieser Inhalt bestand nur aus einem einzigen Briefumschlag, der eigentlich zu groß wirkte, um überhaupt durch den Einwurfschlitz zu passen. Aber trotzdem war der Brief dort und er wirkte auch in keiner Weise zerknickt oder sonst irgendwie beschädigt.
Adam klaubte zuerst die auf den Boden gefallenen Schriftstücke auf und nahm sich dann das sonderbare Kuvert, bevor er die Klappe wieder schloss und pfeifend zurück zum Haus ging. Im Vorbeigehen warf er sämtliche Briefe im Arbeitszimmer auf den Schreibtisch und schlenderte mit der Zeitung in der Hand in die Küche. Dort stopfte er zwei Toastscheiben in den Toaster und warf ein Ei in das Wasser, das bereits auf dem Herd kochte. Prompt platzte es auf und verteilte Schlieren geronnenen Eiweißes im gesamten Topf.
Och nöö, das kann ich direkt wieder lassen, dachte er angeekelt.
Es gab beim Frühstück kaum etwas, das er weniger mochte, als ausgelaufene Eier. Aber ein Blick in den Kühlschrank zeigte, dass es das letzte seiner Art gewesen war.
Bevor Adam sich jedoch Gedanken darüber machen konnte, wies ihn sein Geruchssinn auf ein weiteres Problem hin. Schnell sprang er zum Toaster, aus dem sich bereits erste Rauchwölkchen zu kringeln begannen.
»Na, das passt ja perfekt«, grummelte er vor sich hin, während er die zwei angekohlten Brotscheiben betrachtete, die ebenfalls zum Letzten gehörten, was seine Speisekammer nach dem Wochenende hergab.
***
Zehn Minuten später hatte Adam die traurigen Überreste seiner Bemühungen auf dem Esstisch zusammengetragen und mümmelte lustlos an dem Toast herum, der wenigstens mit großzügig darauf verteilter Butter halbwegs genießbar war. Das steinhart gekochte Ei half nicht, seine Stimmung zu heben und als er einen Schluck Milch nahm, musste er alles zusammen direkt wieder ausspucken.
Sie war sauer. Natürlich.
Selbst die Zeitung schien heute einen schlechten Tag zu haben. Sie wirkte pergamenten, geradezu ausgetrocknet, und die Seiten ließen sich kaum umblättern, ohne einzureißen.
Entnervt gab er auf und tappte ins Arbeitszimmer.
Wenn der Tag schon so losgeht, wie soll der dann bloß enden?, ging es ihm durch den Kopf, als er sich auf seinem Stuhl niederließ.
Adam nahm sich den Stapel Briefe vor, die alle ein ähnliches Schicksal ereilt zu haben schien, wie die Zeitung. Alle wirkten sie, als ob sie am liebsten direkt zu Staub zerfallen würden.
Alle, bis auf diesen anderen Umschlag.
Adam drehte ihn in den Händen.
Er hatte ein ungewöhnliches Format und auch das Material war ihm gänzlich unbekannt. Die Außenseite war fest wie Karton, hatte aber doch eine weiche Oberfläche, die gar nicht dazu zu passen schien. Außer seinem Namen und der Adresse waren nur noch Briefmarken darauf - eine weitere Seltsamkeit, denn wer hatte schon jemals davon gehört, dass man für einen Brief vier 90 Cent-Marken, zwei 58 Cent-Marken und je eine 45 Cent- und 1,45 Euro-Marke benötigen würde. Sechs Euro Sechsundsechzig. So weit entfernt konnte doch wohl kein Ort auf der Welt sein – vor allem, wenn man dort mit Euros bezahlte – obwohl sich Adam seit der letzten EU-Erweiterung doch nicht so sicher war.
Er suchte nach einer Möglichkeit, mit Finger oder Brieföffner hineinzufahren, aber es gab keine. Stattdessen gab es eine Lasche, an der Adam beherzt zog.
In diesem Moment gab es einen Knall in der Küche und er fuhr zusammen.
Adam stand auf und ging nachschauen.
Es war der Joghurt, den er aus dem Kühlschrank genommen hatte, damit er sich etwas aufwärmen konnte. Der gesamte Becher war explodiert und hatte seinen Inhalt auf Wänden und Boden verteilt.
Adam stöhnte und blickte zur Decke, wie, um ein höheres Wesen um Beistand zu bitten. Dann machte er sich daran, die Schweinerei zu beseitigen.
***
Wieder zurück im Arbeitszimmer, nahm er das geöffnete Kuvert in die Hand und schüttelte den Inhalt heraus.
Weiße Blätter.
Verwirrt schaute Adam zuerst auf das vollkommen leere Papier und dann noch einmal in den Umschlag hinein.
Die Innenseite war noch eigenartiger, denn sie hatte einen metallischen Glanz. Und kräuselte sich von drinnen nicht sogar etwas wie eine Rauchfahne heraus?
Quatsch. Was du schon wieder siehst. Jetzt male mal nicht den Teufel an die Wand.