Blanka - Monika Bramer - E-Book

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Monika Bramer

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Beschreibung

Eine neue Widersacherin erscheint und bekämpft Blanka mit allen Mitteln. Sie hetzt die Schüler gegeneinander auf und dieser mysteriöse Bruder von ihr schleicht Nachts durch die Schule. Als Blanka dieser Sache nachgeht, stellt sie fest, dass nicht nur der Frieden an der Schule gefährdet ist, sondern dass auch eine gute Freundin in großer Gefahr schwebt.

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Monika Bramer

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Band 1

Blanka

ISBN 9783755772491

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Blanka Das verlorene Tor

ISBN 9783756217748

Band 3

Blanka Die Macht der Tränen

ISBN 9783756829026

Band 4

Blanka Falsches Spiel

ISBN 9783757819354

Inhalt

1. Eine neue Bedrohung

2. Die Königin ist tot! Es lebe die Königin!

3. Unerwartete Hilfe

4. Willkommen zurück!

5. Auf den Spuren der Vergangenheit

6. Hört die Geschichte euch an

7. Die Geschichte von König Kian

8. Ausgetrickst

9. Die letzte Bedrohung

10. Alte Freunde, neue Feinde

11. Widerstand

12. Eene meene buh und raus bist du!

13. Schach der Königin

14. Neue Erkenntnisse

15. Vorbereitungen

16. Auf Schleichwegen

17. Wenn du glaubst, du hast alles im Griff....

18. Im Bann der Träume

19. Befreiung einer Freundin

20. Die wahre Befreierin

21. Der Weg zurück

22. Der verlorene Schlüssel

23. Neue Aufgaben

24. Endlich nach Hause

1. Eine neue Bedrohung

Elain passierte mit ihrer Karawane erleichtert das Stadttor. Endlich war sie wieder zu Hause. Über 2 Jahre war sie unterwegs gewesen, um neue Handelsbeziehungen nach Erenn aufzubauen. Nach Erenn, dem unerreichbaren Nachbarkontinent, der berühmt war für sein warmes Klima und seine reichen Bodenschätze.

Sie hatte eine lange und gefährliche Reise hinter sich, die sie zuerst an die Südspitze von Tirna führte. Von hier aus erschien die gegenüberliegende Landmasse mit der Hafenstadt Arwan zum Greifen nah. Aber der Schein trog! Die durch den mächtigen Ringplaneten verursachten Gezeiten verwandelten diese kurze Strecke in einen reißenden Strom, den sich nur die mutigsten Männer zu überqueren trauten. Zu oft verschlang die See das Schiff mit der gesamten Besatzung und nicht jeder Kapitän war in der Lage, diese so harmlos daherkommende Wasserstraße zu passieren.

So brauchte sie mehrere Tage, um ein passendes Beförderungsmittel für ihre kostbaren Güter zu finden. Und obwohl sie ein gutes Schiff organisieren konnte, ließen der hohe Wellengang und die unberechenbaren Winde, sie mehrmals an der glücklichen Überfahrt zweifeln. Unzählige Stoßgebete schickte sie zum guten Gott Dagda und brachte zusätzlich dem Meergott Dylan ein Opfer dar. Mit Erfolg! Ohne Verluste landete sie an der Küste von Erenn, wo sie ohne weitere Zwischenfälle mit ihrer Karawane bis zur Hauptstadt Sulis reiste.

Die dortigen Handelsherren begrüßten sie freundlich, da sie nicht nur die Grüße ihrer Königin im Gepäck hatte, sondern auch heiß begehrte exotische Ware. Edelsteine aus dem Steinbruch von Luchta, fein gewebtes Leinen aus TirnaMag und kostbare Felle.

Die Männer bestaunten ihre Schätze und schnell war der Handel perfekt.

Doch noch viel wichtiger als der Austausch der Güter war für Elain der Kontakt, der dabei zustande kam. Mit ihren seltenen Waren erweckte sie das Interesse der Händler und den Wunsch nach mehr. Das Ergebnis zeigte sich in exklusiven Handelsverträgen.

So kam es, dass sie sich reich beschenkt auf den Rückweg machte.

Nun kehrte sie nach so langer Abwesenheit in ihre Heimatstadt zurück. Die Taschen gefüllt mit den ungewöhnlichsten Gewürzen, den edelsten Spitzen und dem feinsten Leder. Die Königin würde stolz auf sie sein und ihr die Anerkennung zuteilwerden lassen, die sie ihr die ganze Zeit verweigert hatte.

Versunken in ihre Tagträumereien bemerkte Elain nicht, dass die Leute auf der Straße stehen geblieben waren. Neugierig musterten die Bewohner den Trupp der Reiter, der von einer so jungen Anführerin kommandiert wurde. Einer Anführerin, die höchstens 16 Jahre alt sein konnte. In Wirklichkeit war das Mädchen sogar erst 14. Der harte Kampf um Anerkennung und Zuneigung hatten sie vorzeitig reifen lassen.

Aber nicht nur ihr Alter sorgte für Aufsehen. Auch der Rest ihrer Erscheinung war ungewöhnlich. Mit ihren braunen Haaren und den dunklen Augen bildete sie einen auffallenden Kontrast zu den blassen und blonden Bewohnern der Stadt.

Ihre Mutter hatte sie deshalb abgelehnt. Sie stets einen talentlosen Bastard genannt, den sie unglücklicherweise von einem ihrer Liebhaber bekommen hatte.

Diese Abneigung hatte sie ihr Kind spüren lassen und sie die meiste Zeit grob behandelt. Stundenlang blieb das Mädchen allein und wenn sie dann unsauber und verschmutzt aus einer Ecke hervorgekrochen kam, dann kümmerten sich irgendwelche Dienstboten um sie. Doch Hände, die durchaus zur Zärtlichkeit fähig waren, wurden derb, wenn sie das Kind berührten und einen Vater bei dem sie Schutz und Geborgenheit finden konnte, hatte sie nicht. So brannte sich diese ungeduldige und unfreundliche Behandlung in Elains Gedächtnis ein und wurde allmählich ein Teil ihres Bewusstseins.

Als sie älter wurde, versuchte sie mit allen Mitteln die Gunst ihrer Mutter zu erringen. Das war schwer, denn selbst der kleinste Fehler wurde unerbittlich bestraft. Schnell lernte sie, dass nur der Erfolg zählte.

Ihr Halbbruder hatte es da bedeutend einfacher. Mit seiner tadellosen Herkunft, den feengleichen blonden Haaren und den strahlend blauen Augen, brauchte er nur an etwas zu denken und schon wurde es herangeschafft.

Neidisch blickte Elain auf eine Frau in der Menge, die sich runter zu ihrem Kind beugte. Liebevoll hob sie den Kleinen hoch, damit er besser die vorbeimarschierenden Reiter der Karawane sehen konnte. Ihre Mutter hätte so etwas niemals gemacht. Bei diesem Gedanken zuckte es schmerzhaft um ihre Mundwinkel. Elain ballte die Fäuste. Diesmal war sie die Bessere gewesen! Sie hatte etwas geschafft, was keinem vor ihr gelungen war.

Eine nagende Unruhe riss sie aus ihren Gedanken. Irgendwas stimmte hier nicht! Die Leute hätten beim Anblick der königlichen Standarte ehrfurchtsvoll auf dem Boden liegen müssen. Stattdessen wurde sie unverhohlen angestarrt. Empört richtete sie sich im Sattel auf. Wo waren die Wachen, die diese unverschämten Gaffer, zur Strafe, mit Peitschenhieben durch die Gassen trieben? Warum war kein Abgesandter vom Palast am Tor erschienen?

Diese und noch mehr Fragen schossen ihr durch den Kopf und anstatt wie gewohnt ihre Karawane zum königlichen Warenlager zu lenken, beschloss sie, in einer Herberge abzusteigen. Dort konnte sie unerkannt unterkommen und vorsichtig Informationen einholen.

* * *

Doch wenn sie dachte, dass keiner ihre Ankunft registrieren würde, dann hatte sie sich geirrt. Die Nachricht, dass eine Karawane aus einem fremden Land in der Stadt angekommen war, machte schnell die Runde. Nach und nach trudelten geschäftstüchtige Händler ein.

Während sie mit den ungeduldigen Kaufleuten von TirnaNog verhandelte, wartete Elain auf Nachricht von ihrem ausgesandten Informanten.

Schon nach 3 Stunden kam der Mann wieder zurück.

»Was gibt es? Sprich!«, begrüßte sie ihn begierig.

»Ich habe schlechte Neuigkeiten!«, sagte der Bote und warf sich zu Boden.

Elain runzelte die Stirn. Was konnte es so Dramatisches geben, dass sich ein so erfahrener Späher wie Nolan schlotternd vor Angst zurückmeldete. »Höre auf, mich hinzuhalten! Was ist passiert?«, fragte sie zornig.

»Königin Marlene und Prinz Aidan, gnädige Herrin, sind in den Wasserfällen von Hafren ertrunken. Ihre Körper wurden in die königliche Gruft gebracht. Das Kommando über die Stadt hat jetzt der Hüter des Tors Maeron und seine Begleiterin – eine gewisse Marianne«, erklärte der Bote. In seiner Stimme klang ein Unterton von respektvoller Ergebenheit mit.

Mit großen Augen starrte Elain auf dem am Boden knienden Mann. Von der Nachricht wie betäubt, brauchte sie einen Moment um den Schock, den diese Botschaft in ihr ausgelöst hatte, zu verkraften. Ihre Mutter die Königin war tot und ebenso ihr Halbbruder.

Mit dem Tod der Herrscherin war sie die einzig überlebende Verwandte und die gesetzmäßige Thronerbin. Fühlte sie Trauer um den Verlust ihrer Mutter?

Nein! Es war eher Frust. Wieder hatte Marlene es geschafft, ihr die verdiente Anerkennung zu verweigern. Mit schmalen Augen und geschürzten Lippen überdachte sie die nächsten Schritte.

Der Mann zu ihren Füßen begann ungeduldig hin- und her zu rutschen. »Was habt ihr nun vor, gnädige Herrin?«

»Um das zu entscheiden, muss ich erst die ganze Geschichte hören«, erwiderte sie nachdenklich, setzte sich auf einen bequemen Stuhl und starrte versonnen auf den immer noch knienden Boten runter. »Erzähle! Ich bin ganz Ohr!«, forderte sie ihn auf.

Durch die entspannte Haltung seiner Herrin beruhigt, hob der Mann den Kopf und verlagerte sein Gewicht auf die Fersen. Einen Moment lang dachte er darüber nach, an welchem Punkt der Geschichte er anfangen sollte. Schließlich beschloss er seinen Bericht, mit dem Eintreffen der fremden Leute zu beginnen.

»Als die hohe Königin, eure Mutter an Samhain, mit ihrem Sohn dem Prinzen einen Bummel über den Markt machte, da entdeckte der königliche Thronfolger ein Mädchen in der Menge, welches sehr außergewöhnlich war. Ihre einzigartige Erscheinung mit den dunklen Augen, den schwarzen Haaren und der warmen braunen Haut, erweckte sofort sein Interesse.« Der Mann machte eine kleine Pause und beobachtete fasziniert, wie es um Elains Mundwinkel zuckte.

Das Mädchen kannte ihren Halbbruder nur zu gut, um zu den richtigen Schlussfolgerungen zu kommen. Aidan war genauso egozentrisch, wie Marlene. Wenn ihn etwas interessierte, dann wollte er es auch haben. Egal ob es ein Gegenstand oder ein lebendes Wesen war.

Und tatsächlich berichtete der Bote weiter, wie der Prinz dieses Mädchen mit der Macht unter seine Kontrolle brachte und wie die Königinmutter ihren Begleiter bearbeitete, sodass beide widerspruchslos mitgingen. »Alles lief super. Der Junge – Joe hieß er – wurde zum neuen königlichen Auserwählten und das Mädchen – Marianne war ihr Name – zur Begleiterin des Prinzen.

Es gab nur einen kleinen Zwischenfall am Tag der Audienz. Zwei Frauen versuchten ihre Liebsten aus Marlenes Zauberbann zu befreien. Die eine der beiden schaffte es, mit ihrem Partner unerkannt zu entkommen, während die Zweite bei der Aktion, den königlichen Auserwählten zu befreien, erwischt wurde. Dennoch gelang es ihr, den Mann aus dem Bann der Königin zu lösen. Ja, sie brachte sogar den Prinzen dazu, ihr zu helfen, sodass sie entkommen konnte.

Aber ihr Freund schaffte es nicht. Daraufhin beschloss Marlene, ihn zur Abschreckung und zur Warnung an alle, die diesem Beispiel folgen würden, besonders hart zu bestrafen.«

Elain bemerkte zu ihrer Verblüffung, dass der Bote vor Erregung zitterte. »Ja und?«, forschte sie begierig.

»Er sollte an den Wasserfällen von Hafren den Göttern geopfert werden«, fuhr der Mann verstört fort.

Ungeduldig nickte seine Herrin mit dem Kopf. In besonders schweren Fällen von Hochverrat war das so üblich.

»Die Königin wollte, wenn Rig seine Ringe über den Horizont schob, das Schauspiel der Bestrafung des Jungen, abhalten. Augenzeugen berichteten, dass Marlene, um dem Spektakel ein feierliches Aussehen zu geben, am Ufer mehrere Holzgestelle entzünden ließ. Sie schien auf den richtigen Moment zu warten.« Der fragende Blick des Mannes richtete sich auf seine Herrin.

Elain saß selbstversunken auf ihrem Stuhl und bewunderte die ausgeklügelte Raffinesse ihrer Mutter. Sie wusste genau, auf wen die Königin wartete. Sie wartete darauf, dass die Freundin dieses Joes die letzte Gelegenheit nutzen würde, um ihren Liebsten zu befreien. Erwartungsvoll beugte sie sich vor und musterte den Boten mit gierig glänzenden Augen.

Der senkte demütig den Kopf und sagte: »Aber sie hatte nicht mit dem Boten Onas gerechnet.«

Ein dumpfes Poltern ließ den Mann erschrocken hochschauen. Bei der Erwähnung von Onas Boten war Elain hochgeschnellt und hatte ihren Stuhl umgestoßen. »Wer?«, zischt sie fassungslos.

»Der Bote Onas begleitete die Frau«, wiederholte der Mann stotternd. Mit all seiner Willenskraft hielt er den wütenden Blicken seiner Herrin stand. »Sie forderte die sofortige Freilassung des Jungen.

Doch anstatt empört abzulehnen, machte die Königin ihr ein Angebot. Keiner weiß warum, aber sie bot ihr den Thron von TirnaNog an, wenn sie die Frau von Prinz Aidan werden würde.«

»Was?«, stotterte Elain empört und ballte die Fäuste. Ihre ganze Haltung zeigte an, dass sie vor Wut außer sich war. »Wie kann sie es wagen, so einem dahergelaufenen Niemand etwas anzubieten, was mir und nur mir zusteht?«, fauchte sie entrüstet und machte ihrer Empörung Luft, indem sie im Raum hin und her lief.

Schnell versuchte der Mann, seine Herrin zu beruhigen, und sprach weiter. »Aber die Fremde ging nicht auf ihr Angebot ein. Da stieß die Königin den Jungen in den Fluss.«

Elain blieb erschrocken stehen und holte tief Luft. Diese vielen schlechten Nachrichten hatten sie erschöpft. Mithilfe der Diener ließ sie sich auf den wieder aufgestellten Stuhl sinken.

Erfreut über die Reaktion, die seine Schilderung der Ereignisse bei seiner Herrin hervorrief, fuhr der Bote eifrig fort. »Die Frau sprang hinterher, um ihren Liebsten zu retten. Schon dachten alle, das sei das Ende der beiden. Schon triumphierte Marlene über ihre Widersacherin. Da geschah das Schreckliche.

Mit Prinz Aidan ging eine seltsame Veränderung vor sich. Er bekam einen Wutanfall und schrie seine Mutter an, dass er sie hassen würde. Doch Marlene reagierte ganz ruhig. Es sah so aus, als hätte sie ihren Sohn wie immer unter Kontrolle. Bis er einen wütenden Blick auf das Wasser warf, wo die Frau gerade damit beschäftigt war, ihren Freund vorm Ertrinken zu retten.

Plötzlich packte der Prinz seine Mutter und verschwand mit ihr in der reißenden Strömung, die zur Hauptkaskade führte.«

Elain blickte voller Entsetzen auf den Mann, der ihr diese Unglücksbotschaft so ruhig übermittelte. »Oh nein!«, rief sie und sackte wie ein Häufchen Elend in ihrem Stuhl zusammen. »Ich habe sie so oft davor gewarnt, habe ihr gesagt, dass sie ihn irgendwann nicht mehr kontrollieren kann, und nun ist es geschehen. Das ist ja furchtbar.«

Der Bote senkte den Kopf. »Die Wachen zogen ihre leblosen Körper aus dem Wasser und brachten sie ans Ufer. Sie konnten nichts mehr für sie tun. Beide waren tot.« Andächtig machte der Mann eine kurze Pause.

Seine Herrin vollführte eine hilflose Geste. »Und die Fremde und der Junge? Was ist mit ihnen passiert?«, flüsterte sie.

»Die hatten alles unbeschadet überstanden. Die von dem Drama betäubten Massen wollten ihr sogar den Thron von TirnaNog geben, weil sie mit dem Boten Onas erschienen war. Ja, sie nannten sie sogar die Gesandte Onas!«

Elain knirschte mit den Zähnen. »Wie passend! Da hat sie natürlich mit Freuden ja gesagt.« Zornig presste sie die Worte zwischen die fast geschlossenen Lippen hervor.

Der Mann schüttelte den Kopf. »Nein! Erstaunlicherweise überlies sie die Wahl für den Nachfolger ihrem kleinen vierbeinigen Freund, dem Boten Onas.«, erklärte er versonnen.

Die Frau auf dem Stuhl nickte anerkennend: »Wie clever von ihr! Es ist selbstverständlich viel besser, wenn man von dem göttlichen Abgesandten zur Nachfolgerin ernannt wird. Das legitimiert die ganze Angelegenheit«, murmelte sie. Widerwillig musste sie zugeben, dass diese Unbekannte ziemlich gerissen war.

Der Bote grinste gehässig. »Aber scheinbar hatte sie nicht mit der Unberechenbarkeit ihres kleinen Gefährten gerechnet, denn der nahm artig vor dem Hüter des Tors Platz. Da musste sie sich in ihr Schicksal fügen und wohl oder übel Meister Maeron die Macht überlassen. Und während das Mädchen mit ihrem Freund wieder nach Hause zog, machte es sich der Meister mit seiner Begleiterin Marianne auf dem Thron gemütlich.«

Nachdenklich musterte Elain ihren Informanten. Beruhte seine Schadenfreude auf der Tatsache, dass Onas Bote den Hüter des Tors zum Nachfolger der Königin bestimmt hatte, oder klang da Häme aus seinen Worten, weil ihre Ansprüche auf den Thron einfach übergangen worden waren? Es war wohl an der Zeit diesem allzu vertrauensvollen Mann seine Grenzen aufzuzeigen. Aber erst mal hatte sie andere Probleme.

Während sie diesen Gedanken nachging, lächelte sie herablassend. »Es ist gut Nolan. Ihr habt eine ausgezeichnete Arbeit geleistet. Hier ist die versprochene Belohnung«, sagte sie und warf ihm einen prall gefüllten Beutel zu, den der Mann mit einer geschickten Handbewegung auffing.

Ohne sich von dem Inhalt zu überzeugen, steckte er alles weg, verneigte sich tief und verließ nach einem entlassenden Winken seiner Herrin den Raum.

Elain blieb noch sitzen und überdachte die Gegebenheiten. Sorgfältig begann sie alle Möglichkeiten, die sich aus der Situation ergaben, zu berechnen.

Diese Fremde, die den ganzen Ärger verursacht hatte, war mit ihrem Freund wieder nach Hause zurückgekehrt. Wahrscheinlich war der Bote Onas ihr gefolgt, denn ihr Informant hatte ihn nicht weiter erwähnt. Von denen drohte ihr keine unmittelbare Gefahr mehr.

Und mit dem Thronräuber in TirnaNog, diesem Meister Maeron würde sie schon fertig werden. Sie hatte einen Trumpf in der Hand, von dem die beiden nichts wussten.

Ja, Elain selber, hatte vor einigen Monaten erst, als sie im kleinen Hafen Arwan ein Transportmittel für die Fahrt nach Hause suchte, diese Entdeckung gemacht.

Sie kam zu einem ungünstigen Zeitpunkt. Alle dafür möglichen Schiffe waren schon ausgebucht. Verzweifelt brach sie in Tränen aus, als der letzte Kapitän ihr eine Absage erteilte.

Aus einem hilflosen Impuls heraus begann der Mann dem jungen Mädchen die Tränen von den Wangen zu tupfen. Dabei wurden seine Bewegungen immer langsamer und schließlich stand er steif und still da.

Elain startete einen letzten Versuch, den Kapitän umzustimmen. Lang und breit erklärte sie ihm, wie wichtig es für sie war, ans andere Ufer zu kommen. Da geschah das Unglaubliche!

Plötzlich schaute der Mann sie an, als würde er sie das erste Mal sehen, nickte zustimmend und erklärte sich bereit, sie nach Tirna zu segeln. Obwohl sein ursprünglicher Kunde protestierte, wurde dessen Ware vom Schiff geschafft und dafür Elains Güter unter Deck sicher verstaut. Dann segelten sie los! Betäubt stand sie an der Reling und versuchte, den Ablauf der Ereignisse zu verstehen.

Dieser überraschende Sinneswandel des Kapitäns konnte nur eines bedeuten. Auch sie verfügte wie Marlene und wie ihr Halbbruder Aidan über die Macht andere Menschen zu manipulieren.

Ein weiterer Test auf dem Heimweg nach TirnaNog brachte die Gewissheit. Sie war kein talentloser Bastard. Sie hatte die Macht der Tränen von ihrer Mutter geerbt. Nur war bei ihr diese Fähigkeit viel später in Erscheinung getreten. Sie dachte an verschiedene Ereignisse in der Vergangenheit zurück und überlegte, ob schon früher mal, das Erwachen dieser Macht zu erkennen gewesen war. Aber so doll sie auch nachdachte, sie konnte sich an keine ähnliche Situation erinnern. Diese Eigenschaft war völlig neu bei ihr.

Doch sie durfte jetzt nicht glauben, dass die Rückeroberung des Throns von TirnaNog damit ein Kinderspiel war. Sie hatte ihre Mutter als warnendes Beispiel vor Augen.

Auch Marlene hatte über die Macht der Tränen verfügt. Ja, sie war sogar in der Lage gewesen, diese Macht effizient anzuwenden. Und trotzdem hatte sie gegen die fremden Eindringlinge verloren.

Sie durfte nicht denselben Fehler wie ihre Mutter machen. Sie musste taktisch so vorgehen, dass der Feind sie erst bemerkte, wenn es schon zu spät war.

Mit diesem Vorsatz begab sie sich an die Arbeit.

2. Die Königin ist tot! Es lebe die Königin!

Während Maeron, der Hüter des Tors, der König von TirnaNog den Speisesaal betrat, drang ein gedämpftes Rascheln von Stoff an sein Ohr. Ein kurzer Blick genügte, um ihm klarzumachen, dass die gesamte höfische Gesellschaft schon in festlicher Kleidung auf ihn wartete.

In den letzten Monaten war es ihm nur sehr langsam gelungen, die alt hergebrachten Rituale zu reformieren. Dabei bemühte er sich, behutsam vorzugehen. Das hieß, dass er viele Zeremonien erst einmal übernahm, um die Leute nicht mit zu drastischen Veränderungen vor den Kopf zu stoßen.

So war es seine Aufgabe, einmal im Monat eine Audienz abzuhalten. Nach der zweistündigen Anhörung ging es weiter im Bankettsaal. Bei dem anschließenden feierlichen Essen, konnten sich die Fürsten und ihre Diplomaten etwas unzeremonieller mit ihm über Verträge und Handelsabkommen austauschen.

Maeron grüßte in die Runde und nahm am Tisch Platz. Erst jetzt durften sich auch die anderen Besucher erschöpft auf ihre Sitzgelegenheiten niederlassen. Dem einen oder anderen Gast entschlüpfte dabei ein erleichterter Seufzer.

Traurig bemerkte der König den leeren Stuhl neben sich. Also hatte es Marianne nicht geschafft, pünktlich zum Festessen zu erscheinen. Dann musste er wohl heute alleine den fordernden Massen entgegentreten.

Deprimiert warf er einen Blick in die Runde. Viele der Besucher waren über fünfzig. Nur ein halbes Dutzend junger Frauen und Männer saßen am linken Flügel der Festtafel. Er dachte darüber nach, wie viel leichter es wäre, fortschrittliche Reformen durchzusetzen, wenn er mehr junge Menschen um sich hätte.

Mit einem Seufzer nickte er der Dienerschaft zu, damit diese mit dem Auftragen der Speisen beginnen konnte. Die nächste halbe Stunde waren seine Gäste mit dem eifrigen Verspachteln ihrer Mahlzeit beschäftigt. Jeder beeilte sich, denn wenn der König diese Tafel aufhob, mussten auch alle anderen mit dem Essen aufhören.

Eine ganze Zeit lang erfüllte ein unruhiges Summen den Saal. Doch schließlich beendete Maeron sein Mahl und gab den Dienern das Zeichen zum Abräumen. Ein Blick auf die Uhr sagte ihm, dass es schon spät war. Er biss sich auf die Unterlippe. Die Arbeit war noch lange nicht getan.

Er erhob sich und wollte den Saal verlassen, als sein Sekretär sich vor ihm verbeugte. Er hatte ein junges Mädchen bei sich, dass demütig den Kopf gesenkt hielt.

Maeron musterte den Mann mit Unbehagen. Dieses lächerliche Essen hatte ihn schon genug Zeit gekostet und die Arbeit würde sich nicht von alleine erledigen. »Was ist?«, fragte er deshalb ungehalten.

Erneut verneigte sich sein Sekretär und gab dem Mädchen einen Wink näher zu treten. »Ich weiß, ihr habt viel zu tun. Ich will euch auch gar nicht lange aufhalten, eure Hoheit. Aber diese junge Dame ist gestern aus Erenn zurückgekehrt und hat so manche wichtige Neuigkeit für euch.«

Der Kopf des Königs ruckte hoch. Interessiert schaute er auf das Mädchen. Sie erschien ihm viel zu jung für so eine anstrengende Reise.

Als er nichts sagte, hob die fremde Reisende den Kopf. Ein leises, gewollt sarkastisches Lächeln umspielte ihre Lippen und in ihren Augen lag ein vorsichtig kalkulierender Ausdruck.

Bevor Maeron sich mit einer entschuldigenden Ausrede aus der Affäre ziehen konnte, fuhr sein Sekretär fort. »Eure Hoheit, die Dame Elain ist im Besitz wichtiger Informationen und hat keine Mühen gescheut, uns diese sofort zu überbringen.«

»Um Himmels willen!«, machte sich der König gereizt Luft. »Rede doch nicht so geschwollen daher. Wenn es unbedingt notwendig ist, dann werde ich sie anhören.« Damit entließ er den Mann und wendete sich an das Mädchen.

»Ihr müsst völlig erschöpft sein, nach einer so langen Reise. Es ist wohl besser, wenn wir in den Konferenzraum gehen und ihr mir bei einer kleinen Erfrischung alles berichtet.« Auf sein Winken kam ein Diener herbei, den er mit dem Auftrag losschickte, Getränke zu holen. Dann machte er eine auffordernde Handbewegung und führte seinen Gast in ein kleines Zimmer.

Trotz seiner offiziellen Funktion strahlte der Raum mit seinen gemütlichen Sesseln eine entspannte Behaglichkeit aus.

Nachdem er das Mädchen aufgefordert hatte, sich zu setzen, ließ er sich selber auf einem Sessel ihr gegenüber nieder. »Also, was ist so ungeheuer wichtig, dass ihr mich unbedingt sofort sprechen müsst«, erkundigte er sich.

Doch statt einer Antwort beäugte sein Gast die eifrigen Dienstboten, die gerade dabei waren, die bestellten Erfrischungen auf einem kleinen Tisch abzustellen. Da sich die Leute danach nicht verzogen, sondern im Hintergrund auf weitere Befehle warteten, bequemte sie sich doch zu einer Antwort.

»Ich halte es, für sehr unklug diese brisanten Informationen vor unbefugten Ohren auszuplaudern«, sagte sie und machte eine vielsagende Handbewegung in Richtung der wartenden Dienerschaft.

Innerlich lehnte sich Maeron gegen diese Forderung auf. Gleichzeitig musste er sich aber eingestehen, dass er für die Verschwiegenheit seiner Leute nicht bürgen konnte. Es gab immer noch Reste der alten Sippschaft, die zu Marlenes Zeiten, hier das Sagen hatte. Darum befahl er laut: »Ihr habt die Dame Elain gehört. Bitte verlasst den Saal.«

Als die Männer den Raum verlassen hatten, drehte er sich zu ihr um. »Nun!«, begann er. »Die unbefugten Lauscher sind weg. Sie können mir endlich alles erzählen.«

Elain schaute auf die verschlossene Tür. »Das ist gut.« Sie gab die Antwort automatisch, ohne wirklich zu reagieren. Eindringlich studierte sie den Raum und forschte dann zögerlich. »Und ihr seid sicher, dass keiner uns belauschen kann?«

Maeron nickte nachdenklich. »Ganz sicher!«, bestätigte er dann lächelnd.

Bei dieser positiven Zusage fiel die deutlich erkennbare Anspannung von dem Mädchen ab.

Elain lehnte sich entspannt zurück. Ein siegessicheres Lächeln erschien auf ihren Lippen. Jetzt musste sie den Mann nur noch dazu bringen, dass er ihre Tränen als natürliche Ursache des Gesprächs sah. Das war leicht zu bewerkstelligen. Ganz alleine, wie er war, brauchte sie nur das hilflose Mädchen zu spielen, welches etwas Schlimmes erlebt hatte. Und so begann sie ihre Geschichte.

»Vor zwei Jahren zog ich los, um Handelsbeziehungen zum Nachbarkontinent Erenn aufzubauen.« Sie rückte näher an den König heran, so als wolle sie ihm wirklich vertrauliche Neuigkeiten erzählen.

»Unter größter Gefahr überquerten wir die Passage nach Arwan.« Sie beugte sich vor und ihre schillernden Augen bohrten sich in Maerons Gesicht. Eine unerträgliche Spannung breitete sich im Raum aus.

Sie war so intensiv, dass ihr Zuhörer von der Erzählung voll gefangen war und überhaupt nicht bemerkte, wie das Mädchen sich immer weiter näherte. Nur ihr Parfümduft stieg in seine Nase und ließ ihn ein wenig zurückweichen.

»Da geschah das Unglück«, fuhr sie mit ihrem Bericht fort. Ihre Augen wurden feucht, als würde die Erinnerung daran ihr noch immer Schmerzen bereiten und ein paar Tränen kullerten ihre Wange herunter. Da der Mann ihr gegenüber keinerlei Anstalten machte, sie zu trösten, nahm Elain schnell einige Tränen mit dem Finger auf und berührte damit seine Stirn.

Diese Bewegung erfolgte so rasch, dass der König nicht einmal Zeit hatte, zu protestieren. Er fühlte nur noch diese eisige Kälte, die in ihn eindrang und die alles eigenständige Denken auslöschte. Dumpf sackte er auf seinem Sessel zusammen.

Elain sprang triumphierend auf. »Jetzt habe ich dich! Jetzt musst du alles machen, was ich sage!«, jubelte sie.

Während ihr Gegenüber einen verzweifelten Kampf gegen die Macht der Tränen ausfocht, setzte sie sich erleichtert in ihren Sessel zurück. Sie hatte noch nicht gewonnen!

Nun musste sie ihn mit der richtigen neuen Identität versorgen.

Sie hob mit der Hand sein herabgesunkenes Kinn hoch und betrachtete nachdenklich den erstarrten Mann. Seine kurzen dunkelblonden Haare waren von den Morgenaktivitäten leicht verwuschelt. Sein Gesicht hatte sich nach dem Kampf wieder entspannt und er starrte mit braunen Augen stumpf brütend vor sich hin.

Er war gar nicht so alt, dieser Wächter des Tors und sah dazu noch gut aus. Vielleicht würde es klug sein, den Mann zu behalten. Er konnte ihr den Thron übergeben und würde als königlicher Auserwählter bei ihr bleiben.

Sachte strich sie Maeron über die schweißnasse Stirn. Diese Marianne, die sich unbedingt mit ihren Leuten hier einmischen musste, konnte was erleben. Wenn sie wieder heimkam, würde der Thron weg sein und ihr Freund, der König anbetend zu Füßen der neuen Königin liegen. Welch köstliche Rache!

Und sollte diese Frau irgendwelchen Ärger machen. Auch gut! Sie hatte vorgesorgt. Sie würde sich ihr Eigentum von niemanden wieder wegnehmen lassen.

Mit diesem Vorsatz machte sich Elain an ihre Aufgabe.

* * *

Marianne, die ein Krankenhaus in der Unterstadt besucht hatte, war gerade auf dem Rückweg zum Palast.

Dabei führte sie ihr Weg über den Markt. Wehmütig gingen ihre Erinnerungen zurück. Hier hatte der Prinz sie damals entdeckt und sie eingeladen, mit in seinen Palast zu kommen. War es sein Aussehen? Oder war es Eitelkeit und Stolz, die sie sein Angebot annehmen ließ?

Jedenfalls hatte sie es schnell bereut. Zuerst behandelte Marlene Joe und später wurde auch sie durch die Macht der Tränen gefügig gemacht. Ein leichter Schauer rieselte ihr den Rücken runter. Sie drosselte ihr Tempo und schaute sich um.

Irgendwas auf dem Markt war heute anders. Die Leute standen in kleinen Gruppen zusammen und tuschelten. Aber vielleicht bildete sie sich das auch nur ein, weil ihre Gedanken bei den trüben Erinnerungen weilten. So beschleunigte sie ihre Schritte wieder und beeilte sich, in den Palast zu kommen.

Als sie durch das Tor lief, schauten die Wachen sie unschlüssig an. Das ungute Gefühl wurde stärker. Immer zwei Stufen auf einmal nehmend, eilte sie zum Audienzsaal. Hoffentlich war Maeron nichts passiert.

Die Tür zum Saal wurde ihr geöffnet. Überrascht blieb sie auf der Schwelle stehen. Sie hatte erwartet, den Raum leer oder wenigstens halbleer vorzufinden. Stattdessen quoll er über vor Leuten. Alles sah danach aus, als würde hier eine feierliche Zeremonie abgehalten.

Was sie aber am meisten überraschte, war die ungewöhnliche Verteilung der Rollen. Anstelle des Königs saß eine fremde Frau auf dem Thron und Maeron, ihr Liebster, der König von TirnaNog stand in demütiger Haltung daneben.

Energisch bahnte sich Marianne ihren Weg durch die gaffende Menge. Am Podest angekommen, stieg sie schnell die Stufen hoch. »Was ist hier los?«, fragte sie empört. »Was hat das zu bedeuten?«

Vorwurfsvoll schaute sie ihren Freund an. Bei dem merkwürdig stumpfen Ausdruck in seinen Augen, schrillten ihre Alarmglocken auf Warnstufe rot. Nein. Das konnte nicht sein! Marlene war tot. Ebenso der Prinz. Und mit ihm die letzten Menschen hier, die über die Macht der Tränen verfügt hatten.

Plötzlich verwandelte sich der Ausdruck in Maerons Gesicht und machte einem Lächeln Platz. »Es ist alles gut, Marianne!«, strahlte er, eilte zu ihr rüber und nahm ihre Hand. »Elain ist aus Erenn zurückgekommen«, fing er an und führte sie zu der Frau auf dem Thron.

Verunsichert von der fremdartigen Begrüßung ging Marianne mit. Vielleicht hatte sie sich getäuscht. Vielleicht gab es für diese merkwürdige Szene eine ganz natürliche Erklärung.

Doch tief in ihr drin, blieb noch eine Portion Misstrauen bestehen. Schnell stellte sie fest, dass das auch gut so war.

Am Thron angekommen, war die fremde Frau gerade dabei, sich ein paar Tränen aus den Augen zu wischen. Der siegessichere Ausdruck dabei in ihrem Gesicht ließ Marianne zögerlich innehalten. Hilflos drehte sie sich zu ihrem Freund um. Trauer und Zuversicht, das passte nicht zusammen!

Erneut war seine ganze Miene zu einer reglosen Maske erstarrt. Nur in seinen Augen konnte sie erkennen, dass er gegen etwas ankämpfte. Während seine Hand versuchte, sie ungeduldig zu dieser Elain zu schieben, tobte hinter seiner Stirn ein unsichtbarer Kampf.

»Maeron, was ist mit dir los?«, fragte sie mit lauter Stimme. Doch auf eine Antwort zu warten, dafür hatte sie keine Zeit mehr.

Mit finsterer Zufriedenheit erhob sich die Frau vom Thron und schritt auf sie zu.

Irgendwas in ihr rief laut, lauf weg! Und sie gehorchte dieser Stimme.

Marianne riss sich von ihrem Freund los, drehte sich um und rannte, so schnell sie konnte aus dem Saal. Dabei stieß sie die Menschen, die sich ihr in den Weg stellen wollten, unbarmherzig zur Seite.

Das Mädchen hörte nicht, wie Elain den Massen zurief, sie aufzuhalten. Sie wusste nur eines. Sie musste unbedingt verhindern, dass diese Leute sie einfingen. Denn wenn ihnen das gelänge, würde wieder die Finsternis des Vergessens ihren Geist gefangen nehmen. Diese Elain würde sie in eine willenlose Marionette verwandeln, so wie es ihr bei Maeron schon gelungen war.

Die Angst verlieh ihr ungeheure Kräfte und geschmeidig, wie ein Reh, das der jagenden Meute von Wölfen zu entkommen suchte, entwand sie sich dem Zugriff ihrer Häscher.

Als sie durch die Tür eilte, rief Elain ihr hinterher. »Lauf nur! Ich weiß, wo du hin willst, und ich werde dich früher oder später kriegen.«

Marianne blieb nicht stehen, um zu antworten. Sie hatte keine Zeit dafür. Sie musste so schnell, wie möglich aus diesem Gebäude raus. Ohne weitere Zwischenfälle erreichte sie den Ausgang und tauchte in den Gassen der Stadt unter.

Atemlos erreichte sie einen kleinen finsteren Hinterhof und machte Rast, um ihre Lage gründlich zu überdenken. Wo war diese fremde Frau nur hergekommen? Hatten die hohen Beamten damals bei den Wasserfällen nicht behauptet, es gäbe keinen weiteren Anwärter auf den Thron.

Aber darüber nachzugrübeln, war zwecklos. Diese Frau existierte und hatte den König unter ihre Kontrolle gebracht. Alleine konnte sie sich dieser neuen Bedrohung nicht entgegenstellen. Sie brauchte Hilfe.

Sie wusste auch schon, wo sie diese Hilfe herbekommen konnte. Sie musste nur das Tor mit ihrem Kristall öffnen und Blanka darum bitten.

Nachdenklich griff sie nach der Kette, an der der Schlüssel zur Aktivierung hing.

Doch ihre Gegnerin rechnete mit diesem Schritt. Das hatten ihre Worte nur zu deutlich gemacht. Am Tor lauerten garantiert schon Elains Kreaturen auf sie, da konnte sie jetzt noch nicht hin. In Gedanken ließ sie alle Leute Revue passieren, die sie kannte.

Schließlich fiel ihr nur ein Ort ein, an dem sie vielleicht sicher war. Die Bruderschaft! Hierher hatte sie Maeron bei ihrem ersten Besuch geführt und hier waren sie auch sicher vor Marlene gewesen. Wenn sie Glück hatte, dann konnte sie da einen Unterschlupf finden und den Widerstand organisieren.

Sie wartete ein bisschen und schlich sich dann vorsichtig zum Quartier der Bruderschaft. An der Haustür angekommen, schaute sie sich misstrauisch um. Kein Mensch war zu sehen. Also klopfte sie energisch an.

Wie bei ihrem ersten Aufenthalt hier öffnete sich auf ihr herrisches Klopfen eine kleine Klappe in der Tür. Auch das Gesicht, das dort erschien, kannte sie. Es war derselbe Mann, der sie damals begrüßt hatte.

Als er sie erblickte, rief er laut. »Oh, ihr seid es. Kommt schnell herein!« Ein Rascheln erklang von der anderen Seite und der Türflügel wurde wie von unsichtbarer Hand weit aufgerissen.

Um nicht unnötig Aufsehen zu erregen, schlüpfte Marianne rasch durch die entstandene Türöffnung.

Kaum war das Mädchen in die Dunkelheit des Durchgangs eingetaucht, da fühlte sie auch schon, wie unzählige Hände nach ihr griffen. Sie war viel zu überrascht, um Widerstand zu leisten, und ehe sie es sich versah, war sie an Händen und Füßen gefesselt.

Bevor die Angreifer ihr einen Sack über den Kopf ziehen konnten, durchfuhr sie die Erkenntnis, dass Elain auch diesen Unterschlupf gekannt und vorgesorgt hatte. Hilflos fügte sich Marianne in ihr Schicksal. Gefesselt, wie sie war, konnte sie sowieso nichts machen. Vielleicht hatte sie später die Gelegenheit sich zu befreien.

Aber jetzt wurde sie erst einmal von den Männern hochgehoben und davongetragen.

Nach einigen Minuten waren sie mit ihrer Last am Zielort angekommen. Die Männer stellten sie ab und zogen den Sack von ihrem Oberkörper. Ihr klopfte das Herz bis zum Halse, als sie sich umschaute.

Marianne war wieder da gelandet, wo ihre Flucht begonnen hatte. Im Thronsaal!

Immer noch saß Elain auf ihrem Platz und Maeron stand brütend daneben. »Na weit bist du nicht gekommen«, bemerkte die Frau und lachte laut auf. Es war ein hässliches, sadistisches Lachen. »Ich habe doch gesagt, dass ich dich kriege.«

Das Mädchen antwortete nicht. Sie war fieberhaft bemüht, einen Ausweg zu finden. Während sie nachdachte, fuhr die Frau fort und ihre Stimme ließ erkennen, wie sehr sie den Augenblick genoss. »Der Moment der Abrechnung ist gekommen«, wendete sie sich an die Menge im Saal. »Vor mir steht die Feindin unserer Stadt, die Frau, die versucht hat die göttliche Ordnung zu zerstören.«

Sie drehte sich wieder zur Gefangenen zurück. »Wie konntest du nur glauben, gegen mich anzukommen. Du Wurm.«

Marianne unternahm einen letzten verzweifelten Versuch, ihren Freund aus der Starre zu erwecken. Sie schüttelte die behindernden Hände der Wächter ab und drehte sich zum Hüter des Tors. »Maeron, erinnere dich! Ich bin es Marianne«, rief sie ihm zu.

Bevor sie weitersprechen konnte, trat Elain dazwischen. »Ach ist das süß!«, spottete sie. »Die kleine aufmüpfige Thronräuberin versucht, ihren Freund aus meinem Bann zu befreien. Netter Versuch Kleine! Aber das wird dir nicht gelingen. Ich bin nicht Marlene. Ich habe gründlich vorgesorgt und kein Appell und keine Tränen von dir werden diese Macht durchbrechen.«

Sie ging zu dem Mann rüber und strich ihm sanft über die Wange. »Er gehört jetzt mir!«, schnurrte sie genussvoll und weidete sich an den entsetzten Blicken ihrer Gegnerin.

Dann lief sie mit einer katzenhaft anmutenden Bewegung auf Marianne zu. »Und nun bist du dran.« Ein paar dicke Kullertränen begannen sich, in ihren Augen zu bilden. »Du wirst sehen! Es ist gar nicht so schlimm und in Zukunft wirst du mit Freuden alles tun, was ich dir befehle.«

Auf einem Wink von ihr hielten die Wachen sie wieder fest.

Das Mädchen kämpfte wie verrückt gegen die Hände, die sie hielten an. Dabei zerriss der Stoff ihres Oberteils und die Kette mit dem Kristall kam zum Vorschein. Marianne versuchte panisch, mit einem ruckartigen Schulterzucken den Anhänger wieder unter ihrer Kleidung verschwinden zu lassen.

Aber es war zu spät!

Ihre merkwürdige Bewegung hatte Elains Aufmerksamkeit erregt. Die Augen der Königin verengten sich. »Ach! Was haben wir denn da?«, fragte sie und streckte die Hand aus. »Das behindert dich nur, wenn du im Steinbruch arbeiten musst.«

Sie hob den Arm und umfasste mit ihren Fingern den Kristall. Im gleichen Augenblick verzog sich ihr Gesicht vor Schmerz. Der Stein, der bis eben noch klar und durchsichtig an Mariannes Hals gehangen hatte, schimmerte nun schwarz und stumpf.

Ein eigenartig gurgelnder Laut kam über Elains Lippen. Sie ließ den verfärbten Kristall los und taumelte ein paar Schritte zurück.

Nur langsam bekam der Anhänger seine ursprüngliche Durchsichtigkeit zurück.

Die Königin starrte auf ihre Hand und anschließend auf den Kristall. Sie brauchte etwas Zeit, um sich wieder zu beruhigen. Doch dann zuckte sie mit den Schultern. »Es gibt andere Wege, um ans Ziel zu kommen«, murmelte sie, drehte sich um und gab Maeron, der neben ihr stand, ein Zeichen. »Bringe mir die Kette!«, befahl sie ihm. Fordernd zeigte sie auf Mariannes Anhänger.

»Nein!«, schrie das Mädchen. »Fass mich nicht an!«

Doch es half nichts. Mit gesenktem Kopf griff der Wächter des Tors nach ihrem Anhänger. Mit einem kräftigen Ruck zog er daran und der Verschluss gab nach.

Auf der weichen Haut des Mädchens zeigten sich deutlich blutige Abdrücke, die durch das grobe Entfernen der Kette entstanden waren.

Der Schmerz trieb Marianne Tränen in die Augen. Aber viel doller tat der Verlust des wertvollen Kristalls weh. Sie konnte nur hilflos zusehen, wie Maeron der Königin den Schlüssel für das Tor reichte.

Die streckte die Hand schon aus. Doch bei der Erinnerung an ihren letzten Kontakt ließ sie den Arm wieder sinken. »Nein! Behalt´ ihn«, erklärte sie unwillig. »Ich will ihn nicht.«

Der Mann schloss die Faust um den Kristall und trat demütig an seinen Platz zurück.

Marianne bäumte sich ein letztes Mal auf.

Da erinnerte sich die Königin an ihr ursprüngliches Vorhaben. Sie drehte sich zu ihrer Gefangenen um. Auf einen Wink von ihr trat ein weiterer Wächter hinter das Mädchen und fixierte ihren Kopf.

Elain fing mit ihrem Zeigefinger ein paar Tränen ein und ließ sie auf die Wange des Mädchens tropfen.

»Nein!«, schrie Marianne. Das konnte nicht das Ende sein. Das war unfair. Endlich hatte sie einen Freund, einen Platz im Leben gefunden, der perfekt war und dann kam diese Elain daher und machte alles kaputt.

Tränen der Wut traten in ihre Augen. Aber sie konnten nicht die Kälte abhalten, die in sie eindrang.

Ihr letzter Blick fiel auf ihre Gegnerin, die sie mit zufriedenen Blicken musterte. Scheinbar gab ihr die Qual, die sie in Mariannes Gesichtszügen sah, eine morbide Zufriedenheit. Schnell platzierte sie weitere Tränen im Gesicht des Mädchens und als der Widerstand ihrer Gefangenen immer mehr nachließ, seufzte sie erleichtert auf.

Triumphierend wendete sich Elain an die Menschen im Saal. Mit blitzenden Augen musterte sie die ängstlich vor sich hinstarrende Menge. »So ergeht es jedem, der sich mir widersetzt!«, sagte sie entschlossen und drehte sich zu ihrem Begleiter, dem Wächter des Tors um.

»Und du weißt hoffentlich, wem du zu dienen hast.« Ihr Lächeln bei diesen Worten war Drohung und Versprechen zugleich.

Maeron verneigte sich tief vor der Frau. »Ja, Herrin! Ich diene und gehorche euch«, antwortete er und richtete sich wieder auf. Dann rief er mit laut hallender Stimme. »Es lebe die Herrscherin von TirnaNog! Es lebe Königin Elain!«

Dumpf erscholl es aus der Menge zurück. »Es lebe Königin Elain!«

Marianne merkte nicht mehr, wie die Wache sie losließ und wie ihre Fesseln durchschnitten wurden. Sie hörte auch nicht Elains Befehl, ihr zu gehorchen. Ihre letzten Gedanken kreisten nur darum, dass jetzt alles aus war.

Es blieb ihr nur ein Trost. Ihre Gegnerin wusste nicht, dass sie mit dem Anhänger den Schlüssel zum Tor besaß. Sie hielt das Teil nur für ein besonders exotisches Schmuckstück und sie konnte ihn nicht anfassen, ohne dass er sich verfärbte.

3. Unerwartete Hilfe

Hätte Marianne sich bei ihrer Suche nach Unterstützung nur etwas mehr Zeit gelassen, dann wäre ihr aufgefallen, dass sie jemand beobachtete.

Als sie in der Altstadt das Quartier der Bruderschaft aufsuchte, verfolgte eine Frau aufmerksam jeden ihrer Schritte. Sie hatte langes lockiges Haar und eine helle glatte Haut. Ihre unwahrscheinlich blauen Augen waren konzentriert auf die andere Straßenseite gerichtet, wo das Mädchen gerade in einem Hauseingang verschwunden war.

Mit einer anmutigen Bewegung löste sich die Frau aus dem Schatten des Gebäudes, in dem sie Schutz gesucht hatte. Ihr Kleid schwippte bei jedem Schritt von ihr hin und her. Langsam näherte sie sich der Tür.

Bevor sie diese erreichen konnte, wurde der Eingang erneut aufgerissen. Schnell huschte sie in das Halbdunkel des nächsten Hauses.

Mehrere Männer traten heraus. Sie trugen einen großen Sack, aus dem Füße heraushingen. An den Füßen – der so gefangenen Person – konnte die heimliche Beobachterin genau dasselbe Schuhwerk erkennen, dass das Mädchen getragen hatte, welches gerade eben hinein gegangen war.

›Oh! Oh!‹, dachte sie und sah, wie die Gefangene mit einem kräftigen Zappeln gegen diese Transportmethode protestierte. Der stumpfe Gesichtsausdruck der Träger ließ die Frau Schlimmes ahnen.

Hatte Blanka ihr nicht erzählt, dass Königin Marlene und ihr Sohn in den Wasserfällen ertrunken waren? Also, was passierte hier gerade?

Sie musste diesen Leuten unbedingt folgen. Hektisch schaute sie sich um.

Außer ein paar Menschen, die eilig die Straße entlang schritten, um zur Arbeit oder auf den Markt zu gehen, waren die Bürgersteige ziemlich leer.

Es würde garantiert auffallen, wenn sie den Männern die ganze Zeit über folgte. Vor allen Dingen, wenn sie dabei so völlig ohne Gepäck herumlief.

Sie brauchte einen Vorwand, eine logische Begründung, die ihre Anwesenheit auf der Straße rechtfertigte. Und zwar schnell, bevor die Leute mit ihrer Last verschwunden waren.

Ihr Blick fiel auf eine Lebensmittellieferung, die vor einem nahe gelegenen Eingang stand und die der Hausbesitzer noch nicht rein geholt hatte. Na, das war es doch!

Vorsichtig sah sie sich um. Niemand blickte in ihre Richtung. Sie presste sich gegen die Wand, tauchte unter dem Fenster des Hauses durch und schnappte sich den Essenskorb.

Dann schnellte sie in die Höhe. Ihre Beute demonstrativ auf der rechten Schulter abstellend, lief sie, mit hoch erhobenem Haupt in die Richtung, die die Männer mit dem großen zappelnden Sack genommen hatten. Ihr Schritt war energisch. Trotzdem hatte die Frau keine Eile und hielt immer etwas Abstand zu der Gruppe, der sie folgte.

Die Männer stapften durch das Handwerkerviertel und gingen schließlich die Stufen zum Palast hoch.

Während der Trupp mit seiner Gefangenen von der Wache wortlos in das Gebäude eingelassen wurde, blieb die Verfolgerin stehen. Sie musste nachdenken. Wenn sie, ohne sich auszukennen, unter irgendeinem Vorwand den Zugang zum Palast erfragte, dann war das Risiko erwischt zu werden, viel zu groß.

Es schadete nicht, erst einmal zu warten. Mit diesem Entschluss machte sie es sich in Reichweite des Einganges bequem und beobachtete das Treiben.

Nachdem eine Wachablösung stattgefunden hatte und am Haupttor alles ruhig blieb, entschied sie sich doch dafür, näher ranzugehen.

Erneut hob sie den Korb auf ihre Schulter.

Mit weit schwingenden Hüften, eine leise Melodie vor sich hin summend, den Blick konzentriert auf den Fußweg gerichtet, wanderte sie in Richtung der Torwächter.

Dabei gab sie sich den Anschein tief versunken in ihre Tätigkeit zu sein und nichts von ihrer Umwelt mitzukriegen. Erst als sie bei den Männern ankam, blickte sie auf. Ihre blauen Augen weiteten sich vor Überraschung und wie erstarrt blieb sie stehen.

Die Wachen am Tor musterten den ungebetenen Gast mit misstrauischen Blicken. »Was will sie hier?«, fragte der eine Mann. Er war etwas fülliger und die Jacke der Uniform spannte sich über seinem Bauch. Die Nähte knackten und knarzten bei jeder seiner Bewegungen. Seine fettigen blonden Haare schauten unter dem Helm hervor und kleine Schweißtropfen bildeten sich auf seiner Stirn.

Der andere Mann war genauso lang, wie der erste dick war. Die Kleidung schlotterte um seinen Körper. Er trug um den Hals einen Schal. Entweder als modisches Highlight oder weil ihm kalt war.

Die beiden bildeten ein so absurdes Pärchen, dass die Frau kurz überlegte, ob sie hierhergestellt worden waren, damit sich der Feind totlachte.

Aber der Schein trog. Die Hand des zweiten Mannes war automatisch zu seiner Waffe gegangen. Die Wache war nicht so ahnungslos, wie sie aussah.

Bevor die zwei ungeduldig wurden, beeilte sie sich, zu antworten. »Ach! Wie konnte ich nur so dumm sein«, erklärte sie völlig aufgelöst. »Jetzt habe ich den falschen Weg genommen.«

Sie nahm ihre Last von der Schulter und stellte sie neben sich auf den Boden. Nachdenklich wanderte ihr Blick zwischen dem Korb mit den Lebensmitteln und den Männern hin und her. »Eigentlich wollte ich zum Markt. Da muss ich wohl den falschen Abzweig genommen haben.«

Ein quälender Seufzer kam über ihre Lippen, während sie die Männer mit einem entschuldigenden Lächeln ansah. »Nun muss ich den ganzen Weg wieder zurücklaufen. Dabei ist der Korb doch so schwer.«

Sie beugte sich runter, sortierte den Inhalt neu und hievte ihre Last wieder auf die Schulter.

Während der lange dünne Mann immer noch misstrauisch schaute, war der kleine dicke neugierig nähergetreten. Hungrig musterte er den Inhalt des Korbs. Seine Nase fing an zu zucken und seine spitze Zunge fuhr nervös über seine Lippen. Nach einer Minute des Nachdenkens, kam er zu einem Entschluss.

Als sich die unerwartete Besucherin umdrehen wollte, um mit ihrer Last wieder zu verschwinden, hielt er sie auf. »Aber gute Frau! Wer wird es denn so eilig haben«, sprach er sie an und nahm ihr den schweren Korb von der Schulter. Immer noch war sein Blick auf den verlockenden Inhalt gerichtet.

Dann wanderten seine Augen bittend zu seinem Nachbarn. »Wir stehen hier schon so lange und durch die Aufregung im Palast hatte ich auch noch kein richtiges Mittagessen. Da ist es buchstäblich ein Wink des Schicksals, dass diese junge Dame genau vor unserer Tür gelandet ist. Das ist doch kein Zufall! Der gute Gott Dagda hat sich meines knurrenden Magens erbarmt und mir zur Erlösung aus meiner Qual diese Frau vorbeigeschickt«, flehte er ihn an.

Der lange Wächter warf seinem dicken Freund einen entsagungsvollen Blick zu. »Wenn du meinst«, seufzte er und rollte gequält mit den Augen.

Anschließend wendete er sich der ungewollten Essenslieferantin zu. »Ihr könnt eure Ware gleich bei uns loswerden. Dann braucht ihr nicht mehr bis zum Markt zu gehen. Außerdem ist es eure Bürgerpflicht die Wache bei der Ausübung ihrer Tätigkeit zu unterstützen. Und mein Kollege ist total entkräftet«, erklärte er mit einem Seitenblick auf seinen Begleiter.

»Ja, Bürgerpflicht!«, bestätigte sein dicker Freund und seine Augen glänzten erwartungsvoll.

Die Frau schaute zögerlich auf die beiden Männer. »Ach ihr wollt mich nur aufziehen! Im Palast gibt es sicherlich viel besseres Essen und ihr könnt euch nach Herzenslust die Bäuche vollschlagen«, sagte sie abweisend. Entschlossen beugte sie sich runter und wollte ihre Ware wieder auf die Schulter nehmen.

Die Aussicht, um diesen köstlichen Imbiss zu kommen, war für den hungrigen Mann fast zu viel. Mit Tränen in den Augen sah er sie an. »Aber nein! Ich sage nur die Wahrheit«, jammerte er und zerrte mit seinen Fingern den Korb erneut zu Boden.

»Heute nach der Audienz ist König Maeron von seinem Posten zurückgetreten und hat Elain zur neuen Königin ernannt. Dann ist diese Marianne aufgekreuzt. Die neue Herrscherin ist total ausgeflippt und hat sie zum Staatsfeind Nummer Eins erklärt. Alle Wachen im Palast wurden losgeschickt, um sie einzufangen.

Erst vor einer Stunde ist es uns gelungen, ihrer wieder habhaft zu werden. Endlich war Königin Elain zufrieden und die übrigen Wachen konnten ihre versäumten Mahlzeiten nachholen. Nur wir nicht! Wir mussten uns zur Wachablösung begeben«, klagte der Mann und schaute flehend die Frau an.

»Ich verlange ja nicht viel und ich würde auch gerne dafür bezahlen.« Hastig begann er in seiner Hosentasche zu kramen, »Lasst uns nur etwas von euren Köstlichkeiten da. Ich falle vor Hunger fast um.«

Wie zur Bestätigung seiner Geschichte gab der Magen des Wachmannes ein lautes Knurren von sich. »Hört ihr es?«, fragte er.

Die Besucherin nickte andächtig. »Ja, ich sehe schon. Ihr seid ganz entkräftet und blass. Aber ich will mit der neuen Herrscherin keinen Ärger bekommen. Nicht das es hinterher heißt, ich hätte ihre Wachen abgelenkt«, gab sie zu bedenken und beugte sich runter zu ihrem Korb.

Jetzt war der Mann wirklich blass. »Schaut! Hier habe ich das Geld, um eure Ware zu bezahlen.« Er nahm ihre Hand und ließ die in der Hosentasche gefundenen Münzen hineinfallen. »Damit ist euer Einkauf mehr als abgegolten! Auch braucht ihr euch keine Sorgen machen, dass es deswegen Stress gibt.